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Kapitel 1 Das Gegenteil von Glauben

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Verlass dich nicht auf deine eigene Urteilskraft, sondern vertraue voll und ganz dem Herrn! Denke bei jedem Schritt an ihn; er zeigt dir den richtigen Weg und krönt dein Handeln mit Erfolg.

Sprüche 3,5-6

„WOZU HAST DU MICH DA BLOSS ÜBERREDET, SUSAN? Ich hoffe wirklich, wir fahren jetzt nicht in diese abgelegene Berggegend, um da irgendeinen verrückten Spinner zu treffen.“ Christopher nahm eine scharfe Kurve. „Hätten wir nicht auch ohne diesen Typen entscheiden können, ob wir nach Pasadena ziehen sollen oder nicht?“

Die ganze Nacht hindurch war das junge Ehepaar gefahren, um aus Claremont in Südkalifornien in den Sequoia-Nationalpark zu kommen. Christophers Unbehagen wuchs mit jedem Meilenstein, den sie auf den kurvigen und engen Bergstraßen hinter sich ließen.

Es war erst eine Woche her, dass sie mit Mark und Victoria zu Hause in einem schicken Café zusammengesessen und ein ausgiebiges Samstagsfrühstück genossen hatten. Nachdem sie mit ihren langjährigen Freunden erst einmal wichtige Neuigkeiten ausgetauscht hatten, brachte Christopher schließlich die Sache ins Gespräch, die ihm zurzeit am meisten unter den Nägeln brannte:

„Wir überlegen gerade, ob ich einen neuen Job annehmen soll – bei einem Wirtschaftsprüfungsunternehmen in Pasadena. Es wäre ein ziemlicher Karrieresprung für mich, auch finanziell. Aber wenn Susan und ich darüber sprechen, fangen wir immer wieder an zu streiten. Wir wissen wirklich nicht, wie wir das entscheiden sollen. Ihr beide habt doch viel mehr Durchblick, wenn es darum geht, Gottes Willen in wichtigen Entscheidungen zu erkennen. Könnt ihr uns nicht helfen?“

Bevor Mark und Victoria antworten konnten, warf Susan ein: „Wir streiten uns bloß, weil Christopher nur nach seinem Verstand geht. Wenn er versucht herauszufinden, was Gott von uns will, lässt er ihn eigentlich völlig aus dem Spiel.“ Susan warf ihrem Mann einen vielsagenden Blick zu. „Gut, du liest in der Bibel. Aber dann zählen nur noch Fakten, Möglichkeiten und logische Überlegungen. Als ob man Gottes Willen in einer Exceltabelle entdecken könnte! Nein – eine Beziehung zu Gott sieht anders aus. Wenn er wirklich will, dass Christopher diese Stelle annimmt – und das bedeutet: die Familie aus allen Beziehungen hier herausreißen, die Kinder auf eine neue Schule schicken, eine neue Gemeinde finden –, dann wird er uns ein Zeichen geben, das weiß ich.“

„Ihr hört euch an wie Mark und ich vor ungefähr drei Jahren“, schaltete sich Victoria ein und zog ihren Stuhl dichter an den Tisch. „Wisst ihr noch? Wir überlegten gerade, in einen anderen Stadtteil zu ziehen. Ich fand, wir sollten das einfach mit unserem gesunden Menschenverstand entscheiden, aber Mark wollte es von Gott persönlich hören.“

„Wirklich, Mark?“, fragte Christopher ungläubig. „Wegen so einer Entscheidung? Also, wir verlangen ja nicht, dass Gott uns direkt ins Gelobte Land bringt, wo es ewige Glückseligkeit gibt. Wir versuchen nur herauszufinden, ob ich diesen Job annehmen soll. Wenn wir keines von Gottes Geboten überschreiten, sind logische Argumente doch der beste Weg, oder nicht?“

Mark sog die Luft ein. „Und das reicht euch? Nur nach eurer Vernunft zu gehen, wenn ihr Gottes Willen erkennen wollt?“

„Auf gar keinen Fall“, warf Susan ein. „Das wäre ja so, als ob es Gott überhaupt nicht gäbe.“

Christopher schwieg.

„Wir kennen da jemanden, der euch vielleicht weiterhelfen könnte“, sagte Victoria jetzt. „Als wir vor einer ähnlichen Entscheidung standen wie ihr, erzählte uns jemand von einem gewissen Peter, einem Pastor. Wir haben Kontakt aufgenommen, und er hat uns vorgeschlagen, für eine Art Pilgertour zu ihm in die Berge zu kommen. Das kam mir erst mal ziemlich seltsam vor, aber Mark wollte das unbedingt machen. Also sind wir zu ihm gefahren. Und das hat wirklich etwas in unserem Leben verändert.“

„Ihr solltet ihn kennenlernen“, nickte Mark und legte Christopher eine Hand auf die Schulter. „Wir übernehmen eure Kinder für ein paar Tage. Vertraut uns.“

Nach einigen Diskussionen hatten Christopher und Susan sich für das Wagnis entschieden, ein verlängertes Wochenende mit diesem alten Pastor zu verbringen, der eigentlich mal Feuerwehrmann gewesen war. Die vergangenen Tage hatten sie damit verbracht, sich für die Tour durch den Nationalpark auszurüsten. Der Verkäufer im Outdoorladen hatte ihnen geholfen, all das zu finden, was sie auf Anraten des Alten mitbringen sollten: Rucksäcke, Schlafsäcke, wetterfeste Kleidung und sonstigen Bedarf. Auch Wanderschuhe, die, wie Peter betont hatte, „gut eingelaufen sein sollten“.

Während Christopher eine weitere enge Kurve nahm, sprach er aus, was ihm durch den Kopf ging. „Wir wissen jetzt genau, wie man Schuhe einlaufen muss. Aber wir wissen nicht das Geringste über diesen seltsamen Bergheiligen. Ich kann es immer noch nicht glauben, dass wir uns auf dieses verrückte Unterfangen eingelassen haben.“

Als sie abbogen, um dem Schild „Limestone Campingplatz“ zu folgen, fragte Susan: „Bist du sicher, dass es hier rechts abgeht, Christopher? Das kommt mir irgendwie komisch vor.“ Die Besorgnis in ihrer Stimme war nicht zu überhören. „Sieht so aus, als ob die Straße geradewegs im Nichts endet, so steil wie sie bergauf führt.“

Christopher griff nach ihrer Hand. „Susan, wir haben doch gewusst, dass die Sache ein bisschen seltsam werden könnte. Du hast das Schild gesehen, und auch das Navi sagt, dass wir hier nach rechts sollen. Ich glaube, jetzt sollten wir auch bei unserer Entscheidung bleiben. Ich tue, was ich kann – aber ich bin noch nie auf einer solchen Straße gefahren.“

„Tut mir leid, Christopher. Mir ist eben ein bisschen mulmig.“

„Mir ja auch. Aber es würde mir am meisten helfen, wenn du einfach mit auf die Straße achtest und betest.“

„Ach, Herr“, flüsterte Susan, „bitte zeig uns, ob wir weiterfahren sollen. Wenn wir besser umdrehen sollten, dann zeig uns das irgendwie.“

„Komm, Susan. Bitte nicht wieder dieses Thema. Du weißt doch, dass ich auf deine ‚Zeichen von Gott‘ nicht viel gebe. Könntest du bitte einfach darum beten, dass wir sicher ankommen?“

„Okay, du hast recht. Das ist jetzt am wichtigsten“, gab Susan zurück und betete weiter: „Vater, bitte beschütze uns auf dieser Fahrt – und auch vor diesem sogenannten Pastor, falls er irgendein Verrückter sein sollte.“

Dann herrschte Schweigen. In der Dunkelheit fuhren sie weiter die steile Bergstraße hinauf. Christopher warf einen Blick auf das Navi. Noch fünfzig Minuten, bis sie diesen Peter treffen sollten.

Er ging noch einmal die verschiedenen Möglichkeiten durch, die vor ihnen lagen. Sollten sie ihr ganzes Leben umkrempeln und nach Pasadena ziehen, um zu erfahren, was Gott dort mit ihnen vorhatte? Christopher wusste, dass das eine einmalige Gelegenheit war. Oder sollten sie an dem Ort bleiben, wo sie selbst und die Kinder zu Hause waren und es eine Gemeinde gab, die sie liebten? Sie mussten entscheiden – Claremont oder Pasadena. Zum wiederholten Mal bedachte Christopher jedes Für und Wider, bis er sicher war, auf alle Fragen antworten zu können, die dieser Peter nur stellen mochte. Außerdem hatte der Alte versprochen, ihnen ein paar Grundsätze zu zeigen, nach denen sie den Willen Gottes für ihr Leben erkennen konnten.

Irgendwann erreichte das Paar die Rangerstation Blackrock. Auf der Heckklappe eines weißen Pick-ups hatte es sich ein alter Mann gemütlich gemacht, als säße er auf der Veranda seines Hauses. Im Licht einer Taschenlampe las er ein Buch. Während Christopher und Susan aus dem Wagen stiegen, klappte der Alte seine Lektüre zu und kam ihnen lächelnd entgegen. Er trug verwaschene Jeans, ein Kakihemd über dem T-Shirt und eine Baseballkappe. Alles an ihm machte einen sportlichen Eindruck, obwohl er beim Gehen sichtlich hinkte. „Ich bin Peter Lewis“, sagte er. „Willkommen im Hochland.“

Christopher schüttelte Peters ausgestreckte Hand, stellte sich und seine Frau vor und kam dann direkt zur Sache. „Ja, ich hätte da noch ein paar Fragen zu dieser … äh, Expedition, die wir vorhaben.“

Peter richtete die Taschenlampe auf Christophers und Susans Wanderschuhe. „Sieht so aus, als hätten Sie die Schuhe eingelaufen, wie ich empfohlen habe. Das ist wichtig. Mit Blasen an den Füßen schaffen Sie es nämlich nicht. Bis zur Bergwiese Casa Vieja sind es zwei Meilen vom Startpunkt, und der Weg geht steil bergab.“ Der Alte sah wieder hoch und blickte jetzt das erwartungsvolle Paar an.

„Also, okay, was möchten Sie noch wissen?“

Christopher versuchte sich zurückzuhalten, aber sein Verstand, der es gewohnt war, jedes Risiko abzuschätzen, startete jetzt voll durch: „Also zunächst mal: Wie gut kennen Sie sich hier aus? Waren Sie überhaupt schon mal hier? Wir haben nicht mal Mobilfunkempfang. Und was ist, wenn etwas passiert? Wenn sich jemand den Fuß verstaucht oder Schlimmeres?“

Im Dunkel des Waldes bewegte sich etwas mit einem leisen Rascheln. Ängstlich trat Susan näher zu ihrem Mann. Peter beachtete das Geräusch nicht. „Ja, ich war schon oft hier. Ich habe früher hier gearbeitet, und die Golden Trout Wilderness durchwandere ich seit mehr als vierzig Jahren. Das ist auch der Grund dafür, dass ich Sie gern hier treffen wollte. Die Gegend ist abgelegen, aber das ist der Sinn der Sache. Wenn diese Expedition, wie Sie es nennen, sich für Sie lohnen soll, dann erfordert das Ihre volle Aufmerksamkeit. Ich würde mich wohler fühlen, wenn Sie das Ganze eher als Abenteuer verstehen würden.“

„Brechen wir denn von hier auf?“, fragte Susan mit so viel Freundlichkeit in der Stimme, dass Christopher überrascht zu ihr hinsah.

„Und was lesen Sie da? Ich konnte den Titel nicht erkennen.“

„Das Neue Testament. Allerdings auf Griechisch. Ich beschäftige mich gerade mit dem Galaterbrief.“ Der Alte schien ein wenig verlegen, dass man ihn beim Lesen der Bibel überrascht hatte, und das noch dazu in einer antiken Sprache. „Unser Startpunkt ist eine Viertelstunde weiter nördlich. Sie können hier noch Ihre Feldflaschen auffüllen, und dann springen Sie wieder in Ihre Kiste und folgen mir.“

Als sie wieder im Auto saßen und zum Startpunkt des Wanderwegs fuhren, sagte Susan: „Also, ich mag ihn. Er ist nicht durchgeknallt, aber etwas ungewöhnlich vielleicht. Liest den Galaterbrief auf Griechisch, nennt unseren Wagen eine Kiste und redet von ,Feldflaschen‘.“

„Tja, wie in alten Kriegsfilmen.“ Christopher konzentrierte sich auf den Weg, den die Scheinwerfer vor ihm erleuchteten. „Peter ist einer von der alten Schule. Das Ganze hier mag vielleicht ein Schlag ins Wasser sein, aber zumindest dürfte es interessant werden.“

Unwillkürlich kam ihm in den Sinn, was Victoria beim Frühstück im Café zum Abschied gesagt hatte: „Diese Hochlandtour mit Peter damals kam mir sehr riskant vor. Aber ich möchte nie mehr so leben wie davor, ohne den Willen Gottes zu kennen.“

***

Im Gänsemarsch führte Peter das Paar unter den gewaltig aufragenden Bäumen hindurch und den steilen Weg bergab. Mit großer Sorgfalt hatte er seine wettergegerbten, dicken Lederstiefel geschnürt, die er „meine Buffalos“ nannte. Dann hatte er einen Rucksack geschultert und sich den verwitterten Wanderstock aus hartem Holz gegriffen. Christopher und Susan boten ein gänzlich anderes Bild: Sie trugen die schicksten Outfits, die die Outdoor-Mode zu bieten hatte, und folgten Peter mit federnden Schritten, als würden sie gerade einen Tennisplatz betreten. Die eingeschalteten Stirnlampen erleuchteten ihnen im Dämmerlicht des anbrechenden Morgens den Pfad.

Vor einer Brücke auf einer kleinen Wiese blieb Peter so abrupt stehen, dass Susan beinahe auf ihn geprallt wäre. Hier sollte ihre eigentliche Reise beginnen. Peter zog eine Wasserflasche aus dem Rucksack, nahm ein paar Schlucke und hob dann ein paar Mal seine Schultern, um das Gewicht wieder richtig zu verteilen. Mit dem Ärmel wischte er sich den Mund ab, stellte seine Flasche auf einen Felsblock und bückte sich, um die Kniebandage zurechtzuziehen, die er am rechten Bein trug. Dann richtete er sich auf und griff wieder nach seiner Wasserflasche. Er stöhnte leicht, als er die Luft einsog, und nahm noch ein paar Schlucke.

„Susan, könnten Sie meine Feldflasche in die Seitentasche meines Rucksacks stecken? Arthritis, wissen Sie? Meine Hände wollen einfach nicht mehr so wie früher“, erklärte er. „Also, wie finden Sie’s hier? Reizvolle Gegend, oder?“

Christopher trat einen Schritt vor. Er war sichtlich erregt. „Peter!“, sagte er mit Nachdruck. „Könnten Sie uns jetzt wenigstens mal sagen, wohin wir unterwegs sind? Wir machen so was schließlich nicht alle Tage.“ Er trat noch etwas näher an Peter heran, sodass dieser ihn ansehen musste. „Bisher haben Sie uns keine Karte gezeigt; Sie haben anscheinend kein GPS und noch nicht mal einen Kompass. Ich liebe die Berge, das können Sie mir glauben. Und es mag auch wirklich eine reizvolle Gegend sein. Aber ganz sicher ist es auch gefährlich hier, jedenfalls für uns. Außerdem haben Sie versprochen, dass man hier Gottes Stimme hören kann.“

Mit lautem Getöse flatterte ein Felsengebirgshuhn aus einem Farndickicht auf und protestierte beim Auffliegen gegen die Anwesenheit der Menschen. Christopher machte unwillkürlich einen Satz zur Seite, während Susan einen kleinen Schrei ausstieß. Als sie sich beruhigt hatten, sagte Peter: „Also dann: Was glauben Sie, was sagt Gott Ihnen – jetzt, wo er Ihre Aufmerksamkeit gewonnen hat?“

Christopher umklammerte den Trekkingstock in seiner Rechten mit festem Griff und stieß ihn kräftig auf die erste Holzplanke der kleinen Brücke. Er musste sich sichtlich beherrschen, bevor er sagte: „Das hier ist nichts weiter als eine alte Holzbrücke mitten auf einer Wiese im Hochgebirge. Und dieser Vogel ist nichts weiter als aufgescheuchtes Federvieh. Vermutlich schreckt er zwanzigmal am Tag so auf. Das ist genau das, was ich befürchtet hatte. Statt herumzugrübeln, was Gott uns wohl mit dem Auffliegen eines blöden Vogels sagen will, sollten wir doch lieber herausfinden, ob uns gerade nicht ganz andere Tiere beobachten. Soll uns das vielleicht helfen, uns für oder gegen Pasadena zu entscheiden, wenn wir einem Bären oder einem Puma begegnen?“

Während Christopher redete, hatte Peter Susans Gesichtsausdruck aufmerksam beobachtet. Enttäuscht und resigniert schloss sie die Augen. Offensichtlich ging es hier um viel mehr als um einen neuen Job in Pasadena. Wenn er den beiden helfen wollte, erkannte der alte Mann, würde es sich nicht vermeiden lassen, ihnen wehzutun.

„Nein, ganz und gar nicht, Christopher“, sagte er jetzt und trat einen Schritt vom Pfad zurück. Dann hakte er einen Daumen in seinen Gürtel und wies mit der anderen Hand auf die unberührte Landschaft unter ihnen. „Ich glaube, Ihre einzige Chance zu lernen, wie man Entscheidungen trifft, die ganz sicher dem Willen Gottes entsprechen, liegt auf diesem Weg, den wir vor uns haben. Ich werde Sie nicht belügen. Ich habe auf dieser Hochebene schon Pumas gesehen, und Bären ebenfalls. Aber das hinterhältigste Viehzeug hier oben sind die alten Freilandrinder. Vor denen sollten wir uns hüten.“

Christopher sah ihn verwirrt an. „Peter, haben Sie überhaupt gehört, was ich gesagt habe? Ich suche hier draußen nach ein paar Antworten.“

„Ich kann Sie nicht zu dieser Tour zwingen“, erwiderte der Alte unberührt. „Wenn Sie umkehren möchten, dann ist jetzt der richtige Zeitpunkt dafür. In dreißig Minuten sind Sie wieder oben bei Ihrer Kiste. Aber wenn wir jetzt weitergehen, dann gibt es kein Zurück mehr. Wir werden den ganzen Tag brauchen, um unsere Lagerstelle zu erreichen und uns für die Nacht einzurichten. Die Nacht kommt hier rasch, und sie ist sehr finster.“ Peter zog ein großes blaues Taschentuch aus seiner Tasche, wischte sich damit über das Gesicht und band es sich dann um den Hals. „Sie fühlen sich jetzt schon ziemlich unwohl. Stellen Sie sich also vor, dass wir die Nacht einfach irgendwo am Weg zubringen werden, ohne ein Feuer …“

„Peter?“, unterbrach Christopher ihn noch einmal.

„Ja, Christopher? Was gibt es noch?“

„Was meinen Sie damit: Meine einzige Chance zu lernen, wie man Entscheidungen trifft, die dem Willen Gottes entsprechen, liegt auf diesem Weg? Wieso nur meine Chance?“

„Hören Sie zu, Christopher. Sie sind ein Experte, ein Experte für Zahlen. Sie sind es gewohnt, Strategien zu entwickeln und die Risiken Ihrer Möglichkeiten gut abzuwägen. Und genau das tun Sie hier gerade auch – das Risiko im Griff behalten, indem Sie die Situation beherrschen möchten. Und als Sie erschrocken zusammengefahren sind, als das Berghuhn aufflog, war Ihnen das peinlich. Sie hassen es, wenn Sie die Dinge nicht unter Kontrolle haben. Sie steuern Ihr Leben durch Ihr Wissen, stimmt’s? Sie sind beständig dabei, Berechnungen anzustellen und möglichst rasch alles zu erfassen, damit Ihnen kein Fehler unterläuft. Ich kann es in Ihren Augen lesen. Diese Tour ist hart für Sie – Sie wissen zu wenig. Sie wissen nichts über unsere Route, über diese Berge, über das Wandern oder das Leben in der freien Natur.“ Peter sah ihm direkt in die Augen und wartete.

Christopher holte tief Luft und ließ die Schultern sinken. „Ich versuche ja gar nicht, die Dinge im Griff zu haben. Alles, was ich will, ist verstehen. Ich will verstehen, was wir hier mitten in der Wildnis an einer verlassenen Brücke machen, mit einem Menschen, den wir gerade erst kennengelernt haben. Da geht es nicht darum, etwas ,im Griff zu haben‘. Da geht es einfach ums Informiertsein. Was hat das überhaupt miteinander zu tun: diese Tour zu machen und den Willen Gottes zu erkennen?“

„Das habe ich doch bereits erklärt“, erwiderte Peter. „Sie müssen diesen Weg, der noch vor uns liegt, erst einmal gehen. Diese Gegend, diese wilde und wunderschöne Hochebene, ist genau der Ort, an dem Gott Sie weiterführen will. Weiter als Ihr Verstehen reicht – nämlich zum Vertrauen. Weiter, als ihre Kontrolle reicht – zum Glauben … Sie leben in einer Welt, in der man alles verstehen muss. So, wie Sie die Dinge eben verstehen. Aber Gott bittet Sie jetzt, ihm zu folgen, nicht mir. Und zwar in eine Welt, in der er Sie führen darf. Eine Welt, die Sie nicht verstehen und nicht kontrollieren können. Eine Welt, in der Sie mit Ihren Steuerungsmechanismen nichts ausrichten können und in der Sie entweder vertrauen oder untergehen … Diese Welt ist hier. Das Hochland, die weite Wildnis, ein tückisches Land, ein Land, in dem man auf jemand Größeren vertrauen muss als sich selbst.“

Ernst und unbewegt stand Peter da.

„Die Berge machen einen Mann bescheiden, Christopher. Und das ist es, was Sie und ich nötiger brauchen als Wissen: Demut.“

Christophers Gesichtszüge spiegelten Ratlosigkeit. „Ich habe mich immer auf das Wort Gottes verlassen, Peter. Wenn ich nicht verstehe, wozu wir hier sind, gehe ich keinen Schritt weiter. Egal, was Sie sagen. Sie verlangen ganz schön viel.“

„Zum Kuckuck damit, was ich sage.“ Peter sah ihn durchdringend an. „Ist das da eine Bibel in Ihrer Tasche? Schlagen Sie sie auf: Sprüche 3,5 und 6.“

Christopher schloss die Augen. „Einer meiner Lieblingsverse. Kenne ich auswendig, seit ich zum Glauben gekommen bin.“

„Dann lassen Sie mal hören.“ Peter zog seine eigene kleine Bibel aus der linken Tasche seines Kakihemds. „Oder besser: Lassen Sie mich Ihre Erinnerung auffrischen: ‚Vertraue voll und ganz dem Herrn‘“, zitierte er aus dem Gedächtnis, während er noch in der Bibel blätterte. „Das sind nicht meine Worte. Das sind Gottes Worte, ausgesprochen von einem der weisesten Menschen, die je gelebt haben. Einem Mann, der sein Leben dem Ziel gewidmet hat, die Welt zu verstehen, in der er lebte. Salomo hat ein ganzes Leben gebraucht, um zu erkennen, dass selbst er zu schwach, zu fehlerhaft und zu unwissend war, um sein Leben selbst in den Griff zu kriegen. Wenn Sie mir nicht glauben, lesen Sie mal den Prediger Salomo … ‚Vertraue voll und ganz dem Herrn‘“, sagte er noch einmal. „‚Verlass dich nicht auf deine eigene Urteilskraft. Denke bei jedem Schritt an ihn; er zeigt dir den richtigen Weg und krönt dein Handeln mit Erfolg.‘“

Peter sah auf und versuchte, einen Gedanken wiederzufinden.

„Diese Formulierung – ,er zeigt dir den richtigen Weg‘ oder, wie es in manchen Übersetzungen heißt, ,dann ebnet er selbst deine Pfade‘ – ist eine hebräische Wendung, die besagt: Gott führt uns auf dem denkbar besten Weg, dem Weg, den er selbst für uns vorbereitet hat. Stellen Sie es sich so vor: Wir bewegen uns sozusagen unter Gottes Führung auf der Autobahn. Wenn wir nur unsere eigenen Karten studieren und unsere eigenen Wege wählen, verfahren wir uns schnell.“

Er reichte die Bibel zu Christopher hinüber, der die Stelle und die Notizen überflog, die Peter sich an den Rand geschrieben hatte. Währenddessen fuhr der Alte fort: „Was diese Stelle besagt – in welcher Sprache Sie sie auch immer lesen möchten –, ist Folgendes: Das Gegenteil von Glauben ist Kontrolle. Gott braucht Ihre Fähigkeiten nicht, um Sie zu führen. Aber Sie müssen seiner Macht vertrauen, um seine Führung zu erkennen. Es geht um Ihr Vertrauen, nicht um Ihre Fähigkeiten … Schauen Sie Ihr Leben an, Christopher. Wann fühlen Sie sich Gott am nächsten? Dann, wenn Sie die Dinge verstehen? Dann, wenn Sie alles im Griff haben? Oder in Situationen, in denen Sie wissen: Wenn er jetzt nicht auf der Bildfläche erscheint, gehen Sie baden? Ist Gott Ihnen am nächsten, wenn Sie spüren, wie viel Kraft in Ihnen steckt, oder wenn Ihnen klar wird, wie mächtig Gott ist?“

Christopher entspannte sich etwas. „Ja, ich weiß. An dem Tag, an dem ich Gott versprochen habe, eine lange Beziehung zu beenden, die mit meinem Glauben nicht zu vereinbaren war, habe ich Susan in der Uni getroffen … Ich fühle mich Gott viel näher, wenn ich mich auf ihn verlasse.“

Peter sah Christopher eindringlich an. „Und genau das möchte er jetzt auch von Ihnen. Genau hier, an dieser Brücke. Verlassen Sie sich auf ihn, egal, wie laut Ihr kontrollsüchtiges Herz herumzetert. Wenn Sie Gottes Führung erleben wollen, müssen Sie über das hinausgehen, was Sie verstehen können – zum Vertrauen.“

Susan wiederholte stumm die Worte über das hinausgehen, was Sie verstehen können – zum Vertrauen. Ihre Miene hatte sich deutlich erhellt, als Christopher von ihrer ersten Begegnung erzählt hatte.

„Hier sind nicht Sie der Experte, Christopher“, fuhr Peter fort. „Hier können Sie nichts im Griff haben. Wenn Sie – hier oben oder auch unten im Flachland – den Willen Gottes erkennen wollen, werden Sie Glauben brauchen. Wie gesagt: Es geht nicht um Ihre Fähigkeiten, sondern um Ihr Vertrauen.“

Peter zog die rechte Schulter hoch und ließ sie nach vorn kreisen. „Alte Kriegsverletzung“, erklärte er. „Wo wir grade davon reden: Ein gutes Bild für das Vertrauen, das Gott sich von Ihnen wünscht, ist das Vertrauen, das ein Fallschirmspringer in seinen Fallschirm hat: Ohne den Fallschirm ist er hinüber.“

Christopher gab Peter die Bibel zurück und sah Susan an. Sie starrte auf die Stelle zwischen den Bäumen, wo das Gebirgshuhn verschwunden war. Die Sonne brach hell durch eine Gruppe von Zedern, und Susan blinzelte. Dann sagte sie gedankenverloren: „Gott sagt uns, dass wir diese Brücke überqueren müssen, wenn wir seinen Willen herausfinden wollen. Es ist ein Zeichen. Eine Prüfung.“

„Oder eine Risikoabwägung vielleicht?“ Peter verlagerte sein Gewicht auf den anderen Fuß, drehte sich um und sah das junge Paar an, um festzustellen, ob sie ihn gehört hatten. Dann setzte er seine Kappe auf und sah ihnen in die Augen. „Nächster Halt: Casa Vieja.“

Zwischen Gräsern, Schilf und Binsen strömte der kalte Bach in seinem goldfarbenen Bett unter der Brücke hindurch. Der Pfad verlief östlich des Bachs wie ein steil abfallendes Band aus hellem, pudrigen Granitstaub. Es zog sich durch das Gewirr von Heidekraut, turmhoch überragt von Purpurtannen und Goldkiefern. Von verborgenen Felsvorsprüngen hoch über dem Pfad erklang der Ruf von Blauhähern, und Eichhörnchen keckerten warnend, um allen Bewohnern der Wildnis mitzuteilen, dass es Neuankömmlinge gab.

Peter verharrte einen Moment auf der Brücke, in Ehrfurcht versunken angesichts der Berge, die er schon so lange kannte, und im Angesicht seines Gottes. Wie immer breitete sich an dieser Stelle des Wegs ein Schweigen aus; ein Schweigen, das beladen war mit Geschichten von vermissten Wanderern, Gebirgsgewittern, Waldbränden, Begegnungen mit Bären, Klapperschlangen und Geisterpferden. Direkt hinter der Lichtung, die jetzt vor ihnen lag, umschloss dichter Baumbestand den Pfad, der sie mitten hineinführte in die Schönheit des Kernplateaus.

Goldforellen schossen aus dem Schatten der Brücke heraus, als Peters Buffalos schwer auf die Planken traten. Das Holz war blank gewetzt von den vielen Menschen, die vor ihnen hier entlanggelaufen waren. Peter warf einen forschenden Blick über die Lichtung auf der anderen Seite. „Keine frischen Spuren“, kommentierte er. „Wir dürften Casa Vieja ganz für uns haben, wenn wir heute Abend ankommen. Bin gespannt, ob die Cowboys ihre Herden schon zum Weiden hochgebracht haben.“

Susan und Christopher folgten ihm. Nur kurz blieb Susan stehen, um ein Foto von der Aussicht zu machen, die nun hinter ihnen lag. „Ist das der Ort mit den hinterhältigen Rindern?“, erkundigte sie sich. „Wie kommen Rinder überhaupt hier hoch? Und wieso sind sie so tückisch?“

Peter machte einen großen Schritt über eine verrottete Planke in der Brücke. „Achtung, hier.“ Er wandte sich um, um sicherzugehen, dass Christopher und Susan nicht ausglitten. „Nein, meistens wollen sie einfach nur in Ruhe gelassen werden. Wenn wir auf ein tückisches Exemplar stoßen, werden Sie es merken.“

„Vielleicht sollten Sie uns besser sagen, woran man sie erkennt“, bemerkte Christopher von hinten. Das Interesse des jungen Wirtschaftsprüfers an dem, was Peter zu sagen hatte, stieg offenbar. Während sie weiterzogen, fuhr er fort: „Sie sagten, Sie wollten uns acht todsichere Grundsätze vermitteln, wie man den Willen Gottes erkennt. Wann werden wir denn unsere Notizbücher brauchen, die wir mitbringen sollten?“

„Der Unterricht ist bereits in vollem Gang“, gab Peter zurück. „Die erste Lektion stammt aus Sprüche 3,5 und 6. Sobald wir unseren Lagerplatz erreichen, können Sie alles aufschreiben und mir sagen, wie der erste Grundsatz lautet.“

„Ich bin nicht der, der die Sache im Griff haben muss“, antwortete Christopher. „Gott braucht deine Fähigkeiten nicht, um dich zu führen“, wiederholte er Peters Worte, und in seiner Stimme schwang ein zögerliches Lächeln mit. „Aber du musst seiner Macht vertrauen, um seine Führung zu erkennen.“

Das gefilterte Licht der aufgehenden Sonne leuchtete glühend auf gelben und tiefroten Wildblumen rechts und links des Wegs. Ein Adler schrie, und ein Kojote heulte aus Protest gegen eine erfolglose nächtliche Jagd. Die Pinienzweige hoch über ihnen raschelten im Morgenwind.

Nur Peter vernahm in diesem Moment, als sie die Brücke hinter sich ließen, in den Geräuschen der Natur die stille, sanfte Stimme Gottes. Er schritt voran und blinzelte in die Sonne, die über der Hochebene lag. „Ich habe so ein Gefühl, als ob wir alle etwas von Gottes Macht brauchen werden, bevor diese Tour zu Ende ist.“

Die Feuerprobe

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