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Оглавление3. Zufriedenheit und Kohärenzgefühl – zentrale Ressourcen der Seelsorgenden
3.1. Wie zufrieden sind die Seelsorgenden?
Die Erforschung der Zufriedenheit in ihren unterschiedlichen Dimensionen ist ein zentrales Anliegen der Seelsorgestudie. Gerade die Antwort auf die Frage „Wie zufrieden sind Sie … ?“ war für viele Seelsorger und Seelsorgerinnen und für die Diözesen ein überzeugender Motivator für die Teilnahme bzw. die Durchführung der Studie.
In diesem Kapitel werden wir folgenden Fragen nachgehen:
– Wie zufrieden sind die Seelsorger und Seelsorgerinnen in Bezug auf die unterschiedlichen Dimensionen: „Leben insgesamt“, Arbeit und Organisation?
– Wie ist die Zufriedenheit der Seelsorgenden im Vergleich zur Bevölkerung einzuordnen ?
– Gibt es Unterschiede in der Zufriedenheit bei verschiedenen Untergruppen der Seelsorgenden?
– Welche Beziehungen bestehen zwischen den unterschiedlichen Dimensionen der Zufriedenheit und anderen Indikatoren, wie z. B. Engagement und Stabilität im Beruf?
3.1.1. Zufriedenheit und Lebensqualität in der Forschung
Zufriedenheit als Dimension des subjektiven Wohlbefindens ist ein wesentlicher Bestandteil der multidimensionalen Lebensqualität. Lebensqualität hat psychologische, körperliche, geistige, soziale und spirituelle Aspekte. Die subjektive Dimension der Lebensqualität ist einerseits Folge, andererseits auch Ausdruck psychischer, physischer, sozialer und spiritueller Gesundheit. Die (subjektive) Empfindung der Zufriedenheit kann im Einzelfall positiver sein, als es die (objektive) „Funktionsfähigkeit“ vermuten lassen würde. Denn Menschen können auch dann (subjektiv) zufrieden sein, wenn sie im Alltag nicht so „funktionieren“, wie es (von außen betrachtet) wünschenswert wäre.
In der Anthropologie der Gegenwart ist das subjektive Wohlbefinden bzw. die subjektive Zufriedenheit eine Hauptkategorie des menschlichen Glücks : sowohl in existentiellem Verständnis (Lebensglück) als auch in der Alltagsbedeutung (Glück empfinden). In der klassischen Philosophie und in der Theologie herrscht die Grundüberzeugung, wie sie sich auch bei Thomas von Aquin (STh I-II 1–5) im Anschluss an Aristoteles und in Übereinstimmung mit allen Hauptströmungen der Philosophie findet: „Alle Menschen streben nach Glück.“1 Dieses Streben nach Glück wird in christlicher Sicht besonders anschaulich im Leben der Heiligen, von denen wir sagen, dass sich an ihnen die Verheißung ewigen Glücks erfüllt. So sagt Papst Franziskus in seiner Allerheiligenpredigt im Jahre 2016: „Wenn es aber etwas gibt, was die Heiligen kennzeichnet, dann ist es dies, dass sie wirklich glücklich sind.“2
Subjektive Zufriedenheit ist aus psychologischer Sicht mehr als nur ein subjektives, individuelles Gefühl.3 Es steht immer in einem sozialen und gesellschaftlichen Kontext. Zudem weist die Zufriedenheitsforschung nach, dass Zufriedenheit und Glück auch empirisch in einem normativen Horizont stehen. Sehr einsichtig erweist sich dies, wenn man bedenkt, dass die Fragen nach Glück und „Gelingen“ des Lebens nur beantwortet werden können, wenn die Frage nach dem „summum bonum“, also nach dem höchsten Gut im Leben, beantwortet wird. Aus christlicher Perspektive erfährt diese Fragestellung noch eine Verschärfung durch die Aussage Jesu Christi (Mk 8,35): „Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen und um des Evangeliums willen verliert, wird es retten.“
Gerade der subjektiven Komponente der Lebensqualität wird in der Forschung zunehmend Bedeutung beigemessen. Denn die individuelle Sicht der Person ist psychologisch sehr wirksam – selbst wenn sich diese von einer scheinbar objektiven Außenbewertung deutlich unterscheiden mag. Die Bedeutung dieser Subjektivität, die mit der Erforschung der persönlichen Zufriedenheit notwendigerweise gegeben ist, wird heute in der Wissenschaft von niemandem ernstlich in Frage gestellt. Diese Subjektivität ist auch kein Argument gegen ihre Erforschung: Die subjektive Einschätzung ist nicht nur als solche standardisiert messbar, sondern steht auch in bedeutsamer Beziehung zu den Parametern von Gesundheit, Engagement am Arbeitsplatz, Lebenserwartung und persönlicher Zukunft. Es besteht ein positiver Zusammenhang von Zufriedenheit mit der Stabilität der Persönlichkeit, gesundheitsrelevanten Persönlichkeitsdispositionen, guter Einbindung in soziale Beziehungen, materiellen Ressourcen und soziodemographischen Merkmalen wie z. B. Bildungsstand. Weiterhin existieren positive Zusammenhänge mit dem Alter, sofern der Gesundheitszustand dem nicht entgegensteht. Männer und Frauen unterscheiden sich in ihrer generellen Zufriedenheit in der Regel nicht. Allerdings geben Verheiratete in der Regel eine höhere Lebenszufriedenheit an als Verwitwete, Geschiedene oder Singles.4
3.1.2. Die Messung der Zufriedenheit in der Seelsorgestudie
In der Seelsorgestudie haben wir bei der Erfassung der verschiedenen Aspekte der Zufriedenheit zwischen drei Dimensionen unterschieden : a) allgemeine Lebenszufriedenheit, b) Zufriedenheit mit der beruflichen Tätigkeit, c) Zufriedenheit mit der Organisation.
Lebenszufriedenheit
Bei der Messung der (allgemeinen) Lebenszufriedenheit verwendeten wir zuerst eine Einzelfrage zur Lebenszufriedenheit, wie sie in gleicher Formulierung in der weltweiten Werteforschung, in der deutschen Grundlagenforschung (SOEP-Datensatz5) und in der Demoskopie eingesetzt wird. Die Frage lautet: „Wie zufrieden sind Sie gegenwärtig, alles in allem, mit Ihrem Leben?“
Weiterhin haben wir die in vielen Sprachen existierende „Satisfaction with Life-Scale“ (SWLS) von Ed Diener verwendet.6 In dieser Skala mit fünf Fragen werden die Personen zum einen gebeten, den gegenwärtigen Zustand mit einem subjektiven Idealzustand zu vergleichen („Mein Leben entspricht in den meisten Lebensbereichen meinen Idealvorstellungen“; „Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte, würde ich kaum etwas ändern“; „Bis jetzt habe ich die wichtigsten Dinge in meinem Leben erreicht“). Zum anderen wird der gegenwärtige Zustand der Zufriedenheit erfragt („Meine Lebensbedingungen sind ausgezeichnet“; „Ich bin zufrieden mit meinem Leben“). In dieser Skala ist Lebenszufriedenheit nicht die Messung einer wie auch immer gearteten Stimmung oder gegenwärtigen Laune, sondern eine kognitiv-reflexive und affektive Bestandsaufnahme der eigenen Lebensqualität mit Blick auf grundlegende Lebensoptionen. International ist diese Skala eines der Standard-Instrumente für die Messungen der Lebenszufriedenheit. Diese komplexere Lebenszufriedenheitsskala korreliert sehr stark mit der Einzelfrage zur Lebenszufriedenheit (r = 0,74).
Arbeitszufriedenheit
Bei der Arbeitszufriedenheit haben wir wiederum zwei Messinstrumente verwendet. Der „Arbeitsbeschreibungsbogen“ ist das bekannteste deutschsprachige Verfahren hierzu.7 Die Fragestellung lautete: „Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Tätigkeit / Ihren Kollegen / Ihrem Vorgesetzten / den Arbeitsbedingungen / mit der Organisation und Leitung / mit Ihren Entwicklungsmöglichkeiten / mit Ihrer Bezahlung?“ mit einem daraus errechneten Gesamtmittelwert.
Weiterhin stellten wir – in Anlehnung an die Messung der Lebenszufriedenheit – die spezifische Einzelfrage: „Wie zufrieden sind Sie im Allgemeinen mit Ihrer Tätigkeit in der Seelsorge?“ Die oben genannte Lebenszufriedenheitsskala SWLS korreliert moderat mit dieser Arbeitszufriedenheitsfrage (r = 0,48) – beide Dimensionen sind zwar assoziiert, aber nicht deckungsgleich.
Organisationszufriedenheit
Die Messung der Zufriedenheit mit der Organisation erfolgte (über die betreffende Frage des Arbeitsbeschreibungsbogens hinaus) mit einem Auszug aus einem Fragebogen zur Erfassung des Organisationsklimas (FEO).8 Folgende Beispiele mögen zur Illustration der Aussagen dienen : „Die Diözesanleitung hat klare Vorstellungen über die Zukunftsstrategien“; „Die Diözesanleitung setzt die richtigen Prioritäten“; „Die Diözese trifft klare, langfristige Entscheidungen“. Vergleichsnormen existieren zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht, so dass nur innerhalb der Studie mit Hilfe von Vergleichskollektiven ausgewertet werden kann.
3.2. Ergebnisse zur Lebenszufriedenheit
3.2.1. Lebenszufriedenheit der Seelsorgenden im Vergleich zur Normalbevölkerung
In der Auswertung der Lebenszufriedenheit haben wir zunächst Wert gelegt auf eine Statusbestimmung der Seelsorgerinnen und Seelsorger als Gesamtgruppe im Vergleich zur deutschen Bevölkerung.
Der Gesamtmittelwert der subjektiven Lebenszufriedenheit mit 10-stufiger Antwortmöglichkeit liegt bei 7,64 (SD = 1,55; N = 8189) (Abb. 3.1).
Abb. 3.1: Allgemeine Lebenszufriedenheit (Einzelfrage) bei allen Seelsorgenden
Der Durchschnittswert der Normbevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland (IfD Allensbach) lag im Jahre 2014 zum Endpunkt der Befragung bei einem Wert von 7,0.9 Dieser Wert war bis 2015 seit einigen Jahren stabil und stieg im Jahre 2016 geringfügig auf 7,11 an. Zwischen dem Westen und dem Osten Deutschlands gibt es allerdings ein Zufriedenheitsgefälle von über 0,3 Punkten. Ein solches Gefälle existiert nicht zwischen dem Süden und dem Norden Deutschlands, der die drei führenden Plätze innehat.
Die folgende Abb. 3.2 zeigt die Verteilung der Lebenszufriedenheit (Anteile in Prozent) der deutschen Normalbevölkerung aus dem SOEP-Datensatz und der Gruppe der Seelsorger/-innen. Es wird deutlich, dass die Verteilungskurven der Prozentwerte parallel sind und dass die Werte dieser Gruppe im Vergleich in Richtung höherer Zufriedenheitswerte verschoben sind. Vor allem fällt auf, dass die Anteile der „moderat“ und gering Zufriedenen deutlich geringer sind, während die Anteile der sehr zufriedenen Personen deutlich erhöht sind. Bei der Gruppe der Personen mit dem Mittelwert um 7 ist die Anzahl ungefähr identisch, bei der „Grenzgruppe“ im Zustand der „Extremzufriedenheit“ sind die Seelsorger/-innen etwas schwächer. Der Anteil an Personen mit einer Zufriedenheit unter dem Wert von 6 liegt zwischen 9 und 10% (743 Personen), während er bei der Durchschnittsbevölkerung mehr als doppelt so hoch ist (21,3%). Es gibt somit eine zahlenmäßig nicht zu übersehende Gruppe von Seelsorgenden, die aus eigenem Erleben den gefundenen hohen Mittelwert der Gesamtgruppe vermutlich nur sehr schlecht nachvollziehen kann; diese Gruppe ist im Vergleich zur Normalbevölkerung jedoch halbiert.
Abb. 3.2: Verteilung der allgemeinen Lebenszufriedenheit (Einzelfrage) bei den Seelsorgenden und in Deutschland allgemein
Neben dem Vergleich mit der Durchschnittsbevölkerung braucht es gemäß den Ergebnissen der Zufriedenheitsforschung auch den Vergleich mit den Referenzwerten der Bevölkerung, die ebenfalls einen hohen Bildungsstand aufweisen. Der Vergleichswert aus dem SOEP-Datensatz liegt bei 7,64 (die Referenzgruppe der Durchschnittsbevölkerung ohne Berücksichtigung des Bildungsunterschieds liegt im SOEP-Datensatz bei 7,21). Geschlechtsunterschiede zwischen Männern und Frauen bestehen in der Vergleichsgruppe mit hoher Bildung nicht; dies gilt auch für die Gruppe der Seelsorgenden.
Dass in der Seelsorgestudie für die Geschlechtsvariable und damit verbunden auch für Familienstand (verheiratet bzw. ledig) keine Unterschiede bestehen, ist hier besonders interessant, weil vor dem Hintergrund der vorliegenden Daten aus den weltweiten Zufriedenheitsstudien eine Abweichung der Männer nach unten aufgrund der großen Gruppe der Ledigen (also der Priester) erwartet werden müsste. Der Vergleichswert für ledige Personen liegt in Deutschland bei 7,03 (SD = 1,95, n = 243). Die Priester weisen also eine stark positive Abweichung von der Vergleichsgruppe auf.
3.2.2. Lebenszufriedenheit der Seelsorgenden im Vergleich der Untergruppen
Bei dem notwendigen Vergleich der Untergruppen der Seelsorgenden (Priester, Diakone, Pastoralreferentinnen und -referenten, Gemeindereferentinnen und -referenten) wird nun in zwei Schritten vorgegangen: erstens ein Vergleich der Berufsgruppen ohne Berücksichtigung des Alters, zweitens ein Vergleich der Berufsgruppen mit Berücksichtigung des Alters. Dies ist notwendig, weil aus empirischer Sicht die Zufriedenheit eine wichtige Alterskomponente besitzt.
Wenn man die Berufsgruppen ohne Berücksichtigung des Alters in den Blick nimmt, finden sich keine bedeutsamen Unterschiede in der Ausprägung der Lebenszufriedenheit. Die Priester und Pastoralreferenten/-innen repräsentieren exakt den gemeinsamen Mittelwert der Gesamtgruppe; die Diakone weichen geringfügig nach oben und die Gemeindereferentinnen und -referenten geringfügig nach unten ab.
Weil bekannt ist, dass in der Normalbevölkerung die Zufriedenheitswerte im höheren und hohen Alter ansteigen, ist es unverzichtbar, die Gruppe der alten Priester von der Gesamtgruppe abzutrennen und den Vergleich der verbleibenden Priester mit den Berufsgruppen neu zu berechnen. Für die Abtrennung bietet sich zuerst die für Priester in Deutschland gängige Grenze für den Ruhestand mit ungefähr 70 Jahren an. Wenn man nun die Gruppe der „Pensionäre“ (N = 904; Zufriedenheitswert: 8,14; SD = 1,46) mit der Gruppe der Priester im aktiven Dienst (N = 2844; Zufriedenheitswert: 7,49; SD = 1,65) vergleicht, dann gerät der ausgesprochen hohe Zufriedenheitswert der Pensionäre in den Blick, die in der Seelsorgestudie eine sehr große Gruppe darstellen. Das Faktum dieser hohen Zufriedenheit ist besonders interessant, weil der Vergleichswert der Altersgruppe im Ruhestand über 65 Jahren im SOEP-Datensatz bei Personen mit gehobenem Bildungsstand bei 7,46 liegt. Grundsätzlich ist der weitere Anstieg der Zufriedenheit bei Personen hohen und höchsten Alters mit Blick auf die Priester nicht überraschend, weil der psychosomatische Gesundheitszustand älterer Priester vergleichsweise sehr gut ist (und in der Regel als Prädiktor einer hohen Lebenszufriedenheit gilt).10
Die notwendige gesonderte Berücksichtigung der alten Priester führt in der Konsequenz zu einer bemerkenswerten Revision des Vergleichsresultats der Zufriedenheitswerte unter den Berufsgruppen: Wie die Tab. 3.1 zeigt, ergibt der Vergleich der Gruppen aller Seelsorger/-innen bis zur Ruhestandsgrenze der Laien in der Seelsorge von 65 Jahren, dass die Gruppe der verbleibenden Priester (also ohne die alten Priester) in der Zufriedenheit nach unten absinkt. Das Absinken trifft auch die Gruppe der Diakone, bei denen der Alterseffekt ebenfalls deutlich wird.
Tab. 3.1: Indikatoren der Lebenszufriedenheit bei Seelsorgenden (Alter < 65 Jahre)
Der Zufriedenheitswert der Priester weicht vom gemeinsamen Mittelwert von 7,52 nach unten auf den Wert von 7,37 ab, der von den Diakonen (7,68) und Pastoralreferenten (7,65) liegt deutlich über dem Mittelwert, während die Gemeindereferentinnen und -referenten auf dem Mittelwert positioniert sind. Die Effektstärke der Abweichung ist allerdings eher gering, aber von der Richtung her konsistent interpretierbar. Interessant ist, dass die Abweichung nach unten auf die Priester in der Territorialseelsorge zurückzuführen ist (7,29; SD = 1,73; n = 1616). Die Priester in der Kategorialseelsorge liegen auf dem hohen Wert von 7,62 (SD = 1,51; n = 524). Dieses Ergebnis war in der Auswertung ein verstärkender Grund dafür, die Bedeutung des Tätigkeitsfeldes für die Seelsorgenden genauer zu untersuchen.
3.2.3. Lebenszufriedenheit der Seelsorgenden: Einordnung im internationalen Vergleich
Die Auswertung des internationalen Standardfragebogens zur Lebenszufriedenheit (SWLS) ergibt insgesamt ein ähnliches Bild sowohl für Zufriedenheitswerte ohne Altersdifferenzierung wie mit Altersdifferenzierung (Tab. 3.1). Ohne Altersdifferenzierung erreichen alle Subgruppen das gleiche Zufriedenheitsniveau, mit Altersdifferenzierung liegen die Priester signifikant unter dem Niveau ihrer Kolleginnen und Kollegen, jedoch mit einer geringen Effektstärke. Auch hier liegen die Priester in der Kategorialseelsorge signifikant über dem Niveau ihrer Kollegen in der Territorialseelsorge. Zu den Seelsorgenden in den anderen Berufsgruppen ergibt sich kein relevanter Unterschied (allgemeine Lebenszufriedenheit: Kategorialseelsorge 7,55 ± 1,48; Territorialseelsorge 7,29 ± 1,73; p <0.0001 – SWLS Summenwert: Kategorialseelsorge 27,11 ± 4,85; Territorialseelsorge 25,88 ± 5,61; p <0.0001). Dies bedeutet, dass die gefundenen Unterschiede für die Priester zu den anderen Berufsgruppen auf die Priester in der Territorialseelsorge zurückzuführen sind. Offensichtlich gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Tätigkeitsfeld und der Lebenszufriedenheit (→ Kap. 6).
Der Standardfragebogen zur Lebenszufriedenheit ermöglicht eine weitere Differenzierung und ein besseres inhaltliches Verständnis der Zufriedenheit. Seelsorgerinnen und Seelsorger liegen dort in der zweithöchsten Gruppe der Lebenszufriedenheitsskala („High-Scorer“). Im Handbuch zum SWLS-Fragebogen wird diese Gruppe wie folgt beschrieben: „Personen mit Werten in diesem Bereich schätzen ihr Leben und spüren, dass ‚alles gut läuft‘. Ihr Leben ist nicht perfekt, aber sie spüren, dass die Dinge so gut laufen, wie es im Leben gehen mag. Weiterhin: Gerade weil diese Person zufrieden ist, bedeutet das nicht, dass die Person selbstgefällig bzw. überheblich ist. In der Tat: Wachstum und Herausforderung könnte ein Teil davon sein, dass die Person zufrieden ist.“11
Interessant und bestätigend für die gefundenen Werte für die Gruppe der Priester ist ein Vergleich mit der großen Priesterstudie aus den USA mit dem plakativen Titel „Why Priests are Happy“.12 Die Gruppe der Priester aus unserer Studie liegt in der Lebenszufriedenheit (SWLS-Summenwert = 27,06 ± 5,3) auf ähnlichem Niveau wie die amerikanischen Priester (n = 2500, SWLS-Summenwert 27,2 ± 5,2). Beide Gruppen liegen damit deutlich über dem dort berichteten Niveau der Subgruppen aus der amerikanischen Normalbevölkerung.
3.3. Ergebnisse zur Zufriedenheit mit der Tätigkeit in der Seelsorge
Wir haben die Arbeitszufriedenheit zunächst global und dann differenziert nach Bereichen ausgewertet. Wie die Abb. 3.3 zur Einzelfrage der allgemeinen Arbeitszufriedenheit („Wie zufrieden sind Sie im Allgemeinen mit Ihrer Tätigkeit in der Seelsorge?“) zeigt, liegen alle Subgruppen der Seelsorger miteinander auf einem ähnlichen Niveau. Die Gruppe der Gemeindereferentinnen und -referenten hat hier die niedrigsten Werte. Ohne Altersdifferenzierung sind die Priester am zufriedensten, mit Altersdifferenzierung (→ Tab. 3.2) sind es die Pastoralreferentinnen und -referenten.
Abb. 3.3: Einzelfrage der allgemeinen Arbeitszufriedenheit für jede Subgruppe (ohne Altersdifferenzierung)
3.3.1. Arbeitszufriedenheit der Seelsorgenden: Vergleich der Bereiche der Zufriedenheit
Eine genauere Analyse mit Hilfe des Arbeitsbeschreibungsbogens (ABB) kommt nicht nur zum gleichen Ergebnis (Tab. 3.2), sondern zeigt auch weitere Übereinstimmungen unter den Gruppen und die Quellen der Unzufriedenheit bei den Gemeindereferentinnen und -referenten, wenn es um die spezifischen Details geht (Tab. 3.2).
Die höchste Zufriedenheit besteht bei allen Gruppen in der Tätigkeit der Seelsorge selbst, gefolgt von der Bezahlung bei den Priestern und Pastoralreferenten. Am unzufriedensten mit ihren Kollegen sind die Priester, am zufriedensten die Pastoralreferentinnen und -referenten. Am zufriedensten mit den Arbeitsbedingungen sind in dieser Gruppe die Diakone. Bei allen Gruppen ist die Unzufriedenheit mit Organisation und Leitung am höchsten. Auffällig sind die ausgesprochen niedrigen Werte der Zufriedenheit mit den Entwicklungsmöglichkeiten und der Bezahlung bei der Gruppe der Gemeindereferentinnen und -referenten.
Tab. 3.2: Arbeitszufriedenheit der Seelsorgenden: differenziert nach Bereichen der Arbeitszufriedenheit
Diese Werte sind für den problematischen Zufriedenheitsstand der Gruppe im Vergleich zu ihren Kolleginnen und Kollegen verantwortlich (Tab. 3.2).
3.3.2. Arbeitszufriedenheit der Seelsorgenden: Beziehungen und Wechselwirkungen
Von zentraler Bedeutung bei der Arbeitszufriedenheit ist die Zufriedenheit mit der Tätigkeit selbst. Die Frage ist daher: Wie steht Zufriedenheit mit der Tätigkeit in Beziehung mit der Zufriedenheit in den anderen Dimensionen, die für die Arbeitszufriedenheit von Bedeutung sind?
Bei der Höhe der Korrelationen ist auffällig, dass die Zufriedenheit mit der Tätigkeit sowohl in der Gesamtgruppe als auch bei Priestern und Gemeindereferent/-innen am stärksten (moderater Zusammenhang) mit den wahrgenommenen Arbeitsbedingungen und den wahrgenommenen Entwicklungsmöglichkeiten und schwächer mit der Organisation und Leitung korreliert (r zwischen 0,35 und 0,46). Die Zufriedenheit mit Kollegen und Vorgesetzten zeigt einen schwachen bis leicht moderaten Zusammenhang mit der wahrgenommenen Zufriedenheit mit der Seelsorgetätigkeit (r zwischen 0,27 und 0,31). Die Bezahlung hingegen ist hier nicht das entscheidende Kriterium und zeigt nur einen marginalen bis schwachen Zusammenhang (r zwischen 0,13 und 0,26). Die Zufriedenheit mit der Tätigkeit in der Seelsorge korreliert moderat (r = –0,43 bei Priestern) bis stark (r = –0,50 bei Gemeindereferent/-innen) negativ mit der Auseinandersetzung mit der Frage, die eigene Tätigkeit zur Disposition zu stellen. Anders formuliert heißt das: Das Nachdenken über die Aufgabe des Dienstes steht in einem deutlichen Zusammenhang mit dem Verlust der Freude an der Tätigkeit in der Seelsorge. Von besonderem Interesse dürfte dabei ein weiteres Ergebnis speziell für die Gruppe der Priester sein: Die Korrelationen der allgemeinen Arbeitszufriedenheit mit der Intention zur Amtsaufgabe sind mit r = –0,43 moderat und stärker ausgeprägt als in Bezug auf die Zufriedenheit mit der zölibatären Lebensform (r = 0,33). Vorsichtig interpretiert: Nicht nur die zölibatäre Lebensform hat eine Bedeutung für ein Nachdenken über die Amtsaufgabe, sondern auch die Freude an der Tätigkeit. Vermutlich gibt es dort Wechselwirkungen, die viel stärker bedacht werden müssen.
Angesichts der Tatsache, dass bei den Gemeindereferentinnen und -referenten die negative Einschätzung der eigenen Entwicklungsmöglichkeiten und Bezahlung so auffällig ist, ist die schwache negative Korrelation von r = –0,13 mit dem Nachdenken über die Aufgabe der Tätigkeit überraschend. Entscheidender als die Bezahlung sind auch bei dieser Gruppe die Zufriedenheit mit der Tätigkeit (r = –0,51), mit den Arbeitsbedingungen (r = –0,34), mit Organisation/Leitung (r = –0,35) und den Entwicklungsmöglichkeiten (r = –0,35).
Der Blick auf die „Amtsaufgabe“ bzw. die „Aufgabe der Tätigkeit“ ist überhaupt sehr aufschlussreich mit Blick auf die Unterschiede bei den Berufsgruppen. Die Frage lautet: „Ich spiele in letzter Zeit mit dem Gedanken, das Priesteramt (meinen Beruf als Seelsorger oder Seelsorgerin) aufzugeben.“ Wie erwartet, korreliert bei den Priestern der Antwortwert zur Aufgabe des Dienstes mit der Aussage „Wenn ich die Wahl hätte, würde ich
Abb. 3.4: Prozentverteilung der Berufsgruppen in der Antwort auf die Aussage: „Ich spiele in letzter Zeit mit dem Gedanken, das Priesteramt (meinen Beruf als Seelsorger oder Seelsorgerin) aufzugeben.“ mich wieder für dieselbe Lebensform entscheiden“ (→ Kap. 5) moderat negativ (r = –0,38). Dieser Wert ist plausibel.
Viel erstaunlicher sind aber die sehr hohen Werte zur „Amtsaufgabe“ als Seelsorgerin oder Seelsorger bei den Laienberufen in der Kirche (Abb. 3.4). Im Gegensatz zu den Priestern, die zu 80% nie oder fast nie darüber nachdenken (ähnlich hoch liegt der Wert bei den Diakonen), sind es bei den Laien nur 50% bzw. 55%; der Anteil bei den Priestern, die sehr häufig (0,8%) und häufig (1,4%) darüber nachdenken, liegt insgesamt bei 2,2%. Bei den Gemeindereferentinnen und -referenten liegt die entsprechende Gruppe viermal so hoch wie bei den Priestern, bei den Pastoralreferentinnen und -referenten dreimal so hoch.
3.3.3. Die Beziehung von Arbeitszufriedenheit und Lebenszufriedenheit: höher bei den Priestern
Ein abschließender Blick gilt der Beziehung von Arbeitszufriedenheit mit der allgemeinen Lebenszufriedenheit. Grundsätzlich gilt für den Zusammenhang eine moderate Korrelation: Lebenszufriedenheit und Arbeitszufriedenheit sind miteinander assoziiert, jedoch nicht deckungsgleich. Während die Korrelation für Lebenszufriedenheit und Arbeitszufriedenheit bei den Laien und Diakonen in der Seelsorge etwas schwächer ist (r = 0,38) als das in Metaanalysen beschriebene Zusammenhangsmaß (r = 0,44), ist sie für die Priester deutlich höher (r = 0,59). Lebenszufriedenheit und Berufszufriedenheit der Priester stehen offensichtlich in einem viel stärkeren Zusammenhang als bei den anderen Berufsgruppen im seelsorglichen Dienst. Bei den jüngeren Altersgruppen („Alterskohorten“) wird der Zusammenhang bei den Laien schwächer, bei den Priestern noch stärker. Es scheint so, dass bei Priestern „Leben und Arbeiten“ eine vergleichsweise große Einheit bilden. Priestersein ist kein Beruf, sondern eine Lebensform. Priestersein ist kein Beruf wie jeder andere, schon gar kein „Job“, der auf das „private“ Leben wenig Einfluss hat.
3.3.4. Ergebnisse zur Zufriedenheit mit der Organisation
In einem Drittel der deutschen Diözesen kam auch die FEO-Skala zum Einsatz, mit der wir die Zufriedenheit mit dem Organisationsklima abgebildet haben. Die Gruppe der Seelsorger(innen) erreicht insgesamt ein niedriges Niveau der Zufriedenheit. Sie liegt in der Regel im Bereich des Zustimmungswertes „weder/noch“ (Abb. 3.5). Weil diese niedrigen Werte angesichts der recht hohen Lebenszufriedenheit und der Arbeitszufriedenheit zunächst auffällig sind und für diesen Fragebogen keine normierten Werte eingesetzt werden konnten, wurde zum Vergleich eine Stichprobe aus Angehörigen sozialer Berufe generiert (Führungskräfte und Angestellte).13
In der Vergleichsgruppe fanden sich signifikant höhere (bessere) Werte. Diese Diskrepanz ist auffällig. Im Vergleich zu Angehörigen der sozialen Berufe vertrauen die Seelsorger(innen) ihren Leitungsverantwortlichen und Diözesen mit Blick auf die Zukunftsstrategien (Effektstärke Cohens d=0,69) und die Prioritätensetzung (Effektstärke d=0,54) deutlich weniger. Sie haben auch weniger Vertrauen, dass die eigene Organisation (Diözese) die Aufgaben der Zukunft meistern wird (Effektstärke: 0,54). Auch bei der Sorge der Leitung (Diözese) um ihre Mitarbeiter zeigt sich ein beachtliches Defizit (Effektstärke: 0,46). Hier ergibt sich weiterer Forschungsbedarf, um abzuklären, inwieweit diese Differenzen verallgemeinerbar bzw. auch dauerhaft sind.
Abb. 3.5: Zufriedenheit mit dem Organisationsklima: Statusbestimmung und Vergleich der Seelsorgenden mit einer Gruppe aus sozialen Berufen
3.3.5. Zufriedenheit mit dem Organisationsklima: Zusammenhänge mit Engagement und Wertschätzung
Zusätzlich erscheint es sinnvoll, die möglichen Ursache-Wir-kungs-Beziehungen und Wechselwirkungen zu überprüfen. Aus der Forschung ist bekannt, dass sich das Organisationsklima auf das Engagement der Mitarbeitenden auswirkt und in Beziehung zur empfundenen Wertschätzung steht.14 Dazu gehören auch Analysen, welche die Beziehungen unter diesen Indikatoren untersuchen (Regressionsanalysen). Hierbei wird nach dem Erklärungspotential entsprechender Variablen („Prädiktoren“) in Bezug auf die abhängige Variable gefragt. Die Fragestellung zur Tab. 3.3 lautet zum Beispiel: Welche Voraussagekraft haben die Indikatoren von Selbstwirksamkeit, Kohärenzgefühl, Organisationsklima usw. für die Stärke des Arbeitsengagements?
Tab. 3.3: Prädiktoren des Engagements (schrittweise Regression)
Hier zeigen sich zwei Phänomene (Tab. 3.3): Das Klima in der Organisation hat einen eigenen Effekt auf das Engagement (zusammen mit den Persönlichkeitseigenschaften und dem empfundenen Stress). Je mehr das Organisationsklima beeinträchtigt ist, umso niedriger wird daher das Engagement ausfallen. Das Organisationsklima steht auch in Beziehung zur Wertschätzung (r = 0,37). Das heißt, je schlechter das Organisationsklima beurteilt wird, umso schlechter fällt auch die empfundene Wertschätzung aus (oder umgekehrt). Man könnte diesen Zusammenhang so interpretieren: Aufgrund ihrer Identifikation mit der kirchlichen Organisation nehmen die Seelsorger(innen) den problematischen Zustand ihrer Organisation in gewisser Weise „persönlich“. Insgesamt ist die Beziehung zwischen der Organisationszufriedenheit bzw. dem wahrgenommenen Organisationsklima und den wichtigen abhängigen Variablen (Stress, Burnout, Arbeitszufriedenheit, Gesundheit, Wertschätzung) bei der Gruppe der Priester eher stärker ausgeprägt als bei ihren Kolleginnen und Kollegen (→ Tab. 3.4). Hier zeigt sich eine „Schattenseite“ der hohen Identifikation der Priester mit ihrem Leben als Priester, das für sie mehr Existenzform als „Job“ ist: Wenn Priester mit dem Zustand ihrer Organisation, für die sie leben, Probleme haben, wird dies in intensiverer Form als Dämpfung ihrer Zufriedenheit mit der Seelsorge und als fehlende Wertschätzung wahrgenommen. Dies gilt natürlich auch umgekehrt: Je geringer die wahrgenommene Wertschätzung und die Arbeitszufriedenheit sind, umso niedriger ist die Zufriedenheit mit dem Klima der kirchlichen Organisation.
Tab. 3.4: Korrelation der Variable „Organisationsklima“ mit Stress, Burnout, Arbeitszufriedenheit, Gesundheit, Wertschätzung bei den Berufsgruppen
3.4. Die Zufriedenheit der Seelsorgenden: Zusammenfassung
Zusammenfassend lässt sich festhalten:
1. Es ist wichtig, die unterschiedlichen Dimensionen der Zufriedenheit (Lebenszufriedenheit, Arbeitszufriedenheit, Organisationszufriedenheit) zu differenzieren, weil sie in unterschiedlicher Weise bewertet werden und unterschiedliche Beziehungen hinsichtlich „Lebensqualität“ (Lebenszufriedenheit, Arbeitszufriedenheit, Gesundheit, Belastungsfreiheit) und Motivation haben.
2. Die Gesamtgruppe der Seelsorgenden liegt in ihrer allgemeinen Lebenszufriedenheit auf einem Niveau, das deutlich über dem der sogenannten Normalbevölkerung angesiedelt ist. Sie liegt jedoch auf ähnlichem Niveau mit sozioökonomisch vergleichbaren Gruppen. Alle Berufsgruppen sind in der Zufriedenheit auf gleichem Niveau, wenn man die jeweilige Gesamtgruppe zugrunde legt. Die Gruppe der alten Priester ist besonders zufrieden. Die Gruppe der Priester im aktiven Dienst ist im Vergleich weniger zufrieden als die anderen Berufsgruppen; dies liegt an der geringeren Zufriedenheit der Priester in der Territorialseelsorge.
3. Die Zufriedenheit mit der Tätigkeit in der Seelsorge ist der Indikator, der alle Berufsgruppen auf ähnlichem Niveau miteinander verbindet. Die Gruppe der Gemeindereferen-tinnen und -referenten weicht in der Zufriedenheit mit den Entwicklungsmöglichkeiten und der Bezahlung jedoch nach unten ab. Das Nachdenken über die Aufgabe der Tätigkeit steht in deutlichem Zusammenhang mit höherer Unzufriedenheit mit der Tätigkeit. Bei Priestern gibt es einen stärkeren positiven Zusammenhang zwischen Lebenszufriedenheit und Arbeitszufriedenheit als bei den anderen Berufsgruppen.
4. Die Zufriedenheit mit dem Organisationsklima ist sowohl im Vergleich zur Lebenszufriedenheit als auch zur Arbeitszufriedenheit auf einem niedrigen Niveau. Der skeptische Blick auf die eigene Organisation verbindet alle Berufsgruppen ohne Unterschied. Es existieren negative Beziehungen zu Engagement und wahrgenommener Wertschätzung. Möglicherweise erklärt dieses Ergebnis die manchmal wahrzunehmende Skepsis gegenüber der hohen allgemeinen Lebenszufriedenheit. Es könnte sein, dass in der allgemeinen schwierigen seelsorglichen Situation eine große Fixierung auf die Unzufriedenheit mit der Organisation aufgetreten ist. Ob dabei die Ansprüche der Seelsorger/-innen an die eigene Organisation möglicherweise zu ideal sind, mag zu diskutieren sein. Auf jeden Fall gilt: Der Blick auf die Unzufriedenheit mit der Organisation „verschattet“ vermutlich den Blick auf die eigene Zufriedenheit.
3.5. Das Kohärenzgefühl bei Seelsorgenden: Herzstück der Salutogenese
Die Seelsorgestudie basiert mit ihrem Anforderungs-Ressourcen-Modell auf einem salutogenetischen Konzept (siehe Einleitung).15 Eine persönliche Ressource von besonderer Wichtigkeit – vielleicht sogar die zentrale Ressource – stellt das Kohärenzgefühl (SOC), ein Kernkonzept der Salutogenese, dar.
Folgende zwei Hauptfragen zum Kohärenzgefühl sollen im Folgenden beantwortet werden:
1. Welchen Status hat das Kohärenzgefühl bei Seelsorgenden in den verschiedenen pastoralen Arbeitsfeldern?
2. Welches Profil zeigen Personengruppen mit hohem und niedrigem Kohärenzgefühl in Bezug auf die Indikatoren von Lebensqualität, Gesundheit und Arbeitsfeld?
3.5.1. Das Konzept des Kohärenzgefühls im Modell der Salutogenese
Das Kohärenzgefühl (Sense of Coherence, abgekürzt: SOC) gehört zu den gesundheitsrelevanten Persönlichkeitsdispositionen. Das Kernstück des Konzeptes ist eine globale Lebensorientierung, welche Individuen und soziale Systeme in die Lage versetzt, das Leben als verstehbar, gestaltbar und motivational sinnvoll zu begreifen. Gesetzt den Fall, dass die äußeren Lebensbedingungen vergleichbar sind, ist das Kohärenzgefühl einer Art „Weltanschauung“ vergleichbar (so meinte Antonovsky selbst)16, die das Verhalten des Menschen gegenüber seinem eigenen Leben und seiner ihn umgebenden Welt grundlegend bestimmt. Antonovskys klassische Definition lautet : Der SOC ist „… eine globale Orientierung, die ausdrückt, in welchem Ausmaß man ein durchdringendes, andauerndes und dennoch dynamisches Gefühl des Vertrauens hat, dass 1. die Stimuli, die sich im Verlauf des Lebens aus der inneren und äußeren Umgebung ergeben, strukturiert, vorhersehbar und erklärbar sind; 2. einem die Ressourcen zur Verfügung stehen, um den Anforderungen, die diese Stimuli stellen, zu begegnen; 3. diese Anforderungen Herausforderungen sind, die Anstrengung und Engagement lohnen“17.
Der englische Terminus „sense of coherence“, der im Deutschen meist mit „Kohärenzgefühl“ wiedergegeben wird, hat ein weites Bedeutungsspektrum. Gemeint ist nicht ein „Gefühl“ im engen Sinn der deutschen Sprache, sondern eine globale affektiv-kognitive und motivationale Orientierung mit Funktion der Handlungssteuerung. Es wirkt wie ein Dirigent, der Bewältigungsmuster aktiviert und dem Alltag Sinn und Richtung verleiht. Allerdings ist das Kohärenzgefühl kein Belastungsbewältigungsstil im engeren Sinne, sondern im Modell der Salutogenese viel grundsätzlicher konzipiert. Antonovsky veranschaulicht das Kohärenzgefühl am Beispiel der Figur des Moses von Michelangelo in San Pietro in Vincoli (Rom). Moses ist im Begriff, die Gesetzestafeln dem Volk Gottes – einer Gruppe freigelassener Sklaven – als Basis für einen „sense of coherence“ zu überbringen. Er ist selber dargestellt voller Kraft, Stärke und der Kraft zum Konflikt. Er blickt auf das Treiben des Volkes Gottes und wird – gemäß dem biblischen Szenario – alsbald die Tafeln zerschmettern. Trotzdem oder gerade deswegen ist für Moses wie für das Gottesvolk die Verankerung in JHWH das Fundament und die Kraftquelle für eine lange Wüstenwanderung und die Kämpfe um das Gelobte Land.18 Das Kohärenzgefühl ist daher so etwas wie ein fundamental erlebter Zusammenhalt der Welt und des Lebens. Es ist das „Gefühl des Verankertseins“ im Leben und in der Welt.19 Ganz allgemein könnte man das Kohärenzgefühl auch als „Lebenssicherheit“ bezeichnen, die sich konstruktiv auf die Alltagsgestaltung auswirkt.
In theologischer Interpretation legt sich daher die Analogie und Nähe zur Grundbedeutung des theologischen Begriffs der religio nahe. Religion vermittelt eine generelle Weltsicht aus der Perspektive einer Welt mit Gott. Religion verbindet den Menschen mit der Transzendenz. Sie verankert den Menschen in Gott und bietet ihm ein tragfähiges Fundament für das alltägliche Erleben und Verhalten.20 Das Kohärenzgefühl könnte man als die anthropologische Parallele zur religio verstehen. Daher gibt es auch zwischen diesen beiden Grundgegebenheiten empirische Parallelen, wenn man Kohärenzgefühl und Transzendenzbezug zueinander in Beziehung setzt (→ Kap. 7).
Psychologisch hat das Kohärenzgefühl in seiner oben zitierten Definition eine kognitiv-affektive, eine instrumentell-hand-lungsbezogene und eine motivationale Komponente. Diese sind zwar als Dimensionen theoretisch zu unterscheiden, aber im psychischen Prozess und in der Forschung nur schwer voneinander zu trennen.
Die kognitiv-affektive Komponente (sense of comprehensibility) ermöglicht die Strukturierung des Informationsflusses aus der „inneren“ und der „äußeren“ Umwelt und lässt diese als konsistent und mit den Ordnungsstrukturen des eigenen Lebens kompatibel und zukunftsträchtig erscheinen.
Die instrumentell-handlungsbezogene Komponente (sense of manageability) greift auf die Ressourcen zu, welche zur Lebensbewältigung zur Verfügung stehen und zum Einsatz gebracht werden können. Diese Ressourcen können aus dem Ressourcenreservoir der eigenen Person oder mit Hilfe signifikanter Anderer oder auch der Gottesbeziehung generiert werden.
Die motivationale Komponente (sense of meaningfulness) ist entscheidend dafür, dass eine Person das Leben als motivational sinnvoll empfindet und dass es sich lohnt, in die Gestaltung des Lebens zu investieren und Engagement zu zeigen.
Die Bedeutsamkeit des SOC für die Entwicklung von Lebensqualität, Gesundheit und Ressourcen ist in der Zwischenzeit sehr breit nachgewiesen worden. Hohes und niedriges Kohärenzgefühl haben Einfluss auf Gesundheit und Krankheit, auf Lebenszufriedenheit und Lebensqualität, auf Stress und Belastung.21 Das Kohärenzgefühl steht im Zusammenhang mit der Persönlichkeit und mit der Arbeitswelt, dort besonders im Kontext von Motivation, Führungsfähigkeit und Position am Arbeitsplatz.22
Gemessen haben wir das Kohärenzgefühl in der Seelsorgestudie mit der Kurzversion des Fragebogens von A. Antonovsky (SOC-13). Dieser Fragebogen kombiniert verschiedenartige Aussagen aus unvollendeten Sätzen und Fragen und lässt sie auf einer Bandbreite von sieben Punkten bewerten. Folgende Beispiele gehörten dazu:
– Die Dinge, die Sie täglich tun, sind für Sie: eine Quelle von tiefer Freude und Zufriedenheit … von Schmerz und Langeweile: sehr oft … selten oder nie.
– Wie oft haben Sie das Gefühl, dass die Dinge, die Sie im täglichen Leben tun, eigentlich wenig Sinn haben?: sehr oft … selten oder nie.
– Viele Leute – auch solche mit einem starken Charakter – fühlen sich in bestimmten Situationen wie traurige Verlierer. Wie oft haben Sie sich in der Vergangenheit so gefühlt?: sehr oft … selten oder nie.
3.5.2. Das Kohärenzgefühl der Seelsorgenden: Statusbestimmung und Interpretation
Zuerst wurde nach dem Status des Kohärenzgefühls bei Seelsorgerlinnen) in den verschiedenen pastoralen Berufsgruppen in den verschiedenen pastoralen Arbeitsfeldern gefragt.23 Hier zeigt sich, dass der Mittelwert der Gesamtgruppe knapp unter dem Mittelwert der Normalbevölkerung in Deutschland liegt (→ Tab. 3.5).
Tab. 3.5: SOC-Werte der Seelsorgestudie und vergleichbarer Gruppen
Für die Veranschaulichung mit Hilfe der Abb. 3.6 wurde die Tabelle der T-Werte der Deutschen Norm-Population zugrunde gelegt.24 Entscheidend für die Positionierung der Gesamtgruppe unter dem Mittelwert ist die Gruppe der Priester, die beim Kohärenzgefühl in der T-Werte-Tabelle nur einen Wert von 48,6 erreichen. Wählt man als Altersobergrenze für alle Gruppen das Pensionierungsalter für die Gruppe der Laien, erreicht der Wert für die Priester nur noch einen Mittelwert von 47,8. Die Diakone erreichen exakt den Mittelwert der Normstichprobe, die Gruppe der Laien liegt knapp darüber. Die im aktiven Dienst stehenden Priester haben deutlich niedrigere Werte als die pensionierten Priester. Ein Grund dafür dürfte in der Altersabhängigkeit des Kohärenzgefühls liegen. Ob ein weiterer Grund auch in problematischen Arbeitsbedingungen der Priester im aktiven Dienst liegen kann, wird weiter unten noch zu diskutieren sein.
Abb. 3.6: SOC-Werte der Berufsgruppen in der Seelsorgestudie
Für die Einordnung und Deutung der gefundenen Werte ist wichtig, dass die Normpopulation in Deutschland nur einen Anteil von 8,3% von Personen mit akademischem Abschluss enthält. Die soziodemographisch vergleichbare Gruppe von Beamten ist in der Normstichprobe mit einem noch geringeren Anteil vertreten. Wenn man jetzt berücksichtigt, dass Personen mit höherem Bildungsgrad und höherqualifiziertem Berufsprofil mit generell höheren SOC-Werten in die Normalpopulationen eingehen, dann wird man in der Interpretation feststellen müssen, dass die Seelsorger/-innen mit Blick auf ihr Kohärenzgefühl nicht das Niveau der entsprechenden Vergleichsgruppen erreichen, die zu ihnen passen würden. Das gilt insbesondere für die Pfarrer bzw. für alle anderen Führungspersonen aus dem Bereich der anderen Berufsgruppen, für die der „Erwartungswert“ im Kohärenzgefühl auf jeden Fall auf über 52 hätte angesetzt werden müssen (vgl. Tab. 3.5: Ein Mittelwert von 5,3 bei Akademikern entspricht einem T-Wert von 53; ein Mittelwert von 5,8 von Ärzten entspricht einem T-Wert von 5 8 25). Die beiden Berufsgruppen der Laien (jeweils T = 50,6) kommen dem Wert auf jeden Fall näher als die Priester und Diakone.
Für Priester ist aufgrund der Möglichkeit zur Differenzierung der Positionen ein vergleichender Blick für das Niveau des Kohärenzgefühls in den jeweiligen Tätigkeitsfeldern möglich (dies ist leider bei den Laien auf Grund hochdifferenzierter Berufsfelder ohne eindeutige Positionsdifferenzierung nicht möglich).
– Das höchste Kohärenzgefühl haben die Priester in den diözesanen bzw. den besonderen Diensten.
– Das auffällig geringste Kohärenzgefühl ist bei der Gruppe der Kooperatoren vorhanden: Für die dort zählenden 387 Personen liegt es auf dem sehr niedrigen Mittelwert von 46,1.
– Auch das Kohärenzgefühl aller „Leitenden Pfarrer“ liegt im Mittel nur bei 47,9. Selektiert man nur diejenigen Pfarrer unter 66 Jahren mit einer Größe der Seelsorgeeinheit über 15.000 Katholiken, liegt der Wert numerisch, aber nicht signifikant höher bei 48,8 – höher als im Mittel der leitenden Priester, aber immer noch deutlich unter dem Kohärenzgefühl der Priester in der kategorialen Seelsorge (Tab. 3.6).
Kohärenzgefühl bei den Priestern nach Tätigkeitsfeld
Abb. 3.7: Das Kohärenzgefühl der Priester in den unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern
3.5.3. Das Kohärenzgefühl bei Priestern und Laien in der Seelsorge: Zusammenhänge mit Lebensqualität, Gesundheit und Engagement
Nach dieser ersten Übersicht zum Kohärenzgefühl geht der Blick zur Beantwortung der grundsätzlichen Frage: Zeigt das Kohärenzgefühl in der Gruppe der Seelsorger/-innen (trotz der relativ niedrigen Werte) die erwarteten positiven Zusammenhänge mit Lebensqualität, psychosomatischer Gesundheit, Belastung und Engagement in der Seelsorge?
Die Antwort lautet: ja. Je höher das Kohärenzgefühl ist, desto höher liegen die Indikatoren für Lebensqualität, Engagement, Zölibatszustimmung usw. Die Mittelwertunterschiede für das Kohärenzgefühl sind für alle Variablen mit moderater bis sehr hoher Effektstärke ausgestattet (Cohens d = 0,52 für somatische Gesundheitsprobleme [BSI] bzw. d = –0,96 für Burnout [MBI]). Die Gruppen unterscheiden sich in Bezug auf die folgenden Variablen:
a) Lebenszufriedenheit, Arbeitszeit, Organisationszufriedenheit,
b) alle Belastungsindikatoren (Arbeitslast, Stress, Burnout usw.),
c) den Gesamtgesundheitsstatus (und die zugrundeliegenden Einzel-Indikatoren der seelischen und körperlichen Gesundheit),
d) Engagement, Leistungsfähigkeit, Identifikation mit der Seelsorge, Amtsaufgabe,
e) Identifikation mit der Lebensform (die gewählte Lebensform bei Laien; Zölibat bei Priestern).
Die Stärke des Kohärenzgefühls ist ein differenzierender Indikator für fast alle abhängigen Messgrößen. Eine Ausnahme stellen tendenziell diejenigen Variablen dar, die im Bereich der Spiritualität durch „Gestaltungspläne“ oder Konventionen der Organisation oder durch andere eher subkulturell bestimmte Muster geregelt sind, wie z. B. die Häufigkeit der Eucharistiefeier, die Häufigkeit der Beichte oder des Kontakts mit einem geistlichen Begleiter.
Kurz zusammengefasst könnte man sagen : Priester und Laien in der Seelsorge mit einem höheren Kohärenzgefühl (also mit höheren Werten in Lebensorientierung, Gestaltungskraft und Sinnhaftigkeit):
– erleben sich als gesünder;
– erleben mehr Engagement und eine größere Leistungsfähigkeit;
– identifizieren sich mehr mit ihrem Beruf und ihrer Lebensform.
3.5.4. Das Kohärenzgefühl als differenzierende und klassifizierende Gesundheitsressource
Das Kohärenzgefühl scheint in der Seelsorgestudie die Variable mit dem größten Differenzierungspotenzial unter allen Personen darzustellen. Anschaulich wird dies durch eine Einteilung aller Seelsorgenden gemäß der Stärke des Kohärenzgefühls als unterscheidende und klassifizierende Gesundheitsressource. Unterscheidungskriterium für Lebensqualität und seelsorglichen Einsatz ist nicht die Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe, sondern die Ausprägung des Kohärenzgefühls.
Wir haben dazu die Seelsorgerinnen und Seelsorger, ausgehend von der üblichen Trennung von vier Stufen auf einer 100er Skala (T-Werte-Skala) der Ausprägung (1. <40; 2. 40– 50; 3. 50–60; 4.> 60) in vier Stufen des Kohärenzgefühls eingeteilt. In Abhängigkeit davon haben wir die Ausprägung der Lebensqualität, der Ressourcen und Anforderungen bestimmt. Tab. 3.6 zeigt, dass die beiden Extremgruppen (SOC-Scores <40 bzw. Scores> 60) geradezu zwei Ressourcen-Welten repräsentieren: Personen mit sehr hohem Kohärenzgefühl haben eine sehr starke Gesundheitsressource; ihnen geht es sehr gut. Personen mit sehr niedrigem Kohärenzgefühl haben eine eher schwache Gesundheitsressource; ihnen geht es eher schlecht. Da hier deutliche (korrelative) Zusammenhänge bestehen, ist das Ergebnis sehr plausibel. In der Literatur wird die Wirkrichtung in der Regel als vom Kohärenzgefühl ausgehend interpretiert. Denn das Kohärenzgefühl ist als gesundheits- und motivationswirksame Persönlichkeitsdisposition definiert. Aufgrund der Theorie und der Literaturlage aus Längsschnittstudien wird man also auch hier annehmen können, dass das Kohärenzgefühl die genannten positiven Auswirkungen zur Folge hat. Grundsätzlich gilt aber auch die umgekehrte Richtung: Ein größeres Arbeitsengagement und eine höhere Lebenszufriedenheit sowie eine geringere psychosomatische Belastung können ebenso mit einer größeren Lebensstimmigkeit im Sinne des SOC assoziiert sein, also das Kohärenzgefühl positiv beeinflussen (Tab. 3.6).
Tab. 3.6: Variablen des Anforderungs-Ressourcen-Modells bei allen Seelsorgenden unter 66 Jahren in Beziehung zu den Niveaus des Kohärenzgefühls (z-Werte: zu Vergleichszwecken standardisierte Mittelwerte der Indikatoren)
Wichtig ist hier auch folgende Beobachtung: Beschreibt eine Person ihr Kohärenzgefühl als vergleichsweise tragfähig (Stufe 3: über dem Mittelwert liegend), so besteht bereits für diese Person eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie vergleichsweise zufrieden, gesund, unbelastet, engagiert und mit ihrer gewählten Lebensform im Reinen ist.
3.5.5. Das Kohärenzgefühl als Ressource mit starken Effekten und hoher Erklärungskraft
Wie groß die Auswirkung des Kohärenzgefühls in Bezug auf die gefühlte Lebensqualität des Alltags ist, soll am Beispiel der Lebenszufriedenheit illustriert werden. Das Beispiel ist dann auf die anderen Indikatorvariablen (z. B. Gesundheit, Belastung, Engagement usw.) übertragbar:
Tab. 3.7: Die Niveaus des Kohärenzgefühls und die allgemeine Lebenszufriedenheit
Angesichts der Tatsache des hohen Gesamtmittelwertes der Allgemeinen Lebenszufriedenheit von 7,6 ist es sehr aufschlussreich, dass sich die vier Gruppen aus den Niveaus des Kohärenzgefühls in ausgesprochen deutlicher Form unterscheiden. Das ganz untere und das ganz obere Niveau des Kohärenzgefühls unterscheiden die Seelsorger und Seelsorgerinnen in zwei verschiedene „Lebenszufriedenheits-Welten“.
Die vorliegenden Forschungen zum Kohärenzgefühl interpretieren die Lebenszufriedenheit in der Regel als abhängige Größe. Dies würde bedeuten: Personen, die ihr Leben als verstehbar, gestaltbar und sinnvoll erfahren, erleben eine hohe Lebenszufriedenheit. Personen mit geringem Kohärenzgefühl sind wenig(er) mit ihrem Leben zufrieden.
Dies wirft ein Licht auf die Erfahrung, die wir als Forschergruppe bei Rückmeldeveranstaltungen zur Seelsorgestudie gemacht haben: Es gibt eine Gruppe von Seelsorger/-innen, denen der insgesamt hohe Mittelwert der Allgemeinen Lebenszufriedenheit nicht plausibel erscheint. Zwar haben wir bereits gesehen, dass diese Gruppe nur halb so groß ist wie in der Normalbevölkerung, aber ihre Stimme ist nicht zu vernachlässigen. Wie Tab. 3.7 illustriert, ist dies auch verstehbar und „begründbar“: Die Gruppe mit dem unteren Niveau des Kohärenzgefühls (immerhin ungefähr 15% der Gesamtgruppe) hat den recht niedrigen Mittelwert der Lebenszufriedenheit von 6,2. Diese Gruppe kommt durch die Selektion von Personen mit der niedrigsten Ausprägung des Kohärenzgefühls zustande. Dieser Gruppe (und ihren Freunden oder Begleiter/-innen) dürfte es existentiell nicht plausibel sein, dass eine statistische Mehrheit der Seelsorger/-innen eine stabile Lebensperspektive hat, während sie dies für sich eher nicht sehen. Dies entspricht dem oft zu beobachtenden Effekt von betroffen machenden und als solchen stets auch ernstzunehmenden Einzelfällen gegenüber der statistischen Evidenz, welche die Mehrzahl der Fälle zuverlässig beschreibt.
Ungefähr der Hälfte geht es genau so, wie andere Forschungen zum Kohärenzgefühl voraussagen lassen: Sie besitzen eine stabile Orientierung im Leben, sie haben das Gefühl, ihren Lebensraum gestalten zu können und erleben ihr Leben als sinnvoll. Und sie fühlen sich bei den Rückmeldeveranstaltungen bestätigt, wenn sie erfahren, dass man/frau mit dem Leben als Seelsorger/-innen ausgesprochen zufrieden sein kann. So lässt sich sagen, dass das Kohärenzgefühl sich in der Seelsorgestudie als Indikator für Lebensqualität und als Ansatzpunkt für Förderungsprozesse für Gesundheit und die seelsorgliche Tätigkeit bewährt.
3.5.6. Das Kohärenzgefühl als Verankerung und Lebenssicherheit: Ist es stark genug?
Die Bedeutung des Kohärenzgefühls als fundamental erlebter Zusammenhalt der Welt und des Lebens (s.o.) erschließt sich weiter durch einen Vergleich des Kohärenzgefühls mit Gruppen in der Bevölkerung, die ebenso wie Seelsorgende in Berufsfeldern mit Verantwortung in der Begleitung von Menschen und in Führungsverantwortung stehen. Dieser Vergleich zeigt deutliche Unterschiede und gibt Anlass zur Suche nach Maßnahmen der Verbesserung des Kohärenzgefühls bei Seelsorgenden.
In Europa, vor allem in den skandinavischen Ländern, ist das Kohärenzgefühl im Rahmen des salutogenetischen Ansatzes in den vergangenen Jahren für die Fachleute in der Gesundheitspolitik und der Gesundheitsförderung zu einem bedeutsamen Indikator der Förderung der Lebensqualität, der Gesundheit und der Ressourcen in der Arbeitswelt geworden.26 Daher existieren einige, in Skandinavien zum Teil sehr groß angelegte Studien, durch die Vergleiche im Kohärenzgefühl zu unserer Gruppe der Seelsorger/-innen möglich werden.
Sie zeigen, dass Personen mit vergleichbarem Bildungsstand, in vergleichbarer sozioökonomischer Position und mit vergleichbarer Verantwortung nach vorliegenden Daten durchweg höhere Werte im Kohärenzgefühl haben als die hier untersuchte Gruppe. Die Vergleichsgruppen bilden Akademiker, Verantwortungsträger in der Wirtschaft, Ärzte, Lehrer, Psychotherapeuten, Techniker.
Besonders bei den Priestern zeigen sich in der Seelsorgestudie ein überprozentual hoher Anteil von Personen mit einem niedrigen Kohärenzgefühl und ein überprozentual niedriger Anteil mit einem ganz hohen Kohärenzgefühl (Tab. 3.8).
Tab. 3.8: Prozentanteile des Kohärenzgefühls in den Berufsgruppen für die vier Niveaus des Kohärenzgefühls
Für die Gesamtgruppe aller Seelsorgenden gilt: Der Anteil von Personen mit starkem Kohärenzgefühl ist deutlich verringert. Das stärkste Kohärenzgefühl mit den meisten Personen über dem Mittelwert der Normalbevölkerung ist bei den Laien in der Seelsorge vorhanden. Hier zeigt sich weiterer Forschungsbedarf: Die hier gefundenen Werte haben solche Auffälligkeiten, dass das Zustandekommen und die Konsequenzen des niedrigen Kohärenzgefühls zum jetzigen Zeitpunkt nicht ohne weiteres zu erklären sind. Es ist nicht auszuschließen, dass es sich um „subkulturelle“ oder spirituelle Effekte handelt. Gemeint ist Folgendes: Die Fragen des Kohärenzfragebogens könnten – unerwarteterweise – in der Mentalität der Seelsorger/-innen anders aufgefasst werden, als es die Normalbevölkerung tut. Dann dürfte man überhaupt keine Vergleiche anstellen. Allerdings hatten sich solche subkulturellen Differenzen bisher in der ganzen Studie nicht nahegelegt.
Wenn aber hier (wie auch sonst) die Seelsorger keine „unvergleichbare“ Gruppe darstellen, dann muss festgehalten werden, dass ausgerechnet bei katholischen Seelsorger/-innen das Kohärenzgefühl (bzw. die Lebenssicherheit, die Orientierung der durchdringenden, ausdauernden und dynamischen Lebenszuversicht, die Gewissheit über den gestaltbaren Zusammenhalt der Welt und des Lebens, das „Gefühl des Verankertseins“) geringer ausgeprägt ist als bei Personen in Berufen mit vergleichbarer Verantwortung und mit vergleichbarem beruflichen Auftrag.
3.5.7. Erklärungsansätze für ein im Vergleich verringertes Kohärenzgefühl bei Seelsorgenden
Welche Erklärungsbausteine könnte es also geben? Ein erstes soziologisch-spirituelles Erklärungsmoment könnte in der gegenwärtig problematischen Gesamtsituation der Kirche in Europa liegen27: Die Lebenssicherheit und die Sicherheit in der Lebensorientierung könnten durch die „Verlierer-Situation“ der Kirche deutlich angegriffen sein: Erfolglosigkeit in der Pastoral, Verlust der Anerkennung in der Gesellschaft, besonders auch bei Priestern der Statusverlust (auch in der Kirche bei den Gläubigen und ihren Berufskollegen in der Seelsorge) und die Organisationsprobleme im gegenwärtigen Umbau der Kirche könnten auf die Antworten der Seelsorger/-innen in dieser für ihre Persönlichkeit so relevanten Persönlichkeitsdisposition „durchschlagen“. Diese Erklärung wird auf den Rückmeldeveranstaltungen häufig von Teilnehmern spontan vorgeschlagen.
Ein zweites psychologisch-soziologisches Erklärungselement könnte das Modell der Passung von Person und Umwelt bereitstellen.28 Dieses Element mehrerer miteinander verbundener Punkte ist gleichermaßen herausfordernd, aber häufig schwieriger zu akzeptieren:
1. Es könnten sich Personen von dem Leben in der Kirche angezogen fühlen (Selbst-Selektion), die von vornherein geringere Lebenssicherheit besitzen (weil sie möglicherweise hoffen, dort leichter in die Lebenssicherheit „hineinwachsen“ zu können bzw. hoffen, dass persönliche Lebenssicherheit durch den kirchlichen Rahmen substituiert wird) (→ Kap. 4.3.).
2. Die Kirche als Organisation könnte ein Rollenmodell bieten bzw. sogar verlangen (organisationale Selektion), das Personen favorisiert, die weniger „Eigenständigkeit“, eigene Lebensorientierung und eigenen Gestaltungswillen mitbringen, weil das hierarchische Rollenmodell solche Personen leichter handhaben kann.
3. Seelsorgende haben häufig mit einem schwächeren Kohärenzgefühl eine besondere Sensibilität und Vulnerabilität für Dinge, die im Leben nicht aufgehen, die ihnen zugleich für seelsorgliche Aufgaben zugute kommen.29
3.5.8. Erklärungsansätze für Unterschiede des Kohärenzgefühls aufgrund von Tätigkeit und Position
In diesem Kontext braucht es weitere Überlegungen zum Verständnis der Tatsache, dass unterschiedliche Positionen und Tätigkeitsbereiche bei den Priestern mit unterschiedlichen Niveaus des Kohärenzgefühls assoziiert sind (→ Kap. 6).
Vor allem Priester in der kategorialen Seelsorge (die Expertenpositionen oder verantwortliche Positionen haben) oder leitende Pfarrer in der territorialen Seelsorge zeichnen sich durch höheres Kohärenzgefühl aus (selbst wenn es vergleichsweise relativ niedrig ist). Umgekehrt sind Personen in der territorialen Seelsorge als „Beginner“ (Vikare/Kapläne) bzw. als „Allrounder“ in der zweiten Reihe mit „nur“ seelsorglichen Aufgaben durch ein schwächeres Kohärenzgefühl gekennzeichnet. Hier seien zwei Deutungsmodelle angeboten:
1. Das Modell der Passung von Person und Umwelt:
Die Organisation platziert Personen, die sie mit geforderten Fähigkeiten und Fertigkeiten, höherer Belastungskapazität und besserer Gesundheit ausgestattet sieht, an den stärker fordernden Positionen. Sie trifft damit eine Auswahl von geeigneten Personen bei der kategorialen Seelsorge für Aufgaben mit Führungsverantwortung oder für Aufgaben mit speziellen Zielgruppen oder Spezialkenntnissen bzw. für territoriale Aufgaben mit Führungsverantwortung als leitende Pfarrer. In der Studie würde sich dies im besseren Kohärenzgefühl messbar niederschlagen. Die Folge dieses Deutungsansatzes könnte sich belastend für das Selbstverständnis der Seelsorge und der Seelsorger/-innen selbst auswirken : „Nur-Seelsorgstätigkeit“ in der territorialen Seelsorge käme in den Verdacht einer „Seelsorgebefähigung zweiter Klasse“. Die betroffenen Personen würden darunter leiden und sich eventuell sogar als Seelsorger/-innen zweiter Klasse fühlen. Damit würde auch der große Wunsch vieler nach dem Wechsel in die Kategorialseelsorge erklärbar.
2. Das Konzept eines „aufgabenspezifischen Kohärenzgefühls“ mit seinen Auswirkungen auf das globale Kohärenzgefühl: In der Anwendung auf den pastoralen Dienst besagt dieses Konzept,30 dass Personen mit spezifischen Aufgaben nicht nur besser selektiert werden, sondern dass sie präziser definierte Aufgabenbereiche und qualifizierte und aufgabenspezifische Ausbildungen erhalten. Zudem können sie ihre Tätigkeit (auch ihre Arbeitszeiten!) besser selbständig kontrollieren und häufig auch klarere Rückmeldung über die Fruchtbarkeit ihrer Tätigkeit erhalten.
In der Sprache des Salutogenese-Modells ausgedrückt heißt das: Sie können ihre Tätigkeiten besser verstehen und sich in ihrem Tätigkeitsfeld besser orientieren (Verstehbarkeit), sie haben für ihre Tätigkeit effektivere Ressourcen und können sie besser gestalten (Gestaltbarkeit), sie haben in Bezug auf ihre Tätigkeit eine spezifische Motivation, erleben vergleichsweise kontrollierbare Erfolge und entsprechende Wertschätzung (Sinnhaftigkeit). All diese tätigkeitsspezifischen SOC-Merkmale haben eine starke Rückwirkung auf das globale Kohärenzgefühl: Sie machen es stärker.
3.5.9. Tätigkeitsspezifisches Kohärenzgefühl: Am Beispiel der Tätigkeit des Kooperators
Aufgrund der bisherigen Studienergebnisse, die mit vielen Rückmeldungen aus der Praxis übereinstimmen, ist anzunehmen, dass diese positiven Effekte auf das Kohärenzgefühl bei dem gegenwärtig im Umbruch befindlichen und gleichzeitig „relativ erfolglosen“ Tätigkeitsfeld des „Allrounders in der Seelsorge“ (Kooperators) in großer Breite schwächer ausgeprägt sind oder gar entfallen. Wer also als Kooperator z. B. auf den „Erfolg“ der Sakramentenvorbereitung angewiesen ist, kann davon für sein Kohärenzgefühl wenig profitieren, weil er kaum sichtbare Erfolge sieht. Im Gegenteil: Für viele destabilisiert das Engagement für die Sakramentenvorbereitung das Gefühl, die Welt noch zu verstehen, sie gestalten und sich für den Einsatz motivieren zu können. Dies würde die Annahme von Antonovsky bestätigen, dass strukturelle Bedingungen des Lebensfeldes von entscheidender Bedeutung sind für den Aufbau eines starken Kohärenzgefühls.31
Hinzu kommen noch folgende Ergebnisse der Seelsorgestudie: Mitarbeitende Priester in Seelsorgeeinheiten haben zurzeit viel weniger als ihre Kollegen auf anderen Positionen die Chance, zu überblicken, was passiert; sie haben weniger Einfluss auf Überforderung in problematischen und Unterforderung in für die eigene Person existentiellen und wünschenswerten Tätigkeitsbereichen; sie sind weniger einbezogen und weniger eigenverantwortlich in den Entscheidungsprozessen der Pastoral.
Eine andere empirische Untersuchung hat kürzlich zudem gezeigt, dass das Gefühl der Kontrolle über die Tätigkeit, verminderte soziale Wertschätzung, Aufgabenunsicherheit, qualitative Überforderung, Zeitdruck und fehlende Unterstützung durch Vorgesetzte weitere Negativfaktoren für den Aufbau eines starken Kohärenzgefühls darstellen – alles Faktoren, die „Priester in der zweiten Reihe“ gegenwärtig immer wieder als negativ kritisieren.32
3.5.10. Das Kohärenzgefühl von Seelsorgenden: Aktuelle kirchliche Selektionsprozesse?
Angesichts der Ergebnisse stellte ein junger Priesterkandidat bei der Präsentation der Seelsorgestudie zum Kohärenzgefühl folgende Frage: „Was meinen Sie: Sind wir jetzt schon so – oder werden wir so gemacht?“ Und er fragte weiter: „Was können wir denn jetzt tun?“ – Es stellen sich Fragen nach Auswahl- und Interventionsprozessen der Organisation bzw. nach dem „Selbst-Empowerment“ der Seelsorgerinnen und Seelsorger mit Blick auf ihr eigenes Kohärenzgefühl.
Mit Blick auf mögliche Selektionsprozesse von Personen mit niedrigerem Kohärenzgefühl (über die bisher keine Daten vorliegen) seien aufgrund der vorliegenden Ergebnisse einige Fragen formuliert:
1. Wählen diejenigen Personen verstärkt die Kirche als Lebens und Berufsfeld, die Lebenssicherheit von sich aus mehr suchen, als dass sie diese bereits besitzen, um diese Lebenssicherheit (→ Kap. 4.3.3.) in die Seelsorge einzubringen?
2. Bietet die Kirche als Organisation – aus welchen Gründen auch immer – Lebens- und Rollenmodelle an, die so viel „Biegsamkeit“ verlangen, dass sogar das Fundament gefährdet ist? Wird Anpassungsfähigkeit an vorgegebene „Verstehensmodelle“ mehr favorisiert als klare Eigenständigkeit und selbständiger Gestaltungswille?
3. Wirken bestimmte Tätigkeitsfelder durch Selektionsprozesse und Tätigkeitsprofile eher positiv bzw. eher negativ auf das Kohärenzgefühl? Gibt es Tätigkeitsfelder, bei denen die Tätigkeitsmerkmale und Gratifikationsmerkmale geradezu hinderlich für das Kohärenzgefühl sind?
Die Ergebnisse der Seelsorgestudie zum Kohärenzgefühl können solche Fragen zurzeit nicht beantworten. Aber sie zeigen, wie wichtig ein gutes Kohärenzgefühl für das Leben von Seelsorger/-innen ist und wie notwendig es ist, seine weitere Entwicklung konsequent zu fördern. Was lässt sich hier tun?
3.5.11. Das Kohärenzgefühl von Seelsorgenden: Förderungsstrategien
Die Chancen zur Förderung eines stärkeren Kohärenzgefühls sind einerseits beschränkt und andererseits doch wieder vergleichsweise gut. Beschränkt sind sie deswegen, weil erhebliche Anteile des Kohärenzgefühls bis zum 30. Lebensjahr aufgebaut werden. Allerdings sind auch später noch bemerkenswerte Veränderungen möglich. Die ursprüngliche Annahme von Antonovsky, dass das Kohärenzgefühl bis zum frühen Erwachsenenalter ausgebildet ist und dann stabil bleibt, hat sich als revisionsbedürftig erwiesen: Veränderungen sind bis ins hohe Lebensalter möglich. Dies zeigt sich nicht nur daran, dass der SOC bis in das hohe Alter ansteigt, sondern auch darin, dass Lebensereignisse und Ereignisse im Berufsfeld auf das Kohärenzgefühl Einfluss nehmen.33, 34
Die Einflussnahme auf den SOC der Seelsorger/-innen ist in der Kirche deswegen aussichtsreich, weil die „Verweildauer der Personen in der Organisation“ im Normalfall sehr lang ist. D. h., mit langem Atem und Geduld wäre bei entsprechender Aufmerksamkeit auf die Förderung des Kohärenzgefühls viel zu erreichen. Zu den bisher erprobten individuellen Empowerment-Strategien gehören:
– salutogene Interventionen zur Förderung von Hoffnung und Alltagsbewältigungsstrategien;
– hilfreiche Gespräche mit dem Fokus auf die eigenen Ressourcen und darauf basierenden Handlungsstrategien;
– Training im konstruktiven und problemlösenden Umgang mit Stress;
– maßgeschneiderte Programme zur Förderung bio-psychosozialer Ressourcen.
In Zukunft dürften noch weitere Strategien hinzukommen. Auf Tätigkeits- und Arbeitsplatzebene bieten sich an: der Einsatz überlegter Auswahlprozesse, die bessere Berücksichtigung der Prozesse der Passung von Person und Tätigkeit („charismenorientierter und situationsgerechter Personaleinsatz“), die Bereitstellung besserer und passgenauerer Ressourcen, der Aufbau von akzeptablen Gratifikationsprozessen, die Ausbildung von Konzepten der Förderung eines arbeitsplatzspezifischen Kohärenzgefühls (z. B. „Spezialist bzw. Fachseelsorger für Allgemeine Seelsorge“ [vgl.: Facharzt für Allgemeinmedizin]) und individuelles Training am Arbeitsplatz.35 Angesichts des „lebenslangen Engagements aus Berufung“ in der Kirche ergeben sich hier bei entsprechender Aufmerksamkeit, bei entschiedenem Willen und organisationalen Schwerpunktsetzungen zahlreiche Möglichkeiten.
3.5.12. Ergebnissicherung zum Kohärenzgefühl
1. Das Kohärenzgefühl hat sich in der Seelsorgestudie als zentrale Ressource mit großer Bedeutung für Lebenszufriedenheit, Gesundheit und Engagement erwiesen. Es stellt eine Ressource mit hohem Differenzierungspotential dar. Je stärker das Kohärenzgefühl entwickelt ist, desto positiver ist der Status aller anderen Indikatoren. Dies gilt besonders für die Merkmale der Belastungsverarbeitung und des gesamten Arbeitsfeldes.
2. Das Kohärenzgefühl der Seelsorgenden liegt auf dem Niveau der Normalbevölkerung; es liegt aber unter dem Niveau von Personen mit gleichem Anspruch an die beruflichen und menschlichen Ressourcen (Akademiker, Gesundheitsberufe, Führungskräfte). Besonders das Kohärenzgefühl von Priestern ist schwächer entwickelt.
3. Unterschiedliche Tätigkeitsfelder und Positionen sind in der Seelsorgestudie bei Priestern mit unterschiedlichen Ausprägungen des Kohärenzgefühls assoziiert. Dafür sind vermutlich Selektionseffekte und stärkende bzw. schwächende Effekte des Tätigkeitsfeldes mit Blick auf das Kohärenzgefühl verantwortlich.
4. Aufgrund der Tatsache, dass Priester und Laien in der Seelsorge meist „ihr (Berufs-) Leben lang“ in der Kirche tätig sind, bieten sich trotz aller Grenzen erfolgversprechende Chancen für eine kontinuierliche Förderung des Kohärenzgefühls. Es braucht dafür individuelle und arbeitsplatzbezogene Konzepte, zu denen ein „charismen- und situationsgerechter“ Personaleinsatz gehören dürfte.
1 Thomä D, Henning C & Mitscherlich-Schönherr O (2011) Glück: ein interdisziplinäres Handbuch. Stuttgart: Metzler.
2 Papst Franziskus (2016) Homilie von Papst Franziskus anlässlich der Eucharistiefeier an Allerheiligen im Swedbank-Stadion von Malmö. Verfügbar unter: http://w2.vatican.va/content/francesco/de/homilies/2016/documents/papa-francesco_20161101_omelia-svezia-malmo.html [5. 11. 2016].
3 Bucher A (2009) Psychologie des Glücks. Weinheim: Beltz.
4 Beierlein C, Kovaleva A, László Z, Kemper CJ & Rammstedt B (2014) Eine Single-Item-Skala zur Erfassung der Allgemeinen Lebenszufriedenheit. GESIS-Working Papers 2014 : 33. Diener E, Inglehart R & Tay L (2013) Theory and validity of life satisfaction scales. Social Indicators Research 112 : 497–527.
5 Schupp J (2009) 25 Jahre Sozio-oekonomisches Panel – Ein Infrastrukturprojekt der empirischen Sozial- und Wirtschaftsforschung in Deutschland. Zeitschrift für Soziologie 38 : 350–357. Wagner GG, Göbel J, Krause P, Pischner R & Sieber I (2008) Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP): Multidisziplinäres Haushaltspanel und Kohortenstudie für Deutschland – Eine Einführung (für neue Datennutzer) mit einem Ausblick (für erfahrene Anwender). AStA Wirtschafts- und Sozialstatistisches Archiv 2 : 301–328.
6 Diener E, Emmons RA, Larsen RJ, Griffin S (1985) The Satisfaction With Life Scale. Journal of Personality Assessment 49 : 71.
7 Neuberger O & Allerbeck M (1978) Messung und Analyse von Arbeitszufriedenheit: Erfahrungen mit dem „Arbeitsbeschreibungsbogen (ABB)“. Bern: Huber.
8 Daumenlang K, Müskens W & Harder U (2004) Fragebogen zur Erfassung des Organisationsklimas (FEO). Göttingen: Hogrefe.
9 Raffelhüschen B & Schlinkert R (2015) Deutsche Post Glücksatlas 2015. München: Albrecht Knaus Verlag.
10 Heidl CM, Landenberger M & Jahn P (2012) Lebenszufriedenheit in Westdeutschland: eine Querschnittsanalyse mit den Daten des Sozio-oe-konomischen Panels: DIW Berlin, The German Socio-Economic Panel (SOEP). Steptoe A, Deaton A & Stone AA (2015) Subjective wellbeing, health, and ageing. The Lancet 385 : 640–648.
11 Diener E (2006) Understanding scores on the Satisfaction with Life Scale. Verfügbar unter: https://internal.psychology.illinois.edu/~ediener/Documents/Understanding%20SWLS%20Scores.pdf [11. 11. 2016].
12 Rossetti S (2011) Why priests are happy. A study of the psychological and spiritual health of priests. Notre Dame: Ave Maria Press.
13 Angestellte und Führungskräfte in Sozialen Diensten (vorwiegend aus diakonischen und caritativen Institutionen) wurden im Studiengang Caritaswissenschaft und Werteorientiertes Management, Universität Passau, rekrutiert. Altersmittel der Frauen: 38,8 ± 12,7 Jahre; Altersmittel der Männer: 41,5 ± 14,2 Jahre.
14 Siegrist J (2015) Arbeitswelt und stressbedingte Erkrankungen – Forschungsevidenz und präventive Maßnahmen. München: Urban & Fischer.
15 Jacobs C, Büssing A (2015) Wie es Seelsorgerinnen und Seelsorgern heute geht. Das pastoralpsychologische Konzept der Seelsorgestudie. Theologie und Glaube 105 : 228–248.
16 Antonovsky A (1993) Complexity, conflict, chaos, coherence, coercion and civilty. Social Science and Medicine 37 : 969–974, 972.
17 Antonovsky A (1997) Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Tübingen: dgvt-Verlag: 36.
18 Antonovsky A (1993) Complexity, conflict, chaos, coherence, coercion and civilty. Social Science and Medicine 37 : 969–974 : 972.
19 Kickbusch I (1992) Plädoyer für ein neues Denken über Gesundheit: Muster-Chaos-Kontext. Neue Handlungsansätze in der Gesundheitsförderung. In: Paulus P (Hg.) Prävention und Gesundheitsförderung. Perspektiven für die psychosoziale Praxis. Köln: GwG-Verlag: 23–33.
20 Jacobs C (2000) Salutogenese. Eine pastoralpsychologische Studie zu seelischer Gesundheit, Ressourcen und Umgang mit Belastung bei Seelsorgern. Würzburg: Echter.
21 Eriksson M & Lindström B (2006) Antonovsky’s sense of coherence scale and the relation with health: a systematic review. Journal of Epidemiology and Community Health 60 : 376–381. Eriksson M & Lindström B (2007) Antonovsky’s sense of coherence scale and its relation with quality of life: a systematic review. Journal of Epidemiology and Community Health 61 : 938–944. Bengel J, Strittmatter R & Willmann H (1998) Was erhält Menschen gesund? Antonovskys Modell der Salutogenese – Diskussionsstand und Stellenwert (hrsg. von der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung [BZgA]).
22 Feldt T (1997) The role of sense of coherence in well-being at work: analysis of main and moderator effects. Work & Stress 11 : 134–147. Vogt K, Hakanen J, Jenny G & Bauer G (2016) Sense of coherence and the motivational process of the job-demands-resources model. Journal of Occupational Health Psychology 21 : 194–207.
23 Jacobs C, Baumann K, Frick E, Günther A & Büssing A (in Vorbereitung) Sense of coherence, age, quality of life and work engagement of Catholic pastoral professionals.
24 Singer S & Brähler E (2007) Die „Sense of Coherence Scale“. Testhandbuch zur deutschen Version. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht.
25 Ibidem.
26 Eriksson M & Lindström B (2014) The salutogenic framework for wellbeing: implications for public policy. In: Hämäläinen TJ & Michaelson J (Hrsg.) Well-being and beyond: Broadening the public and policy discourse. Cheltenham: Edward Elgar Publishing: 68–97.
27 Bucher R (2012) Wenn nichts bleibt, wie es war. Zur prekären Zukunft der katholischen Kirche. Würzburg: Echter. Sellmann M (2013) Gemeinde ohne Zukunft. Theologische Debatte und praktische Modelle. Freiburg: Herder.
28 Edwards IR & Shipp AI (2007) The relationship between person-environment fit and outcomes: An integrative theoretical framework. In: Ostroff C & Judge TA (Hg.) Perspectives on organizational fit. San Francisco : Jossey-Bass. 209–258; Edwards JR & Cooper CL (1990) The person-environment fit approach to stress: Recurring problems and some suggested solutions. Journal of Organizational Behavior 11 : 293–307; Jacobs C & Büssing, s. Anm. 15.
29 Vgl. Müller W (2016) Fünfundzwanzig Jahre Recollectio-Haus. Ein persönlicher Rückblick. Stimmen der Zeit 234 : 374–384; Frick E (1996) Durch Verwundung heilen. Zur Psychoanalyse des Heilungsarchetyps, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
30 Bauer GF, Vogt K, Inauen A & Jenny GJ (2015) Work-SoC – Entwicklung und Validierung einer Skala zur Erfassung des arbeitsbezogenen Kohärenzgefühls. Zeitschrift für Gesundheitspsychologie 23 : 20–30.
31 Antonovsky A (1984) The Sense of Coherence as a determinant of health. In: Matarazzo JD, Weiss SM, Herd JA, Miller NE & Weiss SM (Hrsg.) Behavioral health: A handbook of health enhancement and disease prevention. New York: Wiley. 114–129; Antonovsky A (1997), s. Anm. 17.
32 Bauer GF, Vogt K, Inauen A & Jenny GJ (2015) Work-SoC – Entwicklung und Validierung einer Skala zur Erfassung des arbeitsbezogenen Kohärenzgefühls. Zeitschrift für Gesundheitspsychologie 23 : 20–30.
33 Feldt T, Leskinen E & Kinnunen U (2005) Structural invariance and stability of sense of coherence: A longitudinal analysis of two groups with different employment experiences. Work & Stress 19 : 68–83.
34 Vastamaki J, Moser K & Paul KI (2009) How stable is sense of coherence? Changes following an intervention for unemployed individuals. Scandinavian Journal of Psychology 50 : 161–171.
35 Bauer GF, Vogt K, Inauen A & Jenny GJ (2015) Work-SoC – Entwicklung und Validierung einer Skala zur Erfassung des arbeitsbezogenen Kohärenzgefühls. Zeitschrift für Gesundheitspsychologie 23 : 20–30; Corrigan JD, Kolakowsky-Hayner S, Wright J, Bellon K & Carufel P (2013) The satisfaction with life scale. Journal of Head Trauma Rehabilitation 28: 489–491.