Читать книгу Christo – Der Bulle von Chicago - Easton Maddox - Страница 6
1. Kapitel
ОглавлениеDas Telefon läutet bereits seit geraumer Zeit, und gleich nimmt hoffentlich jemand den Anruf an – und das bin sicher nicht ich. Meine Hoffnung verflüchtigt sich, als mir bewusst wird, dass ich in meinem Bett liege und mein eigenes Handy klingelt. Ein nackter Arm liegt auf meiner Brust, und er fühlt sich schwer an. Ich schiebe ihn von mir herunter und ernte ein unwilliges Brummen.
»Hey, Baby. Was machst du noch hier?«, frage ich nicht gerade freundlich, aber das bin ich auch nicht. Ich bin nie freundlich. Unfreundlich wäre untertrieben, arschig beschreibt es treffender.
»Ja, Christo«, melde ich mich knurrend am Telefon. Jemand, der mich mitten in der Nacht stört, nachdem ich guten, heftigen Sex hatte, braucht keine höflichen Worte zu erwarten. Dabei fällt mir ein, dass ich weder guten noch heftigen Sex hatte. Ich hatte gar keinen Sex.
»Hey, Alter. Schwing deinen Arsch aus dem Bett, wir haben einen Fall.« Es ist Francis Delgado, mein Partner beim Chicago Police Department.
Ich kneife die Augen zusammen, damit mein Blick sich klärt. »Schon gut. Bin auf dem Weg, schick mir die Adresse aufs Handy.« Ich lege auf, damit er mir nicht noch mehr auf die Eier geht als ohnehin schon. Dieser fast zwei Meter große Latino war am College Runningback, wäre Profispieler geworden, hätte sein Knie nicht schlappgemacht, und arbeitet seit einem Jahr mit mir bei der Mordkommission von Chicago. Der sanfte Riese, wie ich ihn immer nenne, ist zu einem guten Freund geworden – einer der wenigen, die ich habe, aber wenn man mich um vier Uhr morgens aus dem Bett wirft, kenne ich weder Freund noch Feind.
Ich putze schnell die Zähne und wasche mein Gesicht, um wach zu werden, schlüpfe in die Jeans, ziehe Strümpfe und Schuhe an, werfe ein dünnes T-Shirt über und schnappe die Lederjacke.
»Wo willst du hin?«
Ich blicke zum Bett, sehe einen blonden Schopf zwischen den Kissen auftauchen.
»Ich muss arbeiten«, brumme ich.
»Wann kommst du wieder?«
»Keine Ahnung. Zieh die Tür hinter dir zu, wenn du gehst.«
»Bekomme ich noch einen Kuss?«, fragt sie und steht auf.
Genervt gehe ich zurück, drücke ihr einen Kuss auf die vollen Lippen und streiche über ihre blonden Locken. »Schlaf noch etwas, Kim. Warte nicht auf mich.«
»Christo? Kann ich noch ein wenig länger bei dir wohnen? Ich will nicht zurück in den Club. Damit bin ich durch. Wenn Pete das erfährt, wird er die Wände hochgehen und mich suchen.«
»Klar, Baby.« Dann nicke ich ihr zu und werfe die Tür hinter mir ins Schloss. Ich bekomme ein schlechtes Gewissen. Ich hätte sie nicht bei mir aufnehmen sollen und schon gar nicht mit ihr in einem Bett schlafen dürfen. Kimberly ist sowas wie Familie. Verdammt. Das war wirklich keine gute Idee.
*
Die Adresse liegt im Nobelviertel von Chicago. East Delaware Place, John Hancock Center. Ich halte dem Uniformierten am Eingang meine Marke unter die Nase, und er lässt mich passieren. Am Aufzug in der 92. Etage treffe ich auf Francis.
»Mensch, Christo! Endlich.«
»Was denn? Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte.«
»Ja, vermutlich in irgendeiner Braut«, murmelt Francis und wendet mir den Rücken zu. So ein Arsch.
»Was ist denn hier passiert?«, frage ich, als wir den Tatort betreten: ein Appartement, in dem es wie in einem Schlachthaus aussieht. Überall verspritztes Blut an den Wänden, und auf dem Boden haben sich Lachen gebildet. Francis reicht mir ein paar Schuhschoner, die ich über meine Boots ziehe, damit ich den Tatort nicht verunreinige.
»Wer ist das Opfer?«
»Henry Gordon«, klärt Francis mich auf.
»Der Oberstaatsanwalt?«
»Genau der.«
Ich wende mich dem großen Wohnzimmer zu, in dem ich auf die Leiche stoße. Der Raum ist voll von unseren Leuten, darunter der Coroner, der den Leichnam untersucht.
»Hi Doc, können Sie schon was sagen?«, erkundige ich mich und gehe neben ihm in die Hocke.
Er blickt mich fragend an. Wir kennen uns nicht.
»Benjamin Christo, leitender Ermittler«, stelle ich mich vor und reiche ihm die Hand.
»Christo ... Sie gehören zu den Chicagoer Christos nicht wahr?«
Ich nicke. Ja, der Ruf eilt uns voraus.
»Welcher sind Sie? Der Älteste? Ich habe Ihre Mutter gekannt. Sie war eine tolle Polizistin«, erklärt er mir.
»Danke«, brumme ich. Ich spreche nicht so gern über sie. Meine Mutter wurde im Dienst erschossen, und deshalb bin ich Polizist geworden, genau wie meine vier Brüder. »Der Tote«, erinnere ich ihn.
»Ihm wurde der Schädel gespalten. Mit einer Axt. Kein schöner Anblick. Die Gehirnschlagader wurde getroffen, daher auch der Saustall hier. Der Täter wusste, wohin er schlagen muss. Todeszeitpunkt circa zwischen elf und zwei Uhr nachts. Mehr kann ich im Moment noch nicht sagen, nicht ehe ich ihn auf dem Tisch habe.«
»Danke, Doc, das reicht mir erst mal.«
Ich blicke mich in der Wohnung um. Sehr teuer eingerichtet, auch wenn hier Chaos herrscht – umgestürzte Möbel, zerbrochenes Glas –, sieht man den puren Luxus. Der Oberstaatsanwalt lebte wohl auf großem Fuß.
Im Flur sehe ich Francis in eine Unterhaltung mit einer attraktiven Rothaarigen vertieft, die er flüchtig anlächelt.
»Hey, dieser Staatsdiener scheint entweder eine Menge Kohle verdient zu haben oder er hatte seine Finger in ganz fiesen Geschäften. Wer kann sich schon so eine Bude leisten?«, kommentiere ich das Szenario.
Francis reißt die Augen auf und grinst wie blöd.
»Ähm, Christo, darf ich dir Claire Perkins vorstellen?«, fragt er und deutet auf die scharfe Rothaarige.
»Miss Perkins.« Ich nicke ihr zu.
»›Claire‹ reicht, stellvertretende Staatsanwältin. Ich bin einer dieser Staatsdiener und kann Ihnen versichern, dass wir bei Weitem nicht so gut verdienen, wie Sie vermuten, Detective.«
»Lieutenant«, verbessere ich sie. »Benjamin Christo.«
»Christo? Sind Sie vielleicht mit David Christo verwandt?«
»Er ist einer meiner jüngeren Brüder.«
»Einer? Wie viele gibt es denn von Ihnen?«, will sie wissen und hebt eine Augenbraue.
»Wir sind zu fünft.«
»Sagen Sie nicht, dass alle in Ihrer Familie Polizisten sind.«
Ich sehe sie einen Augenblick an, dann schüttele ich den Kopf. »Nein, einer meiner Cousins ist bei der Feuerwehr. Er ist das schwarze Schaf der Familie.«
Sie verzieht keine Miene, blickt unruhig Richtung Wohnzimmer. »Hören Sie, unter normalen Umständen würde ich jetzt lachen, aber da mein Chef heute auf grausame Weise getötet wurde, seien Sie mir bitte nicht böse, wenn Ihr Charme bei mir nicht landen kann.«
Francis holt zischend Atem. Eine erstklassige Abfuhr. Ich blicke dieser Zicke in die Augen und muss feststellen, dass sie ungemein attraktiv ist. Sie hat graue Augen, die mich intensiv mustern. Ihre roten Locken hat sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, sie trägt kaum Make-up, sieht aber umwerfend aus. Leichte Sommersprossen tänzeln auf ihrer kleinen Nase, und die Lippen sind von Natur aus dunkelrot. Meine Gedanken wandern zu Kimberly in meinem Bett, keine Ahnung, warum. Doch die Staatsanwältin ist tausendmal schärfer. Ich tippe, dass sie wie ich geradewegs aus dem Bett gesprungen ist.
»Kurze Nacht, oder?«, frage ich, und sie verdreht die Augen.
»Ich will, dass Sie den Mörder finden. Und zwar so schnell wie möglich«, ordnet sie in einem Ton an, der mir die Sprache verschlägt. »Ich weiß nicht, ob Sie der richtige Mann dafür sind«, setzt sie noch einen obendrauf.
Ich trete einen Schritt näher auf sie zu und blicke von oben auf sie herab. »Und ob ich der richtige Mann bin«, knurre ich.
»Dann beweisen Sie es«, erwidert Perkins und blickt mich herausfordernd an. Sie ist groß für eine Frau, doch ich bin größer.
»Das werde ich tun.« Ich spreche so leise, dass nur sie meine Worte hören kann.
»Ich freue mich drauf.«
Sie muss das letzte Wort haben. Unglaublich. Ich lasse es ihr. Diese Frau scheint eine Todessehnsucht zu verspüren, wenn sie sich mit mir anlegen will.
*
Ich finde Francis vor der Tür, wo er den Concierge verhört, der den Toten gefunden hat. Er war gerufen worden, weil sich Nachbarn über Krach im Appartement 92 A beschwert hatten.
»Die Wohnung ist auf den Namen John Smith gemietet. Der Concierge hat Smith als Henry Gordon identifiziert. Er hat die Woche über hier gewohnt. Gordon hat ein Haus außerhalb von Chicago, wo er mit seiner Ehefrau lebt. Er hatte keine Kinder.« Francis klappt sein Notizbuch zu.
»So wie es aussieht, ist der Täter mit äußerster Brutalität vorgegangen. Das lässt auf eine Menge Wut schließen«, überlege ich laut.
»Mord aus Eifersucht?« Francis schiebt die Unterlippe vor. »Wir sollten auf jeden Fall die Ehefrau verhören. Vielleicht hatte Gordon ja ein Verhältnis und sie hat es herausbekommen.«
»Glaubst du wirklich, dass der Fall so einfach liegt?« Ich schüttele den Kopf. Das kann ich mir nicht vorstellen. »Wir müssen klären, ob er hier Frauenbesuch empfangen hat.«
»Vielleicht hatte er ja was mit dieser heißen stellvertretenden Staatsanwältin?«
»Glaube ich nicht, dafür war sie zu abgeklärt. Du findest sie heiß?«
Er lächelt mich breit an. »Du doch auch, gib es zu. Du hast mit ihr geflirtet.«
»Ich habe was?«, flüstere ich, damit keiner der Anwesenden unser Gespräch mitbekommt.
Francis grinst mich so überheblich an, dass ich ihm glatt eine verpassen könnte, wäre er nicht mein Freund.
»Mensch, Christo. Das Prickeln zwischen euch konnte man geradezu sehen. Ihr habt Funken gesprüht, heller als ein Silvesterfeuerwerk.«
»Du spinnst, Francis, wirklich. Mach du dich schon mal auf den Weg ins Revier, ich komme später nach.«
*
»Hey, warum warst du nicht bei der Einsatzbesprechung?«, fragt Francis und wirft eine Mappe auf meinen Schreibtisch. »Keine Sorge, ich habe dich entschuldigt und gesagt, dass du einer Spur nachgehst. Moody meint, der Mord an dem Staatsanwalt hat höchste Priorität. Wir sollen eng mit der Staatsanwaltschaft zusammenarbeiten.«
»Tun wir das nicht immer?«, murmele ich ausweichend. Ich bin schon sieben Stunden auf den Beinen, dabei fängt mein Dienst gerade erst an. Ich habe in der letzten Stunde versucht, etwas über Claire Perkins herauszubekommen, aber das muss ich Francis nicht auf die Nase binden.
»Weißt du, wer den Fall übernommen hat?«
»Nein, aber du wirst es mir sicher gleich verraten.«
»Die neue Oberstaatsanwältin Claire Perkins. Sie ist befördert worden und hat den Posten von Gordon bekommen.«
Die Information lässt mich aufhorchen. »Die rothaarige Hexe?« So eine Scheiße. Das heißt, ich laufe ihr nun öfter über den Weg, als mir lieb ist.
Francis grinst breit. »Das kann echt spaßig werden, wenn ihr beiden euch an die Kehle geht … oder im Bett landet, je nachdem.«
Ich liebe seinen abgefahrenen Humor, doch im Moment steht mir kaum der Sinn danach. »Du hast sie ja nicht mehr alle. Was soll der Scheiß? Ich habe mit der Frau wenig am Hut, also geh mir nicht auf die Nerven.« Ich funkele ihn wütend an.
»Seit wann bist du denn so dünnhäutig? Ist was mit deinen Brüdern?«
Ich hebe die Schultern. »Was soll denn mit ihnen sein?«
»Keine Ahnung, aber seit Joshua als Verdeckter arbeitet, bist du mehr als gereizt.«
Francis ist ein guter Beobachter. Leider kann ich ihm kaum erzählen, dass eine Frau bei mir wohnt und mir das gar nicht passt, weil er mich sonst wieder mit Fragen löchert, die ich nicht beantworten will.
»Wir sollten zu der Ehefrau von Gordon hinausfahren und sie befragen«, meine ich ausweichend und stehe so abrupt auf, dass mein Stuhl laut über den Boden schabt.
*
Gordon hat in einem Haus südlich von Chicago gewohnt. Es ist groß, aber nicht außergewöhnlich, genau wie seine Ehegattin. Barbara Gordon ist eine kleine, rundliche Frau mit grauen Haaren. Ihre Augen sind rotgeweint. Sie legt die Hände gefaltet in den Schoß, als sie sich auf das Sofa setzt. Sie bietet uns ebenfalls Plätze an, doch wir lehnen ab.
»Mrs Gordon, wir möchten Ihnen unser Beileid aussprechen«, sage ich höflich. Das kann ich auch. Meine Mutter würde sich ansonsten im Grab umdrehen.
»Vielen Dank, Detective. Ich kann es nicht verstehen. Mein Mann stand immer auf der Seite der Gerechtigkeit. Warum musste er sterben?« Sie blickt mich fragend an, und ich habe keine Antwort auf ihre Frage. Noch nicht.
»Mrs Gordon, das wollen wir herausbekommen. Es tut mir leid, wenn ich Ihnen ein paar Fragen stellen muss, die vielleicht unverständlich erscheinen oder peinlich sind, aber sie dienen der Wahrheitsfindung. Ihr Mann hatte das Appartement in der Stadt gemietet. Wussten Sie davon?« Es ist mir unangenehm, das zu fragen, doch wir brauchen Informationen.
»Ja, natürlich. Und falls es Sie interessiert, wir haben diese Wohnung mit meinem Geld finanziert. Ich bin sehr vermögend. Meine Eltern haben mir einiges hinterlassen.«
»Okay, danke für die Information. Trotzdem tappen wir bei dem Motiv noch im Dunkeln. Können Sie sich vorstellen, dass Ihr Mann eventuell eine Affäre hatte?«
»Vielleicht mit der Staatsanwältin Perkins?«, setzt Francis hinzu und ich blicke ihn böse an. Hier müssen wir vorsichtig vorgehen.
»Mit Claire?« Sie lacht heiser. »Junger Mann, da sind Sie auf der ganz falschen Fährte. Claire ist wie eine Tochter für uns. Mein Mann hat sie gefördert, sie geht hier ein und aus. Nein, das halte ich für absurd. Wenn sie Claire kennen würden, wüssten Sie, wie unsinnig Ihre Vermutung ist.«