Читать книгу Lebendige Seelsorge 2/2019 - Echter Verlag - Страница 6
ОглавлениеWas hat Scheitern mit Gott zu tun?
Die Replik von Maria Elisabeth Aigner auf Katharina Karl
Ich habe Katharina Karls Beitrag mit Interesse gelesen und kann ihr in fast allem nur zustimmen. Ihre Ausführungen haben mich angeregt, weiterzudenken und weiter zu fragen – vor allem was das Scheitern und unseren theologischen und seelsorglichen Umgang damit betrifft. Zugleich stoße ich dabei erneut auf die Frage, was Scheitern in einem ganz existenziellen Sinn für uns Menschen bedeutet. Worin besteht der Zusammenhang zwischen Scheitern und unserer menschlichen Existenz? Und viel mehr noch: Wann kommt es dabei zu Transzendenz und Überschreitung des Diesseitigen? Was hat Scheitern mit Gott zu tun?
Vorneweg beschäftigt mich jedoch – angeregt dadurch, dass Scheitern als „Signatur der Moderne“ betrachtet werden kann, der interkulturelle Aspekt des Themas. Seit etlichen Jahren verbringe ich einen Monat im Jahr in Afrika, genau genommen in Tanzania, einem für afrikanische Verhältnisse relativ sicheren Land, in dem ich nicht nur auf Not und Elend treffe, auch wenn nach wie vor vierzig Prozent der Bevölkerung dort hungern. Seit ich kontinuierlich mit Schwarzafrika „in touch“ bin, begegnet mir der Begriff des Scheiterns in einer anderen Dimension als hierzulande – und das ebenso in der ganzen Ambivalenz, von der auch in Katharina Karls Ausführungen gleich zu Beginn die Rede ist. Wo mangelnde Bildung, und unzureichende medizinische Versorgung, Arbeitslosigkeit, Hunger und Naturkatastrophen,Korruption und politische Repression Not und Elend hervorrufen, stehen keine Ressourcen mehr zur Verfügung, um dem Scheitern noch in irgendeiner Form eine damit verbundene Erfahrung persönlicher Wachstumsprozesse abzuringen. Hierzulande scheitern wir, wenn es uns an Erfolg und Wohlstand mangelt. In Afrika liegt der Erfolg darin, trotz des allgegenwärtigen, tagtäglichen Scheiterns den Mut nicht zu verlieren und sein Leben nicht aufzugeben, sondern irgendwie weiterzukämpfen. Wichtig erscheint mir anzuerkennen, dass Scheitern zum Menschsein gehört und zwar nicht nur individuell und gemeinschaftlich bzw. in einem systemischen Sinn, sondern auch in einem existenziellen sowie theologischen Sinn. Es stimmt, dass das Kreuz als christliches Symbol eben auf diese Realität hinweist und dass dies – so Katharina Karl – eine Entlastungsfunktion hat. Ich würde sogar noch weiter gehen und behaupten, dass im Verlauf des Lebens einzig im Anerkennen dieser Realität die heilsamen Wenden liegen können und das Kreuz auch dafür Sinnbild ist.
Es geht mit Blick auf das Kreuz als Heilssymbol eben nicht um jene perfide Verkehrung, die den ohnedies durch das Scheitern gedemütigten Menschen noch zusätzlich die Demut abverlangt, ihr Leid aufzuopfern. Das kommt einem frömmelnd-verbrämten Sadismus gleich. Scheitern als „Voraussetzung für Erlösung“ zu bezeichnen oder von einer „Spiritualität des Scheiterns“ zu sprechen, leistet der Gefahr einer solchen Demutslogik massiven Vorschub. Wenn das Kreuz das Symbol des Heils ist, dann heißt das, die Realität des Scheiterns als Tatsache menschlicher Existenz anzuerkennen, jedoch nicht, dass das Scheitern zu ertragen, oder womöglich sogar als gerechte Sündenfolge zu verstehen ist.
Das Junktim zwischen Scheitern und Chance oder Scheitern und Erlösung ist verachtend denjenigen gegenüber, die mitten im Scheitern und den damit verbundenen Leiden stehen. Denn Scheitern hat zuerst mit einem Mangel an Lebensmöglichkeiten, Freude und Zukunftsaussichten zu tun. Scheitern kann Menschen so sehr in die Verzweiflung führen, dass sie verstummen, sich zurückziehen, aus allen sozialen Netzen fallen. Der Weg des existenziellen Scheiterns führt so wie das Leiden „[…] nicht geradewegs in die Weisheit, nicht in die Sprache, nicht zu Gott, zumindest zu keinem, der all dies will und weiß. Der Weg in das Leiden führt zu Niedrigkeit, Einsamkeit, Verzweiflung“ (Bucher, 33). Es gibt also eine Logik der Abfolge im Bewältigungsprozess des Scheiterns. Wenn durch das Scheitern das Vertrauen in die Menschen und in das Leben verloren geht und sich dieser selbstverständliche Vertrauensraum lediglich wie ein winzig kleines dunkles Kämmerchen anfühlt, wird das als eine Form der Ausgrenzung erlebt, die Menschen nicht nur aus dem Gemeinschaftsnetz, sondern gewissermaßen ‚aus der Welt‘ fallen lässt.
An dieser Stelle Gottes Nähe vermitteln zu wollen, kann nur scheitern. Als Prävention und Intervention bleiben einzig das solidarische Wahrnehmen und Aushalten dessen, was beim Gegenüber ist. Das schafft im weitläufigen, von Verwirrung durchzogenen Raum des Scheiterns Anerkennung und verleiht den Betroffenen Autorität und Würde. Das ist viel. Vor allem aber drängt es jene, die mit den Konsequenzen des Scheiterns konfrontiert sind, nicht zusätzlich in das Gefühl zu versagen, weil sie die Anwesenheit Gottes in alledem nicht spüren und wahrnehmen können. Die Deutungsmacht darüber, welchen Sinn das Scheitern hat, liegt einzig bei den Gescheiterten selbst. Wer Gott in alle dem ist und wie er sich zeigt, bleibt unverfügbar. Als Sigel erkennbar ist lediglich die Bodenlosigkeit im Scheitern Jesu – in seinem Leben und durch sein Lebensende am Kreuz –, und dass Gott in diesem Jesus alles Zerborstene, Zerschellte, Zerstörte menschlicher Existenz teilt.
LITERATUR
Bucher, Rainer, Gott, das Kreuz, das Leiden, in: Spendel, Aurelia (Hg.), Glaubenskunst. Vom Reichtum christlicher Spiritualität, Ostfildern 2008, 28-35.