Читать книгу Tarzan – Band 4 – Tarzans Sohn - Edgar Rice Burroughs - Страница 9

Eine tolle Fahrt

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Die Er­mor­dung des grei­sen Rus­sen Mi­cha­el Sa­b­rov, der kei­ner­lei Freun­de und Ver­wand­te hin­ter­ließ, durch sei­nen großen dres­sier­ten Af­fen war eine Sen­sa­ti­on, die ein paar Tage in al­len Zei­tun­gen leb­haft er­ör­tert wur­de.

Lord Grey­sto­ke las na­tür­lich auch von der Sa­che, und wäh­rend er be­son­de­re Vor­keh­run­gen da­für traf, dass sein Name kei­nes­falls ir­gend­wie in un­mit­tel­ba­ren Zu­sam­men­hang mit die­ser Af­fä­re ge­bracht wur­de, hielt er sich stän­dig bei der Po­li­zei über das Er­geb­nis der Nach­for­schun­gen nach dem Ver­bleib des Men­schen­af­fen auf dem lau­fen­den.

All­ge­mein be­kannt war, dass er sich bei der gan­zen An­ge­le­gen­heit in ers­ter Li­nie nur für das rät­sel­haf­te Ver­schwin­den des Mör­ders in­ter­es­sier­te, we­nigs­tens so lan­ge, bis er ei­ni­ge Tage nach der Tra­gö­die er­fuhr, dass sein Sohn Jack nicht nach Do­ver zur Schu­le zu­rück­ge­kehrt sei, wo­hin man ihn doch mit je­nem Nach­mit­tags­zu­ge si­cher un­ter­wegs ge­glaubt hat­te. Aber selbst dann konn­te sich der Va­ter das Ver­schwin­den sei­nes Soh­nes nicht so er­klä­ren, dass er ir­gend­wie mit den mehr oder we­ni­ger wahr­schein­li­chen Gerüch­ten über das Wo und Wo­hin des Af­fen auf ei­ner Li­nie lag. Nach ei­nem Mo­nat hat­ten in­des­sen sorg­fäl­ti­ge Nach­for­schun­gen das Dun­kel schon mehr ge­lich­tet: Es stand fest, dass der Jun­ge den Zug noch vor der Ab­fahrt von der Lon­do­ner Sta­ti­on ver­las­sen hat­te. Man hat­te schließ­lich auch den Drosch­ken­kut­scher her­aus­be­kom­men, der ihn nach der Woh­nung des al­ten Rus­sen ge­fah­ren, und so kam der Af­fen-Tar­zan denn auch zu der Über­zeu­gung, dass Akut ir­gend­wie et­was mit dem Ver­schwin­den Jacks zu tun ha­ben muss­te.

*

Am Tage nach dem Tode Ale­xei Paw­lo­wi­tschs hat­te sich ein Jun­ge in Beglei­tung sei­ner kränk­li­chen Groß­mut­ter ein­ge­schifft. Die alte Dame war dicht ver­schlei­ert und muss­te, da sie durch al­ler­lei Al­ters­be­schwer­den und Krank­hei­ten zu sehr ge­schwächt war, in ei­nem Kran­ken­fahr­stuhl an Bord des Schif­fes ge­bracht wer­den.

Der Jun­ge schob den Fahr­stuhl selbst und dul­de­te kei­ner­lei Un­ter­stüt­zung. Mit ei­ge­nen Hän­den war er ihr auch beim Ver­las­sen des Fahr­stuhls be­hilf­lich und ge­lei­te­te sie für­sorg­lich in die ge­mein­sa­me Ka­bi­ne. Dies war üb­ri­gens das ein­zi­ge Mal, dass Per­so­nal und Pas­sa­gie­re des Damp­fers die alte Dame zu se­hen be­ka­men, ehe sich bei­de wie­der aus­schiff­ten; denn der Jun­ge ließ es sich auch nicht neh­men, alle Ar­bei­ten, die an sich dem Ka­bi­nens­te­ward zu­fie­len, selbst zu er­le­di­gen, da, wie er an­gab, sei­ne Groß­mut­ter un­ter schwe­ren ner­vö­sen An­fäl­len litt, die sich in Ge­gen­wart Frem­der nur ver­schlim­mer­ten und für sie ver­häng­nis­voll wer­den könn­ten.

Was der Jun­ge in sei­ner Ka­bi­ne trieb, wuss­te nie­mand an Bord. War er nicht dort, führ­te er sich je­den­falls wie je­der an­de­re ge­sun­de und nor­ma­le eng­li­sche Jun­ge auf. Er knüpf­te Be­kannt­schaf­ten mit den üb­ri­gen Pas­sa­gie­ren an, war bald bei den Of­fi­zie­ren des Damp­fers sehr be­liebt und schloss mit meh­re­ren ein­fa­chen Ma­tro­sen Freund­schaft. Er war bis­wei­len frei­gie­big, trug ein na­tür­li­ches, of­fe­nes We­sen zur Schau und hat­te im Üb­ri­gen noch je­nen fei­nen Hauch ei­ner ge­wis­sen Wür­de und Selbst­be­herr­schung an sich, der ihm die Ach­tung und Zu­nei­gung sei­ner vie­len neu­en Be­kann­ten si­cher­te.

Un­ter den Pas­sa­gie­ren be­fand sich auch ein Ame­ri­ka­ner na­mens Con­don, ein be­kann­ter Falsch­spie­ler und Hoch­stap­ler, der von min­des­tens ei­nem hal­b­en Dut­zend grö­ße­rer ame­ri­ka­ni­scher Städ­te steck­brief­lich ver­folgt wur­de. Er hat­te den Kna­ben an­fangs we­nig be­ach­tet, doch än­der­te sich dies, als er ihn ei­nes Ta­ges zu­fäl­lig be­ob­ach­te­te, wie er ein Bün­del Bank­no­ten zähl­te. Von die­sem Au­gen­blick an such­te er öf­ters mit dem jun­gen Bri­ten zu­sam­men­zu­kom­men. Er brach­te leicht her­aus, dass der Jun­ge al­lein mit sei­ner kran­ken Groß­mut­ter reis­te, und dass sein Ziel ein klei­ner Ha­fen an der West­küs­te war; fer­ner, dass er Bil­lings hieß, und dass die bei­den in der klei­nen Ko­lo­nie, nach der sie reis­ten, kei­ne Freun­de und Be­kann­ten hat­ten. Als Con­don dann noch nach dem ei­gent­li­chen Zweck der Rei­se frag­te, schwieg sich der jun­ge Eng­län­der völ­lig aus und ließ auch nicht wei­ter in sich drin­gen. Con­don sei­ner­seits war klug ge­nug, die Sa­che nicht auf die Spit­ze zu trei­ben; er hat­te auch schließ­lich al­les er­fah­ren, was er zu­nächst wis­sen woll­te.

Ei­nes Ta­ges ging der Damp­fer am Fuße ei­nes be­wal­de­ten Vor­ge­bir­ges vor An­ker. Wie ein häss­li­cher Schand­fleck auf dem schö­nen ver­lo­cken­den Ant­litz der Na­tur wirk­ten die zwan­zig oder mehr Häu­ser mit ih­ren Well­blech­dä­chern und schri­en es den An­kom­men­den gleich­sam ent­ge­gen, dass die Zi­vi­li­sa­ti­on mit ih­ren Er­run­gen­schaf­ten dort ihr grel­les Ban­ner auf­ge­rich­tet hat­te. Et­was ab­seits la­gen die stroh­be­deck­ten Hüt­ten der Ein­ge­bo­re­nen, ma­le­risch in ih­rer Ein­fach­heit und ge­bo­ren aus der Ur­ge­walt der Wild­nis, wun­der­bar in ih­rer Har­mo­nie mit dem Tro­penur­wald im Hin­ter­grund, und in grel­lem Ge­gen­satz zu den ab­sto­ßend-häss­li­chen Bau­wer­ken der wei­ßen Ko­lo­nis­ten! Der Jun­ge beug­te sich über die Re­ling. Sei­ne Bli­cke schweif­ten weit hin­weg über die klei­ne An­sied­lung, die­ses nur von Men­schen­hand her­vor­ge­stampf­te Mach­werk, weit hin­aus in den Dschun­gel, den Gott ge­baut. Ein ei­gen­ar­ti­ges Ge­fühl be­schlich ihn in die­sem Au­gen­blick, ein leich­ter Schau­er rann ihm den Rücken hin­ab … und dann sah er – ganz ohne dass er es ge­wollt hät­te – auf ein­mal die lie­ben­den Au­gen sei­ner Mut­ter vor sich … und das stren­ge Ant­litz sei­nes Va­ters, das aber trotz ei­ner ge­wis­sen männ­li­chen Här­te und Ge­schlos­sen­heit kei­ne ge­rin­ge­re Lie­be wi­der­spie­gel­te. Er fühl­te, wie er selbst mit ei­nem Male schwan­kend und un­schlüs­sig wur­de …

Nicht weit von ihm stand ein Schiff­s­of­fi­zier und rief mit dröh­nen­der Stim­me der na­hen­den Boot­flot­til­le al­ler­hand Be­feh­le zu; denn die Ein­ge­bo­re­nen ka­men, um den für die­sen klei­nen Ha­fen be­stimm­ten Teil der Schiffs­la­dung zu lö­schen. Wann legt der nächs­te Damp­fer nach Eng­land hier an? frag­te der Jun­ge.

Der »Ema­nu­el« muss bald vor­bei­kom­men. Ich nahm ei­gent­lich an, wir wür­den ihm hier be­geg­nen, gab der Of­fi­zier zur Ant­wort und fuhr so­gleich fort, das wüs­te Durchein­an­der, das auf den Flu­ten im­mer nä­her an den Damp­fer her­an­schau­kel­te, zu ent­wir­ren und rich­tig zu di­ri­gie­ren.

Es war eine äu­ßerst schwie­ri­ge Auf­ga­be, die Groß­mut­ter des Jun­gen von Bord des Damp­fers in ein be­reit­lie­gen­des Boot hin­ab­zu­be­för­dern. Der Jun­ge hielt sich an Bord stän­dig an ih­rer Sei­te und ließ sich von nie­man­dem hel­fen. Erst als sie schließ­lich un­ten im Boot, das sie an Land brin­gen soll­te, si­cher ge­bor­gen war, klet­ter­te der En­kel, ge­wandt wie eine Kat­ze, zu ihr hin­ab. So sehr hat­te er sich be­müht, ihr alle Un­be­quem­lich­kei­ten zu er­leich­tern, dass er nicht ein­mal auf das klei­ne Pa­ket acht­gab, das schon aus sei­ner Ta­sche her­aus­ge­rutscht war, wäh­rend er mit zu­griff, um die alte Dame auf ei­nem mit Sei­len ver­knüpf­ten Sitz über die Re­ling ins Boot hin­ab­zu­las­sen. Er merk­te es auch nicht, als das Päck­chen ganz her­aus­glitt und ins Was­ser fiel.

Kaum war das Boot mit dem Jun­gen und der al­ten Dame nach dem Stran­de un­ter­wegs, als Con­don sich auf der an­de­ren Sei­te des Schif­fes einen Ein­ge­bo­re­nen mit sei­nem Kanu her­an­rief. Nach­dem er sich mit dem Man­ne über den Preis ge­ei­nigt, ließ er sein Ge­päck hin­ab und folg­te sel­ber.

Ein­mal an Land, be­ob­ach­te­te er aus ei­ni­ger Ent­fer­nung den häss­li­chen zwei­stö­cki­gen Bau, der sich mit der hoch­tra­ben­den Be­zeich­nung »Ho­tel« ge­schmückt hat­te, um arg­lo­se Rei­sen­de auf sei­ne zahl­lo­sen Un­be­quem­lich­kei­ten und so wei­ter her­ein­fal­len zu las­sen. Erst als es be­reits völ­lig dun­kel war, wag­te er hin­ein­zu­ge­hen und sich sei­ne Un­ter­kunft zu si­chern. –

In ei­nem nach rück­wärts ge­le­ge­nen Zim­mer im zwei­ten Stock er­klär­te der Jun­ge sei­ner »Groß­mut­ter« – al­ler­dings nicht ohne be­trächt­li­che Schwie­rig­kei­ten – dass er sich ent­schlos­sen habe, mit dem nächs­ten Damp­fer nach Eng­land zu­rück­zu­keh­ren. Er gab sich da­bei die größ­te Mühe, um der al­ten Dame be­greif­lich zu ma­chen, dass sie in Afri­ka blei­ben kön­ne, so­fern sie dies wün­sche. Ihn für sei­ne Per­son zwin­ge je­den­falls sein Ge­wis­sen, sich zu Va­ter und Mut­ter zu­rück­zu­be­ge­ben; denn bei­de El­tern gräm­ten sich zwei­fel­los jetzt bit­ter­lich, weil er ih­nen durch­ge­gan­gen sei …, wor­aus zu ent­neh­men ist, dass sei­ne El­tern nicht in die Plä­ne ein­ge­weiht wa­ren, die ihn und die alte Dame zu ih­rer aben­teu­er­li­chen Rei­se in die afri­ka­ni­sche Wild­nis ge­führt hat­ten. –

Schließ­lich wa­ren die bei­den doch ei­nig ge­wor­den; dem Jun­gen war es gleich ganz an­ders zu­mu­te, und die quä­len­den Ge­dan­ken wi­chen, die ihn man­che schlaflo­se Nacht wie böse Geis­ter ge­pei­nigt hat­ten. Und als sich sei­ne Au­gen heu­te zum Schlum­mer schlos­sen, träum­te er von ei­nem glück­li­chen Wie­der­se­hen mit den Sei­nen da­heim. Doch wäh­rend ihm die­se Träu­me ihre trü­ge­ri­schen Bil­der vor­gau­kel­ten, nah­te auf dem dunklen Kor­ri­dor des schmut­zi­gen »Ho­tels«, in dem er schlief, heim­lich und auf lei­sen Soh­len, grau­sam und un­er­bitt­lich das Ver­häng­nis, das Ver­häng­nis in Ge­stalt des ame­ri­ka­ni­schen Hoch­stap­lers Con­don.

Be­hut­sam schlich sich der Mann an die Zim­mer­tür, press­te sich mit dem Ohr dicht her­an und horch­te so lan­ge, bis ihn die tie­fen re­gel­mä­ßi­gen Atem­zü­ge drin­nen da­von über­zeug­ten, dass die bei­den fest schlie­fen. Ru­hig steck­te er dann einen schma­len Schlüs­sel in das Schlüs­sel­loch, dreh­te ihn mit au­ßer­or­dent­li­cher Fin­ger­fer­tig­keit im Schloss her­um und drück­te gleich­zei­tig die Klin­ke nie­der. Je­der hät­te ohne wei­te­res ge­se­hen, dass Con­don solch heim­li­che »Be­ar­bei­tung« von Schloss und Rie­gel, hin­ter de­nen sich Hab und Gut sei­ner Mit­menschen si­cher­te, lan­ge ge­wohnt war. Ein leich­ter Druck ge­gen die Tür und sie glitt lang­sam in den An­geln nach in­nen. Der Mann trat ein und schloss die Tür hin­ter sich. Drau­ßen schi­en der Mond, doch war er von Zeit zu Zeit von schwe­ren schwar­zen Wol­ken ver­hüllt. So auch jetzt: Im Zim­mer herrsch­te na­he­zu völ­li­ge Dun­kel­heit. Con­don tas­te­te sich nach dem Bett hin, in­des­sen sich in ei­ner ent­fern­ten Ecke des Zim­mers et­was an­de­res be­weg­te, ganz lei­se und noch viel vor­sich­ti­ger, als es dem ge­werbs­mä­ßi­gen Ein­bre­cher trotz al­ler sei­ner Rou­ti­ne ge­lang. Con­don hör­te nichts da­von. Sei­ne gan­ze Auf­merk­sam­keit rich­te­te sich auf das Bett, in dem er den jun­gen Eng­län­der und des­sen hilflo­se, ge­brech­li­che Groß­mut­ter ver­mu­te­te.

Der Ame­ri­ka­ner woll­te auch nur das Bün­del Bank­no­ten. Konn­te er es an sich rei­ßen, ohne dass man erst auf ihn auf­merk­sam wur­de, soll­te es ihm recht sein. Wenn der Jun­ge Wi­der­stand leis­te­te, auch gut. Er hat­te sich auf al­les ge­rüs­tet. An­zug und Un­ter­klei­dung des Jun­gen la­gen auf ei­nem Stuhl ne­ben dem Bett. Der Ame­ri­ka­ner wühl­te die Sa­chen rasch durch: In den Ta­schen war nichts von ei­nem Bün­del neu­er Bank­no­ten oder der­glei­chen zu ent­de­cken. Der Jun­ge hat­te es zwei­fel­los un­ter den Kopf­kis­sen ver­steckt, und so trat er nä­her an den ah­nungs­los Schla­fen­den. Eine Hand hat­te sich schon halb un­ter das Kopf­kis­sen ge­scho­ben, als die große schwar­ze Wol­ke, die sich vor den Mond ge­la­gert hat­te, bei­sei­te glitt: Hel­les Licht flu­te­te in das Zim­mer. Der Jun­ge schlug im glei­chen Mo­ment sei­ne Au­gen auf und blick­te Con­don ge­ra­de ins Ge­sicht. Der Mann er­kann­te so­fort, dass der Jun­ge al­lein in dem Bett lag und krall­te sei­ne Fin­ger um den Hals sei­nes Op­fers. Der Jun­ge rich­te­te sich in­des­sen in die Höhe, um sich zu weh­ren. Con­don hör­te in sei­nem Rücken ein dump­fes Brum­men, dann riss ihn der Jun­ge an den Hand­ge­len­ken her­um und be­wies ihm da­mit deut­lich, dass sich un­ter sei­nen schma­len blas­sen Fin­gern Mus­keln von Stahl ver­bar­gen.

Und noch ein paar Hän­de graps­ten nach ihm, raue, be­haar­te Hän­de. Über sei­ne Schul­ter ka­men sie von hin­ten her­an und lang­ten nach sei­nem Hal­se. Con­don warf einen ent­setz­ten Blick rück­wärts, die Haa­re stan­den ihm zu Ber­ge, wie er ein rie­si­ges men­schen­ähn­li­ches Af­fe­nun­ge­tüm im An­griff dicht hin­ter sich ge­wahr­te. Die weit­ge­öff­ne­ten Fän­ge des Men­schen­af­fen muss­ten ihm im nächs­ten Au­gen­blick sei­ne Keh­le um­schnü­ren, der Jun­ge hielt ihn an den Hän­den wie mit ei­ser­nen Klam­mern ge­fes­selt, kei­ner von bei­den gab einen Ton von sich. Wo war denn die Groß­mut­ter? Mit ei­nem ein­zi­gen Blick such­te er das Zim­mer bis in alle sei­ne Win­kel ab, und sei­ne Au­gen tra­ten ihm vor Ent­set­zen fast aus den Höh­len, wie ihm in je­nem ver­zwei­fel­ten Mo­ment ein Licht über die wah­ren Zu­sam­men­hän­ge auf­ging. Was wa­ren das für furcht­ba­re, un­heim­li­che We­sen, in de­ren Ge­walt er sich ah­nungs­los ge­stürzt hat­te! Wie ein Ra­sen­der wehr­te er sich jetzt. Es galt erst ein­mal den ver­damm­ten Jun­gen ab­zu­schüt­teln, da­mit er dann mit vol­ler Wucht auf das schreck­li­che Tier hin­ter sei­nem Rücken los­ge­hen kön­ne. Eine Hand hat­te er schon frei, ein hef­ti­ger Schlag traf den Jun­gen ins Ge­sicht. Doch da­mit hat­te er sei­ne Lage nur ver­schlim­mert: Es schi­en, als sei das strup­pi­ge Un­ge­tüm mit ei­nem Male von tau­send Teu­feln be­ses­sen. Wü­tend würg­te es ihn am Hal­se, Con­don hör­te noch ein tie­fes wil­des Brum­men … und das war auch das Letz­te, was er in sei­nem Le­ben hör­te. Er wur­de nach rück­wärts auf den Bo­den her­ab­ge­zerrt, ein schwe­rer Kör­per wälz­te sich auf ihn nie­der, mäch­ti­ge Zäh­ne bohr­ten sich in sei­ne Schlag­ader … und sei­ne See­le wir­bel­te hin­über in die schwar­ze Nacht am Ran­de der Ewig­keit. Im nächs­ten Au­gen­blick er­hob sich der Affe. Lang­hin­ge­streckt lag sein Op­fer vor ihm … doch Con­don wuss­te nichts mehr da­von, er war tot.

Der Jun­ge sprang ent­setzt aus dem Bett und beug­te sich über den Kör­per des Fremd­lings. Er wuss­te wohl, dass Akut da­mals Mi­cha­el Sa­b­rov in der Not­wehr ge­tö­tet hat­te; doch was wür­de man hier mit ihm und sei­nem ge­treu­en Af­fen ma­chen, wenn man dies er­fuhr? Hier im wil­den Afri­ka, weit weg von da­heim und von den Freun­den? Der Jun­ge wuss­te, dass auf Mord die To­dess­tra­fe stand, er wuss­te auch, dass mit dem Tä­ter der Hel­fers­hel­fer dem glei­chen Schick­sal ver­fal­len war. Wer soll­te hier Zeu­ge sein, wer soll­te sie bei­de ver­tei­di­gen? Al­les, al­les wür­de ge­gen sie spre­chen. Die Leu­te hier wa­ren kaum mehr als halb­zi­vi­li­siert zu nen­nen, es war nichts an­de­res zu er­war­ten, als dass man ihn und Akut bei Mor­gen­grau­en hin­aus vor die Stadt schlepp­te und sie bei­de am ers­ten bes­ten Baum auf­knüpf­te. Oft hat­te er ge­le­sen, dass man es in Ame­ri­ka so mach­te, und in Afri­ka? Hier ging es si­cher nur noch schlim­mer und grau­sa­mer zu als im großen Wes­ten, der Hei­mat sei­ner Mut­ter. Ja, man wür­de sie bei­de ei­nes Mor­gens hän­gen! Gab es denn kein Ent­rin­nen? Er dach­te ein paar Mi­nu­ten ru­hig nach, dann rieb er mit ei­nem Aus­ruf der Er­leich­te­rung die Hän­de und griff nach sei­nem An­zug auf dem Stuh­le. Das Geld! Ja, mit Geld wür­de noch et­was zu ma­chen sein. Das Geld wür­de ihn und Akut ret­ten! Er woll­te das Bün­del Bank­no­ten aus der Ta­sche zie­hen, in der er es ge­wöhn­lich trug: es war nicht mehr dar­in! Erst such­te er be­däch­tig in den an­de­ren Ta­schen, doch von Se­kun­de zu Se­kun­de stei­ger­te sich sei­ne Un­ru­he. Fast wie ein Wahn­sin­ni­ger rutsch­te er dann auf Hän­den und Kni­en im Zim­mer her­um und tas­te­te den Bo­den ab. Er mach­te sich Licht, rück­te das Bett bei­sei­te und such­te Zen­ti­me­ter für Zen­ti­me­ter den gan­zen Raum ab. Da lag Con­don. Der Kna­be zö­ger­te, es war ihm zu­wi­der, ihn an­zu­rüh­ren. Doch schließ­lich riss er sich zu­sam­men und zog die Lei­che bei­sei­te. Auch da war nichts von dem Geld zu se­hen. Ihm kam jetzt der Ge­dan­ke, dass Con­don ein­ge­drun­gen sein konn­te, um ihn zu be­rau­ben; doch konn­te er nicht glau­ben, dass der Mann schon ge­nug Zeit ge­habt hat­te, sich des Gel­des zu be­mäch­ti­gen. In­des­sen – sonst war es nir­gends zu fin­den, der Tote muss­te es also schon bei sich ver­staut ha­ben. Jack vi­si­tier­te die Klei­der des Ame­ri­ka­ners. Ver­geb­lich! Im­mer und im­mer wie­der stand er auf, durch­such­te das Zim­mer von Neu­em … und je­des Mal kehr­te er wie­der zu der Lei­che des Fremd­lings zu­rück. Das Geld war und blieb ver­schwun­den.

Er war der völ­li­gen Verzweif­lung nahe. Was soll­ten sie denn nun tun? Am Mor­gen wür­de man sie auf­grei­fen und ein­fach tö­ten. Ge­wiss, er war ein klu­ger und stäm­mi­ger Bur­sche, dem vie­le be­nei­dens­wer­te Ei­gen­schaf­ten von sei­nen El­tern her gleich­sam im Blu­te la­gen: Doch jetzt, nach al­le­dem, war er schließ­lich nicht viel mehr wie ein klei­ner Jun­ge, ein klei­ner Jun­ge, den Furcht und Heim­weh ge­packt ha­ben, und der al­les vom Stand­punkt sei­ner spär­li­chen Ju­gen­d­er­fah­rung aus be­ur­teilt.

Er sah al­les nur von der einen of­fen­kun­di­gen Tat­sa­che aus an, dass sie einen Men­schen ge­tö­tet hat­ten. Au­ßer­dem wa­ren sie mit­ten un­ter halb­wil­den frem­den Leu­ten, de­nen nicht viel Ver­ständ­nis für sei­ne be­son­de­re Lage zu­zu­trau­en war. Das und Ähn­li­ches mehr hat­te er sich aus al­ler­lei Schau­er­ro­ma­nen zu­sam­men­ge­le­sen, das wa­ren sei­ne »Er­fah­run­gen«. –

Geld brauch­ten sie bei­de, sie muss­ten das Geld wie­der­ha­ben!

Er beug­te sich wie­der über den To­ten. Dies­mal woll­te er aber rück­sichts­los und ent­schlos­sen vor­ge­hen! Der Affe hock­te in ei­ner Zim­me­r­e­cke und folg­te je­der Be­we­gung des Jun­gen, der dem Ame­ri­ka­ner ein Klei­dungs­stück nach dem an­de­ren aus­zog und Stück für Stück mi­nu­ten­lang vi­si­tier­te. So­gar die Schu­he durch­such­te er mit pein­li­cher Sorg­falt und, als er dem To­ten auch das Letz­te vom Lei­be ge­zo­gen hat­te, warf er sich aufs Bett. Er schi­en fast den Ver­stand zu ver­lie­ren, sei­ne Au­gen starr­ten weit­ge­öff­net ins Lee­re … und doch auch wie­der nicht. Ein gräss­li­ches Bild stand vor sei­nem In­nern, das war das, was kom­men muss­te.

Wie lan­ge er so da­ge­s­es­sen hat­te, wuss­te er nicht, als ihn schließ­lich ein Geräusch im ers­ten Stock un­ten auf­scheuch­te. Er sprang rasch auf sei­ne Bei­ne, blies die Lam­pe aus, eil­te zur Tür und schloss sie von in­nen. Dann wand­te er sich zu dem Af­fen; er war in­zwi­schen zu ei­nem an­de­ren Ent­schluss ge­kom­men.

Ges­tern Abend war er noch der An­sicht ge­we­sen, dass es das bes­te sei, bei nächs­ter Ge­le­gen­heit nach der Hei­mat zu­rück­zu­rei­sen und sei­ne El­tern um Ver­zei­hung die­ses tol­len Aben­teu­ers zu bit­ten. Jetzt hat­te er das Ge­fühl, dass er nie wie­der nach Hau­se kom­men wür­de. Das Blut ei­nes Mit­menschen kleb­te an sei­nen Hän­den, ja an sei­nen Hän­den, wie er sich nun schon fest ein­ge­re­det hat­te. Die ge­ra­de­zu krank­haf­ten Vor­stel­lun­gen, die in den letz­ten Stun­den sein Hirn durch­wühlt, hat­ten ihre Ar­beit ge­tan. Er war jetzt so­weit: Nicht der Affe hat­te Con­don um­ge­bracht. Nein, in sei­nen Schre­ckens­nö­ten und in sei­ner Ver­wir­rung leg­te er die gan­ze Schuld sich al­lein zur Last. Hät­te er sein Geld noch, wür­de er sich viel­leicht den Frei­spruch er­kau­fen kön­nen. Aber so, nicht einen Pen­ny in der Ta­sche? Was soll­ten Frem­de hier ohne Geld in die­ser Lage noch zu er­hof­fen ha­ben?

Wo das Geld nur war? Er such­te sich in die Erin­ne­rung zu­rück­zu­ru­fen, wann er das Bün­del Bank­no­ten zum letz­ten Mal ge­se­hen. Doch er konn­te sich an nichts ent­sin­nen, und selbst wenn er es ge­konnt hät­te, wür­de er sich un­mög­lich über das Ver­schwin­den des Päck­chens klar ge­wor­den sein; denn er hat­te eben kei­ne Ah­nung da­von, dass es ihm aus der Ta­sche ge­rutscht und ins Meer ge­fal­len war, als er sich über die Re­ling des Damp­fers schwang und in das be­reit­ste­hen­de Boot klet­ter­te.

Komm! wand­te er sich an Akut in der Spra­che der Men­schen­af­fen. Er dach­te gar nicht mehr dar­an, dass er nur einen leich­ten Schlaf­an­zug trug, als er zum of­fe­nen Fens­ter ging, sei­nen Kopf hin­aus­steck­te und ge­spannt in die Nacht hin­aus­horch­te. Nicht weit vom Fens­ter ent­fernt streck­te ein ein­zel­ste­hen­der Baum sei­ne Äste nach oben. Be­händ sprang der Jun­ge hin­über, klam­mer­te sich einen Au­gen­blick kat­zen­ar­tig dicht am Stam­me fest, wie wenn er erst se­hen müss­te, ob ir­gend­wie Ge­fahr dro­he, und klet­ter­te dann ru­hig ab­wärts. Dicht nach ihm kam der große Affe. In etwa zwei­hun­dert Me­ter Ent­fer­nung be­rühr­te ein schma­ler Aus­läu­fer des Dschun­gels die Sied­lung mit ih­ren ver­streut lie­gen­den Häu­sern, und dort­hin lenk­te der jun­ge Eng­län­der sei­ne Schrit­te. Nie­mand moch­te die bei­den se­hen, wie sie hin­über­schli­chen; im nächs­ten Au­gen­blick schon tauch­ten sie im Dschun­gel un­ter:

Der klei­ne Jack, der künf­ti­ge Lord Grey­sto­ke, war dem Ge­sichts­kreis der zi­vi­li­sier­ten Welt ent­rückt.

Es war schon spät am an­de­ren Mor­gen, als der Haus­die­ner, ein Ein­ge­bo­re­ner, an die Tür des Zim­mers klopf­te, das man Mr. Bil­lings und des­sen Groß­mut­ter zu­ge­wie­sen hat­te. Da er kei­ne Ant­wort er­hielt, woll­te er mit dem Haupt­schlüs­sel öff­nen; doch stell­te es sich so­fort her­aus, dass be­reits ein an­de­rer Schlüs­sel, und zwar von in­nen her, im Schloss steck­te. Er be­rich­te­te dies dem Be­sit­zer des Ho­tels, ei­nem ge­wis­sen Herrn Skopf, der so­gleich mit nach dem zwei­ten Stock hin­auf­ging und kräf­tig an der Zim­mer­tür trom­mel­te. Auch dies­mal kam kei­ne Ant­wort. Er bück­te sich und ver­such­te, ob er ir­gen­det­was durch das Schlüs­sel­loch er­ken­nen kön­ne. Da­bei ver­lor er das Gleich­ge­wicht, was bei sei­ner star­ken Fi­gur nicht zu ver­wun­dern war, doch konn­te er sich we­nigs­tens ge­ra­de noch mit ei­ner Hand auf den Bo­den stüt­zen. Er fühl­te an sei­nen Fin­gern et­was Wei­ches, so wie wenn ih­nen mit ei­nem Male eine di­cke Flüs­sig­keit an­haf­te­te, hob die Hand dicht vor die Au­gen und such­te, so gut es im Halb­dun­kel des Kor­ri­dors mög­lich war, das neue Rät­sel zu lö­sen. Ein Schau­der durch­lief ihn, als er tief­dunkles Blut an sei­ner Hand ge­wahr­te. Er sprang auf und stemm­te sich mit sei­nem Ober­kör­per ge­gen die Tür. Herr Skopf ist ein star­ker, statt­li­cher Mann – oder er war es da­mals we­nigs­tens, denn ich habe ihn ein paar Jah­re nicht wie­der­ge­se­hen. Die schwa­che Tür gab je­den­falls un­ter der Wucht die­ses Druckes nach, und Herr Skopf stürz­te kopf­über nach in­nen.

Vor ihm lag das größ­te Ge­heim­nis sei­nes Le­bens: Da war die Lei­che ei­nes ihm völ­lig un­be­kann­ten Man­nes. Das Ge­nick war ge­bro­chen, die Schlag­ader durch­ge­bis­sen, wie wenn sich die rei­ßen­den Zäh­ne ei­nes wil­den Tie­res hin­ein­ge­gra­ben hät­ten. Der Kör­per war split­ter­nackt, die Klei­der la­gen rings­her­um auf dem Bo­den ver­streut. Die alte Dame und de­ren En­kel wa­ren ver­schwun­den, das Fens­ter weit ge­öff­net. Sie muss­ten also durch das Fens­ter ent­kom­men sein, denn die Tür war ja von in­nen ver­schlos­sen ge­we­sen.

Aber wie soll­te der Jun­ge sei­ne alte kran­ke Groß­mut­ter so aus dem zwei­ten Stock hin­un­ter­ge­bracht ha­ben? Nein, das war doch zu al­bern, so et­was über­haupt an­zu­neh­men. Herr Skopf durch­such­te das klei­ne Zim­mer, er be­merk­te, dass das Bett von der Wand ab­ge­rückt war. Und warum? Zum drit­ten oder vier­ten Male blick­te er nun un­ter das Bett … Es blieb da­bei: Die bei­den hat­ten sich aus dem Stau­be ge­macht, und doch sag­te ihm sein ge­sun­der Men­schen­ver­stand, dass die alte Dame un­mög­lich ohne Trä­ger hin­un­ter­ge­kom­men sein konn­te; man hat­te sie ja ges­tern her­auf­tra­gen müs­sen …

Die wei­te­ren Nach­for­schun­gen brei­te­ten nur im­mer dich­te­re Schlei­er über das große Ge­heim­nis. Man fand sämt­li­che Klei­dungs­stücke der bei­den noch im Zim­mer. Sie muss­ten sich also nackt oder in ih­ren Nacht­ge­wän­dern da­von­ge­macht ha­ben.

Das Gan­ze war Herrn Skopf ein großes Ge­heim­nis und ist es zwei­fel­los auch heu­te noch.

Tarzan – Band 4 – Tarzans Sohn

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