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2. Einleitung

Jedes Forschungsprojekt beginnt mit einer Forschungsfrage. Auch die Seelsorgestudie – nur fächert sich unsere in mehrere Themenbereiche auf. Im Vordergrund stand für uns die Frage nach der Lebens- und Arbeitssituation pastoraler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Schlüsselpersonen im Kontext der gegenwärtigen religiösen und pastoralen Wandlungsprozesse. Hier interessierte uns vor allem, wie es ihnen geht, wie ihre Gesundheit, Motivation und Lebenszufriedenheit erhalten und gefördert und wie ihre individuellen Ressourcen im Umgang mit Belastungssituationen unterstützt werden können. Im Hintergrund steht für uns die grundlegende Absicht, Gesundheit und Engagement im Dienst der Seelsorge zu fördern und damit zum Gelingen des Lebens von Seelsorgerinnen und Seelsorgern beizutragen. Dass ihre Spiritualität(en) und Lebensformen bei diesen Fragestellungen einen zentralen Raum einnehmen müssen, war eine ähnliche Grundannahme.

2.1. Theoretische Modelle

Wenn man die Frage nach Gesundheit, Motivation und Ressourcen von Personen stellt, ist es gut, sich auf bereits etablierte Denkmodelle in Medizin und Gesundheitspsychologie beziehen zu können. Für die Seelsorgestudie waren dies das Salutogenese-Konzept sowie das Anforderungs-/Ressourcen-Modell, die beide an anderer Stelle noch ausführlicher erläutert werden.

Das Salutogenese-Modell von Aaron Antonovsky hat sich in den vergangenen Jahrzehnten als eine der bedeutsamsten Rahmenkonzeptionen der Gesundheitswissenschaften entwickelt. Es wird heute als Gegenentwurf zum Pathogenese-Mo-dell verstanden. Es fragt nach Gesundungsprozessen anstatt nach Erkrankungsprozessen. Sein Gesundheitsverständnis ist nicht auf die physische und/oder psychische Gesundheit enggeführt, sondern bezieht auch die geistige, soziale, kulturelle und spirituelle Dimension umfassend ein. Gesundheit und Krankheit können als fließende Übergänge („Bewegung“) auf einem theoretischen Kontinuum zwischen völliger Krankheit („dis-ease“ / Krankheit) und völliger Gesundheit („ease“ / Wohlgefühl) verstanden werden. Es handelt sich somit um Prozesse des „Werdens“ in Richtung Wohlbefinden und Zufriedenheit. Im Vordergrund steht nicht die Frage, was krank, sondern was gesund macht. Diese scheinbar polar gegensätzlichen Zustände sind natürlich idealisiert, sie beschreiben aber gut die „Anziehungspole“ für Gesundheits- und Krankheitsdynamiken. Die treibenden Faktoren dieser Bewegung sind zum einen die Ressourcen des Individuums, zum anderen der Interaktionsprozess zwischen dem Individuum und den Ressourcen des Lebensraumes. In diesem Geschehen gilt es die gesamte Person mit ihrer individuellen Lebensgeschichte (mit ihren Leibes- und Beziehungserfahrungen) im Kontext des gesamten Systems zu berücksichtigen, in dem sie lebt. Eine zentrale Rolle im Salutogenese-Modell nimmt das so genannte Kohärenzgefühl ein. Es ist eine globale Lebensorientierung, welche Individuen und soziale Systeme in die Lage versetzt, das Leben als verstehbar, gestaltbar und motivational sinnvoll zu begreifen.

Das salutogenetische Modell ist kein Konkurrenzmodell zu den bewährten alternativen ressourcenorientierten Modellen der Gesundheitsförderung. Vielmehr stellt es ein integrierendes und synthetisierendes Modell dar, welches als „umbrella-model“ verschiedener Rahmenkonzeptionen dienen kann. Im Unterschied zu den in der Medizin häufig dominierenden Pathogenese-Modellen sieht das Salutogenese-Konzept den Erfolg nicht darin, spezifische pathogene Erreger oder Prozesse bekämpfen zu können, sondern die Ressourcen zu stärken, die das Individuum widerstands- und anpassungsfähig machen. Im Salutogenese-Modell erfährt das bekannte Stressorkonzept im Einklang mit anderen bewährten Stress-Modellen eine entscheidende Modifikation : Der auf das Individuum zukommende oder in ihm auftretende Stressor führt nicht per se zu einem Disstresszustand, sondern zu einem physiologischen „Anspannungszustand“ aufgrund der verursachenden Anforderungen, mit dem das Individuum umgehen muss, um das ursprüngliche Gleichgewicht wieder herzustellen. Kann es diesen mit Hilfe seiner Ressourcen abpuffern bzw. bewältigen, so würde die entsprechende Person aufgrund von positiven Erfahrungen und Trainingseffekten mit einer (theoretisch) „robusteren“ Gesundheit aus der Konfrontation mit dem Stressor hervorgehen. Entscheidend für eine konstruktive Spannungsbewältigung ist die Palette der Ressourcen, die einem Menschen dafür zur Verfügung steht. Es können körperliche, geistige, seelische, soziale, kulturelle oder spirituelle Ressourcen sein.

Ein weiteres in der Seelsorgestudie berücksichtigtes Modell ist das Anforderungs-Ressourcen-Modell, das vor allem in der Erklärung von Prozessen der Entwicklung von Gesundheit, Krankheit und Motivation in der Arbeitswelt angewandt wird. Dieses systemische Modell versteht Gesundheit als gelingende Bewältigung der internen und externen Anforderungen und Belastungen des Lebens mit Hilfe interner und externer Ressourcen. Diese Ressourcen können ganz allgemein als Mittel oder individuelle Eigenschaften verstanden werden, die Personen im Bedarfsfall einsetzen können, wenn sie vor der Herausforderung stehen, interne und externe Anforderungen bewältigen zu müssen. Zu den internen Ressourcen gehören z. B. Persönlichkeitseigenschaften wie psychische Stabilität, Extraversion (im Sinne einer nach außen gewandten, gesprächigen und aktiven Charakteristik) und Selbstwirksamkeit (im Sinne der Überzeugung, auch in schwierigen Situationen handlungsfähig zu sein und auftretende Probleme aufgrund eigener Fähigkeiten und Kompetenzen lösen zu können), aber auch Ämter und Positionen in der Arbeitswelt. Als Beispiele für externe Ressourcen seien hier Wertschätzung, soziale Unterstützung, Autonomie am Arbeitsplatz und Verlässlichkeit der sozialen Systeme u. a. genannt. Im Rahmen der Seelsorgestudie stellt das Anforderungs-Ressourcen-Modell daher zwei Grundannahmen zur Verfügung:

1. Lebensqualität (Zufriedenheit, Gesundheit, Wohlbefinden usw.) entsteht dann, wenn die Bilanz von Anforderungen und Ressourcen subjektiv positiv – also zugunsten der Wirkung der Ressourcen – ausfällt.

2. Spannung und Disstress (Belastungssymptome, Unzufriedenheit, Burnout, Demotivation usw.) entstehen dann, wenn die Bilanz von Anforderungen und Ressourcen subjektiv negativ – also zugunsten der Wirkung der Stressoren – ausfällt.

Inwieweit sich die sich daraus ergebenden Hypothesen und Fragen tatsächlich beantworten lassen, wird in den entsprechenden Themenkapiteln erörtert.

2.2. Beschreibung der Datengrundlage

2.2.1. Procedere der Datenerhebung

Bei der vorliegenden Untersuchung handelt es sich nicht um eine Auftragsarbeit, die von der Deutschen Bischofskonferenz oder anderen Institutionen initiiert oder finanziert wurde, sondern um das originäre Anliegen einer Gruppe von Forschern aus unterschiedlichen Fachrichtungen, die ein gemeinsames Anliegen verfolgen wollten. Die jeweiligen Bischöfe der für die anonyme Befragung avisierten Diözesen wurden informiert und um zustimmende Unterstützung gebeten. Die Resonanz war sehr positiv – weitere Diözesen baten darum, ebenfalls teilzunehmen. Im Ergebnis wirkten 22 von 27 deutschen Diözesen mit. Die befragten Personen wurden über die Personalverantwortlichen vorinformiert und mit Hilfe eines Informationsbriefes der Forschergruppe über Art und Umfang der schriftlichen und anonymen Befragung informiert. Spezifische Anreize (Belohnungen) für das Rücksenden der ausgefüllten Fragebögen wurden nicht gesetzt. Erinnerungsschreiben wurden jedoch versendet.

Die Befragung mittels standardisierter und validierter Fragebögen verlief in drei großen Wellen. Der Grundstock dieser Fragebogenmodule war immer gleich, jedoch wurden in einigen Diözesen weitere Elemente für spezifische Fragstellungen hinzugefügt bzw. andere nicht weiter verwendet.

Im Rahmen der Fragebogenstudie wurden die Befragten zudem über die Möglichkeit einer Teilnahme an einer vertiefenden Interviewstudie informiert. 395 von insgesamt 8.574 Befragten (4,6%) willigten schriftlich in die Teilnahme an solchen vertiefenden Interviews ein. Unter den Interessenten wurden 83 Teilnehmer zufällig ausgewählt, die in ihren Diözesen besucht und interviewt wurden. Die Auswertung des reichhaltigen transkribierten Datenmaterials mit qualitativen Methoden ist noch nicht abgeschlossen.

Eigentümerin der so gewonnenen Daten (sowohl aus der schriftlichen Befragung als auch aus den zusätzlichen Interviews) ist die Forschergruppe. Diese hat die Freiheit, die Daten unabhängig von Einflüssen Dritter und nach eigenen Interessen auszuwerten. Es wurde vereinbart, die Hauptthemen in Form von Fachartikeln zunächst in begutachteten wissenschaftlichen Fachzeitschriften zu veröffentlichen und sich so dem kritischen fachwissenschaftlichen Urteil der Gesundheitswissenschaften zu stellen. Die Gefahr, dass „sensible Daten“ zurückgehalten werden würden, besteht somit nicht. Anschließend sollte erst mit Sekundärverwertungen begonnen werden.

2.2.2. Beschreibung der untersuchten Personen

Insgesamt wurden Datensätze von 8.574 Personen analysiert. Aufgrund der unterschiedlichen Größen der beteiligten Diözesen ist die Anzahl der Antwortenden sehr variabel – von 28 bis zu 811 Personen im jeweiligen Bistum.

Es konnten Datensätze von 4.157 Priestern (48,5% der Gesamtgruppe) einbezogen werden, von 1.039 (Ständigen) Diakonen (12,1%), 1.518 Pastoralreferenten und Pastoralreferen-tinnen (PR; 17,7%) und 1.860 Gemeindereferenten und Gemeindereferentinnen (GR; 21,7%).

In der Berufsgruppe der PR sind 53,7% männlichen und 46,3% weiblichen Geschlechts, während in der Berufsgruppe der GR 22% männlichen und 78% weiblichen Geschlechts sind.

Die Altersverteilung in den jeweiligen Berufsgruppen ist sehr unterschiedlich, insbesondere weil in der Gruppe der Priester auch 28% Ruheständler zu finden sind, die in den anderen Berufsgruppen (schon aus Datenschutzgründen) nicht erreicht werden konnten. Bei den PR und GR sind die meisten in den 1960er Jahren geboren und bei den Diakonen die meisten in den 1950er Jahren, während sich bei den Priestern zwei Altersgipfel finden – einerseits die in den 1960er Jahren geborenen und andererseits die vor dem Zweiten Weltkrieg geborenen (Abb. 2.1). Diese ältere Gruppe findet sich bei den PR und GR nicht.


Abb. 2.1: Altersverteilung in den Berufsgruppen entsprechend den Geburtsjahrzehnten

Die Wochenarbeitszeit in den Berufsgruppen (bei einer Altersbegrenzung auf ≤ 65 Jahre) unterscheidet sich signifikant, wobei die Priester 53,3 ± 12,3 Stunden, die Diakone 34,8 ± 18,8 Stunden, die PR 40,9 ± 9,8 Stunden (bei vertraglich festgelegter Arbeitszeit von 35,6 ± 7,5 Stunden) und die GR 39,5 ± 11,0 Stunden (bei vertraglich festgelegter Arbeitszeit von 34,2 ± 8,7 Stunden) pro Woche arbeiten. Die PR und GR haben zwar eine relativ geringere Arbeitszeit als Priester, jedoch ist sie deutlich höher als ihre vertraglich vereinbarte Arbeitszeit. Schaut man die Gruppe aller Priester genauer an, so zeigt sich, dass auch die Ruheständler mit 20,9 ± 13,9 Stunden noch eine recht hohe Wochenarbeitszeit aufweisen.

Zwischen Spirit und Stress

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