Читать книгу Prozessberatung für die Organisation der Zukunft - Эдгар Шейн, Edgar H. Schein - Страница 9

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1. Kapitel

Was ist Prozessberatung

Dieses Buch beschäftigt sich mit den psychologischen und sozialen Prozessen, die eine Rolle spielen, wenn ein Mensch einem anderen zu helfen versucht. Ob ein Therapeut einem Patienten hilft oder mit einer Gruppe arbeitet, ein Elternteil einem Kind zur Seite steht, ein Freund seinem Freund oder ein Organisationsberater mit Managern arbeitet, um eine Organisation zu verbessern – es handelt sich dabei stets um dieselben grundlegenden Dynamiken. Das, was sich zwischen einem Helfer und dem Menschen, dem geholfen wird, abspielt, ist das, was ich »Prozessberatung« nenne.1

Die Betonung liegt auf »Prozess«, da es meines Erachtens genauso wichtig oder sogar noch wichtiger ist, wie die Angelegenheiten zwischen Menschen oder Gruppen geregelt werden, als was geregelt wird. Das Wie, oder der »Prozess«, verdeutlicht in der Regel eher als das Gesagte, worum es uns wirklich geht. Allerdings haben wir mit dem Prozess häufig weniger Erfahrung. Wir denken zu wenig »in Prozessen«, richten zu wenig das Augenmerk auf sie und setzen sie kaum zur Erreichung unserer Ziele ein. Es ist eher so, dass wir an Prozessen teilnehmen oder welche in Gang setzen, die sogar unseren Zielen entgegenarbeiten. Daher ist es entscheidend, sich mit interpersonellen Prozessen, Gruppen- und Organisationsprozessen sowie Prozessen in Gemeinden zu beschäftigen, sofern man die Funktionsweise von zwischenmenschlichen Beziehungen, Gruppen und Organisationen verbessern will.

Im Folgenden werde ich beschreiben, was Prozessberatung ist und welche Rolle sie im täglichen Leben und in der Organisationsentwicklung sowie bei Veränderungen und Lernprozessen spielt. Jede Form der Beratung impliziert, dass eine Person einer anderen hilft. Daher konzentriert sich diese Analyse darauf herauszufinden, was genau in einer zwischenmenschlichen Situation hilfreich ist und was nicht. Des Weiteren betrachte ich Prozessberatung als entscheidend am Anfang und beim weiteren Verlauf einer jeden Organisationsentwicklung (OE) und eines jeden Lernprozesses. Organisationsentwicklung wird in der Regel als ein geplantes, organisationsweites Programm definiert, aber die einzelnen Komponenten, aus denen sie sich zusammensetzt, sind Aktivitäten, die der Berater mit Einzelnen oder mit Gruppen durchführt. Die Art und Weise, in der dies geschieht, spiegelt die der Prozessberatung zugrundeliegenden Annahmen wider. In letzter Zeit wurden vor allem Lern- und Veränderungsprozesse in Organisationen betont, es muss daher die Beziehung der Prozessberatung zu diesen Prozessen erläutert sowie ein Modell und eine Theorie des Helfens erstellt werden, die sämtliche dieser Organisationsprozesse einbezieht. Der zentrale Fokus bleibt jedoch auf der OE, da diese meines Erachtens ein allgemeiner Prozess ist, der Lern- und Veränderungsprozesse beinhaltet.

Im Mittelpunkt eines jeden Programms zur Verbesserung einer Organisation hat die Schaffung einer Situation zu stehen, die Einzelnen und/oder Gruppen Lernen und Veränderungen ermöglicht. Doch wie erreicht der Berater die Bereitschaft, sich auf Lern- und Veränderungsprozesse einzulassen? Wie wird der Berater Trainer, Lehrer, Mentor oder Coach bei Lern- und Veränderungsprozessen? Wie arbeitet der Berater mit den Schlüsselfiguren einer Organisation, um mit ihnen ein organisationsweites Programm zu planen, und/oder als Berater, falls Ängste und Bedenken bei diesen Schlüsselfiguren den Erfolg der gemeinsamen Anstrengungen zu gefährden drohen?

Bei der Behandlung dieser und anderer Fragen versuche ich zu zeigen, dass der Operationsmodus, für den der Berater sich immer wieder neu entscheidet, den entscheidenden Faktor für den Erfolg der Beratung darstellt. Der Berater muss lernen, zwischen folgenden Positionen zu unterscheiden: (1) der Beraterrolle des Experten, der dem Klienten sagt, was er zu tun hat; (2) dem Verkauf von Lösungen, die der Berater für gut hält, oder dem Verkauf von Techniken, deren Handhabung dem Berater vertraut ist; oder (3) der Miteinbeziehung des Klienten in einen Prozess, den letztendlich sowohl Klient wie Berater als hilfreich empfinden. Wie im weiteren Verlauf gezeigt wird, beruhen diese drei Modi auf grundlegend verschiedenen Modellen darüber, was »Hilfe« beinhaltet, und diese Modelle wiederum fußen auf vollkommen unterschiedlichen Annahmen dazu, was eigentlich Wirklichkeit ist und was Hilfe ausmacht.

In den letzten Jahren erlebte der Bereich Beratung einen Boom, doch nach wie vor herrscht Unklarheit über die Konzepte von Beratung und darüber, was Berater eigentlich für die Organisationen tun, wie sie ihre Arbeit anpacken und wie sie Hilfe verstehen. Leute, die sich Organisationsberater nennen, liefern zum Beispiel Informationen, analysieren mit Hilfe von eigenen Diagnosemethoden Informationen, identifizieren und diagnostizieren komplexe Probleme, für die sie Lösungen empfehlen, helfen Managern, schwierige oder unpopuläre Entscheidungen umzusetzen, unterstützen diese Manager und stärken ihnen den Rücken.

Viele Analytiker des Beratungsprozesses argumentieren, dieser Prozess funktioniere nur, wenn der Klient genau weiß, was er will, und wenn der Berater auf das spezifische Problem zugeschnittene Lösungen anbieten kann. In einem solchen Modell werden die Klienten, wenn sie unzufrieden sind, beschuldigt, nicht klar genug ihre Wünsche ausgedrückt oder nur unwillig den Empfehlungen des Beraters gefolgt zu sein. Nach meiner Erfahrung jedoch wissen Hilfesuchende oft nicht, was sie eigentlich wollen, und man sollte dies auch nicht von ihnen erwarten. Sie sind sich nur insoweit sicher, dass etwas nicht so läuft, wie es laufen sollte, oder ein Ideal nicht erfüllt wird und deshalb Hilfe in Anspruch genommen werden sollte. Zu jedem Beratungsprozess gehört daher notwendigerweise, dem Klienten dabei zu helfen, seine Probleme oder Anliegen einzukreisen und erst im Anschluss daran über die Art der benötigten Hilfe zu entscheiden. Manager in einer Organisation spüren häufig, dass nicht alles so ist, wie es sein sollte, aber ihnen fehlt die Handhabe, aus diesen vagen Gefühlen klare Erkenntnisse zu destillieren, die konkrete Maßnahmen ermöglichen.

Der Beratungsmodus, den ich im Folgenden detailliert beschreiben werde, beschäftigt sich vor allem mit Situationen, wie ich sie hier vorstellte. Der Berater, der nach dem Prozessberatungsmodus vorgeht, erwartet vom Manager nicht, dass er bereits weiß, was im Argen liegt, welche Hilfe benötigt wird oder was der Berater tun könnte. Für einen konstruktiven Prozessbeginn ist nichts weiter nötig als der Wunsch des Klienten, etwas zu verbessern und dazu Hilfe in Anspruch zu nehmen. Der Beratungs prozess selbst hilft dann dem Klienten dabei, die Diagnoseschritte festzulegen, die letztendlich das Maßnahmenprogramm und die konkreten Veränderungen bestimmen, aus denen sich eine Verbesserung der Situation ergibt.

Beratungsmodelle und die impliziten Annahmen, auf denen sie beruhen

Am besten lassen sich Beratungs- und helfende Prozesse unterscheiden anhand einer Analyse ihrer impliziten Annahmen bezüglich des Klienten, bezüglich des Wesens der Hilfe, der Rolle des Beraters und bezüglich der letztendlichen Natur der Wirklichkeit, in der sich Klient und Berater bewegen. Die drei Grundmodelle, die nachfolgend diskutiert werden, lassen sich als verschiedene Operationsmodi auffassen und werden durch die drei verschiedenen Rollen definiert, die Beratern zur Verfügung stehen, wenn sie einem Klienten helfen. Diese drei Modelle lassen sich ebenso auf die verschiedenen Methoden anwenden, nach denen wir vorgehen, wenn wir in unserem Alltagsleben einem Hilfe suchenden Kind, Ehepartner oder Freund helfen wollen. Der Hauptgrund für die klare Unterscheidung zwischen den drei Modellen liegt darin, dass der Helfer sich von einem Augenblick zum anderen entscheiden muss, welche Rolle er gerade innehat oder welches Hilfemodell er anwendet. Doch alle drei Modelle gehen davon aus, dass Hilfe die primäre Funktion der Beratung ist. Das Konzept der Hilfe nimmt bei diesem Beratungsansatz eine derart zentrale Stelle ein, dass man nicht umhin kommt, es als das erste übergreifende Prinzip für den Umgang mit dem anderen aufzufassen.

ERSTES PRINZIP

Versuche stets zu helfen

Beratung bedeutet zu helfen. Es versteht sich von selbst, dass ich ohne die Bereitschaft, zu helfen und daran zu arbeiten, wohl keine helfende Beziehung herstellen kann. Jeder Kontakt sollte, soweit möglich, als hilfreich wahrgenommen werden.

Allerdings beruhen die drei Modelle auf grundverschiedenen Annahmen darüber, was Hilfe in jeder gegebenen Situation ausmacht. Und sie unterscheiden sich außerordentlich in ihren möglichen Konsequenzen. In jeder Situation, in der Hilfe angeboten oder um sie nachgesucht wird, müssen wir uns über die wirklichen Abläufe im Klaren sein und über die Helferrolle, die wir annehmen. Wir können nicht alle drei Rollen gleichzeitig ausfüllen, uns bleibt also nichts anderes übrig, als uns dessen bewusst zu sein, welche Rolle wir in der jeweiligen Situation vorziehen. Und um uns dessen bewusst zu sein, müssen wir fähig sein, die jeweilige Wirklichkeit zu entschlüsseln und zu erfahren sowie uns dieser Wirklichkeit entsprechend zu verhalten. Unter Wirklichkeit verstehe ich ein Gefühl für innere Vorgänge – dafür, was in einer Situation in mir oder einer oder mehreren anderen Personen vorgeht, und dafür, wie diese Situation selbst zu verstehen ist. Wunschdenken, Klischees, Projektionen, Erwartungen, frühere Pläne und alles andere, was eher auf alten Vorstellungen oder psychologischen Bedürfnissen beruht als auf Fakten aus dem Hier-und-Jetzt, behindern in der Regel eine weise Entscheidung darüber, wie man am besten hilft.

Dieses Wirklichkeitskonzept beruht auch auf der epistemologischen Annahme, dass die Kultur und das Denken die äußere Realität schaffen, in der wir uns bewegen, und dass wir uns daher in einem steten wechselseitigen Prozess der Entschlüsselung der Vorgänge um uns befinden. Weder der Berater noch die hilfesuchende Person können eine objektive äußere Realität definieren, die außerhalb ihrer Beziehung und des kulturellen Kontexts existiert. Doch zusammen können sie umreißen, wie ihre aktuellen Annahmen und Wahrnehmungen diese Realität schaffen und wie sie mit dieser Realität im Sinne des Klienten am besten umgehen, dem es um eine Verbesserung der Situation geht. Das zweite übergreifende Prinzip, das den Helfer/Berater in seinem Vorgehen leiten sollte, ist daher, sich stets mit der Realität des Hier-und-Jetzt auseinanderzusetzen.

ZWEITES PRINZIP

Verliere nie den Bezug zu der aktuellen Realität.

Ich kann nicht helfen, wenn ich mir nicht über die Realität im Klaren bin, d.h. darüber, was in mir und im System des Klienten vorgeht. Daher sollte jeder Kontakt zu jedem Angehörigen des Klientensystems sowohl für den Klienten als auch für mich weitere Informationen liefern zur Diagnose des aktuellen Standes des Klientensystems und zu der Beziehung zwischen dem Klienten und mir.

1. Modell: Der Einkauf von Informationen oder das Expertenmodell: Telling and Selling

Das Telling-and-selling-Modell der Beratung geht davon aus, dass der Klient vom Berater Informationen und eine Expertendienstleistung erwirbt, die er selbst nicht erbringen kann. Der Käufer, gewöhnlich ein einzelner Manager oder der Vertreter einer Gruppe in der Organisation, definiert ein Bedürfnis und folgert, dass die Organisation weder über die Ressourcen noch über die Zeit verfügt, dieses Bedürfnis zu befriedigen. Daher wird ein Berater eingeschaltet, um diese Informationen oder diese Dienstleistung zu erbringen. Möglicherweise möchte ein Manager mehr über das Befinden einer bestimmten Kundengruppe herausfinden, oder er will wissen, wie eine Gruppe seiner Angestellten auf eine neue Personalpolitik reagieren wird oder wie das Arbeitsklima in einer bestimmten Abteilung beschaffen ist. Dann wird er einen Berater beauftragen, eine Erhebung mittels Interviews oder Fragebögen durchzuführen und die Daten zu analysieren.

Es kann auch sein, dass der Manager eine bestimmte Gruppe neu organisieren und vom Berater wissen will, wie solche Gruppen in anderen Unternehmen organisiert werden – zum Beispiel wie in Anbetracht der modernen Informationstechnologie die Buchhaltung und das Controlling organisiert werden können. Oder der Manager möchte das eine oder andere über Konkurrenzunternehmen in Erfahrung bringen, wie etwa ihre Marketingstrategie oder welcher Anteil ihrer Produktpreise durch die Produktionskosten bestimmt wird, wie sie ihre Forschungs- und Entwicklungsfunktionen organisieren, wie viele Beschäftigte sie in einer typischen Fabrik haben usw. Er beauftragt dann vielleicht einen Berater, um diese anderen Unternehmen zu studieren und ihm die entsprechenden Daten zu liefern. In all diesen Fällen wird davon ausgegangen, dass der Manager weiß, welche Informationen oder Dienstleistung er wünscht und was der Berater ihm bieten kann.

Wie wahrscheinlich es ist, dass diese Art von Hilfe funktioniert, hängt von folgenden Gegebenheiten ab:

1. Ob der Manager seine eigenen Bedürfnisse richtig erkannt hat.

2. Ob er diese Bedürfnisse dem Berater klarmachen konnte.

3. Ob er richtig eingeschätzt hat, inwiefern der Berater diese Informationen beschaffen bzw. diese Dienstleistung erbringen kann.

4. Ob er die Konsequenzen dieser Entscheidung bedacht hat, einen Berater diese Informationen einholen zu lassen oder die Veränderungen einzuleiten, die von diesen Informationen nahegelegt oder von dem Berater empfohlen werden.

5. Ob es eine externe Realität gibt, die sich objektiv studieren und übertragen lässt in Wissen, das dem Klienten dienlich ist.

Die häufige Unzufriedenheit mit Beratern und die niedrige Umsetzungsrate ihrer Empfehlungen sind leicht zu erklären, wenn man sieht, wie viele der obigen Annahmen erfüllt sein müssen, damit das Telling-and-selling-Modell effektiv sein kann. Des Weiteren sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass der Klient in diesem Modell Macht abgibt. Der Berater wird beauftragt oder ermächtigt, für den Klienten wichtige Informationen oder wichtiges Know-how einzuholen. Doch sobald dieser Auftrag erteilt ist, wird der Klient abhängig von dem, was der Berater ihm liefert. Ein Großteil des Ressentiments gegenüber dem Berater in den späteren Stadien stammt vielleicht aus dieser anfänglichen Abhängigkeit und dem unangenehmen Gefühl, das dieses bewusst oder unbewusst beim Klienten hervorruft.

Dazu kommt, dass der Berater sich in diesem Modell versucht fühlen wird, alles zu verkaufen, was er weiß und worin seine Stärken liegen – für jemanden, der nur einen Hammer hat, scheint die ganze Welt aus Nägeln zu bestehen. Was die Gefahr in sich birgt, dass der Klient nicht richtig darüber informiert wird, welche Informationen oder Dienstleistungen ihm tatsächlich weiterhelfen würden. Und natürlich wird unterschwellig vermittelt, es gäbe »da draußen« dieses Wissen, das in das Klientensystem geholt werden muss, und dass der Klient diese Informationen oder dieses Wissen verstehen und für sich einsetzen kann. Zum Beispiel geben Organisationen häufig Umfragen in Auftrag, in denen die Einstellung ihrer Angestellten zu bestimmten Themen ermittelt oder die Unternehmenskultur »diagnostiziert« werden soll. Treffen dann die »Experten«-Daten in quantitativer Form ein, brüten die Manager nach meiner Erfahrung oft über den Balkendarstellungen und quälen sich damit ab, herauszufinden, was sie jetzt wissen, wenn sie schwarz auf weiß vor sich haben, dass 62 Prozent der Angestellten das System der Karriereentwicklung ihres Unternehmens als mangelhaft einstufen. Welchen Informationswert besitzt eine solche Aussage in Anbetracht der Probleme, ein Sample zu wählen, einen Fragebogen zu entwerfen, der Semantik von Wörtern wie Karriere und Entwicklung, der Frage, ob nun 62 Prozent in einen größeren Zusammenhang gestellt eher als gut oder schlecht zu bewerten sind, der Schwierigkeit, sich darüber klar zu werden, was die Angestellten sich bei der Beantwortung der Frage dachten, usw.? In dieser Situation ist Wirklichkeit ein schwer zu fassendes Konzept.

Die Prozessberatungsalternative

Im Gegensatz dazu geht es nach der Prozessberatungs-Philosophie darum, den Klienten und den Berater in einen Prozess der wechselseitigen und gemeinsamen Diagnose einzubinden, was nur die Realität widerspiegelt, dass zu diesem Zeitpunkt der Kontaktaufnahme weder Klient noch Berater genug wissen können, um zu definieren, welches Wissen und Know-how in der gegebenen Situation relevant sind. Der Berater ist bereit, mit einem einzelnen Klienten oder einer Organisation zu arbeiten, ohne einen klaren Auftrag zu erhalten, ein Arbeitsziel oder ein festumrissenes Problem genannt zu bekommen. Denn er geht davon aus, dass bei jedem Menschen, jeder Gruppe oder Organisation Prozesse verbessert und effizienter werden können, falls es gelingt, die Prozesse herauszufiltern, die die Gesamtleistung entscheidend beeinflussen. Es gibt keine perfekte Organisationsstruktur und keinen perfekten Prozess. Jede Organisation hat ihre Stärken und Schwächen. Daher sollte ein Manager, wenn er das Gefühl hat, etwas liege im Argen, da Leistung und Moral zu wünschen übrig lassen, nicht überstürzt handeln, bevor er sich über die Stärken und Schwächen der gegenwärtigen Struktur und Prozesse seiner Organisation im Klaren ist.

Die Prozessberatung zielt vor allem darauf ab, dem Manager bei dieser Diagnose und der Entwicklung eines geeigneten, entsprechend dieser Diagnose ausgearbeiteten Handlungsplanes zu helfen. Dazu gehört implizit, dass weder Klient noch Berater Macht abgeben. Die beiden müssen sich die Verantwortung über die erlangten Erkenntnisse und geplanten Vorgehen teilen. Aus Sicht der Prozessberatung darf der Berater dem Klienten nicht das Problem abnehmen, sondern er muss sich darüber klar sein, dass dieses Problem ausschließlich das des Klienten ist und niemand sonst die Verantwortung dafür übernehmen kann. Der Berater kann nur die Hilfestellung geben, die der Klient braucht, um dieses Problem selbst zu lösen.

Eine gemeinsame Diagnose und Planung der Vorgehensweise ist allein deshalb unumgänglich, da der Berater so gut wie nie genug über eine Organisation in Erfahrung bringen kann, um wirklich sagen zu können, welche Vorgehensweise die beste ist oder welche Informationen wirklich weiterhelfen würden, denn die Art und Weise, wie die Mitglieder einer Organisation eine Information gedanklich verarbeiten und darauf reagieren, ist geprägt durch ihre Traditionen, ihre Werte und ihre unausgesprochenen Annahmen – d.h. durch die Kultur ihrer Organisation und den Stil und die Persönlichkeit ihrer entscheidenden Vertreter und Mitglieder.2 Allerdings kann der Berater dem Klienten dabei helfen, selbst eine gewisse Diagnosefertigkeit zu erlangen und so Probleme besser lösen zu können. Es ist ein wesentlicher Gedanke der Prozessberatungsphilosophie, dass die Lösung von Problemen länger Bestand hat und effektiver ist, wenn die Organisation lernt, diese Probleme selbst zu lösen. Eine Aufgabe des Beraters besteht darin, Diagnose- und Problemlösungsmethoden zu vermitteln, er sollte jedoch nicht versuchen, die Probleme selbst zu lösen, es sei denn, er ist überzeugt, über die entsprechende Information und Erfahrung zu verfügen. Der Berater muss sich stets mit der Realität auseinandersetzen, wie sie sich durch die Zusammenarbeit mit dem Klienten herausschält, und es vermeiden, sich auf seine eigenen a priori gewonnenen Annahmen zu verlassen.

Auch in anderen Situationen, in denen Hilfe gesucht wird, muss, bei näherer Betrachtung, dieselbe Entscheidung zwischen Expertenmodus und Prozessberatungsmodus getroffen werden. Wenn mich mein Kind bittet, ihm bei einer Rechenaufgabe zu helfen; wenn mich ein Student nach einer bestimmten Auskunft bei einem Managementproblem bittet; wenn ich an einer Straßenecke nach dem Weg gefragt werde; wenn ein Freund von mir wissen will, welchen Film ich ihm empfehlen könnte; wenn mich meine Frau fragt, was sie zu einer Party anziehen soll, muss ich umgehend verarbeiten, worum es bei dieser Frage oder Bitte wirklich geht und welche Antwort oder Reaktion tatsächlich weiterhilft. Wie sieht die Realität in der jeweiligen Situation gerade aus?

Am einfachsten ist es, jede Bitte wortwörtlich zu verstehen und das Telling-and-selling-Modell anzuwenden – das heißt, auf die eigene Erfahrung zurückzugreifen und einfach die vorliegende Frage zu beantworten. Doch nicht selten verbirgt sich hinter der vorliegenden Frage ein tieferes Anliegen. Vielleicht will das Kind mit mir zusammen sein und ihm fiel nichts anderes ein, als das Rechenproblem vorzuschieben, um meine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Vielleicht bewegt den Studenten eine ganz andere Frage, die er nicht zu stellen wagt. Vielleicht sucht der Fremde, der mich nach dem Weg fragt, etwas ganz anderes, ohne es zu wissen. Mein Freund möchte sich vielleicht vorsichtig danach erkundigen, ob ich mit ihm ins Kino gehe. Meiner Frau geht es möglicherweise darum, mir etwas über ihre Garderobe mitzuteilen, oder die Party bereitet ihr aus irgendeinem Grund Kopfzerbrechen.

Die Gefahr bei der Beantwortung der vorliegenden Frage liegt darin, dass das Gespräch dadurch beendet wird und der verborgene Anlass niemals ans Tageslicht kommen kann. Will ich helfen, muss ich ausreichend nachforschen, um entscheiden zu können, wo die Hilfe wirklich benötigt wird. Und das bedeutet, den Prozessberatungsmodus einzuleiten. Erst nachdem ich die Situation gemeinsam mit dem anderen ausgelotet habe, befinde ich mich in einer Position, um zu beurteilen, ob mein Expertenwissen oder meine Informationen tatsächlich relevant und hilfreich sind. Verallgemeinernd lässt sich also voranschicken, dass der Prozessberatungmodus zu Beginn eines jeden helfenden Prozesses unabdingbar ist, da sich nur durch diesen Modus herausfinden lässt, was wirklich vorgeht und welche Art von Hilfe benötigt wird.

Die Realität sieht so aus, dass der Berater zu Beginn keiner Beziehung weiß, was wirklich verlangt und benötigt wird. Und genau dieser Zustand der Ignoranz ist die wichtigste Richtschnur für den Berater, um zu entscheiden, welche Fragen er stellen und welchen Rat er geben muss oder, allgemein gesprochen, wie der nächste Schritt auszusehen hat. Der Berater muss in der Lage sein zu erspüren, was er oder sie noch nicht weiß, und dieser Prozess kann nur ein aktives Suchen aus den Tiefen des Nichtwissens sein, da wir voller Vorurteile, Abwehr, unbewusster Annahmen, Hypothesen, Klischees und Erwartungen stecken. Herauszufinden, auf welchen Gebieten wir ignorant sind, kann sich als schwierig erweisen. Wir müssen uns dazu durch unsere Vorurteile arbeiten und so manche Abwehrmauer überwinden. Das aktive Wort »zugreifen« drückt daher das dritte übergreifende Prinzip aus – anderen zu helfen. Durch den erfolgreichen Zugriff auf die Bereiche unserer Ignoranz können wir uns auf eine echte gegenseitige Erforschung einlassen. Und durch die schrittweise Beseitigung dieser Bereiche des Nichtwissens werden ständig neue Schichten der Wirklichkeit erkennbar, was uns eine genauere Definition von Hilfe ermöglicht.

DRITTES PRINZIP

Setze dein Nichtwissen ein.

Ich kann meine innere Realität nur entdecken, wenn ich zu unterscheiden lerne zwischen dem, was ich weiß, dem, was ich zu wissen glaube, und dem, was ich wirklich nicht weiß. Ich kann nicht entscheiden, was die aktuelle Wirklichkeit ist, wenn ich spüre, was mir über die Situation nicht bekannt ist, und ich nicht so weise bin, mich danach zu erkundigen.

2. Modell: Das Arzt-Patient-Modell

Ein weiteres verbreitetes generisches Beratungsmodell ist das Arzt-Patient-Modell. Ein oder mehrere Manager in der Organisation beschließen, einen Berater zu holen, um sie zu »checken«, um herauszufinden, ob es in der Organisation Bereiche gibt, die nicht richtig funktionieren und die vielleicht mehr Aufmerksamkeit benötigen. Möglicherweise hat ein Manager Anzeichen dafür entdeckt, dass etwas im Argen liegt, sinkende Verkaufszahlen, einen Anstieg von Kundenbeschwerden oder Qualitätsprobleme, aber er weiß nicht, wie er die Ursache des Problems herausfinden kann. Der Berater wird in die Organisation geholt, um festzustellen, was wo in der Organisation falsch läuft, um anschließend, wie ein Arzt, eine Behandlung zu verschreiben. Vielleicht stoßen führende Organisationsmitglieder darauf, dass in anderen Organisationen neue Therapien angewendet werden wie Total-Quality-Programme, Reengineering oder autonome Arbeitsgruppen, und sie verlangen, dass ihre Organisation ebenfalls einen Versuch mit diesen neuartigen Therapien startet, um ihre Schwächen auszubügeln. Dann wird ein Berater geholt, um das Programm umzusetzen. In diesem Modell geht der Klient von einem gewissen professionellen Standard des Beraters aus. Er erwartet, dass er ihm seine Dienstleistung verantwortungsvoll verkauft, dass er sich dabei auf aussagekräftige Daten stützt und das Programm Abhilfe für das Problem schafft; dass der Berater über das diagnostische Know-how verfügt, um das Programm nur dort einzusetzen, wo es hilft; und dass die Behandlung greifen wird.

Es gilt dabei zu beachten, dass dieses Modell noch mehr Macht in die Hände des Beraters legt, da er sowohl das Problem diagnostiziert sowie die Behandlung verschreibt und durchführt. Der Klient gibt nicht nur die Verantwortung dafür ab, sein Problem selbst zu diagnostizieren – wodurch er sich nur um so stärker in die Abhängigkeit von dem Berater begibt –, sondern er nimmt darüber hinaus auch an, dass jemand von außen in die Situation geholt werden kann und in der Lage ist, die Probleme zu identifizieren und zu beheben. Dieses Modell spricht die Berater natürlich besonders an, da es sie in eine starke Position versetzt und ihnen einen Röntgenblick zuschreibt. Die fachmännische Diagnose und Verschreibung von Behandlungen rechtfertigen die hohen Gelder, die Berater verlangen können, und verdeutlichen die Natur ihrer Dienstleistung. In diesem Modell kommen dem Bericht, der Darstellung der Befunde und der Empfehlungen eine besondere Bedeutung zu. Sie lassen die Aufgabe des Beraters klar hervortreten. Für viele Berater ist das der zentrale Punkt ihrer Arbeit, und sie sind erst dann überzeugt, ihre Arbeit ordentlich getan zu haben, wenn sie eine gründliche Analyse und Diagnose durchgeführt haben, die sie in eine schriftlich festgehaltene Empfehlung umsetzen können.

Zum Beispiel führt der Berater in einer Version dieses Modells, das bei Managern verwendet wird, eingehende Interviews und psychologische Tests durch. Diese gehören zur Diagnosephase, an deren Ende eine schriftliche Auswertung und Empfehlung für die weiteren Schritte steht. Eine andere Version sieht vor, dass der Berater Meinungsumfragen für bestimmte Bereiche der Organisation entwirft, die als Diagnosegrundlage dienen. Man erwartet, dass der Berater weiß, welche Fragen er zu stellen hat, welcher Prozentanteil positiver oder negativer Antworten ein Problem darstellt und welche Antwortenmuster auf mögliche Probleme in der Organisation hinweisen. Häufig werden raffinierte statistische Methoden ins Spiel gebracht, um die Diagnose zu untermauern und dem Klienten zu versichern, dass der Berater diagnostisch beschlagen ist.

Bei der vielleicht verbreitetsten Version dieses Modells vereinbaren Berater mit der Chefetage, in einer Reihe von ausführlichen Interviews zu erkunden, was im Unternehmen vor sich geht, anhand dieser Daten zu einer Diagnose zu gelangen und dem Klienten, der sie beauftragte, dann Projekte zur Behebung dieser Probleme vorzuschlagen. Eine zur Zeit populäre Version davon ist die Erstellung eines Kompetenzprofils, das bei einer bestimmten Aufgabenbeschreibung Erfolg verspricht: das Profil vorhandener Kompetenzen mit den Datenbanken einer Reihe von Organisationen zu vergleichen und, basierend auf den dabei entdeckten Profilunterschieden, Auswahl, Fortbildung und Karriereentwicklungsprogramme vorzuschlagen, um die Kompetenzen zu erhöhen, bei denen Mängel entdeckt wurden.

Wie den meisten Lesern aus ihrer eigenen Erfahrung klar sein wird, ist dieses Modell trotz seiner Popularität mit Problemen behaftet. Wir alle haben, als Klienten, die Erfahrung gemacht, wie irrelevant der Rat oder die Empfehlung eines Helfers sein kann oder wie sehr es einem zuwider laufen kann, wenn man gesagt bekommt, was man zu tun hat, selbst wenn man zuvor um Rat gefragt hat. Als Berater haben wir alle, öfter als uns recht ist, die Erfahrung gemacht, dass unser Bericht samt unseren Empfehlungen mit einem höflichen Kopfnicken entgegengenommen wird, um dann ordentlich weggestellt oder, schlimmer noch, ganz abgelehnt zu werden mit dem Hinweis, wir hätten die Lage des Kunden nicht wirklich verstanden. Klienten verfallen häufig in eine Abwehrhaltung und bemängeln an unseren Empfehlungen, wir hätten wichtige Faktoren übersehen oder der empfohlene Kurs sei bereits versucht worden und fehlgeschlagen. Berater, die nach diesem Arzt-Patienten-Modus arbeiten, sind häufig unzufrieden mit ihren Klienten – sie wüssten nicht, was sie wollten, sie sähen die Wahrheit nicht, wenn man sie mit dem Kopf darauf stoße, oder sie widersetzten sich einer Änderung und wollten eigentlich gar nicht, dass man ihnen hilft. Um diese Schwierigkeiten zu verstehen und das Prozessberatungsmodell in die richtige Perspektive zu rücken, müssen wir einige der impliziten Annahmen des Arzt-Patient-Modells analysieren.

Einer der offensichtlichsten Schwachpunkte dieses Modells ist die Annahme, der Berater könne allein an exakte Informationen für seine Diagnose gelangen. Dabei kann sich der als problematisch definierte Organisationsbereich weigern, die Informationen preiszugeben, auf die der Berater für seine Diagnose angewiesen ist. Es ist vorhersagbar, dass in den Fragebögen und bei den Interviews systematische Verzerrungen auftreten werden. Die Richtung dieser Verzerrungen hängt vom Betriebsklima ab. Ist dieses von Misstrauen und Unsicherheit geprägt, werden die Befragten aus Angst vor Vergeltung dem Berater gegenüber alles Negative verschweigen – mutige »Aufdecker« und »Nestbeschmutzer« können ein Lied davon singen. Oder die Befragten betrachten das Interview, die Umfrage oder den Test als Übergriff in ihren Privatbereich und antworten entweder nur so knapp wie möglich oder das, was man ihrer Ansicht nach von ihnen erwartet oder was sie für sicher halten. Ist das Klima dagegen von Vertrauen geprägt, werden die Befragten den Kontakt mit dem Berater als eine Gelegenheit sehen, sich ihren Kummer von der Seele zu reden, was zu einer Übertreibung der bestehenden Probleme führen kann. Wie dem auch sei, verwendet der Berater nicht viel Zeit darauf, die Abteilung selbst zu beobachten, wird er kein genaues Bild von den Vorgängen erhalten.

Ein weiteres Problem dieses Modells, das dem eben beschriebenen in nichts nachsteht, ist die häufig auftretende mangelnde Bereitschaft des Klienten, die Diagnose des Beraters ernst zu nehmen oder sich von seinen Abhilfemaßnahmen überzeugen zu lassen. In den meisten Organisationen finden sich wahrscheinlich ganze Schubladen voll mit Beraterberichten, die entweder vom Klienten nicht verstanden oder nicht akzeptiert wurden. Falsch gelaufen ist dabei natürlich, dass der Arzt es versäumte, einen gemeinsamen Bezugsrahmen mit seinem Patienten aufzubauen. Sie haben es nicht mit einer gemeinsamen Wirklichkeit zu tun. Falls der Berater mit der Diagnosearbeit beschäftigt ist, während der Klient passiv darauf wartet, sein Rezept ausgehändigt zu bekommen, wird sich mit ziemlicher Sicherheit ein Kommunikationsgraben zwischen den beiden auftun, der Diagnose wie Rezept irrelevant oder unverdaulich erscheinen lässt.

Selbst die wirklichen Ärzte im weißen Kittel erkennen immer mehr, dass Patienten nicht automatisch ihre Diagnose akzeptieren oder ihren Anweisungen Folge leisten. Am offensichtlichsten wird dies in kulturüberschreitenden Zusammenhängen, in denen Annahmen darüber, was eine Krankheit ist oder welche Maßnahmen sie erfordert, von Kultur zu Kultur differieren können. Auch in der Behandlung bei Brustkrebs wird dies zunehmend deutlich. Hier bezieht der Onkologe die Patientin verstärkt in die Entscheidung mit ein, ob die ganze Brust oder nur der Knoten entfernt wird und ob sie sich im Anschluss an die Operation einer Chemotherapie oder einer Bestrahlung unterzieht. Bei Schönheitsoperationen oder wenn die Entscheidung ansteht, ob eine Bandscheibenoperation nötig ist, wächst den Erwartungen und dem Selbstbild des Patienten eine ähnlich entscheidende Rolle zu, wenn bestimmt werden soll, wie erfolgreich die Operation letztendlich war. Wenn wir schon eine Version des Arztmodells aus dem medizinischen Bereich wählen, sind wir mit dem psychiatrischen Modell besser beraten. Denn hier zählen die Analyse des Widerstands und der Abwehrhaltung zu den entscheidenden therapeutischen Werkzeugen.

Das dritte Problem dieses Modells liegt darin, dass in menschlichen Systemen, mehr noch: in allen Systemen, der Diagnoseprozess selbst eine Intervention mit unbekannten Folgen darstellt. Werden in der Chefetage Persönlichkeitstests und in Teilen der Organisation Meinungsumfragen durchgeführt und die Mitarbeiter dabei zu ihrer Wahrnehmung des Unternehmens interviewt, beginnen sich diese zu fragen, was in ihrem Betrieb los sein könnte, dass Berater in das Unternehmen geholt werden. Obwohl sich der Berater keiner Schuld bewusst ist, kommt der Angestellte vielleicht zu dem Schluss, dass die Geschäftsführung das Unternehmen umzustrukturieren und Leute zu entlassen gedenkt. Der Berater tut sein Bestes, geht bei den Tests und Umfragen nach allen Regeln der Wissenschaft vor, doch der Angestellte empfindet das möglicherweise als Eindringen in seine Privatsphäre, gegen das er sich vielleicht sogar mit anderen Angestellten verbündet, wodurch sich die Beziehungen innerhalb der Organisation verändern. Ironischerweise legen die ausgetüftelten Vorsichtsmaßnahmen, die die Anonymität einer Umfrage gewährleisten sollen – indem man die Bögen z.B. an eine neutrale Partei schickt –, ein Misstrauen innerhalb der Organisation nahe, das als eine weitaus signifikantere Realität aufgefasst werden kann, als die Erhebung selbst vielleicht vermuten lässt.

Ein viertes Problem bei dem Arzt-Patient-Modell liegt darin, dass der Patient selbst bei einer validen Diagnose und Verschreibung vielleicht nicht in der Lage ist, die empfohlenen Änderungen durchzuführen. Was im Kontext einer Organisation wohl das häufigste Problem ist. Nicht selten liegt es für den von außen kommenden Berater auf der Hand, was zu tun ist, aber die Kultur des Unternehmens, seine Struktur oder seine Politik verhindern eine Umsetzung der Empfehlungen. Vielfach entgehen dem Berater diese kulturellen und politischen Strömungen, bis seine Empfehlungen zurückgewiesen oder unterlaufen werden. Doch dann kann es für eine echte Hilfe bereits zu spät zu sein.

Anders ausgedrückt, das Maß, in dem das Arzt-Patient-Modell funktioniert, hängt von folgenden Faktoren ab:

1. Inwieweit hat der Klient genau definiert, welche Person, Gruppe oder Abteilung tatsächlich krank oder therapiebedürftig ist.

2. Inwieweit ist der Patient motiviert, genaue Auskünfte zu geben.

3. Inwieweit akzeptiert der Patient die Diagnose, zu der der Arzt gelangt, und die von ihm empfohlene Verschreibung.

4. Inwieweit werden die Konsequenzen der Diagnoseschritte genau verstanden und akzeptiert.

5. Inwieweit ist der Patient zu den empfohlenen Änderungen fähig.

Die Prozessberatungsalternative

Der Prozessberatungsmodus dagegen konzentriert sich nicht ausschließlich auf eine gemeinsame Diagnose, sondern sieht einen weiteren Schwerpunkt in der Weitergabe der Diagnose- und Problemlösungskompetenz des Beraters an den Klienten. Möglicherweise erkennt der Berater bereits sehr früh im Verlauf seiner Arbeit das eine oder andere Problem in der Organisation und wie es gelöst werden könnte. Aber er wird aus zwei Gründen diese Erkenntnisse vorerst für sich behalten: (1) Er könnte sich irren. Falls er vorschnell zu einer falschen Diagnose gelangt, kann er in den Augen seines Klienten an Glaubwürdigkeit verlieren und ihrer gemeinsamen Beziehung schaden. (2) Ihm ist klar, dass selbst wenn er recht hat, der Klient mit Abwehr reagieren kann und vielleicht nicht zuhören oder das Gehörte abstreiten oder missverstehen will, was eine Therapie behindern würde.

Eine wesentliche Grundannahme der Prozessberatung ist, dass der Klient lernen muss, das Problem selbst zu erkennen, indem er an dem Diagnoseprozess teilhat, und dass er sich bei der Entwicklung einer Behandlungsstrategie aktiv beteiligt. Der Klient muss involviert werden, da der Diagnoseprozess selbst bereits eine Intervention darstellt und der Klient letztendlich für jede Intervention die Verantwortung zu übernehmen hat. Werden Tests oder Umfragen durchgeführt, muss der Klient die Gründe dafür verstehen und die Verantwortung für die Entscheidung, diese Erhebungen durchzuführen, übernehmen. Der Klient muss einem eventuell argwöhnischen Untergebenen erklären können, warum dies gemacht wird und warum ein Berater in das Unternehmen geholt wurde, wenn die beschriebenen Probleme nicht auftreten sollen.

Dem Berater mag eine Schlüsselrolle zukommen, was die Ausarbeitung der Diagnose angeht, und er wird vielleicht dem Klienten Vorschläge zur Behebung der Probleme unterbreiten, auf die dieser nicht von selbst gekommen wäre, doch er beschränkt sich darauf, dem Klienten bei der endgültigen Entscheidung über die diagnostischen und therapeutischen Mittel lediglich den Rücken zu stärken. Dies geschieht wiederum aus der Überlegung heraus, dass die alten Probleme wohl gründlicher behoben und eventuelle neue Probleme vom Klienten selbst gelöst werden können, wenn dieser selbst lernt, die diagnostischen und therapeutischen Mittel einzusetzen.

Des Weiteren gilt es festzuhalten, dass der Berater nicht unbedingt ein Experte sein muss, was die Lösung der zu entdeckenden Probleme betrifft. Ein ausschlaggebender Punkt bei der Entscheidung für den Prozessberatungsmodus ist, dass eine entsprechende inhaltliche Kompetenz weniger relevant ist als die Fähigkeit, den Klienten bei der Diagnose seiner eigenen Probleme zu beteiligen und ihm dabei zu helfen, eine seiner spezifischen Situation und seinen Bedürfnissen entsprechende Lösung zu finden. Der Berater braucht das Expertenwissen. Nur so kann er Hilfe geben und eine Beziehung mit den Klienten aufbauen, die Hilfe erst ermöglicht und gemeinsame Wirklichkeit entstehen lässt, ohne die eine Kommunikation unmöglich ist. Der in diesem Modus arbeitende Organisationsberater muss kein Experte sein, was Marketing, Finanzen oder Unternehmensstrategien anbelangt. Treten in diesen Bereichen Probleme zu Tage, kann der Berater dem Klienten bei der Suche nach einem entsprechenden Fachmann helfen und – was wichtiger ist – ihn dabei unterstützen, eine Strategie zu entwickeln, wie er sicher gehen kann, von diesen Fachleuten die gewünschte Hilfe zu erhalten.

Das Arzt-Patient-Modell wird, wie das Telling-and-selling-Modell, in unserem Alltag ständig angewendet. Bittet mein Kind mich, ihm bei seiner Rechenaufgabe zu helfen, fühle ich mich versucht, umgehend nach einem Fehler zu suchen und diesen zu beheben. Erkundigt sich mein Freund nach einem Film, gebe ich ihm aufgrund meiner Annahmen, was ihm gefallen könnte, sofort einen Ratschlag. Bittet eine Studentin mich um Literaturvorschläge, die ihr bei ihrem Forschungsproblem weiterhelfen könnten, glaube ich sofort zu wissen, welche Art von Informationen sie benötigt und schlage ihre mehrere Bücher und Artikel vor. Wenn meine Frau mich fragt, was sie zu der Party tragen soll, bin ich überzeugt, über ihr Problem Bescheid zu wissen, und erteile ihr entsprechende Ratschläge. Die Versuchung, die Macht anzunehmen, die einem das Gegenüber durch die Bitte um einen Rat anbietet, ist überwältigend. Es bedarf in einem solchen Augenblick einer außerordentlichen Disziplin, um einen Augenblick innezuhalten und darüber zu reflektieren, was tatsächlich vor sich geht (sich mit der Realität auseinander zu setzen) und eine Frage zu stellen, die einen weiterbringt oder den anderen ermutigt, mehr zu erzählen, bevor man die Arztrolle übernimmt (die eigene Unwissenheit einzugestehen).

Damit der Berater helfen kann, müssen beide, der Berater wie sein Gegenüber, beachten, dass das zu lösende Problem klar definiert ist und sie eine Kommunikationsebene geschaffen haben, auf der sie sich verstehen, damit sie dieses Problem gemeinsam und effektiv lösen können. Letztendlich ist es gerade das Ziel der Prozessberatung, solche Kommunikationsebenen zu schaffen, um eine gemeinsame Diagnose und eine gemeinsame Problemlösung zu ermöglichen.

Die Tatsache, dass die Art und Weise, wie wir bei der Diagnose vorgehen, für das Klientensystem entscheidende Konsequenzen hat, lenkt den Blick auf ein viertes übergreifendes Prinzip. Wir müssen uns klar werden, dass das, was der Berater tut, stets eine Intervention ist. So etwas wie eine Diagnose an sich gibt es nicht. Die übliche Beschreibung einer Diagnosephase, an deren Anschluss Empfehlungen ausgesprochen werden, die sich in vielen Beratungsmodellen findet, ignoriert vollkommen die Wirklichkeit, dass der Interventionsprozess mit der Kontaktaufnahme mit dem Klientensystem beginnt. Unsere Vorgehensweise bei der Diagnose muss also aus dem Blickwinkel betrachtet werden, welche Konsequenzen unsere diagnostischen Interventionen haben und ob wir bereit sind, mit diesen zu leben.

VIERTES PRINZIP

Alles, was du tust, ist eine Intervention.

So wie jede Interaktion diagnostische Informationen liefert, so birgt jede Interaktion Konsequenzen für den Klienten und für mich. Daher muss ich für alles, was ich tue, Verantwortung übernehmen und die Konsequenzen durchdenken, um sicherzugehen, dass sie meinem Ziel dienen, eine helfende Beziehung aufzubauen.

3. Modell: Das Prozessberatungsmodell

Ich will nun die Hauptthesen der – wie ich sie nenne – Prozessberatungstheorie oder des Prozessberatungsmodells zusammenfassen. Die folgenden Annahmen werden nicht immer standhalten. Doch wenn sie standhalten, wenn die Wirklichkeit für unser Gefühl am besten durch diese Annahmen beschrieben wird, dann muss die Hilfesituation im Prozessberatungsmodus angegangen werden.

Klienten, ob es sich nun dabei um Manager, Freunde, Kollegen, Studenten, Ehegatten oder Kinder handelt, sind sich oft nicht über das eigentliche Problem im Klaren. Doch nur ihnen »gehört« das Problem.

Klienten wissen oft nicht, in welcher Form Berater Hilfe anbieten. Man muss ihnen auf der Suche nach der für sie geeigneten Hilfe helfen. Klienten sind keine Experten in der Theorie und Praxis des Helfens.

Die meisten Klienten besitzen ein konstruktives Interesse, ihre Situation zu verbessern, doch sie brauchen Hilfe, um festlegen zu können, was verbessert und wie es verbessert werden soll.

Die meisten Organisationen könnten weitaus effektiver sein, wenn die Manager und Angestellten lernen, wie sie ihre eigenen Stärken und Schwächen diagnostizieren und mit ihnen umgehen können. Keine Organisationsform ist vollkommen. Also hat jede Organisation die eine oder andere Schwäche, für die es eine Kompensation zu finden gilt.

Nur die Klienten wissen, was letztendlich in ihrer Organisation funktioniert. Berater können unmöglich ohne erschöpfende und zeitraubende Untersuchungen oder Präsenz in der Klientenorganisation genug über ihre Kultur lernen, um einen Katalog erfolgversprechender neuer Maßnahmen vorzuschlagen. Daher müssen solche Empfehlungen, falls sie nicht gemeinsam mit den Mitgliedern der Organisation erarbeitet werden, die wissen, was in ihrer Kultur Erfolg verspricht, notgedrungen falsch sein oder auf Ablehnung stoßen, da sie von einem Außenseiter kommen.

Solange die Klienten nicht lernen, die Probleme selbst zu erkennen und an den Lösungen dafür zu arbeiten, ist es nicht wahrscheinlich, dass sie die Lösung umsetzen und lernen, solche Probleme in Zukunft selbst zu beheben. Der Prozessberatungsmodus bietet Alternativen, aber die Entscheidung über diese Alternativen gehört nicht in die Hände des Beraters, sondern in die Hände des Klienten, um dessen Problem es sich handelt.

Letztendlich geht es bei der Prozessberatung darum, den Klienten das Diagnose- und Interventions-Know-how zu vermitteln, damit diese befähigt werden, die Organisation selbst sukzessive zu verbessern. In einem gewissen Sinne sind sowohl das Experten- wie das Arztmodell therapeutische Modelle, wogegen das Prozessberatungsmodell sowohl therapeutisch als auch präventiv arbeitet. Das Sprichwort »Statt den Menschen Fische zu geben, sollte man ihnen das Fischen beibringen« bringt diesen Ansatz ziemlich genau auf den Punkt.

An dieser Stelle unterscheiden sich die Modelle ganz klar insofern von einander, als das Experten- und das Arztmodell sich mit dem Single-loop- oder adaptiven Lernen vergleichen lassen, wogegen Prozessberatung den Klienten in Double-loop- oder generatives Lernen verwickelt. Ein Ziel der Prozessberatung ist es, die Klienten das Lernen zu lehren. Im Experten- und Arztmodell wird das Problem behoben; Ziel des Prozessberatungsmodells ist es, die Lernfähigkeit des Klientensystems zu erhöhen, damit es zukünftige Probleme selbst lösen kann.3

Der Prozess des Helfens sollte stets im Prozessberatungsmodus beginnen, da wir, solange wir uns nicht erkundigt haben und uns im Zustand der Ignoranz befinden, tatsächlich nicht wissen, ob die obigen Annahmen standhalten oder ob es sicher oder wünschenswert wäre, in den Experten- oder Arztmodus zu wechseln. Sobald wir mit dem Sammeln von Informationen angefangen haben, werden wir feststellen, dass es für die Entscheidung, ob es besser ist, in der Prozessberatungsrolle zu bleiben oder in einen anderen Modus zu wechseln, hilfreich ist, das Problem des Klienten auf seine Eigenschaften hin abzuklopfen.4 Sind sowohl Definition wie Lösung des Problems klar, ist das Expertenmodell angemessen. Ist die Problemdefinition klar, aber nicht die Lösung, muss der Arzt mit dem Patienten arbeiten, um die richtige adaptive Reaktion zu entwickeln, die auf das technische Know-how des Patienten zurückgreift. Sind weder Problem noch Lösung klar, muss der Helfer sich zu Beginn auf die Prozessberatung stützen, bis offenkundig wird, was genau vorgeht, welche Hilfe benötigt wird und wie sie am besten zu bekommen ist. Die Entscheidung, ob ein technischer Eingriff oder eine adaptive Reaktion vonnöten ist, hängt dann davon ab, in welchem Ausmaß der Klient oder Ratsuchende seine Einstellungen, Werte und Gewohnheiten zu ändern hat.

Definition der Prozessberatung

Mit diesen Überlegungen im Hinterkopf können wir Prozessberatung definieren:

Prozessberatung ist der Aufbau einer Beziehung mit dem Klienten, die es diesem erlaubt, die in seinem internen und externen Umfeld auftretenden Prozessereignisse wahrzunehmen, zu verstehen und darauf zu reagieren, um die Situation, so wie er sie definiert, zu verbessern.

Prozessberatung konzentriert sich zu Beginn auf den Aufbau einer Beziehung, die es Klienten und Berater erlaubt, sich mit der Wirklichkeit auseinander zu setzen, die Wissenslücken des Beraters füllt und das Vorgehen des Beraters klar als Intervention einstuft. Dabei steht stets die Einsicht der Klienten in die Prozesse im Vordergrund, die um sie herum, in ihnen und zwischen ihnen und anderen ablaufen. Auf der Grundlage solcher Einsichten lernen die Klienten dann durch die Prozessberatung, Strategien für diese Situation zu entwickeln. Kern dieses Modells bleibt dabei die Philosophie, den Klienten vor allem dabei zu helfen, die Initiative zu behalten, womit sowohl die Initiative bei der Diagnose wie bei der Therapie gemeint ist, denn die identifizierten Probleme sind und bleiben die Probleme der Klienten, und nur sie wissen, wie komplex die Situation wirklich ist und welche Maßnahmen in ihrer Kultur wirklich Erfolg versprechen. Das kann als fünftes übergreifendes Prinzip festgehalten werden.

FÜNFTES PRINZIP

Das Problem und seine Lösung gehören dem Klienten.

Meine Aufgabe ist es, eine Beziehung aufzubauen, in der der Klient Hilfe findet. Es ist nicht meine Aufgabe, mir die Probleme des Klienten selbst aufzuladen, noch ist es meine Aufgabe, Rat und Lösungen für Situationen anzubieten, die ich nicht selbst durchlebe. Fakt ist, dass nur der Klient mit den Folgen des Problems und der Lösung leben muss, ich ihm also nicht die Verantwortung dafür abnehmen kann.

Die Ereignisse, die es zu beobachten, über die es Nachforschungen anzustellen und aus denen es Erkenntnisse zu ziehen gilt, findet man im normalen Arbeitsablauf, der Durchführung der Meetings, in offiziellen und inoffiziellen Begegnungen zwischen den Organisationsmitgliedern und den formaleren Organisationsstrukturen. Von besonderem Interesse dabei ist, was der Klient selbst tut und welche Auswirkungen dies auf die anderen in der Organisation hat sowie auf den Berater. Wie Berater und Therapeuten in anderen Gebieten nachwiesen, ist die Interaktion zwischen Klient und Berater sowie die Gefühle, die diese Interaktionen in beiden beteiligten Parteien hervorrufen, eine der wichtigsten Erkenntnisquellen.5

Diesem Modell implizit ist weiter die Annahme, dass alle Organisationsprobleme im Grunde von zwischenmenschlichen Interaktionen und Prozessen geprägt sind. Unabhängig davon, welche technischen, finanziellen oder anderen Dinge eine Rolle spielen mögen, es sind stets Menschen an der Entwicklung und Umsetzung dieser technischen Prozesse beteiligt, und es sind stets Menschen, die auf die Idee kommen, technische Lösungen könnten weiterhelfen. Eine gründliche Kenntnis menschlicher Prozesse und die Fähigkeit, an diesen Prozessen zu arbeiten, sind daher unverzichtbar, um Organisationsprozesse zu verbessern. Solange Organisationen Netzwerke sind, die aus an gemeinsamen Zielen arbeitenden Menschen bestehen, werden zwischen diesen Menschen die verschiedensten Prozesse ablaufen. Je mehr wir also über die Diagnose und die Optimierung solcher Prozesse wissen, desto größer werden unsere Chancen, Lösungen für die eher technischen Probleme zu finden und zu gewährleisten, dass diese Lösungen auch akzeptiert und von den Mitgliedern der Organisation verwendet werden.

Zusammenfassung, Implikationen und Schlussfolgerung

Das Konzept der Prozessberatung lässt sich nur schwer einfach und klar beschreiben. Es ist eher eine Philosophie oder eine Reihe unterschwelliger Annahmen über den Prozess des Helfens, die den Berater veranlassen, eine bestimmte Haltung gegenüber seiner Beziehung zum Klienten einzunehmen. Prozessberatung lässt sich am ehesten verstehen, wenn man sie als einen Operationsmodus sieht, den der Berater in jeder gegebenen Situation wählen kann. Vor allem zu Beginn der Begegnung ist dieser Operationsmodus erforderlich, da sich durch diesen Modus am ehesten erschließen lässt, was der Klient wirklich wünscht und welche Art von Helfer tatsächlich von Nutzen ist. Stellt sich heraus, dass es dem Klienten um einfache Information oder einen Rat geht, und der Berater zufrieden ist, dies anbieten zu können, kann er ohne Gefahr in die Experten- oder Arztrolle schlüpfen. Wählt der Berater eine dieser Rollen, muss er sich jedoch über die zugrundeliegenden Annahmen und die Folgen im Klaren sein, die es mit sich bringt, den Klienten dazu zu ermutigen, sich vom Berater abhängig zu machen. Des Weiteren sollte er darauf achten, das Problem des Klienten nicht zu seinem eigenen zu machen.

Auf einem Gebiet jedoch sollte der Berater Experte sein: Er sollte stets genau wissen, was im Augenblick vor sich geht und welcher Modus für die jeweilige Situation angemessen ist und den Aufbau einer helfenden Beziehung voranbringt. Keines dieser Modelle wird die ganze Zeit über verwendet. Aber der Berater muss sich stets auf eines beschränken. Der erfahrene Berater wird feststellen, dass er die Rollen häufig wechselt, wenn er merkt, dass sich die Dynamik ändert. Daher sollten wir Konzepte wie »der Prozessberater« vermeiden und »Prozessberatung« eher als einen dynamischen Prozess des Helfens sehen, den alle Berater, ja alle Menschen, in bestimmten Zeiten als angebracht empfinden.

Obwohl die Bedeutung von Prozessberatung in den Organisationen von heute ständig zunimmt, sollte man keineswegs vergessen, dass das Modell sich auch auf unsere alltäglichen Beziehungen zu Freunden, Ehegatten, Kindern und anderen übertragen lässt, die uns ab und zu um Hilfe bitten. Letztlich wird hier eine Philosophie und Methodik des Prozesses des Helfens beschrieben sowie versucht, dessen Bedeutung für die Organisationsentwicklung und das Lernen aufzuzeigen. Ein zentraler Bestandteil dieser Philosophie ist ein Regelsatz aus zehn Prinzipien, von denen bereits fünf identifiziert und diskutiert wurden:

1. Versuche stets zu helfen.

2. Verliere nie den Bezug zu der aktuellen Realität.

3. Setze dein Nichtwissen ein.

4. Alles, was du tust, ist eine Intervention.

5. Das Problem und seine Lösung gehören dem Klienten.

Arbeitet der Berater beständig nach diesen Prinzipien, ergibt es sich auf natürliche Weise, wann er Informationen liefert, die Arztrolle übernimmt oder in der Rolle des Prozessberaters bleibt. Allerdings ist es nicht einfach, das eigene Nichtwissen einzusetzen und sich mit der Realität auseinander zu setzen. Dabei handelt es sich um Fertigkeiten, die man einüben muss und für die konzeptionelle Modelle und auf Erfahrung basierende Einsichten unabdingbar sind. In den restlichen Kapiteln konzentriere ich mich besonders auf einige vereinfachende konzeptionelle Modelle, die den Berater/Helfer dabei unterstützen, mit den verschiedenen Facetten der Wirklichkeit umzugehen, auf die er trifft.

Fallbeispiele und Übung

Fallbeispiele werden das ganze Buch hindurch auf verschiedene Weise eingesetzt. Wo konkrete Beispiele benötigt werden, werden Illustrationen und auch längere Fallbeispiele direkt in den Text eingefügt. An anderen Stellen wiederum finden sich diese Beispiele am Kapitelende, um dem praxisorientierteren Leser eine Gelegenheit zu geben, sich ausführlicher mit den Fällen zu beschäftigen. Falls keine Unklarheiten mehr vorhanden sind, müssen diese Fallbeispiele nicht durchgearbeitet werden.

Fallbeispiel 1.1

Jahrestreffen der International Oil (Planung und Teilnahme)

Dieses Fallbeispiel soll aufzeigen, welche taktischen Feinheiten das Verbleiben im Prozessberatungsmodus mit sich bringt, und gleichzeitig den Kontrast zwischen den einzelnen Modi verdeutlichen. Dem Leser wird nicht entgehen, dass dieser Fall beschreibt, was genau mit »Prozess« gemeint ist – es ging bei den Interventionen fast ausschließlich darum, wie gearbeitet wurde, statt um die Inhalte, mit denen die Gruppe sich beschäftigte.

Bei dem Unternehmen handelt es sich um einen großen multinationalen Ölund Chemiekonzern, dessen Hauptquartier sich in Europa befindet. Ich kannte einige Mitglieder in der Managemententwicklungsgruppe des Unternehmens und hatte vor Jahren in einem MIT-Kurs für Führungskräfte einen ihrer leitenden Manager, Steven Sprague, getroffen. Dass man mich ins Unternehmen holte, entsprang dem Wunsch einiger leitender Manager, die Kultur ihres Unternehmens genauer daraufhin unter die Lupe zu nehmen, ob sie den strategischen Gegebenheiten des nächsten Jahrzehnts Genüge tun würde. Einigen Mitgliedern der Managemententwicklungsgruppe war bekannt, dass ich vor kurzem einige Artikel und ein Buch über Organisationskultur veröffentlicht hatte.

Ich erhielt einen Anruf von einem Mitarbeiter des Stabs, der gerade mit anderen das jährlich stattfindende Treffen der 40 hochrangigsten Manager des Unternehmens plante. Der Vorschlag lautete, ich solle zwei Tage an diesem Treffen teilnehmen, die internen Diskussionen verfolgen und anschließend einen Vortrag über Unternehmenskultur halten, in den ich Beispiele aus ihrer eigenen Diskussion einflechten sollte, um ihnen Feedback zu ihrer eigenen Unternehmenskultur zu geben. Bei Veranstaltungsbeginn und -ende sollte ich nicht aktiv werden, das Ganze war also anfangs geplant als eine am zweiten Tag der Veranstaltung stattfindende weiterbildende Intervention. Obwohl es nach außen hin hieß, bei dieser weiterbildenden Intervention solle den Direktoren nur aufbereitetes Material präsentiert werden, ging es insgeheim auch darum, sie dazu zu bringen, sich realistischer mit ihrer eigenen Kultur und den damit verbundenen Konsequenzen auseinander zu setzen.

Mich interessierte dieses Unternehmen, außerdem wollte ich mehr über verschiedene Unternehmenskulturen lernen, die Abmachung erschien mir daher ideal. Ich erklärte mich mit den Vereinbarungen einverstanden und erfuhr dann, ich würde von Steven Sprague Näheres über das Meeting erfahren. Dieser war Vizepräsident geworden und unterstand direkt dem Chairman6 des Unternehmens. Wir vereinbarten für seine nächste Reise in die USA ein Treffen in New York. Sprague stimmte zu, ab diesem Zeitpunkt meine Spesen zu begleichen und mich nach meinen üblichen Stundensätzen zu bezahlen.

Bei dem Treffen sprach Sprague ausführlich über die strategische Situation, in der sich das Unternehmen befand, und meinte, es sei von entscheidender Bedeutung, bei diesem Jahrestreffen einen Blick darauf zu werfen, ob der Kurs, den das Unternehmen eingeschlagen habe, noch Sinn mache oder ob er schneller verfolgt oder Geschwindigkeit weggenommen werden sollte; und wie die Gruppe der Topmanager auf die Entscheidung, egal wie diese ausfalle, eingeschworen werden konnte. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich auch, dass die Planung des gesamten dreitägigen Treffens Sprague unterstellt war und dass er mich nicht nur kurz unterrichten, sondern das gesamte Design mit mir durchgehen wollte.

Bei dem ursprünglichen Anruf war es darum gegangen, dass ich einen Vortrag über Unternehmenskultur halten sollte, doch nun bat Sprague mich, als Experte bei der Planung des Jahrestreffens zu helfen, und erklärte sich zu meinem primären Klienten. Ich sah, wie ich die Rolle des Prozessberaters gegen die des Planungsexperten eintauschte, da wir die Planung des Meetings besprachen, ein Thema, über das ich offensichtlich mehr wusste als er. Diese Veränderung in meiner Rolle war uns beiden klar und wir machten sie explizit.

Wir klopften die einzelnen Elemente des Meetings hinsichtlich der von Sprague angesprochenen Ziele ab und die Idee tauchte auf, es könne weiterhelfen, wenn ich während des gesamten Meetings als Prozessberater anwesend wäre. Da mein Terminkalender dies zuließ, entschied Sprague mit meinem Einverständnis, ich solle während des gesamten Treffens verschiedene Rollen übernehmen. Ganz zu Beginn des Meetings sollte ich mich kurz zu Kultur und Strategie äußern und meine Rolle erläutern. Diese Rolle sah vor, dass ich zu beobachten versuchen sollte, wie sich diese Themen im Verlauf des Meetings zu einander verhalten. Am zweiten Tag sollte ich meinen Vortrag über Unternehmenskultur halten und, ein entscheidender Punkt, die Sitzungen am dritten Tag leiten, also an dem Tag, an dem die Gruppen ihren Konsens hinsichtlich zukünftiger Strategieoptionen umreißen wollten.

Bei diesen Konsensbereichen sollte es um Unternehmensstrategien gehen, doch es wäre für mich einfacher als für einen Insider, diesen Konsens zu überprüfen. Außerdem konnte der Chairman so eine beratende Funktion einnehmen. Daher erschien es uns beiden zweckmäßig, dass ich die Rolle des Konsensüberprüfers übernahm. Zudem war ich der Meinung, Sprague kenne den Chairman gut genug, um beurteilen zu können, ob er es für akzeptabel hielt, dass ein Außenseiter eine solche Rolle annimmt. Nach Spragues Verhalten während des Gesprächs zu urteilen, war er mit den Themen vertraut und kannte das Unternehmensklima gut. Ohnehin bot sich nicht mehr die Gelegenheit, den Chairman zu sprechen, ich musste diese Rolle also annehmen.

Meine Teilnahme an diesen drei Tagen entwickelte sich wie geplant. Der Chairman fand es von Vorteil, auf jemand von außen Kommenden zurückgreifen zu können. Er hatte so das Gefühl, sich stärker auf den Inhalt konzentrieren zu können, auf die strategischen Probleme, mit denen sich die Gruppe herumschlug. Es erlaubte ihm ein Ausmaß an Freiheit, das er so nicht kannte, da er in den Meetings bisher immer sowohl den Berater als auch den Chairman gespielt hatte. Er erklärte den anderen leitenden Managern meine Rolle und übernahm die Verantwortung für die Entscheidung, mich in diesen verschiedenen Rollen dabeizuhaben.

Meine aktiven Interventionen konzentrierten sich vor allem auf den Aufgabenprozess. Zum Beispiel versuchte ich gelegentlich einen Punkt zu verdeutlichen, indem ich wiederholte, was ich gehört zu haben glaubte, klärende Fragen stellte, Ziele wiederholte, den Konsens überprüfte, wenn man sich auf Übereinkünfte geeinigt zu haben schien, und die Bereiche protokollierte, in denen bereits Konsens erreicht worden war, um mich darauf in meiner Input-Sitzung zu beziehen. Als der Zeitpunkt für mein Feedback zur Unternehmenskultur gekommen war, beschränkte ich mich einleitend auf einige Definitionen und Beschreibungen der Unternehmenskultur als einer Sammlung von Grundannahmen, bat dann jedoch die Gruppe um Erläuterungen. Einige der Anwesenden wollten genauer wissen, wie ich ihre Unternehmenskultur empfände und bewerte, aber nach meinen bisherigen Erfahrungen war es besser, hier vage zu bleiben, denn selbst wenn ich mit einer technisch unangreifbaren Antwort hätte aufwarten können, hätte dies zu Abwehr und Verleugnung führen können. Ich hörte nicht auf zu betonen, nur Insider könnten die entscheidenden Grundannahmen des Unternehmens wirklich verstehen, und forderte die Gruppe auf, mir dabei weiterzuhelfen.

Am letzten Tag überprüfte ich offiziell den Konsens. Dazu strukturierte ich die diskutierten Themen und lud die Gruppe ein, ihre Ergebnisse vorzutragen, die ich dann auf Flipcharts schrieb, damit sie für alle deutlich sichtbar wurden. Da ich dabei ganz direkt vorging, konnte der Chairman seine eigenen Schlussfolgerungen freier äußern, ohne auf sein Recht zurückgreifen zu müssen, gegensätzliche Meinungen zu überstimmen. Da ich die drei Tage zugehört hatte, konnte ich viele Themen auf den Punkt bringen. Und ich zwang die Gruppe, Farbe zu bekennen, wenn ich den Eindruck hatte, die Mitglieder flüchteten sich in vage Aussagen. In dieser Rolle handelte ich teils als Prozessberater und teils als Managementexperte, indem ich manchmal die erreichten Ergebnisse kommentierte.

Zum Beispiel war die Rede von einer Dezentralisierung in einzelne Geschäftseinheiten, was jedoch die Machtposition der bereits aufgebauten Geschäftseinheiten verringern würde. Die Hauptquartiere der Geschäftseinheiten befanden sich alle in der Heimatstadt, d.h. in Wirklichkeit wurde im selben Maße zentralisiert wie dezentralisiert. Ich stellte die Folgen heraus, die sich daraus für eine Reihe anderer Vorgehensweisen ergeben würden, wie den Transfer von Angestellten über Abteilungs- oder geographische Grenzen hinweg.

Der Ausklang des Meetings war sehr positiv, und man beschloss, in einigen Monaten die Ergebnisse zu überprüfen. Als ich mich dazu mit Sprague traf, erfuhr ich, dass sowohl seiner Meinung wie der des Chairmans nach alles wie erwartet gelaufen war. Sie fanden beide, es habe, was Inhalt wie Ablauf angeht, sehr geholfen, mich als Outsider hereinzuholen, auf den man nach Bedarf zurückgreifen konnte.

Merke: Der Berater muss bereit sein, in dem der Wirklichkeit des entsprechenden Augenblicks angemessenen Modus zu arbeiten. Der Beginn jeder Kontaktaufnahme zu einem Klienten hat im Prozessmodus stattzufinden. Nur so kann der Berater die Wirklichkeit des Klienten erkunden und herausfinden, womit genau er ihm am gezieltesten beim Umgang mit dieser Wirklichkeit helfen kann. Entsprechend der Entwicklung der Beziehung und der Veränderung des Klientensystems treten neue Rollen in den Vordergrund. Diagnose und Intervention sind nicht voneinander zu trennen.

Fallbeispiel 1.2

Verschobener Aufbau eines Teams bei Ellison Manufacturing

Dieser Fall soll verschiedene Elemente der Prozessberatung verdeutlichen. Ich will mich nicht weiter darauf einlassen, wie ich in die folgende Situation geriet, sondern möchte hervorheben, was es bedeutet, gemeinsam Verantwortung für den Prozess zu übernehmen; dem Klienten die Verantwortung für sein Problem zu überlassen; dass selbst unsere unschuldigsten Nachfragen Interventionen sind, die unbekannte Konsequenzen nach sich ziehen können; und wie wichtig es ist, sein Nichtwissen einzusetzen und sich mit der Wirklichkeit auseinander zu setzen.

Seit ein paar Monaten bereits hatten zwischen dem Manager einer am Ort ansässigen Fabrik und mir Beratungsgespräche stattgefunden. Er suchte nach einer Strategie, wie er mehr Vertrauen unter seinen Managern untereinander sowie den Arbeitern und der Führung aufbauen konnte. Nach mehreren dieser monatlichen Sitzungen kam er zu dem Schluss, der logische nächste Schritt sei, sein gehobenes Management (seine unmittelbaren Untergebenen) zu einer zweitägigen Klausur einzuladen, um aus ihnen ein Team zu schmieden. Er vereinbarte ein Arbeitsessen mit mir und seinem Mann für die Organisationsentwicklung, um das zweitägige Meeting zu planen und festzulegen, wie mein Part bei dem Meeting beschaffen sein sollte.

Als wir uns zu Tisch gesetzt hatten, erklärte ich, ich bräuchte noch mehr Informationen über die Vorgaben und Teilnehmer dieses Treffens. Ich fragte: »Wer sind denn die Teilnehmer an dem Treffen und was ist ihre Rolle?« (Diese Frage macht deutlich, was ich darunter verstehe, sein Nichtwissen zu benutzen. Ich konnte zu der Planung nichts beitragen, wenn ich nicht wusste, wer bei dem Treffen in welcher Rolle dabei sein sollte.) Der Fabrikdirektor ging seine Liste mit seinen Untergebenen durch, aber als er zu dem dritten Namen kam, zögerte er. »Joe ist für die Finanzen zuständig, aber ich bin mir noch nicht sicher, ob er es drauf hat. Ich weiß noch nicht so recht, inwieweit er für seinen Job geeignet ist und ob ich ihn auf der Position lassen oder woanders hin setzen soll.« Darauf fragte ich nach, ob es noch andere Personen auf seiner Liste gebe, bei denen er Vorbehalte habe. Er meinte, da sei noch eine Person, die ihre Fähigkeiten noch nicht unter Beweis gestellt habe und vielleicht für das Team nicht in Frage komme. Ich wollte wissen, was seiner Ansicht nach wohl geschehen würde, wenn wir weitermachten und später einen oder beide feuerten. Er kam zu dem Schluss, das würde den Aufbau des Teams behindern und wäre auch gegenüber den beiden Leuten unfair, bei denen er sich nicht sicher war.

Nachdem wir Für und Wider dieser Klausur diskutiert hatten, entschloss er sich, sich zuerst über diese zwei fraglichen Personen klar zu werden und die Klausur bis dahin aufzuschieben. Wir alle atmeten auf, dass dieser Punkt bereits jetzt statt zu einem späteren Zeitpunkt aufgetaucht war.

Merke: Die wesentliche Information trat auf eine unschuldige Frage hin zu Tage. Der Prozess des Informationseinholens erlaubte es dem Fabrikmanager zu der Entscheidung zu gelangen, die Sitzung abzusagen, weil er selbst die einzelnen Themen noch einmal durchdachte. Für ihn war dieses Arbeitsessen eine der hilfreichsten Interventionen, obwohl wir den Aufbau des Teams für den gegenwärtigen Zeitpunkt abgeblasen hatten.

Fallbeispiel 1.3

Das unnötige Managementmeeting bei Global Electric

Die Auseinandersetzung mit der sich ständig verändernden aktuellen Wirklichkeit verlangt vom Berater häufig die Bereitschaft, eher weniger als mehr zu tun. Dieses Fallbeispiel illustriert, wie wenig sinnvoll es ist, sich als Anbieter von Dienstleistungen zu verstehen, unabhängig davon, was in dem Klientensystem abläuft.

Man trat an mich heran, an der jährlich stattfindenden Managementkonferenz eines großen Schweizer multinationalen Unternehmens teilzunehmen, um dem Präsidenten bei der Planung eines Managementführungsteams zu helfen. Die Abteilungen arbeiteten zu isoliert voneinander, und falls es uns gelänge, unter dem Vorwand der von mir angebotenen Weiterbildung regelmäßig eine kleine Gruppe zusammenzubringen, könnte diese Gruppe allmählich dazu bewegt werden, die Probleme des Unternehmens anzugehen.

Der Kontaktklient war der Direktor für Managemententwicklung und -training, der mich während einiger Meetings über die Situation des Unternehmens informierte. Man brauchte unbedingt einen Vorwand für die geplanten autonomen Meetings der Abteilungsleiter, hatte zugleich aber den Eindruck, diese Meetings würden ohne jemanden von außen, der sowohl als vorgeschobener Anlass für das Meeting – d.h. das geplante Seminar – diente als auch als Motor, nicht in Gang kommen. Eine Ausbildungsintervention war daher sinnvoll, auch wenn es in Wirklichkeit darum ging, ein stärker zur Zusammenarbeit bereites Managementteam aufzubauen.

Nachdem unsere Planung vorangeschritten und ein einige Monate entferntes Datum festgesetzt worden war, vereinbarten wir ein Treffen mit dem Präsidenten im Hauptquartier in Europa, um die Details des Projekts zu besprechen. Bei dem Meeting mit dem Präsidenten schälte sich ein etwas anders gelagertes Thema heraus. Er machte sich Sorgen darüber, dass zwei seiner Abteilungsmanager die ganze Zeit über miteinander im Clinch lagen und sich gegenseitig das Wasser abgruben. Der eine der beiden war zu dominant, der andere zu unterwürfig. Ihm ging es darum, die beiden in einer Gruppensituation zusammenzubringen, in der durch das Feedback der Gruppe ihre »Schwächen« korrigiert würden. Ich war etwas skeptisch hinsichtlich der Möglichkeiten einer Gruppe, dies zu erreichen. Doch er wollte die Sache langsam angehen. Wir kamen zu dem Schluss, dass ihnen ein Seminar über Karriereanker und unterschiedliche Managementstile, wie es in einem anderen schweizerisch-deutschen Unternehmen erfolgreich durchgeführt worden war, weiterhelfen würde (Schein 1985).

Zwei Monate vor dem Seminar rief mich der Kontaktklient an und erklärte, es tue ihm schrecklich leid, aber das Seminar sei abgesagt worden, die Gründe dafür werde er mir später erklären; ich solle ihnen die Zeit berechnen, die mir verloren gegangen sei; sie wüssten noch nicht, ob das Seminar später stattfinden werde. Was tatsächlich vorgefallen war, erfuhr ich später, als ich einen anderen Klienten besuchte, der die Leute dieses Schweizer Unternehmens gut kannte. Die Abenteuer dieses Unternehmens hatten in der Industrie für einigen Gesprächsstoff gesorgt.

Ich hörte, der Präsident, habe sich über den »schwächeren« Manager so aufgeregt, dass er ihn ersetzte. Und dadurch schienen sich die meisten Schwierigkeiten, wegen derer man das Seminar anberaumen wollte, aufgelöst zu haben. Außerdem erfuhr ich von meinem Kontaktklienten, dass mein langes Gespräch mit dem Präsidenten zu dieser Entscheidung beigetragen hatte. Er hatte seine ursprüngliche Entscheidung und die Gründe dafür noch einmal gründlich durchdacht. Meine Skepsis hinsichtlich der Möglichkeiten der Gruppe war ihm nicht entgangen und daher hatte er einen anderen Weg zur Behebung der Probleme eingeschlagen.

Merke: Zwar war der Beratungsprozess kurz und anscheinend beendet, bevor er überhaupt begonnen hatte, doch scheinen die Interventionen dem Präsidenten während unseres Gesprächs über die Weiterbildungsintervention die Augen geöffnet zu haben, so dass er eine andere Strategie zur Problemlösung für angemessener hielt. Der Berater kann nicht von einem Moment auf den anderen wissen, welche Interventionen dem Klienten entscheidend weiterhelfen, aber in diesem Fall war mein Fachwissen über Gruppen und meine Frage, ob eine Gruppe ein zwischenmenschliches Problem zwischen zwei gewichtigen Spielern lösen könne, offensichtlich ausschlaggebend.

Schlussfolgerung: Probleme bei der Definition der Beraterrolle

Diese Beispiele machen deutlich, wie schwierig es ist, die sich ständig verändernde Wirklichkeit in einer dynamischen Klientensituation zu definieren, und wie notwendig, entsprechend neuer Informationen die Rollen zu verändern. Nicht nur die Richtung, in die der Klient sich bewegt, ist schwer vorhersehbar, dazu kommt, dass mit jeder Intervention neue Daten auftauchen, die das Hilfekonzept in einem neuen Licht erscheinen lassen. Häufig muss der Berater in den Expertenmodus wechseln, doch gewärtig sein, jederzeit ohne viel Aufhebens in den Prozessberatermodus zurückzuwechseln.

Viele Beschreibungen des Beratungsprozesses betonen, wie notwendig es sei, gleich zu Beginn einen schriftlichen Vertrag aufzusetzen. In meiner Wirklichkeit sieht es so aus, dass das Wesen dieses Vertrages und der Klient, mit dem ich diesen Vertrag schließen soll, ständig im Wandel begriffen sind. Der Abschluss dieses Vertrags hat daher mehr mit einem fortwährenden Prozess gemeinsam als mit einer Aktion, die es vor Beginn der Beratung zu erledigen gilt.

Der Berater solle sich auch, so heißt es bei vielen Modellen, klar darüber sein, wer genau der Klient ist. Ich bin mir immer vollkommen klar darüber, wer, wenn ich angerufen oder besucht werde, der Kontaktklient ist, aber sobald ich mit der Arbeit begonnen und wir den nächsten Schritt definiert haben, beginnt sich die Klientengemeinde auf unvorhersehbare Weise zu vermehren.

Übung 1.1

Reflexion über das Helfen

Diese Übung soll Ihnen klarmachen, dass Sie in der Helferrolle möglicherweise verschiedene Rollen übernehmen müssen. Sie können die Schritte 1, 2 und 6 alleine durchführen (20 Minuten) oder, wenn Sie sich in einem Workshop befinden, alle sechs Schritte mit einem Partner durcharbeiten (1 Stunde).

Erinnern Sie sich an die letzten Tage. Benennen Sie zwei oder drei Vorfälle, bei denen Sie jemand um Hilfe oder um Rat bat.

Versuchen Sie sich das Gespräch ins Gedächtnis zu rufen und identifizieren Sie die Rolle, die Sie in Reaktion auf diese Bitte um Hilfe übernahmen. Was wollte der andere von Ihnen? Wie reagierten Sie darauf? Hätten Sie auch anders reagieren können? Lässt sich Ihre Reaktion eindeutig in eine der oben beschriebenen Beratungsmodi – Experte, Arzt, Prozessberatung – einordnen?

Wenn Sie sich in einem Workshop befinden, suchen Sie sich nun einen Partner und beschreiben Sie Ihre Fälle, um sich dann von Ihrem Partner berichten zu lassen, wie er Ihr Verhalten sieht.

Analysieren Sie die Reaktion Ihres Partners auf Ihre Geschichte unter dem Gesichtspunkt, welche Rolle er in der Reaktion auf Ihre Geschichte einnahm und wie Sie darauf reagierten.

Kehren Sie die Rollen um und reagieren Sie nun auf die Geschichte Ihres Partners und analysieren Sie dann Ihre Reaktion und welche Reaktionen diese bei Ihrem Partner auslöste.

Reflektieren Sie über die Rollen, die Sie spontan einzunehmen scheinen, wenn Sie um Hilfe gebeten werden, und hinterfragen Sie, ob diese Rollen im Rückblick auf die Situation angemessen erscheinen. Gibt es andere Rollen, die Sie erlernen sollten?

Prozessberatung für die Organisation der Zukunft

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