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ОглавлениеDen Krebs besiegen
Meine eigene Geschichte
Es ist 22 Uhr, ein ganz normaler Donnerstag. Ich befinde mich auf dem Heimweg von der Arbeit.
Ein voller Tag in der Praxis beginnt um acht Uhr und endet gegen 21 Uhr, dann mache ich noch etwas Büroarbeit, so bis spätestens 23 Uhr. Meine Patienten sind mir wichtig. Ich mache mir Gedanken über ihre Therapiepläne, was jeweils das Beste für sie ist, dann müssen noch Versicherungsfragen beantwortet werden … Bei einer vollen Praxis ist diese Arbeit nicht zwischen den Patienten zu bewältigen. Sie muss am Abend oder am Wochenende erledigt werden. Es ist okay.
Jetzt, um diese Zeit, schlafen meine Lieben. Meine Kinder, sie sind meine Schätze! Es ist so gut, dass es sie gibt. Ohne sie wäre ich nicht vollständig. Sie zeigen mir jeden Tag, wie viel mehr das Leben zu bieten hat. Sie zwingen mich, das Leben in allen Facetten zu leben, nicht nur an die Praxis und meine Patienten zu denken.
Ich bin also auf dem Heimweg, und die Liebe meines Lebens, mein Mann, wartet auf mich. Es ist so ein schönes Gefühl zu wissen, dass da jemand ist. Ja, wir sind schon sehr lange zusammen und sprengen jede Statistik – weit über zwanzig Jahre. Wir haben uns in der Schule kennengelernt. Es ist eine Ewigkeit her, oder war es doch erst gestern? Was haben wir für tolle Dinge miteinander erlebt, schon viel von der Welt gesehen.
Da ist noch mehr, was auf uns wartet. Und er wartet auf mich. Er ist keiner, der ständig anruft oder mich irgendwo abholt und eine große Show daraus macht, nein, dazu bin ich vermutlich auch zu selbstständig und er zu bequem. Er ist einer, der zuverlässig und still daheim wartet und dadurch eine unendliche Ruhe ausstrahlt. Gern sitzen wir dann noch ein wenig beisammen, trinken vielleicht ein Gläschen Rotwein. Wir sind glücklich, einander zu haben, und können jeweils den anderen loslassen, damit er sich entwickeln und wiederkommen kann.
Die Diagnose
Ist heute wirklich ein ganz normaler Donnerstag? Mein Gesicht ist nass von den Tränen. Ich kann kaum die Straße sehen. Gut, dass ich den Weg ohnehin mit geschlossenen Augen fahren kann. Heute ist der 24. April 2012. Nie merke ich mir irgendwelche Daten. Manchmal muss ich sogar überlegen, wann meine Verwandten Geburtstag haben, ich musste auch schon mal darüber nachdenken, wie alt ich bin. Es ist mir einfach nicht wichtig. Es ist nicht so, dass ich ein Problem mit Zahlen habe, nein, gar nicht. Ich wollte sogar Mathematik studieren. Aber: Dieses Datum ist nun in meinem Kopf eingraviert, unauslöschbar, da bin ich mir sicher. Heute gegen vierzehn Uhr rief mich mein Internist an und verkündete die Bestätigung seines Verdachts: Ich habe Krebs.
Ich bin zweiundvierzig Jahre alt, meine Kinder sind zwölf und sieben. Was soll das jetzt?! Es ist schon verrückt, wie das Lebenskarussell anhalten kann. Abrupt. Das Schreckensgespenst Krebs, welches sonst nur »andere« Menschen befällt, ist bei mir angekommen und bedroht mein Leben. Es will mir alles wegnehmen, was ich habe. Es wird nun mein Schicksal sein, der Punkt, an dem sich alles ändern wird. Plötzlich wird alles infrage gestellt, was bisher galt.
Den Verdacht hatte ich seit zwei Wochen. Ich merkte einfach, dass in meinem Körper etwas nicht stimmte, aber eigentlich erst, seitdem ich beim Orthopäden war und dieser nichts gefunden hatte. Das morgendliche Joggen lief etwas zäh. Meine Yogasession hatte ich schon seit Längerem vernachlässigt. Ich war nicht so ausdauernd wie sonst. Außer der unregelmäßigen Rückenschmerzen hier und da hatte ich keine Schmerzen. Verdrängen und weitermachen, ja, das konnte ich gut. Eigentlich dämmerte das ungute Gefühl erst in mir, als meine Mutter fragte: »Woher kommen denn deine Rückenschmerzen dann, wenn der Orthopäde nichts findet?« Von da an hatte ich ein ungutes Gefühl, und als der Stuhl dann auch noch »komisch« wurde, war mir vollkommen klar: Das geht nicht gut aus. Schließlich hatte ich auch Medizin studiert. Ich hatte es gelernt, und dies war fest in meinem Kopf verankert: Blut im Stuhl ist das sichere Vorzeichen des Todes. Das zumindest hatte ich aus dem Studium im Kopf abgespeichert. Nun war es Gewissheit. Ich bekam es sogar schwarz auf weiß. Das Telefonat mit meinem Internisten lief zwischen zwei Patiententerminen in meiner Praxis. Professionell, wie ich nun mal bin, habe ich ruhig weitergearbeitet. Erst jetzt, da ich auf dem Heimweg bin, wird mir bewusst, welche Nachricht ich heute erhalten habe: mein Todesurteil.
Daheim angekommen sieht mein Liebster sofort, dass ich aufgewühlt bin und nimmt mich in den Arm. Die halbe Nacht weinen wir gemeinsam, unterhalten uns, es fehlen uns jedoch die richtigen Worte, wir weinen wieder. Wir können es nicht glauben. Wir können nicht wahrhaben, dass ich so krank sein soll. Ich bin stark. Nie war ich krank. Daher habe ich auch gar keinen Arzt. Nur eine Medizinerin wird von mir mehr oder weniger regelmäßig aufgesucht: meine Gynäkologin. Ich habe höchstens Schnupfen, Kopfschmerzen und Nackenverspannungen. Irgendwann schlafen wir fest umschlungen, als wenn wir uns nicht loslassen könnten, ein. Am nächsten Tag, es ist ein Freitag, bringe ich ganz normal die Kinder in die Schule und fahre in die Praxis, um meine Patienten zu versorgen. Alles normal?
Ich bin ein Verdrängungskünstler. Der Internist hat wohl recht. Wir hatten vereinbart, dass so schnell wie möglich eine Darmspiegelung durchgeführt werden sollte. Das bedeutet: Ich muss mir den Montag freischaufeln. Patienten werden vorverlegt und umbestellt. Viele ärgern sich und schimpfen mit meinen Mitarbeiterinnen, die meisten jedoch zeigen Verständnis. Natürlich wissen weder die Mitarbeiterinnen noch die Patienten den wahren Grund. Das Wochenende steht unter der Vorbereitung für die Darmspiegelung. Ich bin nervös, ängstlich, eine Übermutter, erdrücke die Kinder mit meiner Liebe aus Angst, ihnen diese bald nicht mehr geben zu können. Die wildesten Gedanken laufen mir durch den Kopf. Jetzt ist es gar nicht so förderlich, dass ich Medizin studiert habe. Verdammt, ich weiß zu viel. Ich kann mir nichts vormachen, ich kenne mein Schicksal.
Knallharte Tatsachen
Bitte, lieber Gott, lass es ein kleiner Tumor sein, den die Ärzte wegschneiden können, nur keine Metastasen, nur keine Metastasen … Mit diesen Gedanken schlafe ich ein. Wenn mich die Kinder nicht sehen, laufe ich wie ein Zombie durch die Gegend, weine. Natürlich bemerken sie mein verweintes Gesicht.
»Der Mama geht es nicht gut. Sie hat eine schlechte Phase«, so die Erklärungen meines Mannes. Wir wollen und können nichts sagen. Wir sind selbst sprachlos. »Wir warten ab, schauen, wie schlimm es tatsächlich ist. Es kann nicht so schlimm sein, denn dir geht es ja gut.«
Leider sollte er nicht recht behalten. Die kommende Woche hat es in sich: »Sie haben einen großen Tumor im Enddarm und vermutlich Metastasen in der Leber«, sagt der Internist. »Ich möchte, dass sie sofort in die Klinik fahren und sich dort weiteren Untersuchungen unterziehen. Es ist ernst. Noch wenige Wochen, und sie haben einen Darmverschluss, und man kann nichts mehr für sie tun.«
Die folgenden Untersuchungen in der Klinik ergeben sogar fünf Metastasen in der Leber. Fünf! Das heißt: Meine Leber ist dahin. Oh, mein Gott, ich werde fast ohnmächtig. Der Boden unter meinen Füßen verschwindet. Warum ich? Was habe ich falsch gemacht? Meine Kinder! Ich weine jede Träne, die ich aus meinem Körper rausdrücken kann. Ich will das nicht. Ich will die ganzen Behandlungen, die die Ärzte mir dringend anraten, nicht. Ich will keine Chemotherapie. Ich will keine Bestrahlungen. Ich will keine Behandlung. Ich will so bleiben, wie ich bin. Über all diese Behandlungen habe ich im Studium gelesen, gelernt, ausgemergelte Menschen in Zeitschriften und Filmen gesehen. Ich will nicht so werden! Dann will ich lieber sterben. Ich habe keine Angst vor dem Tod. Ich habe Angst vor der Behandlung, vor den Folgen, den Nebenwirkungen der Chemotherapie. Ich will nicht regungslos im Bett liegen.
Steve Jobs, ein großes Vorbild von mir, ist 2011 an Krebs verstorben – und nun auch Patrick Swayze. Er hatte etwas Ähnliches. Ich weiß, meine Chancen sind miserabel. Verdammt. Verdammt. Ich will das einfach nicht. Nachdem alle Untersuchungen in Windeseile innerhalb einer Woche abgeschlossen sind, ist klar: Meine Krebserkrankung ist weit fortgeschritten. Ich soll eine intensive Chemotherapie erhalten, damit sich die Krebszellen nicht weiterentwickeln, und Bestrahlungen, um den Primärtumor im Darm in Schach zu halten und so einzugrenzen, dass er operiert werden kann. Wenn dieser herausgeschnitten ist, soll die Leber drankommen. Die Hoffnung ist, dass die Ärzte die Metastasen herausschneiden können. »Noch vor fünf Jahren hätten wir ihnen sagen müssen: Gehen Sie bitte nach Hause, denn wir können nichts für Sie tun. Heute können wir sagen, dass wir fünf solche Fälle behandelt haben und gute Erfahrungen gesammelt haben, jedoch können wir keine Aussage zu Ihren Chancen machen«, erklären mir die Ärzte. »Jedoch, wenn Sie sich nicht operieren lassen, können wir Ihnen versichern, dass Sie höchstens noch sechs Monate haben.«
Peng!
Mein erster Gedanke gilt den Kindern: Was soll aus ihnen werden? Mein zweiter Gedanke gilt meinem Mann: Was, wenn er mich verlässt? Was, wenn er es nicht mit ansehen kann, wie ich mich verändere? Mein dritter Gedanke gilt meinem Praxisteam: Wie soll es dort weitergehen? Die Mitarbeiter verlassen sich auf mich, dass sie ihr Gehalt bekommen. Die Patienten verlassen sich darauf, dass sie eine gute Zahnbehandlung bekommen. Was ist mit den laufenden Behandlungen? Ich bekomme eine Woche Zeit, um alles zu regeln. Dann soll es losgehen.
Auf in den Kampf
In einer schlaflosen Nacht treffe ich einen Entschluss: Ich werde kämpfen! Es sollte mein größter Kampf werden. Alles in meinem bisherigen Leben war eine Vorbereitung darauf gewesen – eine Aufwärmübung. Ich lasse mich nicht unterkriegen! Nein, niemals. Ich zeige meinen Kindern, was es heißt, stolz seinen Weg zu gehen. Für meine Kinder halte ich alles aus. Ich mache sie stark für ihr Leben. Nichts soll sie umhauen. Mit allem sollen sie fertig werden können. Und ich zeige ihnen, wie das geht. Wenn dein Warum groß genug ist, entwickelst du unfassbare Kräfte. Auf in den Kampf! Als ich ein kleines Mädchen war, vielleicht sechs Jahre alt, betete ich jeden Abend mit meinem Omchen vor dem Zubettgehen. Ich bedankte mich ganz brav für alles Gute des Tages. Heute weiß ich, dass es eine Fokussierung auf das Positive ist. Der Samen wurde schon in sehr frühen Jahren gelegt. Nun ging es darum, diesen schön zu begießen und zu pflegen.
Innere Kräfte mobilisieren
Yoga, meine Kraftquelle, meine Ruhepause. Da bist du wieder. Endlich spüre ich wieder in meinen Körper hinein. Tatsächlich, ich habe lange nicht mehr hingehört. Nun spüre ich sie wieder, die innere Kraft. Wie gut wir mit Krisensituationen umgehen und diese bewältigen können, hängt von unserer inneren Kraft, unserer Einstellung, ab. Aber: Der Weg zur inneren Kraft und Weiterentwicklung geht über Ruhe und Achtsamkeit. Die kommende Woche, bevor die Therapie beginnt, wird wie eine Schlacht, die es zu gewinnen gilt, geplant.
Kinder aufklären
Familie benachrichtigen
Zweitmeinung zur Therapie einholen
Mitarbeiter aufklären
Für die Praxis eine Vertretung finden
Alle Unterlagen sortieren
Patientenverfügung aufsetzen
Einen Laptop kaufen, damit ich in der Klinik arbeiten kann, dazu eine Remoteverbindung zur Praxis
Kleidung und Kosmetika für die Klinik kaufen
Bücher, die ich lesen will, besorgen …
Wenn ich an diese Woche denke, bleibt mir die Luft weg. Aber: Eine Entscheidung ist eine Entscheidung, und aufgeben gibt es nicht, nicht für mich. Lieber sterbe ich unterwegs als im Klinikbett. Gesagt, getan. Die Kinder aufzuklären, ist nicht einfach. Unsere Tochter weint, macht sich Sorgen. Unser Sohn weiß damit nicht viel anzufangen. Wir klären auf, sprechen über den Darm und seine Aufgaben und schauen uns eine Schweineleber genau an. Wir besprechen ganz wissenschaftlich die Tatsachen und dass eine schwierige Zeit vor uns liegt. Jedoch lassen wir keinen Zweifel daran aufkommen, dass ich es schaffe. Vor den Kindern kann ich stark sein. Wenn ich allein oder mit meinem Mann bin, nicht. Für die Kinder ist dieses klärende Gespräch wichtig, längst hatten sie gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Wir regeln die Hausaufgaben und die Lernzeiten. Ich organisiere für meine Tochter, dass sie immer zur Schülerhilfe gehen kann, wenn sie in der Schule etwas nicht versteht und mich nicht fragen kann. Wir halten uns fest und tun das, was ich bereits seit zwei Wochen tue: Wir weinen und sprechen uns gegenseitig Mut zu. Als Nächstes ist meine weitere Familie zu benachrichtigen. Meine Mutter und meine Oma, liebevoll Omchen genannt, wohnen 600 Kilometer von uns getrennt gemeinsam in einer Wohnung. So aufgelöst, wie ich bin, ein nervliches Wrack, fühle ich mich außerstande, diese Autofahrt anzutreten. Ihnen telefonisch mitzuteilen, dass ich an Krebs erkrankt und demnächst in der Klinik anzutreffen bin, kommt natürlich gar nicht infrage. Mein kleiner Bruder fährt mit mir. Mein lieber Mann und die Kinder bleiben daheim. Wir versuchen, sie so wenig wie möglich zu traumatisieren. Ich bekomme es sogar hin, dass meine kleine Schwester von ihrem Studienort auch zu unserer Mama kommt. So habe ich ziemlich viele beisammen. Natürlich weiß meine Mutter sofort, dass wir nicht einfach so zu Besuch da sind, sondern etwas zu berichten haben.
Heilende Tränen
Das, was ich zu sagen habe, zieht ihr genauso den Boden unter den Füßen weg wie mir.
Meine Mama weint.
Mein Omchen weint.
Mein Bruder weint.
Meine Schwester weint.
Ich weine.
Weinen hat etwas Reinigendes. Es wird ein Vorhang weggeschoben. Es wird Platz geschaffen für etwas Neues. Weinen beruhigt und lässt verarbeiten, leitet negative Energie aus. Wir weinen einen Tag lang, diskutieren, lamentieren, teilen unsere Ängste und Sorgen. Die Traurigkeit und Angst vereinigen uns. Erst jetzt verstehe ich, wie wichtig es ist, zu trauern und laut zu weinen, am besten in der Gruppe. Manchmal sehen wir im Fernsehen, wie Frauen aus Urvölkern in einer Gruppe um jemanden laut und ausgiebig tagelang weinen. Früher dachte ich: unmöglich, was für eine Show. Heute weiß ich, wie wichtig das ist. In unserer Gesellschaft werden viel zu viele Gefühle unterdrückt. Ein tibetischer Arzt sagte mir einmal: »Als Zahnärztin werden Sie täglich mit den Ängsten Ihrer Patienten konfrontiert. Sie müssen einen Weg finden, diese wieder auszuleiten, sonst bleiben Sie bei Ihnen und verursachen unverarbeitete Geschwüre.«
Sollte es Zufall sein, dass ich gerade Darmkrebs habe? Es gibt keinen Zufall, nur Dinge, die wir nicht verstehen. Heute weiß ich, wir haben an diesem Tag um mein altes Leben getrauert. Meine Mutter hat allein vier Kinder großgezogen. Sie ist eine kluge Frau, sie hatte nie studiert, obwohl sie das Zeug und die Abiturnoten dafür gehabt hätte. Sie hat gekämpft und jeden Cent umgedreht. Jetzt, wo wir alle so traurig beisammensitzen, steht sie auf und sagt: »Kinder, wir müssen alle etwas essen. Lasst uns ins Restaurant gehen.« Dieses Mahl werde ich nie vergessen! Meine Mutter lädt uns ein. Es ist ihr egal, wie viel es kostet. Am Ende ist ein Plan gemacht: Wir schaffen das! Alle wollen uns helfen und für uns da sein.
Meine Mama kommt zu uns nach München, wenn ich meinen langen Klinikaufenthalt habe. Sie muss Omchen mitbringen, da diese nicht allein bleiben kann. Sie muss betreut werden. Schließlich haben wir ein Haus, wenn auch ein kleines, aber wir machen Platz für die beiden. Dann ist mein lieber Mann nicht für alles allein verantwortlich. Haushalt, Kinder, Hund und Arbeit und eine kranke Frau sind schon viel. Erleichtert fahren mein Bruder und ich wieder nach München.
Step by step
Nächster Punkt: Die Mitarbeiter aufklären und eine Vertretung für die Praxis finden. Unfassbar, da sagt doch der Kollege, der mein Vertreter werden will, bei der Lohnverhandlung: »Ich weiß ja nicht, ob sie wiederkommen. Der Letzte, der zu mir sagte, es wäre nur für ein Jahr, ist nach sechs Monaten verstorben.« Wie kann das sein, dass ein Mensch so taktlos ist? Und dann auch noch ein Mediziner. Leider habe ich keine Zeit, jemand anderen in der Kürze zu finden, und da der Kollege fachlich einen guten Eindruck macht, nehme ich ihn. Ich habe ja auch eine angestellte Assistentin in der Praxis. Ich möchte sie nur nicht mit der ganzen Verantwortung allein lassen. Schließlich ist sie noch nicht lange Zahnärztin. Meine Mitarbeiterinnen sind süß: Beim Abschied schenken sie mir ein Bild voller Herzen und weinen alle. Mir wird sofort bewusst, was mir bis dahin im Herzen nicht klar war: Ich habe ein tolles Team! Meinen Patienten erzähle ich nicht die Wahrheit. Ich habe Angst, dass sie es mir nicht mehr zutrauen, sie gut zu behandeln. Zu groß sind die vorgefassten Meinungen, ein Krebskranker »mache es nicht mehr lang«. Mit dem Team einige ich mich darauf zu erzählen, dass ich eine Auszeit nehme müsse – wegen meines Rückens. Damit können wir leben.
Unfassbar, was mein Team erleben muss, wie erbost manche Patienten sind, wenn meine Mitarbeiterinnen ihnen die Termine nicht bei mir anbieten können. Wir wissen ja nicht, wie es mir gehen wird, wann ich wieder arbeiten kann. Ich weiß nicht, was manche Menschen sich vorstellen, wie Ärzte zu sein haben. Schließlich kann auch ein Arzt mal krank werden.
Ich arbeite in der Woche vor dem ersten Klinikaufenthalt wie eine Wahnsinnige. Ich will alles in Ordnung hinterlassen. Ich will alles unter Kontrolle haben, schaffe es, die Remoteverbindung zu bekommen, hole mir ein iPad, Macbook und Kopfhörer, Unmengen an Büchern und schöne bunte Kleidungsstücke, die Lebensfreude ausstrahlen. Ich lasse meinen Körper enthaaren, denn schließlich habe ich Darmkrebs. Bedeutet: Die Bestrahlungstherapie, die ich erhalten werde, ist am Hintern.
Ab in die Mühle
Ich erhalte Markierungen an meinen Unterkörper, die Informationen darüber geben, wie ich bei der Bestrahlung zu lagern bin. Die Markierungen werden mit wasserfesten Stiften und Klebestreifen gemacht. »Für die kommenden zwölf Wochen dürfen Sie sich am Unterleib nur mit klarem Wasser waschen«, erklärt mir die Schwester. Waas? Ich darf mich nicht duschen? Was ist das wieder für eine Scheiße? Kann man das nicht anders machen?
»Die Seifen und Duschgels sind zu stark. Sie würden wund werden. Wenn Sie erst einmal wund sind, werden die Wunden schlecht abheilen. Besser ist, sie werden nicht wund.« Okay, jetzt hatte ich erst recht Angst. Und wirklich: Die Bestrahlungstherapie sollte die schlimmste der Behandlungen werden. Eigentlich merkt man am Anfang nichts. Gut, man fühlt sich wie ein Stück Vieh, wenn man so halb nackt auf einer Bare liegt und zwanzig Minuten bestrahlt wird. Ich versuche, immer zu meditieren oder an schöne Augenblicke meines Lebens zu denken. Nach einigen Wochen ist jede Bestrahlung eine Qual. Du weißt, dass dein Bauchraum und Unterleib danach rebelliert. Was aber noch schlimmer ist: Deine Psyche spielt verrückt. Du bist ganz allein in dieser Röhre. Die Menschen, die dort arbeiten, ganz besonders die Mediziner, zeigen keine Regung, kein Lächeln. Es ist, als ob sie dich schon längst aufgegeben hätten.
»Wollen Sie, dass wir Eizellen einfrieren? Nach der Therapie dürfen Sie nämlich nicht mehr schwanger werden. Am besten ist vermutlich, wir entfernen die Eierstöcke gleich mit«, ist die nächste Hiobsbotschaft der Mediziner. Ich kann das überhaupt nicht leiden, immer wieder, gerade wenn ich eine Nachricht verdaut habe, gleich mit der nächsten Hiobsbotschaft beschäftigt zu werden. Klar kann ich keine Kinder mehr bekommen. Es geht ja auch darum, dass ich überhaupt überlebe! Ja, ja, ich wollte eigentlich schon noch mehr Kinder, am liebsten noch zwei weitere. Mein Traum ist eine Großfamilie. Ich träume davon, mit vielen Kindern, Enkelkindern und Freunden im Garten zu sitzen. Als ich Mitte zwanzig war, konnte ich mir Kinder ganz und gar nicht vorstellen. Ich wollte das Glück mit meinem Mann nicht mit Kindern teilen. Wie klein ich damals gedacht hatte.
Was uns oft von unserem größten Glück abhält, ist die Tatsache, dass wir zu klein denken.
Nun sollte ich auch noch entscheiden, ob die Eierstöcke ebenso raus sollen. »Einige Wochen haben Sie noch Zeit für die Entscheidung, da zunächst die Chemotherapie und die Bestrahlungen starten, erst zu einem späteren Zeitpunkt kommen die OPs«, beruhigen mich die Ärzte. »Durch die Bestrahlung am Unterleib werden Sie ohnehin in kürzester Zeit in die Wechseljahre kommen.«
Peng!
Wechseljahre. War in dieser Phase nicht gerade meine Mutter? Jammerte sie nicht gerade davon, wie ihr Hitzewallungen zu schaffen machten? Auch bei einigen meiner Patientinnen habe ich solche Probleme mitbekommen: Körper und Psyche stellen sich um. Das dauert unterschiedlich lang. Also mit Wechseljahresbeschwerden wollte ich mich jetzt gar nicht beschäftigen. Wohin komme ich da, wenn ich mir um alles einen Kopf mache.
Ich nehme doch nicht alles einfach hin, was mir vorgelegt wird: »Nein, ich mache mir die Welt, wie ich sie haben will.«
Dann die Sache mit der Zweitmeinung und der richtigen Klinikauswahl: »Also, wenn ich schon so einen Mist durchleben muss, dann bitte schön in einer schicken Klinik. So eine wie die Schwarzwaldklinik kann ich mir gut vorstellen«, sind meine Worte an meinen Liebsten. Hm. Ich will die besten Ärzte auf diesem Gebiet, schließlich bin ich selbst Ärztin und weiß, wie wichtig die Wahl des Mediziners ist. In kürzester Zeit mobilisiere ich alle meine Kontakte, nur um festzustellen, dass die Ärztekombination, wie sie mir die Klinik, in der ich war, bietet, außergewöhnlich und richtig gut ist. Denn: Ich brauche einen Darmspezialisten und einen Leberspezialisten. Genau darauf hat sich die Neuerlicher Klinik spezialisiert. Das Gebäude und die Zimmer selbst sind wenig erfreulich, und ich hadere und kämpfe mit mir selbst. Natürlich entscheide ich mich für die Ärzte und nehme das Gebäude in Kauf. Es stellt sich im Laufe der Zeit ohnehin als großer Vorteil heraus, dass die Klinik in der Nähe meines Wohnorts ist. Mein Mann und meine Freunde können mich auf diese Weise öfter besuchen.
To-do-Liste
Das ist meine Vorbereitung auf den Beginn meiner Krebstherapie, die aus Chemo-, Bestrahlungstherapie und Operationen an Darm und Leber bestehen und ein Jahr andauern sollen.
Mein Entschluss, nicht aufzugeben, steht. Es zu schaffen, für meine Kinder, ihnen ein gutes Vorbild zu sein. Ich werde da sein, wenn meine Kinder die Schule absolviert haben und ihr Abiturzeugnis erhalten. Ich begleite sie in ihrem Leben und mache sie stark.
Ich lebe mein Leben. Nun gehört also eine Krebserkrankung auch dazu. Ich übernehme die Macht, die Verantwortung über meine Gedanken und rede mir ein, dass ich diese Erkrankung in unserer Familie bekommen habe, weil ich die Stärkste bin. Gott weiß, dass ich es schaffen werde. Er wird mir helfen. Ich denke an all die besonderen Menschen aus der Öffentlichkeit, die eine Krebserkrankung haben oder hatten, ganz gleich ob sie noch leben oder verstorben sind. Ich fühle mich solidarisch mit diesen Menschen. Ich weiß, dass mein Leben durch diese Erfahrungen voller werden wird.
Ich besorge mir Anker: Mein gelbes Tuch gibt mir Sonne. Ich kaufe mir extra Kleidung für die Klinik, um »schön« zu sein. Ich kaufe mir eine extra Bodylotion und einen milden Duft.
Ich überlasse nichts dem Zufall, stelle mir jede Situation im Geiste vor und überlege, wie ich mit dieser umgehen will.
Ich lasse eine professionelle Zahnreinigung durchführen und meine Zähne checken, schließlich schadet die Chemotherapie dem Zahnfleisch und den Zähnen.
Ich gehe zum Frisör und zur Kosmetikerin.
Natürlich suche ich mir eine schicke Perücke aus. Eigentlich will ich das nicht, aber meine Gynäkologin gibt mir diesen Tipp. »Sie werden sich stärker und sicherer fühlen, und die Menschen werden Sie nicht so anstarren, als wenn Sie ihren kahlen Kopf zeigen«.
Ich tue also alles, um Haltung zu bewahren. Das gibt mir Stärke und Kraft. Es geht mir nicht um eine Show. Es geht um nichts Minderes als meine Psyche.
Ich sage allen Menschen, die mir wichtig sind, wie wichtig sie mir sind, und meinen Lieben, dass ich sie über alles liebe. Ich mache mein Testament und eine Patientenverfügung. Es soll alles geregelt sein, nur für alle Fälle.
Ich nehme die Erkrankung als Herausforderung, mit der ich umgehen kann, nicht als Schicksal, das über mich hereinbricht und ich machtlos bin.
Weiterhin mache ich täglich Yoga und gehe mehrmals in der Woche joggen.
Ich lasse mir von meinem Mann einige Filme besorgen, damit ich mich damit im Krankenhaus ablenken kann.
Es geht los: die Chemotherapie
Zunächst einmal bekomme ich einen direkten Weg zur Arterie, einen sogenannten Port. Das ist von nun an mein Erkennungszeichen – das für einen Krebskranken. Diesen Port sollte ich vier Jahre behalten. Am Anfang dachte ich, nur wenige Monate. Da ich schlank bin, schaut dieser Fremdkörper wie eine Geschwulst/eine Beule unter meinem Schlüsselbein hervor. Da ich nicht als krebskrank abgestempelt werden will, trage ich natürlich mein gelbes Tuch drüber. Schwupp, ich bin wieder gesund. Bei der Chemotherapie ist es nicht so, wie ich es aus Filmen kenne. Dort wird dargestellt, wie die Menschen, direkt nachdem sie die Infusion erhalten haben, spucken und sich vor Schmerzen winden. Man bekommt schon vorher und zwischendrin Mittel gegen Übelkeit, Durchfall und Schmerzen. Zunächst merke ich das Gift nicht. Das ist ganz angenehm, weil ich mir weiterhin schön einreden kann, ich bin gesund. Da mein Körper jung und bis auf den Krebs »gesund« ist, der Krebs schnell gewachsen ist und früh Metastasen gebildet hat, bekomme ich eine hochdosierte Chemomischung und werde stündlich überwacht. Nach einigen Tagen kommen die Bestrahlungen dazu. Das heißt, ich hänge Tag und Nacht an der Infusion, und am Abend bringt mich ein Taxi in eine andere Klinik zur Bestrahlung. Diese spezielle Art der Bestrahlung gibt es in meiner Klinik nicht. Ich werde also für 1,5 Stunden vom Tropf genommen. Das ist ganz gut, weil ich mich dann auch vernünftig umziehen kann, mit dem Tropf als Anhängsel geht das nämlich nicht so gut. Ich bin ganz stolz, alles gut zu meistern. Ich ziehe mich gut an, pflege meinen Körper, dufte gut, muss mich nicht übergeben, habe kaum Durchfall, versuche, mich abzulenken. Nach vier Tagen bin ich ein Wrack. Ich glaube, bei mir greift die Chemotherapie die Psyche an. Ich werde depressiv. Ich vermisse meine Kleinen. Ich möchte mit meinen Kindern schmusen, ihnen bei den Hausaufgaben helfen, ihnen eine Geschichte vorlesen, will die Hand meines Mannes halten. Ich bin knallrot im Gesicht, mein Körper juckt, ich bin total hibbelig und nervös. Mir ist abwechselnd heiß und kalt. Ich muss ständig etwas tun: Ich decke mich zu, decke mich auf und: Ich muss ständig meine Arme und Beine schütteln. Das geht so weit, dass mein Mann es nicht länger als eine halbe Stunde aushält, bei mir zu sein. Er kommt auch nicht jeden Tag. Natürlich sage ich: »Du brauchst nicht zu kommen. Du hast genug zu tun, musst dich um die Arbeit und die Kinder kümmern. Mir geht es ganz gut.« In Wirklichkeit ist jede Stunde eine größere Qual. Ich kann gar nicht lesen, keinen Film anschauen. Ich mache alles nur wenige Minuten, maximal eine halbe Stunde lang. Wie soll das weitergehen?
Nach jeder Bestrahlung stirbt mein Ich etwas mehr. Nach außen gehe ich erhobenen Hauptes zum Bestrahlen und komme genauso wieder in mein Klinikzimmer zurück, aber in mir drin entsteht ein immer größeres Vakuum. Im Flur sehe ich ältere Menschen, die gesäubert werden. Die Tür bleibt dabei geöffnet. So will ich nicht enden. Ich habe Angst. Ich bin so allein. In der Nacht kann ich nicht schlafen und höre Geräusche, die ich nicht hören will. Tagsüber kann ich auch nicht schlafen. Ich schwitze und friere, habe Schüttelfrost. Scheiße, was mache ich hier! Ich vermisse mein Yoga.
Nach zwei Wochen ist die erste Phase überstanden. Ich habe zwei Wochen Pause zur Regeneration, dann geht es weiter. Daheim angekommen muss ich sofort mit den Kindern etwas unternehmen. Ich mobilisiere alle Kräfte und gehe mit den Kindern zum Eisessen. Oh, nein. Ich spucke meinen ersten Bissen Eis sofort aus. Ich kann gar kein Eis essen. Jetzt erst merke ich, dass ich Kälte nicht ertrage, dass ich keinen Geschmack habe und natürlich keinen Appetit. Mein Liebster kocht leidenschaftlich gern, hat sich längst ein Kochbuch für Krebskranke besorgt und bekocht mich mit Leckereien, die mir meist nicht schmecken. Ich esse aber, denn ich weiß ja, dass ich kräftig bleiben muss.
Mit Erfolg rede ich mir ein, dass es mir richtig gut geht. Da haben wir sie wieder: die Macht der Gedanken. Beim Yoga stelle ich mir während der Asanas vor, wie ich stark und unverwundbar bin. So ziehe ich es auch durch, gleich nach zwei Tagen Ruhepause in die Praxis zu fahren. Ich gehe also morgens zur Bestrahlung, denn die läuft durchgängig, sogar am Wochenende, und gleich danach fahre ich in die Praxis. Das lenkt mich ab. Ich helfe meinen Patienten. Manchmal muss ich die Luft anhalten, weil ich Schmerzen im Unterbauch bekommen, oder ich werde schwach und muss eine kurze Pause einlegen. In der Regel ist es jedoch so, dass ich den Tag hindurch meine eigenen Beschwerden unterdrücken kann. Erst am Abend, wenn ich auf dem Heimweg bin, kann ich mich kaum mehr auf den Beinen halten. Immer wieder nehme ich mir ein/zwei Minuten Zeit für eine Mini-Meditation: Ich schließe die Augen, atme tief ein und aus und stelle mir vor, wie die gesunden Körperzellen vibrieren und sich vermehren. Natürlich könnte ich sagen: »Das schaffe ich nicht«. Aber erstens muss ich Geld verdienen. Ich habe die Verantwortung für meine Mitarbeiter und meine Familie. Und zweitens gibt mir meine Arbeit so viel mehr Kraft und Energie, wie ich sie sonst nirgendwo bekommen könnte. Suche dir einen Beruf, der deine Berufung ist, und du musst keinen Tag arbeiten. So empfinde ich. Wenn ich mir vorstelle, daheim zu sitzen und in meinen Körper zu horchen, zu horchen, was alles wehtut oder nicht gut funktioniert, würde mich das wahnsinnig machen. Ich wähle den Weg, der für mich am energetischsten ist, auch wenn er zwischendurch anstrengend ist. Ich lebe mein Leben, wie ich will, ohne und mit dem Krebs.
Als ich mit meiner Tochter schwanger war, sagten viele: »Du kannst so schwanger nicht behandeln. Das ist viel zu anstrengend und gefährlich.« Hm. Wenn ein Zahnarzt Übergewicht hat und einen dicken Bauch, sagt ihm auch keiner: »Mit diesem Bauch kannst du nicht behandeln.« Meine Kondition auch als Schwangere ist jedoch bedeutend besser gewesen.
»Ich mache es, so lange es geht«, war stets meine Antwort. Es ging lange, bis zum Vorabend der Geburt, bei meinem Sohn genauso.
Ich bekomme insgesamt sechs Zyklen Chemotherapie, immer eine Woche intensiv mit Klinikaufenthalt, dann zwei Wochen daheim. Die Bestrahlungen laufen täglich. Mit jedem Klinikaufenthalt bin ich gefasster, besser vorbereitet auf das, was kommt. Ich kapsele mich ab, fange an zu meditieren. Was ich nicht sehen will, sehe ich nicht. Meist gelingt mir das gut, manchmal schlechter. Wenn ich schon kein Yoga in der Klinik machen kann, dann wenigstens Meditationen. Nicht immer kann ich ein Einzelzimmer erhalten. Ich lerne zu meditieren, auch wenn andere im Raum sind und sich unterhalten. Manche Male gehe ich in die Kapelle. Dort ist Ruhe. Endlich verstehe ich meine Oma, die streng katholisch erzogen ist, täglich den Rosenkranz betet und möglichst oft in die Kirche geht. Es ist ihre Form der Meditation.
Meditation ist etwas Himmlisches, Reinigendes. Meditation weckt deine ureigenen Kräfte. Meditation ist die Liebe zu dir selbst. Und Meditation ist deine Heilung. Du musst Meditation nicht lernen. Du musst dich nur darauf einlassen, in dich hineinzuhorchen, auf deinen Atem hören und atmen.
Ich finde, in jedes Krankenhaus gehört ein Yoga- und Meditationsraum. Eine Kapelle ist auch ein wunderbarer Meditationsraum, es muss ja nicht ein Buddha drinstehen. Meditieren kannst du übrigens immer und überall. Du musst nicht im Schneidersitz auf dem Boden sitzen und die Augen schließen. Für meine Nachbarin zum Beispiel ist ihre Gartenarbeit Meditation. Sie ist dabei eins mit ihren Blumen und der Natur.
Die Kontrolle abgeben
Die Operationen kommen auf mich zu. »Wollen Sie das Stoma rechts oder links?«, fragt die Schwester.
Hä? Was ist los?
Ich bin hier zur Vorbereitung, weil morgen endliche meine Darm-OP ist. Die Chemotherapie ist vorbei, und jetzt werde ich operiert. Das bedeutet, dass es bald durch ist. Mir geht es richtig gut. Ich habe alles im Griff, das ist wichtig für mich. Meine Mutter hat sich viel zu sehr auf andere verlassen, anstatt an sich selbst zu glauben, hat ihr Leben zu wenig selbst in die Hand genommen und geleitet. Daraus habe ich viel gelernt. Töchter sagen oft: »Das werde ich anders machen.« So habe auch ich das gesagt. Teilweise habe ich es übertrieben und eine Art Kontrollzwang entwickelt.
Wollte mir die Krebswucherung vermitteln, dass ich nicht alles kontrollieren kann?
Die Wucherung der Krebszellen kann ich nicht kontrollieren – oder doch? Beim Yoga habe ich mir immer vorgestellt, wie meine guten Körperzellen gegen die Krebszellen kämpfen und diese besiegen – also doch Kontrolle?
Die Ärzte sind mit meiner Therapie bislang sehr zufrieden. Ich bin eine vorbildliche Patientin, eine, die zwar sofort auf eigene Gefahr aus der Klinik läuft, sobald der letzte Infusionstropfen geflossen ist, aber auch eine, die alles blendend, ohne zu jammern erträgt und mit Leichtigkeit nimmt. Also zurück zur Frage: Ich soll einen künstlichen Darmausgang erhalten! Nein. Das ist das Schlimmste, was ich mir derzeit vorstellen kann. Ich will das nicht! Atmen. Wegdenken. Einen Tag später wache ich auf. Das verweinte Gesicht meiner Mutter ist über mir. Mein lieber Mann hält meine zweite Hand.
»Sie wacht auf«, sagt eine Stimme von weit weg. Scheiße, ich kann mich nicht bewegen. Ich mache die Augen wieder zu. Als ich das nächste Mal meine Augen wieder öffne, weint meine Mutter immer noch, meine Oma ist auch da – und mein Liebster. Alle schauen besorgt drein. Sören lächelt. Jetzt habe ich keine Schmerzen. Ich bin gedopt. An meinem Körper hängen etliche Schläuche. Es scheint gar nicht mehr mein Körper zu sein. Ich schließe wieder meine Augen. Ich will nicht hier sein. Irgendwer nestelt an mir herum, misst Temperatur, wechselt Schläuche. Ich beobachte das von weit weg, identifiziere mich nicht mit dieser Person, die da reglos liegt. Irgendwann mache ich die Augen wieder auf. Es ist anders. Ich schaue an mir herunter. Sie haben es tatsächlich getan: Sie haben mir einen künstlichen Darmausgang gemacht, ein Stoma. Schöne Scheiße!
Einige Tage später erklärt mir eine Schwester, wie ich diesen Beutel, der nun an meinem Bauch hängt, auswechsele und meinen Darmausgang säubere. Mit zittrigen Fingern gehe ich ans Werk. Ich will heim. Natürlich lassen mich die Ärzte erst nach Hause, wenn ich das Wechseln des Stomabeutels beherrsche und mich auf meinen Beinen halten kann. Ich trainiere. Mein Ziel ist vor Augen: Ich will heim zu meinen Kindern! Nach insgesamt zehn Tagen Klinikaufenthalt bin ich »auf eigene Verantwortung« draußen! Auf meinem Bauch ist nun eine Narbe vom Bauchnabel bis zum Schambein, und es hängt eine Stomatüte dran. Ich kann keine meiner Unterhosen und auch keine normale Hose mehr anziehen. Meine Unterhosen sind zu knapp, und die normalen Hosen drücken genau dort, wo nun noch die Klemmen sind. Ich muss zum Einkaufen. Meine Mutter erkennt schnell, dass sie mich davon nicht abhalten kann, und geht mit, damit ich unter Aufsicht bin. Erhobenen Hauptes unter Schmerzen mische ich mich unter die Menschen. Wie schön das ist! Nach einer Stunde bin ich total fertig, fix und alle. Wir fahren heim.
»Das kannst du auf keinen Fall machen! Du bist verrückt!«, beschimpft mich meine Mutter, als ich mich zwei Tage später auf den Weg in die Praxis mache. Für mich macht es keinen Unterschied, ob ich daheim sitze oder in der Praxis bin. Falsch, es macht einen gewaltigen Unterschied! In der Praxis bin ich diejenige, die gibt. Ich bin diejenige, die hilft. Nicht umgekehrt. Wenn du gibst, erhältst du viel mehr zurück, als du dir vorstellen kannst. Aber zuerst musst du geben! Innerhalb kürzester Zeit erhole ich mich. Ich besorge mir Unterhosen, die meine 90-jährige Oma nicht tragen würde, die jedoch meinen Beutel schön festhalten.
»Sie brauchen doch keine Shape-Unterwäsche«, sagte die Verkäuferin in der Dessousabteilung schnippisch zu mir. Wenn die wüsste.
Dem Bauchgefühl vertrauen
Frage dich: Was ist das Gute daran? Blöde Frage? Nein, gar nicht. Du musst dich nur daran gewöhnen, sie zu stellen. Du findest sicher mindestens eine Antwort, wenn auch nicht sofort.
Also bei mir ist das nun so: Ich brauche keine Toilette mehr. Mein normaler Darmausgang, der durch die Chemotherapie stark gelitten hat, kann sich nun erholen. Ich musste an manchen Tagen am Ende der Bestrahlungstherapie bis zu 40-mal auf die Toilette! Das hat natürlich Spuren hinterlassen. Gut, ich muss jetzt ganz genau aufpassen, was ich esse und wann ich es tue. Der Beutel kann sich manchmal schnell füllen. Vor allem: Nun sehe ich direkt die Auswirkungen der Psyche auf den Darm. Ich fühle es nicht nur, sondern sehe es: Die Tüte füllt sich innerhalb von Minuten. Wenn ich diese entferne, sehe ich die Darmbewegung. Mit meiner Freundin beobachte ich diese Bewegung sogar einmal einige Zeit. Es ist ein Augenoffner für sie! Die direkte Auswirkung der Psyche auf den Darm ist phänomenal! Manchmal reagiert mein Darm, und ich weiß vom Kopf her noch gar nicht, was los ist. Erst wenn ich innehalte, wird mir bewusst, dass gerade etwas gegen mein Bauchgefühl passiert. Unser Bauchgefühl ist die eigentliche Intelligenz. Wir alle sollten viel mehr darauf hören.
Ein guter Freund sagte einmal: »Ich muss nicht verstehen, wie etwas funktioniert, es reicht mir, wenn ich weiß, dass es funktioniert.« So ist es mit dem Bauchgefühl auch – und zwar seit Jahrmillionen.
Wenn du eine Antwort oder eine Lösung auf ein Problem suchst, dann stelle deiner Bauchintelligenz eine konkrete Frage, und dann horche hinein, hab Geduld. Die Antwort wird kommen.
Wenn du gegen dein Bauchgefühl handelst, dann geht das eine Zeit lang gut, aber sicher kein ganzes Leben.
Das Leben ist zu kurz, um es im Kampf gegen sein Innerstes zu vergeuden.
Das ist also die Lektion, die ich gelernt habe. War das jetzt alles? Es war eine Prüfung als Vorbereitung auf die nächste, die größere Lektion: meine Leberoperation. Vor einigen wenigen Jahren haben die Mediziner nicht geglaubt, dass sie die Leber operieren können, dass sie Stücke entnehmen können. Ich sollte ein Paradebeispiel dafür werden. Mit meiner Operation und der folgenden Ausheilung sollte die Chirurgin, der ich mein Leben verdanke, bekannt werden. Es lief nicht alles nach Plan. Das wäre auch zu einfach gewesen.
Die Leber-OP
»Die Darm-OP wird Sie psychisch schwächen, aber die Leber-OP macht Ihren Körper richtig fertig«, waren ihre Worte. Sie sollte recht behalten. Bis zu dieser Operation habe ich täglich in und an der Praxis gearbeitet, war entweder persönlich anwesend oder via Remoteverbindung. Die Leber-OP fängt gleich mit einer Komplikation an, es reihen sich weitere Probleme an. Ich werde innerhalb von drei Wochen dreimal operiert. Insgesamt innerhalb eines halben Jahres achtmal! Mein Körper ist fertig. Mein Bauch ist nur noch eine Wunde mit einer Tüte dran. Ich nehme zwölf Kilo ab – in drei Wochen! Jeden Morgen, wenn die Ärzte meinen Raum betreten, muss ich spucken, da ich die zuvor erhaltenen Antibiotika nicht vertrage. Ich warte auf bessere Zeiten! Da ich nicht aufstehen kann, meditiere ich im Liegen. Ich konzentriere mich nur auf meine Atmung: langsam ein- und dann wieder ausatmen. Die Bauchdecke hebt und senkt sich, das ist wichtig. Darauf achte ich. Meist bin ich davon so erschöpft, dass ich einschlafe.
»Sie haben sehr viel zu tun, denn Sie müssen genesen«, sagt eine liebe Schwester zu mir. Ja, Genesung ist Arbeit, das wird mir jetzt bewusst. Was für eine kluge Frau. Ich stelle mir wieder vor, wie meine Körperzellen flink arbeiten, um alles zu reparieren. Ich will ihnen helfen, so weit ich kann. Ich weiß, die Mitochondrien – die Kraftwerke der Zellen – brauchen Sauerstoff und Wasser. Ich atme tief ein und aus, und ich trinke und trinke. Ich will hier raus. Ich glaube fest daran, dass nach jedem Tiefpunkt eine neue Aufwärtsbewegung kommt. Ich atme ein und atme aus. Ich weiß, dass die Quelle meiner Kraft tief in mir liegt. Ich atme ein und atme aus. Nun geht es nur noch um Genesung, um Regeneration. Das schaffe ich! Den Krebs bin ich los!
»Wir wollen in drei Wochen weitere sechs Zyklen Chemotherapie durchführen«, erklärt mir mein Onkologe.
Waas? »Der Krebs ist doch weg, der ist doch rausgeschnitten. Ich spüre, dass nichts mehr da ist!«, schreie ich ihn fast an.
»Nein, es sind nicht alle Krebszellen weg. Im Blutkreislauf und vermutlich in verschiedenen Organen befinden sich noch viele Krebszellen. Diese könnten weiterwachsen. Sie sind noch jung, und wir müssen alles tun, um Sie gesund zu bekommen.«
Peng!
Ich brauche zwei Tage, um das zu verdauen. »Was ich einmal geschafft habe, das schaffe ich ein weiteres Mal«, beteuere ich meinem Mann mit wackeliger Stimme, auf dem Rollator abgestützt. Ja, ich trainiere wieder. Täglich gehe ich mehrmals mit einem Rollator den Gang auf und ab. Ich will nach Hause.
Drei Wochen später sitze ich auf der Terrasse in unserer Oase in Kärnten.
Erste Yogaübungen
»Muss das jetzt sein?«, waren die letzen Worte meines Onkologen, nachdem ich ihm verkündet hatte, die Chemotherapie müsse noch eine weitere Woche warten. Ich will mich erholen, zumindest kurz.
»Ja, es muss sein«, war meine Antwort. Wieder einmal hörte ich auf meinen Körper und mein Bauchgefühl. Ich muss meinem Körper eine Verschnaufpause geben und meine Seele stärken.
Das geht am besten in unserer Oase in Kärnten – mit meinen Lieben. Es sind schließlich Sommerferien, und die Kinder hatten noch nichts von mir. Unsere Große haben wir nach Amerika geschickt. Wir wollten ihr eine schöne Ferienzeit ermöglichen, auch wenn ihre Mama in der Klinik liegt. Sie sollte nicht übermäßig darunter leiden. Unser Sohnemann hat bereits einige Wochen mit Oma und Opa verbracht. Ganz vorsichtig mache ich einige Yogaübungen. Es geht so wenig. Mein Sohn schaut mir zu. Er weicht nicht von meiner Seite, will mich beschützen und achtet auf mich. Schmerzverzerrt mache ich die Kobra. Nun ja, es ist eine wirklich schlechte Kobra, eine verletzte eben. Mein Körper ist steif, meine Gedärme wehren sich. Mir wird schwindelig. Aber ich will. Okay, für heute ist es genug, morgen mache ich weiter.
Auf und ab
Wieder daheim: Es riecht unangenehm in meinem Auto. Hm, ich habe mich übergeben, und zusätzlich ist meine Tüte aufgegangen. Zum Glück konnte ich gerade noch die Decke der Kinder vom Rücksitz nach vorn ziehen. Ich wollte ja nicht das ganze Auto vollspucken. Durch diese Unaufmerksamkeit ist das Auto leicht ins Schlenkern gekommen. Aber gut. Jetzt sollte ich nur noch schnell nach Hause kommen, bevor die ganze Tüte ausläuft und die Scheiße im Auto ist. Geschafft! Ich liege mit frischer Stomatüte und Schüttelfrost auf dem Sofa. Mein Töchterlein hat drei Decken auf mich gestapelt. Mein Sohn schaut sich eine Fernsehserie an. So ist es gut: Meine Lieben sind bei mir.
Auf diese Weise schaffen wir drei Chemozyklen. Es wird von Mal zu Mal schlechter. Die Nebenwirkungen sind enorm. Mein Körper kann sich nicht mehr wehren. Ich kämpfe. Meine Familie unterstützt mich, wo sie kann, ist machtlos. Jedes Mal schaffe ich es gerade so aus der Klinik nach Hause, denn diese Chemotherapie läuft ambulant. Das bedeutet: Ich bekomme an drei Tagen in der Tagesklinik ganztägig eine Infusion, kann dann aber nach Hause fahren. Am nächsten Tag muss ich wieder da sein. Zwischendrin läuft eine Lösung in meine Arterien, die von einer kleinen Pumpe reingepumpt wird. Das Gerät trage ich in einer Gürteltasche ständig bei mir. Als selbstständige Frau erledige ich das alles allein: Ich fahre morgens in die Klinik und komme abends nach Hause. Längst hat sich die Praxis darauf eingestellt, dass ich alle vierzehn Tage am Donnerstag, Freitag und Samstag in der Klinik bin. Am Montag stehe ich wieder auf der Matte, bereit, meine Patienten zu behandeln. Am ersten Tag des vierten Zyklus breche ich nicht erst daheim zusammen, sondern gleich in der Klinik. Es reichen die ersten Tropfen des Giftes. Ich werde ans Bett »gefesselt«, habe hohes Fieber.
»Es geht nicht mehr«, sind die Worte der Mediziner.
Ich falle in eine Depression – jedoch nur für drei Tage. »Es muss gehen! Sie müssen die Therapie umstellen«, raune ich den Professor an. »Ich will so nicht mehr weitermachen! So gehe ich kaputt! Ich muss nicht 70 Jahre alt werden. Ich will nur noch etwas bei meinen Kindern sein!«, sind meine nächsten Worte. Denn die Frage ist nicht, wie viele Atemzüge wir haben, sondern wie wach und intensiv jeder Atemzug war. »Ich arbeite gerade daran, dass Sie Ihren 50. Geburtstag erleben«, entgegnet er mir.
Das sitzt. Ich gebe mich geschlagen. Die letzten Zyklen der Chemotherapie absolviere ich in der Klinik unter strenger Aufsicht. Jedes Mal zähle ich die Stunden, und verlasse »auf eigene Verantwortung« die Klinik, sobald der letzte Tropfen durchgelaufen ist.
Du lebst auf eigene Verantwortung. Alles, was du machst und tust, unterliegt deiner Verantwortung. Du bist auch für deine Gedanken verantwortlich. Dies musste ich erst begreifen und lernen, wie ich meine Gedanken so lenke, dass sie mir lebensdienlich sind. Alles, was ich heute bin, ist das Ergebnis meiner Gedanken. Mache dir bewusst: Alles muss von dir erst einmal gedacht werden, bevor es real werden kann. Umgekehrt bedeutet es doch: Du hast eine hohe Verantwortung für deine Gedanken.
Mich hat ein Beispiel von Bodo Schäfer einmal aufgerüttelt: »Viele Menschen sparen Geld für ›schlechte Zeiten‹. Ja erwarten diese denn ›schlechte Zeiten‹? Sie werden schlechte Zeiten erleben, denn das ist das, was sie erwarten.«
Am 22. Dezember 2012 – dem Geburtstag meines Sohnes – verlasse ich die Klinik völlig ausgemergelt und kraftlos, aber glücklich und voller Zuversicht. Ich kann Weihnachten im Kreise meiner Familie verbringen! Ostern 2013 ist die Chemotherapie abgeschlossen.
»Wir würden Sie gern zur Reha schicken«, meinen die Mediziner.
»Nichts da, ich verlasse meine Familie nicht«, entgegne ich. Wir fahren an die Nordsee und halten uns fest – glücklich und zuversichtlich. Ich höre wieder auf mein Bauchgefühl. Und das ist gut so.
Sei dir deiner Kraftquellen bewusst!
Meine größten sind: die Familie, mein Beruf, der meine Berufung ist, Yoga und Meditation.
Willkommen im Alltag
Am Ende einer Therapie verlassen die Mediziner das Spielfeld. Sie haben alles getan. Und nun? Nun ist der Mensch auf sich selbst gestellt. In Wirklichkeit ist er das von Anfang an. Nur: So lange, wie Termine, Untersuchungen, Therapien durchgeführt werden, ist es leicht, sich vorzuspielen, andere wären für die eigene Gesundheit und das Gelingen der Therapie verantwortlich oder es wäre gar ihr Job. In Wirklichkeit warst und bist immer du allein für deine Gesundheit und das Gelingen einer Therapie verantwortlich. Deine Gesundheit machst du selbst – deine Krankheit auch. Ich habe beobachtet, wie viele Menschen nach einer Erkrankung in ein tiefes Loch gefallen sind. Sie hatten sich verändert, konnten oder wollten nicht mehr in die alte Welt zurück. Zum größten Teil ist mir das erspart geblieben, denn ich hatte die Welt um mich herum immer involviert. Ständig habe ich hinterfragt, kleine Änderungen an Stellschrauben gemacht, Zeiten, Gewohnheiten geändert.
Du brauchst mehr Ruhe in deinem Alltag? Mehr Ausgeglichenheit? Willst den Stress am Morgen nicht mehr? Dann stehe früher auf, meditiere und mache Yoga!
Natürlich ist es am Anfang eine Umstellung, dreißig Minuten früher aufzustehen. Du wirst nach einiger Zeit aber merken, wie viel mehr Energie du dadurch erhältst. Irgendwann ist es eine neue Gewohnheit, ein Ritual, und du liebst es. So paradox das klingt, aber für viele Menschen ist es bequem und schön, krank zu sein: Du kannst dich zurücklehnen, andere umsorgen dich. Du musst dich nicht anstrengen. Du kannst dich beschweren, kannst jammern. Du hast immer eine Ausrede, warum etwas nicht geht: deine Erkrankung. Für mich sind Krebs, Depression und Burn-out, aber auch chronische Rückenschmerzen Ausdruck einer Dysbalance im Leben. Das sind Erkrankungen, die wir selbst machen. Wir sind verantwortlich dafür. Natürlich weiß ich, dass es genetisch bedingte Krebserkrankungen gibt und auch die Depression viele Facetten hat. Ich möchte mich jedoch nicht durch diese Fälle, die in der Minderheit sind, ablenken lassen, möchte nicht gleich wieder eine Ausrede parat haben. Eine Ausrede führt gleich wieder dazu, dass du dich mit dir und deinem Körper nicht mehr oder nicht ausreichend beschäftigen musst. Also vergiss es! Du bist verantwortlich.
Natürlich passieren in deinem Leben Dinge, die du nicht beeinflussen kannst. Aber: Du kannst immer wählen, wie du darauf reagierst, was du daraus machst.
Meine Lieblingsasanas
DIE UMKEHRHALTUNG
Diese Übung hilft mir, mich zu sammeln und zu zentrieren. Der Kopf liegt deutlich niedriger als der Nabel und wird durch den Blutfluss ganz ruhig. Während dieser Zeit haben Gedanken keinen Platz im Kopf. Deshalb ist der Kopf nach dieser Übung ganz klar und frei.
DURCHFÜHRUNG
Lege dich ganz bequem auf den Rücken. Am besten auf eine dicke Decke oder Matte.
Ziehe als Erstes die Beine zum Oberkörper.
Dann strecke die Beine in Richtung Kopf aus, und hebe das Gesäß vom Boden ab. Die Beine sind nun am besten kerzengerade über dem Kopf. Dabei darfst du dich am Becken gern mit den Händen abstützen.
Nun bewege die Beine in Richtung Kopf, bis die Füße über dem Kopf sind. Zum Ausruhen kannst du die Füße auch hinter dem Kopf abstützen. Wenn du gar nicht so weit kommst, ist es auch nicht schlimm. Mache die Übung einfach so weit, wie du kannst, so weit, wie es sich gut für dich anfühlt.
Achte bitte darauf, dass der Nacken stressfrei und locker ist. Dazu kannst du den Kopf etwas hin und her bewegen.
Verweile in dieser Haltung für einige Atemzüge. Wenn du zwölf Atemzüge schaffst, ist es wunderbar.
Die Haltung verlässt du am besten nicht ruckartig, sondern indem du zunächst die Beine anwinkelst und in Richtung Stirn beugst, danach durch langsames Abrollen des Beckens und des Rückens.
DIE KOBRA
Sie macht meinen Rücken geschmeidig. Sie öffnet mein Herz und gibt mir Vertrauen in die Zukunft.
DURCHFÜHRUNG
Lege dich auf den Bauch und deine Hände mit den Handflächen nach unten unter deine Schultern auf dem Boden ab. Die Ellenbogen sind vom Boden ein Stück abgehoben, die Unterarme liegen seitlich am Körper an. Die Stirn berührt zunächst den Boden.
Rolle beim Einatmen den Körper, mit dem Kopf beginnend, Wirbel für Wirbel hoch, so weit, wie dies ohne Zuhilfenahme der Arme möglich ist. Die Arme bleiben in dieser Ausführung passiv, die Hebebewegung wird nur von der Rückenmuskulatur bewirkt. Du solltest die Hände vom Boden lösen können, ohne dabei die Körperhaltung zu verändern.
Der Bauch und der untere Rippenbogen liegen noch am Boden auf. Die Rückwärtsbeuge beschränkt sich auf Hals- und Brustwirbelsäule. Der Kopf wird nur so weit zurückgelegt, wie es sich gut und natürlich anfühlt. Der Hals bleibt lang bzw. gestreckt und befindet sich in einer natürlichen Verlängerung der Brustwirbelsäule.
Halte die Stellung ungefähr sechs Atemzüge lang, und senke mit dem Ausatmen Oberkörper und Kopf langsam wieder ab.
Entspanne dich anschließend in der Stellung des Kindes.