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XIX.

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Die Nachahmung einer Handlung durch Handelnde ist ein Drama.

Daraus ergibt sich zunächst, dass diese Art von Nachahmung äußerlich der Zeit und dem Orte nach beschränkt ist. Während die epische Erzählung allenthalben vor sich gehen kann, hier unterbrochen und dort wieder aufgenommen, sind durch die dramatische Nachahmung Handelnde und Zuschauende an einen bestimmten Ort gebunden und zwar für eine Dauer, welche durch die überall sich gleich bleibenden Grenzen der menschlichen Wahrnehmungs- und Genussfähigkeit, sich auf ein Maximum von etwa drei bis vier Stunden normiert.

Zu dem Nachahmungsmittel des Wortes, welches das Drama mit dem Epos gemeinsam hat und zwar des durch rhythmisch-metrischen Wohlklang verschönerten und erhöhten Ausdrucks, fügt es als höchst wesentliches zweites Mittel der Nachahmung die Schaustellung (ὄψις) hinzu, sichtbare Darstellung nicht nur der Bewegungen, Mienen, Gebärden der Handelnden, sondern auch der unbelebten, für die Handlung in Betracht kommenden, Körper; und als drittes Mittel, welches in der modernen dramatischen Kunst entweder nur ganz nebensächlich verwandt wird, oder, in der Oper ihr dominierend ganz neue Gesetze gibt, die Musik.

Aus dem Gegenstande und den Mitteln der dramatischen Nachahmung bestimmt sich nun die Art und Weise derselben, welche nicht nur die Darstellungsweise der ausgewählten Handlung umfasst, sondern auch die Auswahl und Einrichtung dieser Handlung selbst. Denn nach der Natur der poetischen Nachahmung überhaupt sind nicht alle Handlungen zu ihrem Gegenstande geeignet, und nach der spezifischen Natur der dramatischen Mittel nicht alle, die etwa im Epos verwandt werden können, auch für das Drama passend, wenigstens nicht in derselben Begrenzung und Anordnung. Ferner was die Darstellungsweise betrifft, so wird in der lyrischen Poesie eine Handlung lediglich um des Pathos und Ethos willen dargestellt werden, die in ihr zur Entfaltung kommen, um ihres Empfindungs-, Stimmungs- oder Charaktergehaltes willen; die Handlung selbst wird als Mittel dienen, um jene nachzuahmen. Umgekehrt werden im Drama Pathos und Ethos, Empfindungen und Charaktere, lediglich dargestellt werden um die Nachahmung des Geschehenden und dessen, was getan wird, des eigentlichen Handlungs-Inhaltes, zu bewirken; also nur insoweit als sie als Mittel für den eigentlichen Nachahmungsgegenstand zu verwenden sind.

Als Haupterfordernis wird die dramatische Handlung mit der epischen die Vollständigkeit und Einheit gemeinsam haben müssen, wie sie im Vorangehenden definiert wurden; aber für beide wird doch eine Modifikation hinzutreten. An der Vollständigkeit darf nichts fehlen: alle äußeren und inneren Voraussetzungen für den Beginn der Handlung, der ganze innere und äußere Verlauf derselben, der äußere wie der innere Abschluss, alles das muss in der Nachahmung gegeben sein, wobei das Drama allerdings insofern gegen das Epos im Vorteil ist, als es sehr Vieles, was im Epos durch das Wort berichtet werden muss, durch ihr zweites Hauptmittel, die Schaustellung, unmittelbar vor Augen zu führen vermag. Deswegen ist die Vollständigkeit der dramatischen Handlung eine bei weitem größere als die der epischen; niemals vermag diese letztere der Wirklichkeit sich so weit zu nähern wie jene, da, wie früher erörtert, der poetischen Nachahmung der Körperwelt durch das Mittel des bloßen Wortes sehr bestimmte Schranken gesetzt sind. Je mehr nun aber durch diese weit umfassendere äußere und innere Vollständigkeit — denn insofern ein sehr bedeutender Teil der inneren Vorgänge durch äußere Körperveränderungen sichtbar wird, so kann auch nach dieser Seite die dramatische Vollständigkeit eine ausgedehntere sein — von der dem Drama zugemessenen Zeit von höchstens vier Stunden notwendig in Anspruch genommen wird, desto geringer muss der äußere Umfang der nachgeahmten Handlung, die nichtsdestoweniger eine geschlossene Einheit, ein intaktes Ganze darzustellen hat, bemessen sein. Zwischen- und Nebenhandlungen, wenn sie nicht unentbehrlich für die Haupthandlung sind, werden daher auszuschließen sein; das Maß für diese aber ist allein von demjenigen Gesichtspunkte aus zu bestimmen, von welchem aus sich die Einheit der Handlung darstellt. Dieser Gesichtspunkt ergibt sich aus dem Nachahmungszweck, auf dessen Erreichung in jedem einzelnen Falle das dramatische Kunstgebilde abzielt.

Hier nun greifen die am Schlusse des fünfzehnten Abschnittes angestellten Erwägungen Platz.

Das Handeln beruht auf Empfindungen, Gesinnungen, Erwägungen und daraus hervorgehenden Willensentscheidungen; in unauflöslich fest verschlungenem Gewebe ist das Handeln mit dem Geschehen verknüpft: aus den "Handlungen", die beides verbunden darstellen, geht also das Schicksal, Glück und Unglück der Menschen, hervor. Da nun die Charakterschilderung niemals der Zweck der dramatischen Nachahmung ist, sondern immer nur eines ihrer Mittel, ihr Zweck dagegen die Darstellung von Handlungen, den Begriff in dem soeben bezeichneten Sinne genommen, da aber von diesen Glück und Unglück abhängen, so ist offenbar der Einheitsgesichtspunkt für die dramatischen Handlungen dieser: dass in jedem Falle das Verhältnis zwischen der Handlung und jener Alternative von Glück und Unglück, das heißt also das Schicksal, sich klar darstelle; und zwar, wie aus der allgemeinen, für alle Kunst gültigen Gesetzgebung von selbst hervorgeht, erstens in richtiger Weise und zweitens so, dass diese Richtigkeit sich unmittelbar der Empfindung kund tue, das heißt also ästhetisch wahrgenommen werde, oder nach Kantischer Terminologie ausgedrückt, durch die "Urteilskraft" ohne den Begriff des Richtigen dennoch als solche allgemeingültig konstatiert werde. Wodurch anders aber kann die Richtigkeit des dargestellten Schicksalsverlaufs — und zugleich, was ja ebenso das unbedingte gemeinsame Erfordernis aller Kunst ist, der Art und Weise seiner Darstellung — sich dem ästhetischen Urteil gegenüber bezeugen als durch die Richtigkeit, Reinheit, das heißt also absolute Allgemeingültigkeit derjenigen Empfindungen, welche hervorzurufen dieser dargestellte Schicksalsverlauf das bei allen nicht völlig anomal Gearteten und Gesinnten immer in gleicher Weise wirksame Vermögen erhalten hat!1

Bei der Kürze der eigentlichen Handlung, welche, wie bemerkt, durch die äußeren Umstände gebieterisch für die dramatische Form der Nachahmung gefordert wird, ist nun aber die geschilderte Wirkung nicht anders denkbar, als wenn der dargestellte Schicksalsverlauf ein typischer ist, im einzelnen Falle das im Ganzen vorhandene, Alles lenkende Gesetz der Anschauung und Empfindung wahrnehmbar macht. Die nach dieser Richtung hin prägnanteste, inhaltreichste, also schicksalsvollste Handlung ist demgemäß die dramatisch beste.

Um einen sicheren Weg zur Feststellung der für das Drama gültigen Gesetze über die Einrichtung der Handlung zu gewinnen, wird es also erforderlich sein, jenen Begriff der "schicksalsvollsten" Handlung möglichst genau zu präzisieren.

Dabei zeigt sich sofort, wie verkehrt hier wie überall in der Kunst die alte und immer wieder aufs Neue beliebte Ansicht ist, dass mit einer getreuen Nachahmung der Wirklichkeit, in diesem Falle also von Handlungen, wie sie sich wirklich ereignet haben und auch vielleicht oft ähnlich wiederholen — die, wie man zu sagen liebt, "dem Leben abgelauscht" sind —, der Hauptzweck der Kunst, und vor allem der dramatischen Kunst, erreicht sei; denn gerade sie habe den Zweck der Wirklichkeit den Spiegel vorzuhalten und sie so wiederzugeben, wie sie sie finde.

Wie oft ereignet es sich im Leben, dass schlechte oder unrichtige, ja verkehrte einzelne Handlungen vom Glück und vom Erfolge begleitet sind; und nicht nur einzelne, sondern mitunter lange Reihen und weite Verkettungen und Verzweigungen solcher Handlungen. Es ist aber von allen Fällen dieser am entschiedensten von jeder Art der dramatischen Nachahmung auszuschließen: Darstellung einer schlechten Handlung mit glücklichem Ausgang. Tragisch kann sie nicht im mindesten wirken, selbst nicht, wenn in ihrem Verlauf die Befürchtung schweren Verhängnisses vorübergehend sehr lebhaft erregt würde. Ferner verletzt sie das Gerechtigkeitsgefühl auf das schwerste; sie erschüttert die Vorstellung von dem Vorhandensein eines Zusammenhanges von Ursache und Wirkung in dem Gange der Dinge, der mit dem unser Denkvermögen beherrschenden Vernunftgesetz in Übereinstimmung ist, und setzt an die Stelle der Überzeugung von der Geltung eines solchen Zusammenhanges die Vorstellung, dass Laune, Willkür, unberechenbarer Zufall allein die Herrschaft haben. Nun hat freilich die Kunst weder mit unserm Gerechtigkeitsgefühl, noch überhaupt mit unsern sittlichen oder praktischen Überzeugungen direkt etwas zu tun, sondern allein sich durch die ästhetische Wahrnehmung an unser Empfindungsvermögen zu wenden: aber gerade hier würde sie auf jene Weise ihres Zweckes, die Bedingungen in sich zu vereinen, um uns durch dasselbe zur Freude zu bewegen, am meisten verfehlen. Denn statt beglückender Ruhe und wohlgefälliger Harmonie inmitten stärkster Bewegung der Gemütskräfte, würde eine solche Nachahmung, die zwar sicherlich auch bewegend, ergreifend, ja höchst aufregend, "packend", wie man es heute gern nennt, wirken kann, nur Beunruhigung, Widerstreit der Empfindungen, unregelmäßige heftige Leidenschaften erzeugen. Die virtuoseste Handhabung der künstlerischen Mittel würde damit also nichts anders bewirken als dieselbe Ruhelosigkeit und Verwirrung, dieselben fruchtlosen Gemütserregungen, die so oft zu unserm Schaden und Verdruss durch die Vorgänge des wirklichen Lebens in uns hervorgebracht werden. Dieselben ihrer Qualität nach! Ihre Intensität wird freilich durch den wichtigen Umstand sehr vermindert, dass das Interesse des persönlichen Egoismus unberührt bleibt.

Hierin liegt der Grund, dass diese absolut fehlerhafteste und verwerflichste von allen Arten der Einrichtung von Handlungen bei der großen Masse jederzeit am sichersten auf eifrigsten Beifall rechnen kann. Denn erstlich kommt sie überhaupt dem Leidenschaftsbedürfnis entgegen. In jeder Kraft liegt nach dem Naturgesetz der Drang zu ihrer Betätigung; für die körperlichen wie für die seelischen Kraftvermögen gibt es zuletzt keine größere Qual als absoluten dauernden Mangel der Betätigung. Gerade also, wo es an bewusstem, in sich geklärtem, fest und maßvoll in sich geordnetem Seelenleben fehlt — welches, bei dem stetigen und innigen organischen Kontakt der sämtlichen Seelenvermögen untereinander, durch die fortwährende, mächtige, wenn auch unmerklich vor sich gehende Einwirkung der logischen und sittlichen Kultur auf die mehr und mehr zu einem bleibenden Besitz, zu einer immerfort innewohnenden Fähigkeit und Fertigkeit (ἕξις ἠθική) sich gestaltende Empfindungsweise zustande gebracht wird —, und je mehr es an solcher, einzig mit Recht so zu nennenden, ästhetischen Kultur fehlt, gerade da wird die bloße Beschäftigung der Gemüts- und Empfindungskräfte, sei sie wie sie sei, am begierigsten verlangt werden. Je heftiger sie bei der Abwesenheit des egoistischen Interesses sich gestaltet, desto leidenschaftlicher wird sie aufgesucht werden; denn es ist einmal objektiv bei weitem leichter, dieses Bedürfnis leidenschaftlicher Erregung zu befriedigen, als klares und reines, maßvolles und harmonisches Empfinden hervorzurufen, und sodann ist es subjektiv viel bequemer, sich jenem passiven Genießen hinzugeben, als diese ohne eigene Betätigung nicht denkbare Empfindungsweise in sich zur Wirkung gelangen zu lassen. Nun ist aber jenem Bedürfnis auf keine Weise leichter genügt als mit der Darstellung, um es mit einem Worte zu sagen, von schlechten Handlungen, also von Fehlerhaftigkeit aller Art, Lastern, Verbrechen, Verirrungen und den damit zusammenhängenden Verwickelungen; und da die Neigung zu dem passiven, bequemen Genuss an der bloßen leidenschaftlichen Erregung der strengen Konsequenz gern aus dem Wege geht und weit lieber sich mit der Vorstellung schmeicheln lässt, dass schließlich doch noch "alles gut werde", und mit solcher günstiger Schlusswendung obendrein noch sehr leicht das oberflächliche Vergnügen an dem falschen Schein einer angeblichen moralischen Sinnesänderung verknüpft werden kann, so ist die Nachahmung schlechter Handlungen mit glücklichem Ausgange das eigentliche Grundschema sowohl der epischen als dramatischen Pfuscherei.

Dieser schlimmste Grundfehler ist keineswegs auf die Massenproduktion eingeschränkt, die sich an die Instinkte der rohen Menge wendet; auch der verwöhnte Geschmack lässt sich allzu leicht darüber täuschen, wenn nur die Darstellungsmittel in geschickter oder gar virtuoser Weise gehandhabt werden, da ja auch ein solcher, im Grunde völlig fehlerhaft eingerichteter Handlungsverlauf im Einzelnen immerhin genugsam Gelegenheit bietet, die Wirkungen des Rührenden und Furchtbaren oder auch des Komischen und Erheiternden hervorzubringen; da er ferner der irrtümlichen Forderung des sogenannten "Realismus", die auf unmittelbare Nachahmung der Wirklichkeit und Natur geht, oft am besten zu entsprechen scheint.

Nun könnte eingewendet werden, dass zwar durch schlechte Handlungen, bei denen es den Schlechten gut geht, die tragische Wirkung völlig unmöglich sei, dass aber die komische Darstellung ja in der Tat beides erfordere, glücklichen Ausgang und Nachahmung fehlerhafter Handlungen; das Beispiel wäre die Handlung des komischen Muster- Epos vom Reineke Fuchs. Allein der hier dargestellte Triumph des gewissenlosen Virtuosen der ränkevollen Schlauheit ist poetisch allein dadurch gerechtfertigt und selbst nur möglich, dass die Handelnden Tiere sind, und dadurch, wie früher ausgeführt, jener eigenartige Maßstab der ästhetischen Beurteilung bedingt ist, nach welchem das wohlgefällige Interesse unter strengstem Ausschluss jeder anderen Erregung der Empfindung sich ganz den Manifestationen jener allen übrigen Kräften überlegenen Meisterschaft in der Verschlagenheit zuwendet, während im Übrigen die komische Darstellung ohne Hindernis zur vollen und freien Wirkung gelangen kann. Die Bühne aber ist mit ihrer Nachahmung des realen Lebens durch die Handelnden selbst für die Tierdichtung absolut verschlossen; sie verlangt, dass in ihren Darstellungen das Gesetz des Lebens zur Erscheinung komme: dieses Gesetz sagt uns, dass keinerlei menschliche Fehler ohne Folge bleiben; durch unglückliches Geschick können sie verhängnisvoll werden, aber auch ohne dasselbe erweisen sie sich jederzeit als nachteilig. Wenn nun die Komödie schwere Verirrungen vom Rechten und Verständigen darstellt, oder gar Laster und Verbrechen, mag sie immerhin dieselben eben nur dem ästhetischen Urteile von ihrer komischen Seite als verkehrt und töricht zeigen und sie dem Spotte preisgeben, so darf sie es niemals versäumen, jene dem Wesen der Sache nach notwendigen schädlichen, ja selbst verderblichen Folgen im Rahmen der Handlung, als zu deren Vollständigkeit unentbehrlich, mit vorzuführen. Wir verzeihen selbst einem Meisterwerk weit eher die Anwendung gewisser gewaltsamer und unkünstlerischer Mittel zu solchem Zwecke, als dass wir uns eine Unterlassung dieser Pflicht, die zu den wesentlichsten dramatischen Forderungen gehört, gefallen ließen. Wenn in Molières "Tartuffe" die Nemesis am Schlusse als deus ex machina in der Gestalt der allgegenwärtigen und allweisen Polizei Ludwigs XIV. auf dem Schauplatze erscheint, so liegt darin keineswegs allein eine Konzession an den souveränen Absolutismus des "großen" Königs, um für den Spott gegen die Jesuiten Indemnität zu erhalten, sondern eine viel größere an das absolute Gesetz der Kunst, um die Darstellung der im Stücke dominierenden "schlechten" Handlung für die komische Bühne überhaupt möglich zu machen.

Es erscheint also als ein Widersinn, selbst wenn noch so viele Fälle der Wirklichkeit bei schlechten Handlungen den glücklichen Ausgang zeigen sollten, eine derartige Handlung dramatisch darzustellen; nicht ausnahmsweiser, sondern gesetzmäßiger Verlauf soll dargestellt werden.

Aus eben demselben Grunde aber ergeben sich die schwersten Bedenken auch gegen den gerade umgekehrten Fall, obwohl dieser auf den ersten Blick ganz einwandfrei zu sein, ja recht eigentlich das Gesetz zu repräsentieren scheint, wenn auch nicht das tatsächlich geltende, so doch dasjenige, von dem man meint, dass es gelten sollte: dass nämlich gute Handlungen dargestellt werden, die von entsprechendem gutem Glück begleitet werden.

Unzweifelhaft kommen derartige Fälle in der Wirklichkeit mehr oder minder oft vor; aber sicherlich ist es ein Irrtum, dieses Reziprozitätsverhältnis zwischen der moralischen Güte der Handlungen und dem äußeren Glück, der Gunst der Schicksalsfügungen, als ein notwendiges, oder auch nur in hohem Grade wahrscheinliches anzusehen und es demgemäß in einem einzelnen, als typisch geltenden Falle als das gesetzmäßige darzustellen. So sehr die Menschen zu solchem Glauben, ja zu derartigen, gewissermaßen als Rechtsanspruch betrachteten Forderungen geneigt sind, so widerspricht dem doch ebenso die Erfahrung als die theoretische Doktrin des Sittengesetzes, welche lehrt, dass der Lohn für moralische Güte nicht von außen erwartet, sondern im inneren Bewusstsein gefunden werden soll.

Dieses innere Glück eines reinen und zufriedenen Bewusstseins ist freilich durch die moralische Richtigkeit einer Handlung immer gesichert, aber der äußere glückliche Erfolg doch nur zu dem geringen Teile, als eben eine von den Quellen möglichen Misserfolges abgeschnitten ist; es bleiben aber die bei weitem stärker fließenden einmal der lediglich von außen wirkenden, unvermeidlichen Ereignisse und unberechenbaren Komplikationen und sodann der selbst der höchsten Kraft und dem stärksten Willen gesellten Fehler und Mängel an Einsicht, Klugheit, Besonnenheit; gerade diese entscheiden vornehmlich den äußern Erfolg.

Immer also bleibt die für die dichterische Technik ungemein wichtige Frage zu beantworten: sind Handlungen von reiner moralischer Güte mit glücklichem Ausgange für die Nachahmung geeignet? Und wenn sie es nicht sind, welches sind die Gründe dafür?

Man sollte glauben, dass, wenn solche Handlungen aus einer entsprechenden Empfindungs- und Gesinnungsweise hervorgehen, nicht aus einem der entgegenstehenden Neigung mühsam abgerungenen Entschlusse, sie auch in der Nachahmung erfreulich wirken müssten; und wären sie obendrein nun auch noch für die Handelnden die Quelle ihres Glückes, so müsste die wohlgefällige Befriedigung sich nur noch steigern. Befragt man nun zunächst die Erfahrung, so lautet die Antwort insofern völlig bestätigend, als eine eigene dramatische Gattung offenbar diesen Reflexionen ihren Ursprung verdankt, die Jahrhunderte hindurch sich unter großem und allgemeinem Beifall behauptet hat: das sogenannte Schäferspiel und die ihm verwandten dramatischen Arten. Andrerseits jedoch lehrt die Erfahrung, dass der Geschmack diese idyllischen Darstellungen schöner Empfindungen, edler Gesinnungen und tugendhafter Entschlüsse seit langem entschieden verworfen hat, und dass die dramatische Kunst, wie es scheint, keineswegs sich bestrebt gezeigt hat, einen Ersatz dafür zu schaffen.

Ferner: sollte, was dem Epos gestattet ist, dem Drama verschlossen sein? Sollte es für das Idyll, welches die höchsten dichterischen Leistungen aufweist, in der dramatischen Dichtung etwas Entsprechendes nicht geben, ein Stoff, wie Goethes "Hermann und Dorothea" für die Bühne ganz undenkbar sein?

Die Frage ist, ihrer Bedeutsamkeit entsprechend, sehr kompliziert, und es wird erforderlich sein, sie in ihre einfachen Bestandteile auseinanderzulegen.

Handlungen, die aus absolut vollkommenen Empfindungen, Gesinnungen und Entschlüssen hervorgehen, sind menschlich unwahr, also von jeder Art der Nachahmung auszuschließen.

Dagegen sind Handlungen sehr wohl denkbar, die von einer einzelnen absolut richtigen Empfindung, wie der Moment sie eingibt, diktiert werden. Aber, wie sie sittlich ohne Wert sind, da der nächste Moment eine andere, ja die entgegengesetzte Empfindung hervorrufen kann, so taugen sie, für sich allein gedacht, auch für die Nachahmung nicht, da sie an sich gar nichts Typisches, Gesetzmäßiges einschließen und daher auch der Überzeugungskraft, der Glaubwürdigkeit entbehren. Nur in einem Falle besitzen sie diese für die Nachahmung unentbehrliche Eigenschaft, wenn nämlich die Natur des Handelnden so begrenzt ist, dass er eben nur so und nicht anders handeln kann. Das trifft im Grunde einzig und allein bei Kindern zu, bei denen in der Tat noch die momentane Empfindung das Handeln bestimmt; dergleichen Züge sind für die reine Lyrik verwendbar, deren Aufgabe ja die Nachahmung von Empfindungen ist, und außerdem für die Satire, da die darin sich darstellende Naivität vortrefflich geeignet ist, durch den Kontrast die Fehlerhaftigkeit der etwa in Geltung stehenden entgegengesetzten Sitte oder Handlungsweise augenfällig zu machen. In beiden Fällen war die Handlung nicht um ihrer selbst willen nachgeahmt, sondern als Darstellungsmittel einem fremden Zwecke dienstbar gemacht. Ebenso hat die Einführung wilder Völkerschaften oder einfacher Naturmenschen nur in diesen engen Grenzen ihre Geltung; dagegen ist sie, wo es die Nachahmung von Handlungen um ihrer selbst willen gilt, so oft und gern man sich ihrer bedient hat, entschieden zu verwerfen. Seumes "Kanadier" wird mit seinem "Seht, wir Wilden sind doch bess're Menschen" bei niemandem Glauben finden, da wir gar keine Mittel erhalten uns zu überzeugen, wie die Empfindung, aus der er handelt, bei ihm zustande gekommen ist, vielmehr wissen, dass die entgegengesetzte den Wilden die natürliche ist; endlich, selbst wenn wir die Erzählung auf Treu und Glauben annehmen, keinen Grund haben, aus solcher Anekdote einen verallgemeinernden Schluss zu ziehen. Ähnliche Beispiele finden sich in Herders "Briefen zur Beförderung der Humanität"; sie sind lehrreich, weil dasselbe, was von den schönen Empfindungen und Taten dieser edlen Kanadier, Huronen und Irokesen gilt, ganz ebenso seine Anwendung auf die in so zahlreichen Gedichten gepriesene Unschuld und Großherzigkeit findet, zu deren Trägern im Gegensatz zu den verderbten Zöglingen der Kultur die einfachen "Kinder der Natur" gemacht werden. Dergleichen wird nicht einmal als moralisches Beispiel zu paränetischen Zwecken brauchbar sein, sondern weit eher verstimmend als ermunternd wirken. Ästhetisch zu erfreuen, das wohlgefällige Empfindungsurteil zu erzeugen, vermag die Nachahmung einer Handlung, sei es durch Erzählung, sei es durch drastische Darstellung, nur, wenn sie das Bild der Handlung so vollständig vorführt, dass sie im Inneren des Wahrnehmenden gewissermaßen sich wiederholt, also mehr leistet, als selbst die Wirklichkeit, die sie uns meistens nur von außen zeigt. Dazu genügt es aber nicht, dass nur erzählt oder vorgeführt wird, diese oder jene schöne Empfindung sei plötzlich da und bringe diese oder jene schöne Tat hervor; dergleichen wirkt als bloßer Zufall, lässt uns gleichgültig oder verdrießt uns sogar, sofern uns zugemutet wird, es als bedeutungsvoll oder gar als edel anzuerkennen. Warum soll auch ein Irokese nicht einmal statt seinen Feind zu skalpieren ihn mit eigener Lebensgefahr vom Tode erretten? Aber wir verlangen durch die Nachahmung wahrzunehmen, wie das, und vollends bei einem Wilden, unter den erschwerendsten Umständen nicht allein möglich, sondern wie es für ihn eine Notwendigkeit wurde, so zu empfinden und so zu handeln. Mit einem Worte die Nachahmung einer Handlung kann auch im Rahmen der einfachen poetischen Erzählung sich niemals darauf beschränken dieselbe aus einer einzelnen Empfindung, einem bloßen Pathos, herzuleiten, sondern sie muss sie als ein notwendiges Ergebnis der zum bleibenden Besitz gewordenen Gesinnungsweise darstellen, des Ethos. Diese aber ist unter allen Umständen, auch unter den denkbar primitivsten Lebensverhältnissen, immer nur das Produkt einer Kultur, zu welcher innere Kräfte und äußere Ereignisse in anhaltender Wechselwirkung tätig gewesen sein müssen. Je mehr es der Dichter versteht uns von dieser ethischen Kultur seines Helden auch in der Kürze der poetischen Erzählung eine lebhafte Vorstellung zu erwecken, desto vollendeter ist sein Gedicht, je weniger er dazu getan, desto mangelhafter.

Aber selbst eine so dargestellte Handlung würde nun doch eben vornehmlich durch dieses in ihr zur Erscheinung kommende Ethos ästhetisch interessieren, welches durch die vollständige Nachahmung korrespondierend in dem Wahrnehmenden lebendig wird, und vorzüglich um dieses willen käme der dargestellte Schicksalsverlauf in Betracht, wie z. B. in Schillers "Bürgschaft". Nun bedeutet aber, wie früher ausführlich erörtert, der Ausdruck "Handlung", insofern dieselbe Gegenstand der Nachahmung ist, also für das Epos und Drama, keineswegs nur die Äußerungen des inneren Ethos durch den Willensakt, sondern den Komplex der freilich zu einem Teil damit in innerem Zusammenhange stehenden, zum andern aber ganz unabhängig davon eintretenden Ereignisse, also den Schicksalsverlauf: diesen als Einheit wahrnehmbar zu machen und zur Empfindung zu bringen, und zwar zur wohlgefälligen, ihn zu einem Gegenstande ästhetischen Genusses zu machen ist der Zweck des Epos und des Dramas. Für diesen Hauptzweck ist die Nachahmung des dazu mitwirkenden Ethos ein sekundäres Hilfsmittel.

Gerade an dieser Stelle zeigt sich nun aber die höchst bedeutende Verschiedenheit, welche durch die Art der Nachahmung zwischen den Bedingungen der epischen und denen der dramatischen Handlung hervorgebracht wird.

Hier wird Kürze gefordert, dort ist beliebige Breite gestattet: daraus ergibt sich bei dem gemeinsamen Hauptzweck einen einheitlichen und in sich vollständigen Schicksalsverlauf vorzuführen, dass das Drama sich in der Darstellung des Ethos sorgfältig auf das beschränken muss, was die Vollständigkeit der Handlung erfordert, und dass diejenigen Handlungen für das Drama die geeignetsten sein werden, die zu ihrer Vollständigkeit am wenigsten davon bedürfen, deren Schicksalsverlauf am selbständigsten, von der ethischen Einwirkung am unabhängigsten und dennoch gesetzmäßig und ästhetisch wohlgefällig ist, d. h. die schicksalsvollsten. Züge, welche nur einzelne, richtige oder sogenannte schöne Empfindungen vorführen, werden also in den meisten Fällen ganz ausgeschlossen sein; das Drama wird vielmehr, wo es gezwungen ist, Ethos nachzuahmen, sich auf die markantesten, typischen Züge beschränken; Nebenhandlungen, welche nur dem Zwecke der Schilderung von Empfindungen und Gesinnungen dienen, wird es nicht dulden, ja dieselben überhaupt so viel wie möglich fortlassen und nur aufnehmen dürfen, wo sie zur Vollständigkeit des Schicksalsverlaufes unentbehrlich sind, dessen inneren Zusammenhang oder äußeres Fortschreiten klarlegen.

Diese Sätze scheinen einem modernen Haupt- und Lieblings-Dogma zu widersprechen: dass es die oberste Aufgabe des Dramas sei Charaktere zu schildern. Aber der Begriff des Charakters deckt sich keineswegs mit dem Inbegriff der Empfindungs- und Gesinnungsweise, die nur die Voraussetzung, den Untergrund dessen bilden, worin er sich zeigt: des Handelns. Das Handeln wird durch die Willensentscheidung bestimmt, diese ist abhängig von dem, was die Griechen die Phronesis nennen, eine Vereinigung von richtigem Ethos mit Klugheit, Einsicht und Besonnenheit. Auf dem Grunde der gegebenen Umstände und Verhältnisse lässt das Handeln direkt, ohne weitere Schilderung, erkennen, inwieweit die Phronesis dazu mitgewirkt hat oder durch Leidenschaft, egoistisches oder anderes Interesse beeinträchtigt ist. Hieraus erhellt deutlich, dass es für die dramatische Handlung vor allem andern darauf ankommt, dass die von vorneherein gegebene Lage der Dinge und ihre weitere Fortentwicklung solche seien, die zu entscheidendem, also auch charakteristischem Handeln Veranlassung geben, ja welche dazu zwingen: sei es nun, dass der Handelnde in solche Verhältnisse gestellt wird, dass durch seine Entschließung sich Glück oder Unglück für ihn entscheidet, sei es, dass die obwaltenden Verhältnisse das ästhetische Urteil über die Handelnden hinsichtlich ihrer Lächerlichkeit oder Wohlgefälligkeit zur entschiedenen Klärung bringen. (Aristoteles hat gelegentlich, im 11. Kapitel der Poetik, dafür den treffenden, aber nicht genügend beachteten Ausdruck, dass die Personen in der Tragödie, namentlich wo die Verwickelung derselben auf Erkennung hinausläuft, πρὸς εὐτυχίαν \̓η δυστυχίαν ὡρισμένοι sein müssten, gleichsam "auf die schmale Grenze zwischen Glück und Unglück gestellt".)

Die dramatische Fabel muss entscheidende Handlungen herbeiführen; dass sie Gelegenheit gibt Empfindungen und Gesinnungen zu entfalten, genügt nicht.

In allen diesen Punkten verhält sich die epische Handlung gerade entgegengesetzt.

Wenn das Drama den Gesichtspunkt für den einheitlichen Schicksalsverlauf, den es darstellt, so wählen muss, dass derselbe in einer enge begrenzten, nahe zusammenliegenden Gruppe von Veränderungen konzentriert ist, wo deshalb alles entscheidend und unmittelbar auf das Ziel gerichtet sein muss, so muss das Epos seinen Gesichtspunkt aus einer weit größeren Ferne nehmen, da ihm die Möglichkeit einer allseitigen und erschöpfenden Darstellung des gleichzeitig und gegenwärtig Geschehenden nicht gegeben ist, seine Mittel also für so konzentrierte Handlungen sich als zu schwach erweisen. Dafür gewährt ihm die Breite, zu der es sich ungehemmt entfalten kann, und die vollkommene Freiheit der Bewegung, die ihm die Erzählung gestattet, reichlichen Ersatz.

Nicht solche Handlungen also führt es vor, wo durch seltene Fügungen Alles so gestellt ist, dass durch unmittelbar notwendig erfolgende Entscheidungen nun vor unsern Augen der Schicksalsvollzug sich ereignen muss, sondern es erfasst einen in weiten Räumen anhebenden, mehr und mehr sich zusammenfügenden, endlich zum Abschluss gelangenden Schicksalsverlauf in seiner Einheit; solche Einheit und die von diesem Gesichtspunkt ganz anders bedingte Vollständigkeit ist der Gegenstand der epischen Nachahmung.

Es wird daher immer ein Missbegriff sein, sowohl eine dramatische Handlung episch erzählen als eine epische Katastrophe dramatisch gestalten zu wollen, weil die Grundbedingungen für beide wesentlich verschieden sind.

Im stärksten Gegensatz zum Drama zeigt also die epische Handlung vielmehr die allmähliche Genesis des Schicksals, wie aus Kleinem sich das Große, aus Unbedeutendem das Bedeutende, aus Unbeachtetem das verhängnisvoll Entscheidende sich gestaltet. Es kann aber gar nicht anders sein, als dass bei solchem Handlungsverlauf, selbst wenn nur das private Schicksal des Einzelnen ins Auge gefasst wird, durch die Erstreckung in die Weite und in die Breite allenthalben der organische, innige und notwendige Zusammenhang des Einzelnen mit dem Ganzen hervortritt, das Einzelschicksal nicht allein auf dem Hintergrunde des Schicksals der Gesamtheit erscheint, sondern in sich das Gesetz repräsentiert, dem auch jenes unterworfen ist, der Einzelne zum Typus seines Standes, seiner Nation wird, große Wandlungen, Lösung wichtiger Fragen und Konflikte, die die ganze Zeit angehen, in ihm sich vollziehen, ja, dass wohl gar die Einzelschicksale zu der Größe von Entscheidungen für ganze Völker und Epochen anwachsen.

Auch hier bleibt die Aufgabe, zu deren Lösung nun einmal die Nachahmung von Handlungen allein die Kraft hat und der sie sich daher niemals entziehen darf, unverändert: Schicksal und Charakter darzustellen derart, dass für den die Nachahmung in sich Aufnehmenden der Anlass zur Klärung, zur wohlgefälligen Befriedigung, zur Erhebung des Empfindens geboten wird, mit einem Wort, die Bedingung für die Betätigung der ästhetischen Freude. Aber wie anders sind die Mittel, mit denen die Nachahmung durch Erzählung nun auf diesen Zweck hinzuarbeiten die Möglichkeit und daher durch ihre technische Gesetzgebung die Verpflichtung hat!

Da die Aufgabe ist, nicht sowohl das sich vollziehende Schicksal zu zeigen als vielmehr vorzuführen, wie es wird, wie von langer Hand her sein Vollzug sich vorbereitet, so ist einerseits darzustellen, wie von früher Zeit an beginnend und von vielen Seiten her sich verflechtend die Ereignisse die drohende Verwickelung und, sei es die verhängnisvolle Katastrophe, sei es die erfreuliche günstige Lösung zuwege bringen; andererseits sind die den Charakter enthüllenden Taten hier nicht wie im Drama unmittelbar vor Augen zu führen, sondern es sind die Voraussetzungen für diese Charaktere und diese Taten darzulegen, die Empfindungs- und Gesinnungsweise der Handelnden ist zu schildern, wie sie nach ihrer Anlage und nach den Umständen, unter denen ihre Entwicklung stattfindet, sich herausbilden, nach allen Seiten unter dem Einfluss der verschiedenartigsten Anregungen sich äußern, so dass die tatsächliche Fortschreitung der nachgeahmten Handlung schließlich als das notwendige Ergebnis von alledem betrachtet werden muss.

Daher ist die Darstellung von Empfindungen und Gesinnungen der Handelnden, umgekehrt wie im Drama, für das Epos ein unbedingtes Erfordernis; außerdem ist es ebenso erforderlich, das Maß ihrer Einsicht, Klugheit, Besonnenheit wahrnehmbar zu machen; ihre Denkweise, Ansichten über alle in ihrem Lebenskreise bedeutsam in Betracht kommenden Dinge: neben dem Pathos und Ethos also die Dianoia. Hierzu hat die Erzählung vor allem das Mittel in jedem Augenblick beliebig weit nach rückwärts greifen zu können, unter Umständen auch ebenso in die Zukunft, ein Verfahren, von dem das Drama nur höchst eingeschränkten Gebrauch machen kann. Ferner steht der epischen Nachahmung die unbegrenzte Anwendung von Neben- und Zwischenhandlungen zu allen diesen Zwecken zu Gebote, die gleichfalls im Drama einzig und allein gestattet sind, sofern sie unmittelbar dem Fortschreiten der einen Haupthandlung dienen. Wenn die dramatische Handlung, einmal begonnen, unaufhaltsam zum Ziele eilt, so liebt das Epos die sogenannten retardierenden Momente: nicht auf schnellen Vollzug des Schicksals kommt es an, sondern auf größte Vollständigkeit in der Breite. Da nun der Einzelne immer in seinen Beziehungen zum Ganzen gezeigt wird, diese also von irgend einer Seite her mitwirkend in die Handlung eintreten, so ist im Epos der Prozess gleichsam des Wachsens und Reifens des Schicksals notwendig ein langsamerer, der reichere und kompliziertere Organismen erfordert, um bis in seine intimsten Verzweigungen wahrgenommen und aufgefasst zu werden, zahlreiche Momente scheinbaren Stillstandes der Fortschreitung, in denen die Pflanze umso mehr sich kräftigt, oder ohne Bild gesprochen, in denen umso tieferer Aufschluss über das Wesen und Walten des Schicksals und der dazu wirkenden Faktoren gewonnen wird.

Für alles dieses genügt es, um ein klassisches Beispiel vor Augen zu stellen, nur mit einem Wort der Odyssee zu erwähnen.

Die Handlung ist die Rückkehr des Odysseus zur Bestrafung der Freier: der weit überwiegende Teil des Gedichtes wird durch die für das vollständige Verständnis dieser Handlung erforderlichen Retrospektiven, Neben- und Zwischenhandlungen und unaufhörlichen Retardationen eingenommen. Diese Handlung ist deswegen eine für das Epos so ungemein günstige, der echte Typus episch dargestellten Schicksalswaltens, weil alle diese Arten von Retardationen in der Natur der Handelnden und ihrer Situationen mit Notwendigkeit gegeben sind: Irrfahrten und Mühsale, die den Helden bei seiner Rückkehr umhertreiben, Listen der Freier um diese selbst und die Bemühungen des Sohnes für dieselbe zu hintertreiben, die Treue der Gemahlin, die die Bewerbungen der Freier hinzuhalten bestrebt ist, die Klugheit des Helden, die alle Mühsale überwindet und den Vollzug der Rache bis zum rechten Moment verschiebt.

Ganz ebenso echt episch ist die Handlung der Ilias: der Zorn des Achilleus, der ihm selbst und den Griechen Verderben bringt, bis er durch den Tod des Patroklos seine Grenze findet. Der ganze Gang der Handlung ist durch dieses über ihre gesamte Dauer sich erstreckende Motiv Retardation; aber nicht etwa eine äußerliche, mechanische Verlangsamung, sondern eine aus der innersten Natur der Handlung sich entwickelnde Hemmung, die zur zwingenden Veranlassung wird, dass an dem daran geknüpften Schicksal des herrlichsten Helden sich Leben und Walten, Handeln und Schicksal der Fürsten und Völker entfaltet, in reichster Fülle und dennoch überall jener einen, einfachen Haupthandlung dienstbar.

So unentbehrlich ist dieses innere Hemmungsmoment für die epische Handlung, dass wo es organisch nicht vorhanden ist, es äußerlich geschaffen werden muss: derart sind die willkürlichen, äußerlich und mechanisch eingefügten Erfindungen, durch die in der Masse der romantischen Ritterepen die Helden von ihrem Ziele abgetrieben, entfernt gehalten werden, um sie durch eine beliebig breite und bunte Masse von Abenteuern umherzujagen. Auch hier zeigt sich wieder die überragende Stellung des Parzival und Tristan: die Findung des Gral ist ein solches organisches Hemmungsmotiv von hervorragender Vortrefflichkeit; diese im Geiste des ritterlich-kirchlichen Zeitalters erfundene Symbolisierung höchster psychologisch-ethischer Entwicklung erzeugt mit zwingender, überzeugender Kraft eine Reihe von Handlungen, die trotz ihrer scheinbar äußerlich-willkürlichen Verknüpfung durch eine organisch zusammenhängende Reihe innerer Hemmungen zum vollendenden Abschluss hindurchführen; so zwar, dass an diesem Lebensgange sich die bedeutsamsten Aufgaben und Strebungen der Epoche darstellen. Von wenigstens ähnlicher Kraft ist im Tristan der Kampf unbezwinglicher Liebesgewalt gegen alle das Leben beherrschenden und die Gesellschaft erhaltenden Gesetze der Sitte, der Treue und der Pflicht, wenngleich dem Dichter hier die Kraft zu dem unabwendbaren tragischen Abschluss versagte; ein Umstand, der keineswegs allein in der fragmentarischen Gestalt seines Gedichtes sich kundgibt, sondern, was weit schwerer wiegt, auch in der Anlage und Durchführung des Vorhandenen.

Aus alledem ergeben sich leicht die Gründe, warum eine episch angelegte Handlung der dramatischen Gestaltung widerstreben muss. Selbst wenn die Katastrophe sich in engere Kreise einschließt, oder wenn es gelingt ihre Fülle und Breite durch allerlei Kunstmittel zu überwinden, so muss im Drama doch alles weggelassen werden, um dessentwillen der eigentliche Körper des Epos vorhanden ist; es vermag nur eine Art belebter Schaustellung von Einzelmomenten zu geben, die, selbst wenn die Reihenfolge der Bilder noch so kunstreich verknüpft ist, der weit angelegten äußeren und inneren Motivierung, zu deren Abschluss sie einzig und allein bestimmt sind, immer entbehren werden. In den Nebenhandlungen können sich echt dramatische Stoffe finden; so deutet das Homerische Epos den Stoff zum Ajas wenigstens an (Odyssee: II, 543 ff.). Aber auch derartige, noch so günstige Stoffe sind untauglich, wenn sie mit der Katastrophe des Ganzen unauflöslich verbunden sind. An diesem Umstande muss jeder Versuch, den Charakter Rüdigers und sein tragisches Schicksal zum Mittelpunkt einer dramatischen Darstellung zu machen, scheitern; tragisch ist der Stoff im höchsten Grade, aber ebenso im höchsten Grade episch. Ebenso wie Siegfrieds Tod ist Rüdigers Untergang so unbedingt auf die Voraussetzungen des Ganzen des Nibelungenepos gestellt, dass der eine und der andere nicht ohne den Beginn, die Mitte und das Ende desselben vorgeführt werden kann; geschieht es dennoch, so geschieht es um den Preis, dass das wesentlichste Bedingnis, das für die künstlerische Nachahmung von Handlungen überhaupt vorhanden ist, die Vollständigkeit, geopfert wird. Durch alle derartigen Experimente, die aus dem Irrtum hervorgehen, das Tragische müsste immer zugleich auch dramatisch sein, geraten alle Dimensionen des Stoffes in eine solche Verschiebung und Disproportion, dass keine Kunst den inneren Widerspruch zwischen dem Wesen der Handlung und der ihr fremden Form aufzuheben imstande ist.

Nach so weitem Umwege kann nun die Untersuchung zu der Frage zurückkehren, von der sie ausging: Sind gute Handlungen mit glücklichem Ausgange für die poetische Nachahmung geeignet?

Mit anderen Worten lautet die Frage, da sie für das Epos ja entschieden ist: Steht dem Idyll eine analoge dramatische Gattung gegenüber? Was hat sie für eine Berechtigung, wie ist ihre Gesetzgebung beschaffen?

Dass auf diesem Gebiete große Unsicherheit herrscht, zeigt schon die übliche Namengebung. Was Trauerspiel oder Lustspiel ist oder sein will, gibt sich deutlich genug kund. Nun begegnet aber auf dem Gebiete zwischen beiden eine große und mannigfach verschiedene Zahl von Dramen, in denen bald die rührenden, bald die erheiternden Züge überwiegen, bald auch beide gleichberechtigt nebeneinander auftreten, oder auch wohl entweder beide vor dem wuchtigen Ernst des Ganzen zurücktreten oder zu Gunsten einer ganz freien, phantastischen Stimmung sich verflüchtigen, und für welche alle zum Unterschied von Tragödie und Komödie eine Reihe von Separatbezeichnungen sich eingebürgert haben. Da ist die Tragikomödie, das Schäferspiel, Hirtengedicht, Singspiel, die sogenannte larmoyante Komödie, das genre sérieux, das Schauspiel, das sogenannte dramatische Gedicht.

Das gemeinsame Kennzeichen aller dieser dramatischen Arten ist, dass sie entweder ganz ohne ein komisches Element oder doch ein solches nur beiläufig in sich aufnehmend, also entweder ganz ernster Natur oder doch vorwiegend auf eine wohlgefällige Wirkung angelegt, sämtlich einen glücklichen Ausgang haben, oder doch wenigstens keine von ihnen jemals einen perniziösen Verlauf nehmen kann.

Andrerseits aber sind sie sämtlich, insofern sie wirkliche Dramen, nicht etwa nur Gespräche sind, Nachahmungen von Handlungen durch Handelnde, sie haben also sämtlich einen Schicksalsverlauf, und zwar einen einheitlichen und vollständigen, darzustellen. Nach dem im Vorstehenden Entwickelten setzt sich derselbe aus der Wechselwirkung zwischen den stattfindenden Umständen und Ereignissen und den durch dieselben hervorgebrachten oder in dieselben eingreifenden Willensentscheidungen zusammen; Darstellung von Empfindungen und Gesinnungen, Ansichten und Meinungen ist nur insoweit gestattet, als sie zur Vollständigkeit des Handlungsverlaufs erfordert wird, darüber hinaus und um ihrer selbst willen unbedingt ausgeschlossen.

Für einen solchen Schicksalsverlauf sind zunächst zwei Hauptfälle zu unterscheiden: entweder derselbe stellt das Hereinbrechen eines schweren, drohenden Verderbens dar, dasselbe wird aber durch die Güte, Vortrefflichkeit, mit einem Worte die Richtigkeit der den Ausschlag gebenden Willensentscheidung der Haupthandelnden vermieden: der Ausgang ist glücklich. Der ganze Verlauf erregt die Furcht vor dem Eintreffen des drohenden, irreparablen Unheils, das Mitleid mit denen, die darunter leiden; der glückliche Ausgang befreit von diesen Empfindungen, nicht ohne dass zuvor ihre ganze Schwere empfunden ist. Dann fällt die Handlung und ihre ganze Einrichtung unter die Gesetzgebung der Tragödie, von der eine derartige Handlung einen ganz besonders komplizierten Fall mit ganz genau zu bestimmenden Kompositionsregeln bildet. Ein solcher Fall liegt in Goethes "Iphigenie" vor, welche von dem Dichter allerdings, offenbar eben wegen des glücklichen Ausganges, als "Schauspiel" bezeichnet worden ist.

Oder: die Handlung enthält die Darstellung schweren drohenden Verderbens überhaupt nicht, nimmt also auch den entsprechenden Ausgang.

Der erste Fall scheidet für die vorliegende Untersuchung ganz aus; denn entweder stellt er, richtig komponiert, eine echte Tragödie dar, oder, fehlerhaft eingerichtet, kann er nur als Anomalie in Betracht kommen. Eine solche Fehlerhaftigkeit würde überall da vorhanden sein, wo der Verlauf zwar schicksalsvoll, aber nicht typisch, gesetzmäßig wäre; wo also ein beängstigendes Geschick nicht den notwendigen Verlauf nähme, sondern durch Zufall oder Willkür abgewendet würde.

Der zweite Fall also umfasst alle hier möglichen Arten und ihre Abstufungen. Es wird zu vermuten sein, dass dieselben von den Grenzen des Trauerspiels bis zu denen des Lustspiels hinüberreichen.

Das Wesen der Gattung wird am besten erkannt werden, wenn man von dem zwischen beiden Grenzen liegenden Mittelpunkte ausgeht. Derselbe liegt da, wo die Fehler der Handelnden und die Komposition der Ereignisse weder schwere Befürchtungen und stark ergreifende Rührung hervorbringen, noch von der Seite des Kontrastes des Lächerlichen und Wohlgefälligen dargestellt sind, wo weder die tragische noch die komische Wirkung zum Ziel genommen ist, wo also, da die Herstellung der Bedingungen für das ästhetische Wohlgefallen der Zweck aller Kunstbestrebung ist, diese Bedingungen unmittelbar durch die nachgeahmte Handlung gegeben werden, direkt den ins Auge gefassten Nachahmungszweck bilden.

Das wäre also der Fall, für den in der epischen Gattung das Idyll eintritt.

Es ist aber auf den ersten Blick klar, dass, so vortrefflich sich die epischen Mittel für die Darstellung dieses Falles eignen, so schwer die dramatischen Mittel dafür passend gemacht werden können.

Im Drama müssen Ereignisse und Entschlüsse möglichst unmittelbar auf bedeutungsvolle Entscheidungen gestellt sein; je mehr es also seine Bestimmung erfüllt, desto mehr nähert es sich entweder der tragischen oder der komischen Wirkung, welche durch die idyllische Darstellung ausgeschlossen werden. Diese letztere wird vielmehr nichts so sehr vermeiden als jene prägnanten und akuten Entscheidungen; die Einrichtung der Handlung wird möglichst ausschließlich dem gewöhnlichen, erwarteten und natürlichen Verlauf der Dinge gemäß getroffen werden, und gerade dadurch, dass das ausgezeichnete Gleichmaß in den Charakteren der handelnden Personen, die hervorragende Güte, Gesundheit, Reinheit ihrer Empfindungen und Gesinnungen, die Richtigkeit ihres Denkens und Meinens die Handlung in diesem ruhigen Verlaufe erhält, wird das Idyll jene von ihm bezweckte Wirkung unmittelbaren reinen Wohlgefallens erreichen.

Alles, was zu solcher Darstellung erfordert wird, leistet das Epos. Nicht gegenwärtiger, schnell zur Entscheidung fortschreitender Handlungsverlauf, sondern weit angelegte, allmähliche, naturgemäße Entwicklung wird dem Idyll eigen sein; statt alles das auszuschließen, was nicht dem entschiedenen Fortschreiten der Handlung dienstbar ist, wird es mit Vorliebe gerade bei dem unscheinbaren Detail verweilen, aus dem die stille, aber am Ende dennoch das Ganze entscheidend bestimmende, Bedeutung des Alltäglichen, Stündlichen sich aufbaut; hier wird es mit breitest ausgeführter Kleinmalerei an ihrer Quelle die Empfindungen, Gesinnungen und Meinungen in möglichst vielseitigen Äußerungen zeigen, die keineswegs allein dem gegenwärtig sich vollziehenden Fortschritte der Handlung gelten, sondern zum mindestens ebenso großen Teile bestimmt sind durch sich selbst zu interessieren; alle Arten von Retardationen, Neben- und Zwischenhandlungen, vor allem das in heiterer Ungebundenheit sich absichtslos bewegende Gespräch sind die dafür bereiten Mittel.2

Aber wenn solche Charakterdarstellung und solche durch die inhaltliche Vortrefflichkeit des Vorgeführten an sich selbst die Billigung gewinnende, das Wohlgefallen erzeugende Darstellung von Empfindungen, Gesinnungen und Meinungen scheinbar schon außerhalb der Handlungsnachahmung steht, so bestehen in der Tat für die idyllische Dichtung gerade hier die strengsten Gesetze, deren Grenzen sie nicht überschreiten kann ohne ihr Wesen zu vernichten. Es gibt keine sicherere Unterscheidung zwischen dem echten Idyll und dem falschen als diese, dass das letztere sich in die bloße Malerei von Pathos, Ethos und Dianoia verliert, und dass die erzählte Handlung also nur als ein Notgerüst erscheint, auf welchem die bunte Pracht schöner Empfindungen, edler Gesinnungen und weiser Betrachtungen ausgehängt ist; während im echten Idyll über alles dieses das klare und ganz fest bestimmte Gesetz des Vollständigkeitsbegriffes der Handlung entscheidet. Die Vollständigkeit der idyllischen Handlung verlangt, wie aus dem Gesagten von selbst hervorgeht, dass aus der solcherweise entfalteten inneren Welt der Handelnden nicht sowohl sich alles das erklärt, was äußerlich geschieht, als namentlich auch — was vielleicht paradox klingt — was nicht geschieht: dass nämlich aus dem Maß, der Richtigkeit und Gesundheit des Denkens und Empfindens der Handelnden sich dem ästhetischen Urteil des Wahrnehmenden gewissermaßen durch den Augenschein erklärt, wie in ihren Schicksalen — so lange keine übermächtige fremde Gewalt von außen eingreift, und diese eben ist ja in der Handlung ausgeschlossen — notwendig das Beängstigende und Mitleiderregende ebenso fern bleiben muss als das Lachen erregende, und wie aus der inneren Harmonie naturgemäß das äußere erfreuliche Gedeihen sich entwickelt. Mit sanfter Gewalt durchdringt uns zugleich das wohlgefällige Gefühl höchster Befriedigung und die ohne Reflexion entstehende, aber nicht minder gewisse Überzeugung, dass dieselbe Trefflichkeit der Gesinnungen, die hier als Schöpferin und Erhalterin des Glückes sich kundtut, gegenüber dem hereinbrechenden Unglück sich als fest und dauernd bewähren würde.

Dadurch, dass die gesamte ethische Charakteristik also immer eng an das Ganze der Handlung geknüpft ist, wird das echte Idyll auch vor jenem andern schlimmen Fehler der falschen Idyllendichtung bewahrt, schlechthin Vollkommenes darzustellen; die kleinen Fehler und Schwächen der Handelnden und leichte Irrtümer in ihren Entscheidungen dienen, indem sie den heitern Ernst mit leisen Zügen des Rührenden und Komischen durchweben, zugleich zur Erhöhung der Naturwahrheit der Nachahmung und zur reizvollsten Abwechselung ihrer Wirkung.

Sofort zeigt sich nun, warum wohl das falsche Idyll sein dramatisches Abbild hat — denn was ist einfacher als einen dialogischen Austausch harmonischer Empfindungen, wie Geßners sogenannte Idyllen ihn darbieten, in notdürftige Handlung gesetzt auf die Bühne zu bringen! — wie aber das echte Idyll durch jedes einzelne seiner wesentlichen Erfordernisse den Mitteln der dramatischen Darstellung unerreichbar ist.3 Die eigentliche, tatsächlich fortschreitende Handlung des Idylls ist viel zu unbedeutend, oder sie besteht aus einer Reihe von für sich genommen viel zu unbedeutenden Momenten, als dass irgend eine Veranlassung vorhanden wäre, die bedeutungsvolle Nachahmung durch Handelnde für dieselbe erforderlich zu machen, oder dass dieselbe irgendwie gerechtfertigt wäre; denn eben die bedeutungsreichen und schicksalsvollen Entscheidungen, in denen solche Veranlassung und solcher Grund liegt, dürfen in der idyllischen Handlung niemals enthalten sein.4 Andererseits ist die Fülle der nach Zeit, Ort und Handlungsinteresse weithin nach allen Seiten zerstreuten Veränderungsmomente, die in der Erzählung durch die Forderung der inneren Vollständigkeit der Handlung ihre Vereinigung zum Ganzen finden, für die dramatischen Mittel absolut undarstellbar.

Es scheint demgemäß dasjenige in der dramatischen Nachahmung, was weder entschieden der Tragödie noch der Komödie zugehört, doch dem einen dieser beiden entgegengesetzten Pole zustreben zu müssen, so dass eine besondere dramatische Gattung zwischen den beiden mit eigener Gesetzgebung nicht vorhanden wäre, sondern es von jenen Polen aus nur gewissermaßen graduelle Abstufungen gäbe, die, je mehr sie nach der Mitte zu vorgerückt wären, desto mehr sich einander nähern müssten. Da hier durchgängig die äußere Handlung von weniger entscheidender Art ist, das tragische Element ebenso durch den Ausgang gemildert als das Komische durch den beigemischten Ernst herabgemindert erscheint, so werden die für jene Gradationen maßgebenden Faktoren vorzugsweise auf der Seite der inneren Handlung zu suchen sein, in der Beschaffenheit des dieselbe bestimmenden Ethos und des darin zur Erscheinung kommenden Maßes von Phronesis; und zwar wird das die Abstufungen bestimmende Moment vornehmlich in der Art und Weise und dem Maße der nach beiden Seiten im Handeln stattfindenden Fehlerhaftigkeit liegen.

Aus diesem Sachverhalt erklärt sich das Schwanken der Theorie auf diesem Gebiete; denn jene graduellen Abstufungen genügen einerseits um die Zugehörigkeit der hier in Frage kommenden Dramen zu einer der beiden Hauptgattungen prinzipiell auszuschließen, andererseits erzeugen sie, bei dem Mangel eigener, fester Gattungsbestimmungen, die Neigung jene Stücke der einen oder der anderen ihrem allgemeinen Charakter nach nun dennoch hinzuzurechnen.

Hier ist also eine genaue Abgrenzung erforderlich: es sind die Grenzen dieses mittleren Gebietes gegen die Tragödie sowohl als gegen die Komödie hin festzustellen und es ist weiter zu untersuchen, ob für das so umschriebene Gebiet ein bestimmtes gemeinsames Prinzip existiert, welches eine besondere, klar zu definierende Gattung konstituiert.

Diejenigen sogenannten "Schauspiele", die an die Tragödie zunächst angrenzen, werden nach den obigen Bestimmungen von der Art der ethischen Tragödie sein, d. h. solcher, wo das die Befürchtungen und mitleidigen Empfindungen erregende Schicksal zum überwiegenden Teile durch die Gesinnungsweise des Handelnden bestimmt wird, ohne dieselbe also eben gar kein tragisches Element in sich haben würde. Hier sind nun wieder zwei Hauptfälle zu unterscheiden: dass nämlich erstens die ethische Fehlerhaftigkeit des Handelnden ihre vollen Konsequenzen nach sich zieht, diese Konsequenzen aber an sich nicht verderblicher Natur sind, sondern für einen Andern zwar wohl unerwünscht, aber erträglich, für die Gesinnungsweise des Handelnden aber derart, dass sie sein persönliches Glück zerstören. Man sieht, hier liegt ein im strengen Sinne tragischer Fall nicht vor, aber der Fall nähert sich der wirklichen Tragödie so sehr, dass ihre Bedingungen für alle diejenigen, welche sich völlig in die Gesinnungsweise des Handelnden zu versetzen vermögen, allerdings erfüllt werden. Dieser Fall ist, als in einem klassischen Musterbeispiel, in Goethes "Tasso" vertreten.

Ähnlich liegt der Fall in Goethes "Götz", den der Dichter in der späteren Bearbeitung gleichfalls "ein Schauspiel" nennt. Das tragische Element des Stückes liegt in dem Widerstreit von Götzens Gesinnungs- und Denkweise gegen die Bedingungen seiner Zeit, worin Richtiges und Berechtigtes mit Unberechtigtem und Fehlerhaftem in nahezu gleichen Teilen vermischt ist, der aber die Wirkung hat, sein Leben zu einer ununterbrochenen Kette von Unglücksfällen und Misserfolgen zu gestalten. Wäre dieses Verhältnis in eine einzige entscheidende Handlung zusammengedrängt, die aus demselben ein verderbliches Schicksal hervorgehen ließe, so wie es z. B. unter im Übrigen gänzlich verschiedenen Umständen, aber mit ähnlichem Grundverhältnis zwischen dem Ethos des Handelnden und seinem Schicksal, in Shakespeares "Coriolan" geschieht, so läge der Stoff zu einer echten Tragödie vor. Das geschieht aber nicht; Götz von Berlichingen stirbt eines natürlichen Todes, freilich so, dass sein Lebensmut und seine Lebenshoffnung durch eine lange Reihe einzelner Widerwärtigkeiten, die ihm von überall her begegnen, gebrochen sind. Dass die Dichtung in den Nebenhandlungen von tragischem Stoff überfüllt ist, ändert an der Tatsache nichts, dass die tragische Dezision und Energie der Haupthandlung mangelt.

brigens macht dieser wichtige innere Mangel sich ebenso für den "Tasso" wie für den "Götz" in weiteren Konsequenzen geltend. Wenn auch im "Tasso" sowohl in betreff der Komposition der nun einmal erwählten Handlung als der Charakterdarstellung und der Form des Ausdrucks die höchste Meisterschaft waltet, so ist durch den Mangel der Energie, welche allein durch die echt tragische Einrichtung der Handlung verliehen wird, doch die volle Wirkung des Stückes auf einen verhältnismäßig engen Kreis von Wahrnehmenden eingeschränkt, auf die immerhin geringe Zahl derer, welche einmal überhaupt auf die Höhe der darin dargestellten exklusiven Denkweise sich zu erheben und ferner mit der so höchst subjektiven Empfindungsweise des Helden lebhaft mitzufühlen vermögen. Die Wirkung auf die Massen von der Bühne aus kann die Schönheit dieses Dramas niemals erreichen.

Diese Wirkungsfähigkeit fehlt der auf das Kräftigste bewegten Handlung des "Götz" nun zwar keineswegs, aber dafür entgeht ihr die Intensität der echten Tragik; diese der Haupthandlung unvertilgbar innewohnende Schwäche war es, die zur Belastung derselben mit zahlreichen tragischen Episoden führte, die jene Unzulänglichkeit anfänglich wohl verdecken konnten, ohne dass alle späteren Versuche veränderter Bühneneinrichtung ihr doch abzuhelfen imstande waren; durch denselben innerlich wirkenden Grund wurde der Handlung die Konzentration auf einen Punkt, die echt dramatische Einheit, entzogen und dieselbe in eine den Bühnengesetzen von Ort- und Zeitbeschränkung schlechterdings widersprechende Reihe von Einzelbildern auseinandergezogen.

Der zweite Fall des an die ethische Tragödie angrenzenden "Schauspiels" ist der, dass zwar ganz wie im ersten das Befürchtung erregende Element sich aus dem Ethos der handelnden Personen entwickelt, auch im Verlauf der Handlung die entsprechende Wirkung auf die Empfindung zur Geltung kommt, dass aber die Konsequenzen desselben durch den Verlauf der Handlung überhaupt vermieden werden.

Dabei muss notwendig unterschieden werden, ob diese Vermeidung eine durch die gesamte Einrichtung der Handlung gerechtfertigte ist, oder ob sie im Gegensatze zu den Forderungen derselben, also unberechtigt, willkürlich, gewaltsam herbeigeführt ist. Dieser letztere Fall ist es, der schon früher als eine Anomalie bezeichnet wurde, welche durch fehlerhafte Behandlung eines an sich tragischen Stoffes entstände.

Das hervorragendste Beispiel derart, in allem Übrigen ein Meisterstück, durch diese anomale Kompositionsweise aber von Grund aus verfehlt, ist Goethes "Stella", "ein Schauspiel für Liebende."

Alle Kunst der Ausführung des Einzelnen, Wahrheit und Kraft der Charakteristik, Glut der Leidenschaft, Geschick des szenischen Aufbaues, kann gegen die fehlerhafte Einrichtung der Handlung dieses Stückes nichts ausrichten; denn dieselbe besteht, wie gesagt, von Grund aus und konnte durch den ins Tragische veränderten Abschluss — eine Veränderung, die sich ja leicht bewirken ließ — keineswegs verbessert werden. Diese Umwandlung, die Goethe im Jahre 1805 vornahm und in der das Stück 1815, vierzig Jahre nach seinem Entstehen, aufs Neue erschien, machte aus einem fehlerhaften Schauspiel eine sehr fehlerhafte Tragödie; man fühlt sich versucht dem Urteil der Frau von Stein beizustimmen, die das Stück nicht gerade liebte, aber dessen erster Gestalt entschieden den Vorzug gab.

Goethe ließ sich zu dem tragischen Abschluss durch die schweren moralischen Bedenken bestimmen, die gegen die erste Fassung mit Recht erhoben waren; aber der Schluss hob nicht die Voraussetzungen auf, die von jenen Bedenken nicht weniger getroffen werden. Goethe hatte guten Grund des Stück "ein Schauspiel für Liebende" zu nennen, denn die drei Personen, unter denen es vor sich geht, handeln nicht nur einzig und allein aus dieser Leidenschaft, sondern alles, was wir von ihren früheren Handlungen, von ihrem gesamten Denken und Empfinden hören, ist durch die Alleinherrschaft derselben bestimmt, und zwar so, als ob diese Leidenschaft eine blinde Naturgewalt wäre, deren jeweiliger Einwirkung jede andere Rücksicht unbedingt zu weichen habe. Wohl kann die alles überwindende Macht der Liebe die bewegende Kraft einer tragischen Handlung sein; aber dann muss das spezifisch-tragische Element in die Schicksalsverhältnisse gelegt sein, die eben nicht anders überwunden werden können als durch die höchste Entfaltung dieser Gewalt. So ist es in Shakespeares "Romeo und Julie" geschehen. Aber in "Stella" ist nicht der Heroismus der Liebe gezeigt, der im Gefühl seiner inneren Berechtigung kühn den schwersten Hindernissen Trotz bietet, sondern törichte Überschwänglichkeit überspannter Empfindung: wenn die Heldin des Stückes um einer "Grille" des Mannes, den sie kaum erblickt hat, genug zu tun, einem nichtigen "Stolz", der es ihm reizend erscheinen lässt, "sein Mädchen heimlich als Beute für sich zu haben", alles hinter sich lässt, alle ihre Pflichten vergisst und sich aller Selbstachtung ohne Besinnen begibt. Dass sie damit in ihr Unglück rennt, ist jammervoll, aber keineswegs tragisch. Noch viel untragischer, auf dem Boden der Tragödie sogar höchst widerwärtig, ist Fernando, den die wechselnden Paroxysmen zweier Liebesleidenschaften, die bei ihm ganz an die Stelle des Willens getreten sind, ohne einander auszuschließen, bald auf die eine bald auf die andere Seite gezogen haben und vor unseren Augen fortfahren wie einen Spielball hin und her zu werfen. Seine haltlose Schwäche, mit der er Frau und Tochter im Stiche lässt, die Geliebte verdirbt und dann wieder sich bereit zeigt diese aufzugeben um jenen zu folgen, wirkt, statt tragisch zu ergreifen, empörend; poetisch, oder was dasselbe ist, ästhetisch erträglich wird sie nur unter einer Bedingung, und diese Bedingung verlangt, wie sich sogleich zeigen wird, gebieterisch den Ausgang des "Schauspiels" und schließt die tragische Wendung aus. Ganz eigentlich dem Schauspiel angehörig ist die dritte Person des Dramas, deren Rolle auch in der "Tragödie" vollständig unverändert geblieben ist: Cäcilie. Auch bei ihr ist die einzige bestimmende Empfindung die Liebe, aber eine Liebe, die von aller Selbstsucht frei auf Versöhnung im weitesten Umfange bestrebt ist, bereit, nicht nur das eigene, durch den Ehebund geheiligte Recht aufzugeben, um das Glück des Gatten und seiner Geliebten zu retten, sondern die Heiligkeit des Ehebundes selbst. Ihre wohlmeinende gutmütige Toleranz stellt sich das ideale Glück einer Familie vor, die aus ihr selbst und ihrer erwachsenen Tochter, dem Gatten und Vater und dessen also notwendig illegitim mit ihm verbundener zweiter Frau besteht: ein freundliches, alles angestiftete Unheil ausgleichendes Kompromiss, welches allein denkbar ist auf der allerdings durch das ganze Stück bei allen Beteiligten sich als gleichmäßig vorhanden erweisenden Grundlage, dass sie sämtlich den leidenschaftlichen Liebesaffekt als über allen Lebensgesetzen stehende, berechtigt regierende Naturgewalt anerkennen. Mit diesem Kompromiss schließt das "Schauspiel für Liebende" ab, während in der "Tragödie" ein solches alle Teile zufriedenstellendes Arrangement nur deswegen nicht zustande kommt, weil Stella in voreiliger Verzweiflung, ehe sie von diesem rettenden Auswege verständigt ist, ihrem Leben ein Ende gemacht hat. Nach ihrem ganzen Naturell musste sie darauf eingehen, wenn sie nur rechtzeitig davon erfuhr; auch nach dieser Seite ist also die erste Fassung die konsequente, die spätere eine gekünstelte und nach jeder Richtung hin unbefriedigende: denn nun hat Stella sich ohne Not geopfert, Fernando, zum vierten oder fünften Male inkonsequent, überlässt abermals Weib und Kind einem ungewissen Schicksal, und Cäcilie ist trotz all ihrer weitherzigsten Gutmütigkeit durch einen fatalen Zufall abermals vor die Türe gesetzt.

Der Strenge der tragischen Schicksalsforderungen und -Bedingungen ist durchweg arg widersprochen; deswegen ist die Wirkung der "Tragödie" Stella auch eine überwiegend peinliche.

Die einzige Bedingung, unter der das Drama mit den Schönheiten, die es enthält, zu seiner Geltung gelangt, ist, dass es von dem Standpunkt aus betrachtet wird, von welchem aus es empfunden und gedichtet wurde, der allerdings nicht der absolute, ästhetisch normale, künstlerisch berechtigte ist, sondern ein relativer, wenn man will, pathologischer. Die Dichtung ist ein Niederschlag der Anschauungsweise, die, der Sturm- und Drangzeit überhaupt charakteristisch angehörig, um die Zeit, als "Stella" entstand, auf ihrem Höhepunkte war: dass die starke Leidenschaft das Beste sei, was der Mensch in sich habe, dass ihrer heiligen Stimme zu folgen ein Gebot der Natur sei, dass Sitte, Gesetz, staatliche und gesellschaftliche Institutionen und Gewohnheiten, wo sie ihr widersprächen, im Unrecht wären. Aus diesen Gefühlen und Gesinnungen handeln alle Personen der "Stella". Der große Vorzug nun und das "Goethesche" des Gedichtes ist, dass dieses Gefühl und diese Gesinnung überall mit der Wahrheit und Reinheit, dem Feuer und dem Seelenadel sich darstellen, die unter allen ihm allein eigen waren. Pathologisch blieb der Standpunkt, den er mit seiner Zeit damals teilte, nichtsdestoweniger; denn wie der Dichter selbst, bei aller Frische und Fülle der Empfindung, nach den verschiedensten Seiten gleichzeitig und bald hierhin bald dorthin seine leidenschaftliche Neigung wandte, so gründete er die Handlung dieses Dramas auf die willkürliche und unwahre Voraussetzung, dass die unbedingte Hingabe an die Leidenschaft, wenn diese nur wahr empfunden sei, von der Fülle und dem echten Adel der Seelenkräfte Zeugnis gebe. Allein aus dieser leidenschaftlich-sentimentalen Anschauungsweise der Epoche der siebziger Jahre ist die "Stella" verständlich und erträglich.

Nun aber erwäge man, dass hier nicht etwa wie später in "Kabale und Liebe" das Naturrecht der Leidenschaft gegen unerbittlichen Zwang in Kontrast gesetzt ist; in den äußeren Umständen liegt nichts, was die Seelen hindert sich ganz dem Gefühle hinzugeben, vielmehr ist mit fleißigem Bedacht alles darauf eingerichtet, dem freiesten Zuge des Herzens die Wege zu ebnen: und die Überzeugung ergibt sich, dass nur ein späteres, dem Zug und Gange des Stückes ganz fremdes Zugeständnis des Dichters an Forderungen der Sittlichkeit die Umwandlung ins Tragische herbeiführen konnte, während die ursprüngliche glückliche Lösung mit innerer Notwendigkeit durch die eigentümlichen Voraussetzungen, nach denen die handelnden Personen denken und fühlen, bedingt ist.

Das für die vorliegende Frage wichtige Ergebnis ist also dieses, dass der das Stück beherrschende Darstellungszweck, der seine Entstehung veranlasste, nicht die Vorführung des großen unerbittlichen Schicksalsgesetzes ist, sondern die Nachahmung einer Handlung, in der die triumphierende Macht der Liebesleidenschaft offenbar werden sollte, das sympathetische "Neigen von Herzen zu Herzen", in dem trotz aller ihm eigenen Schmerzen doch die Freuden überwiegen, das in seiner unendlichen Fülle die Kraft zeigen sollte die selbstgeschaffenen Leiden zu überwinden. Es ist keine treffendere Erklärung des Stückes denkbar, als die der Dichter selbst in der zweiten Hälfte der Strophe gegeben hat, die er 1776 in das für Lili bestimmte Exemplar schrieb:


Empfinde hier, wie mit allmecht'gem Triebe

Ein Herz das andre zieht,

Und dass vergebens Liebe

Vor Liebe flieht!


Das Schicksalswalten, das zum Bewusstsein und zur Empfindung zu bringen die eigentliche Aufgabe der Tragödie ist, wird mit seinem furchtbaren Ernste ferngehalten; an seiner Stelle bemächtigt ein jugendlich trunkenes Gefühl sich der Herrschaft über den Schauplatz: sich selbst in seiner angemaßten Berechtigung darzustellen greift es zu dem Mittel der dramatischen Nachahmung. Diesen Zweck, mag er immerhin seinem Inhalte nach ein verfehlter sein, erfüllt das "Schauspiel" Stella, die "Tragödie" vernichtet ihn, und ohne den Fehler zu korrigieren, erschafft der tragische Abschluss nur einen unerfreulichen Zwiespalt: der sittliche Ernst, der ihn diktiert, steht in einem Widerspruche zu dem inneren Leben des ganzen Stückes, der nicht allein dessen Ablauf verändert, sondern es seiner gesamten Anlage nach aufhebt.

Demgemäß ergeben sich aus dieser ganzen Abschweifung die folgenden Resultate:

Durch die gänzliche Vermeidung der tragischen Schicksalskonsequenz, also durch den rein glücklichen Ausgang, wird in allen Fällen die Gesetzgebung, Einrichtung und der Wirkungszweck der Tragödie aufgehoben, die dramatische Nachahmung also auf einen ganz veränderten Boden gestellt, außer in einem einzigen Falle.

Dieser eine Fall ist der schon von Aristoteles festgestellte, dass durch ein drohendes furchtbares Verderben im Verlaufe der Handlung alle Bedingungen der Tragödie erfüllt werden, die Furcht und Mitleid erregende Schicksalsverwickelung aber auf einer Verkennung beruht, welche durch rechtzeitige Erkennung also gelöst wird. Es ist der schon erwähnte Fall der "Iphigenie"; er findet seine nähere Erörterung in dem Abschnitte von der Tragödie, von der er eine besondere Art, nach des Aristoteles Meinung sogar die vollkommenste bildet.

In allen andern Fällen wird durch den glücklichen Ausgang trotz des etwa vorhandenen scheinbar tragischen Ernstes der Handlung eine von der Tragödie auf das Strengste geschiedene Gattung bedingt, die also nach dem Obigen in ihrem Wesen nach dem Lustspiele zu gravitieren wird.

Es gilt das Wesen dieser Gattung zu erkennen; dasselbe stellt sich in dem Zwecke der Handlungsnachahmung dar; aus dem Zwecke der dramatischen Nachahmung ist in allen Stücken die Gesetzgebung derselben zu bestimmen.


Fußnoten:


1 Diese einfache Bestimmung enthält den Schlüssel nicht allein für das Verständnis einer Anzahl schwieriger Stellen bei Aristoteles, sondern geradezu der wesentlichsten Eigentümlichkeit seiner Kunstanschauung: damit zugleich aber wird sie geeignet in der dunkeln und viel umstrittenen Frage nach dem Wesen des Schönen und seiner Wirkung, ob dieselbe ästhetisch-hedonisch oder ethisch sei, auf das Vergnügen oder auf sittliche Erhebung, Läuterung, Besserung abzielend, die wünschenswerteste Ordnung und Klarheit zu schaffen. In der Nikomachischen Ethik des Aristoteles findet sich der, scheinbar unsern begründetsten Vorstellungen diametral zuwider laufende Satz, dass die Behauptung, die Aufgabe der Kunst bestünde keineswegs darin, Freude hervorzubringen, in der Tat richtig sei (cf. 1153a: τὸ δὲ τέχνης μὴ εἶναι ἔργον ἡδονὴν μηδεμίαν εὐλόγως συμβέβηκεν). Die Begründung dieses Satzes liegt in der aristotelischen Definition der "Freude" (Hedone): dass sie nämlich ohne eine Betätigung, eine Energie, nicht zu denken sei, sondern immer nur als Begleiterscheinung einer solchen auftrete, und zwar mit der Vollendung der Energie, d. h. der vollendetsten gegenüber dem vollendetsten Gegenstande, sich notwendig einstelle (vgl. oben S. 149, 150). Er definiert sie daher kurzweg als die "Vollendung der Energie" (τελείωσις τῆς ἐνεργείας). Es ist also eine höchst scharfsinnige und sehr wesentliche Unterscheidung, dass der Zweck des Kunstwerkes, aus dem allein die Gesetzgebung für dasselbe abgeleitet werden kann, keineswegs in die Erregung der Freude zu setzen sei, sondern dass seine Aufgabe ganz allein darin bestehen könne, die Bedingungen dafür in sich zu vereinigen, die Möglichkeit und Veranlassung dazu zu gewähren, dass bei dem Empfangenden eine Energie wachgerufen werde, welche sodann erst, und zwar sofern sie eine vollendete ist, die Freude naturgemäß und notwendig mit sich bringt. Freude findet bei jeder Art einer so beschaffenen Betätigung statt; diejenige Art der Energie, für welche das Kunstwerk den Anlass schafft, ist die ästhetische, die Betätigung der durch die Wahrnehmung erweckten Empfindung. (Aristoteles drückt das kurzgefasst so aus: οὐδὲ γὰρ ἄλλης ἐνεργείας οὐδεμιᾶς τέχνη ἐστὶν, ἀλλὰ τῆς δυνάμεως.) Das Kunstwerk muss also diejenige Beschaffenheit haben, welche der Energie der Ästhesis ein in vorzüglicher Weise für ihre Betätigung geeignetes Objekt in solcher Form vorführt, dass diese Betätigung auch in der vollendetsten Art erfolgen kann. Ob dieselbe aber erfolgt, ist eine Frage, durch welche die Gesetzgebung des Kunstwerks durchaus nicht berührt wird: sein ἔργον, seine Aufgabe, ist lediglich, die Möglichkeit einer solchen zu bereiten: τὴν δύναμιν. Seine Wirkungen sind völlig objektiv, die Freude ist eine subjektive Erscheinung, deren Entstehung davon abhängt, ob der Empfangende (πεισόμενος) das Seinige dazu tut, jene Kraft, welche die Möglichkeit dazu gewährt (eben die im Kunstwerk vorhandene δύναμις), in sich zur vollen Geltung gelangen zu lassen. Ist dieses aber richtig, so kann weder die Definition der tragischen Kunst noch die irgendeiner anderen auf den Begriff des durch dieselbe hervorgebrachten "Vergnügens" basiert werden, sondern lediglich auf die für jede Gattung und Art der Kunst gesondert zu bestimmende Wirkungskraft, welche dem einzelnen Kunstwerke gegenüber der Wahrnehmungs- und Empfindungsenergie zu erteilen ist. War aber der Begriff der Hedone, des "Vergnügens", aus der Definition der Kunst auszuschließen, so konnte auch der Begriff der Schönheit in ihr keine Stelle finden: denn nach Aristoteles ist "das Schöne das Gute, sofern es eben als Gutes Freude erweckt" (cf. Rhet. I. c. 9: καλὸν μὲν οὖν ἐστὶν ... \̔ο \̓αν ἀγαθὸν \̓ον ἡδὺ ᾖ, ὅτι ἀγαθόν). Auf das Glücklichste ist in dieser Definition des Schönen die absolute Natur desselben bezeichnet, während zugleich durch dieselbe gegeben ist, dass in den einzelnen wirklichen Fällen die Frage, ob es nun auch als Schönes erscheine, durch die Beschaffenheit des empfangenden Subjektes, also einen nach Zeit, Nationen, Individuen variablen Faktor, entschieden wird. (Vgl. über diesen Gegenstand das Nähere in der Schrift des Verfassers: "Aristoteles, Lessing und Goethe." Leipzig 1877. S. 66 ff. u. 71 ff.)

2 Das alles trifft in Goethes "Hermann und Dorothea" im vollen Umfange zu, obwohl die tatsächlich fortschreitende Handlung darin sich innerhalb weniger Stunden abspielt. Insofern wäre die Handlung dieses Idylls für die dramatische Bearbeitung so geeignet, wie die keines andern. Aber es gibt auch keines, das die Absurdität eines solchen Gedankens mit derselben Evidenz hervortreten ließe.

3 Es könnte eingewendet werden, dass in Goethes "Geschwistern" ein solches idyllisches Drama dennoch vorläge; der Nachweis des Gegenteiles wird weiter unten geführt werden.

4 Ein solches bedeutungsschweres Ereignis ist in den "Geschwistern" die Erkennung, auf welche die ganze Handlung gebaut ist. Alle beteiligten Personen sind durch die hochgradige leidenschaftliche Spannung, in welcher die Handlung sie vorführt, auf die schmale Grenze gestellt, dass diese Erkennung über ihr Lebensschicksal entscheidet.

Handbuch der Poetik, Band 2

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