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Kapitel 2: Pellucidar
ОглавлениеAn einem klaren Junimorgen, kurz vor Tagesanbruch, bewegte sich die O-220 langsam aus eigener Kraft aus ihrem Hangar. Voll beladen und ausgerüstet, sollte sie ihren Testflug unter den gleichen Lastbedingungen absolvieren, wie sie auf ihrer langen Reise herrschen würden. Die drei unteren Tanks waren noch mit Luft gefüllt und sie führte einen Überschuss an Wasserballast mit sich, der ausreichte, um ihr Eigengewicht zu überwinden, so dass sie sich sicher und leicht über den Boden bewegen konnte, und dabei fast so einfach gesteuert werden konnte, wie ein Automobil.
Als sie ins Freie kam, begannen ihre Pumpen, die Luft aus den drei unteren Tanks zu treiben. Gleichzeitig wurde ein Teil des überschüssigen Wasserballasts langsam abgelassen, und augenblicklich hob das riesige Schiff langsam und anmutig vom Boden ab.
Das gesamte Personal der Schiffsbesatzung während des Testfluges war das gleiche, das für die Expedition ausgewählt worden war. Zuppner, der zum Kapitän gewählt worden war, hatte die Konstruktion des Schiffes geleitet und war maßgeblich an der Gestaltung beteiligt gewesen. Die beiden Maate von Horst und Dorf waren Offiziere der kaiserlichen Luftstreitkräfte gewesen, ebenso wie der Navigator, Leutnant Hines. Hinzu kamen zwölf Ingenieure und acht Mechaniker, ein afrikanischer Koch und zwei philippinische Kajütenjungen.
Tarzan war der Kommandant der Expedition, mit Jason Gridley als seinem Leutnant, während die Kampftruppe des Schiffes aus Muviro und neun seiner Waziri-Krieger bestand.
Als sich das Schiff anmutig über der Stadt erhob, konnte Zuppner, der am Steuer saß, seine Begeisterung kaum zügeln.
»Das ist das fantastischste Schiff, das ich je gesehen habe!«, rief er aus. »Es reagiert auf die leichteste Berührung.«
»Das erstaunt mich nicht«, sagte Hines. »Ich wußte, dass es sich gut steuern würde. Warum bloss haben wir doppelt so viele Besatzungsmitglieder wie nötig?«
»Immer dasselbe mit Ihnen, Leutnant«, sagte Tarzan lachend. »Glauben Sie bloss nicht, dass ich auf eine so große Mannschaft bestanden habe, weil ich dem Schiff nicht vertrauen würde. Wir begeben uns in eine fremde Welt. Wir werden vielleicht eine lange Zeit unterwegs sein. Wenn wir unser Ziel erreichen, wird es zu Kämpfen kommen, wie jedem von euch Männern, die sich freiwillig gemeldet haben, mehrfach mitgeteilt wurde. Wir mögen zwar doppelt so viele Männer haben, wie wir für die Hinreise brauchen, aber auf der Rückreise könnten wir dennoch zu wenige haben, denn nicht alle von uns werden zurückkehren.«
»Sie werden wohl recht haben«, sagte Hines. »Aber mit dem Gefühl der Sicherheit, das von diesem Schiff ausgeht, und der friedlichen Szene da unten, scheinen Gefahr und Tod weit entfernt.«
»Ich hoffe, dass dem so ist«, erwiderte Tarzan, »und ich hoffe weiterhin, dass wir vollzählig, zurückkehren werden, aber ich bin lieber auf alles vorbereitet. Darum haben Gridley und ich Navigation studiert, und wenn es möglich ist, würden wir gerne einige praktische Erfahrungen sammeln, bevor wir unser Ziel erreichen.«
Zuppner lachte. »Sie haben Sie schon ins Auge gefasst, Hines«, sagte er.
Der Lieutenant grinste. »Ich werde Ihnen alles beibringen, was ich weiß«, sagte er. »Aber ich wette um das beste Abendessen, das in Berlin serviert werden kann, dass ich, wenn dieses Schiff zurückkehrt, immer noch sein Navigator sein werde.«
»Das ist ein Fall von Kopf oder Zahl«, sagte Gridley.
»Um auf das Thema der Vorbereitung zurückzukommen«, begann Tarzan, »werde ich Sie bitten, meine Waziri den Mechanikern und Ingenieuren helfen zu lassen. Sie sind hochintelligente Männer, die schnell lernen, und wenn uns ein Unglück ereilen sollte, können wir nicht zu genug Männer haben, die mit den Motoren und anderen Maschinen des Schiffes vertraut sind.«
»Da haben Sie recht«, sagte Zuppner. »Ich werde dafür sorgen, dass das erledigt wird.«
Das große, glänzende Schiff segelte majestätisch nach Norden, Ravensburg zog unter ihm vorbei und eine halbe Stunde später lag das düstergraue Band der Donau in seinem Schatten.
Je länger sie in der Luft waren, desto begeisterter wurde Zuppner. »Ich hatte volles Vertrauen in diesen Testflug«, sagte er. »Aber dass er so perfekt verlaufen würde, hätte ich nicht gedacht, das können Sie mir glauben. Das Schiff markiert eine neue Ära der Aeronautik, und ich bin überzeugt, dass wir, lange bevor wir die vierhundert Meilen nach Hamburg zurücklegen, die volle Flugtauglichkeit der O-220 zur vollsten Zufriedenheit eines jeden von uns festgestellt haben.«
»Der Testflug sollte ja nach Hamburg und zurück nach Friedrichshafen führen», begann Tarzan, »aber warum sollten wir in Hamburg überhaupt wieder umkehren?«
Die anderen warfen ihm fragende Blicke zu, als ihnen klar wurde, worauf Tarzan hinauswollte.
»Ja, warum eigentlich?«, fragte Gridley.
Zuppner zuckte mit den Schultern. »Wir sind voll ausgerüstet und versorgt«, sagte er.
»Warum also achthundert Meilen verschwenden, um nach Friedrichshafen zurückzufliegen?«, fragte Hines.
»Wenn ihr alle einverstanden seid, werden wir weiter nach Norden fahren«, sagte Tarzan. Und so wurde aus dem Probeflug der O-220 der tatsächliche Start zu ihrer langen Reise ins Innere der Erde, und die gewünschte Geheimhaltung der Expedition war ebenfalls gesichert.
Der ursprüngliche Plan war, dem zehnten Breitengrad östlich von Greenwich nach Norden zum Pol zu folgen. Um jedoch keine unnötige Aufmerksamkeit zu erregen, wurde eine leichte Abweichung von diesem Kurs beschlossen, und das Schiff fuhr westlich an Hamburg vorbei und über die Nordsee hinaus. Es flog weiter nach Norden, passierte Spitzbergen und schwebte schliesslich über die gefrorenen Einöden des Nordpols.
Bei einer durchschnittlichen Reisegeschwindigkeit von etwa 75 Meilen pro Stunde erreichte die O-220 gegen Mitternacht des zweiten Tages die Nähe des Nordpols, und die Aufregung stieg, als Hines verkündete, dass sie sich nach seiner Berechnung direkt über dem Pol befinden mussten. Auf Tarzans Vorschlag hin kreiste das Schiff langsam in einer Höhe von ein paar hundert Fuß über dem rauen, schneebedeckten Eis.
»Wir müssten es an den italienischen Flaggen erkennen können«, sagte Zuppner lächelnd. Aber wenn es unter ihnen noch irgendwelche Erinnerungen an die Passage der Norge gab, so waren sie durch den dicken Schneemantel wirkungsvoll verborgen.
Das Schiff flog eine Runde über dem trostlosen Packeis, bevor es seinen südlichen Kurs entlang des 170. östlichen Breitengrades aufnahm.
Von dem Moment an, als das Schiff vom Pol aus nach Süden flog, blieb Jason Gridley ständig in Hines und Zuppners Nähe und beobachtete eifrig und ängstlich die Instrumente oder starrte auf die trostlose Landschaft vor ihm. Es war Gridleys Überzeugung, dass die Polöffnung in der Nähe des 85. nördlichen Breitengrades und des 170. östlichen Längengrades lag. Vor ihm befanden sich Kompass, Aneroidbarometer, Blasenstatoskop, Luftgeschwindigkeitsmesser, Neigungsmesser, Steigungs- und Senkungsmesser, Peiltafel, Uhr und Thermometer. Aber das Instrument, das er am häufigsten betrachtete, war der Kompass, denn Jason Gridley vertrat eine Theorie, von deren Richtigkeit der Erfolg beim Auffinden der Nordpolaröffnung abhing.
Fünf Stunden lang war das Schiff stetig nach Süden geflogen, bis es den Anschein machte, nach Westen abzudrehen.
»Halten Sie das Schiff auf Kurs, Kapitän«, warnte Gridley. »Wenn ich richtig liege, fliegen wir jetzt über den Rand der Polaröffnung. Die Abweichung liegt am Kompass und nicht an unserem Kurs», fuhr er fort. »Je weiter wir diesem Kurs folgen, desto ungenauer wird der Kompass, und wenn wir uns jetzt nach oben bewegen würden, oder mit anderen Worten, geradeaus über die Polaröffnung in Richtung ihres Zentrums, würde sich die Nadel stetig im Kreis drehen. Aber wir könnten das Zentrum der polaren Öffnung nicht erreichen, da dies eine enorme Höhe erfordern würde. Ich glaube, dass wir uns jetzt am östlichen Rand der Öffnung befinden, und wenn wir vom jetzigen Kurs nach Steuerbord abdrehen, werden wir langsam nach Pellucidar vorstossen. Ihr Kompass wird jedoch für die nächsten vier- bis sechshundert Meilen nutzlos sein.«
Zuppner schüttelte zweifelnd den Kopf. »Wenn das Wetter hält, können wir es vielleicht schaffen, aber wenn der Wind zunimmt, bezweifle ich, dass ich überhaupt einen Kurs halten kann, wenn ich nicht dem Kompass folgen kann.«
»Tun Sie Ihr Bestes«, sagte Gridley, »und im Zweifelsfall drehen Sie nach Steuerbord ab.«
Die nervliche Belastung war bei allen so groß, dass stundenlang kaum ein Wort gewechselt wurde.
»Seht!«, rief Hines plötzlich aus. »Direkt vor uns ist offenes Wasser.«
»Das war natürlich zu erwarten«, begann Zuppner, »selbst wenn es keine Polaröffnung gibt, und Sie wissen, dass ich diesbezüglich skeptisch bin, seit Gridley mir zum ersten Mal seine Theorie erklärt hat.«
»Ich glaube, dass ich überhaupt der einzige hier bin, der an diese Theorie glaubt«, sagte Gridley mit einem Lächeln. »Aber bitte nennen Sie sie nicht meine Theorie, denn das ist sie nicht. Und ich wäre selbst nicht überrascht, wenn sich die Theorie als falsch herausstellen sollte. Wenn aber jemand von Ihnen in den letzten paar Stunden die Sonne beobachtet hat, werden Sie mir wohl zustimmen müssen, dass, selbst wenn es keine Polaröffnung geben sollte, wir doch ein ganzes Stück durch eine tiefe Einbuchtung in der Erdoberfläche hineingeflogen sind. Sie werden nämlich feststellen, dass die Mitternachtssonne viel tiefer steht, als sie sollte, und dass sie, je weiter wir diesem Kurs folgen, immer tiefer sinkt, bis sie ganz untergegangen ist. Wenn ich mich nicht völlig irre, werden wir kurz darauf das Licht der ewigen Mittagssonne von Pellucidar sehen.«
Plötzlich klingelte das Telefon, Hines nahm den Hörer ab und hielt ihn an sein Ohr. »Sehr gut, Sir«, sagte er nach einem Moment und hängte auf. »Das war von Horst aus der Beobachtungskabine, Kapitän. Er hat Land gesichtet, genau vor uns.«
»Land!«, rief Zuppner aus. »Das einzige Land, das laut unserer Karte in dieser Richtung liegt, ist Sibirien.«
»Sibirien liegt über tausend Meilen südlich des 85., und wir können nicht mehr als dreihundert Meilen südlich davon sein«, meinte Gridley.
»Dann haben wir entweder ein neues arktisches Land entdeckt, oder wir nähern uns den nördlichen Grenzen von Pellucidar«, schlussfolgerte Lieutenant Hines.
»Und genau das tun wir«, sagte Gridley. »Schauen Sie auf Ihr Thermometer.«
»Was zum Teufel!«, rief Zuppner aus. »Es ist nur zwanzig Grad Fahrenheit über Null.«
»Sie können das Land jetzt deutlich sehen«, sagte Tarzan. »Es sieht trist aus, hat aber hier und da ein paar kleine Schneeflecken.«
»Das entspricht dem Land, das Innes nördlich von Korsar beschrieben hat«, sagte Gridley.
Schnell wurde den anderen Offizieren und der Besatzung mitgeteilt, dass es Grund zu der Annahme gab, dass das Land unter ihnen Pellucidar war. Die Aufregung war groß, und jeder Mann, der einen Moment von seinen Pflichten freimachen konnte, begab sich auf den Steg oder spähte durch die Bullaugen, um einen Blick auf die innere Welt zu werfen.
Die O-220 bewegte sich stetig nach Süden, und gerade als der Rand der Mitternachtssonne achtern hinter dem Horizont verschwand, war das Glühen der Zentralsonne von Pellucidar deutlich sichtbar.
Die Beschaffenheit der Landschaft unter ihnen änderte sich schnell. Das karge Land war hinter ihnen verschwunden und das Schiff hatte gerade eine bewaldete Hügelkette überflogen. Vor ihm lag nun ein großer Wald, der sich immer weiter nach oben zu wölben schien, und verschwand schließlich im Dunst der Ferne. Dies war tatsächlich Pellucidar – das Pellucidar, von dem Jason Gridley geträumt hatte.
Jenseits des Waldes lag eine hügelige, mit Baumgruppen übersäte Ebene, durch die sich zahlreiche Bäche schlängelten, die auf der gegenüberliegenden Seite in einen großen Fluss mündeten.
Große Herden von Wildtieren grasten auf den offenen Weiden, und weit und breit war kein Mensch zu sehen.
»Das sieht für mich wie das Paradies aus«, sagte Tarzan. »Landen Sie hier, Kapitän.«
Langsam kam das große Schiff dem Erdboden näher, als Luft in die unteren Vakuumtanks gepumpt wurde.
Kurze Leitern wurden ausgefahren, denn die Kabine befand sich nur sechs Fuß über dem Boden, und kurz darauf stand die gesamte Schiffsbesatzung, mit Ausnahme einem Offizier und zwei Matrosen, die als Wache an Bord blieben, knietief in den üppigen Wiesen von Pellucidar.
»Ich hatte gedacht, wir sollten etwas frisches Fleisch besorgen«, sagte Tarzan. »Aber wie es scheint, hat das Schiff alles Wild verscheucht.«
»Der Menge nach, die ich gesehen habe, werden wir wohl nicht weit gehen müssen, um etwas zu erbeuten«, sagte Dorf.
»Was wir wohl jetzt am meisten brauchen, ist Ruhe«, sagte Tarzan. »Seit Wochen hat jeder Mann hier auf Hochtouren gearbeitet, um die Vorbereitungen für die Expedition abzuschließen. Ich bezweifle, dass einer von uns in den letzten drei Tagen mehr als zwei Stunden Schlaf bekommen hat. Darum schlage ich vor, dass wir hierbleiben, bis wir alle gründlich ausgeruht sind. Dann beginnen wir mit einer systematischen Suche nach der Stadt Korsar.«
Der Plan stieß auf allgemeine Zustimmung und es wurden Vorbereitungen für einen mehrtägigen Aufenthalt getroffen.
»Ich glaube, es wäre gut, strikten Befehl zu erteilen, dass niemand das Schiff, oder besser gesagt, seine unmittelbare Umgebung, ohne Ihre Erlaubnis verlässt«, sagte Gridley zu Kapitän Zuppner. »Ausserdem sollte niemandem gestattet sein, sich tief ins Umland zu wagen, außer in einer Gruppe, die von einem Offizier kommandiert wird. Denn, wie wir wissen, leben überall in Pellucidar wilde Menschen und noch wildere Tiere.«
»Ich hoffe, dieser Befehl gilt nicht für mich«, sagte Tarzan lächelnd.
»Ich glaube, dass Sie in jedem Land sehr gut auf sich selbst aufpassen können«, antwortete Zuppner.
»Und ich kann sicher allein besser jagen als mit einer Gruppe«, sagte der Affenmensch.
»Der Befehl kommt von ihnen als Kommandant«, fuhr Zuppner fort, »darum wird sich niemand beschweren, wenn Sie sich von den Bestimmungen ausnehmen. Ausserdem bin ich sicher, dass keiner von uns anderen besonders darauf erpicht ist, allein in Pellucidar herumzuwandern.«
Alle Offiziere und Männer, mit Ausnahme der Wache, die alle vier Stunden wechselte, schliefen, bis sie ausgeruht waren.
Tarzan von den Affen war der erste, der erwachte und das Schiff verließ. Er hatte die Kleidung abgelegt, die ihn belastete und störte, seit er seinen eigenen afrikanischen Dschungel verlassen hatte, um sich an der Vorbereitung der O-220 zu beteiligen. So war es kein makellos gekleideter Engländer, der aus der Kabine trat und sich auf den pellucidarischen Boden unter ihm fallen ließ, sondern ein fast nackter und primitiver Krieger, bewaffnet mit Jagdmesser, Speer, Bogen und Pfeilen und dem langen Seil, das Tarzan immer bei sich trug, denn bei der Jagd zog er die Waffen seiner Jugend den Feuerwaffen der Zivilisation vor.
Leutnant Dorf, der einzige diensthabende Offizier, sah ihn davongehen und beobachtete mit unverhohlener Bewunderung, wie der schwarzhaarige Lord des Dschungels über die offene Ebene zog und im Wald verschwand.
Es gab Bäume, die den Augen des Affenmenschen vertraut waren, und Bäume, wie er sie noch nie gesehen hatte, aber es war ein Wald, und das reichte aus, um Tarzan von den Affen anzulocken und ihn die letzten Wochen vergessen zu lassen, die er inmitten der geschmacklosen Umgebung der Zivilisation verbracht hatte. Er war auch erleichtert darüber, das Schiff verlassen zu haben, denn obwohl er alle seine Gefährten mochte, war er doch glücklich darüber, endlich allein zu sein.
In den ersten Momenten seiner neu gewonnenen Freiheit war Tarzan wie ein Junge, der aus der Schule kam. Unbehelligt von den verhassten Gewändern der Zivilisation, außer Sichtweite von allem, was ihn auch nur im Entferntesten an die Grausamkeiten erinnern könnte, mit denen der Mensch das Antlitz der Natur entstellt, füllte er seine Lungen mit der reinen Luft von Pellucidar, sprang auf einen nahen Baum und schwang sich durch den Wald. Er gab sich völlig der Freude, der Vitalität und dem freien Leben hin. Tarzan sauste durch den Urwald von Pellucidar. Seltsame Vögel, aufgeschreckt durch sein schnelles und lautloses Vorankommen, flogen kreischend aus seinem Weg und urtümliche Tiere schlichen vor ihm in Deckung. Aber Tarzan beobachtete sie kaum, er war nicht auf der Jagd, er suchte nicht einmal nach dem Neuen in dieser neuen Welt. Im Moment lebte er nur.
Von dieser Stimmung beherrscht, dachte Tarzan genau so wenig an das Verstreichen der Zeit, wie an die Zeitlosigkeit von Pellucidar selbst, dessen ewig im Zenit stehende Mittagssonne, uns von der äußeren Erdoberfläche bewusst macht, wie verrückt und vergeblich wir versuchen, die Erde in ihren Umdrehungen zu schlagen, und hektisch und gestresst durchs Leben eilen. Tarzan dachte auch nicht an Entfernungen oder Richtungen, denn solche Dinge waren selten Gegenstand bewusster Überlegungen des Affenmenschen, dessen bemerkenswerte Fähigkeit, jeder Notlage zu begegnen, er unbewusst Kräften zuschrieb, die in ihm selbst lagen, ohne daran zu denken, dass er sich in seinem eigenen Dschungel auf die freundliche Sonne und den Mond und die Sterne als Führer bei Tag und Nacht verlassen konnte, und auf die unzähligen vertrauten Dinge, die zu ihm in einer freundlichen, stimmlosen Sprache sprachen, die nur die Dschungelbewohner deuten können.
Als sich seine Stimmung änderte, verringerte Tarzan auch seine Geschwindigkeit, und bald ließ er sich bei einem auffälligen Wildpfad auf den Boden fallen. Jetzt ließ er seine Augen die neuen Wunder um ihn herum aufnehmen. Er bemerkte die Anzeichen eines hohen Alters, wie die enorme Größe der Bäume und die alten Ranken, die sich um viele von ihnen klammerten – Anzeichen eines Alters, das seinen eigenen Dschungel modern erscheinen ließen – und er staunte über die prächtigen Blumen, die überall in üppiger Fülle blühten. Dann packte ihn plötzlich etwas am Körper und riss ihn hoch in die Luft.
Tarzan von den Affen war einen Moment lang unaufmerksam gewesen. Er war in Gedanken so von den Wundern dieser neuen Welt beschäftigt, dass seine Wachsamkeit, die sonst alle Geschöpfe der Wildnis auszeichnet, für einen kurzen Moment nachgelassen hatte.
Beinahe im selben Augenblick wurde dem Affenmenschen klar, was ihm widerfahren war. Obwohl er sich die katastrophalen Folgen leicht vorstellen konnte, umspielte ein schwaches Lächeln seine Lippen – ein reumütiges Lächeln, das sich über sich selbst ärgerte, denn Tarzan war in eine primitive Schlinge geraten, wie sie jeweils für unvorsichtige Tiere ausgelegt wird.
Eine Schlinge aus Rohleder, war an einem herunterhängenden Ast eines überhängenden Baumes befestigt und auf dem Weg, den er entlangging, begraben worden. Und er direkt hineingetreten – das war die ganze Geschichte. Aber die Folgen hätten vielleicht weniger schlimm ausfallen können, wenn die Schlinge nicht seine Arme an den Seiten eingeklemmt hätte, als sie sich um ihn schloss.
Er hing etwa sechs Fuß über dem Pfad, fest um die Hüften gefesselt, die Schlinge hielt seine Arme zwischen Ellbogen und Handgelenken gefangen und drückte sie hart an seine Seiten. Und um sein Unbehagen und seine Hilflosigkeit noch zu verstärken, hing er kopfüber und drehte sich umher wie ein menschliches Lot.
Er versuchte, einen Arm aus der Schlinge zu ziehen, damit er sein Jagdmesser greifen und sich befreien konnte, aber jede Bewegung schien den unerbittlichen Griff der Schlinge noch zu verstärken, die sich tiefer und tiefer in sein Fleisch schnitt.
Er wusste, dass die Schlinge bedeutete, dass Menschen in der Nähe waren und dass sie zweifellos bald kommen würden, um ihre Falle zu inspizieren. Sein eigenes Wissen über solch primitive Jagdmethoden lehrte ihn, dass Jäger ihre Schlinge nicht lange unbeaufsichtigt lassen würden, da sie im Falle eines Fangs, schnell handeln mussten, bevor er fleischfressenden Tieren oder Vögeln zum Opfer fiel. Er fragte sich, was das für Leute waren und ob er sich nicht mit ihnen anfreunden könnte. Aber wer auch immer sie waren, er hoffte, dass sie vor den Raubtieren kommen würden. Und während ihm solche Gedanken durch den Kopf gingen, fingen seine aufmerksamen Ohren das Geräusch sich nähernder Schritte auf, Schritte, die nicht von Menschen stammten. Was auch immer sich näherte, es kam durch alle Windrichtungen, so dass er keine Witterung aufnehmen konnte. Immerhin konnte ihn die Bestie dadurch auch nicht wittern. Das Tier kam gemächlich heran, und als es sich ihm näherte, wusste er, dass es ein Huftier war, bevor es in Sichtweite kam. Er hatte daher wenig Grund, Angst zu haben, es sei denn, es handelte sich um eine seltsame pellucidarische Kreatur, die Eigenschaften aufwies, die völlig anders waren als alle, welche er von der Erdoberfläche her kannte.
Während er diese tröstenden, fast schon beruhigenden Gedanken zuliess, stieg ihm ein weiterer Geruch in die Nase. Einer, der ihm die Nackenhaare aufstellte. Nicht etwa aus Angst, sondern als natürliche Reaktion auf die Anwesenheit eines Erzfeindes. Es war kein Geruch, den er jemals zuvor gerochen hatte. Es war nicht der Geruch von Numa, dem Löwen, oder Sheeta, dem Leoparden, sondern es war die Witterung einer anderen Art von Großkatze. Und jetzt konnte er hören, wie sie sich fast lautlos durch das Unterholz näherte, und er wusste, dass sie sich dem Pfad näherte, weil sie entweder durch seine Anwesenheit oder die des Huftieres angelockt wurde.
Letzteres kam zuerst in Sicht – ein grosses, ochsenähnliches Tier mit weit ausladenden Hörnern und einem zotteligen Fell – ein riesiger Stier, der gemächlich den Pfad entlangkam. Es war der Thag von Pellucidar, der Bos Primigenus der Paläontologen der äußeren Kruste, ein längst ausgestorbener Stammvater der Rinderrassen unserer eigenen Welt.
Einen Moment lang stand er bloss da und beäugte den Mann, der da vor ihm auf dem Weg hin und her baumelte.
Tarzan verhielt sich sehr ruhig. Er wollte das Tier nicht verscheuchen, denn ihm war klar, dass einer von ihnen beiden die Beute des Raubtiers sein musste, das sich an sie heranschlich. Falls er erwartet hatte, dass der Thag ängstlich sein würde, erkannte er bald seine Fehleinschätzung, denn der große Bull scharrte grummelnd mit einem Vorderfuß auf der Erde, und senkte seine massiven Hörner zum Angriff. Der Affenmensch wusste, dass seine Präsenz das hitzige Temperament des Stiers weiter anstachelte. Und der Stier schien auch nicht lange zu zögern, denn schon rückte er unter donnerndem Gebrüll bedrohlich vor. Sein Schwanz war aufgerichtet und sein Kopf gesenkt, als er in einen Trab verfiel, der dem Angriff vorausging.
Der Affenmensch wurde bewusst, dass sein Schädel wie eine Eierschale zermalmt werden würde, sollte er von diesen massiven Hörnern oder diesem schweren Kopf getroffen werden.
Das schwindelerregende Drehen, das durch die erste Spannung des Lederriemens unter seinem Gewicht verursacht worden war, hatte sich zu einer sanften Drehbewegung abgeschwächt, so dass er dem Thag manchmal ins Antlitz blickte und ihm manchmal den Rücken kehrte. Die völlige Hilflosigkeit seiner Lage machte den Affenmenschen wütend und beunruhigte ihn mehr als jeder Gedanke an den bevorstehenden Tod. Von Kindheit an war er Hand in Hand mit dem Sensenmann gegangen, und er hatte den Tod in so vielen Formen gesehen, dass er ihm keine Angst mehr einjagte. Er wusste, dass er die letzte Erfahrung aller geschaffenen Dinge war, dass er genauso unvermeidlich zu ihm kommen musste wie zu allen anderen. Obwohl er das Leben liebte und noch nicht sterben wollte, löste das nahende Ende keine unsinnige Hysterie in ihm aus. Aber zu sterben, ohne eine Chance zu haben, um sein Leben zu kämpfen, war kein Ende, das Tarzan gewählt hätte. Und jetzt, als sich sein Körper langsam drehte und seine Augen sich von dem angreifenden Thag abwandten, betrübte ihn der Gedanke, dass ihm nicht einmal die magere Genugtuung zuteilwerden sollte, dem Tod von Angesicht zu Angesicht zu begegnen.
In dem kurzen Augenblick, in dem er auf den Aufprall wartete, wurde die Luft von einem so grässlichen Schrei zerrissen, wie er niemals zuvor in die Ohren des Affenmenschen gedrungen war. Das Brüllen des Bullen stieg plötzlich in eine höhere Tonlage und vermischte sich mit diesem anderen furchterregenden Geräusch.
Noch einmal drehte sich der baumelnde Körper des Affenmenschen und sein Blick fiel auf eine Szene, wie sie den Menschen der äußeren Welt seit unzähligen Zeitaltern nicht mehr vergönnt war.
Auf den massiven Schultern und dem Genick des großen Thags krallte sich ein Tiger von so gewaltigen Ausmaßen fest, dass Tarzan seinen eigenen Augen kaum glauben konnte. Große säbelartige Zähne, die aus dem Oberkiefer herausragten, steckten tief im Hals des Ochsen, der, anstatt zu fliehen, stehen geblieben war und nun versuchte, das große Raubtier zu vertreiben, indem er seine riesigen Hörner nach hinten schwang, um den lebenden Tod von seinen Schultern zu stossen. Ebenfalls schüttelte er seinen ganzen massigen Körper panisch hin und her und brüllte dabei vor Schmerz und Wut.
Allmählich veränderte der Säbelzahn seine Position, bis er einen für seinen Zweck geeigneten Halt gefunden hatte. Mit blitzartiger Schnelligkeit holte er mit einer Vorderpranke aus und versetzte dem Ochsen einen einzigen, gewaltigen Schlag gegen die Seite seines Kopfes – einen titanischen Schlag, der den mächtigen Schädel zertrümmerte und den riesigen Bullen auf der Stelle zu Fall brachte. Und dann ließ sich das Raubtier nieder, um sich an seiner Beute zu laben.
Während des Kampfes hatte der Säbelzahntiger den Affenmenschen nicht bemerkt; und erst als er begonnen hatte, den Ochsen zu fressen, wurde sein Blick von dem sich drehenden Körper angezogen, der einige Meter entfernt über dem Pfad schwang. Sofort hörte das Tier auf zu fressen, senkte seinen Kopf verzog die Oberlippe zu einem grässlichen Knurren. Er beobachtete den Affenmenschen. Ein tiefes, bedrohliches Knurren dröhnte aus seiner Kehle. Sein langer, gewundener Schwanz peitschte wütend, als er sich langsam von dem Körper seiner Beute erhob und auf Tarzan von den Affen zuging.