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Mr. Joe Grandman ging zu einem der langen Fenster des überreich ausgestatteten Wohnzimmers und starrte über den smaragdgrünen Rasen hinweg in den Park hinaus. In dem dunstigen Regenwetter waren die Teppichbeete von Geranien und Lobelien kaum noch zu sehen. Auch der hintere Teil des wohlgepflegten Rasens verschwand bereits mehr und mehr. Der Park war der Stolz Mr. Grandmans; er verwandte große Summen auf die gärtnerischen Anlagen und beschäftigte viele Leute.

»Ausgerechnet heute muß es so furchtbar gießen«, sagte er bitter.

Seine große, etwas korpulente Frau drehte sich langsam in dem bequemen Ledersessel zu ihm um.

»Aber Joe, es hat doch keinen Zweck, daß du deiner schlechten Laune nachgibst. Du hast die Leute doch nicht zu einer Gartenparty, sondern zu einem Ball, zu einem großen Dinner eingeladen. Wer bleiben will, kann ja morgen, wenn das Wetter besser ist, auf die Jagd gehen oder sich sonst in dem großen Park amüsieren.«

»Ach, sei doch ruhig, Ethel«, erwiderte Grandman gereizt. »Was sie hier erwarten, ist mir gleichgültig; vor allem kommt es darauf an, daß wir mit dem Erfolg der Einladung zufrieden sind. Du weißt genau, daß man nicht von selbst in die Höhe kommt. Denk doch nur daran, wie glanzvoll ich Karriere gemacht habe. Das kam doch alles nicht von ungefähr. Man muß sich anstrengen und wissen, wie man es anzufangen hat.«

Mr. Grandman erwähnte gern die Tatsache, daß er sich in unglaublich kurzer Zeit in die Höhe gearbeitet hatte und nun nicht nur eine führende Stellung in der Finanzwelt einnahm, sondern auch in den besten Gesellschaftskreisen verkehrte. Und um ihm gerecht zu werden: Die Unternehmen, die er gegründet hatte, verwaltete er nach den Grundsätzen von Ehrlichkeit und Ordnung.

»Hauptsächlich kommt es darauf an, daß man die richtigen Leute kennt«, fuhr er fort, »und sie zu nehmen versteht. Selbstverständlich ist es leichter, die zweite Million zu verdienen als die erste. Und verlaß dich darauf, Ethel, ich werde auch noch mehr schaffen. Ein paar tausend Pfund für gesellschaftliche Verpflichtungen dürfen da keine Rolle spielen.«

Mrs. Grandman hatte nicht den Überblick ihres Mannes; sie war etwas kleinlich und ängstlich, wenn er von größeren Summen sprach, ja sie fürchtete, daß die gesellschaftlichen Veranstaltungen der nächsten Tage einige Tausende kosten würden, aber sie sagte nichts.

»Ich wette, daß die Leute noch nie einen so glänzenden Ball erlebt haben wie den unseren heute Abend«, erklärte Mr. Grandman selbstbewußt und befriedigt, als er vom Fenster zurücktrat und langsam auf seine Frau zuging. »Und die Gesellschaft, die wir geladen haben, ist erstklassig; fast alle Leute, die eine bedeutende Stellung in der City einnehmen, werden kommen, und die Juwelen, die die Damen hier tragen, stellen ein so großes Vermögen dar, daß ich sie nicht einmal mit all meinem Kredit kaufen könnte.«

Seine Frau legte die Zeitung mit einer ungeduldigen Bewegung auf den Tisch, der neben ihr stand.

»Es ist gut, daß du das erwähnst. Hoffentlich weißt du, was du tust, und bist dir darüber klar, daß du dadurch eine große Verantwortung auf dich lädst.«

»Was redest du immer von Verantwortung?«

»Wenn so viel Werte hier im Hause sind, ist es doch gefährlich. Hast du die Zeitungen denn nicht gelesen? Oder haben es dir deine Freunde nicht gesagt?«

Mr. Grandman lachte herzlich.

»Ach, ich weiß, was du für Kopfschmerzen hast«, entgegnete er, nachdem er sich wieder beruhigt hatte. »Du hast Angst vor der ›Quadrat-Jane‹!«

»Ja. Ist es nicht unglaublich, daß so ein Frauenzimmer nicht von der Polizei gefaßt wird? Aber ich würde ihr schon die Hölle heiß machen, wenn sie hier ins Haus käme!« sagte Mrs. Grandman aufgebracht.

»Sie ist aber keine gewöhnliche Einbrecherin.« Mr. Grandman schüttelte den Kopf. Ob er die ›Quadrat-Jane‹ bewunderte oder ob er seine Frau tadeln wollte, war schwer zu sagen. »Mein Freund Lord Belchester – er ist wirklich mein Freund – sagte mir, es sei ihm ein absolutes Rätsel, auf welche Weise seine Frau die kostbaren Smaragde verloren habe. Er war sehr entrüstet, denn die Steine haben ihn die Hälfte des Geldes gekostet, das er bei der letzten Hausse an der Börse verdient hat. Und ausgerechnet einen Monat nach dem Tag, an dem er diesen Schmuck erworben hat, werden seiner Frau die Steine gestohlen. Er hat den Eindruck, daß einer seiner Gäste den Diebstahl ausgeführt haben muß.«

»Warum nennt man diese Verbrecherin eigentlich ›Quadrat-Jane‹?« fragte Mrs. Grandman neugierig.

Er zuckte die Schultern. »Sie läßt immer ein Kennzeichen zurück: einen kleinen Zettel mit einem Stempel, der vier Quadrate und in der Mitte ein J zeigt. Die Kriminalbeamten haben sie ›Jane‹ getauft, und so ist der Name entstanden; die Zeitungsschreiber haben ihn aufgegriffen, und nun kennt alle Welt sie unter diesem Namen.«

Seine Frau nahm die Zeitung auf und legte sie nervös wieder hin, während sie ins Kaminfeuer starrte.

»Du hast all die Leute eingeladen, auch die Nacht in unserem Hause zu verbringen, und dann rühmst du dich obendrein noch der vielen Juwelen, die im Hause sind. Ich muß sagen, du hast Nerven!«

Mr. Grandman lachte. »Ich habe aber auch die nötigen Vorkehrungen getroffen. Das Detektivinstitut Ross ist eins der größten in London, und ich habe die Leute gebeten, mir ihre beste Angestellte zu schicken.«

»Aber um Himmels willen«, rief sie entsetzt, »du wirst doch nicht etwa eine Frau hier ins Haus holen?«

»Selbstverständlich. Ich habe es dir doch eben gesagt. Sie ist eine vollendete Dame. Der Inhaber der Firma versicherte mir, daß sie eine der tüchtigsten Detektivinnen Englands sei. Er selbst hat mir sogar ausdrücklich geraten, eine Dame zu nehmen und nicht einen Herrn; bei einer gesellschaftlichen Veranstaltung fällt eine Detektivin ja nicht so leicht auf wie ein Detektiv. Ich habe sie für sieben Uhr bestellt.«

Zweifellos war die gesellschaftliche Veranstaltung Mr. Grandmans eins der größten Ereignisse der Grafschaft. Die Gäste sollten in einem Sonderzug von London kommen. Mr. Grandman hatte eine ganze Kolonne von Autos gemietet, um die Gäste vom Bahnhof abzuholen, und es hatte eine Menge Geld gekostet, so viele elegante Wagen bereitzustellen.

Sein eigener Rolls-Royce wartete vor der Tür, um ihn zum Bahnhof zu bringen, wo er den Sonderzug empfangen wollte.

Grandman war gerade im Begriff, sich anzuziehen, als einer der Diener ihm eine Karte brachte.

›Miss Caroline Smith‹, las er. In der Ecke stand: Detektivinstitut Ross, Londons

»Führen Sie die junge Dame in die Bibliothek.«

Als er kurz darauf hinging, stellte er fest, daß Miss Smith eine wirklich schöne, repräsentable Erscheinung war. Außerdem sah man ihren klugen Augen sofort an, daß sie auch die nötige Begabung für ihren Beruf hatte. Bei seinem Eintritt erhob sie sich und lächelte ihn an.

Mr. Grandman war angenehm überrascht.

»Also Sie sind die Meisterdetektivin«, scherzte er. »Sie sehen allerdings für Ihren Beruf noch ziemlich jung aus.«

»Ja, man sieht eben manchmal nicht nach dem aus, was man ist. Selbst drüben, über dem großen Teich, hat man mein jugendliches Aussehen zuerst ungünstig vermerkt, aber nachher habe ich die Leute davon überzeugen können, daß nur die Leistungen maßgebend sind.«

»Ach, Sie kommen aus den Vereinigten Staaten?« fragte Mr. Grandman interessiert.

Sie nickte. »Dies ist der erste Auftrag, den ich in England zu erledigen habe, und ich bin daher ein wenig nervös.«

Ihre Stimme klang angenehm und liebenswürdig. Mr. Grandman, der selbst mehrere Jahre in den USA zugebracht hatte, nahm an, daß Miss Smith aus einem der Südstaaten stammte.

»Nun, ich glaube, daß Sie Ihren Beruf genügend beherrschen, um die ›Quadrat-Jane‹ zu fassen oder ihre Bemühungen doch wenigstens zu vereiteln.«

Sie nickte. »Es wird aber eine ziemlich schwere Aufgabe sein. Jedenfalls ist es gut, daß wir vorher darüber sprechen. Wenn ich Ihnen helfen und Ihre Gäste schützen soll, bitte ich Sie vor allem um Ihre Genehmigung, überall im Hause frei umhergehen zu dürfen. Ich möchte ungestört tun können, was mir zweckmäßig erscheint. Wenn ich Erfolg haben soll, kommt es hauptsächlich darauf an, daß ich die nötige Bewegungs- und Handlungsfreiheit habe.«

»Selbstverständlich. Wollen Sie an dem Galadinner teilnehmen?«

»Nein, das würde mich zu sehr behindern. Ich muß doch vor allem aufpassen, und wenn ich bei Tisch säße, würde ein großer Teil meiner Aufmerksamkeit von der Unterhaltung mit meinem Tischherrn in Anspruch genommen werden. Sie werden also verstehen, daß ich mich frei im Haus bewegen muß. Sie können mich ja als Ihre junge Nichte vorstellen. Nennen Sie mich bitte Miranda. Ich komme direkt aus den Rocky Mountains. – Wie steht es eigentlich mit Ihrer Dienerschaft?«

»Auf die kann ich mich verlassen. Den Leuten könnte ich selbst mein Leben anvertrauen«, erwiderte Mr. Grandman etwas prahlerisch.

Sie sah ihn lächelnd an und zwinkerte mit den Augen.

»Können Sie mir nun vielleicht noch etwas über diese Verbrecherin sagen?«

»Ich weiß nur so viel von ihr, daß sie eine junge Dame ist, die sich glänzend in Gesellschaft bewegen kann. Hauptsächlich hat sie es auf Feste abgesehen, wie ich zum Beispiel heute Abend eines gebe. Wir werden eine große Anzahl von Damen der Hocharistokratie hier haben. Das macht es ja gerade so schwierig, denn diese Jane versteht es ausgezeichnet, aufzutreten. Vielleicht kommt sie in dem Sonderzug mit meinen anderen Gästen an.«

»Kennen Sie Ihre Gäste eigentlich alle persönlich?« fragte Miss Smith und lächelte verschmitzt, als er den Kopf schüttelte. »Nun, ich glaube, ich werde die ›Quadrat-Jane‹ schon herausfinden.« Sie hob abwehrend die Hand, als er erfreut aufblickte. »Damit ist noch nicht gesagt, daß sie tatsächlich heute Abend hierherkommt.«

»Ich hoffe auch, daß sie fernbleibt«, entgegnete Joe Grandman mit Nachdruck.

»Wenn sie aber kommt, werde ich sie wohl bestimmt erkennen. Vielleicht könnten Sie mir noch einige Einzelheiten über sie erzählen?«

Er schüttelte den Kopf. »Höchstens noch, daß sie immer eine Art Visitenkarte zurückläßt, wenn ihr ein Diebstahl gelungen ist.«

»Das habe ich schon gehört. Wahrscheinlich tut sie das, damit die Dienerschaft nicht unnötig in Verdacht gerät.«

Miss Smith dachte einen Augenblick nach.

»Was ich auch unternehmen werde, Mr. Grandman, Sie dürfen sich nicht darum kümmern oder erstaunt sein. Ich habe mir fest vorgenommen, die ›Quadrat-Jane‹ zu fangen. Es hängt für mich sehr viel davon ab, denn wenn ich meine Tätigkeit in England mit einem so großen Erfolg beginnen kann, ist das für mich eine glänzende Reklame.«

Sie lächelte so bestrickend, daß Mrs. Grandman, die gerade in der Tür erschien, die Stirn runzelte.

»Joe, es ist Zeit, daß du zur Bahn fährst«, sagte sie ernst und warf der jungen Dame einen mißbilligenden Blick zu. »Was soll ich inzwischen mit diesem Mädchen anfangen?«

»Einer der Diener soll sie auf ihr Zimmer führen«, sagte Mr. Grandman, der sich nicht recht wohl fühlte. Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er so viel Zeit versäumt hatte, und eilte nun zu seinem Wagen.

Mrs. Grandman klingelte. Sie interessierte sich nicht für Detektive, besonders, wenn es sich bei ihnen um hübsche junge Damen im Alter von dreiundzwanzig Jahren handelte.

Das Hauptgebäude des Landsitzes war sehr groß, aber trotz der vielen Zimmer war kaum noch Platz; alle Räume waren bis zum letzten zur Unterbringung der vielen Gäste ausgenützt.

Die Zweifel und Bedenken, die Mrs. Grandman ihrem Mann gegenüber geäußert hatte, waren in gewisser Weise nicht unberechtigt. Andererseits verstand er es wirklich, seine gesellschaftlichen Beziehungen aufs beste zu verwerten. Er war nicht nur der Generaldirektor von vier großen Unternehmen, sondern auch noch an vielen anderen Unternehmen beteiligt. Seine Interessen erstreckten sich von Colorado bis nach Kalkutta.

Eine glänzende Gesellschaft versammelte sich am Abend in dem prunkvollen Bankettsaal, und Mr. Grandman hatte allen Grund, stolz zu sein. Zu seiner Rechten saß Lady Ovingham, eine schlanke, hagere Dame mit mädchenhaft verträumten dunklen Augen und einem interessanten, etwas blassen Gesicht. Ihre Erscheinung paßte eigentlich wenig zu ihrem Charakter, denn sie war eine der tüchtigsten Geschäftsfrauen der City. Schon manche Transaktion hatte sie gemeinsam mit Mr. Grandman durchgeführt, und es hatte eine gewisse Berechtigung, daß er sie zu Tisch führte. Sie trug an diesem Abend außergewöhnlich reichen Schmuck. Ihre Arme waren mit breiten Brillantarmbändern geziert, die ein Vermögen gekostet hatten und von dem Erfolg ihrer finanziellen Unternehmungen zeugten. Sie legte prinzipiell einen großen Teil ihres Geldes in wertvollen Steinen an; sie hielt Investierungen in Juwelen für verhältnismäßig sicher, da diese ihren Wert nicht so plötzlich verlieren konnten.

Überall unterhielten sich die Gäste heiter und angeregt. Mr. Grandman war ein ausgezeichneter Gastgeber; er hatte seine Gäste bunt durcheinandergesetzt, und da auch die Cocktails gut gemixt waren, versprach der Abend ein großer Erfolg zu werden.

Gegen Ende des Essens gab es für Mr. Grandman jedoch eine unangenehme Störung.

Der Butler trat unauffällig hinter seinen Stuhl, neigte sich vor, um ihm ein Glas Wein einzuschenken, und flüsterte ihm dabei ins Ohr: »Die junge Dame, die heute Abend hergekommen ist, fühlt sich nicht wohl. Sie ist plötzlich krank geworden.«

»Wieso?« fragte Mr. Grandman erstaunt. »Was ist denn geschehen?«

»Sie klagt über böse Kopfschmerzen, hat Schüttelfrost und zittert am ganzen Körper. Sie war so schwach, daß ich sie auf ihr Zimmer bringen mußte.«

»Schicken Sie sofort ins Dorf und lassen Sie den Arzt holen.«

»Das habe ich schon getan. Der Arzt ist aber nach London gefahren, wo er bei einer Operation helfen muß.«

Mr. Grandman runzelte die Stirn, aber dann atmete er erleichtert auf. Hatte ihm die Detektivin nicht ausdrücklich gesagt, er solle sich über nichts beunruhigen, was geschehen werde? Sicher war diese plötzliche Erkrankung nur eine List, die helfen sollte, die ›Quadrat-Jane‹ zu fangen. Allerdings hätte sie ihm das vorher gleichfalls sagen können. Es war doch beunruhigend, wenn eine so schöne junge Dame ganz plötzlich krank wurde.

»Also gut, dann warten Sie, bis das Essen vorüber ist«, sagte er.

Als sich die Gäste erhoben hatten und den Mokka in der großen Halle einnahmen, ging er zu dem kleinen Zimmer im dritten Stock hinauf, das seine Frau der Detektivin zugestanden hatte. Mrs. Grandman hatte nicht gerade großen Respekt vor Damen, die sich ihr Geld in einem derartigen Beruf verdienen mußten.

Er klopfte an die Tür.

»Herein!« hörte er eine schwache Stimme sagen.

Miss Smith lag in dem Bett unter einer Daunendecke, zitterte aber trotzdem heftig.

»Seien Sie vorsichtig und rühren Sie mich nicht an«, sagte sie. »Ich weiß nicht, was mit mir los ist.«

»Um Himmels willen, Sie sind doch nicht etwa ernstlich krank?«

»Anscheinend doch. Ich weiß nicht, was mit mir geschehen ist, aber ich glaube, daß diese Erkrankung kein Zufall sein kann. Ich fühlte mich vollkommen wohl, bis ich eine Tasse Tee trank. Dann mußte ich mich auf mein Zimmer bringen lassen. Gleich darauf setzte das furchtbare Zittern und Frösteln ein. Können Sie nicht schnell einen Arzt rufen lassen?«

»Ich will alles tun, was in meinen Kräften steht«, erwiderte Mr. Grandman, der sehr gutmütig und menschenfreundlich war.

Nun ging er doch etwas besorgt nach unten. Wenn man der hübschen jungen Dame, wie sie annahm, tatsächlich etwas eingegeben hatte, dann mußte die ›Quadrat-Jane‹ oder einer ihrer Helfershelfer im Hause sein.

Als er in die Halle zurückkam, wartete der Butler auf ihn.

»Entschuldigen Sie, Sir ... Wir haben bis zu einem gewissen Grad Glück. Ein Autofahrer, dem der Betriebsstoff ausgegangen ist, kam soeben zum Haus und bat um ein paar Liter Benzin –«

»Ja, und worum handelt es sich?«

»Es trifft sich gut, daß er Arzt ist. Ich sagte ihm gleich, daß Sie ihn sprechen möchten.«

»Großartig«, erwiderte Grandman begeistert. »Bringen Sie ihn bitte gleich in die Bibliothek.«

Der große junge Mann machte einen sympathischen Eindruck. Er entschuldigte sich sofort bei Mr. Grandman, daß er ausgerechnet ein Fest habe stören müssen.

»Es ist unendlich liebenswürdig von Ihnen, daß Sie mir helfen wollen. Mein blödsinniger Chauffeur hat mir tatsächlich zwei leere Kanister ins Auto gestellt. Es ist unglaublich, was sich die Angestellten heutzutage leisten!«

»Ich freue mich sehr, daß ich Ihnen helfen kann, Doktor«, erklärte Mr. Grandman in bester Stimmung. »Aber vielleicht können Sie mir auch einen Dienst erweisen.«

Der junge Mann sah ihn argwöhnisch an.

»Ist etwa jemand hier im Hause krank?« fragte er. »Ich habe meinem Partner nämlich versprochen, in den nächsten drei Monaten keinen Patienten zu behandeln. Das klingt zwar etwas unliebenswürdig, aber Sie müssen verstehen, daß ich mich in letzter Zeit schwer überarbeitet habe und mich augenblicklich auf Erholungsurlaub befinde.«

»Sie würden uns aber einen sehr großen Gefallen tun, wenn Sie sich der jungen Dame annähmen«, entgegnete Grandman ernst. »Ich bin vollkommen ratlos, denn ich weiß nicht, wie ich ihren Zustand beurteilen soll. Zu allem Unglück ist der Dorfarzt gerade nicht anwesend.«

»Setheridge ist mein Name«, stellte sich der Arzt vor, »Nun gut, dann ist es selbstverständlich. Ich werde die Patientin sofort untersuchen. Es war unhöflich von mir, nicht gleich auf Ihre Bitte einzugehen. Wo ist die Dame denn jetzt? Sicherlich handelt es sich um einen Ihrer Gäste.«

»Nein, das gerade nicht«, entgegnete Mr. Grandman zögernd. Sie ist hier ... zu Besuch.«

Er führte ihn zu dem Zimmer der Kranken. Der Arzt trat ein und betrachtete die immer noch zitternde Patientin mit dem selbstbewußten Lächeln, das alte, erfahrene Ärzte in solchen Situationen zeigen.

»Nun, wie geht es Ihnen?« fragte er verbindlich.

Er fühlte ihren Puls und sah auf die Uhr. Mr. Grandman stand in der offenen Tür und bemerkte, daß Dr. Setheridge die Stirn runzelte und ein ernstes Gesicht machte. Dann beugte sich der Arzt über die Kranke, sah ihr in die Augen, streifte ihren Ärmel zurück und schüttelte den Kopf.

»Ist es ernst?« fragte sie ängstlich.

»Das gerade nicht, wenn Sie bald sachgemäße Pflege bekommen. Aber wahrscheinlich werden Sie einen Teil Ihres schönen Haares verlieren«, sagte er und schaute lächelnd auf das braune Haar, das ihren Kopf auf dem Kissen umrahmte.

»Welche Krankheit habe ich denn?«

»Scharlach, meine Dame.«

»Scharlach!« wiederholte Mr. Grandman entsetzt. »Aber das ist doch nicht möglich!«

Der Arzt ging aus dem Zimmer und nahm den Hausherrn beiseite, nachdem er die Tür geschlossen hatte.

»Daran ist leider nichts zu ändern – die junge Dame hat tatsächlich Scharlach. Haben Sie eine Ahnung, wo sie sich angesteckt haben könnte?«

»Das ist ja entsetzlich, daß wir Scharlach hier haben!« stöhnte Mr. Grandman. »Ich habe das ganze Haus voll vornehmer Gäste.«

»Nun, ich brauche Ihnen wohl nicht den Rat zu geben, Ihren Gästen nichts davon mitzuteilen. Das wichtigste ist, daß wir die junge Dame aus dem Haus schaffen.«

»Aber wie soll ich denn das machen?«

Der Doktor fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Natürlich möchte ich es nicht gern selbst tun«, sagte er langsam, »aber ich kann eine Schwerkranke nicht ohne weiteres hier liegenlassen; würden Sie gestatten, daß ich Ihr Telefon benütze?«

»Gewiß, telefonieren Sie, soviel Sie wollen, aber sorgen Sie um Himmels willen dafür, daß sie fortkommt!«

Mr. Grandman brachte den Arzt zur Bibliothek, wo der junge Mann telefonisch seine Instruktionen gab. Allem Anschein nach verlief die Unterhaltung zur Zufriedenheit, denn er kam bald in die Halle zurück, wo Mr. Grandman nervös auf ihn wartete und aufgeregt mit den Fingern auf der Tischplatte trommelte.

»Ich habe einen Krankenwagen bestellt, aber er kann erst um drei Uhr kommen. Auf jeden Fall paßt das vorzüglich, denn dann sind Ihre Gäste bereits im Bett und schlafen, und die meisten Angestellten vermutlich auch. Wir können sie dann aus dem Haus bringen, ohne daß jemand es merkt.«

»Ich bin Ihnen zu größtem Dank verpflichtet«, erwiderte Mr. Grandman erleichtert. »Wenn Sie mir Ihr Honorar nennen wollen, zahle ich es Ihnen sofort.«

Mr. Grandman kam ein Gedanke. »Wäre es möglich, daß die junge Dame irgendein Mittel beigebracht bekommen hat, das die Erkrankung verursachte?«

»Wie kommen Sie denn darauf?« fragte Setheridge schnell.

»Sie fühlte sich sehr wohl, bis sie eine Tasse Tee trank. – Ich will Sie lieber gleich ins Vertrauen ziehen«, sagte der Hausherr leise. »Die Dame ist Detektivin. Ich habe sie hierherkommen lassen, damit sie das Eigentum meiner Gäste schützt. In der letzten Zeit sind mehrere Diebstähle vorgekommen, die alle von einer Frau ausgeführt wurden. Sie haben wahrscheinlich auch schon von der berüchtigten ›Quadrat-Jane‹ gehört. Ich wollte verhindern, daß das Fest in meinem Hause gestört wird, und habe sie deshalb hergebeten. Sie sollte darauf achten, daß nichts von den Schmuckstücken meiner Gäste gestohlen wird. Als ich sie bei ihrer Ankunft vor dem Essen begrüßte, war sie gesund und wohlauf. Später trank sie dann eine Tasse Tee, und kurz darauf zeigten sich Schüttelfrostanfälle und Fieber.«

Der Doktor nickte nachdenklich. »Es ist merkwürdig, was Sie mir da erzählen. Obgleich alle Symptome von Scharlach bei ihr vorhanden sind, habe ich auch noch andere Anzeichen beobachtet, die nicht zu dem Krankheitsbild passen. Meinen Sie, daß diese gefürchtete Diebin, die ›Quadrat-Jane‹, tatsächlich bereits hier in Ihrem Hause ist?«

»Ja, sie muß hier sein – oder wenigstens einer ihrer Helfershelfer. Es ist ja in den Zeitungen genügend darüber geschrieben worden. Stets arbeitet sie mit mehreren Leuten zusammen.«

»Glauben Sie, daß sie der jungen Dame oben im Zimmer ein Mittel beigebracht hat, um sie für eine gewisse Zeit unschädlich zu machen?«

»Der Gedanke liegt doch sehr nahe.«

»Da haben Sie recht. Der Plan wäre gut ausgedacht. Auf jeden Fall sind aber heute Abend so viele Leute hier im Haus, die aufpassen, daß Sie nichts für Ihre Gäste zu befürchten brauchen.«

Miss Smith war in dem Flügel des Schlosses untergebracht, in dem die Dienerschaft wohnte, aber glücklicherweise lag ihr Zimmer abseits, so daß sie mit den anderen nicht in Berührung kam.

Mr. Grandman ging im Lauf des Abends noch mehrmals zu ihr hinauf, sah zur Tür hinein, die nur angelehnt war, stellte jedesmal fest, daß der Arzt an ihrem Bett saß, und war damit zufrieden.

Gegen ein Uhr begannen die Gäste allmählich, sich auf ihre Zimmer zurückzuziehen. Mrs. Grandman war reichlich aufgeregt, als sie die Nachricht von der Katastrophe erhielt, aber es gelang ihrem Mann, sie so weit zu beruhigen, daß sie sich zur Ruhe legte.

Um halb zwei ging er zum vierten Male zum Krankenzimmer. Da er sich vor Ansteckung fürchtete, begnügte er sich wieder damit, durch den Türspalt zu schauen. Der Arzt hielt noch immer neben dem Bett Wache und las in einem Buch.

Vorsichtig ging Grandman wieder die Treppe hinunter, und zwar so leise, daß er beinahe mit einer schlanken jungen Dame zusammengestoßen wäre. Sie begegnete ihm in dem dunklen Flur, an dem die Zimmer der vornehmsten Gäste lagen.

Sie drückte sich in eine Nische, und da sie ein ganz dunkles Kleid trug, ging er an ihr vorüber – so nahe, daß sie ihn mit der Hand hätte berühren können. Sie wartete, bis er verschwunden war, glitt an der Wand entlang, bis sie zu einer der Türen kam, und fühlte vorsichtig nach dem Schlüsselloch.

Der Gast, der das Zimmer bewohnte, hatte den Fehler gemacht, die Tür zu verschließen und den Schlüssel abzuziehen. Im nächsten Augenblick steckte sie einen Nachschlüssel ins Schloß, drehte ihn vorsichtig herum und schlich auf Zehenspitzen in den Raum.

Sie blieb stehen und lauschte. Erst als sie leises, gleichmäßiges Atmen hörte, ging sie zu dem Toilettentisch und tastete dort alles ab. Sie hatte bald gefunden, was sie suchte, und schüttelte den glatten Lederkasten leicht. Kaum eine Minute nach ihrem Eintritt verließ sie das Zimmer wieder.

Die nächste Tür hatte sie schon halb geöffnet, als sie Licht in dem Zimmer bemerkte. Regungslos blieb sie stehen. Auf der anderen Seite des Zimmers brannte die kleine Nachttischlampe. Das war zwar in gewisser Weise sehr angenehm, aber das junge Mädchen wollte sich zunächst vergewissern, ob die Dame, die zwischen all den aufgehäuften Kissen lag, wirklich fest schlief. Sie wartete fünf Minuten lang. All ihre Sinne waren aufs äußerste angespannt; erst als sie auch hier regelmäßiges Atmen feststellen konnte, war sie beruhigt und ging zu dem Toilettentisch. Hier war ihre Aufgabe leicht; nicht weniger als ein Dutzend kleiner Samt- und Lederetuis lagen auf der Glasplatte. Geräuschlos öffnete sie eins nach dem andern und ließ den funkelnden Inhalt in ihre Tasche gleiten.

Als sie das letzte Schmuckstück eingesteckt hatte, kam ihr ein Gedanke. Sie sah sich die Schläferin genauer an; es war eine etwas hagere Frau: Lady Ovingham. Geräuschlos verließ sie das Zimmer.

In dem nächsten Raum, der nicht verschlossen war, schlief Mrs. Grandman. Aber ihr Schlaf war nicht ruhig. Sie hatte die Tür für ihren Mann aufgelassen, der ihr versprochen hatte, sie noch aufzusuchen, um die Anordnungen für den nächsten Tag mit ihr zu besprechen. Das hatte er aber anscheinend in seiner Aufregung vollkommen vergessen.

Ein kleiner Safe war in die Wand eingelassen; der Schlüssel steckte. Mr. Grandman hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, seine und seiner Frau Wertsachen jeden Abend in den Safe einzuschließen.

Sie öffnete die Tür und tastete das Innere ab. Bald hatte sie auch gefunden, was sie suchte. Im selben Augenblick aber hörte Mrs. Grandman plötzlich auf, ruhig zu atmen. Sie stöhnte und drehte sich von einer Seite auf die andere. Die Einbrecherin stand wie versteinert, aber schließlich begann das ruhige Atmen von neuem, und sie stahl sich auf den Gang hinaus.

Sooft sie eine Tür schloß, blieb sie einen Augenblick stehen und drückte ein Papiersiegel darauf.

Unten in der Bibliothek hörte Mr. Grandman das leise Brummen eines Motors, und er erhob sich erleichtert. Nur der Butler war ins Vertrauen gezogen worden; der stattliche alte Mann saß in der Halle in einem Sessel. Er war ebenso erleichtert wie sein Herr; rasch ging er zur Haustür und öffnete.

Draußen stand ein Krankenauto, aus dem zwei Wärter stiegen. Sie holten eine Trage und mehrere Decken aus dem Wageninnern und brachten sie in die Halle.

»Ich werde Ihnen den Weg zeigen«, sagte Grandman. »Aber seien Sie bitte so leise wie möglich.«

Er führte sie die mit schweren Läufern belegten Treppen hinauf, bis sie schließlich zu dem Krankenzimmer kamen.

»Ach, da sind Sie endlich«, sagte der Arzt und gähnte. »Setzen Sie die Trage dicht neben das Bett. Mr. Grandman, ich würde Ihnen raten, nicht zu nahe heranzukommen. Die Ansteckungsgefahr ist doch ziemlich groß.«

Gleich darauf trugen die beiden Krankenwärter die Trage hinaus; eine fest in Decken gewickelte Gestalt lag darauf. Das Gesicht der Patientin war kaum zu sehen, aber als sie an Mr. Grandman vorübergetragen wurde, spielte ein schwaches Lächeln um ihren Mund.

Die Krankenwärter verstanden ihre Sache ausgezeichnet. Ohne das geringste Geräusch trugen sie die Kranke die Treppe hinab und schoben die Trage in den Wagen.

»Das wäre also in Ordnung«, meinte der Arzt. »An Ihrer Stelle würde ich das Zimmer, in dem die junge Dame lag, abschließen und morgen gründlich desinfizieren lassen.«

»Ich bin Ihnen wirklich zu größtem Dank verpflichtet, Doktor. Wenn Sie mir Ihre Adresse geben wollen, werde ich Ihnen morgen sofort einen Scheck schicken, um mich erkenntlich zu zeigen.«

»Tun Sie das lieber nicht«, erwiderte der andere heiter. »Es ist mir ein Vergnügen gewesen, Ihnen behilflich zu sein. Ich fahre jetzt mit meinem Wagen zur Stadt zurück.«

»Wohin bringen Sie die junge Dame?« fragte Mr. Grandman.

»In die Isolierstation des Bezirkskrankenhauses«, entgegnete der Arzt, »Das ist doch wohl Vorschrift?« fragte er einen der Krankenwärter.

»Jawohl«, entgegnete der Mann.

Mr. Grandman blieb auf den Stufen der Treppe stehen, bis die roten Schlusslichter des Wagens verschwunden waren, dann ging er, in dem stolzen Gefühl, eine schwierige Aufgabe gut gelöst zu haben, ins Haus zurück.

»So, nun ist alles in Ordnung«, sagte er zu dem Butler. »Ich danke Ihnen, daß Sie so lange gewartet haben.«

Befriedigt lächelnd ging er den Korridor zu seinem eigenen Zimmer entlang. Als er an der Tür seiner Frau vorbeikam, stolperte er über einen Gegenstand. Er bückte sich und hob einen Lederkasten auf. Da er in der Dunkelheit nichts sehen konnte, drehte er das Licht an.

»Donnerwetter!« entfuhr es ihm, denn das Lederetui, das er in der Hand hielt, war der Schmuckkasten seiner Frau.

Er eilte zu ihrer Tür und wollte gerade die Klinke herunterdrücken, als er das Papiersiegel auf der Türfüllung sah. Entsetzt starrte er auf die vier Quadrate, in deren Mitte sich ein J befand – das Zeichen der ›Quadrat-Jane‹!

An der nächsten Straßenkreuzung, wo ein großes Auto wartete, hielt der Krankenwagen. Die Patientin, die sich schon lange vorher aus den Decken gewickelt hatte, stieg aus, sie trug einen großen, schweren Lederbeutel. Einer der beiden Wärter nahm ihn ihr ab und legte ihn in das andere Auto, an dessen Steuer der junge Arzt saß.

Dieser sagte zu dem Wärter: »Also bis morgen früh, Jack!«

»Jawohl, Doktor«, entgegnete der Mann.

Er nickte ›Quadrat-Jane‹ zu und ging zu dem Krankenauto zurück, an dem er das hintere Nummernschild entfernte, bevor er in der entgegengesetzten Richtung nach London fuhr.

»Nun, sind Sie fertig?« fragte der Arzt seine ›Patientin‹.

»Alles in bester Ordnung«, entgegnete sie und setzte sich neben ihn. »Sie sind aber reichlich spät gekommen, Jim. Ich hätte beinahe einen Ohnmachtsanfall bekommen, als ich hörte, daß die Leute im Schloß nach dem Dorfarzt geschickt hatten.«

»Sie hätten sich keine Sorge zu machen brauchen«, sagte der Mann am Steuer und ließ den Motor an. »Ich hatte den Dorfarzt durch einen Freund nach London rufen lassen. Nun, wie ist es – haben Sie genügend gefunden?«

»Reichlich«, entgegnete ›Quadrat-Jane‹ kurz. »Morgen früh werden Grandmans Gäste lange Gesichter machen.«

Er lächelte. »Was haben Sie übrigens mit der Detektivin, die Ross geschickt hatte, angestellt?«

»Die habe ich ja ganz vergessen! Ich habe sie gleich am Bahnhof in Empfang genommen und in eine Garage eingeschlossen. Aber lassen Sie die nur ruhig dort drin. Ich kann Detektivinnen nicht leiden. Das ist auch kein richtiger Beruf für eine Dame.«

Die Abenteuerin

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