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Goldegg, im Jahre 1718

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Das Jahr hatte mit eisiger Kälte begonnen. Die Landschaft war in eine weiße Pracht gehüllt und der Himmel erstrahlte in leuchtendem Blau. Rupert hatte seine Arbeit im Stall beendet und wollte sich nun zum Feierabend mit den anderen Bauersöhnen im Gasthof Schubhard ein wenig unterhalten.

Er stapfte durch den Schnee hinunter zum Dorf. Als er am zugefrorenen See vorbeikam, rutschten einige Kinder mit sichtlicher Freude auf dem Eis hin und her. Er musste schmunzeln, denn auch seine kleineren Geschwister waren dabei. Als sie ihn erkannten, winkten sie ihm zu. Er hob eine Hand und schickte einen Jodler über den See zu ihnen.

Kurz darauf stand er vor dem Gasthof. Der junge Embacher öffnete die Tür. Abgestandener Geruch aus einer Mischung von Tabak, Schweiß, Essen und Alkohol kam ihm entgegen. Der Kachelofen in der Ecke verbreitete wohlige Wärme. Am hinteren Fenster saßen mehrere junge Männer, zu denen er sich gesellte. Auf dem Tisch standen einige Becher mit Bier. Rupert gab dem Wirt mit einem Fingerzeichen zu verstehen, ihm auch einen zu bringen.

»Grüß Gott, miteinander.« Fröhlich begrüßte er die Burschen. »Was gibt es für Neuigkeiten im Dorf?«, fragte er.

»Die Heustadl und die Getreidetruhen sind noch voll«, scherzte Michael Burgsteiner und prostete den anderen zu. Alle tranken einen kräftigen Schluck.

»Der Rohrmoser Bartl ist jetzt Schulhalter und wohnt im Schulhaus“, wusste Christoph Milthaler.

»Soviel ich weiß, ist sein Bruder mit einem Weib und zwei kleinen Kindern auch dort eingezogen. Die Frau ist fleißig“, erwiderte Nikolaus Forstreuter.

»Dann kehrt im Haus endlich mal Ordnung ein. Ach, da fällt mir noch ein, Jacob hat erzählt, dass er den elterlichen Hof bald übernehmen wird“, sagte Michael Burgsteiner und wandte sich an Rupert.

»Ja, das stimmt«, erwiderte dieser. »Seinem Vater geht es nicht gut. Er kann kaum noch laufen. Jacob erledigt schon die meiste Arbeit.«

»Ich habe neulich seine zwei stramme Buben gesehen«, staunte Hans Lodermoser. Rupert lachte bei dem Gedanken an seine kleinen Neffen und nickte. »Ja, Jacob und Barbara sind sehr dankbar für die Kleinen.«

Simon Hochleitner und Hansi Wiesenhuber saßen an einem Tisch in der Nähe der Theke. Sie hatten schon reichlich getrunken und ihre Gesichter waren rot und verschwitzt. Nachdem Rupert aufgestanden war, sich von den anderen Burschen verabschiedet hatte und seinen Schladminger anzog, rief ihm der Hochleitner auf dem Weg zur Tür hinterher: »Ich weiß, was du so treibst.«

Rupert erinnerte sich daran, wie er den Wiesenhuber Hansi zurechtgewiesen und ihm sogar Schläge angekündigt hatte, wenn er Maria weiterhin auflauern würde. Seit dieser Zeit machte der Bauernsohn um die junge Frau einen großen Bogen. Die Drohung schien erfolgreich gewesen zu sein. Doch der Hochleitner Simon nutzte jede Möglichkeit, um Rupert zu provozieren und hätte auch jetzt sehr gerne Streit angefangen. Rupert hatte aber kein Interesse daran, sich zu prügeln. Ohne die beiden unangenehmen Burschen weiter zu beachten, verließ er das Gasthaus.

Wenig später fiel sein Blick auf eine Frau, die sich in ihrem Umhang eingehüllt auf die Friedhofsmauer stützte. Er sah sie nur von hinten, doch er wusste gleich, wer sie war und lief eilig zu ihr. Sie war kreidebleich und Schweiß stand auf ihrem Gesicht.

»Maria, was ist mit dir?« Sofort nahm er ihre Hand. „Geht es dir nicht gut?« Voller Sorge ließ er den Blick nicht von ihr ab. Die sonst so kirschroten Lippen waren blass und die frische Gesichtsfarbe war verschwunden. Er trocknete ihr mit seinem Ärmel sanft die Stirn, die Wangen und das Kinn. »Ich bringe dich nach Hause. Dann kannst du dich ausruhen und gesund werden.« Maria stellte sich langsam aufrecht und Rupert half ihr dabei. »Nein, nein, ich bin nicht krank, Rup. Aber ich muss dir etwas sagen. Ich war gerade bei der Mühltalerin. Sie hat mich untersucht.«

Erwartungsvoll sah Rupert Maria an. Mit einem Mal ahnte er, was sie sagen wollte. Sie hatte den Namen der Hebamme genannt. Er riss Mund und Augen auf und kam ihr zuvor.

»Du bist in guter Hoffnung.«

Sie nickte und schlug die Augen nieder. Zärtlich zog er sie an sich. »Das ist doch wunderbar. Wir bekommen ein Kind.« Vorsichtig hob er sie hoch. Um den Halt nicht zu verlieren, legte sie ihre Hände um seinen Hals. „Ich trage dich nach Hause«, sagte er lachend. Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Das musst du nicht. Ich kann selbst gehen. Ich bin nur etwas wackelig auf den Beinen, weil ich mich heute bereits mehrmals übergeben habe. Halte einfach nur meine Hand. Dann geht es.«

Rupert hatte sie immer noch auf seinen Armen. »Wie leicht sie ist«, dachte er. Am liebsten hätte er sie durch das ganze Leben getragen.

»Willst du meine Frau werden?«, fragte er und sah ihr dabei direkt ins Gesicht. Schon seit einigen Wochen hatte er den Gedanken, ihr einen Heiratsantrag zu machen. Dass er das aber einmal bei bitterer Kälte an der Friedhofsmauer tun würde, hätte er nicht für möglich gehalten. Doch das war jetzt unwichtig. Er war sich seiner Verantwortung bewusst und er liebte Maria.

»Ja, das will ich gerne«, antwortete sie lächelnd und küsste ihn. Erst jetzt stellte er sie wieder auf die Füße und begleitete sie nach Hause.

Marias Eltern standen im Hauseingang. Der Vater wollte gerade einen Korb mit Brennholz ins Haus tragen und die Mutter hielt ihm die Tür auf. Sie sahen die beiden jungen Menschen langsam auf den Hof zukommen. Die Bäuerin hatte schon bemerkt, dass ihre Tochter seit einigen Tagen nicht mehr so unbeschwert war wie sonst. Sie hegte eine Vermutung, zumal Maria schon lange Zeit mit dem jungen Burschen vom Gut Großenberg befreundet war, der sie nun bis hierher begleitet hatte. »Ein schönes Paar«, dachte sie.

Rupert lächelte die neugierig schauenden Eltern an und ließ sich von ihnen in die warme Stube bitten. Dann streckte er seinen Rücken und sagte feierlich: »Ich möchte um die Hand eurer wunderbaren Tochter anhalten.«

Marias Mutter strahlte ihn an, nahm ihn in die Arme und sagte: »Willkommen in unserer Familie, mein Junge.« Auch der Bauer konnte seine Rührung nicht mehr zurückhalten, klopfte ihm auf den Rücken und sagte: »Rup, du bist für uns wie ein eigener Sohn. Werdet glücklich, ihr beiden. Unseren Segen habt ihr.«

Einen Augenblick lang schaute der junge Mann seine zukünftigen Schwiegereltern unschlüssig an. Er musste ihnen noch etwas eröffnen und wusste nicht so recht, wie er beginnen sollte. Zunächst atmete er tief durch und sagte dann forsch: »Maria wird nicht nur Ehefrau, sondern auch Mutter. Sie soll jetzt gut auf sich achten.« Auf die vorwurfsvollen Blicke,

die ihn erreichten, war er gefasst. Es folgten einige Momente des Schweigens.

Die Bäuerin war die erste, die die Sprache wiederfand. »Wir passen auf, dass sie sich schont. Ihr soll es gut gehen.« Der Bauer kratzte sich am Kopf und blieb stumm. Aber Rupert hatte das Gefühl, dass ihm die Schwiegereltern trotz allem freundlich gesonnen waren.

Glücklich nahm er die werdende Mutter an die Hand und stapfte mit ihr durch den Schnee zum Gut Großenberg. Dort erzählte er seinen Eltern von dem freudigen Ereignis und von den gemeinsamen Plänen. Michael und Gertraud drückten Maria an sich und wünschten dem jungen Paar viel Glück.

Am späten Nachmittag brachte Rupert seine zukünftigte Frau in ihr Elternhaus zurück.

Anschließend ging er zum Steinmayer-Hof. Seine Schwester und ihr Mann saßen in der warmen Stube. Barbara wärmte ihren Rücken am Kachelofen und hatte die Beine ausgestreckt auf einen Hocker gelegt. Jacob saß am Tisch und hatte eine Pfeife angezündet. Der junge Embacher erzählte ihnen von den Hochzeitsplänen und auch von seinen Vaterfreuden. Jacob klopfte ihm auf die Schulter und sprach ihm gute Wünsche aus. Barbara kam zu ihm herüber, legte die Arme um seinen Hals und drückte ihn einen Moment fest an sich.

»Mir ist schon aufgefallen, dass Maria seit einigen Tagen einen anderen Blick hat als sonst. Da habe ich mir schon so etwas gedacht. Du wirst bestimmt glücklich mit ihr.« Rupert strahlte seine Schwester an. »Vor Gott ist sie jetzt schon meine Frau, die ich von Herzen liebe. Doch wir brauchen noch den Segen der Kirche, damit wir auch vor dem Gesetz zusammen gehören.«

Gleich am nächsten Tag machte er sich zu Fuß auf den Weg zum Pfarrhaus nach St. Veit, um einen Termin für die Hochzeit festzumachen. Die Haushälterin des Pfarrers Simon Eckart öffnete ihm die Tür und geleitete ihn ins Arbeitszimmer.

»Grüß Gott, Hochwürden.«

»Grüß Gott.«

»Herr Pfarrer, ich bitte Euch um einen Termin für meine Trauung mit Maria Posenigg vom Rohrmoos-Hof.« Der Pfarrer notierte die Namen und Daten. Dann stöhnte er laut, wischte sich den Schweiß von der Stirn und schaute Rupert an. »Wie soll ich das nur schaffen? Ich bin für die Gemeinden Goldegg, Schwarzach und St. Veit zuständig. Im Augenblick habe ich wenig Zeit. Sobald ich einen Termin für eine Eheschließung finde, bekommt Ihr vom Vikar Georg Wanninger in Goldegg Bescheid.« Rupert verabschiedete sich und machte sich auf den Heimweg.

Mehrere Wochen vergingen. Jede Messe wurde vom Vikar gelesen. Mehrmals suchte Rupert die Begegnung mit ihm und fragte nach. Doch der Kirchenmann wusste von keinem Hochzeitstermin und vertröstete ihn immer wieder. Auch als der junge Embacher im Pfarrhaus in St. Veit nachfragte, bekam er keine klare Antwort. Er wurde ärgerlich, ja, sogar wütend. Doch er nahm sich zusammen und verbarg seine Gefühle vor dem Kirchenmann. Er vermutete, dass der Pfarrer ihn absichtlich warten ließ.

»Ich frage mich schon die ganze Zeit, warum er uns so lange hinhält«, äußerte Rupert am Abend in der Stube, als die Familie zusammen saß.

»Vielleicht weiß er, dass Maria ein Kind erwartet und dass ihr es eilig habt mit der Eheschließung. Er kann dir gegenüber jetzt seine Macht ausspielen«, meinte Michael. »Auch deine Mutter und ich mussten lange warten und deine Schwester Barbara war da schon unterwegs. Wir wurden wegen Inzest zu einer Geldstrafe von fünfundvierzig Gulden verurteilt, weil wir Base und Vetter zweiten Grades waren. Die Geldstrafe wurde später halbiert, aber erst nach der Zahlung bekamen wir die Genehmigung zur Eheschließung.«

»Marias Zustand lässt sich bald nicht mehr verheimlichen«, meinte Gertraud.

»Darüber habe ich auch schon nachgedacht«, erwiderte Rupert. »Ich möchte ihr nicht zumuten, den Sommer über in ihrem Elternhaus zu bleiben und den Blicken und dem Spott einiger Leute ausgesetzt zu sein.«

»Du kannst sie gerne ins Haus holen«, bot Gertraud an und Michael pflichtete ihr bei.

»Danke für euer Verständnis. Das werde ich auch tun.« Rupert stand auf, gab seiner Mutter einen Kuss auf die Wange und klopfte seinem Vater auf die Schulter. »Ihr seid wunderbare Eltern.«

Schon am nächsten Tag trug Rupert seine zukünftige Frau über die Schwelle ins Haus. Er flüsterte ihr ins Ohr: »Das ist jetzt dein Zuhause. Werde hier glücklich. Was ich dazu beitragen kann, damit du dich wohl fühlst, werde ich tun. Und ich verspreche, dich niemals mit Worten oder Taten zu verletzen.« Als er sie küsste, drang der Duft von Veilchen in seine Nase.

Gertraud und Michael hießen Maria im Hause herzlich willkommen. Sie wussten, dass sie damit endgültig den Zorn des Pfarrers auf sich ziehen würden und in nächster Zeit mit Reaktionen rechnen mussten. Doch das Glück ihres Sohnes und seiner Frau war ihnen wichtiger als das Wohlwollen des Pfarrers.

Der Frühling hatte den Winter vertrieben und war nun endgültig angekommen. Die erste Maisonne hatte die letzten Schneereste im Dorf schmelzen und die Blumen sprießen lassen. Korn und Leinsamen waren ausgesät.

Eines Morgens bei der Hafersuppe mit Mus sagte Michael zu Rupert. »Mein Sohn, ich habe dir etwas Wichtiges zu sagen. Deine Mutter und ich, wir werden uns auf das Altenteil setzen. Du bist vierundzwanzig Jahre alt geworden und damit volljährig. Es wird Zeit, dass du die Verantwortung für das Gut Großenberg übernimmst.«

Rupert hatte schon als Kind gewusst, dass er als ältester Sohn den Hof einmal erben würde. Trotzdem war er überrascht, als sein Vater ihm diese Nachricht verkündete. Zugleich war er aber stolz, dass er Bauer werden sollte.

»Vater, ich werde dich nicht enttäuschen.« Michael entgegnete: »Das weiß ich. Ich sehe, wie fleißig du bist und wie vorausschauend du planst. Du sollst später einmal ein großes Erbe auch an einen eigenen Sohn weitergeben können. Ich wünsche dir eine gute Hand.«

Rupert war voller Dankbarkeit. Er wusste, dass auf diesem Anwesen schon sein Großvater Caspar Embacher und sein Urgroßvater Paul Embacher gelebt hatten. Seit dieser Zeit wurden das Wohnhaus und die Nebengebäude nicht nur in Stand gehalten, sondern auch erweitert und umgebaut. Dann fuhr Michael fort: »Wir müssen nach Salzburg fahren, um die neuen Besitzverhältnisse eintragen zu lassen.«

Rupert überlegte: »Lass uns das gleich morgen erledigen. Das Wetter hält sich. Wir nehmen Maria mit. Sie war noch nie dort. Dann können wir uns gemeinsam die Stadt anschauen. Ich werde zwei Strohsäcke in den Wagen legen, damit sie weich sitzen kann und nicht durchgeschüttelt wird.«

Gleich in der Frühe nach der Suppe aus Milch und Mehlklößchen, die mit etwas Honig gesüßt war, kletterte Maria in den Wagen, vor den Vitus die braune Stute angespannt hatte. Michael kam aus dem Haus und setzte sich zu der jungen Frau. Die Sonne war gerade aufgegangen und die Glocke der Georgskirche läutete zum Morgengebet.

Das Pferd lief im Schritttempo, und die Räder des Fuhrwerks drehten sich gleichmäßig in beruhigendem Rhythmus. Sie fuhren an der Salzach entlang. Rupert saß auf dem Pferd, hielt die Zügel locker und sang ein Volkslied, in das alle gleich einstimmten.

Sie kamen durch Schwarzach, Bischofshofen und Werfen und sahen die Burg Hohenwerfen, die auf einem Berg thronte.

»Da oben haben früher wohl Ritter gelebt und von dort aus das Land verteidigt«, vermutete Maria.

»Ja«, erwiderte Michael. »Sie mussten alles, was sie zum Leben brauchten, hoch schaffen. Da konnte die Nahrung auch mal knapp werden.«

Bei dem Gedanken bekam Rupert Hunger, hielt das Pferdefuhrwerk an und schlug eine kurze Pause vor. Maria packte Schinken, Käse, Brot und Schmalz aus dem Korb. Alle drei aßen mit großem Appetit und sie tranken das Wasser aus dem nahegelegenen Bach.

Bald fuhren sie weiter, um keine Zeit zu verlieren. Gegen Mittag zeigten sich ihnen schon von weitem die Hohensalzburg oberhalb der Stadt und kurz darauf die Türme der Stadt.

Rupert rief über die Schulter seinem Vater zu: »Du hast mir bei unserer letzten Reise eine Geschichte erzählt, Vater, weißt du noch?«

»Ja, ich kann mich noch gut daran erinnen. Ich erzähle sie gerne noch einmal, damit Maria sie auch kennt.« Er räusperte sich und begann: »Rupert war ein junger Mann, stammte vom Geschlecht der fränkischen Könige ab und war Bischof von Worms. Unermüdlich bekehrte er im Süden des Landes Menschen zum Christentum. Dabei wurde er auf einen Flecken am Ufer des Flusses Juvavus aufmerksam, wo einst eine herrliche Stadt mit dem Namen Juvavia gestanden hatte. Herzog Theodo II. von Bayern schenkte ihm dieses Stückchen Land und beauftragte ihn, ein Bistum zu gründen. Rupert ließ das wilde Gesträuch und den Schutt entfernen und nahe dem Mönchsberg ein Kloster, eine Kirche, Wohnungen und eine Schule errichten. In wenigen Jahren stieg aus den Ruinen Juvaviens eine neue Stadt empor, die den Namen Salzburg erhielt. Rupert blieb immer bescheiden und setzte sich für das Wohl der Menschen ein. Nach seinem Tod wurde er in der Kirche St. Peter begraben, die er gegründet hatte.«

Maria hatte aufmerksam zugehört. »Er war ein frommer Mensch, dieser Rupert. Er brauchte keinen Prunk und ist bis heute ein gutes Vorbild«, stellte sie fest. Mittlerweile waren die drei fast an ihrem Ziel angekommen. Ihr Pferdegespann überquerte die Salzach. Rupert hielt vor dem Stadttor an, bezahlte dem Wächter im Torhäuschen die Brückengebühr. Nach einer kurzen Wartezeit zogen sich die beiden Uniformierten, die mit ihren langen gekreuzten Speeren im Torbogen standen, zu beiden Seiten zurück und bedeuteten Rupert weiterzufahren. Nun bog das Fuhrwerk in die Getreidegasse ein und hielt vor dem Brauhaus Stockhamer. Ein Knecht kam herbei, löste das Pferd aus dem Geschirr und gab ihm Wasser und Heu.

Die drei Reisenden streckten ihre Glieder und gingen in die Schankstube. In dem Raum stand die Luft. Es roch nach Schweiß, Qualm, Alkohol und Essen.

Nachdem sie beim Wirt zwei Kammern als Quartiere für die Nacht erhalten hatten, beschlossen sie, zuerst ihre Aufgabe zu erledigen und anschließend zu Fuß die Stadt zu erkunden. Sie liefen die Getreidegasse entlang und wunderten sich, als aus einem Haus mehrere Menschen mit hochrotem, verschwitztem Kopf herauskamen. Wenige Schritte weiter entdeckten sie die Apotheke und gingen hinein. Maria kaufte Riechsalz für sich und Bilsenkraut für Gertraud. Rupert war fasziniert von den vielen Schubladen und Fächern, hinter denen sich die getrockneten Schätze versteckten, die durch ihre Vielfalt einen nicht zu überbietenden intensiven Duft erzeugten.

»Wir haben uns gerade über die erhitzten Leute gewundert«, erzählte Maria freimütig.

»Hier nebenan ist ein Arme Leute Bad«, erwiderte der Apotheker. »Darin kann jeder Bedürftige dreimal am Tag kostenlos ein Schwitzbad nehmen oder sogar einen Aderlass bekommen, wenn er krank ist.« Interessiert folgten die drei den Ausführungen des Apothekers. Maria bezahlte die Ware, packte alles in ihren Beutel und die drei verabschiedeten sich.

Die Sonne hüllte die Stadt in ein warmes Licht. Nun mussten Michael, Rupert und Maria in der Residenz die Eintragung vornehmen lassen. Ein Büttel öffnete die Tür. Michael meldete sich an und ging dann in Begleitung von Rupert und Maria in einen ihm zugewiesenen Flur. Die junge Frau staunte über die hohen Decken. Zwei Männer hätten sich aufrecht übereinander stellen müssen und es nicht geschafft, die kunstvollen Stuckarbeiten zu berühren. Auch die Fenster waren außergewöhnlich groß. An einer Wand hing ein großes Portrait des Fürsterzbischofs von Harrach. Die drei Besucher mussten noch eine ganze Weile auf einer Holzbank warten, bis sie endlich an der Reihe waren und in einen Raum gebeten wurden.

Ein gedrungener Mann saß hinter einem großen dunklen Schreibtisch.

»In welcher Angelegenheit kommt ihr?«, fragte der Schreiber und schaute Michael über seine Brillengläser an.

»Mein Name ist Michael Embacher. Ich bin Bauer vom Großenberg-Hof in Goldegg und möchte eine Änderung der Besitzverhältnisse mitteilen. Ich werde mit meiner Frau aufs Altenteil gehen.«

»Wer soll Euren Hof übernehmen?«, fragte der Schreiber.

»Mein Sohn Rupert ist der Erbe und übernimmt das Gut«, erklärte Michael.

Der Mann hinter dem Schreibtisch nickte. »Das trage ich gleich ein.« Dann stand er auf, drehte sich zum Schrank und holte ein dickes Buch heraus, legte es auf den Schreibtisch, schlug es auf und schrieb etwas hinein. Dann wandte sich der Schreiber an Rupert. »Die Steuern, die ihr bezahlen müsst, werden an das Stift Nonnberg weitergeleitet, weil der Fürsterzbischof seine Ansprüche für den Hof dorthin abgetreten hat. Ihr sollt ab jetzt auch Waffen tragen dürfen, damit ihr im Ernstfall das Land verteidigen könnt. Ich gehe jetzt davon aus, dass Ihr den Hof nun mit allen Verpflichtungen übernehmen wollt.«

Der junge Embacher ging näher zum Schreibtisch und erwiderte: »Ja, ich übernehme alle mit dem Hof verbundenen Verpflichtungen.«

Den Schreiber interessierte noch, wie viele Tiere derzeit auf dem Hof lebten und vollendete die Eintragungen. 19 Rinder, 3 Pferde und 8 Schafe schrieb er während der Aufzählung durch Rupert auf und wiederholte den gesamten Eintrag. Dann richtete er sich auf, schaute über die Brillengläser, zeigte in das Buch und hielt den beiden Männern die Feder hin. »Hier müsst ihr unterschreiben.« Michael und Rupert besiegelten durch ihren Namenszug die Übertragung. Der Mann legte die Feder zurück und verkündete: »Jetzt ist auch die Anlaith fällig, die Übergabesteuern, fünf Prozent vom Wert des Hauses.«

»Ja, ich habe alles dabei«, sagte Michael, kramte das Geld aus seinem Lederbeutel und übergab es. Der Schreiber legte es in eine Schatulle und verschloss sie.

»So, nun ist alles erledigt«, betonte er und stellte das Buch wieder in den Schrank. Michael, Rupert und Maria verabschiedeten sich und verließen die Residenz. Beim Verlassen des Gebäudes sagte Michael leise: »Wir sind gerade ordentlich geplündert worden.«

Rupert verstand, was sein Vater damit meinte und lenkte ab.

»Gleich wird das Glockenspiel beginnen. Wir wollen es nicht versäumen«, schlug er vor. Gemeinsam schauten sie auf den achteckigen Turm mit den offenen Rundbogenarkaden und lauschten bald darauf dem Klang der fünfunddreißig Glocken, die von einer Messingwalze angetrieben wurden. Anschließend liefen sie links am Dom vorbei über den Kapitelplatz. Nun standen sie direkt unterhalb der Hohensalzburg. Sie liefen weiter bis zum Domplatz. Als sie in die Franziskanergasse eingebogen waren, erzählte Rupert:

»Wolf Dietrich von Raitenau, ein früherer Erzbischof, träumte davon, Salzburg zu einer Stadt zu machen, die sich mit Rom vergleichen kann. Unter seiner Regierung entstanden prachtvolle Bauten. Besonders zu nennen ist Schloss Mirabell auf der anderen Seite der Salzach mit der Gartenanlage, den Steinfiguren und den Springbrunnen. Allerdings war Erzbischof von Raitenau auch habgierig. Sein Streit mit dem bayerischen Herzog Maximilian beim Salzhandel endete in einem Salzkrieg. Die Bayern gewannen den Kampf und nahmen den Erzbischof gefangen. Der Papst veranlasste schließlich, Dietrich von Raitenau auf seiner eigenen Festung einzusperren.«

Rupert zeigte mit der Hand über das Dach der Kirche St. Peter und sagte zu Maria gerichtet: »Schau! Dort oben ist noch einmal die Hohensalzburg zu sehen.« Er räusperte sich und wartete eine kleine Weile. Dann führte er weiter aus: »Auf der Burg starb der Erzbischof dann fünf Jahre später. Sein Nachfolger, Erzbischof Paris Graf Lodron, setzte mehr auf diplomatisches Geschick. Dadurch gelang es ihm, die schrecklichen Kämpfe des Dreißigjährigen Krieges von der Stadt fern zu halten. Er ließ den unter seinem Vorgänger begonnenen Barockdom fertig stellen, den wir gerade gesehen haben, und er gründete darüber hinaus die Benediktiner-Universität. Diese ist heute maßgebend für Theater und Musik.«

Es war spät geworden. Der Himmel leuchtete noch einmal in kräftigem Blau, bevor die Sonne am Horizont versank und sich die Dunkelheit über die Stadt legte. Hinter den Fenstern der Steinhäuser flackerten Lichter. Die Mägde der wohlhabenden Händler und Handwerker bereiteten das Abendessen für ihre Herrschaften vor.

»Lasst uns zurück zum Gasthaus gehen, noch etwas essen und uns dann schlafen legen. Morgen sollten wir schon bald nach Sonnenaufgang aufbrechen«, schlug Rupert vor. Maria und Michael nickten zustimmend.

Nachdem es am nächsten Tag hell geworden war, gingen die drei hinunter in die Gaststube. Dort lag immer noch der Geruch nach Schweiß, Qualm, Alkohol und Essen in der Luft, aber die Stube war schon frisch gekehrt und die Tische waren sauber geschrubbt. Gastwirt Stockhamer brachte ihnen Roggenbrot, Butter, Käse und etwas Schinken.

»Herr Wirt. Wo ist das Galgentor?«, fragte Rupert leise, der mitbekommen hatte, dass zwei Gäste davon sprachen.

»So nennen wir das Linzertor. Es ist auf der anderen Seite der Salzach. Wenn man über die Brücke geht, läuft man direkt darauf zu. Früher stand dort ein tatsächlich ein Galgen, an dem Straftäter hingerichtet wurden«, erwiderte Herr Stockhamer.

»Unser Rückweg führt dort vorbei«, sagte Rupert interessiert. »Mich interessiert, ob dort der Jackl gehängt wurde. Meine Großmutter hat mir als Kind häufig Geschichten von ihm erzählt, aber ich weiß nicht, wie er gestorben ist. Sie hat nur gesagt, dass er bestraft wurde. Später habe ich dann vermutet, dass er bestimmt hier in Salzburg ums Leben kam.«

Der Gastwirt hatte im Augenblick etwas Zeit. Es war ihm anzusehen, dass er die Gäste gerne unterhalten wollte und setzte sich zu ihnen an den Tisch.

»Es gibt viele Möglichkeiten, das Leben eines Unholdes zu beenden. Vor den Stadtmauern unserer Stadt in dem kleinen Dorf Gneis lebt schon seit Generationen die Henkersfamilie Wohlgemuth. Auch der jetzige Henker tötet immer wieder Menschen, die gegen das Gesetz verstoßen haben, aber er macht das nicht, weil er Freude daran hat, sondern weil das sein Beruf ist. Die jämmerlichen Seelen werden vorher von einem Richter verurteilt und dieser legt die Strafe fest.«

Herr Stockhamer atmete tief durch und sprach dann etwas langsamer und bedächtiger: »Ja, der Jackl, der war eigentlich ein armer Junge, der keine Eltern mehr hatte und allein überleben wollte. Über ihn wurden die schrecklichsten Spukgeschichten erzählt und viele Menschen fürchteten sich vor ihm. Er war aber nicht aufzufinden. Zwei Kumpanen von ihm, Simon Hofmayer und Georg Puchegger aus Goldegg, wurden verhaftet und hier gehängt. Den Jackl hat man später auf dem Marktplatz verbrannt, nachdem man ihn vorher getötet hatte. Es sollte nichts von ihm übrig bleiben.« Der Gastwirt sah, dass Marie erschreckt die Augen aufriss und sich die Hand vor den Mund hielt. Freundlich sagte er: »Nun lasst euch aber nicht den Appetit verderben und esst in Ruhe zu Ende.«

Nachdem die drei Besucher ihre Mahlzeit beendet und die Übernachtung bezahlt hatten, drückte er Maria noch einen Beutel mit Wegzehrung in die Hand.

»Da, nehmt es und lasst es euch unterwegs schmecken. Ihr habt noch einen weiten Weg.«

»Danke, Wirt, Ihr seid sehr freundlich zu uns«, erwiderte Maria.

Dann spannte Rupert die braune Stute an und die drei machten sich auf den Weg zurück nach Goldegg.

****

Die Monate vergingen. Der Sommer war schon fast vorüber. Rupert stand eines Morgens mit Jacob Hundrieser und Christoph Milthaler vor dem Haus.

»Eure Obstbäume hängen voller Früchte, genau wie bei uns. In diesem Jahr werden wir sogar etwas verkaufen können«, sagte Christoph Milthaler und schaute zu ihm hinüber.

»Es deutet alles darauf hin, dass es in diesem Jahr überall eine reiche Ernte geben wird«, meinte Jacob Hundrieser. Rupert nickte. »Ja, das denke ich auch. Das Korn bekommt reichlich Sonne und Regen gleichermaßen und wächst gut. Die Ähren sehen kräftig aus. Es darf aber in den nächsten Tagen kein Unwetter mehr kommen. Den Flachs haben wir bereits zum Trocknen kreuzweise geschichtet.«

Wild gestikulierend kam die Magd Antonia aus dem Haus und rannte geradewegs auf Rupert zu. »Bauer, es geht los. Bei der jungen Frau haben die Wehen eingesetzt.«

»Hol schnell die Hebamme!«, forderte Rupert die Magd auf und seine Aufregung war ihm anzusehen. Jacob Hundrieser und Christoph Milthaler verabschiedeten sich, nicht ohne dem werdenden Vater noch gute Wünsche für die bevorstehende Geburt seines Kindes auszusprechen.

Unruhig lief Rupert in der Stube herum. »Wo bleibt denn nur die Mühlthalerin?« Gertraud war bei Maria. Michael war noch nicht an seine Arbeit gegangen und wartete gemeinsam mit seinem Sohn auf die Hebamme. So ungeduldig hatte er den jungen Bauern bisher noch nicht gesehen. Antonia kam mit hochrotem Kopf und durchgeschwitzter Kleidung zur Haustür herein. Noch ganz außer Atem keuchte sie: »Puh, ich bin den ganzen Weg gerannt. Die Hebamme hat mich sofort zurückgeschickt. Ich soll ausrichten, dass sie gleich kommen wird, sobald sie die Salben und Kräutermischungen in ihren Korb gepackt hat.«

Einige Minuten später betrat Katharina Mühltaler das Haus. Sie stellte ihre Tasche auf den Tisch und grüßte freundlich. Dann erklärte sie dem werdenden Vater, dass er draußen seiner Arbeit nachgehen könne und die Gebärende bei ihr gut aufgehoben sei.

Die Hebamme bat die Mägde, heißes Wasser und saubere Leinentücher in die Kammer zu bringen. Dann machte sie sich

an ihre Arbeit. Es war die erste Schwangerschaft für Maria und die Geburt dauerte lange.

Während des Tages kam Rupert mehrmals ins Haus und erkundigte sich nach dem Zustand seiner Frau. Um die Mittagszeit war Gertraud gerade in der Stube und stellte ihm eine Schale Erbsenbrei mit Lauch, Zwiebeln und Fleisch auf den Tisch. »Komm, iss etwas«, forderte sie ihn auf. Während er den Eintopf löffelte, hörte er seine Frau stöhnen und schreien. Gertraud beruhigte ihn. »Deine Schwester Barbara hat sich damals auch viel Zeit gelassen. Ich habe zehn Stunden in den Wehen gelegen. Das ist beim ersten Kind ganz normal. Du kamst dann schon etwas schneller. Maria muss die Geburt allein bewältigen. Du kannst ihr jetzt nicht helfen. Das ist Frauensache. Nur die Hebamme und die Mägde sind bei ihr. Ich werde gleich Theresa ablösen. Gehe du einfach wieder an deine Arbeit. Wir geben dir rechtzeitig Bescheid, wenn das Kind da ist.«

Mittlerweile stand die Sonne tief im Westen. Rupert wäre gerne an Marias Seite gewesen, um ihre Hand zu halten und ihr in der schweren Stunde beizustehen. Doch er befolgte den Rat seiner Mutter. Er ging in den Stall, nicht weit vom Haus entfernt, und kümmerte sich darum, dass die Tiere, die seit wenigen Tagen von der Alm zurückgekehrt waren, ein frisches Strohlager bekamen.

Erschöpft atmete Maria mehrmals tief durch. Endlich waren die Strapazen beendet. »Es ist ein Madel«, sagte die Hebamme, wusch das Kind, wickelte es und legte es der glücklichen Mutter in die Arme. »Gesund und kräftig.«

Maria wurde von einem gewaltigen Glücksgefühl erfasst. Das war nun ihr Kind, dessen Bewegungen sie so lange gespürt hatte. Jetzt konnte sie es endlich anschauen. Mit dem Zeigefinger strich sie vorsichtig über das kleine Gesicht und flüsterte: »Sag Rupert, dass wir eine Tochter haben, Theresa.« Die Magd lief hinaus und überbrachte die gute Nachricht. Die Mühltalerin nahm der jungen Mutter das Kind ab und legte es in das Körbchen.

»Zuerst richte ich dich wieder her. Dann darf der Bauer kommen«, bestimmte die Hebamme, cremte Maria vor allem an den empfindlichen und strapazierten Körperteilen mit einer selbst zubereiteten Kräutersalbe ein, wischte ihr mit einem feuchten Tuch den Schweiß aus dem Gesicht und zähmte die wild abstehenden Haare wieder durch einen Zopf.

Katharina Mühltaler hatte schon Ruperts jüngeren Geschwistern auf die Welt geholfen. Bei Gertraud gab es damals keine Komplikationen. Auch jetzt war die Hebamme froh, dass die junge Frau die Geburt gut überstanden hatte. Mitunter nahm sie Elisabeth Steiner mit, die bei ihr in der Lehre war. Es gab durchaus auch Schwierigkeiten. Wenn die Frauen mit ihren ausgezehrten Körpern durch die Strapazen der Geburt Fieber bekamen, dann überlebten sie nur selten. Das waren die dunklen Seiten ihres sonst so schönen Berufes.

Dem einen oder anderen Ehemann hatte sie auch schon geraten, dem Bett ihrer Frau fernzubleiben, weil diese eine nochmalige Geburt nicht überleben würde. Manche hielten sich an ihren Rat.

Die Hebamme kannte sich auch mit der Heilkraft der Kräuter aus und hatte schon vielen Dorfbewohnern das Leben gerettet. Den Geistlichen waren ihre besonderen Fähigkeiten schon aufgefallen. Noch vor wenigen Jahren hätte sie von der Kirche als Hexe verfolgt und hingerichtet werden können. Jetzt wurde sie vom Pfarrer und vom Vikar nur argwöhnisch beobachtet, weil es durch ihren Einsatz weniger Todesfälle bei Müttern und Kindern gab. Die Lebenserwartung bei Frauen war geringer als bei Männern. Wenn die Kirchenvertreter jedoch gewusst hätten, dass sie hin und wieder eine Geburtszange einsetzte und mit Hilfe ihrer Kräuter auch Verhütungen oder Abtreibungen vornehmen konnte, wäre sie in großer Gefahr gewesen. Doch das war ein gut gehütetes Geheimnis. Die tiefstehende Sonne lachte durch das kleine Fenster ins Zimmer und ließ das Haar der Hebamme in einem kupferfarbenen Glanz leuchten.

»Das ist ein schöner Tag«, dachte Katharina Mühltaler und empfand großes Wohlbehagen.

Endlich hörte Rupert den Schrei des Neugeborenen. Unmittelbar darauf kam die Magd aus dem Haus und verkündete die Neuigkeit. Er wusch sich gründlich die Hände und das Gesicht. Dann erschien auch schon die Hebamme und gratulierte ihm. Nun hielt ihn nichts mehr und er eilte zu seiner Frau. Glücklich und erleichtert streichelte er ihr über das Haar, küsste sie sanft auf die Wange und bestaunte den Säugling.

»Das Madel soll Barbara heißen. Wir können sie Bärbel nennen. Was meinst du?« Maria nickte ihm zu und lächelte zufrieden.

Ruperts Mutter Gertraud wendete sich in der Zwischenzeit der Hebamme zu.

»Komm, setz dich, Mühltalerin. Du bist schon seit vielen Stunden auf den Beinen und wirst bestimmt hungrig sein. Ich habe für dich ein gutes Stück Fleisch, Brot und Butter auf den Tisch gestellt.« Die Hebamme sah erschöpft aus, die Haare standen ihr wild vom Kopf und die Kleidung war voller Flecken. Doch sie freute sich jetzt erst einmal auf die bereit gestellte Mahlzeit. Zu Hause würde sie anschließend in ihrem Zuber ein ausgiebiges Bad mit Lavendel nehmen.

Gertraud ging nun auch an das Bett ihrer Schwiegertochter und streichelte ihr über den Kopf. »Etwas Ruhe tut dir jetzt gut. Schlaf dich erst einmal aus.« Maria nickte erschöpft.

Am Abend nach der Brotzeit schaute Rupert noch einmal nach seiner Frau. Sie hatte geschlafen und öffnete gerade die Augen, als er zur Tür herein kam. Er setzte sich an ihr Bett. »Wie geht es dir?«, fragte er. Maria lächelte ihn an. »Mir geht es gut. Ich bin nur müde.« Rupert warf wieder einen Blick in das Körbchen, als wenn er es immer noch nicht glauben konnte, nun eine Tochter zu haben. »Ich mache mich gleich morgen früh auf den Weg zum Pfarrer und bitte ihn, das Madel zu taufen.“

»Ja, das ist gut«, flüsterte Maria leise und war fast wieder eingeschlafen.

»Ich bin schon gespannt, wie viel Zeit er sich lässt«, murmelte er vor sich hin.

****

Der Herbst zeigte sich von seiner freundlichen Seite. Die Sonne wärmte die Luft und ließ das Laub der Bäume gold- und rotgelb leuchten. Die Heustadl waren mit Viehfutter gefüllt, das Korn war eingefahren und lagerte in den Getreidetruhen. Rupert stand hinter dem Haus vor einem der Obstbäume. Er pflückte einen tiefhängenden Apfel ab, betrachtete ihn von mehreren Seiten und biss hinein. »Bevor sie herunter fallen und Druckstellen haben, müssen sie geerntet werden«, dachte er und warf einen prüfenden Blick auf die weiteren Bäume. Auch die Birnen waren prall und leuchtend gelb. Mit der Ernte in diesem Jahr war er bisher zufrieden.

»Das war ein gutes Jahr«, dachte er und ihn überkam ein wohliges Gefühl.

Seine beiden jüngsten Brüder Hans und Philipp kamen lachend von der Mühle den Hang hoch und blieben bei ihm stehen.

»Philipp und ich sind die letzten begehrten Junggesellen unserer Familie«, meinte Hans scherzhaft, »nachdem du jetzt auch eine Familie hast, genau wie unsere Brüder Christian, Caspar und Georg.«

»Unsere Geschwister wohnen alle hier in der Nähe. Das ist doch beruhigend. Auch unsere Schwestern Barbara, Gertrud und Maria haben in Bergbauernfamilien eingeheiratet und leben gar nicht weit von uns entfernt«, entgegnete Rupert zufrieden. »So können sie die Eltern oft sehen und unsere Familie bleibt beisammen.«

»Ich werde noch einige Jahre auf dem Gut Großenberg wohnen und arbeiten, bevor ich eine eigene Familie gründen werde«, sagte Hans keck.

»Das hoffe ich doch«, sagte Rupert schmunzelnd. »Hansel, dich brauche ich in den nächsten Jahren hier sehr. Ich werde dir weitere Aufgaben übergeben. Und du, Philipp, du bist zwar kein Kind mehr, hast aber noch viel Zeit bis zum Heiraten und gehst erst einmal weiter zur Schule.«

Der Lutheraner

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