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Simon Peng-Keller | Zürich

geb. 1969, verheiratet, Professor für Spiritual Care an der Universität Zürich, Beiratsmitglied von GEIST & LEBEN

simon.peng-keller@theol.uzh.ch

Spiritualität im digitalen Zeitalter

Der Übergang von einer Epoche, die vom gedruckten Buch geprägt war, zu einem Zeitalter, das durch eine weitreichende Digitalisierung bestimmt ist, löst gegenwärtig tiefgreifende kulturelle Transformationsprozesse aus. Unsere Kommunikation und unser Wirklichkeitserleben verändern sich, wenn wir uns in Sekundenschnelle in Netzwerke einklinken können, die uns mit Menschen rund um den Globus verbinden. Dass die rasch voranschreitende Digitalisierung unserer Lebenswelt sich auch auf die spirituelle Praxis auswirkt, lässt sich einfach belegen. Waren die meisten klassischen Texte christlicher Spiritualität bis vor kurzem nur für eine kleine und privilegierte Gruppe in ihrer ganzen Breite greifbar, so sind sie heute, bei funktionierendem Internetanschluss, frei zugänglich und das schneller und lesefreundlicher, als das in der besten Bibliothek der Vergangenheit je möglich war. In den neuen Welten, die das Internet eröffnet, entstehen auch vielfältige spirituelle Räume und Praktiken: Online-Gebetsräume, Chat-Groups und digitale Friedhöfe, um nur einige wenige Beispiele zu nennen. All das wird die künftige christliche Spiritualität prägen.

Denn gelebte Spiritualität ist medial geformt. Sie ist vermittelt und geprägt durch Ausdrucks- und Kommunikationsformen aller Art. Wenn wir die spirituellen Erfahrungen in Erinnerung rufen, die uns geprägt haben und immer wieder neu inspirieren, so sind sie vermutlich mit bestimmten Medien verbunden: mit Formen des Betens, rituellen Vollzügen, spezifischen Texten und anderem mehr. Diese mediale Vermittlung fällt nicht ins Auge – zeichnen sich doch gute Medien dadurch aus, dass sie sich selbst unsichtbar machen. Ein spannender Roman kann uns so fesseln, dass wir kaum mehr merken, dass wir ein Buch in der Hand haben. Deshalb werden spirituelle Erfahrungen in der Regel eher mit Unmittelbarkeit assoziiert. Wir tauchen in Erfahrungswelten ein, ohne auf die Vermittlungen zu achten, die sie uns eröffnen. Hinzu kommt die christliche Überzeugung, dass Gott uns in seinem Geist unmittelbar gegenwärtig ist. Gottes Geist teilt sich zwar mittels „Medien“ mit, doch ist diese Medienwahl ausgesprochen kreativ und nicht selten unkonventionell. Sie beschränkt sich nicht auf liturgische und künstlerische Hochkultur, sondern hat ein Flair fürs Einfache und Unscheinbare. Schlichte Gesten berühren uns manchmal tiefer als berühmte Kunstwerke. Gottes Geist ist multimedial.

Gleichwohl ist die Entstehung des christlichen Glaubens eng mit einem bestimmten Medium verbunden. So sehr Jesus nur wenig geschrieben haben mag, vielleicht nur wenig mehr als ein paar Buchstaben in den Sand, so bildete sich seine Sendung und sein missionarisches Profil in der gesättigten Nährlösung einer hochentwickelten Schriftkultur heraus. Betend, verkündigend und erzählend bewegte er sich im Horizont einer religiösen Welt, die von einer reflexiven Schriftkultur geprägt war. Sie hatte das, was Karl Jaspers die axiale Wende nannte, seit mehreren hundert Jahren hinter sich. Ein reflexiver Umgang mit der Schrift war charakteristisch für die sich langsam herausbildende christliche Spiritualität.

Aus einer Vielzahl von Schriften kristallisierten sich in stetigem und reflexivem Gebrauch einige heraus, die das Leitmedium des lebendigen Wortes besonders deutlich vermittelten. Auf dieses Leitmedium, hat sich das Christentum (oder nach dem Johannesprolog Gott selbst) festgelegt. Gott spricht dem Menschen das rettende Wort zu, auf das dieser sich restlos verlassen kann. Ohne dieses Evangelium gäbe es keinen christlichen Glauben, keine Gläubigen, keine Kirche. Gott inkarniert sich in seinem Logos.

Wird christliche Spiritualität, die sich von Gottes Wort inspirieren lässt, durch die Digitalisierung nicht an einer schmerzempfindlichen Stelle getroffen? Wenn sich die buchförmige christliche Bibel in ein Digitalisat auflöst – entgeht dann dem/der Leser(in) dieses Buchs mit dem haptischen Erleben nicht ein Aspekt der Inkarnation? Als jemand, der noch vor der digitalen Revolution religiös sozialisiert wurde, erachte ich es als einen positiven Nebeneffekt der Digitalisierung, dass sie auch auf die fokussierende Qualität eines Buchs aufmerksam macht, die der Praxis einer geistlichen Lektüre entgegenkommt. In der digitalen Relativierung des Buchmediums kann jedoch auch deutlich werden, dass das Wort, auf das sich Christ(inn)en verlassen, kein gedruckter Text ist. Inkarniert sich doch Gott, nach christlichem Verständnis, in seinem lebendigen Wort und nicht in den heiligen Schriften, die von dieser Wortwerdung berichten, auch nicht in dem Buch, in dem diese Schriften gesammelt sind. So unersetzbar diese Schriften auch sind, so missverständlich ist es, das Christentum als Schrift- oder Buchreligion zu beschreiben. Gottes Gegenwart vergegenwärtigt sich multimedial – auch digital.

Geist & Leben 2/2019

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