Читать книгу Das indische Tuch - Edgar Wallace, Edgar Wallace - Страница 10
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ОглавлениеBriggs fühlte sich ziemlich sicher, als er den Victoria-Bahnhof in London erreichte, und hoffte, in der Menge untertauchen zu können. Aber als er die Sperre passierte, traten vier Herren auf ihn zu. Er wußte sofort, was das zu bedeuten hatte.
Sie nahmen ihn mit zur Polizeistation in der Bow Street und durchsuchten seinen Koffer. Kein Mensch kümmerte sich um die Behauptung, daß das Gepäckstück nicht ihm, sondern einem Unbekannten gehörte, einem gewissen Smith, für den er es nur mitgenommen hätte. Natürlich fand man die vier Päckchen gefälschter Banknoten.
»Ich habe die Scheine vorher nie gesehen«, schwor Briggs.
Später wurde er von Chefinspektor Tanner verhört.
»Daß Sie im Besitz von Falschgeld sind, ist noch das wenigste«, meinte der Beamte. »Sie waren in der vergangenen Nacht im Dorf Marks Thornton, wo ein Mord verübt wurde. Was wissen Sie davon?«
Briggs behauptete, daß er davon keine Ahnung habe. Er wäre erstaunt, daß in dieser friedlichen Gegend jemand ermordet werden könnte, erklärte er, und fragte dann, ob man eine Waffe gefunden hätte.
»Das klingt fast, als ob Sie wüßten, daß der Mann erwürgt worden ist.«
Der Chefinspektor hatte nicht den geringsten Zweifel, daß Briggs an dem Verbrechen unbeteiligt war. Aus den Akten ging hervor, daß sich der Mann nur mit Falschgeld befaßte. Da es sich hier um einen alten Sträfling handelte, konnte man seinen Charakter genau beurteilen.
Tanner ahnte natürlich nicht, daß Briggs den ermordeten Chauffeur mit eigenen Augen gesehen hatte, und er trieb das Verhör auch nicht auf die Spitze. Aber unter dem Mordverdacht gestand Briggs alles ein, was das Falschgeld betraf, und sagte auch, was er von Zibriski wußte. Der Hochstapler konnte daher noch am selben Abend verhaftet werden, als er gerade den Dampfer nach Le Havre betreten wollte.
Tanner kehrte nach Scotland Yard zurück, suchte seinen Vorgesetzten auf und erkundigte sich, ob man über den Mord in Marks Thornton etwas Neues erfahren hätte.
»Nein, die Polizei dort hat nicht um unsere Hilfe gebeten. Die Leute rufen uns natürlich erst, wenn alle Spuren so verwischt sind, daß man nichts mehr finden kann. Es scheint aber ein ziemlich gewöhnliches Verbrechen zu sein; die Polizei hält es für einen Racheakt. Studd hat anscheinend ein paar üble Bekanntschaften gemacht, wirkliche Feinde hatte er wohl nicht.« Im Lauf des Abends hörte der Chefinspektor noch weitere Einzelheiten, die ihn jedoch nicht besonders interessierten. Studd sollte einen Streit mit dem eifersüchtigen Parkwächter Tilling gehabt haben, aber dieser Verdacht stellte sich bald als unbegründet heraus.
Niemand erwähnte den Namen Dr. Amershams; auch in den Berichten, die Scotland Yard erhielt, erschien er nicht. Erst eine Woche später, als sich die Lokalbehörden entschlossen, die Hilfe von Scotland Yard in Anspruch zu nehmen, hörte man etwas von dem Arzt. Tanner und Totty waren nach Marks Thornton gefahren, um den Fall genauer zu untersuchen.
Der Chefinspektor machte einen Besuch im Herrenhaus, wurde aber kühl und mit Abwehr empfangen. Beiläufig erwähnte er Lady Lebanon gegenüber Dr. Amersham.
»Er kommt manchmal hierher«, erklärte sie, »aber er war an jenem Unglücksabend nicht lange hier. Soviel ich weiß, fuhr er um zehn Uhr fort.«
Der kurze Einblick in das Leben auf Marks Priory sagte Tanner nichts. Die große Eingangshalle wurde gerade repariert; Gerüste waren an den Wänden aufgestellt, und Kelver zeigte ihm die einzelnen Steintafeln, auf denen die Familienwappen der Lebanons und ihrer Gemahlinnen eingemeißelt waren.
»Mylady ist eine Autorität auf dem Gebiet der Heraldik«, erklärte der Butler. »Sie kann die Bedeutung eines Wappens lesen, als ob es eine gewöhnliche Buchseite wäre. In diesen Dingen hat sie wirklich erstaunliche Kenntnisse. Wie Sie wissen, führt die Familie Lebanon ihren Stammbaum auf die ältesten Zeiten zurück. Der erste Lebanon wurde von König Richard I. geadelt.«
»Interessant«, entgegnete der Chefinspektor, der darin wenig bewandert war. »Was können Sie mir nun von Studd erzählen?«
Kelver schüttelte den Kopf.
»Wegen dieses Verbrechens habe ich nächtelang nicht schlafen können. Studd war ein wirklich liebenswürdiger und freundlicher Charakter.«
Wenn man Kelvers Worten trauen konnte, hatte er nichts gesehen und gehört und erst von dem Tod des Chauffeurs erfahren, als ein Polizist den Mord im Schlosse meldete. Er lobte den Toten in jeder Weise und sagte, daß der Mann unmöglich einen Feind gehabt haben könnte.
Sergeant Totty hatte inzwischen die anderen Dienstboten vernommen, von ihnen aber nur dasselbe gehört.
Der Mord war bereits vor sechs Tagen geschehen, und es war schwer, neue Anhaltspunkte zu finden.
Tanner betrachtete die Fotografie Studds, dann untersuchte er das rotseidene Tuch, mit dem der Mann erwürgt worden war, und nahm es später mit nach Scotland Yard. In der einen Ecke des Gewebes war eine winzige Zinnplatte eingenäht, auf der einige Worte in Hindostani standen. Die Übersetzung ergab, daß es sich um den Namen des Fabrikanten handelte.
Der Chefinspektor sprach mit dem jungen Lord und stellte mehrere Fragen an ihn; aber Willie konnte ihm auch keine Erklärung geben. Er hatte Studd geschätzt und gern um sich gehabt, aber das hatte Tanner bereits von dem Butler erfahren. Der Tod des Chauffeurs schien Willie Lebanon sehr nahegegangen zu sein.
Die dritte wichtige Person traf Tanner, als er quer über die Felder nach dem Dorf ging und Isla Crane ihm mit schnellen Schritten entgegenkam. Sie wäre an ihm vorübergeeilt, wenn er sie nicht angehalten hätte.
»Verzeihung, Sie sind doch Miss Crane. Ich bin Chefinspektor Tanner von Scotland Yard.«
Zu seinem größten Erstaunen wurde sie bleich und sah ihn entsetzt an. In seiner Praxis war ihm dies schon öfters begegnet. Leute, die unerwartet mit der Polizei in Berührung kommen, benehmen sich sonderbar, ganz gleich, ob sie unschuldig oder schuldig sind. Aber er hatte nicht vermutet, daß eine junge, vornehme Dame in solche Erregung geraten würde.
»Ach ja, mir hat jemand gesagt, daß Sie von der Polizei sind. Sie wollen hier Nachforschungen über Studds Tod anstellen? Der arme Mann tut mir wirklich leid.«
»Sie wissen wahrscheinlich nichts über den Mord?«
»Nein.«
»Können Sie mir sonst irgendeine Aufklärung geben?«
Sie schüttelte den Kopf, noch bevor er ausgesprochen hatte, und ging schnell an ihm vorbei.
Sergeant Totty beobachtete sie, bis sie außer Sicht war, dann wandte er sich an seinen Vorgesetzten.
»Merkwürdig, was?«
»Das kann ich nicht finden. Ich habe schon viele Menschen gesehen, die sich in solchen Fällen ähnlich benommen haben. Für Leute ihres Standes muß es eine große Enttäuschung bedeuten, plötzlich mit einem Mord zu tun zu haben.«
Trotzdem war Tanner sehr nachdenklich, als er weiterging.
In der großen Säulenhalle vor dem Haupteingang von Marks Priory traf Isla Gilder, der auf einem Stuhl saß und Zeitung las.
Er stand sofort auf, als sie näher kam, und sah sie prüfend an.
»Haben Sie den Polizeibeamten gesehen?« fragte er streng.
»Meinen Sie den Detektiv?«
»Ja. Hat er Sie ausgehorcht?«
Sie verstand nicht gleich, was er wollte.
»Hat er Fragen an Sie gerichtet, Miss?«
Seine tiefe Stimme beunruhigte sie.
»Ja, er fragte mich, ob ich etwas von dem Mord wüßte. Das war alles.«
Sie wandte sich rasch um und ging ins Haus. Lady Lebanon saß in der großen Halle an ihrem Schreibtisch. Ganze Tage brachte sie damit zu, alte heraldische Inschriften zu studieren. Im Lateinischen war sie glänzend bewandert, und das Altenglische beherrschte sie vollendet wie wenige andere.
Als sie Isla sah, schloß sie das Buch, in dem sie gelesen hatte.
»Was gibt es denn?« fragte sie.
Isla zitterte am ganzen Körper und konnte zuerst keine Worte finden.
»Er hat mich verschiedenes gefragt«, sagte sie schließlich. »Ich meine Mr. Tanner.«
»Ach so, der Polizeibeamte. Was denn? Hat er über Amersham gesprochen?«
Isla schüttelte den Kopf.
»Was geht denn eigentlich hier im Schloß vor?«
»Manchmal kann ich dich überhaupt nicht verstehen, Isla«, erwiderte Lady Lebanon etwas scharf. »Was soll denn hier vorgehen?«
»Wenn sie es nun herausbringen?«
Lady Lebanon richtete sich in ihrem Sessel auf.
»Ich weiß wirklich nicht, was du meinst, Isla. Was soll das heißen: ›Wenn sie es nun herausbringen?‹ Ich wünschte, du würdest dich nicht um Dinge kümmern, die dich nichts angehen.«
Isla Crane ging an diesem Abend früh zur Ruhe. Sie schlief in einem großen Prachtgemach, das bekannt war als das »Zimmer des alten Lords«. Es war ein großer, etwas düsterer Raum mit einem mächtigen Pfostenbett.
»Zum Kuckuck, warum hat sie sich so früh zurückgezogen?«
»Mach doch nicht solchen Lärm, Willie«, entgegnete seine Mutter. »Wozu sollte sie auch länger aufbleiben? Sie hat doch nichts zu tun.« Sie sah auf ihre brillantengeschmückte Armbanduhr. »Es wäre übrigens auch für dich an der Zeit, Liebling. Hast du mit Isla gesprochen?«
»Nein, ich hatte noch nicht die geringste Gelegenheit dazu, seitdem dieser schreckliche Mord passierte.« Er senkte den Kopf und lauschte. »Da kommt ein Auto – ist das Amersham?«
»Ja.«
»Er war doch auch in der Mordnacht hier?«
Sie sah schnell auf.
»Nein. Er ist damals sehr früh fortgefahren – es muß ungefähr zehn Uhr gewesen sein.«
Er lächelte.
»Aber Mutter, ich habe doch gesehen, wie sein Wagen morgens um sieben abfuhr. Ich schaute gerade aus dem Fenster. Mir hat schon jemand erzählt, daß er noch am selben Abend fortgefahren wäre.«
»Hast du den Leuten gesagt, daß das nicht richtig ist?« fragte sie scharf.
»Nein – warum sollte ich das tun?« Er sah zu dem Gewölbe der Halle empor und seufzte. »Das ist ein verteufelt düsteres Haus. Es graut mir bei dem Gedanken, daß ich mein ganzes Leben hier verbringen soll. Amersham will ich nicht sehen, ich gehe auf mein Zimmer.«
Die Tür öffnete sich, aber nicht Amersham trat ein, sondern Gilder, der ein Tablett mit Whisky, einem Siphon und einem Glas trug. Er goss eine geringe Menge Whisky ein und füllte das Glas mit Sodawasser, während der Lord argwöhnisch zusah.
Dann nahm Willie das Glas aus der Hand des Mannes und trank daraus. Aber erst als er es ganz geleert hatte, bemerkte er den bitteren Nachgeschmack.
»Ein merkwürdiger Whisky«, sagte er.
Das war die letzte Bemerkung, auf die er sich besinnen konnte. Vier Stunden später erwachte er mit ziemlichen Kopfschmerzen, machte Licht und sah, daß er sich in seinem eigenen Zimmer befand. Er trug seinen Schlafanzug und lag im Bett. Stöhnend richtete er sich auf, aber es drehte sich alles um ihn. Mr. Gilder hatte etwas zu viel von dem Betäubungsmittel ins Glas geschüttet.