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Kapitel 2: Bußgeld-Fundraising - ein Millionen-Deal
ОглавлениеBußgeld-Fundraising – ein Millionen-Deal
In vielen professionellen Fundraising-Konzepten von Stiftungen und gemeinnützigen Organisationen sind sie zu finden: Einnahmen aus Bußgeldern und Geldauflagen. Doch manche Einrichtungen haben bei der recht willkürlichen Zuweisungspraxis „naturgemäß“ die Nase vorn. Was die mühsame Arbeit wirklich bringt. Die technische Infrastruktur des Gerichts war dem Ansturm zeitweise nicht mehr gewachsen. Der Server fiel aus, auch die Telefonzentrale war vorübergehend überlastet.
Der Mannesmann-Prozess 2004 bis 2006 war ein Aufsehen erregendes Wirtschaftsverfahren vor dem Landgericht Düsseldorf. Es ging um Prämienzahlungen bei der Übernahme von Mannesmann durch Vodafone. Die Höhe der gezahlten Prämien, die Prominenz einiger Angeklagter – beispielsweise Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, Ex-Mannesmann-Chef Klaus Esser oder Ex-IG-Metall-Chef Klaus Zwickel – verschafften dem Prozess große Aufmerksamkeit in Medien und Öffentlichkeit. In die Knie gezwungen wurde die Technik allerdings durch die Höhe der Geldauflage, die die Angeklagten für die Einstellung des Gerichtsverfahrens zahlten: 5,8 Mio. EUR. Davon wollten mehr als 4.000 Organisationen etwas abhaben. Schlussendlich entschieden sich die Richter Anfang Februar 2007 für 363 wohltätige Einrichtungen. Presseberichten zufolge gingen Beträge in vier- bis fünfstelliger Höhe unter anderem an Organisationen im Bereich Kinderschutz, Seenotrettung und Entwicklungshilfe. 60% der Auflagen flossen zudem in die Staatskasse. Auf Einnahmen aus Geldstrafen brauchen Stiftungen dagegen nicht zu hoffen. Diese finden stets ihren Weg in die Staatskasse. Relevant für gemeinnützige Organisationen sind deswegen allein Bußgelder und Geldauflagen.
- Bußgelder werden für Ordnungswidrigkeiten verhängt. Hierzu zählen z.B. Falschparken, Geschwindigkeitsübertretungen oder der Verstoß gegen Meldepflichten. Wenn ein Gericht eine Freiheitsstrafe zur Bewährung aussetzt, kann es dem Verurteilten nach § 56b des Strafgesetzbuches auferlegen, einen bestimmten Betrag an die Staatskasse oder an einen gemeinnützigen Verein zu zahlen. Zudem können nach § 153a der Strafprozessordnung Strafverfahren gegen Geldauflage eingestellt werden. -
Schöne Geldbeträge aus Prozessen wollen viele haben. „Die auferlegten Geldbeträge sind ein relativ stabiler Markt“, informiert Mathias Kröselberg von der Pro bono Fundraising Agentur in Berlin. „Das Gesamtvolumen der Zuweisungen von Gerichten, Staatsanwaltschaften und Finanzbehörden sind 120 Mio. EUR jährlich.“ Kein Wunder, dass Stiftungen, Vereine und Verbände unverhohlen die Diener des Gesetzes umgarnen. Gesetzlich sind dabei keine Kriterien festgelegt, wohin das Geld fließt. Die Entscheidung liegt allein beim Staatsanwalt, der ein Ermittlungsverfahren gegen eine Geldauflage einstellt, oder beim Gericht, welches ein Bußgeld verhängt bzw. eine Bewährungsauflage erteilt. Ein Gericht kann dem Verurteilten in einem Verfahren wegen Trunkenheit am Steuer z.B. auferlegen, eine bestimmte Geldsumme an einen Verband zu zahlen, der gegen Alkohol im Straßenverkehr kämpft. Muss es aber nicht. Die sogenannten zuweisenden Richter und Staatsanwälte haben bei der Vergabe der Geldbeträge reichlich Spielraum. Die Organisationen müssen nur gemeinnützig sein – einzig diesen Anspruch erhebt das Gesetz.
Bundesländer legen Vergabesummen offen Trotz aller Kritik über die Verteilung: Transparenz ist im Ergebnis in den Bundesländern da. Verschiedene Länder publizieren jährlich ihre Statistiken an gemeinnützige Organisationen. Hier kann man sich also einen Überblick über die vergebenen Volumina und die entsprechenden Adressen verschaffen. Beispiel Hessen. 2008 wurden dort Geldauflagen von 8,2 Mio. EUR verhängt. 2 Mio. flossen davon in die Staatskasse – 6,2 Mio. EUR gingen an 1.282 gemeinnützige und soziale Einrichtungen. 2009 ging das Volumen auf 7,8 Mio. EUR, also um 4% zurück, 1.192 Einrichtungen durften sich über Geldüberweisungen freuen.
Eine der großen Organisationen, die regelmäßig von den Gerichten bedacht werden, ist der Weiße Ring e.V., der Kriminalitätsopfer betreut. Pressesprecher Helmut K. Rüster nennt eine Größenordnung: „Durchschnittlich bekommen wir jährlich aus den Geldauflagen von Gerichten und Staatsanwaltschaften gut 1,5 Mio. EUR.“ Doch obwohl seit 2008 in den Richtlinien für Strafverfahren und Bußgeldverfahren festgeschrieben ist, dass „der Staatsanwalt bei der Auswahl des Zuwendungsempfängers insbesondere Einrichtungen der Opferhilfe berücksichtigt“, ist für Rüster ein Durchschlag eher nicht zu verzeichnen. Von solchen Zahlen können andere nur träumen. Die Stiftung „Familie leben“ mit Sitz im hessischen Herborn freut sich über Zuwendungen der Gerichte im vierstelligen Bereich, die mit Glück und Engagement ein Viertel bis ein Fünftel der Spenden ausmachen. Fundraiserin Nieke Arendt bezeichnet die Situation als „permanent schwierig“, obwohl sie regelmäßig, also mehrmals im Jahr, agiert: „Es ist ein ständiges Sich-in Erinnerung-bringen.“
Der Wettbewerb ist in diesem Sektor stark Eine Einschätzung, die Mathias Kröselberg von Pro bono teilt: „Die Wettbewerbssituation ist deutlich stärker als im Privatkundenbereich. Privatpersonen bekommen vier bis acht Infobriefe im Jahr. Die Zielgruppe Richter zehn bis zwölf – pro Woche.“ Er sieht hier große, bekannte Organisationen im Vorteil. Kröselberg weiter: „Wir haben in einer Umfrage Motive und Zuwendungskriterien abgefragt, und daraus ergeben sich verschiedene Tendenzen: zu einer regionalen Vergabe, zum Deliktbezug – präventiv oder im Nachgang – und die Tendenz zur Justizaffinität.“ Er empfiehlt deswegen, den speziellen Informationsbedarf der Richter und Staatsanwälte ernst zu nehmen und mit Schlüsselbegriffen zu kommunizieren. Anstatt beispielweise als Ziel ganz allgemein „Hilfe für Kinder in Afrika“ anzugeben, sollte eine Stiftung lieber von der „Organisation von Schulbesuchen“ schreiben.
Für die Zuwendungen führen die meisten Gerichte Listen gemeinnütziger Organisationen, die die Einrichtungen alphabetisch erfassen. Hier kann man formlos beantragen, aufgenommen zu werden. Manchmal gibt es auch regionale Zusatzlisten für Stiftungen mit einem örtlich begrenzten Wirkungskreis. Die Gemeinnützigkeit ist nachzuweisen, Kontaktdaten und Informationsmaterial sind zu hinterlegen. Diese Listen bei den Gerichten sind nicht abschließend, sondern können jederzeit ergänzt werden. Doch allein der Eintrag in einer solchen Liste, die den zuweisenden Richtern und Staatsanwälten vorliegt, bedeutet keinen Anspruch auf Zuweisung. Deswegen ist es sinnvoll, Kontakte zu Richterkreisen und Staatsanwälten zu suchen und regelmäßig vorstellig werden. Nieke Arendt weiß, dass auch der ständige Wechsel der Richter viel Arbeit macht. „Am besten ist es, die Richter persönlich zu kennen. Ich rufe sie auch an, und sie bekommen zur Kontaktpflege ein bis zwei Mal im Jahr schriftliches Material. Dazu kommen Mailings für Sonderprojekte.“ Ein guter Tipp scheinen Etiketten mit Aufklebern und der Bankverbindung zu sein.
Separates Bankkonto für Bußgelder Wichtig ist es für Stiftungen, ein separates Bankkonto für eingehende Bußgelder und Geldauflagen vorweisen zu können. Separat deswegen, weil sie die Eingänge von üblichen Spendeneingängen strikt trennen müssen. Denn Spendenbescheinigungen dürfen an die Zahlenden von Bußgeldzuwendungen oder Geldauflagen keinesfalls ausgestellt werden. Dabei wird die Übersendung vorgedruckten Überweisungsträger – ohne Aufdruck „Spende“ – von den Gerichten gerne gesehen. Transparente und diskrete Verwaltungsarbeit ist zudem nötig, denn die Zahlungseingänge sind unter Angabe des Aktenzeichens, des Zahlungsdatums und des bezahlten Betrags an das jeweilige Gericht oder die Staatsanwaltschaft zu melden. Dies gilt auch für ausstehende Zahlungen. Besonders bei vorgeschriebenen Ratenzahlungen ist genaue Verwaltungsarbeit gefragt. Auch ist Datenschutz zu gewährleisten. Da es sich um vertrauliche personenbezogene Daten handelt, sollte nur ein ausgewählter Personenkreis die Daten verarbeiten. Das ist viel Arbeit für vielleicht nur wenig Return. Aber trotzdem ein notwendiger Baustein im professionellen Fundraising.