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Endlich neue Nachbarn
ОглавлениеOberburtenbach war ein kleines Dorf mit nur tausend Einwohnern in der Nähe von Augsburg mit einem Schulzentrum für alle umliegenden Dörfer. Die meisten Einwohner lebten in schmucken Häusern mit Garten, aber es gab auch einige Villen und Bauernhöfe. Wenn jemand neu hierher zog, wussten das die meisten Leute schon Wochen vorher. Diesmal war es anders. Keiner konnte sagen, wer in das kleine Häuschen am Ortsrand in der Nähe des Jagdschlosses einziehen würde. Lange Zeit hatte es leer gestanden und erst vor einigen Wochen hatten Handwerker mit der Renovierung begonnen.
Charlotte Horn, genannt Charly, die gerade zwölf Jahre alt geworden war, und ihr vierzehnjähriger Bruder Walther, genannt Teddy wegen seiner kurzen blonden Haare, versuchten öfters die Handwerker auszufragen, lag dieses Haus doch auf dem Nachbargrundstück.
Doch sie bekamen meist nur ein Brummen oder ein „Weiß ich nicht“ zu hören. Sie hatten mit ihren Freunden Maja, genannt Biene, und ihrem Bruder Matthias, der wegen seiner immer strubbeligen, lockigen Haare Wuschel genannt wurde, oft gerätselt, wer hier wohl einziehen würde.
Da die Freunde im gleichen Alter waren, dieselbe Klasse jeweils der Realschule besuchten und nur ein paar Häuser weiter wohnten, verbrachten sie die meiste Zeit gemeinsam. Auch ihre Hobbys waren fast gleich, die Mädchen interessierten sich für das Fotografieren und die Jungen für ferngesteuerte Autos und Flugzeuge.
Sie unterschieden sich hauptsächlich äußerlich, Walther und Charlotte waren groß und blond, Maja und Matthias etwas kleiner und dunkelhaarig. Bei den Mädchen trug Maja meist Zöpfe und Charlotte einen Pferdeschwanz. Fehlen dabei durfte in der Freizeit natürlich nicht Lisa, Walthers Hündin, ein Schäferhund-Husky-Mischling, die ein grünes und ein braunes Auge hatte.
Heute nun geschah endlich etwas auf dem Nachbargrundstück. Ein Möbelwagen stand vor dem Nachbarhaus, als Charlotte und Walther am Montag von der Schule kamen.
„ Hey, Teddy, nun geht was“, rief Charlotte aufgeregt, „jetzt werden wir endlich erfahren , wer hier einzieht.“ Walther legte den Kopf schief und betrachtete die schon ausgeladenen Möbelstücke: mehrere Regale, einen Schaukelstuhl, einen Tisch und sechs gepolsterte Stühle dazu, außerdem eine Menge Kartons. Ein Möbelpacker hievte sich gerade einen auf die Schulter.
„ Da sind wohl Goldbarren drin“, murmelte er ärgerlich vor sich hin.
„ Das alles sieht nicht gerade nach Kindern aus. Schade !“ meinte Walther enttäuscht. Insgeheim hatte er gehofft, dass ein paar nette Jungen in seinem Alter mit ihren Eltern einziehen würden. „Komm endlich ins Haus, sonst schimpft Mami, wenn wir schon wieder zu spät zum Essen kommen“, rief Walther Charlotte zu, die immer noch neugierig am Zaun stand. „ Ich komm schon, heute Nachmittag kann ich mich ja mal umschauen. Vielleicht erfahre ich dann endlich, wer hier einzieht“, erwiderte Charlotte, während sie sich umdrehte um ins Haus zu gehen.
„ Ich“, kam eine Stimme aus dem Hintergrund. Charlotte drehte sich blitzschnell um und vor ihr stand eine etwa sechzig Jahre alte Frau, ziemlich klein und zierlich, mit hochgesteckten Haaren und sah sie erwartungsvoll an.
„Darf ich mich vorstellen?“ fragte sie freundlich. „ Frau Fridoline Bretzelmoser, pensionierte Bibliothekarin aus Augsburg.“ Sie streckte Charlotte ihre zierliche Hand hin.
„ Hallo, ich bin Charlotte Horn“, begrüßte diese die kleine Frau und ergriff ihre Hand. „ Ich war schrecklich neugierig, wer in unser Nachbarhaus einziehen würde“, gestand Charlotte.
„ Und jetzt bist du sicher enttäuscht, dass es keine Mädchen oder Jungen in deinem Alter sind“, meinte Frau Bretzelmoser lächelnd.
„ Natürlich nicht“, versicherte Charlotte, „ich muss jetzt aber ganz schnell zum Essen gehen, sonst schimpft meine Mutter.“ Rasch sprang sie die Stufen hinauf. „ Aber später kann ich ihnen vielleicht ein wenig helfen“, rief sie über die Schulter zurück, „ bis nachher.“
„ Es würde mich sehr freuen, auf Wiedersehen“, sagte Frau Bretzelmoser und wandte sich wieder den Möbelpackern zu.
„ Na, jetzt wird es aber Zeit,dass du zum Essen kommst“, meinte Frau Horn vorwurfsvoll. Herr Horn und Walther hatten bereits mit dem Essen begonnen. Es gab Kartoffelbrei mit Putenbraten, Soße und Salat. Lisa lag erwartungsvoll unter dem Tisch und wartete darauf, dass Walther seine Hand unauffällig mit einem Stück Fleisch nach unten senkte. Sie liebte Putenbraten und war schon seit zwei Stunden um Frau Horn herumgeschlichen, bis diese sie aus der Küche geworfen hatte. Endlich erwischte sie ein saftiges Stück Fleisch.
Charlotte schöpfte sich einen großen Teller voll. Besonders Kartoffelbrei liebte sie. In die Mitte des Breis grub sie eine Kuhle, in die sie die Soße goss.
„ Guten Appetit“, wünschte sie den anderen, dann steckte sie sich einen großen Bissen in den Mund. Auch ihre Mutter hatte mit dem Essen begonnen. Charlotte konnte es kaum erwarten, ihrer Familie die Neuigkeit mitzuteilen. Sie schluckte rasch das Essen hinunter und berichtete dann aufgeregt: „Stellt euch vor, ich weiß, wer gerade in das Haus neben uns einzieht!“
„ Wie bitte?“ Walther verschluckte sich fast. „Wer ist es? Sag schon!“ Charlotte schob sich genüsslich einen neuen Bissen in den Mund.
„ Du sollst jetzt nicht essen, sondern sagen, was du weißt.“ Walther wurde fast wütend. Auch die Eltern schauten interessiert.
„ Ist schon okay, Teddy. Es ist eine ältere, allein stehende Frau namens Fridoline Bretzelmoser, die Bibliothekarin war. Sie hat Berge von Büchern mitgebracht. Ne sehr nette Frau, glaub ich.“ Zufrieden lehnte sie sich zurück und schob sich wieder eine gefüllte Gabel in den Mund. „ Och, und ich dachte schon, dass Kinder in unserem Alter einziehen würden“, murmelte Walther enttäuscht.
„ Genügen unsere Freunde und ich dir nicht mehr? Jetzt warte es doch erst einmal ab. Bei mir hat sie einen guten Eindruck gemacht und ich habe ihr angeboten, beim Einräumen zu helfen“, sagte Charlotte zu Walther, „ außerdem müssen wir das alles noch Biene und Wuschel mitteilen.“
Frau Horn mischte sich ein: „Da muss ich dir Recht geben, mein Schatz, man muss unserer neuen Nachbarin erst einmal eine Chance geben, uns gegenseitig kennen zu lernen.Aber bevor ihr irgend etwas macht, esst ihr erst einmal euer Essen auf.“
„ Das meine ich doch auch“, brummte Herr Horn. Charlotte und Walther konnten das Essen nicht schnell genug hinunterschlingen.
„ Übertreibt jetzt nicht“, meinte Frau Horn, „ die Neuigkeit läuft euch nicht davon, außerdem gibt es noch einen Nachtisch.“
„ Ich glaube , ich bin satt“, murmelte Walther, während er den letzten Bissen hinunterschluckte. „ Das hat es ja noch nie gegeben, dass du zu satt für einen Nachtisch warst!“ Frau Horn schaute ihren Sohn überrascht an, dann lächelte sie. „ Na gut, ausnahmsweise könnt ihr euren Nachtisch später mit euren Freunden zusammen essen. Saust schon, sonst zerplatzt ihr ja noch.“ Das ließen sich Charlotte und Walther nicht zweimal sagen. Blitzschnell rannten sie zusammen mit Lisa zu ihren Freunden, die ja nicht weit entfernt wohnten. Aufgeregt klingelten sie. Maja öffnete die Tür: „ Wen darf ich bitte melden?“ fragte sie vornehm und schaute die beiden hoheitsvoll an, „die Herrschaften nehmen gerade ihr Mittagsmahl ein.“ „Lass den Quatsch“, brummte Walther und schob Maja zur Seite, „ wo ist Wuschel?“
„ Das hab ich dir doch gerade gesagt“, beschwerte sie sich, „ wir sind beim Mittagessen und du weißt, mein Vater wird fuchsteufelswild, wenn dabei einer stört. Also wartet im Garten. Ich werde Wuschel ein Zeichen geben, dass er sich beeilen soll, okay ?“ Bevor Charlotte und Walther antworten konnten, hatte Maja die Tür bereits wieder geschlossen. „ Komm schon und meckere nicht“, sagte Charlotte besänftigend und zog Walther zu der Bank im Garten, die vor einem kleinen Gartenhäuschen stand. Lisa trottete hinterher und ließ sich unter der Bank nieder.
„ Du weißt unsere Eltern sind auch nicht entzückt, wenn während des Essens unsere Freunde vorbeikommen. Außerdem werden sie gleich hier sein“, bemerkte Charlotte. Sie wollte Walther möglichst rasch beruhigen, der war nämlich ganz schön wütend geworden.
„Ist schon recht“, brummte Walther und wurde langsam ruhiger.
„ Du, vielleicht hat sie auch alte Bücher über Burgen mit Schatzkarten und geheimen Plänen“, meinte er mit leuchtenden Augen und wurde durch diese Gedanken wieder ganz aufgeregt, denn das war ein Hobby von ihm, sich mit Burgen zu beschäftigen. Auch seine Schwester und ihre Freunde interessierten sich dafür.
„ Hallo Brüderchen, träum weiter. Glaubst du das wirklich?“
Bevor Walther Charlotte antworten konnte, stürzten Maja und Matthias aus dem Haus.
„ Hey, was ist los, dass ihr um diese Zeit hier aufkreuzt?“ fragte Maja ganz außer Atem.
„ Stellt euch vor, in das Haus neben uns ist eine ältere Frau, eine ehemalige Bibliothekarin, mit Tausenden von Büchern eingezogen“, erzählte Charlotte, „sie ist sehr nett.“
„ Och, eine ältere Frau?“ Matthias war ganz enttäuscht. „ Und ich dachte schon, da würden ein paar nette Jungs in unserem Alter einziehen.“
„ Na, erlaube mal, genügen wir dir nicht mehr?“ protestierte Charlotte ärgerlich.
„ Quatsch“, meinte Matthias, „es wäre aber für uns alle ganz nett gewesen, neue Leute kennen zu lernen, oder?“
„Wenn du das so siehst, hast du natürlich Recht. In unserem kleinen Kuhkaff findet man außer in der Schule kaum interessante Leute in unserem Alter“, erwiderte Charlotte versöhnlich, „aber ich glaube mit Frau Bretzelmoser kann es auch ganz nett werden. Stellt euch vor, in alten Büchern zu schmökern, das wäre doch auch super.“
„Da würde ich doch vorschlagen, dass wir uns gleich auf die Socken machen. Ich ziehe mich nur noch schnell um.“ Mit diesen Worten verschwand Maja im Haus. Lisa hatte anscheinend alles verstanden, denn sie kam unter der Bank vor und sprang aufgeregt herum.
„ Außerdem wartet bei uns zu Hause ein leckerer Nachtisch auf uns“, erklärte Walther und fuhr sich mit der Zunge genüsslich über die Oberlippe.
„ Na, das hört sich doch gut an“, meinte Matthias, „und anschließend werden wir eure neue Nachbarin unter die Lupe nehmen.“
Endlich tauchte Maja wieder auf. Sie hatte sich einen Jeansrock und ein rotes T-Shirt angezogen, dazu ihre blauen Sandalen. „Oh, Madam haben sich fein gemacht“, ließ Walther erstaunt vernehmen. Es war etwas ungewöhnlich Maja in einem Rock zu sehen. Sie interessierte sich zwar für Mode, aber hauptsächlich für Hosen. Außerdem trug sie die braunen Haare offen. Sonst hatte sie meist zwei Zöpfe.
„ Rede keinen Blödsinn“, fuhr Maja ihn an, „aber wenn ich Frau Bretzelmoser kennen lerne, möchte ich einen guten Eindruck machen.“ „ Ich benötige dazu keine Klamotten“, erwiderte Walther. „Mann, hört endlich mit dem Quatsch auf und kommt, Lisa ist schon weit vorne“, rief Charlotte und rannte los. Die anderen folgten ihr. Bald waren sie am Haus von Familie Horn angekommen. Maja und Matthias schauten neugierig über den Zaun, aber Frau Bretzelmoser war nirgends zu sehen. „ Schade“, murmelte Matthias, „ dann wenden wir uns eben sofort dem Nachtisch zu, den ihr uns versprochen habt.“ Mit diesen Worten marschierte er auf den Eingang zu. Eilig kamen die anderen nach. „ Oh, hallo“, begrüßte sie Frau Horn, „es freut mich, dass mein Nachtisch euch angelockt hat.“ Auf dem Tisch standen vier Schälchen und eine Schüssel Schokoladenpudding mit Vanillesoße. Schnell setzten sich die vier auf die Stühle und begannen den Pudding zu essen. Auch Lisa bekam ein wenig in ihren Futternapf.„ Mmh, lecker“, lobte Matthias und verdrehte die Augen. Auch den anderen schmeckte es. Es dauerte nicht lange und die Schüssel war leer. „ So, nun wollen wir doch einmal bei Frau Bretzelmoser vorbeischauen und uns vorstellen“, schlug Maja vor. „ Genau, ich bin schon neugierig“, gab Walther von sich.