Читать книгу Geist & Leben 2/2019 - Echter Verlag - Страница 7

Оглавление

Paul R. Pinto SJ | Rom

geb. 1972, Dr. theol., Assoziierter

Professor für Spiritualität an der

Päpstlichen Universität Gregoriana

rolphypinto@gmail.com

Anthony de Mello*

Stationen einer Rezeption

„Haben Sie Anthony de Mello gekannt?“ Diese Frage, hauptsächlich von Jesuiten gestellt, musste ich sehr oft beantworten, während ich in der Zeit rund um den Millenniumswechsel in Spanien mein Interstiz1 absolvierte. Scheinbar konnte man gar nicht über die Gesellschaft Jesu in meinem Heimatland Indien sprechen, ohne de Mello zu erwähnen – solchermaßen war seine Beliebtheit.

Wie hat sich die Situation aber inzwischen entwickelt? Wie ist sein Einfluss auf Kirche und Welt heute? Und wie wirkt sich das konkret im Alltagsleben von Menschen aus? Ein Austausch mit Menschen, die direkt oder indirekt mit ihm in Kontakt standen, könnte diese Fragen beantworten. Daher führte ich einige Gespräche mit Jesuiten aus verschiedenen Erdteilen, um herauszufinden, wie sie Tonys Einfluss heute einschätzen.2 Die persönlichen Gespräche dauerten zwischen dreißig Minuten und einer Stunde. Ich wollte von meinem Gegenüber jeweils wissen, welche Eindrücke sie von de Mello und von seinem Einfluss auf andere hatten. Die Mitteilungen waren hilfreich und teilweise von sehr persönlicher Art.

Das Ergebnis dieser Erkundungen: De Mello ist international. Seine Botschaft ist für alle zugänglich – für Gläubige wie für Nichtgläubige, denn er sprach den Lebenskern der Menschen an. Ganz besonders erreichte er jene Menschen, die von organisierten Religionen enttäuscht waren, da er ihnen dabei half, Wahrheitsansprüche zu hinterfragen und Wahrheit bzw. Einsicht aus erster Hand zu erfahren. Ferner integrierte er das Beste aus östlichen und westlichen Formen der Spiritualität. Seine eigene Spiritualität ist befreiend – dieses Wort fällt immer wieder in den Gesprächen. Er bietet eine Methode an, sowohl zu den innersten Tiefen des eigenen Selbst als auch zur äußersten transzendenten Wirklichkeit, Deus semper maior, durchzudringen. Bevor ich auf diese Aspekte eingehe, will ich an einigen Stellen in de Mellos Leben innehalten, um die genannten Eigenschaften besser zu verstehen.

Geschichte

1972 gründete de Mello in Pune (Indien) das spirituelle Beratungsinstitut Sadhana3, welches ein psycho-spirituelles Programm anbot. 1978 siedelte er das Institut auf eine mehr abgelegene Hügelstation, Lonavla, um. Anfangs war das Programm auf Jesuiten abgestimmt, wurde später jedoch auch anderen Priestern und Religionen zur Verfügung gestellt. Jedes Institut entwickelte sich anhand der Herausforderungen seiner Zeit, während es gleichzeitig dem Geist seines Gründers treu blieb. Das trifft auch auf Sadhana zu. Das bezeugt Michael Barnes: „Als ich das Terziat in Indien absolvierte, die Abschlussphase meiner jesuitischen Ausbildung, konnte man mit seinem Namen Wunder wirken. Als ich das Zentrum besuchte, das er bei Lonavla, unweit von Pune, gegründet hatte, wurde mir klar, dass der Geist de Mellos weiterlebte.“4

De Mello starb am 2. Juni 1987 in New York. Während er die Welt bereiste, um Seminare anzubieten und Konferenzen zu leiten, wurden seine Werke zwar publiziert, aber zahlreiche andere erschienen erst posthum.5 Gegen 1998 waren einige seiner Bücher (insbesondere Sadhana) bereits in über 40 Sprachen übersetzt.6

Widersprüche und Widerstände

Gerade in Tonys Todesjahr publizierte Carlos G. Vallés SJ, einer seiner eifrigsten Bewunderer, den Beitrag Unencumbered by baggage: Father Anthony de Mello, a prophet for our times. Zehn Jahre später kam Vallés‘ Diez años después, wo er die Schattenseiten jenes Propheten, den er so bewundert hatte, hervorhebt. Im Vorwort zu diesem zweiten Buch stellt Vallés klar, dass sein Manuskript bereits 1997, zum zehnten Todestag von Anthony de Mello, fertiggestellt war. Publiziert wurde es erst 1998 aufgrund einer Verzögerung bei der Erlangung des Imprimatur. Im Vergleich zu Vallés formuliert Thomas Casey einige seiner Vorbehalte bezüglich de Mello zurückhaltender. Casey schreibt: „Leider können Tonys Verschmitztheit und freier Geist als düsterer missverstanden werden, als sie in Wahrheit sind, wenn diese sich schriftlich ausdrücken. Daher bevorzugte er das gesprochene gegenüber dem geschriebenen Wort.“7

Im Geschehen um die Rezeption des Nachlasses von A. de Mello stellte sich der 24. Juni 1998 als wichtiges Datum heraus. An dem Tag, über ein Jahrzehnt nach dem Tod de Mellos, erließ die Glaubenskongregation eine „Notifikation über die Schriften von P. Anthony de Mello SJ“.8 Diese Notifikation legte fest, dass einige Positionen de Mellos für den katholischen Glauben „schweren Schaden verursachen können“. Grundlage der Notifikation waren jene Publikationen, die posthum in de Mellos Namen erschienen waren – diese waren aber nicht seine eigenen Publikationen. Berüchtigt unter ihnen sind ein langer Beitrag in der spanischen Zeitschrift Vida Nueva unter dem Titel „La iluminación es la espiritualidad“ sowie ein portugiesisches Buch Caminhar sobre as águas: Quebre o ídolo (engl. Übers.: Walking on Water), die auf den Notizen für Einkehrtage, die er in Amerika leitete, beruhen.9 Die Notifikation verwirrte Christ(inn)en und Nicht-Christ(inn)en gleichermaßen. Die meisten Menschen fragten sich, worin der „schwere Schaden“ liegt. Es gibt keinen Beweis, dass jemand die Kirche nach der Lektüre von Tonys Buch je verlassen hätte.

In einer Analyse der Hintergründe dieser unglücklichen Notiz beobachtet Lisbert D’Souza, dass de Mellos Beliebtheit mit einem Aufschwung der „New Age“-Spiritualität zusammenfällt und dass er als Prophet des „New Age“ bejubelt wurde. „New Age“ war allerdings ein Tabuthema in manchen kirchlichen Kreisen, und de Mellos Bücher mussten dafür den Preis zahlen. Sie verschwanden über Nacht aus den Regalen katholischer Bücherläden. Später wurde dieser „Bann“ wieder aufgehoben, die Bücher tauchten in katholischen Buchhandlungen wieder auf, versehen mit einem kleinen Warnhinweis.10 Inzwischen war de Mellos Buch aber nach wie vor im säkularen Handel zu erwerben. Das „Verbot“ förderte freilich nur den Verkauf.

Rezeption

Absolventen des Sadhana-Kurses, allen voran diejenigen, die ihn unter de Mello durchliefen, führen ihn später nicht selten in irgendeiner Form selbst weiter. So fördert beispielsweise Anand Nyak, ehemaliger Jesuit und de Mello-Experte, de Mellos Lehre in der Schweiz, Frankreich, Belgien, Deutschland, Österreich und Kanada. Er leitet regelmäßig Sadhana-Kurse im Lasalle Haus, dem Bildungshaus der Jesuiten in Edlibach (Kanton Zug) nahe Zürich.11 J. Francis Stroud SJ gründete wiederum das „DeMello Spirituality Center“ (nunmehr DeMello-Stroud Spirituality Center).

De Mellos Schriften genossen also anhaltendes Interesse. Auch nach 1992 erschienen weiterhin Werke, die auf seinen Konferenznotizen oder auf Tonbandaufnahmen seiner Vorträge basieren, so etwa 2010 Seek God Everywhere: Reflections on the Spiritual Exercises of St. Ignatius (Vorträge zu den ignatianischen Exerzitien, Juli – November 1975).12 Zum 25. Todestag brachte Image Books die Publikation Rediscovering Life: Awaken to Reality13 als Begleitband zu seinem Buch Awareness heraus. Zuletzt erschien 2014 das von seinem Bruder Bill edierte Buch Swansong: Anthony de Mello’s Last Seminar (2014).

Diese Bücher zeigen ferner den Umfang seines Einflusses. Der irische Jesuit John Callanan ist ein weiterer Schriftsteller mit einer umfangreichen Publikationsliste zu Tony de Mello.14 We Heard the Bird Sing: Interacting with Anthony de Mello, S.J. (1997), zusammengestellt von Aurel Brys SJ und Joseph Pulickal SJ, enthält interessante Erfahrungsberichte von Personen, deren Leben von de Mello berührt und beeinflusst wurde. Tony D’Souza und Bud Wonsiewicz brachten 2006 Discovering Awareness: A Guide to Peace, Strength and Freedom heraus, während Anand Nayak im selben Jahr Anthony de Mello: Sein Leben, seine Spiritualität publizierte.

P. Jerry Sequeira SJ, Direktor des jesuitischen Verlagshauses „Gujarat Sahitya Prakash“ (GSP) in Anand, Indien, welches die Rechte für neun Bücher de Mellos innehat15, erwähnte die ungebrochene Nachfrage nach seinen Büchern. GSP übertrug die Publikationsrechte für Übersetzungen der Werke an einige weitere Verlage. Allein dadurch wurden seine Bücher in über 26 Sprachen übersetzt. Zuletzt unterzeichnete GSP Verträge für Übersetzungen ins Rumänische sowie ins Ukrainische.

Im ersten Jahr nach seinem Tod erreichte de Mellos Spiritualität Menschen hauptsächlich durch die Bücher. Die rasche Ausbreitung des Internets ermöglichte Menschen aller Kasten, Konfessionen und Religionen einen einfachen Zugang. Zahlreiche seiner Konferenzen stehen frei zur Verfügung auf YouTube sowie auf Internetseiten wie beispielsweise jene des DeMello Spirituality Center. Manche Videos wurden bereits über 100 000 Mal aufgerufen. De Mello besaß eine natürliche Begabung für Kommunikation. „Wäre er ein Schauspieler, so hätten seine Auftritte einen Oscar verdient.“16 Ignacio Rodríguez bestätigte:

„Ich staune über de Mellos Anziehungskraft auf Menschen aus allen Lebensbereichen, Gläubige wie Nichtgläubige. Ich sah seine Bücher in Bücherregalen auf Flughäfen. Die Menschen kauften sie, weil sie sich nach einem echten spirituellen Erlebnis sehnten, sogar außerhalb der Grenzen institutionalisierter Religionen. Er verwendete eine literarische Gattung, die den Menschen zugänglich ist und keine unverdauliche kartesische Sprache. De Mello ist international.“

Berührung des Lebenskerns

Anthony J. D’Souza leitet weltweit Awareness-Seminare. In den USA findet er unter Katholik(inn)en, die von der strukturierten und institutionalisierten Kirche enttäuscht sind, ihre spirituelle Suche dennoch nicht aufgeben wollen, seine bereitwilligsten Zuhörer(innen). De Mellos Spiritualität findet hier großen Anklang. A. J. D’Souza arbeitet mit Gruppen aus unterschiedlichen christlichen Denominationen und diese berichten, dass sie geistliche Nahrung in de Mellos Lehre finden.

Lisbert D’Souza erzählt, dass de Mello sich selbst als eine Art Rebell verstand. Auch Ignatius war eine Art Rebell, zumal man ihn verdächtigte, ein Alumbrado zu sein, weil er von Gott als jemandem sprach, der unvermittelt mit der menschlichen Seele kommuniziert. De Mellos Selbstinszenierung diente auch der Provokation seiner Zuhörerschaft. So forderte er diese beispielsweise auf, den Buddha zu töten, sollten sie ihn finden.17 Damit entlarvte de Mello die Strukturen organisierter Religion und ermutigte seine Adressat(inn)en, die Ebene der Symbole zu verlassen (den Finger, der zum Mond hindeutet), zugunsten der symbolisierten Realität (des Mondes selbst). Er sah, dass Symbole, wie die blinde Ausübung von Riten und Ritualen, zum Hindernis anstatt zur Hilfe werden können.

De Mello besaß große Fähigkeiten, Weisheit durch Geschichten und Anekdoten zu vermitteln. Seine Botschaft traf den Lebenskern der Menschen. Er appellierte nicht an die Fähigkeit des Menschen zur Konzeptualisierung, sondern an dessen Vorstellungskraft und Affektivität.

Joaquin Barrero fragte, warum de Mello so einflussreich in Spanien war und dies auch nach wie vor bleibt. Seine Sicht: Die Menschen in Spanien waren einer moralistischen, kasuistischen, rigiden und rationellen Theologie überdrüssig. De Mello hingegen sprach von einem Gott, der bedingungslos liebte und von ihnen nicht erwartete, sich zu ändern, damit er sie liebte. Er wusste wohl, dass die Annahme einer solchen Liebe die Menschen ändern würde, und vermittelte diese Botschaft effektiv wie affektiv. Ähnlich formulierte L. D’Souza: „Für de Mello gab es nichts Gefährlicheres als einen verschlossenen Geist. Erbegleitete solche Menschen und half ihnen zu einem Aha-Erlebnis (Einsicht). In einem solchen Augenblick ‚sieht‘ man plötzlich, kann aber nicht sagen, was gesehen wird. Gerade dann ist das Erzählen einer Geschichte angesagt. De Mellos Geschichten waren provokativ und offen. Sie stellten Menschen in Frage und zielten darauf hin, Menschen wie aus einem Schlaf erwachen zu lassen. Befragung und Provokation waren de Mellos Therapie.“

Auf meine Frage: „Was haben Sie von de Mello gelernt?“, antwortete Lisbert D’Souza: „Ich lernte, alles in Frage zu stellen und die vielen Wahrheitsansprüche nicht wie selbstverständlich anzunehmen. Unsere Welt mit ihrer schnellen Kommunikationstechnologie bietet eine Fülle an Antworten. Die Verbraucher dieser Wahrheitsansprüche nehmen sich keine Zeit, sie in Frage zu stellen. Ich lernte, sogar die Ansprüche auf absolute Wahrheit in Frage zu stellen, ‚denn nicht das Vielwissen sättigt und befriedigt die Seele, sondern das Verspüren und Verkosten der Dinge von innen her‘ (Ignatius v. L., Geistliche Übungen, 2). Das war übrigens de Mellos Lieblingszitat aus den Übungen. Was zählt, ist die persönliche Erfahrung von absoluten Wahrheiten und nicht die unterwürfige Akzeptanz von Wahrheitsansprüchen nur, weil jemand sie ausgesprochen hat.“

Integration östlicher und westlicher Spiritualität

L. D’Souza erinnerte sich an de Mellos Definition von Spiritualität: Es ist der Verlust des Selbst. Darin integrierte de Mello den shunyata-Gedanken des Buddhismus und das ignatianische Kriterium des spirituellen Fortschritts, nämlich das Ablegen der Eigenliebe, des Eigenwillens und des Eigennutzes (vgl. GÜ Nr. 189). A. J. D’Souza, der de Mello 20 Jahre lang als geistlichen Begleiter hatte, behält dies im Sinn, wenn er seine De Mello-Seminare mit „Integration of Spirituality and Psychology from an Eastern Perspective“ bezeichnet. John Dardis bemerkt: „Die 1970er Jahre waren eine Zeit, in der ‚Vorstellungskraft‘, ‚Affektivität‘ und ‚Sexualität‘ suspekt waren. De Mello konfrontierte diese Begriffe direkt, mit Mut und Kreativität. Er verknüpfte Psychologie, Spiritualität und Sexualität mit dem Menschlichen und machte daraus eine kreative Mischung der Psychologie, die er in Chicago studiert hatte, und der (fern)östlichen Schulen der Spiritualität. Er redete nicht nur theoretisch über einen psychospirituellen Ansatz, sondern zeigte auch tatsächlich, wie dieser funktionieren könnte. Er entwickelte Übungen, genau wie Ignatius die seinen, die Menschen wirklich befreiten.“ J. Dardis fährt fort: „Das Ziel der Übungen besteht darin, Menschen aus ihrer Knechtschaft zu befreien zum Dienst an der Menschheit (A.M.D.G.). De Mello erreichte dies in den Übungen, die er anbot, indem er sie flexibel machte und neue Übungen einführte, welche aktuelle Bedürfnisse ansprachen. Er wiederholte nicht bloß die von Ignatius konzipierten.“

De Mellos Spiritualität wirkt befreiend

Demütig erkannte Mariano Ballester, dass de Mello seinem Leben sehr viel Gutes brachte. Nach der GK 32 kam de Mello regelmäßig nach Rom, um Seminare zu leiten. Der Andrang war so groß, dass die Teilnahme ausschließlich auf Obere und Generalobere der Kongregationen in Rom beschränkt werden musste. Ballester nahm an diesen Seminaren teil und war besonders beeindruckt von der Freiheit, mit der de Mello seiner hochkarätigen Hörerschaft begegnete. Er integrierte de Mellos Methoden und Inhalte in die Gebetsseminare, welche das CIPO (Centro Internacional de Pastoral y Oración, ein von P. Arrupe gegründetes Zentrum zur Wiederbelebung des Gebetsapostolats) anbot. „Tony befreite mich von papeles (geschriebenen Notizen)“, sagte Mariano einigermaßen erleichtert, und fuhr fort: „Ich lernte, die Vorstellungskraft auf kreative Art in den Gebetsseminaren einzusetzen. Diese beinhalteten drei Schritte: 1. Entspannung; 2. das Eintreten ins eigene Haus; 3. Frieden im eigenen Haus schaffen.“

Mit der Notifikation im Sinne sagte Jim Grummer: „Viele verabsäumten, das richtige Verständnis für de Mellos Intentionen aufzubringen. Natürlich wurde Tony wahrgenommen als wäre er gegen das Establishment, doch lehnte er niemals das Lehramt der Kirche ab. Er verwendete seine provokative Sprache lediglich, um Menschen zu befreien. Wer de Mello liest oder ihm zuhört, soll seine Gedanken zu begreifen versuchen und seine Worte nicht buchstäblich oder oberflächlich aufnehmen.“

„Große Wirkung!“ Mit diesen Worten beschrieb Dardis das erste De Mello-Seminar, an dem er in den 70er-Jahren teilnahm, gemeinsam mit 60 anderen Jesuiten. „Tony befreite mich!“, sagte Dardis ziemlich direkt. „Nach der GK 32 half er auch der irischen Provinz, die auf der Suche nach neuen Wegen war, jesuitisch zu sein. Die traditionelle Spiritualität der Gesellschaft brauchte Erneuerung, sie sollte die Inkarnation stärker hervorheben, menschlicher werden. De Mellos Intervention half den irischen Jesuiten, sich in diese Richtung zu bewegen“, bestätigte Dardis.

Vor seinem Noviziat kam José Antonio Guerrero (er trat der Gesellschaft Jesu 1979 bei) mit dem Gebet nach Sadhana in Berührung. Er nutzte dieses wiederum, um anderen jungen Menschen zu helfen. Guerrero beobachtete die „Befreiung“ vieler Menschen durch Tonys Wirkung. In Spanien wurde er Zeuge der großen Beliebtheit de Mellos, vor allem durch den Verkauf von Büchern aus dem Verlagshaus Sal Terrae. Er erwähnte einige Jesuiten wie Jesús García-Abril und Manuel Fernández Márquez, die von Tony zutiefst beeinflusst wurden und stets viel unternehmen, um de Mellos Spiritualität zu verbreiten. Diesbezüglich schrieb García-Abril in einer persönlichen Korrespondenz: „Meine persönliche Erfahrung ist, dass de Mellos Werke mit ihrer befreienden Glaubensvision, richtig angewendet, Positives in den Menschen bewirken.“

Barrero, wie Guerro, erinnerte sich an Namen von Männern wie José Antonio Garcia Monge und Vincente Bonet, die in den 80er Jahren von de Mellos Ideen beeinflusst wurden. Sie wurden zu lideres multiplicadores (führenden Multiplikatoren), welche bis heute Menschen mit de Mellos Spiritualität inspirieren. Er erinnerte sich an eine Erfahrung, die ihm in seiner Zeit als Spiritual zuteil wurde: „Vor allem ein Jesuit sagte oft zu mir: ‚Tony eröffnete mir Tore der Rettung.‘“ Ferner meinte er: „De Mellos Botschaft kam wie ein frischer Atemzug daher, ‚Oxigenaba y liberaba‘ (er brachte Sauerstoff und er befreite). Genau das ist es, was unsere hochsäkularisierte Gesellschaft heute benötigt. De Mello betonte die Gnade Gottes zu einer Zeit, in der vergeltende Gerechtigkeit hervorgehoben wurde. Vielleicht erreichen wir heute langsam ein Gleichgewicht.“

Seine Methode: Deus semper maior

Vernon D’Souza nutzte de Mellos Spiritualität im Noviziatsprogramm. Den Novizen gab er im ersten Jahr das Buch Sadhana, welches wesentlich zur erfolgreichen Durchführung der dreißigtägigen Exerzitien beitrug. Im zweiten Jahr verwendete er de Mellos Audiokassetten (eine Vortragsreihe zu Liebe, Frieden und Freude), um seine Methode zu vermitteln, nämlich sowohl die innersten Tiefen des Selbst als auch die entfernteste transzendente Realität zu erreichen.

In seiner Erwähnung von Tony de Mellos Geschichten warnte L. D’Souza davor, diese buchstäblich zu verstehen, wie auch die Gleichnisse Jesu nicht buchstäblich zu interpretieren sind. Das Erzählen von Geschichten und Anekdoten auf angemessene und effektive Weise entsprach de Mellos Methode. Diese darf aber nicht als didaktische Kommunikation von Dogmen verstanden werden. Die Geschichten sind vielmehr wie der Finger, der zum Mond deutet. Der Versuch, sie wortwörtlich zu deuten, kann mitunter gefährlich sein. Vielmehr regte de Mello seine Hörer(innen) an, die Ebene des Wörtlichen zu übersteigen: Deus semper maior. John Dardis hegte aber zweierlei Sorgen: Wie sollten wir heute die Geistlichen Übungen anbieten? Welche Art von geistlichen Begleitern bringen wir hervor? „Wo sind die heutigen ‚de Mellos‘?“, fragte er. De Mello konfrontierte diejenigen, die er begleitete, und bot ihnen maßgeschneiderte Exerzitien an, in denen er das starke Potenzial der Vorstellungskraft nutzte. Genau das praktizierte seinerzeit auch Ignatius. Die Phantasie „Die Statue“18 ist Dardis‘ Favorit. Diese Übung half ihm zu seiner eigenen Befreiung, und er entwarf wiederum weitere solcher Übungen, um die Menschen, die er begleitete, zu befreien und weiterzuführen.

Fazit

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass de Mellos Botschaft, welche die Lehre der Weisen aus Ost und West in sich integriert, allen zugänglich ist. Sie spricht den Lebenskern der Menschen an und weckt sie auf. Dieses Aufwachen führt sie in die Freiheit, welche die Menschen wiederum befähigt, die Wahrheit über sich selbst und über die transzendente Wirklichkeit zu erfassen. Das ist eine Reise weg von der Fixierung auf sich selbst und hin zur Zuwendung zu anderen. Kirchlich gesehen befähigte vor allem im Westen de Mellos Spiritualität Menschen, die sich von der Kirche abgewandt hatten, wieder zu ihr zurückzukehren. Ferner half sie den Katholik(inn)en, bessere Katholik(inn)en zu werden.

Bis heute unterstützt seine Spiritualität Menschen gerade deshalb, weil sie sie befähigt, Lösungen an der richtigen Stelle19 zu finden, und dies sogar mit möglichst wenig menschlicher Anstrengung. Aufgepasst! „Spiritualität bedeutet aufzuwachen.“20

* Übersetzung: Johanna Friedl. Bearbeitung: Christoph Benke.

1 Das Interstiz ist ein Abschnitt des jesuitischen Ausbildungsweges; es dauert zwei oder drei Jahre.

2 Meine Gesprächspartner waren u.a. die Patres L. D’Souza, A. J. D’Souza, V. D’Cunha, M. Ballester, J. Grummer, J. Dardis, G. I. Rodríguez, J. A. Guerrero, J. B. Díaz und A. Kerhuel. Ferner stand ich in E-Mail-Kontakt mit J. Garcia-Abril, M. Ghaly sowie A. de Mellos Bruder Bill, der in Australien lebt.

3 Dies ist ein Wort aus dem Sanskrit und bezeichnet spirituelle Praktiken, um ein transzendentes Ziel zu erreichen.

4 M. Banes, Anthony de Mello SJ, URL: http://www.thinkingfaith.org/articles/anthony-de-mello-sj, 19. Juni 2014 (Stand: 19.02.2019).

5 Von den wenigen Büchern, die zu de Mellos Lebzeiten erschienen, war Sadhana: A Way to God das erste (1978; basierend auf jenen Notizen, die Msgr. Almeida von Brasilien über die geistlichen Punkte anfertigte, die de Mello den Delegierten der GK 32 mitgab). Daraufhin folgten The Song of the Bird (1982), Wellsprings: A Book of Spiritual Exercises (1984) sowie One Minute Wisdom (1985). Nach seinem Tod wurden zahlreiche Bücher publiziert, die auf seinen eigenen Schriften beruhten sowie auf Tonbandaufnahmen seiner Vorträge und auf Konferenzmitschriften. Einige der bekannteren sind The Prayer of the Frog (2 Bde., 1989), Taking Flight (1988) und dessen Fortsetzung, The Heart of the Enlightened (1989), Awareness (1990), Contact with God: Retreat Conferences (1990), Call to Love: Meditations (1991), Caminhar sobre as águas: Quebre o ídolo (1992) und One Minute Nonsense (1992).

6 Vgl. D. Paramananda, The Enigma of Anthony de Mello, in: America 179 (1998), 8.

7 T. G. Casey / M. B. Hassett, From Fear to Serenity with Anthony de Mello. Mahwah/NJ 2011, 130–131.

8 AAS 90 (1998), 833 f. Ferner eine erklärende Notiz, herausgebracht am 22. August 1998.

9 Obwohl La Iluminación de Mello zugeschrieben wurde, war María Paz Morino die eigentliche Verfasserin. Was den zweiten Text betrifft: Toni konnte nicht Portugiesisch! Vgl. B. de Mello, Anthony de Mello SJ. The Happy Wanderer. A Tribute to My Brother. Ed. C. W. DeSilva. Anand 2012, 243.

10 Dieser lautet: „Die Bücher von Anthony de Mello entstanden in einem multireligiösen Kontext und sollten Anhängern anderer Religionen, Agnostikern und Atheisten eine Hilfe bei ihrer geistlichen Suche sein. Dieser Intention des Autors entsprechend sind sie nicht als Darstellungen des christlichen Glaubens oder als Interpretationen katholischer Dogmen zu verstehen.“ Vgl. B. de Mello, Anthony de Mello SJ, 247 [s. Anm. 9].

11 S. die Rückseite des Buches von A. Nayaks, Anthony de Mello. His life and his Spirituality. Dublin 2007.

12 A. de Mello, Seek God Everywhere: Reflections on the Spiritual Exercises of St. Ignatius. Ed. G. O’Collins / D. Kendall / J. LaBelle. New York – London 2010.

13 A. de Mello, Rediscovering Life: Awaken to Reality. New York 2012.

14 J. Callanan publizierte folgende Werke über Tony de Mello: The Spirit of Tony de Mello (1993), Dreaming with Tony de Mello (1997), Finding Fire with Tony de Mello (2001) und Watering the Desert with Tony de Mello (2004).

15 Call to love, Contact with God, One minute Nonsense, One Minute Wisdom, Sadhana, The Prayer of the Frog 1 & 2, The Song of the Bird sowie Wellsprings.

16 Vgl. T. G. Casey / M. B. Hassett, From Fear to Serenity, 9 [s. Anm. 7].

17 Ein altes, Zenmeister Linji zugeschriebenes Koan, vgl. URL: http://www.dailybuddhism.com/archives/670(Stand: 19.02.2019).

18 Vgl. A. de Mello, Sadhana. A Way to God, 87 [s. Anm. 5]. In den Betrachtungen zu den Zwei Bannern (GÜ 137–147) und den Drei Menschengruppen (GÜ 149–156) sind ignatianische Versionen der „Statue“ nicht zu übersehen.

19 Man kann einen Schlüssel, den man zu Hause verloren hat, nicht woanders suchen, nur weil es dort heller wäre. Vgl. A. de Mello, The Song of the Bird, 30 [s. Anm. 5].

20 A. de Mello, Awareness: A de Mello Spirituality Conference in His Own Words, 5 [s. Anm. 5].

Geist & Leben 2/2019

Подняться наверх