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Kapitel 3: Die einzige Hoffnung

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Noch einmal versuchte von Horst, sich aufzurichten. Noch einmal sank er erschöpft zurück. Der Schweiß klebte in kalten Perlen an seinen ganzen Körper. Er wollte fluchen und schreien, aber er blieb stumm. Schweigsam war auch Dangar. Er schrie nicht wie die anderen, als der Tod über sie hereinbrach. Das Biest kroch jetzt auf ihn zu – kam näher und näher. Von Horst stemmte sich auf den linken Ellbogen, dann sank er zurück, aber dabei versuchte er, nach der Waffe an seiner Hüfte zu greifen – der Waffe, die er schon vorher vergeblich versucht hatte zu erreichen. Diesmal gelang es ihm. Seine Finger schlossen sich um den Griff. Er zog die Pistole aus dem Holster. Wieder stemmte er sich teilweise auf einen Ellbogen. Der Trodon war fast über Dangar, als von Horst feuerte. Das Vieh stieß einen durchdringenden Schrei aus, sprang hoch in die Luft, flatterte einen Augenblick lang vergeblich mit den Flügeln und fiel dann schwer auf den Boden der Grube – tot.

Dangar sah von Horst erstaunt und dankbar an. »Das warst du«, sagte er. »Ich bin dir dankbar, aber was wird es uns nützen? Wie sollen wir jemals aus dieser Grube entkommen? Selbst wenn es einen Weg gäbe, könnte ich ihn nicht benutzen – ich, der ich nicht einmal einen Finger bewegen kann.«

»Das bleibt abzuwarten«, antwortete von Horst. »Wenn die Lähmung bei dir nachlassen wird, werden wir einen Weg finden. Du hast nicht erwartet, diesem Trodon zu entkommen, und doch bist du lebendig und der Trodon tot. Woher willst du also wissen, was möglich ist und was nicht?«

»Du hast recht«, antwortete Dangar. »Ich werde nie wieder an dir zweifeln.«

»Jetzt sollten wir versuchen, Zeit zu gewinnen«, rief von Horst. Dann hob er Dangar auf, trug ihn über den Spalt und legte ihn neben das letzte Opfer, das der erwachsene Trodon hereingebracht hatte. Als er sich neben ihn legte, bemerkte er: »Das nächste, das schlüpft, wird keinen von uns erwischen, denn es wird auf die andere Seite des Spalts gehen.«

»Aber was ist mit dem alten Vieh, wenn es das nächste Opfer bringt?«, fragte Dangar. »Wird es nicht bemerken, dass sich unsere Positionen verändert haben? Und dann ist da noch der Kadaver seines Jungtiers. Was meinst du, was es damit machen wird?«

»Ich bezweifle, dass der Trodon uns überhaupt bemerken wird«, antwortete von Horst, »aber wenn er es tut, werde ich darauf vorbereitet sein. Ich habe noch meine Pistole und reichlich Munition. Und was das tote Küken angeht, so werde ich es sofort entsorgen. Ich denke, wir können es sogar gebrauchen.«

Dann erhob er sich und schleppte den Kadaver zu einer Seite der Grube, wo er ihn hinter mehreren Eiern versteckte. Dann untersuchte er ihn genau und tastete seine Haut ab. Offenbar zufrieden, zog er sein Jagdmesser und machte sich an die Arbeit, die Haut vom Kadaver abzuziehen.

Er arbeitete zügig, aber sorgfältig. Er richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf diese Aufgabe gerichtet, so dass es erschrak, als das durch den Kratermund einfallende Sonnenlicht kurzzeitig unterbrochen wurde.

Als er aufblickte, sah er, dass der Trodon mit einem weiteren Opfer zurückkam. Sofort legte er sich am Rande der Grube hinter einigen Eiern, die er arrangiert hatte, auf den Boden, zog seine Pistole und wartete.

Nebst seinem Haarschopf und en Augen ragte nur noch etwas über eines der Eier empor – die kalte, schwarze Mündung seiner Waffe. Von Horst beobachtete, wie das ahnungslose Reptil sein Opfer neben Dangar ablegte. Wie er erwartet hatte, schenkte die Kreatur dem Pellucidarer keine Beachtung. Einen Moment später war das geflügelte Biest auf der Suche nach der nächsten Beute bereits wieder durch die Öffnung verschwunden.

Ohne weitere Unterbrechung beendete von Horst die Häutung des Jungtieres, dann schleppte er den Körper zu der Stelle, wo Dangar zuvor gelegen hatte.

Der Sarier lachte. »Eine clevere Art, den Kadaver zu entsorgen«, sagte er, »wenn es funktioniert.«

»Ich denke, das wird es«, antwortete von Horst. »Diese hirnlosen kleinen Teufelchen lassen sich vom Instinkt leiten. Sie gehen für ihre erste Mahlzeit immer an dieselbe Stelle, und ich wette, dass sie alles fressen, was sie dort finden.«

»Aber was machst du jetzt mit der Haut?«

»Wart's ab. Das ist der wichtigste Teil meines Fluchtplans. Ich gebe zu, dass es ein ziemlich hirnrissiger Plan ist, aber es ist der einzige, von dem ich denke, dass er eine gewisse Chance auf Erfolg hat. So, jetzt muss ich zurück und mich wieder damit beschäftigen.« Von Horst ging wieder an die Arbeit und zog die Haut in einem durchgehenden Stück ab. Es dauerte eine ganze Weile, aber als er damit fertig war, musste er nur noch die die Haut zu einem langen Band schneiden und die Innenseite abschaben. Gerade als von Horst die Länge des Riemens mit seinen Fingern abmass, begann ein weiterer Trodon zu schlüpfen.

»Sechsundsechzig, siebenundsechzig, achtundsechzig«, zählte von Horst, während er dem Küken dabei zusah, wie es die Schale seines Eies verschlang.

»Das sind über 100 Meter. Das sollte mehr als genug sein.«

Nachdem es das Ei verschlungen hatte, näherte sich das Trodon-Küken dem gehäuteten Kadaver seines Bruders. Sowohl von Horst als auch Dangar beobachteten gespannt, wie sich das Reptil ohne einen Augenblick zu zögern auf den Leichnam stürzte und ihn verschlang.

Nachdem es weggeflogen war, ging von Horst hinüber und legte sich neben Dangar. »Du hattest recht«, gab dieser zu, »es kannte den Unterschied nicht.«

»Ich glaube, sie sind auf der Skala der Intelligenz so niedrig, dass sie sich fast ausschließlich vom Instinkt leiten lassen, sogar die Erwachsenen. Deshalb hat der Alte auch nicht bemerkt, dass ich fehlte und dass du an einem anderen Ort lagst. Wenn ich Recht behalte, hat mein Plan eine größere Chance auf Erfolg. Fühlst du dich mittlerweile irgendwie anders, Dangar? Spürst du, wie das Leben in deine Glieder zurückkehrt?«

Der Sarier schüttelte den Kopf. »Nein«, antwortete er niedergeschlagen. »Ich fürchte, das wird nie mehr geschehen. Ich kann aber nicht verstehen, warum das bei dir geklappt hat. Kannst du dir das erklären?«

»Nein, kann ich leider auch nicht. Ich habe aber eine Theorie. Wie du siehst, sind alle Opfer des Trodon dünnhäutig. Das könnte darauf hindeuten, dass die Nadelspitze seiner Zunge, mit der das Gift injiziert wird, entweder nur dünne Haut durchstossen oder nur in eine geringe Tiefe eindringen kann. Während ich das frisch geschlüpfte Junge gehäutet habe, habe ich meine Lederjacke ausgezogen. Als ich sie untersuchte, entdeckte ich, dass die spitze Zunge des Trodon auf der Rückseite es Kragens durch zwei Schichten Leder und Leinenfutter gedrungen ist, bevor sie in mein Fleisch eindringen konnte. Schau, siehst du den runden, grünen Fleck, der die Einstichstelle umgibt? Vielleicht ist etwas vom Gift im Stoff versickert oder vielleicht war der Stich nicht tief genug, um seine volle Wirkung zu entfalten. Sei's drum. Ich bin mehr und mehr davon überzeugt, dass man sich früher oder später von der Lähmung erholen wird, egal wie viel Gift einer abbekommen hat. Du hast zweifellos eine größere Dosis erhalten als ich, dafür bist du aber auch schon länger hier. Es kann also nicht mehr lange dauern, bis auch du die ersten Zeichen der Genesung bemerken wirst.«

»Ich beginne langsam wieder Hoffnung zu haben«, antwortete Dangar.

»Wir müssen bald etwas unternehmen«, sagte der andere. »Jetzt, wo die Lähmung nachgelassen hat und mein Körper wieder normal funktioniert, fange ich an, Hunger und Durst zu verspüren. Ich werde meinen Plan bei der ersten Gelegenheit in die Tat umsetzen müssen, bevor ich zu schwach werde, um ihn auszuführen.«

»Ja«, sagte Dangar. »Klettere nach draussen, wenn du kannst. Denke nicht an mich.«

»Ich werde dich mitnehmen.«

»Aber das wird unmöglich sein – selbst wenn du selbst aus diesem Loch herauskommen kannst, was ich übrigens noch bezweifle.«

»Trotzdem werde ich dich mitnehmen. Alleine gehe ich nämlich nicht.«

»Nein«, widersprach Dangar. »Das wäre töricht. Ich werde es nicht zulassen.«

»Wie willst du es denn verhindern?«, lachte von Horst. »Überlasse ruhig alles mir. Der Plan kann immer noch schiefgehen, aber ich werde trotzdem sofort damit beginnen, ihn in die Tat umzusetzen.«

Er überquerte die Grube und holte seinen langen Riemen aus Reptilienhaut hinter den Eiern hervor, wo er ihn versteckt hatte. Dann knüpfte er an einem Ende eine Schlinge. Diese legte er nahe bei der Stelle aus, wo der ausgewachsene Trodon sein nächstes Opfer ablegen würde. Sorgfältig führte er den Riemen zu dem Versteck hinter den Eiern, ließ dort etwas Band zurück und brachte dann den Rest zu einem Punkt unterhalb der Krateröffnung, der knapp außerhalb des Lichtkegels war. Hier wickelte er das meiste von dem, was vom Lederband übrig geblieben war, ordentlich auf. Er ging dabei sehr gewissenhaft vor. Das verbleibende lose Ende trug er zu seinem Versteck, setzte sich dann bequem hin und wartete.

Wie lange er wartete, wusste er natürlich nicht, aber es schien eine gefühlte Ewigkeit zu sein. Hunger und Durst bedrängten ihn ebenso, wie Zweifel und Ängste über die Erfolgsaussichten seines Plans. Er war müde, riss sich aber zusammen, um nicht einzuschlafen. Denn jetzt wegzudämmern konnte sich als tödlich erweisen. Trotzdem muss er kurz eingenickt sein.

Denn er erwachte mit einem Schreck und sah, wie der große Trodon im Sonnenlicht hockte und sein lähmendes Gift in den Hals eines neuen Opfers injizierte. Von Horst fühlte sich plötzlich sehr schwach. Das war viel zu knapp. Wenn er nur noch einen Moment länger geschlafen hätte, wäre es vielleicht zu spät gewesen, seinen Plan in die Tat umzusetzen. Er bezweifelte, dass er weiter durchhalten konnte, bis das Reptil ein nächstes Mal kommen würde. Sein Leben – und das von Dangar – hingen nun einzig und allein von ihm ab. Und er hatte nur einen Versuch. Schnell brachte er seine Nervosität unter Kontrolle. Kühl und gefasst zog er seine Pistole aus dem Holster und griff erneut nach dem Riemen.

Der Trodon durchquerte die Grube und trug das gelähmte Opfer zu seinem Platz im tödlichen Kreis. Dabei trat das Biest mit einem Fuß in die offene Schlinge. Von Horst schickte eine laufende Welle des Lederriemens über den Boden, welche die Schlinge am Bein der Kreatur über den Knöchel anhob, dann zog er mit einem schnellen Ruck am Lederband. Die Schlinge zog sich ein wenig zu. War das genug? Würde sie halten? Wie er erwartet hatte, schenkte die Kreatur dem Riemen keine Beachtung, schien sie nicht einmal zu spüren. Dessen war sich von Horst ganz sicher. Das Nervensystem der Kreatur war wohl so wenig ausgeprägt, dass es wohl nur einen schweren Schlag gegen das Bein gespürt hätte.

Nachdem es das Opfer abgesetzt hatte, drehte sich das Reptil zur Mitte der Grube, sprang in die Luft und flatterte in die Höhe. Von Horst hielt den Atem an. Würde sich die Schlinge lösen? Gott bewahre. Sie hielt. Von Horst sprang auf und rannte auf die Mitte der Grube zu, seine Pistole geladen und entsichert in der Hand. Als der Trodon durch den Kraterschlund aufstieg und über die Kante flog, gab der Mann drei Schüsse in schneller Folge ab.

Er brauchte die entsetzlichen Schreie der verwundeten Kreatur nicht, um zu wissen, dass er gut gezielt hatte. Denn er sah, wie das große Reptil durch die Luft trudelte und jenseits des Kraterrandes stürzte. Von Horst griff nach dem Ende des Riemens, hängte mit seinem Gewicht daran und wartete.

Noch bestand die Gefahr, dass der Körper der Kreatur den Steilhang des Kraters ungebremst hinunterpurzeln konnte und ihm das Lederband aus den Händen reissen würde. Also wickelte er das Band so schnell er konnte um die Hüfte und band es fest. Eher würde er sterben, als das Band und damit seinen einzigen Ausweg aus dieser Grube, zu verlieren. Einen Moment lang wickelte sich der Gurt schnell von der Spule ab – dann hörte sie auf. Entweder war der Körper des Trodon zur Ruhe gekommen oder die Schlinge war vom Hinterbein gerutscht. Was nun?

Von Horst zog ängstlich am Riemen. Bald straffte er sich und da wusste er, dass er noch an der Kreatur befestigt war. Ein vager Zweifel überkam ihn, ob der Trodon wirklich tot war oder nicht. Er wusste, wie hartnäckig solche Kreaturen sein konnten. Und wenn sie nun nicht tot war? Was für schreckliche Möglichkeiten ein solches Ereignis mit sich bringen könnte!

Der Mann zerrte noch einmal am Lederriemen. Er gab nicht nach. Dann schwang er mit seinem ganzen Gewicht an ihm. Es blieb, wie es war. Immer noch am losen Ende festhaltend, überquerte er die Grube zu Dangar, der ihn mit großen, erstaunten Augen anstarrte.

»Du hättest ein Sarier werden sollen«, sagte Dangar voller Bewunderung.

Von Horst lächelte. »Ach hör' schon auf«, sagte er. »Jetzt zu dir.« Er bückte sich und hob den Pellucidarer vom Boden auf und trug ihn in die Mitte der Grube, direkt unter die Krateröffnung. Dann band er das lose Ende des Riemens um seinen Körper unter den Armen fest.

»Was hast du vor?«, fragte Dangar.

»Ich bin gerade dabei, die Hohlwelt für dünnhäutige Tiere ein wenig sicherer zu machen«, antwortete von Horst.

Er ging zur Seite der Grube und begann, die Eier mit dem Griff seiner Pistole zu zerschlagen. Zwei der Eier näherten sich dem Ende der Brutzeit und wackelten bereits. In ihrem Innern regten sich bereits zwei recht lebendige Jungtiere. Von Horst tötete sie beide und kehrte dann zu Dangar zurück.

»Ich hasse es, diese anderen armen Teufel hier zu lassen«, sagte er und gestikulierte in Richtung der unglücklichen Opfer, »aber es gibt keinen anderen Weg. Ich kann sie nicht alle rausholen.«

»Du kannst noch froh sein, wenn du rauskommst«, entgegnete Dangar.

Von Horst grinste. »Wir werden beide Glück haben«, antwortete er, »aber heute ist unser Glückstag.« In der Sprache der inneren Welt, in der es weder Tag noch Nacht gibt, gab es folglich kein Wort für Tag. Also ersetzte von Horst es durch ein fremdsprachiges Wort der äußeren Welt. »Hab Geduld, dann bist auch du bald draußen.«

Er griff nach dem Lederriemen und zog sich Hand für Hand hoch. Dangar lag auf dem Rücken und beobachtete ihn mit bewunderndem Blick. Es war ein langer, gefährlicher Aufstieg, aber schließlich erreichte von Horst die Mündung des Kraters. Als er sich über den Kraterrand rollte und den Hang hinunterblickte, sah er den Kadaver des Trodon auf einem kleinen Felsvorsprung unter ihm liegen. Die Kreatur war ganz offensichtlich tot und das war auch schon alles, was von Horst an dem Biest wissen wollte. Er wandte sich sofort seiner nächsten Aufgabe zu, nämlich Dangar aus dem Krater zu befreien.

Von Horst war ein kräftiger Mann, stiess nun aber schnell an die Grenzen seiner Ausdauer. Vermutlich lag das an der langen Lähmung, die sein Körper durchmachen musste. Hinzu kam der unsichere Stand, den der steile Abhang des Kraters bot. Dennoch verlor er keinen Augenblick die Hoffnung auf den Erfolg; und obwohl es eine langwierige Arbeit war, wurde er schließlich dafür belohnt, als er die gelähmte Gestalt des Pellucidarers auf dem Gipfel des Hügels neben sich liegen sah.

Zu gerne hätte er sich jetzt kurz ausgeruht, aber seine Erfahrung mit der Welt von Pellucidar hatte ihn gelehrt, dass ein exponierter Ort wie dieser Hügel kein guter Ort war, um zu verweilen. Er musste, mit Dangar im Schlepptau, den Hang hinabgehen und zwischen den Bäumen und einem Wasserlauf, die er von hier aus sehen konnte, nach einem Versteck suchen.

Der Hang war sehr steil, aber zum Glück war er durch gelegentliche Vorsprünge unterbrochen, die zumindest ein Bisschen Halt boten. Da es keine andere Möglichkeit zum Abstieg gab, hob von Horst Dangar über eine seiner breiten Schultern und begann den gefährlichen Weg nach unten. Schlitternd und stolpernd bahnte er sich langsam den Weg den steilen Abhang hinunter, ständig auf der Hut nach möglichen Gefahren. Gelegentlich stürzte er, schaffte es aber immer, sich zu fangen, bevor er in die Tiefe stürzte.

Er war ziemlich erschöpft, als er schließlich in den Schatten einer Baumgruppe taumelte, die neben dem kleinen Bach wuchs, den er vom Gipfel des Hügels aus gesehen hatte. Er legte Dangar auf einer Grasfläche ab und löschte seinen Durst mit dem klaren Wasser des Baches. Es war das zweite Mal, dass er getrunken hatte, seit er den Landeplatz des Luftschiffs O-220 verlassen hatte. Wie viel Zeit inzwischen verstrichen war, konnte er aber nicht einmal erraten. Es könnten Tage gewesen sein, vielleicht Wochen oder sogar Monate. Doch für den grössten Teil dieser Zeit hatte das eigentümliche Gift des Trodon ihn nicht nur gelähmt, sondern auch die Feuchtigkeit in seinem Körper bewahrt und ihn so immer frisch und fit für die ungeborenen Kükens gehalten, von denen er verschlungen werden sollte.

Erfrischt und gestärkt stand er auf und sah sich um. Er musste einen Ort finden, an dem er ein mehr oder weniger dauerhaftes Lager errichten konnte, denn er konnte Dangar unmöglich weitertragen. Er fühlte sich ziemlich hilflos, praktisch allein in dieser unbekannten Welt. In welche Richtung sollte er bloß gehen? Gab es überhaupt den Funken einer Hoffnung die O-220 und damit seine Freunde je wieder zu finden? Besonders in einem Land, in dem es keine Himmelsrichtungen gab? Selbst wenn es sie geben würde, von Horst hatte keine Ahnung, wohin er gehen musste, weil er die Orientierung seit der Entführung durch den Trodon komplett verloren hatte.

Sobald die Wirkung des Giftes nachgelassen hatte und Dangar von den Fesseln der Lähmung befreit war, würde er nicht nur einen aktiven Freund und Gefährten haben, sondern auch einen, der ihn in ein Land führen konnte, in dem er sich eines freundlichen Empfangs sicher sein konnte und eine Gelegenheit, sich einen Platz in dieser wilden Welt zu schaffen, in der er, wie er zu glauben geneigt war, den Rest seines Lebens verbringen musste. Es war bei weitem nicht nur diese Überlegung, die ihn veranlasste, bei dem Volk von Sari zu bleiben, sondern vielmehr ein Gefühl der Loyalität und Freundschaft.

Als er sich sorgfältig in der näheren Umgebung umsah, kam er zum Schluss, dass dieser Ort für ein Lager genauso geeignet war, wie jeder andere. Es gab frisches Wasser, und er hatte gesehen, dass es in der Umgebung reichlich Wild gab. An einigen der Bäume wuchsen Früchte und Nüsse, und auf seine Frage, ob sie essbar seien, versicherte ihm Dangar, dass sie sicher seien.

»Wirst du hierbleiben?«, fragte der Sarier.

»Ja, bis du dich von der Wirkung des Giftes erholt hast.«

»Vielleicht werde ich nie wieder gesund. Was dann?« Von Horst zuckte mit den Schultern.

»Dann werde ich noch eine ganze Weile hier sein«, lachte er.

»Das könnte ich nicht einmal von einem Bruder erwarten«, wandte Dangar ein. »Du musst dich auf die Suche nach deinem eigenen Volk machen.«

»Ich konnte sie nicht finden. Aber selbst, wenn ich könnte, würde ich dich nicht allein und hilflos hierlassen.«

»Das müsstest du aber.«

»Warum denn?«, sagte von Horst.

»Du müsstest mich natürlich töten – als ein Akt der Barmherzigkeit.«

»Vergiss es«, schnauzte von Horst. Allein der Gedanke ekelte ihn an.

»Keiner von uns beiden darf es vergessen«, beharrte Dangar. »Wenn ich nicht nach den nächsten Schlaf-Pausen wieder gesund bin, musst du mich umbringen.« Er benutzte das einzige Maß der Zeit, das er kannte – Schlaf. Wie viel Zeit zwischen den diesen Ruhepausen verging oder wie lange jeder Schlaf dauerte, konnte er nicht sagen.

»Das sind Gedanken für die Zukunft«, antwortete von Horst kurz. »Im Moment interessiert mich nur die Frage des Lageraufbaus. Hast du irgendwelche Vorschläge?«

»Die größte Sicherheit bieten Höhlen in Felswänden«, antwortete Dangar. »Löcher im Boden sind oft die nächstbeste Lösung. Danach eine Plattform oder ein Unterschlupf, der zwischen den Ästen eines Baumes gebaut ist.«

»Hier gibt es keine Klippen«, sagte von Horst, »und ich sehe auch keine Löcher im Boden, aber es gibt Bäume.«

»Dann solltest du besser anfangen zu bauen«, riet der Pellucidarer, »denn es gibt viele Fleischfresser in Pellucidar. Und die sind immer hungrig.«

Mit Vorschlägen und Ratschlägen von Dangar baute von Horst eine Plattform in einem der größeren Bäume, wobei er bambusähnliches Schilf benutzte, das am Rande des Baches wuchs. Dieses schnitt er mit seinem Jagdmesser zurecht und befestigte es mit einem langen, robusten Gras, das Dangar in Büscheln am Fuß des Hügels hatte wachsen sehen.

Von Horst baute auf Dangars Idee hin noch Wände und ein Dach als weiteren Schutz gegen die kleineren Raubtiere, Raubvögel und fliegenden Reptilien.

Von Horst hatte keine Vorstellung davon, wie lange er brauchte, um den Unterschlupf fertigzustellen, denn es gab viel zu tun und die Zeit verfolg schnell.

Hin und wieder aß er Nüsse und Früchte und trank mehrmals, aber er verspürte kein Verlangen nach Schlaf, bis der Unterschlupf fast fertig war.

Er trug Dangar mit grosser Mühe die klapprige Leiter hinauf, die er gebaut hatte, damit sie die primitive Behausung betreten konnten. Mehrmals stürzte er fast ab, schließlich waren die beiden aber oben angekommen und von Horst legte Dangar auf den Boden der kleinen Hütte. Gleich darauf legte er sich hin und schlief augenblicklich ein.

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