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MS: Die Verlaufsformen

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Keine MS-Erkrankung verläuft wie die andere!

Das ist Fakt.

Daran führt kein Weg vorbei (das ist dann auch ein wesentlicher Grund für die Notwendigkeit und Wichtigkeit einer individuellen „ganzheitlichen“ Behandlung)!

Obwohl sowohl Art als auch Schwere der Symptome und besonders bzgl. des Krankheitsverlaufs bei Patienten mit MS individuell verschieden sind, gibt es doch Gemeinsamkeiten, wie sich die Krankheit im Verlauf entwickelt.

Gemäß der aktuellen Leitlinie „Diagnose und Therapie der Multiplen Sklerose“ der Deutschen Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN) werden heute – im Gegensatz zu früher mit 5 MS-Varianten – drei „MS-Verlaufsf-Formen“ und eine „MS-Vorstufe“ kategorisiert.

Die präzise Diagnose der Verlaufsform ist von imminenter Bedeutung für die nachgehende Behandlung!

Hierzu aber noch eine weitere Erläuterung, die auf Anmerkungen an früherer Stelle aufbaut, nämlich über die Tatsache, dass ein „entzündlicher Befall“ des Myelins nicht immer und in jedem Falle zu einer kompletten Zerstörung des Myelins führen muss/führt; das ist einzig so dramatisch im Falle der MS-Hochrisiko-Verlaufsform (s.u.).

Hier gilt es zu wissen:

Myelin-Prozesse bei der MS.

Jeder entzündliche Prozess am Myelin (an der Nerven-Markscheide) führt zu Störungen der Impulsübertragungen von und zum ZNS.

Klingt die Entzündung ab, dann erst kann sich das ZNS erholen!

In der ersten „Frühphase“ ist es sogar möglich (zugegeben: in sehr seltenen und wenigen Fällen), dass sich das Myelin neu nachbildet, quasi ‚regeneriert‘ = Re-Myelinisierung.

Bei massiveren und/oder anhaltenderen Entzündungen kommt es zur Verhärtung der weißen Substanz; das führt zur Narbenbildung im Myelin, den sogen. „MS-Plaques“ oder der „MS-Sklerose“.

Mit jeder weiteren Entzündung = MS-Schub und/oder einer verstärkten Progredienz bei chronischen Verlaufsformen wird das Myelin allmählich ganz zerstört – die Myelinscheide wird dabei von speziellen Zellen des Immun-Systems „aufgefressen“ – mit der Folge: die Weiterleitung der Nerven-Impulse wird nachhaltig gestört bis total blockiert und in schweren/ schwersten Fällen („Hochrisiko-MS“) werden dabei sogar die Nervenzellen gänzlich zerstört!

Eine ‚Zwischennotiz’ zum Thema „MS-Schub“:

Was ist ein „MS-Schub“?

Ein MS-Schub wird definiert (Quelle: aktuelle „Sk2-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Multiplen Sklerose“ – herausgegeben von HansCarl Diener und der Kommission Leitlinien der DGN unter Federführung von Peter Rieckmann und Klaus Viktor Toyka –. Die S2k-Leitlinie MS soll moderne Diagnostik der Erkrankung unter Verwendung der neuesten Diagnosekriterien ermöglichen, zudem den aktuellen Stand der Immuntherapie und symptomatischen Therapie der MS und deren seltene Varianten Neuromyelitis optica und Akut disseminierte Encephalomyelitis widergeben)

als …

…„neue oder Reaktivierung bereits zuvor aufgetretener klinischer Ausfälle und Symptome, die subjektiv berichtet oder durch die Untersuchung objektiviert werden können und mindestens 24 Stunden anhalten, mit einem Zeitintervall von 30 Tagen zum Beginn vorausgegangener Schübe auftreten und nicht durch Änderungen der Körpertemperatur [„Uhthoff-Phänomen“ ()] oder im Rahmen von Infektionen erklärbar sind!“ …

Oftmals – auch das soll und muß offen und klar ausgesprochen sein – wird die Krankheit Multiple Sklerose nur „negativ“ gesehen und stets und immer gleichgesetzt mit einem „Leben im Rollstuhl“ und „permanenter Pflege-Bedürftigkeit“ und auch mit „absoluter Hilflosigkeit“!

Es darf aber nicht übersehen werden, dass die MS viele und verschiedene „Gesichter“ hat und, dass es neben hoch-dramatischen „bösartigen“ Krankheitsverläufen auch solche gibt, die über Jahre bzw. sogar Jahrzehnte weitgehend blande „gutartig“ verlaufen und nur geringe Ein- und Beschränkungen für den Kranken haben!

Wie auch immer:

Mit dieser „Unkenntnis der tatsächlichen MS-Verläufe“ will ich aufräumen.

Bei der MS/ED sind bezüglich der Krankheits.-Formen bzw. -Verläufe zu unterscheiden:

I. Schubförmig (Rezidivierende) Multiple Sklerose

[RRMS]

[früher: Schubformig-remittierende MS]

Bei mehr als 80 Prozent der Betroffenen ist anfangs ein schubförmiger Krankheitsverlauf der MS zu beobachten.

Zu den ersten Symptomen zählen Sensibilitäts- und Gefühls-Störungen in den Beinen mit Gang-Problemen sowie eine einseitige Entzündung der Sehnerven.

Schubförmig bedeutet, dass die Symptome mehr als 24 Stunden andauern und nicht durch andere Auslösefaktoren erklärt werden können.

In der Klassifikation der Sk2-Leitlinie wird darauf verwiesen, dass ein Krankheitsschub bei den meisten MS-Patienten in der Regel vier bis sechs Wochen dauert.

Nach diesem Zeitraum bilden sich die Beschwerden teilweise oder sogar vollständig zurück, medizinisch heißt das inkomplette bzw. komplette Remission.

Die Patienten sind meist bis zum nächsten Schub beschwerdefrei, ohne unter Lähmungen oder einer Spastik leiden zu müssen.

Bei Symptomen, die mehr als sechs Monate bestehen bleiben, sinkt die Wahrscheinlichkeit einer Normalisierung trotz Behandlung auf unter 5%.

Bei 40-45% der Fälle verläuft die MS „gutartig“; will heißen, dass sie und dies ganz langsam und über viele Jahre schubförmig und mit Remissions-Phasen (die können Jahre betragen!) oder schubförmig und mit Residuen (also: die Krankheit bleibt dabei auf dem „letzten Stand“ stehen!) verläuft!

Die Schübe – sie treten unvorhersehbar auf – dauern zwischen einigen wenigen Tagen und mehreren Wochen an.

II. Primär Progrediente Multiple Sklerose [PPMS]

D.i. MS mit schubförmigen und dabei fortschreitendem Verlauf.

Ein primär progredienter Verlauf bedeutet, dass die Krankheit von Beginn an mit neurologischen Symptomen voranschreitet, ohne dass einzelne Schübe abzugrenzen sind. Vom erhöhten Risiko dieser Form von MS sind etwa 10-15% der Patienten betroffen.

Die PPMS kann typischerweise zu spastischen Gangstörungen führen.

Dieser Verlauf der MS Erkrankung betrifft häufig Patienten mit einem relativ späten Krankheitsbeginn ab dem 40. Lebensjahr.

Nach einiger Zeit (bis zu etlichen Jahren) geht sie über in die …

III. Sekundär Progrediente Multiple Sklerose [SPMS]

Gemäß der Sk2-Leitlinie entwickeln etwa 50% der Patienten mit schub-förmiger MS nach durchschnittlich zehn Jahren eine sekundär progrediente Multiple Sklerose.

Bei diesem MS Verlauf treten also zunächst Schübe auf.

Die neurologischen Beeinträchtigungen nehmen im Laufe der Erkrankung stetig zu, wobei sich die Anzahl oft verringert. Typisch für die SPMS ist, dass die Schübe schließlich ganz ausbleiben, die Behinderung durch die Erkrankung des zentralen Nervensystems, die das Gehirn und das Rückenmark betrifft, jedoch voranschreitet.

IV. Klinisch Isoliertes Syndrom [KIS]

= Vorstufe der MS

Beim KIS kann es sich um das Anfangsstadium von MS handeln.

Bezeichnend ist, dass bestimmte MS-typische Früh-Symptome auftreten, sich allerdings auf einen bestimmten neurologischen Bereich beziehen.

Das klinisch isolierte Syndrom ist oft die Vorstufe einer chronischen MS Erkrankung, die solange besteht, bis die Krankheit anhand weiterer Kriterien bewiesen ist.

Die Sk2-Leitlinie „Diagnose und Therapie der Multiplen Sklerose“ weist besonders in Fällen des KIS auf die Einbeziehung der McDonald-Kriterien zur Diagnose hin.

Generell kann die Diagnose erst nach einer räumlichen und zeitlichen Streuung der Symptome erfolgen.

Aus meiner Sicht und Erfahrung ist/sollte noch eine weitere Verlaufsform der MS zu nennen/genannt werden:

V. Hochrisiko-Verlauf der MS

Bei ca. 7-10% der MS-Fälle verläuft die Krankheit von der ersten Manifestation an höchst dramatisch und führt leider! innerhalb kürzester Zeit zur absoluten Pflegebedürftigkeit und durch Komplikationen auch zum Tode.

Nachstehend noch einige weitere Krankheitsbilder, die als Sonderformen der MS aufgefasst werden können; sie treten zumeist schon im Kindes- und Jugendalter auf:

1. Encephalomyelitis peraxialis diffusa

[entzündlich diffuse Sklerose]

2. Encephalomyelitis Typ „Schilder“

Eine Krankheit mit spastischer Tetraparese, Visusverfall, Sprachstörungen, epileptischen Anfällen, Hyperkinesen und Demenz.

3. Encephalomyelitis peraxialis concentrica

[konzentrische Sklerose]

4. Encephalomyelitis Typ „Balo“

Eine Krankheit mit spastischer Tetraparese (= Lähmung an allen vier Extremitäten) und allmählicher Progredienz.

5.Encephalomyelitis benigna myalgica

[epidemische Neuro-Myasthenie]

Eine Krankheit mit Kopf- und Muskelschmerzen, flüchtigen Lähmungen, Verwirrtheits-Zuständen und psychischen Symptomen; v.a. bei Frauen!

6.Encephalomyelitis post-vaccinalis

[Impf-Encephalomyelitis]

Eine Krankheit als Spätfolge einer erfolgten Pockenschutz-Impfung aber heute häufiger nach Keuchhusten-, Polio-, Masern- und Tollwut-Impfung. Mortalität ca. 30-50%!

7.Neuromyelitis optica [Devic-Syndrom]

Es handelt sich dabei um eine autoimmun bedingte entzündliche Erkrankung des ZNS mit Demyelinisierung; im Verlaufe (v.a. binnen 2-3 Monaten bis max. 1-2 Jahren) kommt es zu einer ein- und beiderseitigen Entzündung des Sehnervens (Neuritis nervi optici) und auch zu einer aufsteigenden Entzündung des Rückenmarks (Myelitis medullae spinalis), v.a. mit Querschnittslähmung.

Oft finden sich Antikörper gegen den Wasserkanal ‚Aquaporin-4‘.

Nach C.M. Poser erfolgt folgende „Klassifizierung der MS“

MS-Klassifizierung nach Charles M. Poser

1. Mögliche MS

Befunde insgesamt nicht typisch. Symptomatik läßt sich am ehesten durch eine MS erklären;

2. Wahrscheinliche MS, Typ A

1 Schub mit multifokalen Symptomen; 1 Schub mit monofokalen

Symptomen; paraklinische Befunde sind vorhanden;

3. Wahrscheinliche MS, Typ B

1 Schub mit multifokalen Symptomen;

4. Wahrscheinliche MS, Typ C

2 MS-Schübe mit monofokalen Symptomen;

5. Sichere MS, Typ A

1-2 MS-Schübe mit monofokalen Symptomen; paraklinische Befunde vorhanden;

6. Sichere MS, Typ C

1-2 MS-Schübe, multifokale Symptome vorhanden

Zur Übersicht zuletzt noch in der Übersicht:

A. Schleichender Beginn

1. Symptome von Anfang an mit Remission

2. bleibende und/oder sich verschlimmernde (progrediente) Symptome und Defizite/Ausfälle

Führen potentiell zur

Primär Chronischen MS

B. Schubförmiger Beginn

1. Verlauf mit Schüben mit mono- bzw. multifokalen Symptomen anhaltend über Wochen, Monate, Jahre mit kompletter oder teilweiser Remission

2. es kommt zu einem schubförmig (teil)remittierenden Verlauf mit

bleibenden Residuen

3. Übergang in ein schubförmig progredienten MS-Verlauf

Nachzutragen bleibt noch, dass zwischen dem 1. Schub (der vielmals nicht als MS-Schub erkannt wird) und dem 2. Schub Jahre und sogar Jahr-zehnte liegen (können).

Bei den „günstigen MS-Verläufen“, die sich ganz langsam fortentwickeln oder sogar auf dem Erstzustand verharren und dies über Jahrzehnte, kommt es vielmals zu keiner wesentlichen körperlichen Beeinträchtigung! Diesen günstigen MS-Verläufen stehen dann gegenüber die prognostisch „ungünstigen MS-Verläufe“, die dann aber auch dramatisch, fulminant und mit einer hohen Schubfrequenz und immer kürzeren Remissionsphasen verlaufen und leider in der Hilflosigkeit enden.

Multiple Sklerose

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