Читать книгу Christo – Der Bulle von Chicago - Easton Maddox - Страница 7
2. Kapitel Leitende Oberstaatsanwältin. Claire Perkins.
ОглавлениеMeinen Namen unter dem Titel an der Tür habe ich mir selbst verdienen und nicht geschenkt bekommen wollen. Durch den Tod eines Kollegen. Nein, Henry war mehr für mich, nicht einfach nur ein Kollege. Er war mein Förderer, mein väterlicher Freund, und nun ist er tot.
Den ganzen Tag über gab es kein anderes Thema unter den Anwälten. Mir wurde der Fall übertragen – war ja klar, dass ich nun mit Mister Unwiderstehlich zusammenarbeiten muss. Ich habe schon von seiner Familie gehört. Alle Söhne sind Polizisten. Fünf an der Zahl. Die Mutter war ebenfalls Polizistin, genau wie der Vater. Mabel Christo wurde bei einem Einsatz erschossen, als die Jungs noch relativ klein waren. Seitdem verrichtete der Vater bis zu seiner Pensionierung nur Innendienst.
Ich habe den halben Tag damit zugebracht, Informationen über Benjamin Christo auszugraben. David, seinen um zwei Jahre jüngeren Bruder, habe ich bereits bei einem Fall kennengelernt. Obwohl sie sehr verschieden aussehen, sind sie sich doch ähnlich. Das gleiche dominante Auftreten, dieselbe Arroganz im Blick. Der eine so verschlossen wie der andere.
Müde schalte ich meinen Computer aus. Es war ein langer Tag, denn ich musste mich in alle Fälle einarbeiten, die Henry hinterlassen hat. Es waren zwar nicht viele, doch ich muss mir einen Überblick verschaffen, da ich nun die Leitung innehabe.
Ich lösche das Licht und will die Tür meines Büros zuziehen, als ich ein Geräusch höre. Hier in der oberen Etage ist bereits Dienstschluss, eigentlich ist niemand mehr in den Räumen. Zuerst denke ich, es ist die Putzkolonne, doch dafür ist es noch zu früh. Ich schließe meine Bürotür ab und laufe den Gang entlang zu den Aufzügen, als ich plötzlich Schritte hinter mir vernehme.
Ich bleibe stehen und die Schritte verstummen. Verdammt, wer ist das? Panik erfasst mich. Wie verrückt drücke ich immer wieder auf den Knopf für den Fahrstuhl. Die Türen gleiten auseinander, ich springe hinein und betätige den Schalter, der mich ins Erdgeschoss bringen soll. Erst als ich auf die Dearborn Street hinauslaufe, atme ich erleichtert aus. Hier an der befahrenen Straße zwischen den Menschen, die an mir vorbeilaufen, fühle ich mich sicher.
Ich schnappe mir ein Taxi und lasse mich nach Hause fahren. Nachdem die Wohnungstür hinter mir ins Schloss fällt, atme ich endlich auf. Ich lehne mich an die Tür und schließe die Augen, gleite langsam zu Boden. Meine Nerven sind eindeutig mit mir durchgegangen. Henrys Tod hat mich aus der Bahn geworfen. Ich will den Mörder so schnell wie möglich fassen, dazu benötige ich jedoch die Hilfe eines Mannes – und das ist ausgerechnet Benjamin Christo.
Ich raffe mich auf, ziehe mich aus und lasse meine Kleidung fallen, wo ich gerade stehe. Heute ist es mir egal. Normalerweise bin ich sehr ordentlich, doch dies ist einer dieser Tage, an denen alles drunter und drüber geht.
In der Dusche stelle ich das warme Wasser an, löse den Zopf und trete unter den Strahl. Die Hitze tut meinen Gliedern gut, entspannt mich und lässt die Gedanken fliegen. Leider wandern sie zu braunen Augen, die fast schwarz wirken, so wie das Haar von Benjamin Christo. Meinen Körper durchflutet ein wohliger Schauer. Ich will nicht an ihn denken und doch schweben meine Gedanken zu ihm, als wäre es ein Gesetz. Ich muss dem ein Ende setzen, er muss raus aus meinen Kopf, denn er ist nicht der Mann, der meine Gefühle beherrschen sollte. Er ist arrogant, selbstverliebt und dominant. Solch einen Mann habe ich gerade erst hinter mir. Mein Bedarf daran ist gedeckt.
Entschlossen drehe ich das Wasser ab, schnappe ein Handtuch und schlinge es mir um den Körper. Nachdem ich mich abgetrocknet habe, ziehe ich eine bequeme Jeans und ein großes Shirt über, dann sammele ich meine verstreute Kleidung ein. Als ich ins Badezimmer zurückkehre, sehe ich, wie ein Lufthauch die Gardine wehen lässt. Das Fenster steht einen Spaltbreit offen, obwohl ich weiß, dass ich es nicht geöffnet habe. Ganz bestimmt nicht. Es muss jemand in der Wohnung sein. Von der Feuertreppe aus ist es ein Leichtes, sich Zugang zu verschaffen.
Mein Herz schlägt wie verrückt, der Puls rauscht in meinen Ohren, doch ich achte nicht darauf. Ich schlüpfe in flache Schuhe, schnappe die Handtasche und nehme, so leise es geht, die Schlüssel vom Highboard im Flur. Anstatt den Aufzug zu benutzen, laufe ich die Treppe ins Foyer hinunter. Es ist nur der vierte Stock und ich jogge regelmäßig. Auf der Straße springe ich in das nächstbeste Taxi, das auf mein Winken hin hält. Ich nenne die erste Adresse, die mir in den Sinn kommt.
*
Das Klopfen an der Tür kostet mich einige Überwindung, doch ich habe keine andere Wahl. Meine Angst ist größer.
»Hi.« Das Gesicht einer blonden Schönheit taucht hinter der Tür auf.
»Oh, hi. Ich glaube, ich habe mich in der Adresse geirrt«, stammele ich verlegen.
»Möchtest du zu Christo?«, fragt sie mit tiefer, wohlklingender Stimme.
Bevor ich antworten kann, wird die Tür weiter aufgerissen und Christo blickt mich verwirrt an.
»Guten Abend. Ich brauche Ihre Hilfe«, erkläre ich aufgeregt, während mein Blick weiterhin auf der jungen Frau liegt, die nur einen knappen String und ein kurzes T-Shirt trägt. Sie hat eine klasse Figur und sieht wunderschön aus. Ich komme mir wie ein Eindringling vor und wünschte, ich wäre direkt zur Polizei gefahren.
Christo blickt auf die Frau, dann zu mir und tritt beiseite. »Natürlich. Kommen Sie herein.«
»Nein, ich möchte nicht stören, ich wusste nicht, dass Sie nicht allein leben. Es tut mir …«
»Kommen Sie rein«, fordert mich Christo erneut auf, und die junge Frau lächelt mich auffordernd an. Sie wendet sich ab, läuft ins Wohnzimmer, dort zieht sie einen Rock über ihre Hüften.
Ich will gar nicht wissen, was hier gerade abgelaufen ist. Verlegen blicke ich zu Boden.
»Ich gehe dann mal«, meint die junge Frau.
»Nein, warte. Du kannst nicht hinaus auf die Straße. Ich rufe jemanden an.« Christo zückt sein Handy und stellt eine Verbindung her. »Hi, ich bin’s. Hast du Zeit? Komm so schnell wie möglich vorbei, ich muss dich um einen Gefallen bitten.« Dann legt er auf. Ohne weitere Erklärung.
»Pack deine Sachen.« Christo schaut die junge Frau an, die ohne Fragen seinem Befehl folgt. Sie verschwindet, vermutlich in Richtung Schlafzimmer, und kommt kurz darauf mit einer Reisetasche wieder.
Die ganze Zeit über stehe ich hilflos herum, ohne ein Wort zu sagen, ohne Christo anzusehen. Eine düstere Stille liegt über dem Raum. Christo läuft unruhig hin und her, meidet mich ebenfalls.
Als es erneut an der Tür klopft, bin ich froh, dass die Ruhe unterbrochen wird.
»Komm rein, Francis.«
Francis Delgado, Christos Kollege, betritt den Raum und blickt mich überrascht an.
»Frau Staatsanwältin«, begrüßt er mich erstaunt.
»Detective Delgado«, murmele ich leise und ein wenig verlegen. Er wird sich sicher fragen, was ich hier mache.
»Hör mal, Francis, kannst du einige Tage für mich auf Kimberly aufpassen? Sie hat Probleme und kann nicht zurück in ihre Wohnung. Kann sie bei dir schlafen?«
Kimberly wirft Delgado ein strahlendes Lächeln zu, das er erwidert. »Klar, kein Problem. Für schöne Frauen habe ich immer ein Plätzchen frei.«
»Lass die Finger von ihr«, grunzt Christo und drückt Francis Kimberlys Tasche in die Hand.
»Aber sicher doch, ich vergreife mich nicht an deinen Frauen.«
Kimberly gibt Christo einen Kuss auf den Mund. »Danke, für alles«, raunt sie ihm zu und verlässt mit einem aufregenden Hüftschwung die Wohnung. Delgado folgt ihr auf dem Fuß und winkt mir lächelnd zu.
»Bitte entschuldigen Sie, ich wollte Ihre Freundin nicht verscheuchen, Sie hätte nicht extra …«
»Was wollen Sie von mir?«
Gott, er ist wirklich nicht die Freundlichkeit in Person, aber was habe ich bei einem Christo auch erwartet?
»Ich werde verfolgt«, erkläre ich lakonisch und lasse mich einfach auf der Couch nieder. Keine Ahnung, was sich hierauf gerade abgespielt hat, doch das ist mir egal.
»Wer verfolgt Sie?«, will er wissen.
Ich krame aus der Handtasche den Brief, der heute auf meinem Schreibtisch gelandet ist, und reiche ihn an Christo weiter.
Er wirft nur einen kurzen Blick darauf, denn dort stehen nicht mehr als vier kleine Worte: »Du bist die Nächste.«
»Wann haben Sie den bekommen?«, will er wissen.
»Er lag heute Abend auf meinem Schreibtisch im Büro. Keine Ahnung, wann genau er dort hingekommen ist oder wer ihn dort deponiert hat.«
»Warum kommen Sie damit zu mir?«
»Ich wurde verfolgt und jemand ist in meine Wohnung eingebrochen. Ich habe die Sachen geschnappt und bin einfach in ein Taxi gestiegen«, gebe ich zu.
»Und das hat Sie direkt zu mir gefahren?« Sein Blick, so distanziert und abschätzend, macht mir ein wenig Angst.
»Tut mir leid. Ihre war die erste Adresse, die mir in den Sinn gekommen ist.«
»Warum ausgerechnet meine?«
»Weil … ich mir heute Ihre Akte angesehen habe und so Ihre Wohnung die erste war, die mir eingefallen ist«, antworte ich kleinlaut.
Er geht in die offene Küche, holt zwei Dosen aus dem Kühlschrank und reicht eine an mich weiter. »Ich habe nur Bier im Haus.«
»Danke.« Erschöpft nehme ich die Dose, öffne sie und trinke einen Schluck. Der herbe Geschmack des Alkohols tut mir gut.
»Dann haben Sie mich also ausspioniert.«
»Ich weiß gern, mit wem ich es zu tun habe«, versuche ich, mich zu erklären, doch egal, was ich sagen würde, ich reite mich immer tiefer hinein.
»Das ist eine offensichtliche Bedrohung. Wir müssen damit zum Chief. Sie brauchen Personenschutz. Vielleicht sollten Sie untertauchen.« Er presst die Lippen zusammen.
»Nein, das kommt überhaupt nicht infrage. Ich stecke den Kopf nicht in den Sand. Ich weiche nie zurück, ich nehme immer nur Anlauf, das sollten Sie sich merken.«
»Das dachte ich mir schon. Also gut, wir werden morgen früh zum Chief gehen. So lange bleiben Sie hier bei mir. Sie dürfen auf keinen Fall zurück in Ihre Wohnung. Wie ist Ihre Adresse?«
»Ich wohne in der South Calumet Avenue.«
»South Side. Hätte ich mir denken können«, murmelt er ein wenig abfällig.
Ergeben seufze ich auf, trinke den Rest meines Biers aus und erhebe ich mich. »Ich hätte es besser wissen müssen. Vielen Dank für das Bier. Ich werde mir für heute Nacht ein Hotelzimmer suchen. Es war keine gute Idee, zu Ihnen zu kommen. Es tut mir wirklich leid, dass ich Sie belästigt und Ihre Freundin verscheucht habe. Das lag nicht in meiner Absicht.«
Ich wende mich zur Wohnungstür. Ich schaffe das. Bis morgen werde ich wohl noch am Leben bleiben.
»Nein, warten Sie, Claire.« Er steht ganz nah hinter mir und hält mit der flachen Hand die Tür zu. »Bitte entschuldigen Sie. Ich bin nicht immer sehr umgänglich. Aber ich kann Sie auf keinen Fall dort hinausgehen lassen, wenn draußen ein Irrer Jagd auf Staatsanwälte macht. Hier bei mir sind Sie sicher.«
Während er spricht, streichelt sein warmer Atem meinen Nacken, und ein feiner Schauer läuft mir über den Körper. Doch so schnell will ich nicht nachgeben. Ich schüttele den Kopf, ohne ihn anzusehen.
»Bitte, Claire. Seien Sie vernünftig.«
Er dreht mich an den Schultern zu sich herum und blickt mich entschuldigend an. Ich muss zu ihm aufsehen, weil meine Schuhe nicht ganz so hoch wie üblich sind, dabei muss ich sonst auf die meisten Männer hinunterblicken.
Er ist mir so nah, und ich nehme seinen Geruch wahr. Er riecht nach Wagemut und Sinnlichkeit, nach feiner Vanille und Leder. Tief atme ich ein, dieser Duft berauscht meine Sinne, und ich schließe für einen Moment die Augen.
»Bleiben Sie heute Nacht bei mir, hier sind Sie so sicher wie niemals zuvor«, raunt er mir leise ins Ohr, und ich beginne auf einmal zu zittern. »Das ist das Adrenalin«, flüstert er, und seine Lippen berühren dabei meine Ohrmuschel.
Gott, warum tut er das? Meine Knie werden weich, und ich taumele leicht gegen ihn.
»Atmen Sie langsam ein und aus, dann wird es Ihnen gleich bessergehen.«
Wenn er mich nicht bald loslässt, wird es mir ganz bestimmt nicht bessergehen. Ich spüre seine Hände auf meinen Hüften und dränge mich automatisch näher an ihn. Er knurrt leicht, ich fühle es, da meine Hand auf seiner Brust liegt. Wieder trägt er nur ein fadenscheiniges T-Shirt, das keine Fragen offenlässt, was sich unter dem Stoff verbirgt.
»Sieh mich an.«
Ich hasse diese dominante Art, doch ich gehorche, schaue zu ihm hoch und kann meinen Blick nicht von seinen prallen Lippen abwenden. Wir sind uns so nah, dass jeder die Hitze des anderen spürt.
»Versprich mir, dass du heute Nacht hierbleibst und nicht einfach wegläufst.«
Himmel, ich würde ihn gern küssen, doch er ist nicht frei. Er hat eine Freundin, und darüber kann ich nicht hinwegsehen.
»Ich verspreche es«, wispere ich und lasse ihn nicht aus den Augen.
»Das wollte ich hören.« Er lächelt.
Zum ersten Mal sehe ich ihn lächeln. Das verändert sein Aussehen komplett. Die Züge sind weicher, er sieht weniger streng aus. Eine Locke seiner schwarzen Haare fällt ihm in die Augen und ich kann nicht anders, als sie ihm aus dem Gesicht zu streichen.
»Wo kommst du so plötzlich her, Claire Perkins?«, murmelt er und schüttelt den Kopf, als könne er es nicht glauben.
»Ich war immer hier«, meine ich leise, weil ich nicht verstehe, was er meint.
»Geht es wieder?«, fragt er und lässt mich so abrupt los, dass ich mich an der Wand festhalte.
Ich brauche noch eine Sekunde, dann finde ich meine Contenance wieder. »Danke. Alles bestens. Ich werde die Couch nehmen«, erkläre ich selbstgefällig.
»Das kommt nicht infrage. Sie schlafen im Bett. Es ist frisch bezogen, ich liege auf dem Sofa.«
Plötzlich siezt er mich wieder. Wer soll da noch mitkommen? Ich bin viel zu durcheinander, um mir darüber Gedanken zu machen, wer mit ihm alles in diesem Bett geschlafen hat. Müde begebe ich mich ins Schlafzimmer, das am Ende des Flurs liegt, und schließe hinter mir die Tür. Obwohl die Bettwäsche nach ihm riecht, schlafe ich augenblicklich ein.