Читать книгу Tarzan – Band 4 – Tarzans Sohn - Edgar Rice Burroughs - Страница 10

Die kleine braune Meriem

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Der Haupt­mann Ar­mand Ja­cot von der Frem­den­le­gi­on saß auf sei­ner Sat­tel­de­cke, die er un­ter ei­ner küm­mer­li­chen Pal­me aus­ge­brei­tet hat­te. Mit sei­nen brei­ten Schul­tern und dem fast glat­tra­sier­ten Kop­fe hat­te er sich be­quem an den Stamm der Pal­me ge­lehnt, sei­ne lan­gen Bei­ne über die viel zu kur­ze De­cke hin­aus weit von sich ge­streckt, die Spo­ren im Sand­bo­den der klei­nen weltent­le­ge­nen Oase halb ver­gra­ben. Kein Wun­der, dass er es sich jetzt so ge­müt­lich wie mög­lich mach­te, denn er hat­te einen lan­gen an­stren­gen­den Ritt durch die Sand­wo­gen der Wüs­te hin­ter sich.

Be­däch­tig und mit sicht­li­chem Be­ha­gen rauch­te er sei­ne Zi­ga­ret­te; er er­war­te­te je­den Au­gen­blick sei­ne Or­don­nanz, die ihm jetzt die Abend­mahl­zeit fer­tig mach­te. Haupt­mann Ar­mand Ja­cot war heu­te mit sich selbst und der Welt sehr zu­frie­den. Ein we­nig rechts von ihm herrsch­te re­ges Le­ben und Trei­ben. Sei­ne Leu­te, lau­ter son­nen­ver­brann­te kamp­fer­prob­te Sol­da­ten, fühl­ten sich ein­mal frei von den oft drücken­den Fes­seln der stren­gen Dis­zi­plin, ihre mü­den Mus­keln ent­spann­ten sich, man lach­te, scherz­te und rauch­te, wäh­rend man sich nach zwölf­stün­di­gem Fas­ten auch end­lich wie­der ein­mal et­was für den hung­ri­gen Ma­gen zu­be­rei­ten konn­te. Dort hock­ten au­ßer­dem völ­lig schweig­sam und in sich ver­sun­ken fünf Ara­ber in wei­ßen Ge­wän­dern. Sie wa­ren stark ge­fes­selt und stän­dig un­ter schar­fer Be­wa­chung.

So oft Haupt­mann Ar­mand Ja­cot zu die­sen sei­nen Ge­fan­ge­nen hin­über­blick­te, über­kam ihn vor al­lem das woh­li­ge Ge­fühl voll er­füll­ter Pf­licht. Ei­nen gan­zen lan­gen Mo­nat hat­te er mit sei­nem klei­nen Trupp in furcht­ba­rer Glut und un­ter großen Ent­beh­run­gen die wei­ten öden Wüs­ten­flä­chen durch­streift, und end­lich war ih­nen nun die Räu­ber- und Mör­der­ban­de ins Garn ge­gan­gen. Un­zäh­li­ge Ka­me­le, Pfer­de und Zie­gen hat­te die Mar­o­deu­re auf dem Ge­wis­sen und oben­drein schänd­li­che Mord­ta­ten, die al­lein schon ge­nügt hät­ten, um über die gan­ze un­an­ge­neh­me Ge­sell­schaft den Stab zu bre­chen.

Vor ei­ner Wo­che war man ih­nen auf die Spur ge­kom­men. Wohl hat­te er im Kampf mit den Ban­di­ten zwei sei­ner Leu­te ver­lo­ren, aber die Stra­fe hat­te nicht lan­ge auf sich war­ten las­sen und die gan­ze Ge­sell­schaft na­he­zu auf­ge­rie­ben. Nur ein hal­b­es Dut­zend moch­te sei­nem rä­chen­den Arm ent­ron­nen sein, die an­de­ren – mit Aus­nah­me der fünf Ge­fan­ge­nen – hat­ten ihre Ta­ten mit dem Tode bü­ßen müs­sen. Da­für hat­ten die Le­gio­näre mit den klei­nen Stahl­ge­schos­sen im Ni­ckel­man­tel schon ge­sorgt. Und das Al­ler­bes­te: Der Rä­dels­füh­rer Achmet ben Hau­din war ge­fan­gen.

Von den Ge­fan­ge­nen schweif­ten die Ge­dan­ken des Haupt­manns Ja­cot in die Fer­ne. Er über­leg­te, über wie vie­le Mei­len der Ritt durch den Wüs­ten­sand noch ge­hen muss­te, bis er wie­der in dem klei­nen vor­ge­scho­be­nen Stand­ort an­lang­te. Mor­gen wür­de es so­weit sein, mor­gen wür­den ihm sei­ne Frau und das klei­ne Töch­ter­chen freu­de­strah­lend aus dem Hau­se ent­ge­gen­kom­men und ihn will­kom­men hei­ßen. In sei­ne Au­gen trat ein feuch­ter Schim­mer wie stets, wenn er an die Sei­nen dach­te; und er sah es jetzt so­gar schon ganz deut­lich, wie sich das schö­ne Ant­litz der Mut­ter in den noch kind­li­chen Zü­gen der klei­nen Jean­ne wi­der­spie­gel­te, und wie bei­de ihm strah­lend zu­lä­cheln wür­den, wenn er sich mor­gen spät am Nach­mit­tag von sei­nem mü­den Reit­pferd her­ab­schwän­ge. Er fühl­te schon die wei­chen zar­ten Wan­gen, die sich an die sei­nen schmie­gen wür­den, hier die Gat­tin und da die klei­ne Jean­ne – – wie Sam­met auf Le­der.

Plötz­lich wur­de er aus sei­nen Träu­men auf­ge­scheucht. Ein Pos­ten hat­te dem Un­ter­of­fi­zier et­was laut zu­ge­ru­fen. Haupt­mann Ja­cot blick­te hin­über. Die Son­ne war noch nicht un­ter­ge­gan­gen, aber die Schat­ten der paar Bäu­me dräng­ten sich gleich­sam schon in den Was­ser­tüm­pel der Oase hin­ein, wäh­rend die sei­ner Leu­te samt de­nen der Op­fer sich weit hin­aus über die jetzt gold­über­glänz­te Sand­flä­che dehn­ten. Der Pos­ten deu­te­te nach die­ser Rich­tung. Haupt­mann Ja­cot stand auf. Er war nicht der Mann da­nach, dass es ihm ge­nügt hät­te, mit den Au­gen an­de­rer zu se­hen. Er muss­te al­les sel­ber ge­se­hen ha­ben, ja für ge­wöhn­lich ent­deck­te er al­les, lan­ge be­vor die an­de­ren über­haupt merk­ten, dass et­was zu se­hen war. Die­se au­ßer­or­dent­li­che Fä­hig­keit hat­te ihm üb­ri­gens den Spitz­na­men der »Fal­ke« ein­ge­tra­gen. Jetzt sah er – weit, weit hin­aus über die lan­gen Schat­ten – etwa ein Dut­zend Pünkt­chen, die sich über den Sand­flä­chen ho­ben und senk­ten. Sie ver­schwan­den und tauch­ten wie­der auf, wur­den aber im­mer grö­ßer. Ja­cot er­fass­te so­fort, um was es sich da han­del­te: Rei­ter wa­ren das, rich­ti­ge Wüs­ten­rei­ter.

Schon kam ein Ser­geant zu Ja­cot her­bei­ge­eilt. Die Leu­te blick­ten alle an­ge­strengt nach dem fer­nen Ho­ri­zont. Ja­cot gab ein paar knap­pe Be­feh­le, der Ser­geant grüß­te, mach­te kehrt und ging rasch zu den Leu­ten zu­rück. So­gleich sat­tel­ten die zwölf Mann, die er be­stimmt hat­te, ihre Pfer­de, schwan­gen sich hin­auf und rit­ten den na­hen­den Fremd­lin­gen ent­ge­gen. Der Rest des Trupps mach­te sich fer­tig, um ge­ge­be­nen­falls so­fort in den Kampf ein­grei­fen zu kön­nen. Denn es war ja kei­nes­wegs aus­ge­schlos­sen, dass die Rei­ter, die in ra­sen­dem Tem­po auf das La­ger zu­hiel­ten, Freun­de der Ge­fan­ge­nen wa­ren und die ihre Bluts­ver­wand­ten durch einen plötz­li­chen An­griff be­frei­en woll­ten. Ja­cot be­zwei­fel­te dies in­des­sen, da die Fremd­lin­ge of­fen­bar gar nicht erst den Ver­such mach­ten, un­be­merkt her­an­zu­kom­men. Im Ge­gen­teil, sie rit­ten in vol­lem Ga­lopp und so, dass sie von je­dem deut­lich ge­se­hen wer­den konn­ten, un­mit­tel­bar auf das La­ger zu. Moch­te sein, dass trotz­dem oder ge­ra­de des­halb Ver­rat und Tücke hin­ter die­sem Her­an­na­hen in an­schei­nend freund­li­cher Ab­sicht lau­er­ten. Wer in­des­sen den »Fal­ken« rich­tig kann­te, wür­de sich nie der et­was fa­ta­len Hoff­nung hin­ge­ge­ben ha­ben, dass Ja­cot sich je in solch eine Fal­le lo­cken las­sen könn­te.

Der Ser­geant war mit sei­nen Rei­tern etwa zwei­hun­dert Me­ter vom La­ger ent­fernt, als er auf die Ara­ber stieß. Ja­cot konn­te deut­lich ver­fol­gen, wie er mit ei­nem großen Mann in weißem Ge­wan­de, of­fen­bar dem Füh­rer der Schar, ver­han­del­te. Bei­de rit­ten schließ­lich Sei­te an Sei­te auf den La­ger­platz zu, wo Ja­cot sie er­war­te­te. Sie zo­gen die Zü­gel straff und stie­gen vom Pfer­de.

Scheich Amor ben Kha­tur, mel­de­te der Ser­geant kurz und trat ab.

Haupt­mann Ja­cot blick­te dem An­kömm­ling scharf in die Au­gen. Ihm war so ziem­lich je­der ei­ni­ger­ma­ßen ein­fluss­rei­che Ara­ber im Um­kreis von ein paar hun­dert Mei­len be­kannt, doch den da hat­te er noch nie ge­se­hen. Es war ein statt­li­cher, wet­ter­ge­bräun­ter Mann mit fins­ter-mür­ri­schem Blick; er moch­te sech­zig Jah­re oder äl­ter sein. Sei­ne zu­sam­men­ge­knif­fe­nen Au­gen schie­nen nichts Gu­tes zu ver­hei­ßen; Haupt­mann Ja­cot hat­te we­nigs­tens so­fort die­sen Ein­druck.

Nun? frag­te er. Was ist los?

Der Ara­ber mach­te kei­ne lan­gen Um­schwei­fe. Achmet ben Hau­din ist der Sohn mei­ner Schwes­ter, be­gann er. Wenn Sie ihn mir her­aus­ge­ben, will ich ihn un­ter mei­ne Ob­hut neh­men und da­für sor­gen, dass er nie wie­der ge­gen die Ge­set­ze der Fran­ken ver­stößt.

Ja­cot schüt­tel­te den Kopf. Un­mög­lich, er­wi­der­te er. Ich muss ihn nach mei­nem Stand­ort schaf­fen. Ein be­son­de­res Zi­vil­ge­richt wird über die gan­ze Sa­che zu be­fin­den ha­ben. Ist er un­schul­dig, wird man ihn frei­las­sen. Und wenn er es nicht ist? un­ter­brach ihn der Ara­ber. Ihm wer­den al­ler­dings meh­re­re Mord­ta­ten zur Last ge­legt. Wird ihm eine Schuld oder Mit­schuld auch nur an ei­nem der­ar­ti­gen Ver­bre­chen ein­wand­frei nach­ge­wie­sen, muss er dies mit dem Tode bü­ßen.

Die Lin­ke des Ara­bers hat­te im Bur­nus ge­steckt. Er zog sie jetzt her­aus und brach­te zu­gleich einen schwe­ren, mit Mün­zen bis oben­an ge­füll­ten Geld­beu­tel aus Zie­gen­le­der her­vor, den er ohne Ver­zug öff­ne­te. Klin­gend roll­te eine Hand­voll Mün­zen in sei­ne Rech­te: Es wa­ren lau­ter gute Gold­stücke. Haupt­mann Ja­cot schloss aus dem im­mer noch pral­len statt­li­chen Beu­tel, dass er ein ganz hüb­sches klei­nes Ver­mö­gen ent­hal­ten moch­te. Scheich Amor ben Kha­tur ließ ein Gold­stück nach dem an­de­ren lang­sam wie­der in den Beu­tel zu­rück­fal­len und zog die Sch­lin­ge oben wie­der zu. Die gan­ze Zeit über hat­te er ge­schwie­gen, wäh­rend Ja­cot jede sei­ner Be­we­gun­gen auf­merk­sam ver­folg­te.

Die bei­den wa­ren jetzt al­lein. Der Ser­geant, der den Fremd­ling be­glei­tet hat­te, stand ein we­nig ab­seits und dreh­te ih­nen ge­ra­de den Rücken zu. Der Scheich hat­te eben wie­der alle Gold­stücke in sei­nen di­cken Beu­tel zu­rück­glei­ten las­sen, stell­te ihn auf die ge­öff­ne­te Hand und wand­te sich mit un­miss­ver­ständ­li­cher Ge­bär­de jetzt an den Haupt­mann Ja­cot.

Achmet ben Hau­din, der Sohn mei­ner Schwes­ter, wird die­se Nacht auf un­er­klär­li­che Wei­se ent­flie­hen …? Nicht wahr? flüs­ter­te er.

Haupt­mann Ar­mand Ja­cot schoss das Blut in den Kopf, dass er bis un­ter die Haar­wur­zeln er­rö­te­te. Dann wur­de er lei­chen­blass. Sei­ne Fäus­te ball­ten sich, und er rück­te einen hal­b­en Schritt an den Ara­ber her­an. Doch plötz­lich kam ihm ein an­de­rer Ge­dan­ke, und der war ent­schie­den bes­ser.

Ser­geant! rief er mit lau­ter Stim­me. Der Un­ter­of­fi­zier stürz­te so­fort her­zu. Er schlug die Ha­cken zu­sam­men und stand grü­ßend vor sei­nem Vor­ge­setz­ten.

Brin­gen Sie die­sen brau­nen Hund wie­der zu sei­ner Ban­de zu­rück! be­fahl er. Und se­hen Sie zu, dass die Ge­sell­schaft auf der Stel­le ver­schwin­det. Auf je­den – ganz gleich wer – der sich bei Nacht in der Nähe des La­gers her­um­treibt, wird ein­fach ge­schos­sen.

Scheich Amor ben Kha­tur rich­te­te sich zu sei­ner gan­zen Grö­ße auf, sei­ne glü­hen­den Au­gen knif­fen sich zu­sam­men, und er folg­te mit dem ver­lo­cken­den Geld­beu­tel den Au­gen des Of­fi­ziers, der ihn von oben bis un­ten maß.

Mehr als dies da wer­den Sie für das Le­ben Achmet ben Haud­ins, der mei­ner Schwes­ter Sohn ist, zah­len müs­sen! Und, fuhr er fort, noch ein­mal so viel für den net­ten Na­men, den Sie mir eben zu­leg­ten, und das Hun­dert­fa­che an Sor­gen und Qua­len oben­drein!

Sche­ren Sie sich fort, ehe ich Sie mit ei­nem Fuß­tritt hin­aus­be­för­de­re! stieß Haupt­mann Ar­mand Ja­cot her­vor …

*

All dies ge­sch­ah etwa drei Jah­re vor der Zeit, in der un­se­re Er­zäh­lung be­ginnt. Die ge­richt­li­che Un­ter­su­chung in Sa­chen Achmet ben Haud­ins und sei­ner Spieß­ge­sel­len brach­te Un­er­hör­tes an den Tag. Wen es in­ter­es­siert, der mag die of­fi­zi­el­len Be­rich­te nach­le­sen. Achmet er­hielt die ver­dien­te Stra­fe und ging mit der gan­zen stoi­schen Ruhe ei­nes Ara­bers in den Tod. Ei­nen Mo­nat spä­ter war die klei­ne Jean­ne Ja­cot, das sie­ben­jäh­ri­ge Töch­ter­chen des Haupt­manns Ar­mand Ja­cot, mit ei­nem Male auf rät­sel­haf­te Wei­se ver­schwun­den. We­der das Ver­mö­gen von Va­ter und Mut­ter, noch die un­er­schöpf­li­chen Hilfs­quel­len und Maß­nah­men der Re­gie­rung schie­nen aus­zu­rei­chen, um ir­gend­wie Licht in das Dun­kel zu brin­gen. Das Rät­sel war und blieb un­er­gründ­lich, kein Mensch konn­te ir­gen­det­was über das Wo und Wo­hin des Mäd­chens und sei­nes Räu­bers er­fah­ren oder ent­de­cken. Es war gleich­sam, als habe die Wüs­te sie ver­schlun­gen.

Un­er­hör­te Be­loh­nun­gen hat­te man aus­ge­setzt, und vie­le aben­teu­er­lus­ti­ge Män­ner wa­ren der Lo­ckung die­ser Jagd nach dem Glück ge­folgt.

Zwei Schwe­den, ein ge­wis­ser Carl Jens­sen und Sven Mal­bihn, wa­ren drei vol­le Jah­re im­mer auf der falschen Spur ge­we­sen. Sie be­fan­den sich schließ­lich weit un­ten im Sü­den der Sa­ha­ra und ka­men zu dem Ent­schluss, die Nach­for­schun­gen auf­zu­ge­ben und sich da­für ganz der be­deu­tend ein­träg­li­che­ren Jagd auf El­fen­bein zu­zu­wen­den. Man kann­te die bei­den üb­ri­gens schon zur Ge­nü­ge im wei­ten Um­kreis als rück­sichts­lo­se und schier un­er­sätt­li­che Aus­beu­ter der »El­fen­bein­quel­len«. Die Ein­ge­bo­re­nen hass­ten und fürch­te­ten die­se Sor­te von Fremd­lin­gen, nach de­nen auch die Re­gie­run­gen der be­trof­fe­nen eu­ro­päi­schen Ko­lo­ni­en un­abläs­sig fahn­de­ten. Sie hat­ten je­doch wäh­rend ih­rer an­fäng­li­chen Streif­zü­ge durch Nor­d­afri­ka im »Nie­mands­land« süd­lich der Sa­ha­ra man­cher­lei ge­lernt, was ih­nen spä­ter­hin zu­nut­ze kam; denn sie kann­ten nur zu ge­nau die vie­len Sch­li­che und Pfa­de, auf de­nen sie sich der Ge­fan­gen­nah­me und ih­ren ge­schick­ten Ver­fol­gern je­der­zeit leicht ent­zie­hen konn­ten. Plötz­lich und mit un­glaub­li­cher Schnel­lig­keit stürm­ten sie auf ihre Beu­te, hol­ten sich das El­fen­bein und ver­schwan­den eben­so rasch wie­der in dem un­weg­sa­men öden Nor­den, noch ehe die Po­li­zei der heim­ge­such­ten Ge­bie­te sie über­haupt zu Ge­sicht be­kom­men hat­te. Es gab kei­nen Par­don, sie schlach­te­ten rück­sichts­los ab, was ih­nen an Ele­fan­ten in den Weg lief, oder plün­der­ten auch wohl die El­fen­bein­vor­rä­te der Ein­ge­bo­re­nen. Hun­dert oder mehr ab­trün­ni­ge Ara­ber und Ne­ger­skla­ven schlimms­ter Sor­te wa­ren ihre Hand­lan­ger.

Der Le­ser wol­le sich das, was eben von die­sen bei­den blond­bär­ti­gen schwe­di­schen Hü­nen­ge­stal­ten Karl Jens­sen und Sven Mal­bihn an­ge­deu­tet wur­de, gut mer­ken, denn wir wer­den ih­nen spä­ter wie­der be­geg­nen.

*

Im Her­zen des Dschun­gels und et­was ab­seits vom Ufer ei­nes klei­nen un­er­forsch­ten Flus­ses, des­sen Was­ser sich bald mit den Flu­ten ei­nes großen Stro­mes ver­ei­nen und sich mit ih­nen un­weit vom Äqua­tor in den At­lan­ti­schen Ozean er­gie­ßen, lag im Wald ver­steckt ein klei­nes, rings­um mit star­ken Pa­li­sa­den um­zäun­tes Dorf. Die zwan­zig Hüt­ten, die fast wie große Bie­nen­stö­cke aus­sa­hen, wa­ren mit Pal­men­blät­tern ge­deckt und bo­ten der schwar­zen Be­völ­ke­rung seit lan­gem Schutz und Ob­dach, wäh­rend in der Mit­te auf frei­em Dorf­plat­ze ein Trupp Ara­ber sei­ne Zel­te aus Zie­gen­le­der auf­ge­schla­gen hat­te, die ihm für die Dau­er der Streif­zü­ge als Stan­d­quar­tier dienten. Die Ara­ber gin­gen in die­sen Ge­bie­ten ih­ren mehr oder we­ni­ger re­el­len Han­dels­ge­lüs­ten nach, das heißt sie kauf­ten oder kauf­ten auch nicht, was sie dann zwei­mal im Jahr mit ih­ren »Wüs­ten­schif­fen« nord­wärts auf den Markt nach Tim­buk­tu ab­scho­ben. Vor ei­nem der Ara­ber­zel­te spiel­te ein klei­nes, etwa zehn­jäh­ri­ges Mäd­chen; wer das schö­ne schwar­ze Haar und die tief­schwar­zen Au­gen, die nuss­brau­ne Haut und die an­mu­tig-schmieg­sa­me Ge­stalt der Klei­nen be­trach­te­te, muss­te sie ohne wei­te­res für eine ech­te Toch­ter der Wüs­te mit den die­ser Ras­se ei­ge­nen Merk­ma­len hal­ten. Ihre klei­nen Fin­ger wa­ren ge­ra­de ge­schäf­tig da­bei, ein Gras­hemd für die schon arg mit­ge­nom­me­ne Pup­pe zu flech­ten, die ihr ein kin­der­lie­ber Skla­ve vor ein oder zwei Jah­ren in ei­ner freund­li­chen An­wand­lung an­ge­fer­tigt hat­te. Der Kopf der Pup­pe war et­was un­för­mig, aber aus El­fen­bein ge­schnitzt, der Rumpf be­stand aus ei­nem mit Gras aus­ge­stopf­ten Rat­ten­fell, die Arme und Bei­ne aus Holz­stück­chen, die er an den ent­spre­chen­den En­den durch­bohrt und an den Rat­ten­fell­leib an­ge­näht hat­te. Im gan­zen war die Pup­pe zwei­fel­los un­schön, zu­mal sie al­les an­de­re als sau­ber ge­blie­ben war. Doch für die klei­ne Me­riem war sie das Schöns­te und Lie­bens­wer­tes­te auf der gan­zen wei­ten Welt, und das ist auch nicht ver­wun­der­lich, weil sie das ein­zi­ge »We­sen« war, dem Me­riem rück­halt­los trau­en moch­te. Alle an­de­ren, mit de­nen Me­riem in Berüh­rung kam, küm­mer­ten sich ent­we­der über­haupt nicht um sie – oder sie wa­ren ihr ge­gen­über grau­sam und un­ge­recht. Da war zum Bei­spiel die­se alte schwar­ze Hexe Ma­bu­nu, der man sie über­ge­ben hat­te: die hat­te kei­ne Zäh­ne mehr, lief im­mer nur schmut­zig her­um und ver­stand sich wie sel­ten je­mand auf Kei­fen. Sie ver­säum­te kei­ne Ge­le­gen­heit, das klei­ne Mäd­chen zu schla­gen und – wenn es mit der ewi­gen Quä­le­rei gnä­di­ger ab­ging – zu zwi­cken. Und dann der Va­ter erst, der Scheich, den sie mehr noch als Ma­bu­nu fürch­te­te. Er schalt sie oft für nichts und wie­der nichts, und das Ende der fast end­lo­sen Schimp­fe­rei war al­le­mal, dass er sie rück­sichts­los schlug, bis ihr klei­ner Kör­per mit blau­en und schwar­zen Fle­cken wie über­sät war.

Nur wenn sie für sich al­lein ge­las­sen wur­de, war sie glück­lich. Sie spiel­te dann mit Gee­ka, schmück­te ihr Haar mit Blu­men der Wild­nis oder flocht sich aus Gras Bän­der und Schnü­re. O, sie war im­mer leb­haft und auf­ge­weckt und träl­ler­te ein Lied­chen vor sich hin – so oft man sie nur mal in Ruhe ließ; denn moch­te man noch so grau­sam und lieb­los mit ihr um­ge­hen: in ih­rem klei­nen Her­zen blieb im Grun­de die gan­ze große Fül­le von An­mut und Hei­ter­keit, die sie mit auf die Welt ge­bracht; und die konn­te man nicht er­sti­cken! –

War der Scheich in der Nähe, so schwieg Me­riem so­fort und spiel­te lie­ber nicht wei­ter; denn sie hat­te vor die­sem Man­ne im­mer Angst, manch­mal so­gar so, dass man hät­te an­neh­men kön­nen, sie sei dem Wahn­sinn nahe. Und dann fürch­te­te sie sich auch vor dem dunklen, un­heim­li­chen Dschun­gel, die­sem grau­sa­men Dschun­gel, der über­all bis zum Dor­fe ihre Arme aus­streck­te, am Tage vor den Af­fen, die dort schnat­ter­ten, und den krei­schen­den Vö­geln, und dann erst in der Nacht, wenn das Brül­len und Knur­ren und Stöh­nen der Ur­wald­bes­ti­en her­über­hall­te. Ja, ihr bang­te wohl vor dem Dschun­gel, aber noch viel, viel mehr vor die­sem Scheich, und nicht bloß ein­mal war sie – das klei­ne ah­nungs­lo­se Ge­schöpf, das doch die Fol­gen­schwe­re sei­ner kind­li­chen Ent­schlüs­se gar nicht er­mes­sen konn­te – nahe dar­an ge­we­sen, ein­fach für im­mer in den schreck­li­chen Dschun­gel da­von­zu­lau­fen, statt län­ger bei die­sem ewig dro­hen­den und bö­sen Ge­s­penst von ei­nem Va­ter le­ben zu müs­sen. –

Wie sie jetzt vor dem Le­der­zelt des Scheichs saß und der Gee­ka ein Gras­hemd flocht, merk­te sie mit ei­nem Male, dass der Scheich sich nä­her­te, und so­fort war das son­ni­ge La­chen, das um ih­ren Kin­der­mund ge­spielt, da­hin. Sie sprang zur Sei­te, wohl in der Hoff­nung, dass sie viel­leicht doch noch un­be­merkt dem al­ten Ara­ber mit sei­nem le­der­far­bi­gen Ge­sicht ent­wi­schen kön­ne. Al­lein das Kind war nicht schnell ge­nug. Mit ei­nem har­ten Fuß­tritt stieß er die Klei­ne nie­der, dass sie der Län­ge nach aufs Ge­sicht fiel. Still und ohne Trä­nen zu ver­gie­ßen blieb sie lie­gen; ein lei­ses Zit­tern rann durch ih­ren Kör­per. Ein Fluch, eine gräss­li­che Ver­wün­schung – und der Mann trat in das Zelt. Die alte schwar­ze Hexe schüt­tel­te sich vor La­chen und gab da­bei wohl ih­ren ein­zi­gen Zahn zum Bes­ten, der wahr­schein­lich sel­ber nicht wuss­te, wie er zu der Ehre kam, noch zu exis­tie­ren.

Als das klei­ne Mäd­chen si­cher war, dass der Scheich sich ins Zelt ver­fügt hat­te, kroch es hin­ter das Zelt in den Schat­ten und blieb dort mäus­chen­still lie­gen. Sie drück­te Gee­ka fest an ihr Herz und mein­te es gut mit der lie­ben klei­nen Pup­pe, doch ab und zu war es, als woll­te der gan­ze Jam­mer von Neu­em über sie her­ein­bre­chen: Sie reck­te und streck­te dann ih­ren klei­nen ge­quäl­ten Kör­per, nur um das Schluch­zen zu un­ter­drücken. Laut wei­nen – nein, das durf­te sie nicht wa­gen, denn dann wür­de der Scheich von Neu­em sei­ne Wut an ihr aus­ge­las­sen ha­ben. Was ihr klei­nes Herz so be­küm­mer­te, war über­dies nicht etwa nur der Nach­hall je­ner neu­en Miss­hand­lung. Unend­lich tiefe­re in­ne­re Nöte be­dräng­ten sie: Man ver­sag­te ihr hier jeg­li­che Lie­be, und je­des Kin­der­herz lechzt doch ge­ra­de­zu nach al­lem, was Lie­be at­met!

Die klei­ne Me­riem konn­te es sich kaum mehr an­ders den­ken, als dass sie im­mer nur un­ter der stren­gen, grau­sa­men Hand des Scheichs und Ma­bu­nus ge­lebt hat­te. Ganz dun­kel schweb­te frei­lich bei­na­he wie ein Traum in den Tie­fen ih­rer kind­li­chen See­le ein Bild un­deut­lich und ver­schwom­men. Dann war es ihr, als habe sie ein­mal eine gute sanf­te, freund­li­che Mut­ter ge­habt. Aber Me­riem mein­te, dies sei wohl mehr ein from­mer Wunsch, viel­leicht auch bloß der Aus­druck ih­rer großen Sehn­sucht nach den Lieb­ko­sun­gen, die sie nie sel­ber ge­kos­tet, aber da­für der her­zi­gen Gee­ka-Pup­pe in Hül­le und Fül­le schenk­te. Kein Kind wur­de so ver­wöhnt, wie Gee­ka, de­ren klei­ne Mut­ter – ganz im Ge­gen­satz dazu wie sie von ih­ren ei­ge­nen »El­tern« be­han­delt wur­de – die Nach­sicht und Mil­de sel­ber war. Gee­ka be­kam tau­send Küs­se an ei­nem Tag, und selbst wenn sie beim Spiel oder sonst recht un­ar­tig ge­we­sen, gab es statt der ver­dien­ten Stra­fe im­mer neue Lieb­ko­sun­gen. Al­les, was die klei­ne Me­riem ih­rem Pup­pen­kin­de an Zärt­lich­kei­ten an­ge­dei­hen ließ, war eben nur ein deut­li­cher Be­weis da­für, wie sehr sie selbst nach ei­nem wahr­haft lie­ben­den, he­gen­den Mut­ter­her­zen ver­lang­te.

Und als sie jetzt Gee­ka fest an sich drück­te, fühl­te sie, dass das Schluch­zen und Zit­tern lang­sam nachließ. Nicht lan­ge mehr und sie hat­te auch ihre Stim­me wie­der in der Ge­walt und konn­te nun we­nigs­tens der ein­zi­gen Ver­trau­ten ihr Herz aus­schüt­ten.

Gee­ka liebt Me­riem, flüs­ter­te sie der Pup­pe in ihr El­fen­bei­nohr. Wa­rum liebt mich mein Va­ter, der Scheich, nicht auch? Bin ich denn so un­ge­zo­gen? Ich ver­su­che ja im­mer, brav zu sein; doch ich weiß gar nicht, warum er mich so schlägt, und da kann ich auch nicht sa­gen, was ich ge­tan ha­ben soll oder was ihm nicht ge­fällt. Gera­de vor­hin gab er mir einen Fuß­tritt. O, das hat mir sehr, sehr weh­ge­tan! Und ich saß doch bloß vor dem Zelt und flocht ein Hemd­chen für dich! Das muss et­was Bö­ses sein, denn sonst hät­te er mir doch nicht da­für einen Fuß­tritt ge­ge­ben. Aber warum ist das et­was Bö­ses, Gee­ka? Lie­be Gee­ka, ich weiß es nicht, weiß es nicht …

Gee­ka schi­en ge­ra­de et­was ein­wen­den zu wol­len, doch sie wur­de so­fort un­ter­bro­chen, denn drau­ßen vor den To­ren des Dor­fes hat­te sich ein hef­ti­ger Streit er­ho­ben. Man hör­te lau­tes Stim­men­ge­wirr. Me­riem spitz­te die Ohren, und – neu­gie­rig wie Kin­der nun ein­mal sind – wäre sie zu gern hin­ge­rannt und hät­te sich selbst da­von über­zeugt, warum man sich so ent­setz­lich an­schrie. Die an­de­ren Dorf­be­woh­ner wa­ren schon größ­ten­teils auf den Bei­nen und stürz­ten in der Rich­tung da­von, aus der der Lärm kam, aber Me­riem ge­trau­te sich doch nicht mit. Der Scheich wür­de si­cher auch dort sein und, wenn er sie sah, nur wie­der die Ge­le­gen­heit be­nut­zen, sie von Neu­em zu schla­gen oder zu sto­ßen. Me­riem blieb also still lie­gen und horch­te.

Sie hör­te bald, dass die Men­ge sich die Dorf­stra­ße her­auf dem Zelt des Scheichs nä­her­te, und so konn­te sie der Ver­su­chung nicht wi­der­ste­hen und guck­te ganz vor­sich­tig um die Zel­te­cke. Zwei Frem­de sah sie mit­kom­men. Es wa­ren Wei­ße und sie wa­ren al­lein. Aber als man wei­ter her­an­kam, ent­nahm sie aus den Ge­sprä­chen der Ein­ge­bo­re­nen, die sich um die Fremd­lin­ge her­um­dräng­ten, dass das statt­li­che Ge­fol­ge der bei­den sich au­ßer­halb des Dor­fes ge­la­gert hat­te und dort das Er­geb­nis der Ver­hand­lun­gen mit dem Scheich ab­war­te­te.

Der alte Ara­ber emp­fing die Frem­den am Ein­gang zu sei­nem Zelt. Er kniff sei­ne Au­gen zu­sam­men und mus­ter­te die bei­den wäh­rend der üb­li­chen Be­grü­ßung mehr als ge­ring­schät­zig.

Sie sei­en ge­kom­men, um El­fen­bein auf­zu­kau­fen, er­klär­ten sie. Der Scheich brumm­te erst et­was vor sich hin und ent­geg­ne­te dann, er habe über­haupt kein El­fen­bein. Me­riem muss­te den Atem an sich hal­ten, um nicht laut da­zwi­schen­zu­ru­fen und die Wahr­heit zu sa­gen: denn sie wuss­te, dass in ei­ner Hüt­te ganz in der Nähe Ele­fan­ten­zahn an Ele­fan­ten­zahn bis un­ter das Dach auf­ge­sta­pelt war. Sie beug­te ihr klei­nes Köpf­chen noch wei­ter her­vor, um die Fremd­lin­ge bes­ser er­ken­nen zu kön­nen. Wie weiß war doch de­ren Haut! Und wie blond die lan­gen Bär­te!

Plötz­lich be­merk­te sie, wie der eine ge­ra­de zu ihr her­über­blick­te. Sie woll­te sich noch zu­rück­beu­gen, denn sie fürch­te­te alle Män­ner; doch er hat­te sie si­cher schon ge­se­hen, das ließ sich dar­an er­ken­nen, wie sich mit ei­nem Male Stau­nen und Über­ra­schung in sei­nen Zü­gen spie­gel­ten. Dem Scheich war die­se Ver­än­de­rung sei­nes Ge­gen­über eben­so­we­nig ent­gan­gen, ja er ahn­te so­gleich den An­lass.

Ich habe kein El­fen­bein, sag­te er noch­mals. Ich will au­ßer­dem nichts von Ge­schäf­ten wis­sen. Ge­hen Sie nur, aber gleich! Er trat ein paar Schrit­te vor­wärts und stieß die Frem­den halb und halb vor sich her. Sie soll­ten nur ma­chen, dass sie wie­der zum Tor hin­aus­kämen! Als sie noch al­ler­lei Ein­wän­de vor­brach­ten, ver­leg­te sich der Scheich aufs Dro­hen. Wenn sie nun nicht pa­riert hät­ten, wäre das ein­fach Selbst­mord ge­we­sen und so mach­ten die bei­den kehrt und be­ga­ben sich un­mit­tel­bar in ihr ei­ge­nes La­ger zu­rück.

Der Scheich trat wie­der in sein Zelt zu­rück, doch bei Lei­be nicht, um nun die Hän­de in den Schoß zu le­gen. Die klei­ne Me­riem lag schon ganz ver­ängs­tigt dicht an die Le­der­wand ge­schmiegt, als der Alte sich um die Ecke her­um­schlich. Er bück­te sich, pack­te die Klei­ne am Arm, schleu­der­te sie roh zu Bo­den, zerr­te sie vor den Zelt­ein­gang und stieß sie hin­ein. Und da­mit nicht ge­nug: Er pack­te sie von Neu­em und bleu­te sie un­barm­her­zig durch.

Bleib’ mir ja hier! brüll­te er sie an. Dass du dich nicht un­ter­stehst, den Frem­den noch ein­mal un­ter die Au­gen zu kom­men. Pas­siert es doch, dass du die Frem­den dein Ge­sicht se­hen lässt, ma­che ich dich tot!

Er gab ihr zur Be­kräf­ti­gung sei­ner Dro­hung noch einen ge­hö­ri­gen Puff in die Sei­te und stieß sie in die äu­ßers­te Ecke des Zel­tes, wo sie mit hal­b­un­ter­drück­tem Schluch­zen und Stöh­nen lie­gen blieb, wäh­rend der Scheich auf und ab ging und da­bei et­was Un­ver­ständ­li­ches vor sich hin­mur­mel­te. Ma­bu­nu saß ki­chernd am Ein­gang.

*

Die bei­den Fremd­lin­ge wa­ren in­zwi­schen wie­der in ih­rem La­ger an­ge­langt und hat­ten sich so­fort in eine eif­ri­ge De­bat­te ge­stürzt.

Mal­bihn, es ist gar kein Zwei­fel, die Sa­che stimmt ganz ge­wiss so. Das ein­zi­ge, was mir noch Kopf­zer­bre­chen macht: Wa­rum hat sich der alte Schur­ke nicht schon lan­ge die un­er­hör­te Be­loh­nung ge­si­chert?

Ja, es gibt eben doch Din­ge, an de­nen ei­nem Ara­ber mehr liegt als an Geld, Jens­sen! warf der an­de­re ein. Die Ra­che zum Bei­spiel!

Mag sein. Aber das sagt doch schließ­lich noch lan­ge nicht, dass man’s nicht mal auf eine klei­ne Pro­be mit Gold an­kom­men las­sen könn­te, er­wi­der­te Jens­sen. Mal­bihn zuck­te die Ach­seln. Mit dem Scheich ist nichts an­zu­fan­gen. Wir ver­su­chen es schließ­lich mal mit ei­nem sei­ner Leu­te; aber er sel­ber? Dem kannst du noch so viel Gold hin­wer­fen, der lässt nicht von sei­ner Ra­che. Und wenn wir zu ihm vor sein Zelt kämen und ihm auch nur mit ein paar Wor­ten et­was von Gold und Ähn­li­chem spre­chen, wür­de er si­cher nur noch mehr Ver­dacht schöp­fen … Und – das sage ich dir – wir müss­ten ver­dammt auf der Hut sein. Könn­ten wahr­schein­lich von Glück re­den, wenn wir mit dem Le­ben da­von­kämen.

Gut also. Ver­su­chen wir es mit Be­ste­chung! pflich­te­te Jens­sen bei. – Aber auch die­ser Ver­such schlug fehl. Es wur­de eine ganz schreck­li­che Ge­schich­te dar­aus. Man hat­te ein paar Tage im La­ger au­ßer­halb des Dor­fes ver­strei­chen las­sen und glaub­te schließ­lich in ei­nem großen, kräf­ti­gen Mann, der schon lan­ge in der Krie­ger­schar des Scheichs die Rol­le ei­nes Un­ter­füh­rers spiel­te, das ge­eig­ne­te Werk­zeug für die Ver­wirk­li­chung des küh­nen Wa­g­nis­ses ge­fun­den zu ha­ben. Der Mann war na­tür­lich dem ver­lo­cken­den Fun­keln der an­ge­bo­te­nen Geld­be­loh­nung er­le­gen, zu­mal er frü­her an der Küs­te ge­lebt hat­te und die Macht, die im Gol­de liegt, nur zu ge­nau kann­te. Und so ver­sprach er den bei­den, ih­nen spät in der Nacht das Ge­wünsch­te zu brin­gen.

Un­mit­tel­bar nach Ein­tritt der Dun­kel­heit tra­fen die bei­den Wei­ßen ihre An­ord­nun­gen; es galt, das La­ger ab­zu­bre­chen, um auf al­les ge­rüs­tet zu sein. Um Mit­ter­nacht war man be­reit. Die Trä­ger la­gen ne­ben ih­rem Ge­päck. Ein Wink, und der Rück­zug konn­te be­gin­nen. Die be­waff­ne­ten As­ka­ris hat­ten sich in dem Ge­län­de zwi­schen dem La­ger­platz der Sa­fa­ri und dem Ara­ber­dorf ein­ge­nis­tet und soll­ten als Nach­hut den Ab­marsch de­cken, der in dem Au­gen­blick zu be­gin­nen hat­te, in dem der ge­dun­ge­ne Ein­ge­bo­re­ne mit der von den Wei­ßen er­war­te­ten Beu­te zu ih­nen ge­sto­ßen war.

Bald hör­te man auch Schrit­te auf dem Weg vom Dor­fe her. Die As­ka­ris und die Wei­ßen wa­ren so­fort scharf auf ih­rem Pos­ten. Doch das klang ja, als käme nicht nur ei­ner al­lein? Jens­sen schlich den An­kömm­lin­gen ent­ge­gen und rief sie mit ge­dämpf­ter Stim­me an.

Wer ist das hier? forsch­te er. Mbee­da, kam die Ant­wort.

Mbee­da hieß der Ver­rä­ter, den die Wei­ßen be­sto­chen, und so gab sich Jens­sen zu­nächst zu­frie­den, wenn er sich auch dar­über ver­wun­der­te, dass der Mann noch an­de­re Leu­te mit­brach­te. Dann aber be­griff er mit ei­nem Male: Man schlepp­te si­cher das, nach dem sie so sehn­lich be­gehr­ten, auf ei­ner Trag­bah­re her­an … Jens­sen un­ter­drück­te einen Fluch. Soll­te die­ser Narr ih­nen etwa eine Lei­che brin­gen? Da­für hat­ten sie na­tür­lich nicht die­se Be­loh­nung aus­ge­wor­fen …

Die Trä­ger blie­ben vor dem Wei­ßen ste­hen. Das habt ihr mit eu­rem Gold er­kauft, sag­te der eine der bei­den Trä­ger. Sie setz­ten die Bah­re auf die Erde, wand­ten sich und ver­schwan­den in Rich­tung nach dem Dor­fe im Dun­kel der Dschun­gel­nacht.

Mal­bihn blick­te mit ei­nem sau­er­sü­ßen Lä­cheln auf Jens­sen. Die Bah­re war mit ei­nem Ge­wand ver­hüllt. Nun? frag­te Jens­sen. Nimm das da weg und sieh, was du ge­kauft hast? Wir wer­den schreck­lich viel Geld zu se­hen be­kom­men, nicht wahr? Für eine Lei­che …! Und vor al­lem nach den sechs Mo­na­ten un­ter der glü­hen­den Wüs­ten­son­ne! Denn so lan­ge brau­chen wir ja si­cher, ehe wir sie ans Ziel ge­bracht ha­ben.

Der Narr hät­te wis­sen kön­nen, dass wir sie nur le­bend ha­ben wol­len, pol­ter­te Mal­bihn un­wil­lig her­aus. Er fass­te das Ge­wand, das über die Bah­re ge­brei­tet war, an ei­nem Ende und zog es bei­sei­te.

Bei­de tra­ten ent­setzt einen Schritt zu­rück …, denn das hat­ten sie nicht er­war­tet: Vor ih­nen lag tot Mbee­da, der Ver­rä­ter sei­nes Herrn. Un­will­kür­lich stie­ßen sie ein paar kräf­ti­ge Ver­wün­schun­gen her­vor – und schon fünf Mi­nu­ten spä­ter bahn­ten sich die Sa­fa­ri Jens­sens und Mal­bihns rasch den Weg nach Wes­ten, wäh­rend die seh­ni­gen As­ka­ris, je­den Au­gen­blick ei­nes An­griffs ge­wär­tig, den Rück­zug deck­ten.

Tarzan – Band 4 – Tarzans Sohn

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