Читать книгу WENN DIE EICHEN LEICHEN TRAGEN - Eberhard Weidner - Страница 13
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ОглавлениеBaum, der den Dienstwagen zurück nach Fürstenfeldbruck gelenkt hatte, hielt vor dem Reihenhaus im Willy-Buchauer-Ring, in dem der 18-jährige Gymnasiast Niklas Kramer bis zum heutigen Tag gelebt hatte. »Das muss es sein!«, sagte er und riss damit Schäringer, der die ganze Fahrt über nachdenklich geschwiegen hatte, aus seinen Überlegungen.
Sie stiegen aus und sahen sich um. Die Straße machte einen verlassenen Eindruck. Es war kurz vor acht, also noch immer früh am Tag, aber die meisten Anwohner, die zur Arbeit oder zur Schule mussten, waren vermutlich schon weg. Schäringer hoffte, dass sie im Haus des toten Schülers trotzdem jemanden antrafen und nicht vollkommen umsonst hierhergekommen waren.
Baum, der um den Wagen herumgegangen war, öffnete das Türchen zum winzigen Vorgarten, ließ aber dann seinem Kollegen den Vortritt. Vermutlich riss er sich nicht gerade darum, als Erster einem Familienmitglied des Opfers gegenüberzutreten und ihm die traurige Mitteilung vom Tod des jungen Mannes und über die Umstände, unter denen er aufgefunden worden war, zu überbringen. Derartig unangenehme Pflichten überließ er lieber seinem älteren Kollegen, der weitaus mehr Erfahrung darin hatte.
Schäringer liebte es ebenfalls nicht, der Überbringer von Schreckensnachrichten zu sein. Seiner Meinung nach gehörte es neben dem ständigen Anblick von Leichen und der Teilnahme an Leichenöffnungen, an die man sich allerdings im Laufe der Zeit gewöhnen konnte, mit zum Schlimmsten, was ein Kriminalbeamter der Mordkommission erledigen musste. Er war allerdings der Ansicht, dass es getan werden musste, und drückte sich daher nicht vor dieser ungeliebten Pflicht. Außerdem konnte man aus der Reaktion derjenigen, denen man die Nachricht vom Tod eines Angehörigen oder engen Freundes überbrachte, manchmal auch wichtige Erkenntnisse über das Verhältnis zum Mordopfer gewinnen. Das konnte vor allem dann enorme Bedeutung haben, wenn der Täter – wie es nach Schäringers Erfahrung leider allzu oft der Fall war – aus dem engeren Familienkreis des Opfers stammte.
Schäringer ging zur Haustür, erkannte aufgrund eines ovalen Messingschildes an der Tür, auf dem Hier wohnen die Kramers stand, dass sie hier tatsächlich an der richtigen Adresse waren, und klingelte. Baum nahm links neben ihm Aufstellung, hielt sich allerdings ein bisschen im Hintergrund. Er legte die Hände vor dem Körper aufeinander und blickte betont ernsthaft aus der Wäsche, als wäre er auf der Beerdigung eines entfernten Verwandten, den er schon ewig nicht mehr gesehen hatte.
Schon nach wenigen Augenblicken hörten sie Schritte, die vom ersten Stock des Hauses herunterkamen. Die Tür öffnete sich. Eine Frau Mitte vierzig mit mittellangem, brünettem Haar stand in der Tür und sah die beiden Kriminalbeamten fragend an. Sie trug hellblaue Jeansleggins, ein grau meliertes Poloshirt und weiße Ballerinas an den Füßen. In der rechten Hand hielt sie eine große Tasse, die fast voll war und deren Inhalt noch immer dampfte.
»Ja?«
»Frau Kramer?«, fragte Schäringer.
»Ja. Was wünschen Sie?«
Schäringer hob die Hand und zeigte ihr seinen Dienstausweis. »Schäringer, Kriminalpolizei. Das ist mein Kollege, Kriminalkommissar Baum. Können wir reinkommen?«
Der Mund der Frau öffnete sich, als wollte sie etwas sagen. Sie blieb jedoch stumm, während sie zuerst den Dienstausweis in Schäringers Hand und dann nacheinander die beiden Beamten vor ihrer Tür ansah. Baums Leichenbestattermiene musste ihr einen Hinweis darauf gegeben haben, dass etwas Ernsthaftes geschehen war, denn sie erbleichte und richtete den Blick rasch wieder auf Schäringer. »Ist …?« Sie schluckte, als hätte sie einen riesigen Kloß im Hals. »Ist etwas passiert? Mit … mit einem der Kinder? Oder … oder mit meinem Mann?«
»Am besten, wir sprechen nicht hier im Vorgarten, sondern im Haus miteinander, Frau Kramer«, sagte Schäringer und trat rasch einen Schritt näher. Er befürchtete ernsthaft, die Frau könnte umkippen, weil sämtliches Blut aus ihrem Kopf geflossen sein musste, so blass, wie sie von einer Sekunde zur anderen geworden war, und wollte sie in diesem Fall noch rechtzeitig auffangen können. »Dürfen wir reinkommen?«
Sie nickte, hob die zitternde linke Hand und bedeckte damit ihren Mund, als wollte sie einen Schrei zurückhalten. Auch die andere Hand zitterte so stark, dass ein Teil der heißen Flüssigkeit, bei der es sich dem aromatischen Duft nach um Kaffee handeln musste, überschwappte, an der Tasse herunterlief und zu Boden tropfte.
Schäringer steckte rasch seinen Ausweis ein, nahm ihr die Tasse aus der Hand und ergriff ihren rechten Unterarm. »Hier, nimm du den Kaffee!«, sagte er zu Baum und reichte die Tasse an ihn weiter. Dann schob er sich mit der Frau ins Haus und führte sie durch den kurzen Flur an der Treppe vorbei geradeaus ins Wohnzimmer. Sie widersetzte sich ihm nicht, sondern ließ ihn gewähren, während sie keinen einzigen Ton von sich gab, als hätte der Schock über das Erscheinen der beiden Beamten der Mordkommission sie stumm werden lassen. Dabei hatte sie die schreckliche Nachricht selbst noch gar nicht gehört. Schäringer grauste es vor dem Moment, in dem sie von ihm erfahren würde, dass ihr Sohn tot war. Aber daran führte nun einmal kein Weg vorbei.
Das Wohnzimmer war ordentlich und aufgeräumt und enthielt die üblichen Einrichtungsgegenstände in Form einer hellbraunen Polstergarnitur, bestehend aus einem 3-Sitzer, einem 2-Sitzer und einem Sessel, die sich um einen niedrigen Couchtisch mit Rauchglasplatte gruppierten, einer Schrankwand aus hellem Holz voller Bücher, Gesellschaftsspiele und Bilderrahmen und einem TV-Sideboard, auf dem ein großer Flachbildfernseher stand. Gleich rechts neben dem Eingang stand ein Esstisch mit vier Stühlen, und an der angrenzenden Wand befand sich über einem Sideboard die Durchreiche zur Küche.
Schäringer führte Frau Kramer zum erstbesten Stuhl und ließ sie darauf Platz nehmen. Er selbst setzte sich auf den Stuhl, der ihrem auf der anderen Seite des Tisches unmittelbar gegenüberstand. Baum kam als Letzter herein, nachdem er die Haustür zugemacht hatte, und stellte den Kaffeebecher vor die Frau auf den Tisch. Er nahm allerdings nicht Platz, sondern blieb vor der Tür zum Flur stehen und verschränkte die Arme vor der Brust.
Sie seufzte leise und nahm erst dann die Hand vom Mund. Schäringer konnte sehen, dass ihre Unterlippe und ihr Kinn bebten. Sie sah Schäringer eindringlich in die Augen und fragte: »Sagen Sie mir jetzt endlich, was … was passiert ist?«
Er nickte. »Ich muss Ihnen leider eine traurige Mitteilung machen, Frau Kramer.«
Sie schloss die Augen und schien sich innerlich gegen die folgenden Worte zu wappnen.
»Ihr Sohn, Niklas, wurde heute früh tot aufgefunden.«
Schäringer hatte es bislang immer für eine literarische Übertreibung gehalten, wenn er in Romanen gelesen hatte, dass jemandem die Gesichtszüge entglitten. Nun wurde er Zeuge, wie genau so etwas vor seinen Augen geschah. Von einer Sekunde zur anderen veränderte sich das Gesicht der Frau, als würde es sich durch chemische Prozesse unter der Haut in Jekyll-and-Hyde-Manier zum Antlitz einer völlig anderen Person umformen. Sämtliche Muskeln verloren ihre Spannkraft und erschlafften gleichzeitig, sodass man für einen Moment befürchten musste, das ganze Gesicht könnte vom Schädel fallen und mit einem feuchten Klatschen auf der Tischplatte landen. Die Augenlider und die Wangen sanken herab, wodurch auch die Mundwinkel nach unten gezogen wurden. Furchen zeigten sich, wo soeben noch glatte Haut gewesen war, und die Frau sah von einem Augenblick zum anderen mindestens acht Jahre älter aus.
Schäringer sagte nichts, sondern ließ sie die Nachricht erst einmal aufnehmen. Er wollte sie nicht bedrängen, nachdem sie soeben die furchtbarste Mitteilung im Leben einer Mutter erhalten hatte. Vielleicht konnten sie im Anschluss auch gar nicht mehr vernünftig mit ihr reden, aber das wäre aus seiner Sicht verständlich. Dann würden sie sich eben darum kümmern, dass jemand – eine nahe Bekannte oder eine Nachbarin – ins Haus kam, damit die Frau in ihrer Trauer und ihrem Schmerz nicht allein war, und ein anderes Mal wiederkommen.
Er sah zu Baum, der noch immer mit verschränkten Armen dastand, den Blick unruhig durch den Raum wandern ließ und alles ansah, nur nicht die Herrin des Hauses.
Als Schäringer seine Augen wieder auf Frau Kramer richtete, sah er, dass sich Tränen unter den noch immer fest verschlossenen Lidern hervorquetschten und über das so abrupt gealterte, erblasste Gesicht der Frau liefen. Ihre Lippen öffneten sich einen winzigen Spalt, und ein leiser Laut kam aus ihrer Kehle. Es war nur ein einzelner hoher, monotoner Ton, der sich wie ein mühsam unterdrücktes Wimmern anhörte. Schäringer bemerkte, dass ihre Hände, die rechts und links neben dem unbeachteten Kaffeebecher auf der Tischplatte lagen, zu Fäusten geballt waren.
Der Ton verstummte völlig abrupt. Gleichzeitig schien sich die Frau einen inneren Ruck zu geben, denn sie richtete sich auf, atmete einmal tief durch und öffnete dann die Augen, die gerötet waren und in Tränen schwammen.
»Sie müssen entschuldigen, Herr Kommissar, aber …«
»Sie müssen sich nicht entschuldigen, Frau Kramer. Wenn Sie jetzt lieber nicht mit uns sprechen möchten, dann hätten wir dafür vollstes Verständnis. Wir können auch Ihren Mann oder eine Nachbarin anrufen, damit Ihnen jemand Gesellschaft leistet.«
»Nein, bitte nicht. Das ist wirklich …« Sie atmete noch einmal durch und wischte sich dann mit den Fingern der rechten Hand die Tränen vom Gesicht, wodurch ihr Lidstrich verschmiert wurde. »Ich werde meinen Mann später anrufen und über … über alles informieren. Er ist … bei der Arbeit.«
»Was macht Ihr Mann beruflich, wenn ich fragen darf?« Schäringer holte ein Notizbuch aus der Innentasche seines Jacketts, obwohl er sich selten Notizen machte, sondern alle Informationen eines Falles in seinem Gedächtnis speicherte. Er hatte allerdings das Gefühl, es könnte bei dem Gespräch mit Frau Kramer ganz nützlich sein, wenn sie sah, dass er sich alles gewissenhaft notierte. Und indem er zunächst alltägliche Fragen wie die nach dem Beruf des Mannes stellte, wollte er dafür sorgen, dass sich die Frau nach dem ersten Schock wieder etwas beruhigte und entspannte, sofern das nach einer solchen Nachricht überhaupt möglich war.
»Er ist Rechnungsprüfer.«
»Und wie heißen Sie und Ihr Mann mit Vornamen?«
»Ich heiße Elke, der Vorname meines Mannes ist Thomas. Aber was …« Sie verstummte, als traute sie sich nicht, die schreckliche Wahrheit selbst in Worte zu fassen.
Schäringer, der sich ihre Angaben notiert hatte, hob den Blick und sah sie an. »Sie wollen vermutlich wissen, was mit Ihrem Sohn Niklas passiert ist.«
Sie nickte, während ihr neue Tränen aus den Augen und übers Gesicht flossen, blieb aber stumm, als traute sie der eigenen Stimme nicht.
Schäringer räusperte sich, bevor er antwortete: »Nach unseren bisherigen Erkenntnissen müssen wir leider davon ausgehen, dass Ihr Sohn ermordet wurde.«
»Er…mordet?«, wiederholte sie, als wäre es ein Wort, das sie noch nie zuvor gehört hatte und erst selbst laut aussprechen musste, um seine Bedeutung zu begreifen. Ihre Augen wurden zuerst ganz groß und schlossen sich dann wieder. Sie hob beide Hände und bedeckte ihr Gesicht damit. Ihre Schultern zuckten, während sie lautlos weinte. Schäringer wartete geduldig.
Baum hatte weniger Geduld. Er trat unruhig von einem Bein aufs andere. Vielleicht musste er ja aufs Klo, aber das war der denkbar schlechteste Moment, danach zu fragen oder von selbst zu gehen.
Schäringer konzentrierte sich wieder auf Elke Kramer. Sie schniefte laut und nahm dann die Hände vom Gesicht. Ihr Gesicht sah verheult aus und war tränennass. »Einen … einen Moment bitte«, sagte sie leise. »Ich … ich muss mich nur schnell etwas frisch machen, wenn Sie gestatten.«
»Aber sicher«, sagte Schäringer und stand ebenfalls auf. »Lassen Sie sich ruhig Zeit, Frau Kramer.«
Sie nickte Baum zu, der zur Seite getreten war, um sie vorbeizulassen, dann verließ sie das Wohnzimmer und lief die Treppe hinauf in den ersten Stock.
»Was ist los mit dir, Lutz?«, fragte Schäringer seinen Kollegen. »Musst du etwa aufs Klo?«
»Nö. Wie kommst du denn darauf?«
»Weil du ständig von einem Fuß auf den anderen tanzt, als müsstest du ganz dringend.«
»Ach was. Ich bin eben ein unruhiger Mensch, der nicht lange stillstehen kann. Solltest du nach sechs gemeinsamen Jahren aber langsam wissen, Franz.«
»Dann muss ich dir wohl in Zukunft Ritalin in deinen Automatenkaffee schütten. Bei dem ekelhaften Geschmack des Gesöffs würdest du das wahrscheinlich gar nicht merken.«
»Sehr witzig. Aber mal ganz im Ernst. Ich bin es eben nicht gewohnt, bei solchen Gesprächen danebenzustehen und nichts zu tun zu haben. Wie wär’s, wenn ich mir schon mal das Zimmer des Jungen ansehe, während du mit der Mutter redest?«
»Gute Idee. Ich frag sie, wenn sie wieder da ist. Ich glaub, da kommt sie schon.«
Elke Kramer kam tatsächlich wieder die Stufen herunter. Sie musste sich das Gesicht mit Wasser abgespült und den verschmierten Eyeliner abgewaschen haben. Sie machte einen gefassteren Eindruck, umklammerte mit ihrer rechten Faust aber ein Kosmetiktuch, als traute sie dem Frieden selbst nicht so recht und wollte für die nächste Tränenflut gewappnet sein. Sie nickte den beiden Männern zu. Als sie ihren alten Platz einnahm, setzte sich auch Schäringer wieder.
»So, jetzt können wir weitermachen«, sagte sie. »Wo waren wir stehengeblieben, Herr Kommissar?«
»Bevor wir uns weiter unterhalten, hätte ich eine Bitte an Sie, Frau Kramer. Könnte mein Kollege sich ein bisschen in Niklas’ Zimmer umsehen, während wir miteinander reden?«
Sie riss überrascht die Augen auf, als hätte sie nicht damit gerechnet, und sah von Schäringer zu Baum. Dann nickte sie jedoch, zuerst ein wenig zaghaft, dann mit zunehmender Überzeugung heftiger. »Natürlich. Das müssen Sie bei einem … in so einem Fall vermutlich tun. Soll ich Ihnen zeigen …?«
»Das ist nicht notwendig«, sagte Baum. »Sagen Sie mir nur, welches Zimmer das von Niklas ist.«
Sie nickte. »Es ist das Zimmer unterm Dach im zweiten Stock. Sie können es gar nicht verfehlen. Außerdem hängt an der Tür ein Schild, auf dem Achtung Sperrzone steht.«
»Vielen Dank, Frau Kramer. Ich werd’s schon finden.« Baum wandte sich ab, verließ das Wohnzimmer und stieg die Wendeltreppe nach oben. Zweifellos war er froh, dass er etwas zu tun bekam.
Elke Kramer wandte sich wieder an Schäringer. »Möchten … möchten Sie vielleicht einen Kaffee, Herr … Tut mir leid, aber ich hab mir Ihren Namen gar nicht gemerkt.«
»Kein Problem, Frau Kramer. Mein Name ist Franz Schäringer. Und vielen Dank, aber ich möchte keinen Kaffee.«
»Okay.« Sie warf einen Blick auf ihren eigenen Becher, schob ihn dann aber zur Seite, als wäre ihr der Appetit darauf vergangen. Der Becher hatte einen braunen Ring auf der Tischplatte hinterlassen. Sie wischte den verschütteten Kaffee mit dem Kosmetiktuch in ihrer Hand auf. »Sie sagten, Nikki wurde … ermordet.« Obwohl der Kaffeering längst weg war, wischte sie weiter über die Tischplatte, als könnte sie gar nicht mehr damit aufhören. Ihr Blick war noch immer gesenkt.
»Ja.«
»Wie wurde er …?«
»Er wurde erwürgt.«
»O mein Gott!« Sie schnappte nach Luft, während sie noch heftiger wischte. »Ging es … ging es denn schnell? Ich meine …«
»Ja. Ich gehe davon aus, dass Niklas nicht leiden musste.« Nähere Einzelheiten über den Zustand der Leiche und die deutlichen Würgemale am Hals des Jungen, die darauf hindeuteten, dass der Täter sehr kräftig gewesen sein musste, ersparte er ihr momentan lieber noch.
»Aber warum?« Erst jetzt hörte sie auf zu wischen und hob den Blick, um ihm wieder in die Augen zu sehen. »Warum wurde mein Sohn getötet, Herr Schäringer?«
Er zuckte mit den Schultern. »Das wissen wir noch nicht, Frau Kramer. Aber es ist unsere Aufgabe, herauszufinden, warum Niklas getötet wurde und wer es getan hat. Vielleicht können Sie uns bei unseren Ermittlungen helfen.«
Der Schmerz und die Trauer, die soeben noch in ihren Augen gestanden und ihre innere Welt dominiert haben mussten, wichen aus ihrem Gesicht. Beide Emotionen waren zwar noch immer vorhanden, wurden jedoch von einer neu erwachten Entschlossenheit verdrängt, die Polizei in ihrem Bemühen zu unterstützen, den Mörder ihres Sohnes zu finden und seiner gerechten Strafe zuzuführen. »Natürlich. Wie kann ich Ihnen helfen, Herr Schäringer?«
»Wissen Sie, ob Ihr Sohn Feinde hatte?«
Sie riss verblüfft die Augen auf. »Nikki? Ausgeschlossen, Nikki hatte keine Feinde!«
Er zuckte mit den Schultern. »Keine Streitereien in der Schule? Zwei Jungs, die sich vielleicht in dasselbe Mädchen verliebt haben? Solche Art von Feinden meine ich.«
»Aber wegen einer solchen Lappalie bringt man doch niemanden um, oder?«
»Manchmal leider schon«, sagte Schäringer und sprach aus bitterer Erfahrung.
Elke Kramer senkte den Blick, während sie nachdachte. Sie begann, das fleckige Kosmetiktuch in kleine Fetzen zu zerreißen. »Von einem Mädchen weiß ich nichts. Zumindest gab es meines Wissens kein bestimmtes, für das Nikki schwärmte. Er war im Umgang mit dem anderen Geschlecht ohnehin sehr schüchtern. Aber …«
»Ja?«
»Er wurde in der Schule gemobbt.«
»Gemobbt? Und wie äußerte sich das?«
»Ein paar Jungs in seinem Alter hatten ihn auf dem Kieker. Ärgerten und drangsalierten ihn ständig, versteckten seinen Rucksack oder seine Sporttasche im Mülleimer und warfen seine Bücher ins Klo. Solche Sachen eben. Meistens mehr oder weniger harmlos. Dummejungenstreiche, oder was Jungs in dem Alter eben witzig finden.« Sie verstummte und kaute mit den Zähnen auf ihrer Unterlippe.
»Aber das war noch nicht alles, nicht wahr?«
»Vor … vor ungefähr zwei Wochen eskalierte die Geschichte ein bisschen. Die Kerle – es müssen drei oder vier gewesen sein – sperrten sich mit Nikki im Klo ein. Sie steckten seinen Kopf in die Toilettenschüssel und drückten die Spültaste. Das nahmen sie dann alles mit einem Handy auf und stellten den Film hinterher ins Internet.«
»Verstehe«, sagte Schäringer. »Und was unternahmen Sie deswegen?«
»Thomas … Mein Mann wurde fuchsteufelswild, als er das Video im Internet sah. Er sorgte irgendwie dafür, dass es sofort wieder gelöscht wurde. Außerdem wandte er sich an den Schulleiter. Wir verzichteten darauf, Strafanzeige zu erstatten, um den Jungs nicht ihre Zukunft zu verbauen, aber sie wurden nach einer gemeinsamen Aussprache für zwei Wochen vom Unterricht suspendiert. Außerdem mussten sie das Original des Videos löschen.«
»Die jungen Männer waren bestimmt nicht sehr glücklich darüber, dass Niklas sie beim Schulleiter meldete und sie vom Unterricht ausgeschlossen wurden. Wie haben sie darauf reagiert?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht.«
»Hat Niklas nichts erzählt?«
»Nein. Er war … Nach der ganzen Geschichte war er noch verschlossener als vorher. Außerdem waren die Kerle ohnehin suspendiert, sodass er ihnen seitdem in der Schule gar nicht begegnet war. Aber ich kann nicht glauben, dass sie Nikki deshalb gleich umbringen. Das sind jugendliche Rowdys mit merkwürdigen Vorstellungen von Spaß, aber keine Mörder.«
»Vielleicht haben Sie ja recht, Frau Kramer. Ich werde die Sache aber trotzdem im Auge behalten und mich mit den jungen Männern unterhalten. Können Sie mir ihre Namen nennen?«
»Ich kenne nur den Namen eines Jungen. Er ist so was wie der Anführer dieser Clique. Er heißt Heiko Fischer. Aber der Direktor des Graf-Rasso-Gymnasiums kann Ihnen die anderen nennen.«
Schäringer schrieb den Namen in sein Notizbuch. »Wissen Sie auch, wo Heiko Fischer wohnt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, aber da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen. Fragen Sie doch in der Schule nach.«
»Kein Problem. Das finden wir schon heraus. Sonst noch jemand, der kürzlich Streit oder eine Auseinandersetzung mit Niklas hatte.«
»Nein. Aber er erzählte uns auch nicht alles. In letzter Zeit war er sowieso viel unterwegs.«
»Sagt Ihnen der Name Nadine Blume etwas?«
»Natürlich.« Sie hörte auf, das Tuch zu zerrupfen, und hob den Blick, um Schäringer überrascht anzusehen. »Das ist der Name des Mädchens, das vor einer Woche verschwand. Vermutlich kennt seitdem jeder in der Gegend ihren Namen. Außerdem ging sie mit Nikki zur Schule.«
»Waren die beiden miteinander befreundet?«
Sie schürzte die Lippen und schüttelte den Kopf. »Nicht, dass ich wüsste. Wie gesagt, er war sehr schüchtern, wenn es um Mädchen ging. Sie kannten sich wohl nur vom Sehen und flüchtigen Kontakten.«
»Sie können also nicht sagen, ob Niklas in Nadine Blume verliebt war?«
»Nein. Das wäre ja ganz was Neues. Wie kommen Sie denn darauf?«
»Vielleicht hat Niklas ja auch von jemandem namens Blümchen erzählt. Das war Nadine Blumes Spitzname.«
»Nein. Auch von einer Blümchen weiß ich nichts. Aber wie kommen Sie darauf, dass Nikki in das verschwundene Mädchen verliebt gewesen sein könnte? Wurde sie etwa gefunden? Zusammen mit Nikki?« Sie riss die Augen auf und sah Schäringer entsetzt an.
»Nein, Frau Kramer. Nadine Blume wurde nicht gefunden. In Niklas’ Hosentasche befand sich allerdings ein Gegenstand, der Nadine Blume gehörte und den sie am Tag ihres Verschwindens trug.«
»Meinen Sie das Armband, von dem in der Zeitung die Rede war?«
»Ja. Es handelt sich um ein Bettelarmband mit sieben Symbolen als Anhänger. Haben Sie ein solches Armband in den letzten Tagen bei Niklas gesehen?«
»Nein. Und das wäre mir bestimmt aufgefallen, nachdem ich in der Zeitung davon gelesen hatte. Aber Moment, wollen Sie damit etwa …« Sie verstummte und schloss für einen Moment die Augen, während sie nachdachte. Sie hob die Hände und berührte mit den Fingerspitzen die Schläfen. Dann öffnete sie die Augen wieder und sah Schäringer zornig an. »Wollen Sie damit etwa andeuten, dass Nikki etwas mit dem Verschwinden dieses Mädchens zu tun hatte? Und das zweite Mädchen hat er dann wohl auch noch entführt?«
»Ich will gar nichts andeuten, Frau Kramer«, sagte Schäringer und bemühte sich, so viel Ernsthaftigkeit und Ehrlichkeit in seine Antwort zu legen, wie ihm möglich war. »Ich versuche nur, einen Mord aufzuklären und herauszufinden, ob es einen Zusammenhang mit dem Verschwinden der jungen Frauen gibt. Das Bettelarmband deutet nämlich genau darauf hin. Außerdem fand man in der Hosentasche Ihres Sohnes auch ein Blatt Papier, das vermutlich aus einem Notizbuch herausgerissen wurde. Darauf standen folgende vier Sätze: Blümchen ist verschwunden, und ich bin schuld! Ich hab sie auf dem Gewissen! Es tut mir alles so leid! Was soll ich nur tun? Wissen Sie, ob Ihr Sohn ein Tagebuch führte?«
Sie antwortete zunächst nicht, als würden ihr die Worte, die Schäringer gesagt hatte, noch eine Weile im Kopf herumschwirren. Dann schüttelte sie den Kopf. »Von einem Tagebuch weiß ich nichts. Er war auch nicht der Typ, der Tagebuch führt. Das machen doch eher Mädchen.«
»Wir werden die Schrift auf dem Papier natürlich mit einer Schriftenprobe Ihres Sohnes vergleichen müssen. Und sobald mir eine Kopie der Nachricht vorliegt, werde ich sie Ihnen zeigen.«
»Das wäre sehr freundlich von Ihnen, Herr Schäringer. Ich kann mir nämlich gar nicht vorstellen, dass Nikki so etwas geschrieben haben könnte. Das klingt ja tatsächlich so, als hätte er etwas mit dem Verschwinden seiner Mitschülerin zu tun. Und der letzte Satz hört sich beinahe so an, als wollte er sich etwas antun. Aber Sie sagten doch, dass er ermordet wurde, oder etwa nicht?«
»Das wurde er auch, davon sind wir überzeugt. Allerdings wollte jemand den Eindruck erwecken, Ihr Sohn hätte sich selbst getötet. Und das Bettelarmband und das Stück Papier könnten ihm ebenfalls untergeschoben worden sein, um den Verdacht vom wahren Täter auf Niklas zu lenken.«
»O mein Gott, das wird ja immer schlimmer.« Wieder traten ihr Tränen in die Augen. »Wenn das mein Mann erfährt. Und Kerstin erst …«
»Kerstin?«
»Kerstin ist unsere Tochter, Nikkis kleine Schwester. Sie ist erst vierzehn. Es wird ihr das Herz zerreißen, wenn sie erfährt, dass ihr Bruder tot ist. Aber wie … und wo hat man ihn überhaupt gefunden?«
Schäringer hatte mit der Frage gerechnet. »Ein Bauer fand ihn heute früh kurz nach Sonnenaufgang bei einem Feldweg südlich von Landsberied. Er hing am Ast eines Baumes.«
Sie schüttelte den Kopf. »O mein Gott. Mein armer Junge! Was er alles mitmachen musste. Und wir waren nicht da, um ihm zu helfen …«
»Es mag in Ihrer Situation nur ein schwacher Trost sein, Frau Kramer, aber in der Hinsicht kann ich Sie beruhigen. Niklas war bereits tot, als er am Baum aufgehängt wurde. Er bekam davon nichts mehr mit.«
Sie atmete erneut tief durch und blickte auf die Fetzen des Kosmetiktuchs vor ihr auf der Tischplatte. »Nun sehen Sie sich nur an, was für eine Sauerei ich angerichtet habe.« Dann richtete sie den Blick wieder auf den Kriminalbeamten. »Und wissen Sie schon, wann …? Also, ich meine, wann er starb …?«
»Wir können noch nicht sagen, wann Niklas getötet wurde. Es muss irgendwann letzte Nacht geschehen sein. Wissen Sie vielleicht, wohin Niklas gestern Abend oder in der Nacht ging?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich wusste ja nicht einmal, dass er schon letzte Nacht das Haus verlassen hatte, bis Sie mir erzählten, dass er … Nach dem Abendessen ging er gestern wie immer auf sein Zimmer. Ich ging um zehn ins Bett, da war er noch wach und hat gelesen. Ich wünschte ihm eine gute Nacht und ging schlafen. Danach …« Sie verstummte, kämpfte um ihre Fassung und gewann. »Danach hab ich ihn nicht mehr gesehen.«
»Fiel Ihnen denn heute Morgen gar nicht auf, dass er nicht da war? Kam er sonst nicht zum Frühstück, bevor er zur Schule ging?«
»Ich dachte, er wäre schon früher aufgestanden, um einem Bekannten beim Austragen von Werbeprospekten zu helfen. Das macht … Das machte Niklas manchmal, um sich sein Taschengeld aufzubessern. Dann … ging er schon so früh aus dem Haus, dass ich es oft gar nicht mitbekam, und anschließend direkt in die Schule. Ich sah ihn dann erst wieder, wenn er von der Schule nach Hause kam. Deshalb wunderten wir uns heute Morgen auch nicht, als er nicht herunterkam. Wir dachten eben, er wäre beim Austragen.«
»War sein Bett gemacht?«
Sie nickte. »Aber das hat nichts zu bedeuten. Die Kinder machen ihre Betten inzwischen selbst.«
»Also wissen wir nicht, ob er sich hingelegt und geschlafen hat, bevor er das Haus verließ, oder ob er schon ging, nachdem sich alle anderen schlafen gelegt hatten. Wann geht Ihr Mann ins Bett?«
»Er ist ebenfalls kein Nachtmensch. Er kommt meistens eine halbe Stunde nach mir ins Schlafzimmer, liest noch zwanzig bis dreißig Minuten und macht dann das Licht aus. Spätestens um 23 Uhr schlafen unter der Woche alle. Nur Niklas blieb manchmal etwas länger auf.«
»Wir können also momentan nur festhalten, dass Niklas frühestens eine Stunde vor Mitternacht unbemerkt das Haus verlassen haben kann. Hatte er Freunde, denen er mehr darüber gesagt haben könnte.«
Sie legte den Kopf leicht zur Seite und verzog das Gesicht. »Freunde in dem Sinne hatte Niklas gar nicht. Er hatte Schulkameraden und Bekannte, die er mochte und mit denen er sich gelegentlich traf. Außerdem war er im Fußballverein und traf sich mit den anderen Spielern zum Training und zu den Spielen. Ansonsten war er allerdings eher ein Einzelgänger. Ich glaube daher nicht, dass er anderen Leuten Dinge anvertraut hätte, die er uns nicht erzählte.«
»Wüsste Ihre Tochter Kerstin unter Umständen mehr über das, was Niklas tat und vorhatte? Geschwister erzählen sich manchmal mehr als den Eltern.«
»Ich glaube nicht, dass Kerstin mehr weiß. Sie und Nikki stritten sich zwar nur selten, vertrauten sich aber bestimmt keine Geheimnisse mehr an. Dafür waren sie zu verschieden, nicht nur wegen ihres Geschlechts. Außerdem waren sie vier Jahre auseinander und hatten ganz unterschiedliche Interessen. Sie können Kerstin natürlich gern selbst dazu befragen, aber ich würde Sie bitten, damit noch etwas zu warten, bis sie … bis sie den größten Schock über den Tod ihres … ihres Bruders verarbeitet hat.«
»Selbstverständlich, Frau Kramer. Können Sie mir dann vielleicht sonst noch etwas sagen, was Ihnen nun, im Nachhinein, unter Umständen merkwürdig vorkommt und mit Niklas’ Tod in Verbindung stehen könnte.«
Sie dachte kurz nach, wobei sich ihre Stirn kräuselte. Schäringer hörte in einem der oberen Stockwerke Schritte. Das musste Baum sein.
»Tut mir leid, Herr Schäringer«, sagte Elke Kramer dann und zuckte mit den Schultern. »Momentan fällt mir nichts ein. Das mit dem Mobbing in der Schule und dem Video ist im Grunde das Einzige, was mir in diesem Zusammenhang sofort in den Sinn kam. Ich glaube aber immer noch nicht, dass diese Jungs einen kaltblütigen Mord begehen könnten. Das sind doch noch ganz junge Kerle. Wieso sollten die jemanden umbringen, nur weil er sie beim Schuldirektor verpetzt hat und sie suspendiert wurden?«
Nun war es an Schäringer, mit den Schultern zu zucken. »Möglicherweise haben Sie recht, Frau Kramer. Trotzdem werde ich die Sache weiterverfolgen und mich mit dem jungen Mann unterhalten, dessen Namen Sie mir gaben. Wenn er und seine Kumpane für die letzte Nacht ein Alibi haben, hat sich dieser Verdacht ohnehin entkräftet. Ich lasse Ihnen auf alle Fälle meine Karte da. Falls Ihnen noch etwas einfällt, können Sie mich jederzeit im Büro oder über meine Handynummer erreichen. Egal, zu welcher Tageszeit.« Er holte eine Visitenkarte aus seiner Brieftasche und legte sie auf die Tischplatte. »Vermutlich werde ich demnächst ohnehin noch einmal bei Ihnen vorbeischauen, um mich mit Ihrem Mann und gegebenenfalls mit Ihrer Tochter zu unterhalten, wenn Ihnen das recht ist.«
»Selbstverständlich. Rufen Sie aber vorher bitte an.«
Schäringer nickte. Er hörte, dass Baum die Treppe herunterkam. Er hatte den Eindruck, sein Kollege hätte nach der Durchsuchung von Niklas’ Zimmer im ersten Stock gewartet, bis Schäringer seine Unterhaltung mit Elke Kramer beendete. Entweder hatte er nicht mitten ins Gespräch platzen und stören oder nicht wieder untätig danebenstehen wollen.
»Wir können gern noch warten, bis Sie jemanden angerufen haben, der Ihnen Gesellschaft leistet«, sagte Schäringer.
»Das ist nicht notwendig, Herr Schäringer. Ich … Mir geht es … Nun, natürlich nicht gut, aber gut genug, um für kurze Zeit allein bleiben zu können. Ich werde gleich meinen Mann anrufen, sobald Sie gegangen sind. Er wird bestimmt sofort alles stehen und liegen lassen und heimkommen. Von seinem Büro sind es mit dem Auto nur fünf Minuten. Ich werde also nicht lange allein sein. Gehen Sie und Ihr Kollege lieber und erledigen Sie Ihre Arbeit, damit derjenige, der meinen Nikki umgebracht hat, geschnappt wird. Haben Sie denn in Nikkis Zimmer etwas gefunden, das Ihnen weiterhilft, Herr …?«
»Baum«, ergänzte Schäringers Kollege, der im Türrahmen stand und einen Laptop, ein Schulheft und ein Foto in der Hand hielt. »Leider nicht viel. Unsere Techniker werden die Festplatte des Laptops untersuchen, ob sich darauf etwas befindet, das mit seinen Aktivitäten in der letzten Nacht oder seinem Tod zu tun haben könnte. Außerdem würden wir gern dieses aktuelle Foto von Niklas und sein Deutschheft mitnehmen, damit wir seine Handschrift mit der Nachricht vergleichen können, die man bei ihm fand. Sie bekommen die Sachen nach Abschluss der Ermittlungen natürlich zurück.«
Sie sah traurig auf die Gegenstände in Baums Hand, als wollte sie diese nicht auch noch hergeben, nachdem sie an diesem Morgen bereits ihren Sohn verloren hatte, doch dann nickte sie. »Natürlich. Nehmen Sie von Nikkis Sachen mit, was auch immer Sie benötigen.«
Schäringer erhob sich von seinem Platz. »Dann werden wir Sie nicht länger stören, Frau Kramer. Bleiben Sie ruhig sitzen. Wir finden von allein hinaus. Auf Wiedersehen.«
Auch Baum verabschiedete sich. Elke Kramer nickte nur wortlos und blieb auf ihrem Stuhl sitzen, während die beiden Kriminalbeamten das Wohnzimmer verließen und durch den Flur zur Haustür gingen. Bevor Schäringer hinter Baum aus dem Haus trat, sah er sich noch einmal um. Er konnte Elke Kramer nur zum Teil sehen, erkannte jedoch, dass sie vornübergebeugt dasaß, das Gesicht in beide Hände vergraben hatte und ihre Schultern zuckten. Er seufzte hinter fest aufeinandergepressten Lippen, wandte sich ab und schloss die Tür hinter sich.