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BRIEFE 1914

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AN ALBERT SCHIEL (1)

Stralsund, den 9. 8. 1914

Lieber Onkel!

Soeben komme ich von den Großeltern und habe Deine Karten vom 5/8 gelesen. So wie Du denke ich auch. Ich verstehe, was es heißt, Freunde, die einem jahrelang mit Rat und Tat zur Seite gestanden haben, ziehen zu lassen. Aber: Der König rief und alle, alle kamen. Deine Freude würde groß sein, wenn Du sehen könntest, wie auch in Stralsund alles freudig und voll Gottvertrauen zu den Waffen will. Es haben sich mehr junge wie alte Leute freiwillig gestellt als erwartet war, denn in Stralsund sind jetzt etwa 50 Mann überzählig. Hier sammelten sich aber auch über 20.000 Soldaten. Viele meiner Bekannten haben schon des Königs Rock angezogen. Die ganze Prima des Gymnasiums, mit Ausnahme von zwei Schülern, die nicht tauglich sind, spaziert schon auf dem Kasernenhof. Auch Studenten aus Greifswald dienen hier. Wenn man sieht, wie freudig die Freiwilligen ihren Dienst versehen, wie freudig auch unsere 42-er gestern zur französischen Grenze fuhren, dann muß man sagen: es ist nicht auszudenken, daß ein Volk, das so begeistert in den Kampf zieht wie wir, zu Grunde gehen kann. Darum wollen wir den Lenker der Schlachten um den Sieg bitten. Wir werden denen, die den Krieg leichtsinnig heraufbeschworen haben, zeigen, was es heißt, mit Soldaten Kaiser Wilhelms anzubändeln. Leider kann ich nicht, wie viele meiner Kameraden, mitkämpfen, da ich mein 17. Lebensjahr noch nicht vollendet habe. Um so mehr erachte ich es als meine Pflicht, mitzuhelfen bei der Heilung der Wunden, die der Krieg bringt. Meinem Heiland möchte ich dienen durch Pflege an Kranken und Verwundeten. Als Helfer des Roten Kreuzes will ich versuchen mich nützlich zu machen. Leider kann man mich in Stralsund nicht verwenden, da die Militärärzte abwesend sind und ich einen Kursus nicht mitgemacht habe. Da Du schreibst, ihr werdet 2000 Verwundete aufnehmen, werdet ihr doch auch mehr Helfer brauchen als bisher. Ich richte nun an Dich die Bitte, mir mitzuteilen, ob ich vielleicht angenommen werde, und mit welchen Leistungen. Einer baldigen Antwort dankend entgegen sehend verbleibe ich

Dein Neffe Otto

VON WILHELM PUCHERT (2)

Stettin, den 29.8.14

Lieber Otto!

Meine Karte vom Donnerstag hast Du wohl bekommen. Wir sind glücklich angekommen. 7 Stunden Fahrt. Und was für eine Fahrt. Wie ich Dir schon schrieb, einfach großartig. Die Begeisterung, mit der wir überall empfangen wurden, die Bewirtung auf den Bahnhöfen. Ueberall schleppten sie herbei, was nur möglich war: Kaffee, Limonade, Brot, Äpfel und solche schönen Sachen. Manches alte Mütterchen habe ich beobachtet, daß, wie sie den riesigen Militärzug sah, die Hände zusammenschlug und ihre Augen feucht wurden. Und dabei ging es erst zur Ausbildung, gar nicht mal in den Krieg. Sämtliche Strecken waren von der Landwehr besetzt, die uns manch derbes Schimpfwort auf unsere Freude nachriefen, mit dem Bemerken, daß wir besser trauern sollten. Wie wir in den Stettiner Bahnhof einfuhren, war auch schon das rote + an der Arbeit, um uns zu laben. Wir rückten abends 7 Uhr ins Massenquartier, 150 Mann. Für mich war es ja nicht direkt ungewohnt im Stroh zu schlafen, aber es ist doch manch einer darunter, der so etwas nicht konnte und deshalb stöhnte. Das Essen ist zwar nicht gut, aber es geht. Gestern morgen 7 Uhr mußten wir antreten bei der Pionierkaserne. 3/4 Stunde von unserem Quartier entfernt. Im Zuge gings durch die Straßen, aber es sind solche Kerle zwischen, daß die besser Gesinnten sich manchmal schämen müßten. Am ersten Tag haben wir gar nichts gemacht. Den ganzen Tag auf dem Platz gelegen in der brennenden Sonne. Jetzt sind wir endlich fest eingeteilt. Meine Adresse lautet: Inf. Reg. No. 209, 6. Komp., II. Armeekorps, z.Zt. Stettin. Feldpost natürlich ohne Marken. Heute haben wir schon feste geübt, unter anderem Gewehrgriffe, Marschübungen. Der Übungsplatz ist zwar ziemlich groß, liegt aber ganz ungeschützt da, so daß die Sonne, die es gestern und heute äußerst gut meinte, ungehindert ankommen kann. Auf diesem Platz übt jetzt alles. Grenadiere, Infanterie, Maschinengewehr-Kompagnie. Auf dem Platz werden auch eine ganze Menge Baracken gebaut, anscheinend zur Aufnahme von Gefangenen. Auch Verwundete sind eine ganze Menge schon hier. Diese haben es gut. Feine Verpflegung. Blumen bekommen sie die Menge. Auch von uns ist schon einer kompagnieuntauglich. Der Sohn des Klempnermeisters Schwark in der Tribseerstraße hat Krämpfe. Er wurde gestern per Krankenauto ins Lazarett befördert. Wird wohl wieder nach Stralsund kommen. Stettin ist eine feine Stadt. Große, schöne Straßen, großartige Denkmäler, Monumente, Tore und Bauten. Das Leben und Treiben ist ganz anders als in Stralsund. Heute nachmittag haben wir erst um 3/4 5 Uhr Dienst. Morgen um 10 Uhr Appell im Sonntagsanzug. Wir haben für unsere Ausbildung einen feinen Feldwebel-Leutnant, ein gemütlicher Kerl. Der weiß gar nicht, was er uns beibringen soll. Nun hoffe ich, daß Du mir bald mal Nachricht zukommen läßt, wie es Euch in Stralsund geht. Wie geht es im Verein?

Herzliche Grüße an Dich und an Deine Eltern

AN WILHELM PUCHERT (3)

Stralsund, den 31. August 1914

Lieber Willi!

Karte und Brief habe ich erhalten und mich gefreut über das, was Du schreibst. (von einigen Ausnahmen abgesehen) Ich habe allerlei Neuigkeiten zu erzählen und weiß nicht, wo ich anfangen soll. Also, da ist unser Fritz Schlamm wieder in Stralsund. Er hat nämlich an dem Sturm auf Longwy teilgenommen. Wunderbarerweise ist er dem Tode entronnen. Er ist nämlich in einen Kugelregen geraten. Eine Kugel zertrümmerte seine Brille, die noch auf dem Schlachtfelde liegen wird. Eine Kugel pfiff übers Ohr weg. Denk Dir, ein Geschoß bahnte sich einen Weg, drang seitwärts in die Brust, zwischen Lunge und Rippen, wobei einige zersplittert wurden, und verließ dann den Körper. Er bekam einen Dusel, hat paar Tage im Lazarett gelegen und erhielt bis Donnerstag Heimaturlaub. Auch in seinem Tornister wurden noch Kugeln gefunden. Wer auf Gott vertraut, der hat auf keinen Sand gebaut. Er will alle Hebel in Bewegung setzen und in zwei bis drei Wochen wieder vorm Feind sein. Am Dienstag oder Mittwoch will er noch mal in den Verein kommen und etwas von den Kämpfen um Longwy erzählen. Alfred Siewert ist auch 42-er. Wir können stolz sein, neun Soldaten stellt unser Verein, zwei werden Sanitäter und die anderen 16-jährigen beteiligen sich bei der Kriegsjugendwehr. Ein schöner Zug weht durch unser ganzes Volk. Jeder will helfen für des Vaterlands Wohl, und das Land sollte untergehen, unterjocht von verräterischen Krämern und dem "Herrscher aller Reußen". Nein, wir werden den Frieden diktieren, die einzige Großmacht werden und germanische Sitte und Kultur verbreiten. Wenn auch manch anderer Sieg von größerer Bedeutung ist, so haben wir uns doch mehr gefreut, als die Engländer bei St. Quentin feste eins auf den Hut bekamen. 100 Kilometer sind wir von Paris entfernt, und bald sind wir drin. Von unseren 42-ern haben wir wenig gehört. Sie sollen vor Antwerpen liegen, und wenns glückt, feiern sie Sedan in Antwerpen. Oberst von Hackevitz wohnt im Königsschloß bei Brüssel, der Sommerresidenz des belgischen Königs. Etwas gedrückt wurde die Stimmung, als das Seegefecht bei Helgoland bekannt wurde, aber ehrenvoll sind die Schiffe untergegangen. Wir beklagen einen Verlust, aber noch lange keine Niederlage. Unsere Kriegsfreiwilligen werden wohl noch im Laufe dieser Woche Stralsund verlassen. Gestern war öffentliche Abschiedsfeier im Bürgergarten, war gedrängt voll. Im Hafen lagen ein Torpedoboot, drei Hilfsminen-Suchboote, frühere Handelsdampfer und viele Marine-Motorboote. Im Verein sprachen Herr Diete und Herr Pastor Pfeiffer über die Kriegslage im Osten. Herr Pastor sagte uns nur, wenn der rechte Flügel bei Ortelsburg rechtzeitig genug herumholt, dann stehen die Russen drin im Sumpf. Heute morgen werde ich geweckt: "30.000 Russen gefangen!" Ein Freudenruf ist das erste, womit ich antworte. Ich lese das Telegramm und richtig, die Russen sind in die Masurischen Sümpfe gejagt worden. Unser Generalstab wußte es, warum wir Ostpreußen für die Russen räumten.

Mit deutschem Gruß Otto.

Herzlichen Gruß von den Eltern und Geschwistern.

Hab ich Dir schon mitgeteilt, daß Herr Betz in Lüttich ist? Ist Alfred Meissner bei Dir?

VON WILLI PUCHERT (4)

Stettin, 1.9. 1914

Lieber Otto!

Es drängt mich, wieder einmal einige Zeilen zu schreiben. Mein Kamerad hat ein Paket von seinen Eltern erhalten mit Stralsunder Zeitungen. Da schwelgen wir nun in Erinnerungen. 17 Torpedoboote sind in Stralsund gewesen. Was ist in Stralsund für ein Betrieb, wenn die glänzenden Siege unserer herrlichen Truppen in der Zeitung bekanntgegeben werden. Hier läuten alle Glocken. In unserem Quartier gab`s die ganzen Tage schlechtes Futter. Nun haben wir groß Halloh geschlagen. Gleich ist es besser. Heute Abend hat es eine große Ansprache gegeben. Es scheint jetzt ein besseres Leben zu werden. Es haben sich aber schon eine ganze Menge ausquartiert. Von den 150 Mann sind nur noch ca. 60 Mann da. Was macht der Verein? Herr Diete wird Dir ein Liederbuch geben. Dieses willst Du mir bitte schicken. Auch meine Vereinsnadel. Bist Du noch immer gesund? Was machen Deine Eltern und Geschwister? Vor allem Trude? Sammelst Du auch für mich Extrablätter. Erinnere Wulff noch mal, der wird Dir noch welche geben. Ich habe hier auch schon ganz viel Zeitungen zusammen: Morgen ist der Tag von Sedan. Was werden unsere Truppen für ein Sedan feiern, draußen im Feld. Hoffen wir für unsere Fahnen das Beste. Es geht ja vorwärts immer, rückwärts nimmer. Wenn Du nun schreibst, dann nummeriere bitte die Sachen. Es geht hier auf dem Geschäftszimmer ziemlich bummelig her. Ich werde es ebenso machen. Berichte mir im nächsten Brief, wie ihr Sedan gefeiert habt. Wir haben morgen Dienst. Und morgen gibt`s den ersten Lohn. Wie weit seid ihr mit Euerm Kursus? Wir erhalten in 8 Tagen wohl schon Feldgrau. Jetzt laufen wir noch in den 42-er Uniformen. In 3-4 Wochen gehts nach Döberitz. Ist Deine Hausnummer No 31 eigentlich richtig? Bestelle bitte die besten Grüße an Deine Eltern, Geschwister und alle Vereinsbrüder! Vor allem an Gerhard, Schütt, Ulrich. Grüße an Frl. Meißner und alle Bekannten.

Mit Brudergruß

Willi, Heil!

AN WILHELM PUCHERT (5)

Stralsund, 3.9.1914

Lieber Willi!

Zunächst besten Dank für Deine Briefsendungen. Sei beruhigt. Das, welches keine Freude erwecken kann, ist selbstverständlich nicht auf Dich gemünzt. Daß Ihr Bessergesinnten Euch oft Eurer Kameraden schämen müßt, das das Essen nicht gut ist, daß Schwark krank wurde und kein Soldat bleiben wird, daß sind Tatsachen, die mich nicht erfreuen konnten. Eben habe ich Deine Karte erhalten, zeitig genug, um nicht beiliegende Karte abzusenden. Famose Karte, nicht wahr? So wird es dem Lumpengesindel ergehen. Willi, Du weißt, die Stralsunder sind schwerfällig. Als wir von dem großen Vogesensieg hörten, läuteten die Glocken in Stettin, Rostock, Greifswald, Stolp und vielen anderen Orten. In Stralsund schwiegen sie. Warum? Künzel hat darauf auch ein "Eingesandt" in die Zeitung gesetzt. Er fragt auch: Woran mag es liegen? Der Sieg über die Engländer bei St. Quentin wurde nun auch eingeläutet. Von 2 bis 3 Uhr ertönten die Glocken aller Kirchen. Wenn sonst ein Sieg errungen ist, steht es beim "Anzeiger" gedrängt voll. Jeder will ein Extrablatt haben. Der Sieg wird besprochen. Anerkennung für das tapfere Verhalten unserer Truppen wird ausgesprochen und geschimpft auf die Feinde. Man unterhält sich vor einer Landkarte mit ganz fremden Menschen. Alles ist freudig erregt. So feiern wir in Stralsund, so viel ich weiß, einen Sieg. Wallende Menschenmassen, die bei den Siegen in Hochs und Hurras ausbrechen, das gibts bei uns nicht. Wie ist es in Stettin? Verzeihung, wenn meine Leitung etwas lang, aber wo seid Ihr eigentlich in Quartier? Beim Bauern vielleicht? Wer hat denn die Ansprache gehalten? Walter Steinfatt ist auch in Eurem Regiment, nicht wahr? Im Verein geht alles seinen gewohnten Gang. Am Montag waren 19 Mann anwesend. Herr Diete las etwas vor, die Kriegslage wurde besprochen und sich nett unterhalten. Kein Mißton störte den schönen Abend. Liederbuch u.s.w. werde ich bestens besorgen. Ich bin noch immer gesund, auch Eltern und Geschwister sind wohlauf. Wie ich mir Sedan dachte, schrieb ich ja; wie es geworden ist, weißt Du. Die Sedanfeier im Verein werde ich Dir baldigst schreiben. Ich war ja im Kursus und muß nun auch erst in Erfahrung bringen, ob und wie Sedan gefeiert wurde. Als besondere Freude empfinde ich es, daß ich gerade zum Sedantage zum ersten Male als Sanitäter in Tätigkeit trat. Um 1.45 Uhr fuhr der Rote-Kreuz-Zug in den Bahnhof. Lauter verwundete Russen. Aber wie sahen sie aus. Kaum noch Uniformen auf dem Leibe. Der Zug fährt bis zur Heilanstalt. Wir steigen mit unseren Tragen in einen bereitstehenden Kremser und im schnellsten Tempo gehts hinaus zum Verwundetentransport. Die Schwerverletzten werden gefahren, oder ins Reservelazarett getragen. Ich half auch beim Anziehen der Kleidung. Die Uniform ist so mürbe, daß man sie im Nu in Fetzen gerissen hat. Die Unterhosen sind aus dünnen grünem Leinen. Auch Erkennungsmarken tragen sie. Interessant sind für mich auch die Ausführungen eines Soldaten, der tadellos Deutsch spricht. Er erzählt, daß er Pole sei. Aus Warschau gebürtig, hat er dort in der Schule Deutsch gelernt. Jetzt ist er als Reservist eingezogen. In Warschau sollen feine Spitäler eingerichtet worden sein. Er meinte auch, Gott soll ihn strafen, wenn er auf deutsche Soldaten geschossen hätte. Aber die Offiziere stehen hinter ihnen und erschießen denjenigen, der nicht kämpft. Die Russen schmeißen Waffen weg und laufen über. Die Großfürsten haben die Schuld am Krieg. Er wurde schon Mittwoch voriger Woche verwundet. Auf die Frage, wie es den Deutschen in Rußland geht, antwortete er, das wüßte er nicht, da er nichts gesehen habe, aber seine Frau würde deutsche Soldaten gut aufnehmen, weil sie weiß, er ist auch verwundet in Deutschland. Werde alle Grüße ausrichten. Nun sei gegrüßt mit deutschem Brudergruß

Otto und wir alle. Waffenheil!

VON WILHELM PUCHERT (6)

Stettin, 4.9. 1914

Lieber Otto!

Deinen Brief vom 3. d. Mts. habe ich richtig erhalten. Das Nummerieren meine ich so, daß Du jedes Stück, das Du an mich richtest, mit laufender Nummer versiehst. So kann kein Brief verlorengehen. Deinen Brief vom 31. August habe ich richtig erhalten, und bin deshab darauf nicht näher eingegangen, weil mir die betreffende Reihe unklar war. Mit unserem Quartier hat sich ja nun vieles gebessert. Es gibt jetzt gutes Essen und es ist ganz gemütlich hier. Einige Radaubrüder ausgenommen. Diese haben sich zum Teil auch ausquartiert, so daß nun einigermaßen Ruhe herrscht. Alfred Meißner ist seit einigen Tagen nicht mehr bei uns im Quartier. Wo er liegt, weiß ich nicht. Für die mit deinem lieben Brief gesandten Zeitungsausschnitte danke ich Dir bestens. Die Karte ist gut. Sie ist ja fast schon ganz in Erfüllung gegangen. Bei jeder neuen Siegesnachricht läuten hier die Glocken. Vor den Extrablättern sammeln sich die Massen, und brechen in brausende Hurras aus. Als der große Sieg über die Russen bekannt wurde, nachts um 1/2 12 Uhr, war der ganze Paradeplatz mit einer wogenden Menge angefüllt. Die Stettiner sind überhaupt äußerst soldatenfreundlich. Walter Steinfatt ist nicht in meiner Kompagnie. Wo er ist, weiß ich nicht. Was machen unsere Freiwilligen in Stralsund? Wir kommen bis zum 10ten nach Döberitz. Jetzt werden wir bald Feldgrau kriegen, von Montag an. Dann lasse ich mich photografieren. Nachdem wir ca. 14 Tage bis 3 Wochen in Döberitz weiter ausgebildet worden sind, werden wir wohl nach Aussage eines mir bekannten Unteroffiziers, des Schweizers Krabbe aus Barnkevitz (Du kennst ihn ja auch) nach Belgien oder Nordfrankreich kommen. Wenns bloß erst soweit wäre! Es muß bei Euch äußerst interessant gewesen sein, bei den Gefangenen. Habt ihr denn schon Uniformen? - Unsere Ausbildung macht nun riesige Fortschritte. Die mir übersandten Abschnitte folgen anbei zurück. Hefte sie bitte in meine Mappe. - Heute abend stellte sich Schwark wieder bei uns ein. Er hat im Lazarett einen feinen Tag gelebt, ist nunmehr felddienstunfähig und fährt morgen wieder nach Hause. Er wird Zeitungen und meine Wäsche zu meiner Tante bringen. Verwahre mir bitte die Zeitungen und lege sie ins Bücherbrett. Am Sedantage war Stettin die reinste Flaggenstadt. Es war nicht ein Haus, das nicht wenigstens 3 Flaggen trug. Wir hatten strammen Dienst. Wie wir abends ins Quartier gingen, spielten überall Kapellen. Nun weiß ich nichts mehr weiter zu berichten. Grüße bitte Deine Eltern und Geschwister recht herzlich von mir.

Mit deutschem Gruß

Dein Willy

N.B. Die Kriegsjugendwehr, was ist das?

AN WILHELM PUCHERT (7)

Stralsund, den 6.9.1914

Lieber Willi!

Deinen Brief und Karte habe ich erhalten. Es ist eine famose Einrichtung, Briefe ohne Porto zu senden. Ich erhalte Deine Sendungen immer gleich am Tage nach der Absendung. Du hoffentlich meine auch. Es freut mich sehr, daß es jetzt gutes Essen gibt und ein gemütlicher Ton im Quartier herrscht. Wie ich schon in Karte No. 3 schrieb, war ich bereits bei Deiner Tante. Ich wollte endlich ein Paket abschicken, denn Du wirst es schon erwarten, aber Deine Tante wollte erst von Dir Nachricht haben, was sie eigentlich schicken soll. Ich denke Pantoffel, Pomade und Lebensmittel. Wirst Du Wäsche vom Regiment erhalten? Nachmittags war ich wieder da, um zu sehen, ob Schwark schon da sei und vielleicht mündlich Bescheid gebracht hätte. Er war noch nicht dort gewesen. Deine Tante wünscht auch mal wieder einen Gruß. Vorläufig läßt sie schön grüßen. Sie meinte, Du hättest Dich auch stellen können, als sie keine mehr brauchten, denn jetzt mußt Du doch mit vor. Deine Tante hat 2 Mann einquartiert. Deine Mutter war zwei Tage, Dein Onkel 3 Stunden hier. In Stralsund sind 116 Verwundete untergebracht, 60 bei Rühe, 30 Lazarett und die anderen Schloßgarten. Die Verpflegung soll, sehr zur Scham der Stralsunder, die wünschen, daß die Verwundeten wieder bald am Feind sind, schlecht und mangelhaft sein. Raddas und Gustav Wulf erzählten mir, daß Mehlert Torten für die Verwundeten geschickt hat. Diese sind aber schon im Schauspielhaus verzehrt worden, von...? Man entschuldigte sich, daß es zu wenig war. Die Tante erzählte, Wühle habe einen ganzen Korb mit Butterbroten zu den Verwundeten getragen. Ein Verwundeter sagte zu einem Grenadier: "Mensch, hier kriegste nichts zu essen, hier verhungerst du." Das habe ich selber gehört. Die Steuern sollen der Quartierkammer bezahlt werden. Wer es unterläßt, von dem werden sie zwangsweise eingezogen. Aber an Quartiergeldern hat die Stadt noch keinen Pfennig bezahlt, und wie viele Leute brauchen das Geld jetzt nötig. In anderen Städten wird die Not gelindert auf alle mögliche Art und Weise, in Stralsund wird sie vergrößert. Ratsherr Dr. Heydemann ist verwundet. Unsere Kriegsfreiwilligen haben Scharfschießen und Felddienst. Heute angeblich in Grünhufe. Ja, bei euch in Stettin ist ganz anderes Treiben. Bis 10 Uhr werden hier nur Telegramme herausgegeben. Noch habe ich keine Uniform. Diese erhalte ich nach erfolgter Ausbildung, welche wohl am 13ten beendet wird. Beim Transport der Russen hatte ich nur die Armbinde mit dem roten Kreuz. Sonntag haben wir Übung auf dem Dänholm. Habe das Verbinden schon gelernt. Hoffentlich komme ich ins Etappengebiet. Was die Kriegsjugendwehr ist, wirst Du aus beiliegendem Zeitungsausschnitt ersehen. Ich lege auch den Ausschnitt mit der Rede des Oberbürgermeisters bei der Verabschiedung der Kriegsfreiwilligen und den von der Schilderung des Seegefechts bei Helgoland bei. Sind Dir ähnliche Aufsätze erwünscht, so werde ich mit jedem Brief einige schicken. Über den Verlauf unserer Übung schreibe ich nächstens. Nun werde ich wohl ziemlich alles geschrieben haben, was ich auf dem Herzen hatte, doch nein, in der Jakobi-Kirche wurde ein Kirchenkonzert für die Ostpreußen veranstaltet. Bis auf den letzten Platz war die Kirche gefüllt. Gerd trägt jetzt einen Kneifer. Es lassen grüßen, Deine Tante, Eltern und Geschwister, Frl. Meißner, die Ferienkolonistin E. Werlitz.

In inniger Freundschaft mit Brudergruß

Dein Otto

AN WILLI PUCHERT (8)

Stralsund, 8.9.1914

Lieber Willi!

Wie schade, daß Du schon so früh wieder Stralsund verlassen mußtest. Der Sonntagabend, der Abschiedsabend für unsere Kriegsfreiwilligen, war sehr nett. Ich bin hochbefriedigt nach Hause gegangen. Wie ich mit Walter den Versammlungsraum betrete, tadelte Herr Diete gerade das Benehmen der bekannten Klicke, in dem auch er allen Anwesenden die Namen nannte. Auch Herr Pastor tadelte er. Mit allen gegen zwei Stimmen wird beschlossen, daß sich der Verein als Ganzes der Kriegsjugendwehr anschließt und alle tauglichen Mitglieder teilnehmen müssen. Wir singen das Lied: "Wo Mut und Kraft in deutschen Seelen flammen", mit dem schönen Schluß: "Den Jüngling reißt es fort mit Sturmeswehen, fürs Vaterland in Kampf und Tod zu gehen." - Nun bittet Herr Diete unseren Fritz Schlamm, einiges von seinen Erlebnissen zu erzählen. In frischer, humorvoller Weise erzählte er nun. Von Krotoschin bis Lothringen fuhren sie 72 Stunden. Das kam daher, weil sie mal nach Westen, Norden, Süden fuhren. Dann wurde auch mal wieder zurückgefahren, um feindlichen Flugzeugen nicht den Sammelplatz unseres Heeres zu verraten. In Lothringen wurde Marschieren geübt, usw. Eines Nachts um 2 Uhr kam der Befehl zum Einmarsch in Frankreich. Die Bewohner sind in den ersten Dörfern friedlich, auch versteckte Waffen wurden nicht gefunden. Noch immer war kein Feind zu sehen. Da ertönt feindlicher Kanonendonner. Bald fliegen auch die ersten Gewehr-Geschosse heran. Von den Franzosen ist nichts zu sehen. Sie eröffnen nämlich das Feuer schon auf 2000 Meter, weil die Gewehre die Eigentümlichkeit haben, dann am sichersten zu schießen. Ganz sicher schießen sie auch dann noch nicht. Auf kurze Entfernungen schießen die Kugeln zu hoch. Auf 1000 Meter wird unsererseits das Feuer eröffnet, damit man auch zielen kann. Die Franzosen erscheinen nun nicht in Felduniform, sondern in roten Hosen und blauem Schniepel. Franzosenmantel der 6ten Garnitur. Wenn die Deutschen mit dem :"Deutschland, Deutschland!" auf 800 Meter herangekommen sind, laufen die Franzosen weg. Die Offiziere mit gutem Beispiel voran. Scheinbar zogen sie sich in ein Dorf zurück. Beim Nahen der Deutschen schießen die Franktireurs. Ein Pfarrer steht auf dem Kirchturm und knallt mit einem Maschinengewehr auf unsere Soldaten. Er wird heruntergeholt und am nächsten Baum als warnendes Beispiel aufgeknöpft. Auch aus einem Hause wird einer herausgeholt. Er bekommt einen Spaten in die Hand und muß sich sein Grab schaufeln. Dann wird er erschossen und hineingelegt. Das ganze Dorf wurde angezündet. Drei Häuser blieben stehen. Dann ging es weiter vor. In einem Graben, aber so gelegen, daß sie von Geschossen nicht getroffen werden können, liegen 12 Franzosen und sind tot. Der erste wird mit dem Bajonett gekitzelt und...er nimmt die Hände hoch und steht auf. Sein Nachbar lugt ängstlich um sich, um zu sehen, was der erste machte. Dann hebt auch er die Hände. Bald haben sie dann 12 Gefangene statt Tote, die nachher auf unsere Truppen rücklings geschossen hätten. In ihrem Tornister fand man Konserven mit Sardinen und Feilen zum Anfertigen der scheußlichen, völkerrechtlich verbotenen Dum-Dum-Geschosse. Die französischen Waffen sind ansonsten nicht so vollkommen wie unsere. Beim Gewehr muß jede Patrone für sich geladen werden. Die Maschinen-Gewehre können 25 Schuß abgeben. Unsere haben dagegen einen Patronengürtel mit 250 Patronen. Auch arbeiten unsere 1 1/2 Mal so schnell wie die französischen. Abends gegen 7 Uhr wurde Fritz Schlamm verwundet. Er schleppte sich mit einem Lieutenant bis zur Chaussee. Er lobte auch die Arbeit des Roten Kreuzes. Sie wurden zum Verbandsplatz getragen und hier verbunden. Dann kamen sie ins Feldlazarett. Sie erhielten Kommisbrot mit französischen Sardinen. Eine große Schande ist es, daß Flieger über dem Verbandsplatz, der durch auffällige rote Kreuze auch von Oben erkenntlich war, erschienen und Bomben warfen. Diese erreichten aber nicht ihr Ziel, sondern fielen in den Wald. Unser Fritze sollte nach Diederhofen zur Erholung. Er nahm aber Urlaub, um die Erholung in seiner Heimat zu suchen. Sein Regiment war von 11 Uhr bis 7 1/2 Uhr des Abends im Gefecht. Eine kriegsstarke Kompagnie war zum Schluß noch kampffähig. Er meinte, mehr könne er nicht erzählen, da er nicht mehr erlebt habe, aber wenn er wieder zurück kommt, wird er wieder mehr erzählen. Nun wurden noch einige Lieder, auch zur Geige und Zupfgeige, gesungen, worauf auch Herr Regierungsrat einige Worte an die Freiwilligen richtete. Er ermahnte sie zu Kämpfen für das, was sie im Verein gelernt haben, und es hinaustragen. Er überreichte W. Neels, Fritz Schlamm, O. Pögler und K. Jakobs einen Siegestaler mit den Worten: "Mögen Sie in diesem Zeichen siegen." Er bedauerte nur, daß Ihr anderen schon fort und um den Taler gekommen seid. Nun richtete auch Herr Diete einige Worte an die von uns Scheidenden, die zu Herzen gingen. Wenn Herr Diete mir oft etwas zu lange redete, heute folgte ich Wort für Wort. O, wie schade, daß Du diesen Abend nicht mehr erleben durftest. Er war zu schön. Jeder erhielt noch ein Kreuz, wie Du auch eins erhieltest. Herr Pastor Pfeiffer kam mit der Nachricht, Herr Hauptmann Rintelen sei gefallen. Wie schmerzlich, wenn ich daran denke, daß der zu Herrn Diete sagte: "Wenn ich wiederkomme, dann bauen wir Jungdeutschland." Es sollte ihm nicht vergönnt sein. - Unsere 42-er sollen nun auch schon schwere Verluste haben. Wenn ich die Verlustliste habe, werde ich sie Dir senden. Wie ist Euer Kamerad aus Garz angekommen? Seid ihr auch wieder glücklich im schönen Stettin? Mehr weiß ich nicht zu berichten. Sei Du herzlich gegrüßt und Gottbefohlen

Dein getreuer Otto

VON WILLI PUCHERT (9)

Stettin, 12. 9. 1914

Lieber Otto!

Heute erhielt ich Deinen Brief wie auch die Karte. Die Karte war irrtümlich erst zur 8. dann zur 7. und endlich zur 6. Kompagnie gekommen. So kam es, daß ich den Brief eher wie die Karte erhielt. Am Freitag abend bin ich nach Hause gefahren. 2 Tage war ich da. Sonntag mit dem 6 Uhr Trajekt kam ich zurück, war jedoch sehr müde, so daß ich nicht in den Verein kommen konnte. Um 11 Uhr bin ich dann weiter gefahren. Morgen haben wir 2 Schießübungen. wenn diese gut ausfallen, wie die erste, bekommen wir noch zwei Tage Urlaub, vielleicht Donnerstag bis Sonnabend. Dann können wir in unserer neuen Uniform fahren. Die erste Schießübung, liegend aufgelegt, ist gut ausgefallen. Wir sitzen noch immer in Stettin. Die Truppenübungsplätze sind sämtlich überfüllt. Wir machen nun 4 Tage Exerzieren im Regiment und einige Tage Manöver mit der ganzen Brigade. Anfang Oktober stehen wir zur Verfügung des Generalkommandos. Die graue Uniform sieht tadellos aus und sitzt äußerst bequem. Wir sind inzwischen umquartiert ins Gesellschaftshaus. Hier ist nun fast die ganze Kompagnie zusammen. Wie weit seid ihr mit Eurem Kursus? Grüße bitte Deine Eltern und Geschwister sowie alle Vereinsmitglieder recht herzlichst.

Mit deutschem Brudergruß Willy

Hoffen wir das Beste für die morgigen Schießübungen.

AN WILLI PUCHERT (10)

Stralsund, 19.9.1914

Lieber Willi!

Mein Direktor ist heute Nachmittag nach meinem Vater raus gefahren. Diese Gelegenheit benutzte ich, um Dir schnell einige Zeilen zu widmen. Vielleicht erreicht dieser Brief Dich etwas später wie die anderen. Am 20. wolltet ihr doch schon von Stettin fort. Auch der letzte Sonntag im Verein nahm einen guten Verlauf. Es waren etwa 20 Ostpreußen erschienen. Herr Diete las uns einen wunderbaren Kriegsbrief eines alten Kriegsberichtserstatters vor. Er ist von der Deutschen Tageszeitung zum westlichen Kriegsschauplatz entsandt. Die Tochter des Geheimrats Becker ist auch im Westen als Rote Kreuz Helferin tätig. Sie ist in einem Lazarett beschäftigt, welches ihr Gemahl, mit dem sie kriegsgetraut, leitet. Sie fuhr mit einem Lazarettzug. Die Stellungen verschoben sich aber derart, daß der Zug mitten durch die tobende Schlacht fuhr. Frau..., geb. Becker, sah so den Kampf aus nächster Nähe. Wolf Jakobi liegt im Lazarett. Er hat vier Schlachten mitgemacht. Als sie 2 Tage lang je 50-60 km marschierten, machte er am zweiten Tage schlapp und brach zusammen. Die Verlustliste ist noch immer nicht heraus. Rechtsanwalt Rink ist gefallen, auch ein Stralsunder Schriftsetzer Zunk. Am Montag früh mußten unsere Kriegsfreiwilligen antreten. Um 1/2 6 Uhr war Besichtigung durch den Kommandierenden General im Försterhof. Folgendes erzählte Herr Diete. Bekanntlich ist der Sohn des französischen Kriegsministers Delklasse gefangen genommen. Er hat einen Schuß durch beide Beine erhalten. Auf der Fahrt von der Grenze nach Merseburg kam der Lazarettzug auch durch Thüringen. Der junge Delklasse bewunderte dieses schöne Land und sagte zu seinem begleitenden Sanitäter: "O, wie sönd Thüring, o, wie sönd Thüring, o, wie schön ist Thüringen." So weit Herrn Dietes Erzählung. Über die Gefangennahme las ich in der Zeitung folgendes: Ein Gefreiter mit 3 Mann kommt in ein Dorf um zu sehen, ob es vom Feinde gesäubert ist. Sie sitzen gar nicht lange in dem Schulhaus des Ortes, als 9 Franzosen die Straße daher kommen. Flugs verteilt der Gefreite sein Heer auf die Fenster und bald krachen die ersten Schüsse auf die Rothosen. Alle sind getroffen. 8 Mann tot, und der führende Jäger, Unterleutnant, hat einen Schuß durch beide Beine erhalten. Es war kein anderer als Delklasse. Nun zurück zu Herrn Dietes Mitteilung. Die Franzosen denken, wir werden zu den Fahnen getrieben wie sie und wissen nicht, wofür wir kämpfen. Wir kämpfen für eine heilige Sache, für unseres heiligen Vaterlandes Freiheit, für deutsche Kultur, Gesittung, Industrie, Handel usw. Kein Wunder, wenn sich über 200.000 Kriegsfreiwillige stellten und diejenigen ganz verzweifelt waren, die nicht genommen wurden. Auch unsere Kriegsanleihe wird gezeichnet, daß die Feinde staunen sollen, was für ein Vertrauen wir an den Tag legen, in dem wir unser Geld sicher wissen als Kriegsanleihe. Herr Diete will 600 Mark zeichnen. Die Milliarde muß gezeichnet werden. Neulich las ich von dem wunderbaren Opfermut eines Dienstmädchens. Sie spendete dem Vaterlande ihre ganzen Ersparnisse von mehr als 1000 Mark. Wahrlich, wir leben in einer großen Zeit. Gott sei Dank brachte sie auch große Männer. Unser Dr. Kornstädt sagte uns, da die jungen Sanitäter jetzt alle streiken, weil sie nicht mit in die Etappe können, was heute nicht ist, kann morgen schon sein. Vielleicht, wenn Mangel an Sanitätern eintritt, werden auch wir noch Verwendung finden. Wenigstens haben wir Aussicht. Meine Stellung hier im Büro gefällt mir. Herr Direktor ist ein netter Mensch, mit dem es sich reden läßt. Nun muß ich aber schließen und an die Arbeit gehen. Schicke diesen Brief bitte mit Deinem nächsten Brief zurück. Ich möchte nämlich eine Abschrift, wie von allen Briefen, haben. Jetzt ist keine Zeit dazu. Hast Du meine Karte nicht erhalten, oder ist in der Garnison so viel zu tun? Mit deutschem Gruß, sehnsüchtig auf ein Lebenszeichen wartend, verbleibe ich

Mit köstlichem Heil! Otto

VON WILLI PUCHERT (11)

Stettin, 23. 9. 1914

Lieber Otto!

Also, in der Nacht vom Freitag zum Sonnabend fahren wir nach Jüterbog. Heute war Regimentsbefehl. Nach Aussage unseres Feldwebels bleiben wir nur ca. 8 Tage dort, um dann nach Belgien weiter zu kommen. Meine Adresse hat sich nun geändert. Jetzt darf man keinen Ortsnamen mehr aufschreiben, muß nur Umschläge der Feldpost oder Feldpostkarten verwenden. Meine Adresse findest Du umstehend. Mit dem Urlaub ist es also nichts mehr. Sage den Vereinsbrüdern namentlich meine neue Adresse, für die, die es angeht, natürlich. Bald werde ich nun mit eigenen Augen sehen, wie es in Belgien steht. Grüße alle Vereinsbrüder recht herzlich, besonders Herrn Diete.

Gottbefohlen

Dein Willy

Kriegsfreiw. W. Puchert, Res.Inf.Reg. 209, 2. Bat., 6. Komp., 23. Armeekorps, 45. Division

AN WILLI PUCHERT (12)

Stralsund, 25.9.1914

Lieber Willi!

Habe Deinen Brief und die Karte erhalten. Wie ist es nur möglich, daß meine Karte erst zur 8. und 7. und dann zur richtigen Kompagnie gelangte? Liegt die Schuld bei mir, aber soweit ich mich erinnere, habe ich doch 6. geschrieben. Nun aber habe ich wieder manches zu schreiben, was Dich erfreuen oder Deine Teilnahme erwecken wird. Ich hatte eben die Karte oder den Brief, die Du erhieltst, in den Briefkasten befördert, da kommt die Heilgeiststraße herunter eine Droschke mit einem Offizier, dem ein Fuß verbunden ist. Ich erkenne in ihm den Oberleutnant Zülke von der Maschinengewehrkomp. der 42-er, der noch am Sonnabend vormittag vor der Abreise lebhaft grüßte. Ich erzählte auch schon, daß Herr Dr. Hornburg während der Predigt vor drei Wochen weinen mußte. Jetzt erfahre ich durch die Zeitung und die Todesanzeige, sein Sohn, Hauptmann Hornburg, ist gefallen. Schriftsetzer Zunk ist gefallen, ebenso der Beamte Bürger, ein Bruder des Oberlehrers. Herr Dietes Bruder war am 3. September noch heil und gesund. Er hat ein schreckliches Nachtgefecht gegen die Engländer mitgemacht. Verschiedene Stralsunder erhielten das Eiserne Kreuz, so Oberst v. Hackevitz, Hauptmann Langemak, beide von den 42-ern, sowie Oberleutnant Kranz, der Feldwebel Köhler und Vizefeldwebel Schröder. Der Syndikus Dr. Heydemann ist nach Moskau transportiert und auf dem Wege der Besserung. Unsere Kriegsfreiwilligen haben auch schon Feldgrau, benutzen aber die Uniform noch nicht. Unser Kursus ist Ende September beendet. Wir wiederholen nur noch. 10 Mann sind für die Etappe gemeldet. Freitag ist Schutzpocken-Impfung. Am Dienstag voriger Woche besuchte ich zum ersten Mal ein Kirchenkonzert, welches zum Besten des Roten Kreuzes in der Jakobikirche veranstaltet wurde. Herr Diete erhielt aus der Nähe von Reims einen Brief. Der Schreiber hat die letzten Zeilen im Schützengraben liegend, beschossen mit Granaten, wartend auf den Befehl zum Sturmangriff, geschrieben. Absender ist ein junger Ingenieur, der Mitglied des Jünglings- vereins in Halle war. Ist es nicht was Schönes, daß er jetzt zurückdenkt an die Zeit vor 8 Jahren, als sie in Halle die "Quitzows" aufführten, sich noch bei Herrn Diete bedankt, daß er ihn in die rechte Bahn des Lebens gebracht hat, und er sein Leben nicht mit Wein, Weib und Bier zugebracht. Der junge Soldat ist auch der Anfertiger eines Spruches, der bei Herrn Diete im Zimmer hängt. (was der auch wissen wird) Er lautet: "Evangelisch bis zum Sterben, Deutsch bis in den Tod hinein, das soll unsere Losung sein." Vollen Mutes erinnert er auch an diesen Vers. Wahrlich ein großes Volk, würdig großer Taten. Das beweist uns auch wieder der Schneid, mit dem unsere "Emden", U 9 und U 21 vorgingen. Die Feinde lügen weiter wie sie es anno 70 getan. Ein Vetter meines Vaters war 3 Wochen in Rußland. Er hat den Feldzug mitgemacht. Doch davon nächstes Mal. Bald werde ich mehr schreiben und verbleibe indessen

Mit Grüßen von Eltern und Geschwistern

Dein Otto

VON WILLI PUCHERT (13)

Jüterbog, 29. 9. 1914

Neues Lager

Lieber Otto!

Deinen Brief habe ich mit bestem Dank erhalten. Bezüglich Deiner vorigen Karte lag es lediglich an der Bummligkeit der betr. Beamten. Wir haben uns jetzt schon eingelebt. In der Nacht vom Freitag zum Sonnabend verließen wir Stettin. Nach 12-stündiger, fröhlicher Bahnfahrt langten wir in Jüterbog an. Unterwegs wurden wir überall gut aufgenommen. An den verschiedensten Stellen gabs Kaffee und Semmeln. In Berlin-Pankow gab es Erbsen. Hier sind große Buden und Küchen extra für die Militärtransporte eingerichtet. Viele Liebesgaben wurden auch verteilt, wie Hemden, Unterhosen, Wollsachen, Strümpfe u. dgl. In Jüterbog bezogen wir eine Kaserne. Ich kam auf Stube 4. Jetzt, wo wir in Kasernen wohnen, lernen wir das Soldatenleben erst richtig kennen. Am Sonntag war Ruhetag. Nachmittags war ich in Jüterbog. Es liegt etwa 40 Minuten vom Übungsplatz entfernt. Ein dreckiges Loch, nichts mit los. Wir waren auf dem Kirchturm. Eine einigermaßen gute Aussicht auf ca. 50 m Höhe. Die Kirche stammt aus dem 14. Jahrhundert. Einige alte Tore gibt es auch. An einem Tor hängt eine Keule mit einer Tafel. Diese Tafel trägt die Aufschrift, an die Herr Diete erinnerte: "Wer seinen Kindern gibt das Brot, und leidet selber Not, den schlag man mit der Keule tot." Diese Tore und die Kirche sind die einzigen Sehenswürdigkeiten Jüterbogs. Wir gingen auch bald in die Kaserne zurück. Am Montag ging es auch gleich stramm an die Arbeit. Morgens 7 Uhr Abmarsch. Einen Marsch von 5 Stunden gemacht. 1/2 1 Uhr waren wir wieder in der Kaserne. Der Platz ist sehr groß. Aber fast durchweg Sand. Hier sind viel Soldaten: 209, 10, 11, 12, Artillerie, Kürassiere, und Ulanen. Heute hatten wir ein Gefecht. Beim letzten Angriff war Herr Nathusius unser Zugführer. Du kennst ihn ja. Er hat in Stralsund auch schon Vorträge gehalten. Wir schossen heute wieder beim Gefecht mit Platzpatronen. Das ist ein Geknalle. Heute war es tüchtig kalt, aber beim Sturmangriff schwitzten wir. - Sonntag habe ich mich knipsen lassen. Ein Bild lege ich bei. Nun weiß ich nichts Neues zu berichten. Grüße bitte Deine Eltern und alle Vereinsbrüder vielmals

Mit Gott Dein Willy

AN WILLI PUCHERT (14)

Stralsund, 2.10.1914

Lieber Willi!

Zuerst will ich hoffen und wünschen, daß die Taschenlampe-bald hätte ich geschrieben, heil und gesund - heil und ganz angekommen ist und daß alles nach Deinen Wünschen erfolgte. Deine Geldangelegenheiten bei Herrn Diete habe ich geregelt. Ich sollte doch auch Walters Beiträge bezahlen? Deine Tante aber war der Meinung, die 20 Pf. Monatsbeitrag könnte Walter selbst bezahlen, von Deinem Geld kann sie nichts für diesen Zweck hergeben. Schreib Du bitte, was Du wünschst. Wie ich schon mitteilte, bin ich nun auch Mitglied der Jugendwehr. Sonntag hatten wir eine Übung im Gelände, nachdem Marschübungen und Schwärmen, usw. Der Vereinsabend war dann wieder sehr nett. Als Gäste waren 7 Oberrealschüler anwesend. Herr Diete erzählte uns etwas über das Kriegs-und Verkehrswesen. Am Mittwoch hatte ich Unterrichtsstunde der Jugendwehr bei Herrn Dr. Schmidt, Oberlehrer. Besprochen wurde das Telephon. Auch unsere Fellmützen mit einem blauen Streifen, statt rot, erhielten wir. Wie ich Dir ebenfalls schon mitteilte, war ich an dem Sonntag vor 14 Tagen im Hause der Großeltern. Der Vetter meines Vaters war Radfahrer. Am Freitag vor der Mobilmachung wurde er bereits eingezogen und kam hin zur Grenzüberwachung an die russische Grenze. Der führende Leutnant dieses Trupps erhielt vom Hauptmann Befehl, nicht über die Grenze zu gehen, sondern sie nur zu bewachen. Als aber der Krieg an Rußland erklärt war, geht der Leutnant des Nachts über die Grenze, wo eine Kaserne steht. Unsere Grauen kriechen unter die Fenster und hauen den Russen die Gewehre aus der Hand. Da es zu schwierig ist in die Kaserne einzudringen, wird sie angezündet und nun strömen die 79 Russen heraus. Der erste wird gleich vom Leutnant runtergehauen. Die anderen nimmt man gefangen. Dann wird die Gegend nach dem Posten abgesucht, d.h. mit Laternen. Aus einem Gebüsch kommt er dann ohne Waffe heraus und wird vom Leutnant gelobt: "Junge, Du bist ein braver Jünger, daß Du nicht geschossen hast, sondern einfach weggelaufen bist." Mit 79 Russen kommen dann unsere Braven zurück. Der Hauptmann meint dann: "Aber Leutnant...wie konnten Sie über die Grenze gehen?" - - -"Ja, Herr Hauptmann", entgegnete der, "von Drüben ist ein Schuß gefallen, dann ging ich hinüber." - Wieder ein Zeichen für die Angriffslust unserer Truppen. Er erzählte auch folgendes: sie liegen vor einem Wald, als eine Abteilung meldet, Russen im Anzug. Schnell wird der Wald besetzt. Ahnungslos kommen die 1200 Russen ohne jede Sicherung auf den Wald zu. Als sie auf die günstigste Entfernung heran sind, wird das Feuer von uns eröffnet. Nur kurze Zeit später brauchen 8 Maschinengewehre und paar hundert Mann, um von 1200 Russen etwa 900 kampfunfähig zu machen. Später stellte sich heraus, daß nicht ein einziger Offizier dabei war. Diese halten sich fast immer im 4. oder 5. Schützengraben auf. Österreicher und Deutsche kämpfen Schulter an Schulter. Die eroberten Stellungen wurden durch Landwehrleute besetzt und so kam mein Vetter wieder zurück nach Stettin und wurde dem Regiment 290 zugeteilt. Gestern abend um 11 Uhr fuhren 150 Mann unserer 42-er ins Feld. Unter ihnen auch Hans Runge, Leo Zanke, Hans Wiechmann, Günther Krenz, und der kleine Baumann. Alles war munter und guter Dinge. Ich war auf dem Bahnhof und verteilte Blätter. (einliegend) Ganz famos war die Stimmung der Soldaten. Der Posten machte Hallotria mit seinen Unteroffizieren und Feldwebeln. Diese spaßten auch wieder. Offiziere verabschiedeten sich durch Händedruck von gemeinen Soldaten und wünschten Glück im Felde. Als sich der Zug in Bewegung setzte, wurden auch die Stralsunder begeistert. Die Spielleute spielten auf, Vaterlandslieder wurden gesungen, Hochs und Hurras gerufen und mit Hüten, Tüchern und Händen gewinkt. Und zum Schluß zwei Schuß mittels Feuerwerkskörper abgeknallt. Die Verlustliste der 42-er ist heraus. Gerhard sagte mir, es wären etwa 9 Seiten. Am Sonntag ist Abschlußprüfung vom roten + vor dem Herrn Regierungspräsidenten. Wünschend und betend, daß Gott Dich beschützen möge, verbleibe ich

Dein Otto

VON WILLI PUCHERT (15)

Jüterbog, 4.10. 1914

Lieber Otto!

Für die Übersendung der Taschenlampe sage ich Dir den besten Dank. Dieselbe brennt tadellos. Ich kann sie gut gebrauchen. Das Geld laß Dir von Tante Minna geben. Ich habe es ihr schon geschrieben. Wir tragen auf unseren Achselklappen die Nr. 209. Mit den 42-ern haben wir vorläufig nichts zu schaffen. Es geht die Rede, daß wir Sonnabend weiter kommen sollten. Gestern ist hier ein Flieger gelandet. Bei unseren Übungen überflogen schon verschiedentlich Flieger den Platz. Das Flugzeug, welches gestern landete, war ein Doppeldecker der Albatros-Serie. Mit einem Fahrer und einem Beobachter. Beides junge Kerle von ca. 18-20 Jahren. Der Motor war defekt. Den ganzen Nachmittag murksten die Flieger beim Motor herum. Beide verstanden anscheinend noch nicht viel von der Sache. Gegen Abend ließen sie das Flugzeug in einen Schuppen transportieren und nahmen hier den Motor auseinander. Heute Mittag, nach einigen vergeblichen Versuchen, gelang der Aufstieg. In einer Höhe von 800-1000 Metern machten die Flieger einige elegante Kurven und sausten Richtung Johannisthal ab. Gestern ist fast 3/4tel der Komp. auf Urlaub gefahren. Einige auch nach Stralsund. Diese fuhren schon am Vormittag. Wir kamen erst Mittags vom Dienst, da hatte es wenig Zweck, noch zu fahren. Es ist still in der Kaserne geworden. Gestern nachmittag machten wir es uns gemütlich. In unserer Stube waren noch ca. 15 Mann. Heute, am Sonntag, ist hier regnerisches Wetter. Wir sitzen in der Stube. Neben uns spielen 4 Mann Canaster. Wir erzählen uns mit den Alten, lassen uns erzählen aus ihrer Dienstzeit, manche heitere, aber auch ernste Begebenheit. Soldatenlieder schreiben wir auf. Einen neuen Vers für: "Ist es denn nun wirklich war" kann ich Dir jetzt schon schreiben. Die neuen Lieder nächstens. Jetzt ist es draußen ruhiger geworden. Vielleicht gehen wir noch los. Wie geht es so in Stralsund? Ist noch alles gesund. Was macht der Verein? Besucht Ihr noch immer gemeinsam die Kriegsgebetsstunde? Wieviel Mann sind es? Unsere Brüder draußen in Belgien kommen vorwärts, bei Paris steht die Schlacht wohl noch, abgesehen vom rechten Flügel. Jetzt möchte ich schließen. Grüße bitte Deine Eltern und Geschwister herzlich von mir. Sie sind doch hoffentlich alle gesund? Grüße bitte alle Vereinsbrüder und Herrn Diete! Gottbefohlen Dein Willy

Kommt ein junger Offizier, spricht, wir sind verloren, alle jungen Musketier, sind im Schnee erfroren.

AN WILLI PUCHERT (16)

Stralsund, 8.10.1914

Lieber Willi!

Deinen Brief vom 4/10 habe ich erhalten. Als Du diesen geschrieben hast, hattest Du wohl meinen Brief noch nicht? Am 6/10 erhielt ich eine Karte von W. Neels aus Barhöft. Er ist beim Wachkommando. Am Sonntag beendeten wir unseren Kursus mit einer Prüfung vor Herrn Regierungspräsidenten. Zum Schluß sprach er seine Anerkennung aus über die schönen Leistungen unserer Kolonne und hoffte, daß diejenigen, die zur Etappe kommen, die an sie gestellten Anforderungen genügen würden. Jetzt haben wir wöchentlich 1 Übestunde. Im Verein las Herr Diete einen Brief von seinem Bruder und einen von dem jungen Ingenieur. Der Ingenieur ist durch eine Heldentat der Franzosen in Kriegsgefangenschaft geraten. Er wurde nämlich verwundet und samt einem ganzen Feldlazarett gefangengenommen und nach Toulouse gebracht. Jetzt hat er Herrn Diete über die Schweiz einen Brief gesandt. Danach geht es ihm ganz gut, und Fritze Schlamm ist nun wieder ins Feld. Otto Päglers Bruder ist hier als Verwundeter in Stralsund. Er hat eine Verletzung am Finger. Otto erzählte, daß er ein französisches Seitengewehr mitgebracht hatte, das er aber für 10 Mark verkaufte. Ich hätte es trotz der 10 Mark nicht getan. Leutnant Zülke hat das Eiserne Kreuz 2. Klasse erhalten. Die beiden Fliegerschuppen in Stralsund sind mit dem großen Sturm weggesegelt. Der Besuch der Kriegsgebetsstunde ist leider gering, da am Mittwoch Kriegsjugendwehr ist. Aber Herr Diete geht stets hin, und wenn wie neulich nur Walter Radüge mitkonnte. Es scheint, als ob wir verschiedene Mitglieder von den Konfirmanden erhalten werden. Der eine spielt schon mit unserer Hauskapelle Geige. Wie wär es, wenn ich durch Gerhard auf Deiner Mandoline spielen lernte? Der Röhrenmeister Wiedemann, aber auch leider der Herr Direktor Rauschenbach, sind zum 1. April gekündigt. Der Wiedemann empfing Damenbesuch. Um 10 Uhr habe ich ihn gesehen, als er mit seiner Dame aus seiner Wohnung kam. Seine Frau und Tochter sind ja schon längst bei Frau Wiedemanns Mutter in Stolp. Also, das wollte ein städtischer Beamter sein, der moralisch unter jedem Arbeiter steht? Daß aber Herrn Direktor gekündigt ist, tut mir leid, aber Wiedemann diente als Werkzeug der Inspektion, um Herrn Direktor fortzubringen. Nun, da es erreicht ist, wird auch dem W. gekündigt. Gestern erhielt ich von Alfred eine Karte. Ich antwortete sofort und teilte meine Freude über seine Karte mit. Auch schrieb ich, daß ich gern alles vergesse, was vorgefallen ist und bitte ihn nun, eine neue Freundschaft zu schließen, die übers Grab hinausgeht, so war uns Gott helfe. Am Montag versammelte Herr Diete uns vom Verein. Die Mitglieder der Jugendwehr sind in seinem Zimmer. Keiner wußte warum. Vorne mußten wir uns aufstellen, wie Herr Diete es verlas. Mir kam die ganze Sache immer noch rätselhaft vor. Dann sagte uns aber Herr Diete, daß wir alle uns zusammenschließen und treu zusammenhalten müßten. Als äußeres Zeichen schlägt er vor, daß möglichst jeder einen Wandervogel-Anzug trägt. Diese würden bei einem Geschäft für alle bestellt werden. Dann soll jeder seine Vereinsnadel tragen. Herr Diete liest uns die Leitsätze der Berliner Pfadfinder christlicher Vereine vor. Wir mußten ihm in die Augen sehen und die Hand geben, indem wir versprachen, jeder für sein Teil dazu beizutragen, daß wir treu zusammen arbeiten und vermeiden, daß jemand ohne triftige Gründe aus unserem Verein austritt. Dann verkündete er, daß wir nunmehr eine Abteilung der Pfadfinder des Vereins bilden. Sonnabend findet dann gleich die erste Veranstaltung statt, ein Nachtmarsch. Wenn ihr also am Sonnabend ins Feld geht, vergesse nie, auch wenn Strapazen kommen, Deinen Gott. Denke daran, daß auch ich für Dich bete! Und nun Waffenheil und gottbefohlen

Dein Otto

VON WILLI PUCHERT (17)

Jüterbog, 10.10. 1914

Lieber Otto!

Heute abend erhielt ich Deinen Brief vom 8/10. Etwa 6 Stunden vor der Abreise. Heute Nacht um 12 Uhr geht es fort. Allem Anschein nach Richtung Antwerpen. Feldmarschmäßig ist schon alles. Tornister ist fertig gepackt. Er hat eine anständige Schwere. Als Liebesgaben erhielten wir 1 Hemd, 1 Unterhose, Pulswärmer, 1 Magenbinde, Kopfwärmer und 3 Paar Strümpfe. Dazu die eigenen Sachen, die eiserne Portion, bestehend aus Erbskonserven, Fleischkonserven, 1 Brot, 2 Beutel Zwieback, 2 Dosen Kaffee, 1 Dose Salz, 1 Beutel Reis, die Schnürschuhe. Alles in allem eine ganze Menge. Du kannst Dir wohl vorstellen, was das zusammen wiegt. Dazu 180 scharfe Patronen. Die Knarre und das Seitengewehr sowie Schanzzeug. "Mit Gott für König und Vaterland!" So ziehen auch wir hinaus in den Kampf für die Ehre und Freiheit unserer Deutschen Nation. Mit Gott! Er soll unser Führer und Leiter in den kommenden schweren Wochen sein. Auf ihn will ich mich verlassen. Er soll mein Schirmherr sein. Ob auch Tausend fallen zu meiner Rechten und Zehntausend an meiner Seite, so wird es mich nicht treffen. Wenn Strapazen kommen, will ich mich aufrichten in dem Gedenken an unseren Herrn und Heiland, der um unseretwillen den Tod erlitt. Mit ganzem Herzen teile ich Deine Freude über Alfred Meißners Verhalten. Hoffen wir, daß die Freundschaft, neu gestärkt und geschmiedet, noch reiche Früchte tragen wird. Das Soldatenleben und der Krieg edelt den Charakter; er wird auch Alfred formen, daß er seine kleinen Fehler aufgibt. Auch ich hoffe, als Mann wiederzukommen. Nun zu Deinen Neuigkeiten. Also eine Pfadfindergruppe habt ihr gegründet. Es wird gut sein. Der Wert dieser Truppe wird sich ja bei längerem Bestehen herausstellen. Der Krach mit dem Röhrenmeister ist ja was Dolles. Den Vers, den ich schrieb, könnt ihr singen, wo und an welcher Stelle ihr es für richtig haltet. Besonders gut ist er nicht. Wenn Du lernen möchtest, Mandoline zu spielen, so wird es mir eine Freude sein. Mein Instrument stelle ich Dir gerne zur Verfügung. Werdet ihr im kommenden Winter wieder Elternabende veranstalten? Liebe Grüße an Deine Eltern und Geschwister.

Nun Gottbefohlen und auf Wiedersehen

Dein Willy

AN WILLI PUCHERT (18)

Stralsund, 13.10.1914

Lieber Freund!

Herzlichen Dank für Deinen erhaltenen Brief. Es war der schönste von denen, die ich bisher erhielt. Wenn Du meinen Brief bekommst, werdet ihr doch schon in Feindesland sein, denn Dein Brief ist doch während der Fahrt dorthin abgesandt. Neustadt liegt an der Bahn Berlin-Hamburg, etwa 70 km von Berlin, nicht wahr? Daß das Regiment 209 reichlich mit Wollsachen versehen ist, las ich in der Zeitung. Es ist ja sehr erfreulich, daß ihr so viel an eiserner Ration erhalten habt. Jedenfalls werden Dir die Konserven einmal besser schmecken als den Russen der Sand, der sich in ihren Dosen befand. Wegen des Regens wurde der geplante Nachtmarsch nichts. Wir versammelten uns im Heim zu einer gemütlichen Tafel. Es wurde Kakao eingeschenkt und Kuchen gereicht. Unsere Hauskapelle spielte auf und wir unterhielten uns sehr nett. Die zwölften Schläge der Kirchturmuhr waren eben verhallt, als Herr Diete sich erhob und wir nun eigentlich erst den Grund unseres langen Zusammenseins erfuhren. Herm. Wulff hatte gestern Geburtstag, und der Tag seiner Geburt begann für R. Will eben nach Zwölf. Wir beglückwünschten beide und erfuhren auch, daß beide die Kosten des Abends trugen. Sonntagmorgen sitze ich zu Hause mit unserem Telephon, da kommt ein Kamerad (Barnekow) von der Sanitätskolonne und teilt mir mit, um 1/2 11 Uhr antreten, es kommen 150 Verwundete. Ich renne nun los, denn es ist bald an der Zeit. Der Bahnhof ist von Menschen umlagert. Auf dem Bahnsteig erfahren wir, daß Franzosen und Belgier ankommen. Pünktlich läuft der Zug ein. Was sehe ich da: Rothosen, waschechte Rothosen mit blauem Frack und rotem Käppi. Aber dies ist lange nicht alles. Es war eine richtige Völkerschau: Franzosen, Belgier, Engländer, ja sogar Turkos und Zuaven. Auch französische Offiziere habe ich gesehen. Diese machten gar keinen schlechten Eindruck. Die Turkos sehen jämmerlich aus und haben gefroren. Sie haben blaue Pluderhosen und Jacken mit Goldborte besetzt. Dazu schwarze Tuchgamaschen und Schnürstiefel (mit Nägel beschlagen). Der Gesichtsausdruck ist schrecklich. Die Franzosen müßten sich schämen, solche Elemente auf den europäischen Kriegsschauplatz zu führen. Wir trugen Franzosen von der Bahn zum Krankenhaus. (Städtisches) Hier fünf Treppen hoch. Dann nahmen wir sie von der Trage herunter und setzten sie aufs Bett. Die Franzosen waren immer höflich und bedankten sich mit ihrem Merci oder auch Danke. Ein sehr gutes Licht, wie die Gefangenen in Deutschland behandelt werden, wirft folgendes: der Verwundetentransport wurde von Soldaten hier her geleitet. Als wir die Schwerverwundeten fortschafften, verabschiedeten sich Franzosen und unsere Soldaten in ganz kameradschaftlicher Weise. Ein deutscher Soldat sagte noch zu dem Franzosen, den ich trug: "Wünsche gute Besserung, Kamerad!" Freundlich nickte der Feind, um bald von uns fortgetragen zu werden. Heute kamen Landwehrleute mit 1 russischem Hauptmann und einem Lieutnant durch die Straßen. Endlich merkt man auch hier etwas mehr vom Krieg. - Nach Aussage Herrn Dietes werden wir bald wieder einen Elternabend veranstalten. Sonntag haben wir 4 Mitglieder aufgenommen. Hans verbringt seine Ferien bei Onkel und Tante in Gehlsdorf bei Rostock. Mutter und Trude, auch Lieselotte waren von Mittwoch bis Sonntag auf Besuch in Lüssow. W. Zenk ist abgeschwommen und tut auf der Straße, als hätte er Herrn Diete nie gekannt. Am Sonnabend war Großfeuer in der Brauerei von Rubarth, Mönchstr. Rotbarth ist kein Soldat mehr, da er sich beim Marschieren die Knochen aus den Gelenken trat. Aber nun behüt Dich Gott. Alle Zeit zeige Deinen Feinden deutsche Keile, aber auch unsere Großmut.

Dein ewig treuer Otto

AN ALFRED MEISSNER (19)

Stralsund, 13.10.1914

Mein lieber Alfred!

Du wirst schon in Feindesland sein, wenn Dich meine Karte erreicht. Herzlichen Dank für das Bild und die lieben Zeilen. Auch Willi Puchert teilt mit ganzem Herzen die Freude über Dein Verhalten. Sonntag um 11 Uhr lief ein Zug mit 190 Verwundeten hier ein. Es war die reinste Völkerschau. Engländer, Belgier, Franzosen, Turkos und Zuaven. Die Franzosen haben tatsächlich noch ihre roten Hosen und den blauen Frack. Auch französische Offiziere waren darunter. Die Schwarzen sahen jämmerlich aus. Sie froren auch, was sich ja denken läßt. Die Franzosen sind aber freundlich. Sie grüßten die deutschen Offiziere und Schutzleute und bedankten sich, als wir sie von den Tragen aufs Bett setzten, mit ihrem Mersi oder auch Danke...Wir behandeln sie als Kriegs-kameraden und die französischen Zeitungen berichten von deutschen Barbaren? Versetzt den Feinden deutsche Keile, aber auch unsere Großmut. Nächstes Mal berichtet mehr

Dein getreuer Otto

AN MINNA REINIGER (20)

Stralsund, 15.10.1914

Mit Deiner Karte vom 6/10. hat Du mich sehr erfreut. Ich dachte, Du hättest mich schon vergessen. Wenn ich noch mal eine Karte von Dir haben soll, dann schreibe doch bitte etwas früher. Aber Kanonenfieber habe ich noch lange nicht. Bin bereits als Krankenpfleger ausgebildet und Mitglied der Sanitätskolonne vom Roten Kreuz. Da man aber von 17 Jahren an militärpflichtig ist, kommt man als Sanitäter grundsätzlich nicht ins Feld. W. Steinfatt und W. Puchert sind schon im Feld. W. Neels fährt heute. Alfred Schmidt wohnt jetzt in Lübeck. In der Hoffnung, bald wieder ein Lebenszeichen von Dir zu erhalten, verbleibt

Otto Schiel

VON WILLI PUCHERT (21)

Landegem (Belgien) 15.10. 1914

Lieber Otto!

Heute abend in der Ruhe finde ich Gelegenheit, Dir zu schreiben. Als Ueberschrift...ich unterbreche, weil eben eine feindliche Patrouille der Kavallerie gemeldet wird.

16. Oktober 1914

Mit der feindlichen Patrouille war es nichts. Wenn es wirklich eine gewesen sein sollte? Unsere Sorgen waren umsonst. Als Ueberschrift über diesen Brief möchte ich das Sprüchlein setzen: "Ein furchtbar wütend Schrecknis ist der Krieg!" Dieser Spruch hat seine volle Berechtigung. Doch laß mich der Reihe nach erzählen: Sonntag morgens 3 Uhr wurde geweckt. Um 5 Uhr standen wir auf dem Bahnhof. Abfahrt war 1/2 6 Uhr. Wir machten es uns im Bahnwagen (natürlich ein Viehwagen) bequem, denn es wurde eine lange Fahrt. In ca. 60 Stunden. Dienstag Nachmittag waren wir in Alost, wo wir die Bahn verließen. Unsere Fahrt ging über Nauen, Wittenberge, Hamburg, Harburg, Osnabrück, Münster, und von dort weiter nach Recklinghausen, Oberhausen, der Grenze zu. Diese passierten wir in der Nacht vom Montag zum Dienstag. Wie wir Dienstag morgens aufwachten, waren wir in Belgien. Als wir es merkten, war es mit dem Schlafen natürlich aus. Jedermann wollte sich das Land ansehen. Der Teil Belgiens, den wir anfangs durchfuhren, war sehr gebirgig. Hier hatte es schon gefroren. Wir hatten Gelegenheit, famose Landschaftsbilder zu sehen. Später wurde das Land aber eben, auch reizloser. Jetzt mehrten sich auch die Ortschaften. Allenthalben sah man schon die Schrecknisse und Verwüstungen des Krieges. In den meisten Orten sah man zerstörte Häuser, wahrscheinlich die der Franktireurs. An anderer Stelle auch einfache Soldatengräber bei den Schützengräben, mit einem schlichten Holzkreuz, dieses noch behauen und mit Blumen geschmückt. Als erste größere Stadt kam Lüttich. Eine schöne Stadt, aber auch hier, besonders in den Vorstädten, zerstörte Häuser. Weiter ging die Fahrt nach Löwen. Jetzt konnte ich mit eigenen Augen sehen, was hier geschehen. Ganze Straßen sind zerstört. Überall Grauen und Zerstörung. Aber es ist ja ein gerechtes Strafgericht gewesen, das hier unsere braven Kameraden vollzogen. Die Kirche ist unversehrt. Dann ging es durch Brüssel, der Hauptstadt, bis nach Alost, unserer Endstation. Weiter zu Fuß nach Crondegem, wo wir abends um 6 Uhr Ortsquartier bezogen. Das Quartiernehmen geht schnell. Das Haus und die Scheune werden angesehen und sofort 10-20 Mann, je nach dem, einquartiert. Die Einwohner sind fast überall, jedenfalls in den Ortschaften, durch welche wir marschierten, äußerst furchtsam. Verständigen können wir uns ganz gut auf plattdeutsch. Sie geben gerne, was sie haben. Am Mittwoch ging es weiter nach Melle. Hier bezogen wir wieder Ortsquartier. Abends, wir waren gerade ins Heu gekrochen, da ertönten Schüsse. Alarm! Schnell heraus aus dem Heu, Mantel gerollt, Helm auf, umgeschnallt und raus. Civilpersonen hatten sich der Bagage genähert und auf Anruf nicht gestanden. Es wurde geschossen, aber nachher zeigte sich nichts mehr. Am anderen Morgen marschierten wir nach Gent. Es ist dieses eine schöne Stadt. Aber sehr wenig Einwohner. Die meisten sind geflüchtet. Auf der Straße von Melle nach Gent begegneten uns ganze Schwärme von Flüchtlingen, welche mit wenig Habe sich in Sicherheit brachten. Gestern Mittag erreichten wir Landegem. Wir waren mit unserer Korporalschaft einquartiert. Uns gegenüber stand ein neues Haus. Hier fanden wir alles, was unser Herz begehrte. Konnten in Betten schlafen, etwas, was wir bisher in Belgien noch nicht hatten. 2 Hühner kauften wir uns, etwas Butter und dann ging die Kocherei los. Um 3 Uhr fingen wir an und um 7 Uhr hatten wir ein tadelloses Abendessen. Huhn, Brühe und Kartoffeln. Bald gingen wir schlafen. Heute ist Ruhetag. Jetzt weiß ich vorläufig nichts weiter zu berichten. Grüße bitte Herrn Diete, alle Vereinsbrüder und alle Bekannten. Wie geht es Deinen Eltern? Grüße sie bitte herzlichst Brudergruß und Gottbefohlen

Dein Willy

Essen und Obst gibt es hier reichlich!

AN WILLI NEELS (22)

Stralsund, 20.10.1914

Lieber Willi!

Besten Dank für Deine Karte. Ich habe noch immer keine Karte von W. Puchert. Wo mögen die stecken? Stettin ist doch wohl eine schöne Stadt, was? Also, am 22. rückt ihr aus, und so großartig. Da erlebst Du ja ordentlich etwas. Ich weiß leider nicht, ob meine Karte Dich noch in Stettin oder gar nicht mehr erreichen wird, denn die Adresse ist doch ganz unvollständig. Schreibe bitte deshalb genau die exakte Adresse, Armeekorps, Division, Batl. und Komp. Nun viel Glück im Felde. Wenn Strapazen kommen und Nöte, dann denk daran, was Du im Verein gelernt hast-vertraue auf Gott, er verläßt Dich nicht. Größer als der Helfer ist die Not ja nicht. Gottbefohlen.

Dein getreuer Otto

VON WILLI PUCHERT (23)

Im Schützengraben, 25.10. 1914

Lieber Otto!

Im letzten Brief behauptete ich, daß der Krieg ein furchtbares Schrecknis sei. Dieses behaupte ich jetzt noch viel mehr, da ich nun schon 8 Tage im Feuer bin. Der Herrgott hat mich bis heute gnädig aus aller Not geholfen. Er wird mich auch ferner beschützen. Auf ihn baue ich. 8 furchtbare Tage habe ich nun schon hinter mir. Tag für Tag fast dauernd im furchtbarsten Artilleriefeuer. Eine Freude habe ich. Ich bin jetzt zeitweise mit Walter Steinfatt zusammen. Am Donnerstag voriger Woche erhielt ich zuammen mit einem Brief von zu Hause auch Deinen Brief. Es war eine große Freude für mich. Am Abend des selben Tages machten wir einen Sturm auf ein größeres Dorf. Wenn Du mir schreibst, so schicke mir möglichst Zeitungen mit. Wir kriegen hier nichts zu wissen. Viel schreiben über unser Leben und Treiben darf ich Dir leider nicht, aber wenn Gott es mir vergönnt, lebend ins Vaterland zurück zu kehren, so will ich erzählen, vom furchtbaren Krieg. Jetzt ist mir erst zum vollen Bewußtsein gekommen, was ich im Jünglingsverein gefunden habe, den wahrhaftigen Gott. Er wird mir weiter in Not und Tod helfen.

Gottbefohlen

Willy, und einen herzlichen Gruß von W. Steinfatt.

AN MARTA SCHULZ (24)

Stralsund, den 27. 10. 1914

Liebe Marta!

Deine Karte habe ich erhalten und spreche hiermit meinen Dank dafür aus. Zweifelst Du etwa daran, daß wir siegen werden? Hin und wieder werden wir ja auch mal geschlagen werden, aber zuletzt wird der endgültige Sieg unzweifelhaft auf unserer Seite sein, denn ein Volk, das so begeistert in den Kampf zieht wie wir, daß kann ja gar nicht zu Grunde gehen. Also nur auf Gott vertrauen. Ich bin noch immer gesund und munter und hoffe von Dir dasselbe.

Otto Schiel

AN WILLI PUCHERT (25)

Stralsund, den 27. X. 1914

Lieber Willi!

Vielen Dank für Deine Karte aus Lüttich. Alfred schrieb an Erich Pieritz, daß er über Löwen und Brüssel gekommen sei. Du etwa auch? Schreibe doch bitte gleich, wenn Deine Zeit es erlaubt, damit ich weiß, wo ihr eigentlich steckt. Willi Neels ist nun auch schon fort. Heute erhielt ich eine Karte von ihm aus Lübeck. Am Sonnabend sind sie von Stralsund abgefahren. Auch Otto Pögler und Werner Arndt konnte ich noch einmal die Hand geben. Herr Diete ist am 20. nach Halle und von dort nach Salzwedel gefahren. Hier liegt sein Bruder im Lazarett, schwerverwundet. Am Sonntag ist Herr Diete wieder im Verein und will uns etwas darüber erzählen. In unserer Kriegsjugendwehr gefällt es mir. Wir hatten schon eine Pionierstunde und lernen den Brückenbau durch einen Beamten der Reichsbank. Gestern hatten wir die Physikstunde und besprachen den Telegraphen. Herr Diete hat uns schon Winkertafeln gegeben, auf denen das ganze System des Morsealphabets drauf ist. Ich lerne nun die Morseschrift und kann schon verschiedenes auswendig. Am Sonntag veranstaltete die Kriegsjugendwehr ihren ersten Elternabend. Ich trug ein feines Gedicht von Rudolf Herzog, "das eiserne Gebet", vor. Den Bericht füge ich bei. Die Gesänge, Text und Melodie waren großartig. Der Vetter meines Vaters, von dem ich die Erlebnisse im Osten schilderte, ist auch wieder im Feld. Ich erhielt heute eine Karte aus Belgien. Im Hafen liegen heute ein Marineflieger, der mit dem Kreuz gekennzeichnet ist. Wenn Du Zeit hast, und soviel wird sich doch wohl immer finden, dann schreibe doch bitte auch an Gerhard. Nun Gottbefohlen

Dein getreuer Otto

AN WILLI PUCHERT (26)

Stralsund, 31.10.1914

Lieber Willi!

Dank, herzlichen Dank für Deinen Brief. Täglich wartete ich auf eine Nachricht von Dir, aber immer noch nichts von Willi. Am 30.X. erhalte ich nun Deinen Brief mit den ersten Schilderungen Deiner Erlebnisse und freue ich mich, daß Du noch immer gesund bist. Max Käding traf am Mittwoch hier ein. Er hat 7 Verwundungen zu gleicher Zeit erhalten. Alle aber nicht lebensgefährlich. Sonnabend wollen wir gemeinsam mit ihm Abendbrot essen und wird er uns von den Kämpfen Deines Regiments erzählen. Von Willi Neels erhielt ich eine Karte aus Noyon, das 100 km vor Paris liegt. Hier liegen unsere 42-er im Schützengraben. Es geht wohl sehr hart zu bei euch da oben am Kanal. Das liest man ja bei uns in der Zeitung, daß die neuen Regimenter sich sehr gut schlagen. Hoffentlich hast Du meinen Brief erhalten und die Zeitungen. Daraus wirst Du ja manches ersehen, was bei uns Neues passierte. Erich Wiechmann erhielt das Eiserne Kreuz. Der Unteroffizier Voigt, der in der Greifswalder Chaussee bei Hennings wohnte, er war Kontorist, kennst Du ja auch, er erhielt auch das Kreuz. Der junge Herr von Vahl, der uns Ostern in Gr. Schoritz noch begrüßte, ist gefallen. Auch unser treues früheres Vorstandsmitglied Herr Gillmann ist im Westen gefallen. Er hinterläßt eine Witwe nach 1-jähriger Ehe. Der Vorsteher des Rotterdamer Seemannsheimes, wo unser lieber Vereinsbruder zuletzt arbeitete, gedenkt in einem herzlichen Nachruf seiner und lobt seine Pflichttreue und Frömmigkeit. Er hätte noch Großes leisten können. Wir aber wollen nicht lange klagen, sondern kämpfen und siegen, wenn Gott es will. Wenn Gott es will, werden wir auch England besiegen. Diese dürren Krämerseelen. Wundern soll`s mich nicht, wenn Frankreich gegen die Abmachung seiner Verbündeten einen Einzelfrieden schließen wird und vielleicht auch noch gegen England kämpfen wird. Die Engländer suchen doch deshalb nur immer wieder neue Freunde, um deren Handel und Wandel zu zerstören. Warum vernichten sie sonst so vieles in Antwerpen, so daß sogar die Belgier protestierten, deren Geschäftshäuser durch ihre Bundesbürger, den Briten, zerstört wurden. Warum beschossen diese Halunken Ostende? Nur zum eigenen Vorteil. Sie gönnen eben auch ihren Verbündeten nichts. Wie anders unser Bündnis mit Österreich. Wir kämpfen gegen gemeinsame Feinde für gemeinsame Ziele und werden durchhalten bis zuletzt. Das zeigt nun auch unsere kleine Besatzung in Ksiangtou. Zwei Forts haben die Japaner nun endlich in ihren habgierigen Händen. Aber mit welchen Verlusten. Sie gehen in die Tausende. Das Wort des tapferen Gouverneurs hat sich auf wunderbare Weise erfüllt: Einstehe für Pflichterfüllung bis zum Äußersten. - Möge jeder Soldat dies seinem Vaterland schwören. Heute Mittag erhielten wir ein Telegramm, daß die diplomatischen Beziehungen zwischen der Türkei und Rußland abgebrochen sind. Beim Manöver sind die türkischen Schiffe von der russischen Flotte angegriffen worden. Die Russen hatten aber Verluste von zwei Torpedobooten, die Türken keine. Immer mehr Staaten schließen sich dem Weltkrieg an. Und noch mehr werden sich anschließen, denke nur an Aegipten, Persien, Afganistan, Kapkolonie, Indien, China, Amerika usw. Sonst nichts Neues. Nun sei von unsern Vereinsbrüdern und Eltern und Geschwistern herzlichst gegrüßt. O, wie herrlich, wenn ihr mit Blumen geschmückt als Sieger heimkehrt. Doch daran ist ja jetzt noch nicht zu denken. Noch stehen harte Kämpfe bevor.

Ich gedenke in Liebe Deiner und bleibe

Dein stets treuer Otto

VON WILLI PUCHERT (27)

z.Zt. Bochum, Lazarett ,3. November 1914

Lieber Otto!

Jetzt bin ich wieder in Deutschland, im Lazarett Bochum. Viel zu früh ist die Stunde gekommen. Ich mußte zurück. Wie gerne wäre ich draußen geblieben. Aber gegen Gottes Beschluß ist nichts zu machen. Er hat die Wunde gegeben. Er wird sie schnellstens heilen, damit ich wieder hinaus kann, um mich für die Schmerzen zu rächen. Zunächst muß ich hier in Bochum einige Tage bleiben. Dann werde ich mich nach Stralsund überschreiben lassen. Hier in Bochum sind wir großartig aufgenommen worden. Wir kamen in ein neu eingerichtetes Reservelazarett. Zum ersten Mal nach langer Zeit, aber eigentlich ist es ja gar nicht so lange her, seit dem 21.10., habe ich mal wieder in einem Bett geschlafen. Verpflegt werden wir fürstlich. Auf Wiedersehen in vielleicht 8 Tagen. Grüße Herrn Diete, alle Vereinsbrüder und Bekannte. Herzl. Grüße an Deine Eltern und Geschwister.

Gottbefohlen

Willy

VON WILLI PUCHERT (28)

Lazarett Bochum 5, 4. November 1914

Lieber Otto!

Heute habe ich eine liebe Bitte an Dich. In Stralsund sind doch Reserve-Lazarette. Ich denke da an Rühe. Frage doch bitte in einem solchen Lazarett nach, ob dort noch Platz ist. Wenn dies der Fall ist, laße Dir bitte eine Bescheinigung ausstellen darüber. Diese Bescheinigung benötige ich, um von hier nach Stralsund zu kommen. Je eher Du es mir besorgst, desto eher komme ich heim. Sonst muß ich bis zur völligen Genesung hier bleiben. Es gefällt mir hier zwar tadellos, wäre aber lieber zu Hause. Für baldige Erledigung danke ich Dir jetzt schon.

Gottbefohlen

Dein Willy

VON WILLI PUCHERT (29)

Lazarett Bochum 5, 8. November 1914

Lieber Freund!

Mit großer Freude erhielt ich heute die mir gesandten Zeitungen. Es war eine höchstwillkommene Abwechslung, für die ich Dir bestens danke. Hoffentlich gelingt es Dir bald, die Bescheinigung zu erhalten. Daß mein Onkel nach Rußland versetzt ist, war mir etwas Neues. Ernst Ulbrich schrieb mir, daß wieder 260 Kriegsfreiwillige und Verwundete ins Feld gezogen sind. Sind Vereinsbrüder mit? Wo ist Otto Pögler jetzt? Heute war ich endlich mal wieder im Gottesdienst. Der Pastor ist Leiter des Jünglingsvereins. Er hält die abendliche Andacht im Lazarett. Gottbefohlen.

Dein Willy

AN OTTO PÖGLER (30)

Stralsund, 9.11.1914

Lieber Otto!

Zurückdenkend an die schönen Tage, die wir durch den Jünglingsverein bei Aufführungen der "Quitzows" sowie auch bei anderen Veranstaltungen erlebt haben, zu gleicher Zeit auch gedenkend, wie oft Du mir mit Rat und Tat in der Fabrik beigestanden hast, wofür ich jetzt noch danke, sende ich Dir herzliche Grüße aus Stralsund. W. Puchert liegt verwundet in Bochum. Er erhielt einen Granatsplitter im linken Oberarm. Alfred Meißner liegt auch schon zu Hause, da er einen Schuß von der Granate in die Seite erhielt. W. Puchert wünscht schnellstens geheilt zu werden, damit er sich für seine Schmerzen rächen kann. Nun herzlichen Gruß. Gottbefohlen.

Dein Otto Schiel

AN WILLI PUCHERT (31)

Stralsund, 9.11.1914

Lieber Willi,

Schönen Dank für Deinen am Buß+Bettag erhaltenen Brief. Der Zwist im Verein hat sich schon wieder fast ganz gelegt. Nur fragt es sich, ob der Schütt wieder mit macht. Augenblicklich hat er nämlich ein schlimmes Auge. Raddas mcht nicht mit uns gemeinsame Sache, sondern ist in der anderen Kompagnie geblieben. Kruse und Luther sind jetzt sogar Korporalschaftsführer geworden. Daß K. Schütt einen Freund in der Komp. hatte, glaube ich nicht. Soviel ich weiß, ist auch Lüders nicht in der Jugendwehr. Der einzige Grund über den Kompagniewechsel zu murren, wäre der, daß der Zugführer ein nicht ganz einwandfreier Mensch ist. Daran hat aber keiner gedacht, außer Willi Raddas, und gerade er hat doch am wenigsten Recht, sich darüber aufzuhalten, daß der Zugführer vielleicht etwas zu viel trinkt, oder sich derb militärisch ausdrückt. In der nächsten Sitzung des Vorstands soll Raddas dann endlich gestrichen werden. Vor 1 Jahr saßen wir und übten "Blücher in Teterow", und nur nach einem Jahr, wie anders ist alles gekommen. Am Totenfest werden wir auch wieder Blätter verteilen. Vielleicht wird es Dir nun doch gelingen, nach Stralsund zu kommen. Alfred wird vielleicht bald wieder fort kommen. Er wurde am 31. 10. verwundet. Sie trugen einen verwundeten Unteroffizier aus dem Schützengraben heraus und wurden nun die Zielscheibe für die Schrapnells und Granaten. Sein Kamerad erhielt einen Granatsplitter in den Schädel und stürzte tot hin, während Alfred nur eine leichte Verwundung in der rechten Seite erlitt. Der Unteroffizier aber blieb unbehelligt. Das Frostwetter hält auch in Stralsund an, nur daß es hier noch nicht schneit. Es ist 4 Uhr, und es fällt der erste Schnee. Otto Pögler liegt nicht in Hessen, sondern in Westphalen in einem Pensionat für Mädchen. Im Lazarett Rühe sind gar keine Deutschen, nur feindliche Verwundete. Nun zu den Franzosen: Es ist so, wie ich Dir schon in einem Briefe schrieb, den Du aber wegen Deiner Verwundung noch nicht erhalten hast. Es ist kein Wunder, wenn wir erst Frankreich klein gemacht haben, es dann trotz der Abmachung einen Einzelfrieden schließen wird, um vielleicht gegen England, seinen Freund, der Verderben schuf, zu kämpfen. Ja, der Franzose ist der Anständige unter unsern Feinden, nur er kämpft für Heimat, Vaterland, für seine schöne Normandie. Wie die gefangenen Franzosen von uns behandelt werden, schrieb ich ja auch. Unsere Soldaten achten die verwundeten Kameraden und wünschen ihnen gute Besserung. Das ist etwas, was uns der Franzose als Beweis anführt, daß wir keine Barbaren sind. Nun herzliche Grüße von Eltern und Geschwistern

Gottbefohlen Dein Otto

VON WILLI PUCHERT (32)

Lazarett Bochum 513.11. 1914

Lieber Otto!

Deinen lieben Brief vom 10. habe ich erhalten. Ebenso die Zeitungen, für welche ich Dir bestens danke. Mit dem Kommen wird es vorläufig nichts werden. Aus dem Lazarett kommt keiner so heraus. Ich muß hier bis zur Ausheilung bleiben. Diese wird immerhin noch vier Wochen in Anspruch nehmen. Die Ausgeheilten werden alsdann in ihre Garnison entlassen. Am Mittwoch kommender Woche gehen die ersten 13 Mann fort, in ihre Garnisonen. Wenn ich so ohne Weiteres von hier fortfahren könnte, so würde ich dort schon unterkommen. Der Oberstabsarzt, den wir herholten, ist ein äußerst unzugänglicher Herr. Nun, ich will alles mögliche versuchen, um nach Hause zu kommen. Schließlich, wenn es nicht anders geht, bleibe ich eben so lange hier. Hier fehlt uns absolut nichts. Im nachfolgenden werde ich versuchen, Dir unseren Tagesbetrieb zu schildern: Morgens 7 oder 1/2 8 Uhr erwachst du von einem fürchterlichen Radau. Die Frauen heizen ein! Und zwar so geräuschvoll, daß du unmöglich noch schlafen kannst. Dann das Ankleiden. Es geht etwas langsam mit einem Arm, aber es muß gehen. Nachdem du dich gewaschen hast, wird es langsam Zeit zum Kaffeetrinken. Dann beginnt das Reinemachen. Hilfskräfte haben die hier mehr wie genug. Junge Damen in Fülle. So, um 9 Uhr sind die Fräuleins mit dem Reinemachen fertig. Dann setzt man sich bei seinem Bett hin, um zu lesen. Zu lesen habe ich mehr wie genug. Die jungen Damen brachten mir Schiller, Reuter, Romane, Ullsteinbücher u. dgl. Sonderbar, daß sie gerade mir immer diese Bücher bringen. Eine Mandoline brachten sie, weil ich einmal verraten hatte, daß ich etwas Mandoline spiele. Blumen, Aepfel, alles bringen sie. Mittlerweile ist es Mittag geworden. Nachmittag wird ein Schläfchen gehalten, bis zum Kaffee. Nach dem Kaffee spiele oder lese ich, damit ist es auch schon Abend. Nach dem Abendessen kommt der Herr Pastor. Ein äußerst netter Herr. Er ist auch Leiter des Jünglingsvereins. Er hält jeden Abend Andacht. Dann legt man sich schlafen. Da kannst Du Dir also unser Schlemmerleben vorstellen. Heute nachmittag besuchten wir die Zeche. - Grüße bitte Deine Eltern und Geschwister herzlichst so wie alle Vereinsbrüder. Gottbefohlen Willy

AN WILLI PUCHERT (33)

Stralsund, 16.11.1914

Lieber Freund!

Für Deinen erhaltenen Brief herzlichen Dank. Habe mich sehr gefreut. Also, da hast Du wohl alles, was Du wünscht in Bochum. Nur das Unersetzliche fehlt, die Heimat. Es ist zu schade, daß Du nicht kommen kannst. Es ist auch wirklich merkwürdig, daß aus Euerm Lazarett alles bis zur völligen Genesung bleiben muß. Hier in Stralsund sind Verwundete, die noch viel schwerer verletzt sind wie Du. Nun ist es auch fraglich, ob Du nach Deiner Gesundung noch mal nach Stralsund kommst, denn Dein Ersatz-Bataillon ist das Grenadierregiment Nr. IV (König Friedrich Wilhelm II ?). Es könnte nur möglich sein, daß Du einen kurzen Erholungsurlaub nach Stralsund erhältst. Das wäre ja schade, aber wenn es so kommt, ist nichts dran zu ändern. Es wäre ja schön, wenn wir Weihnachten zusammen feiern könnten. Nun ist auch Otto Pögler verwundet, aber nur leicht. Walter Steinfatt ist zum zweiten Mal wunderbar einer Verletzung entgangen. Ein Schrappnell hat seine Hose zerrissen, das Bein aber nur sehr leicht verbrannt. Vorher platzte ja eine Granate in einem Hause, in dem sich auch Walter Steinfatt befand. Drei Mann wurden getötet, 12 Mann verwundet und unser Walter Steinfatt blieb unverletzt. Er schrieb nach Hause, daß auch Du kurz vorher in dem Gebäude gewesen seiest. Ich freue mich, endlich öfters mal im Dienst des Roten Kreuzes zu stehen. In der Bahnhofswache tut man viel Gutes und hört manch Neues. Ein Schauder konnte einem überlaufen, als einige ostpreußische Soldaten von den selbst gesehenen Greueltaten der Russen erzählten. Am Freitag um 3/4 6 Uhr wurde ich telephonisch zum Bahnhof bestellt. Als ich ankam, herrschte hier reges Leben und Treiben. Es sollten nämlich 4000 ostpreußische Flüchtlinge durchfahren. Fortwährend kamen Schlächter mit Körben voll Knackwurst, Lungwurst und Leberwurst. Körbe voll Brot wurden gebracht und große Mengen Butter und Schmalz. In der Bahnhofswirtschaft wurde Kaffee und Milch gekocht und die Würste gebrüht. Bei uns in der Wachstube hatten wir eine Brotschneide-Maschine. Einer hält sie fest und der Andere schneidet. Die Helferinnen beschmieren dann die Stullen. Andere schneiden Stullen mit dem Messer ab und zwei unserer Leute waschen Tassen ab. So hat jeder seine Beschäftigung. Auf dem Bahnhof wurden dann drei große Handwagen beladen mit Lebensmitteln. Alles wird geregelt. Der eine Wagen fährt bis zum Ende des Zuges, der zweite nimmt die Mitte, und der Letzte den Anfang. Schließlich brauste der Zug heran. Die Wagen fahren los und nun werden an die hungrigen Menschen, die seit Mittags nicht gegessen hatten, Lebensmittel verteilt. Im Nu ist mein Korb geleert. Wir konnten nicht schnell genug arbeiten, um 3 Züge abzufertigen. Aber schließlich, um 10 1/2 Uhr ist die Arbeit beendet. Aber wie sehe ich aus. Die Stiefel und meine Sonntagshose bis oben mit Schmutz bedeckt und durchnäßt, aber was ist das im Vergleich zu dem Jammer und Elend, welches zu sehen und zu hören ich eben Gelegenheit hatte.

Am anderen Morgen um 5 Uhr wird schon wieder aufgestanden, will ich doch um 5 1/2 Uhr auf dem Bahnhof sein, um einen Verwundeten-Transport von 90 Russen abzuholen. Hier hatten wir nicht viel Arbeit, da die meisten leichter verletzt waren. Am Sonntag von 4-8 Uhr hatte ich Bahnhofswache, und nun sitze ich schon wieder als Wachmann auf dem Bahnhof. Heute wird Gerhard und ich in einem Vaterländischen Abend, den der evgl. Bund veranstaltet, ein Gedicht vortragen. So arbeiten wir auch immer für das Vaterland und wie schon gesagt, eine größere Freude kenne ich jetzt kaum, als für das Vaterland zu arbeiten. Ich würde auch wegen meines Leistenbruchs nicht mit in die Etappe kommen. Nächstens gehen wieder 2 Mann fort von uns. Nun Gottbefohlen, im Herrn verbunden, Otto

VON WILLI PUCHERT (34)

Lazarett Bochum 5, 16. November 1914

Lieber Otto!

Deine liebe Karte vom 13. erhielt ich gestern. Ich danke Dir. Schade um den Herrn Gillmann. Er hätte noch manchen Segen bringen können, hätte er weiter gelebt. Mit Bedauern nehme ich von den Streitigkeiten im Verein Kenntnis. Ich finde es auch ganz richtig, daß unsere Vereinsbrüder in eine Kompagnie kommen. Die Sache wird dann doch viel einheitlicher. Daß Einigen dies nicht paßt, glaube ich gern. Nur verstehe ich diese Herrschaften nicht recht. Es bleibt doch einerlei, in welcher Komp. man ist. Oder hat z.B. Karl Schütt in seiner ursprünglichen einen Freund, von dem er sich trennen will. Wie z.B. Karl Lüders? Von derartigen Freunden sollte er lieber laßen. - Wir haben jetzt einen neuen Oberarzt bekommen. Ich hoffe deshalb, daß es mir gelingen wird, jetzt nach Stralsund zu kommen. Alfred ist auch verwundet? Herr Diete schrieb es mir gestern. Wo ist er denn verwundet und warum? Gestern hat es hier schon geschneit. An Karl Schütt werde ich schreiben, wir werden ihn schon dem Verein erhalten. Grüße bitte herzlichst Deine Eltern und Geschwister, sowie alle Vereinsbrüder.

Gottbefohlen

Dein Willy

Einliegendes Gedicht war in einer Bochumer Zeitung. Wie findest Du es?

AN J. GURR (35)

Stralsund, 21.11. 1914

Indem ich für die mir übersandte Karte herzlich danke, schicke ich hiermit die versprochene Photographie. Wie ich schon schrieb, ist sie leider nicht sehr gut geworden. - Walter Steinfatt kämpft schon in Belgien. Ich werde vorläufig nicht eingezogen. Wünsche es aber sehr. Also, Dein Karl ist nun auch schon Soldat. W. Puchert, der Mandolinenspieler, liegt schon verwundet in Bochum, Westphalen. W. Neels steht auch in Belgien dem Feind gegenüber. Ich bin mit + gezeichnet, W. Steinfatt mit *.

Herzlichen Gruß

Otto Schiel

VON WILLI PUCHERT (36)

Lazarett Bochum 5, 26.11. 1914

Lieber Otto!

Deinen lieben Brief vom 19. habe ich erhalten. Besten Dank dafür, auch für die mir gesandten Zeitungen. Wie ist es eigentlich, sind dort noch keine Verlustlisten von unserem Regiment bekanntgegeben? Ich habe nun schon 3 Karten an meine Kompagnie geschrieben, aber noch keine Antwort erhalten. In der einen, mir zugesandten, Zeitung las ich, daß Wilh. Schuldt von meiner Komp. an dem Tag meiner Verwundung gefallen sei. Es war dies der Jüngste in unserer Komp. Ist Walter Steinfatt in ein Feldlazarett gekommen oder bei der Truppe geblieben? Das Gebäude, in dem wir zusammen lagen, ist 8 Tage lang das Ziel feindlicher Granaten gewesen. Das ganze Gehöft wurde von dem Feind beschossen. Die Scheune benutzte die 7. Kompagnie, wir die Stallungen. In den Wohnräumen hatte sich der Bataillonsstab einquartiert. Die Küche wurde von der 3. oder 4. Komp. benutzt. Eines Morgens waren wir eben von unserm 3. Zug aus dem Graben, der ca. 30 m hinter dem Gehöft lag, abgelöst. Wir machten es uns im Stall bequem. Da schlug eine Granate durch die offene Scheunendiele in unsern Stall ein. Kaum 2 m von mir entfernt schlägt sie durch die Wand. Nun habe ich gesehen, wie eigenartig oft die Schüsse kommen. Die beiden Soldaten, die dicht an der Wand lagen, kamen ganz leicht davon, nämlich der eine unverwundet, der andere mit einer harmlosen Beinverletzung. Dagegen mußten die Nächsten dran glauben. Durch diesen Schuß hatten wir 3 Tote und 4 Schwerverletzte, von denen einer kurz darauf gestorben ist. Am Tage vorher schlug eine Granate neben uns in den Unterstand ein, jedoch hatte das Dach des Unterstandes die Wirkung gut aufgehoben. Wir hatten nur einen Leichtverwundeten. Im Schützengraben hatten wir uns es ganz wohnlich eingerichtet. Wir fühlten uns im Graben sicherer wie in den Gebäuden. Ja, mein Garn geht wohl zu weit, ich werde Dir es mündlich weiter erzählen. Mit dem Wegkommen von hier wird es wohl vorläufig nichts. Sei so gut und schicke mir mein Tagebuch. Ich habe jetzt schöne Zeit, meine Erlebnisse niederzuschreiben. Grüße bitte Herrn Diete und alle Vereinsbrüder. Herzliche Grüße an Deine Eltern und Geschwister.

Gottbefohlen

Dein Willy

Einliegend 2 Abzüge, habe ich hier gemacht. Sie sind beide nicht besonders, immer trübe Luft.

VON WILLI PUCHERT (37)

Lazarett Bochum 5, 7. Dezember 1914

Lieber Otto!

Heute möchte ich Dir wieder ein paar Zeilen schreiben. Deine div. Sachen habe ich alle erhalten. Von Herrn Diete erhielt ich ein Programm zum Stiftungsfest. Auch die Zeitung mit dem Artikel. Es war wohl eine kleinere Feier, aber dennoch weniger schön und wirkungsvoll wird sie wohl nicht gewesen sein. Ich wäre zu gern dabei gewesen. Aber ich muß stille sein, muß lernen, zu verzichten. Gestern hatten wir hier im Lazarett eine kleine Feier. Hier ist es nämlich Sitte, daß am 6. Dezember der Nikolaus kommt. Es ist dasselbe, als wenn bei uns der Knecht Ruprecht am heiiligen Abend kommt. Ein kleines Mädchen, als Waldmann verkleidet, trug ein schönes Weihnachtsgedicht vor. Danach kam der Nikolaus. Mit einer mächtigen Rute. Nun gabs Aepfel, Nüsse, Kuchen. Manch einer, auch ich, erhielt mächtige Hiebe, weil wir angeblich nicht immer artig gewesen wären. Nach einer kleinen Rede, in welcher er uns ermahnte, recht feste die Feinde zu verhauen, verschwand der Nikolaus. Mit dem Liede "O Du fröhliche, O Du selige" klang die nette Feier aus. Es ist manchmal rührend, was die Leute alles für die Verwundeten tun. Vielleicht werde ich zu Weihnachten entlassen. Ich glaube es aber nicht so recht. Hoffen wir das Beste. Grüße bitte Deine Eltern und Geschwister, Herrn Diete, welchem ich bestens für die Zeitungen danke, sowie alle Vereinsbrüder herzlichst. Sei auch herzlichst gegrüßt von Deinem Willy. Hast Du den Artikel in der Zeitung gelesen. Da haben die Franzosen einen Zettel mit einem Stein beschwert in unseren Schützengraben geworfen. Darauf stand: "Heute Feinde, in einigen Tagen Freunde, im Kriege gegen England! " Daraufhin warfen die Deutschen ein Päckchen Zigaretten rüber. Auch wurde nicht mehr gegenseitig geschossen.

AN ALFRED MEISSNER (38)

Stralsund, 10.12.1914

Lieber Alfred!

Endlich komme ich dazu, Dir für Deine Karte zu danken. Entschuldige bitte, wenn ich nicht bei Deiner Abreise auf dem Bahnhof war, aber es ging nicht. Da mein Direktor sich am Dienstag stellen mußte, sind am Montag die ganzen Arbeiten erledigt worden. Aus diesem Grunde konnte ich auch meinen Bahnhofsdienst nicht machen. Da ich in der Mittagszeit einen Vertreter suchen mußte, konnte ich leider nicht mehr in Deine Wohnung kommen, hätte Dich, da Du ja spazieren gingst, vielleicht gar nicht angetroffen. Am Dienstag fing ich an in der Stadt zu arbeiten. Weil die Petroleumnot schon ziemlich groß ist, haben wir sehr viel zu tun und wir verfügen über nicht genügend Leute. So kam denn ein Schlosser von der Gasanstalt zur Stadt, der mich als Helfer erhielt. Nun gibt`s die 8-stündige Arbeitszeit nicht mehr. Nun arbeitet man wieder 10 Stunden. Ja, am Sonntag arbeitete ich auch von 7 bis 1 Uhr. Also auch noch mal 6 Std. Nun habe ich also weniger freie Zeit und deshalb mußt Du entschuldigen, wenn ich erst heute schreibe. Willi Puchert liegt noch immer in Bochum. Daß Du nach seinem Befinden fragst und ihm gute Ratschläge gibst, habe ich Willi mitgeteilt. Warum schreibst Du nicht an ihn. Mir scheint es so, als ob Du seine Freundschaft suchtest. Also, wenn dem so ist, so schreib nur an: W. Puchert, Lazarett, Bochum 5. Den Brief muß ich erst noch erhalten und lesen .Heute erhielt ich eine Nachricht, auch W. Neels ist verwundet, und zwar am Arm, in den Kämpfen um Lods. Ein anderes Mal berichtet mehr

Dein allzeit getreuer Otto

Am Dienstag früh 1/2 4 Uhr war ich schon auf dem Bahnhof, es kamen 60 schwerverwundete Deutsche.

VON ALFRED MEISSNER (39)

Krekow, 24.12. 1914

Mein lieber Otto!

So ist`s denn heilig Abend geworden. Und ich kann nicht daheim sein. Wir haben hier Nüsse, Äpfel, Stollen u. Pfeffernüsse gekriegt. Ein Baum war auch aufgestellt und der Oberleutnant hielt eine kurze Ansprache. Doch was ist das schon gegen die Weihnacht daheim, wo man den Zauber dieser Stunde echt empfindet, wo man singt und Mutter betet. Ich gehe am liebsten hinaus in den Eckerburgener Wald in die schweigende Winterlandschaft. Hein hat mir "Menschen ohne Heimat" geschickt. Ein köstliches Buch, auch wie erschütternd, wenn man den ganzen Gedanken "heimatlose Menschen" erfaßt, die da in den Städten wohnen. (in den Mietskasernen) Heimatverwurzeltes, bodenständiges Volk brauchen wir. Doch da erhebt sich mir wieder die Frage: Wo ist Deine Heimat? Dort, wo du geboren bist, oder wo du dein Glück, deine Liebe gefunden hast? Noch ist mir die Antwort der Frage nicht vollständig klar. Aber heilig gelobt habe ich mir`s, mein Volk soll eine Heimat haben und ich will sie bauen helfen

.Lieber Otto! Ich bin Dir noch sehr dankbar, daß Du mir die Bilder von Christel gezeigt hast. Ich weiß, sie leuchtet mir wie ein Stern in der Nacht, in Kampf und Arbeit. Ich glaube an sie, und was das für mich heißt, magst du daran ermessen, daß ich an Dich erst geglaubt habe, nach dem wir uns getrennt hatten. Täglich schaue ich ihr Bild an und - warte. Glaube mir, es ist köstlich zu warten, zu warten auf ein Glück und zu wissen um die Liebe eines Mädchens. Still, ohne es ihr zu sagen. Darum, lieber Junge, sei nicht traurig, daß Dora nicht die Deine ist. Es ist nun mal ehernes Gesetz: Erste Liebe stirbt wie im Rauhreif die Frühlingsblume. Und meine erste Liebe ist Christel ja auch nicht. Leider war die meine viel zu früh. Sie hat mir ein Stück echter Jugend geraubt, daß ich erst wieder zu erlangen suche. - - -Es ist Weihnachtszeit, so einsam, nimm mir`s nicht übel, wenn ich so über Vieles mit Dir plaudere, was mir in dieser Stunde in den Kopf kommt. - Ich habe Dich einst gehaßt, als Du von mir gingst. Ich war so unendlich empört über Deinen gebrochenen Schwur. Ein Eid ist mir heilig, heiliger wie die heiligste Herzensregung. Ich habe gewürgt, getragen, an meinem Leid. Darum stieß ich auch Erich Rotbarth, Neels und Käding von mir. Ich wollte allein sein mir mir und Erich. Ich habe gelernt in den Wochen, doch was? Noch am Sylvestertage sagte ich mir, was ist aus dir geworden? Ein einsam-zornig kämpfender Mensch. Ich hätte Dir gern die Hand gereicht, doch eine Stimme sagte mir: "Das Schicksal führt Euch zur rechten Zeit zusammen." - Immer, wenn ich Rückschau halte, taucht Arbeit auf, große und schöne Arbeit, die Wehrloge. ..Geschwankt habe ich so manches Mal in meinem Gottesglauben. Einmal war der kriegerische, lichtgekrönte Odin mein Ideal, doch durch Nietsche und Schopenhauer rang ich mich hindurch zu dem ewigen Gott. Noch mochte ich aber den strengen Bibelglauben nicht. Da lernte ich in stillen Nächten auf der Seereise mit der "Valencia" Christus als den höchsten, den größten Helden kennen. Allerdings mit der Liebe, die er vergibt, heilt und lindert. In jener Bibelstunde hörte ich: "Ich will Euch nicht den Frieden bringen, sondern das Schwert". Das kam mir jetzt in den Sinn. Im Schlachtendonner erlebte ich diesen Gott, mit seinem gewaltigen Licht. Wohin wohl mit mit meiner Sorge, also hin zum Gebet zu diesem Heiland. Zu diesem Hinein hatte ich unbegrenztes Vertrauen. Als Narren erschienen mir diejenigen, die da sagten, es gibt keinen Gott. Ich habe mich doch freiwillig wieder ins Feld angemeldet, da meinte meine Tante, es tue ihr leid. Ich weiß aber, wofür ich kämpfe, für die Heimat und das sagt mir alles. Sterben kann man immer einmal, doch einen Heldentod sterben? Wenn Gott will, so komme ich lebend wieder und arbeite weiter. - Ein ander Mal mehr. Ich muß ins Bett. Gehst Du in die Wehrloge? Gehe bitte zur Weihnachtsfeier hin. Schreibe bitte bald wieder. Ich mag so gern mit Dir plaudern. Ich, ich weiß gar nicht, was ich alles sagen möchte. Aus der Ferne grüßt Alfred

AN ALFRED MEISSNER (40)

Stralsund, 29.12.1914

Mein lieber Alfred!

Dank, herzlichen Dank für Deinen lieben Brief. Ich sitze hier in unserem Zimmer der Roten Kreuz Wache. Eben habe ich Deinen Brief wieder gelesen und finde, daß Du möglichst bald eine Antwort erhalten möchtest. Leider kann ich eher Donnerstag keinen ausführlichen Brief schreiben. Hier auf dem Bahnhof fehlt mir die nötige Ruhe. Zur Weihnachtsfeier der Wehrloge war ich nicht, denn erstens kam dein Brief erst am 28. an, und zweitens erfuhr ich erst durch Erich, daß der Abend schon am 26. gewesen ist. Leo Zanke weilt in Stalsund. Er hat einen etwa 10 cm langen Streifschuß an der Schläfe. Von Willi Neels erhielt ich einen Brief. Danach geht es ihm gut. Am Donnerstag schreibe ich mehr.

Dein getreuer Otto

AN ALFRED MEISSNER (41)

Stralsund, 31.12.1914

Mein lieber Alfred!

Ich ergreife die Feder, um den versprochenen Brief zu schreiben. Inzwischen habe ich Deine liebe Karte erhalten. Du hast mich gebeten, in die Wehrloge einzutreten. Daß ich nun schon am nächsten Sonnabend in der Sitzung erscheinen würde, um Mitglied zu werden, wirst Du ja selbst nicht geglaubt haben. Nur so viel will ich Dir heute schreiben: mit der Ansicht vieler Guttempler, wenn alle Menschen das Trinken lassen, dann gibt`s Zufriedenheit, eine gesunde Menschheit, kurz, was man den idealen Menschen nennt, bin ich nicht einverstanden. Gibt es denn keine Abstinenzler, die spielen, ungläubig sind, usw. Fangen wir doch bei dem Einen an, die Menschheit muß wieder zu Gott geführt werden. Wer ein echter Christ ist, der wird wissen, wie weit er gehen darf. Der Gläubige kann alles mitmachen, aber er muß nachdem ebenso freudig beten können wie vorher. Wenn ich also in die W.L. eintrete, so tue ich es, weil sie ein gut Stück Jugendpflege treibt und für Deutschlands Jugend will ich ja gerne arbeiten. Ich wünsche auch wieder die Zeit herbei, in der deutsche Mädel und Jungen frei verkehren, ohne dieses Poussieren. Vielleicht erinnerst Du Dich einer Frage in der "Jugendstimme": Wie kann man versuchen junge Mädchen kennen zu lernen, ohne das fade Poussieren mitzumachen und ohne bei der Brautwahl die erste beste nehmen zu müssen? - Meine freie Zeit gehört nicht allein meinem Verein, sondern in einem Wort gesagt, dem Vaterland, nämlich dem Roten Kreuz, der Jugendkompanie, dem Verein. Ich könnte gut meinen Sonnabend der Wehrloge widmen. Ob ich Herrn Diete aber nicht erzürne, wenn ich, ohne ihm Mitteilung zu machen, Wehrtempler werde? Ich frug gestern Erich, welches seine Meinung sei, ob ich eintrete oder nicht. Da sagte er: "Ich sage nein, ich sage ja-nein kann ich nicht sagen, deshalb sage ich nichts." Aber es wird sich schon finden.

Mein lieber Junge! Als ich einst von Dir ging, sah ich darin den letzten Weg, denn Du warst für mich, wie man sagt, ungenießbar geworden. Daß ich mit schwerem Herzen und bangen Sorgen für die Zukunft dieses letzte Mittel ergriff, kannst Du Dir jetzt denken. Daß ich einen Meineid beging, wußte ich noch nicht. Bedauert habe ich, daß Du damals mit den Schlechten in der Fabrik einen Bund geschlossen hast und so die beiden Parteien entstanden. Erst als in der Bibelstunde in Herrn Dietes Wohnung Du die Frage stelltest, ob die Liebe zu Gott so groß sein könne, so daß dadurch einem Verbrecher vergeben wird, da wußte ich es. Das Verbrechen ist ein Meineid und den Meineid hast Du begangen. Es war mir wie ein Stich ins Herz. Ich wollte mit Herrn Diete Rücksprache nehmen, getraute es mir aber nicht. In dieser Gewissensangst wandte ich mich an Gott und langsam zog wieder Ruhe bei mir ein. Folgendes Gebet finde ich in meinem Tagebuch: "10.XI.13, O laß diesen Menschen, in dem so viele Talente schlummern, nicht zu Grunde gehen, laß ihn auch nicht aus unserm Verein. Wenn er vorläufig auch mit dem Ausschuß der Menschheit verkehrt, wenn er älter und verständiger geworden ist, dann zeig uns Wege, damit wir einander wieder näher kommen." - So, nun weißt Du, wie ich über die Angelegenheit denke und dachte.

Es grüßt Dich

Dein getreuer Otto

Mein Lieber Sohn und Kamerad

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