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Kapitel 1: Bürgerstiftungen: Es ist nur der Beginn

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Inhalt:

Bürgerstiftungen: Es ist nur der Beginn

Bußgeld-Fundraising – ein Millionen-Deal

Dachstiftung: Willkommen im Netzwerk Filmstiftungen – Zersplitterung und Ettiketenschwindel

Fundraising-Portale: Spenden, ohne selbst zu zahlen

Ostdeutsche Stiftungen: Biotope statt blühender Landschaften

Social Media mit Facebook, Twitter & Co: Nah dran am Puls

Sozial-Unternehmen – auch hier muss die Kasse stimmen

Transparenz wird im dritten Sektor immer wichtiger

Wirtschaftliche Betätigung von Stiftungen – Grenzen ausloten




Bürgerstiftungen: Es ist nur der Beginn

Bürgerstiftungen bieten in Deutschland seit anderthalb Jahrzehnten stifterisches Engagement für jedermann: Sie sind noch jung in Deutschland, doch sie haben schon viele bewegt. Der Virus Bürgerstiftung greift allmählich um sich – auch hierzulande. Und viele sind schon infiziert. Denn: Bürgerstiftungen sind die Stiftungsform der Zukunft.

Cleveland hat den Ruf, ein sehr kalter Ort im Winter zu sein. Das hat den Banker und Rechtsanwalt Frederick H. Goff nicht davon abgehalten, eine revolutionäre Idee zu entwickeln: Er plante, die gemeinnützigen Ressourcen von Philanthropen in Cleveland zu poolen, um einen großen Fonds für die Bürger der Stadt zu gründen. So entstand anno 1914 am 2. Januar, einem kalten Wintertag, die erste Community Foundation – das Vorbild der deutschen Bürgerstiftungen.

Knapp einhundert Jahre später befeuert die Vision eines Einzelnen eine weltumspannende Bewegung in 37 Ländern der Erde. Die Cleveland Foundation – die Keimzelle der Bewegung - verfügt mittlerweile über 1,8 Mrd. USD. Über 700 weitere Community Foundations wurden inzwischen in den USA gegründet – mit Vermögen von insgesamt mehr als 40 Mrd. und jährlichen Ausschüttungen von mehr als 2 Mrd. USD. Sie sind zu wichtigen Akteuren im öffentlichen Leben der Amerikaner geworden.

Spät dran

Das haben die Bürgerstiftungen in Deutschland noch vor sich. Spät, aber immerhin schwappte die Bewegung über den Atlantik nach Deutschland. Hier bewegte die Vision von Frederick H. Goff in den 1990er Jahren zwei weit blickende Männer: Reinhard Mohn, polarisierender Eigentümer der Bertelsmann Verlagsgruppe, gründete im Dezember 1996 mit einer einer Mio. EUR die Stadt Stiftung Gütersloh. So brachte er die Idee der Community Foundation nach Deutschland. Allerdings gilt die mittlerweile in Bürgerstiftung Gütersloh unbenannte Organisation in der Stiftungswelt nicht als eine Initiative, die aus der Mitte der Bürgergesellschaft entstanden ist. Der zweite Visionär engagierte sich in Hannover – und das derart, dass dies als das Vorbild für Bürgerstiftungen angesehen wird. „Die Initiative zur Stiftungsgründung der Bürgerstiftung Hannover ging von Prof. Dr. Christian Pfeiffer aus, der sich bei seiner Kriminologie-Forschung für die Präventions-Projekte amerikanischer Community Foundations hatte begeistern lassen“, informiert Vorstandssprecherin Dorothea Jäger. „So beschloss er, für Hannover eine Bürgerstiftung zu gründen und begann mit der Werbung um Stifter im eigenen Freundes- und Nachbarschaftskreis. Zeitungs-Interviews folgten und die Schar der Stiftungswilligen wuchs.“ Da mit vielen kleineren Beträgen das Mindestkapital aufgebaut wurde, gingen zunächst einige Monate ins Land. Im Dezember 1997 war es dann so weit – die erste Bürgerstiftung in Deutschland wurde von der Stiftungsaufsicht genehmigt – durch Initiative und Geldspenden vieler Engagierter.

Seitdem besinnen sich immer mehr Deutsche auf ihre Eigenverantwortung und setzen sich aktiv für gemeinnützige Belange in ihrer näheren Umgebung ein. Schließlich ermöglicht es eine Bürgerstiftung jedem - auch mit kleinen Geldbeträgen - Stifter zu werden und so einen dauerhaften Beitrag für seine Stadt zu leisten. Die Bürger sind unabhängig, direkt dran an und unmittelbar betroffen von den aktuellen Themen und Notwendigkeiten der Gesellschaft. Deswegen ist eine Bürgerstiftung wie kaum eine andere Institution in der Lage, die Lebensqualität in der eigenen Stadt oder der näheren Umgebung zu erhöhen. „Die Überzeugung, etwas Sinnvolles voranzubringen, treibt die Menschen an“, glaubt Dorothea Jäger. Sobald man selber als Stifter - auch als Zeit-Stifter - investiert hat, besteht bei vielen der Wunsch, den Gemeinschaftsgedanken für den guten Zweck voranzubringen.“

Stand 2012: 300 Bürgerstiftungen

In Deutschland gibt es derzeit rund 300 Bürgerstiftungen, von denen 225 ein Gütesiegel tragen, das vom Arbeitskreis Bürgerstiftungen des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen verliehen wird. Schon im Mai 2000 verabschiedete der Arbeitskreis auf der 56. Jahrestagung des Bundesverbandes die „10 Merkmale einer Bürgerstiftung“. Hintergrund war, diesen eigentlich ungeschützten Begriff zu definieren. Seit 2003 verhilft das Gütesiegel, echte Bürgerstiftungen von denen zu unterscheiden, die zwar als Gemeinschaftsstiftungen die Bezeichnung führen, aber einen hybriden Hintergrund haben. Zentrale Merkmale einer Bürgerstiftung von Bürgern für Bürger sind danach ihre Gemeinnützig- und Unabhängigkeit, die breite Zwecksetzung, für die sie fördernd und operativ tätig ist, das geographisch begrenzte Tätigkeitsgebiet und ein langfristiger kontinuierlicher Vermögensaufbau durch Zustiftungen. Das Gütesiegel bekommen Bürgerstiftungen vom Arbeitskreis verliehen, deren Satzungen besagte zehn Merkmale erfüllen. Die Prüfung der Satzung einer Bürgerstiftung und die Entscheidung über die Vergabe des Gütesiegels erfolgt durch eine unabhängige Jury aus erfahrenen Bürgerstiftern und Bürgerstiftungsexperten. Das Gütesiegel ist zeitlich auf zwei Jahre befristet und wird immer am 1. Oktober übergeben – dem Tag der Bürgerstiftungen. Mittlerweile hat das Gütesiegel einen solchen Status erreicht, dass bei der Errichtung der meisten Bürgerstiftungen die Kriterien des Arbeitskreises als Richtlinie herangezogen werden.

Bewegende Geld- und Zeit-Spenden

Als eine weitere Autorität zum Thema Bürgerstiftungen gilt das unabhängige Kompetenzzentrum „Initiative Bürgerstiftungen“. Das Projekt des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen wird gefördert von der Robert Bosch Stiftung, der Breuninger Stiftung, der Körber-Stiftung, Generali Deutschland, der Dr. Jürgen Rembold-Stiftung für bürgerschaftliches Engagement sowie vom Bundesfamilienministerium. Eine Umfrage der Initiative vom März 2011 ergab enorme Potenziale: Die 225 Gütesiegel-Bürgerstiftungen hatten 2010 zusammen ein Stiftungskapital von 180 Mio. EUR, darunter 35 „Millionäre“, und schütteten 11,6 Mio. EUR für gemeinnützige Zwecke aus. Ein besonderes Highlight und ein Kompliment an die Bewegung der Bürgerstiftungen allgemein war sicher im Juli 2010 die anonyme Zustiftung an die BürgerStiftung Hamburg in Höhe von 15 Mio. EUR. Bürgerstiftungen werden getragen von 17.000 Bürgerstiftern, die 450.000 Stunden ehrenamtlicher Arbeit leisteten. Und das Beste daran: Alle genannten Zahlen erfahren eine jährliche Steigerung von 10 bis 20%. So kann es weiter gehen.

Denn Bürgerstiftungen repräsentieren die Breite des möglichen Engagements. Da gibt es beispielsweise die „Stiftung - Bürger für Warendorf“ im Münsterland, die 103 engagierte Stifter im Herbst 2010 mit einem Stiftungskapital von 135.600 EUR gründeten. Ende 2011 konnte man stolz die erste finanzielle Unterstützung vermelden – ein Generationentreff erhielt eine Projektförderung in Höhe von 500 EUR. Dagegen liest sich die Liste der Gründer der Bürgerstiftung Berlin wie ein „Who is Who“ des öffentlichen Lebens der 1990er Jahre – mit solchen Namen wie dem Unternehmer und Manager Heinz Dürr, der CDU-Politikerin Hanna-Renate Laurien, dem ehemaligen Berliner Bürgermeister Klaus Schütz (SPD) oder Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker. Sie fühlten sich 1998 von einem Vortrag von Professor Pfeiffer aufgefordert. Seit 1999 fokussiert sich die Bürgerstiftung in der Hauptstadt, die ein Stiftungskapital von fast 500.000 EUR aufweisen kann, auf Kinder und Jugendliche. Und das mit Kreativität, erhielt doch die Bürgerstiftung im Mai dieses Jahres mit ihrem Projekt „Zweisprachiges Bilderbuchkino“ die Auszeichnung als einer der „365 Orte im Land der Ideen“. Geschäftsführerin Helena Stadler: „Wir beginnen mit dem Wichtigsten, denn Kinder und Jugendliche sind die Zukunft unserer Stadt.“ Und dafür leistet die Bürgerstiftung Berlin mit 300 ehrenamtlichen Physik-, Lese- und Umweltpaten 30.000 Stunden zusätzliche Bildungsarbeit in Berlins sozialen Brennpunkten.

Ziel: Kraftzentrum der Zivilgesellschaft

Auch der Aktionstag der Bürgerstiftungen, der am 14. Juni zum vierten Mal stattfand, zeugt von einer dynamischen Bewegung mit großer Vielfalt. Thematischer Schwerpunkt war diesmal der Einsatz für Kinder und Jugendliche. So setzte die Bürgerstiftung Hamburg mit ihrem Projekt „Step by step“ ganze Schulklassen in Bewegung. Die Bürgerstiftung Nürnberg gewährte Schülern ab der fünften Klasse Einblicke ins Berufsleben und die Bürgerstiftung Melsungen (Nordhessen) sorgte dafür, dass Schulkinder in den Ferien interessante Erfahrungen machen. Seinesgleichen sucht auch die Radtour „Bürger bewegen“ von Christian Pfeiffer, der im Mai und Juni 1.400 Kilometer durch Deutschland radelte, um für die Idee der Bürgerstiftung zu werben und dabei 38 Bürgerstiftungen besuchte. Sein Resumé: „Die Bürgerstifterinnen und -stifter spüren die Kraft der Nachhaltigkeit. Sie wissen: Wir machen es mit unserem Geld. Wir sind nicht abhängig von der Kommune oder sonstigen Geldgebern. Wir haben unser Geld und erwirtschaften damit Erträge.“ Pfeiffer beobachtete weiter: „Hinzu kommt, dass die Zeit- und Ideenreichen mit einsteigen. Diese Kombination gibt den Bürgerstiftungen ein besonderes Selbstbewusstsein; nämlich stark zu sein und stärker zu werden.“ Und dann hat er noch einen Wunsch frei: „Mein Wunsch ist zu erleben, dass es in Deutschland 1.000 Bürgerstiftungen gibt, mit einem Kapital von mindestens einer Milliarde Euro. Das Ziel muss sein, dass bundesweit überall die Bürgerstiftungen das Kraftzentrum der Zivilgesellschaft werden. Und das wird kommen.“

„Gemeinsam Zukunft stiften, gemeinsam Gutes tun, zum Stiften anstiften.“ Dorothea Jäger beschreibt das Selbstverständnis der Bürgerstiftung Hannover, die sich im Laufe der Jahre zu einem Dienstleister für Stifter mit einem besonderen Service weiterentwickelt hat. „Die Vorreiterrolle hatten wir anfangs unweigerlich inne, da wir ja mit zu den ersten Initiativen zählten. Aber jede Bürgerstiftung hat ein anderes Herangehen und stellt sich unterschiedlich auf. Von den Stärken anderer Bürgerstiftungen lernen, hat uns alle weitergebracht.“ Doch auch sie hat noch einen Wunsch: „Unser Bemühen der ehrenamtlichen Arbeit der Vorstände auch eine professionelle Geschäftsstelle zur Seite zu stellen, war und ist immer noch ein lohnender Kraftakt.“

Neu: Stifter-Ehrung – auch für Bürgerstifter

Eine weitere Aufwertung erfährt die Bürgerstiftungs-Bewegung im Herbst: „Am 1. Oktober werden im Bundestag zehn Persönlichkeiten des Stiftungswesens ausgezeichnet, die sich für die Idee der Bürgerstiftungen und die einzelnen Institutionen selbst in Deutschland hervorragend eingesetzt haben“, informiert Axel Halling von der Initiative Bürgerstiftungen. „Bürgerstiftungen sind“, so Ex-Bundespräsident Horst Köhler treffend, „gelebter Bürgersinn. Ich freue mich darüber, dass sie als soziale Innovation immer mehr Nachahmer finden. Sie sind Ausdruck einer reifen, demokratischen Gesellschaft. Und ein Beispiel dafür, dass Menschen sich umeinander kümmern und solidarisch zusammenhalten.“ Doch als dies ist – so formuliert es die Cleveland Foundation – nur der Beginn.

Stiftungen - Herausforderungen in Gegenwart und Zukunft

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