Читать книгу WENN DIE EICHEN LEICHEN TRAGEN - Eberhard Weidner - Страница 6

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Er beobachtete fasziniert die tanzenden Flammenzungen, die an der Fensterscheibe des Gebäudes vor ihm emporleckten, wieder in sich zusammensanken, als wollten sie neuen Anlauf nehmen, und schon im nächsten Augenblick noch höher und zahlreicher emporloderten. Durch das geschlossene Fenster war ihr Knistern und Knacken, mit dem das Feuer alles verzehrte, was in Reichweite war, um sich davon zu nähren und noch weiter zu wachsen, nur gedämpft zu hören. In seinen Ohren klang es allerdings beinahe so, als flüsterten die Flammen ihm etwas zu. Er legte den Kopf schief, konnte aber immer noch nicht verstehen, was sie ihm sagen wollten.

Trotz der Faszination, die das muntere Spiel der Flammenzungen in ihm auslöste, spürte er dennoch auch die Gefahr, die von ihnen ausging. Instinktiv wich er auf dem gepflasterten Innenhof mehrere Schritte zurück. Er sah zu den anderen Fenstern, von denen es ziemlich viele gab. Hinter den meisten in der unteren Reihe loderte bereits das Feuer. Hinter anderen war nur ein orangerotes Leuchten zu sehen. Die oberen Fenster waren hingegen noch dunkel.

In diesem Moment zersprang mit einem lauten Knall die Scheibe, durch die er die ersten Flammenzungen beobachtet hatte. Die enorme Hitze, die sich im Inneren des Gebäudes allmählich entwickelte, hatte das Glas bersten lassen. Frische Nachtluft wurde durch die Öffnung ins Innere gesaugt und fachte das Feuer noch mehr an. Nun loderten die Flammen durch das Loch im Fenster nach außen und nagten am Holz des Fensterrahmens. Das leise Knistern und Knacken, das ihm anfangs noch wie geflüsterte Worte erschienen war, war längst zu einem Brausen geworden, das mit jeder Sekunde weiter anschwoll, als türme sich hinter dem Haus eine tödliche Wasserwoge auf, die jeden Moment brechen und alles unter sich begraben und verschlingen würde.

Er wich noch weiter zurück, bis er neben einer Reihe von Garagen stand. Das Pflaster endete an dieser Stelle und wurde von ungemähtem Gras ersetzt, durch das sich ein Trampelpfad schlängelte. Hinter ihm waren Bäume und Büsche, doch er hatte nur Augen für das, was vor ihm geschah. Er knurrte voller Furcht, denn er verstand nicht, was in dem Haus geschah und was das alles zu bedeuten hatte. Am Anfang war das Spiel der Flammenzungen noch lustig gewesen, aber nun machte es ihm keinen Spaß mehr, sondern nur noch Angst, denn das Feuer wuchs mit jeder Sekunde und wurde zu einem riesigen, gefräßigen Ungetüm, das alles verschlingen würde, was in seiner Reichweite war.

Er wandte den Kopf, als in der Ferne ein jaulender, auf- und abschwellender Laut zu hören war, der allmählich immer lauter wurde, weil die Lärmquelle rasch näher kam. Er kannte dieses Geräusch. Er hatte es schon oft gehört und sofort die dazu passenden Bilder der Fahrzeuge vor Augen, die diese Töne von sich gaben, während sie durch die Straßen sausten.

Er ließ sich davon allerdings nur kurz ablenken und richtete sein Augenmerk und seine Aufmerksamkeit sofort wieder auf das brennende Haus vor ihm, als könnten die Flammen seine Abgelenktheit ansonsten ausnutzen und ihn anspringen, wenn er sie nicht scharf im Auge behielt.

Trotz all ihrer Gefährlichkeit, ihrer Unberechenbarkeit und ihrer Gier hatten die Flammen gleichzeitig auch etwas zutiefst Faszinierendes an sich. Und so verfolgte er wie hypnotisiert ihren tödlichen Tanz. Aus diesem Grund war er blind und taub für alles andere, was um ihn herum geschah, und spürte nicht die Gefahr, die gar nicht vom Feuer ausging, sondern sich ihm in diesem Augenblick aus einer ganz anderen, unerwarteten Richtung näherte.

Erst in dem Moment, als ihn eine kräftige Hand im Genick packte und hochhob, wurde er sich der Person bewusst, die sich von hinten an ihn herangeschlichen hatte. Doch da war es längst zu spät und aussichtslos, zu reagieren.

Die große, kräftige Gestalt legte die andere Hand um seinen Unterkiefer und riss seinen Kopf so heftig und abrupt zur Seite, dass die Wirbel in seinem Hals knirschend brachen.

Er kam nicht einmal dazu, einen einzigen Laut von sich zu geben, ehe er starb …

WENN DIE EICHEN LEICHEN TRAGEN

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