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Die Bank war geschlossen, und Surefoot Smith ging deshalb zu Mr. Morans Wohnung. Er kam an Naylors Crescent vorbei, und dort begegnete ihm zufällig Binny, der Butler des alten Lyne. Er kannte den Mann und wußte, daß er eine geborene Klatschbase war. Plötzlich stieg eine dunkle Erinnerung in ihm auf, daß Binny in irgendwelcher Verbindung mit dem Bankdirektor stehen mußte. Vor vielen Jahren hatte er einmal diesen Bezirk als Polizeibeamter verwaltet, und sein Gedächtnis war außerordentlich gut.

»Guten Tag, Mr. Smith.«

Binny berührte mit dem Zeigefinger seinen steifen Hut und zögerte einen Augenblick. »Darf ich mir die Frage erlauben, ob es etwas Neues gibt?«

»Sie sagten mir doch, daß Sie diesen Tickler kannten?«

Binny schüttelte den Kopf.

»Ich weiß nur, daß er mein Amtsvorgänger war. Mehr ist mir nicht bekannt.«

»Na, das Wort können Sie sich tatsächlich einrahmen lassen«, erwiderte Surefoot kurz. »Er hatte also vorher Ihre Stelle inne. Warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Waren Sie nicht übrigens früher einmal bei einem Bankdirektor Moran in Dienst?«

Binny lächelte.

»Ich habe schon für die verschiedensten Leute gearbeitet, zum Beispiel war ich Kammerdiener bei Lord Frenley –«

»Sie brauchen mir Ihre Lebensgeschichte nicht zu erzählen, Binny. Was für ein Mann ist denn dieser Moran? Netter, freundlicher Charakter – großzügig, gibt gern Geld aus?«

Binny dachte nach, als ob sein Lebensglück von seiner Antwort abhinge. »Ja, er war wirklich ein sehr netter Herr. Aber ich war nur sechs Monate bei ihm, er wohnt direkt hier um die Ecke am Park.«

»Ist er ein ruhiger Mensch?«

»Ich habe niemals gehört, daß er großen Lärm machte –«, begann Binny.

»Sie haben mich falsch verstanden«, erklärte Surefoot Smith ärgerlich. »Ich meine, ob er viel auf Weiber, Wein und Spiel gibt. Sie kennen doch die Art Leute. Schließlich sind Sie auch einmal jung gewesen, Binny.«

»Nein, ich könnte nicht sagen, daß sich Mr. Moran viel daraus gemacht hätte. Früher gab er immer kleine Gesellschaften, Damen und Herren vom Theater waren meistens eingeladen. Aber damit ist es vorbei, seitdem er sein Geld verloren hat.«

Surefoot kniff die Augen zusammen.

»Seitdem er sein Geld verloren hat? Was soll das heißen? Er ist doch Bankdirektor und mit einem festen Gehalt angestellt. Wie konnte er denn da Geld verlieren?«

»Es war sein eigenes Geld«, sagte Binny. »Deshalb mußte ich auch damals meine Stellung bei ihm aufgeben. Er hatte verschiedene Anteile an einer großen Bank, und die brach zusammen.«

»Na, das ist ja sehr interessant. Er hat also Schauspieler und Schauspielerinnen eingeladen, gern Wein getrunken und dergleichen mehr.«

Binny fühlte sich nicht wohl und sah sich ängstlich nach rechts und nach links um, als ob er davonlaufen wollte.

»Haben Sie es eilig?« fragte der Polizeibeamte.

»Ja – der Hauptfilm beginnt in zehn Minuten, und ich möchte den Anfang nicht gern versäumen.«

»Ach so, ins Kino wollen Sie. Sagen Sie mir aber noch, wie das mit Tickler war. Hatte der jemals eine Stellung bei Moran?«

Binny überlegte.

»Nein – nein. Er war Butler bei Mr. Lyne, als ich den Posten bei Mr. Moran hatte. Aber genau kann ich es im Augenblick wirklich nicht mehr sagen. Wissen Sie übrigens, daß Mr. Moran heute Abend einen Radiovortrag hält?«

Surefoot sah ihn erstaunt an.

»Mr. Moran spricht über das Bankenwesen«, fuhr Binny fort. »Er hält regelmäßig Vorträge.«

Surefoot Smith interessierte sich wenig dafür. Er stellte noch ein paar Fragen über den unglücklichen Tickler und ging dann seines Weges.

Parkview Terrace war ein vornehmer Häuserblock, den man nach dem Krieg wie so manches andere große Gebäude in kleine Wohnungen aufgeteilt hatte.

Mr. Moran wohnte im obersten Stockwerk, und Surefoot Smith traf ihn zu Hause an. Der Bankdirektor war gerade dabei, sich zum Abendessen umzukleiden.

Smith wurde in einen großen Raum geführt, der sehr luxuriös und geschmackvoll eingerichtet war. Von zwei Fenstern hatte man einen schönen Ausblick auf den Park und den Kanal. Aber der Beamte achtete nicht darauf. Er interessierte sich mehr für die kostbare Ausstattung des Zimmers, die er mit dem verhältnismäßig bescheidenen Gehalt eines Bankdirektors nicht in Einklang bringen konnte.

Ein Perserteppich bedeckte den Fußboden, die Beleuchtungskörper an den Wänden waren anscheinend aus Silber. Im Hintergrund stand eine große, sehr bequeme Couch. Besonders fiel Smith eine prachtvolle Glasvitrine auf, die eine Sammlung kostbarer Miniaturen enthielt. Von Gemälden verstand er nicht viel, aber zwei der großen Bilder, die die Wände zierten, hielt er für sehr wertvoll.

Er betrachtete noch den Inhalt der Vitrine, als er Schritte hinter sich hörte. Er wandte sich um und sah Mr. Leo Moran vor sich. Der Bankdirektor trug einen seidenen Schlafrock.

»Hallo, Mr. Smith! Wir sehen uns ja gerade nicht allzu häufig. Nehmen Sie Platz und trinken Sie ein Glas.« Er klingelte. »Ihr Lieblingsgetränk ist doch Bier?«

»Ganz recht«, erklärte Surefoot befriedigt. »Sie haben aber eine sehr schöne Wohnung.«

»Ja, es wohnt sich hier nicht schlecht«, entgegnete der Bankmann gleichgültig. Dann zeigte er auf ein Gemälde. »Das ist ein echter Corot. Mein Vater hat einmal dreihundert Pfund dafür bezahlt. Aber es ist dreitausend wert.«

»Ihr Vater war sehr wohlhabend?«

Moran warf ihm einen schnellen Blick zu.

»Ja, er hatte Geld. Warum fragen Sie danach? Sie glauben doch nicht etwa, daß ich eine Wohnung wie diese mit meinem jetzigen Gehalt hätte einrichten können? Oder denken Sie, daß ich mir auf unrechte Weise Geld beschafft und die Bank betrogen hätte?«

»Hoffentlich kommt mir ein solcher Gedanke niemals«, erwiderte Smith ernst.

»Bier«, sagte Moran, als sich der Diener in der Tür zeigte. »Aber Sie sind doch mit einer bestimmten Absicht hergekommen? Um was handelt es sich denn?«

Surefoot runzelte die Stirn.

»Ich stelle Nachforschungen nach diesem Tickler an.«

»Ach, das ist der Mann, der neulich erschossen wurde. Wollten Sie fragen, ob ich ihn kannte?«

»Ja.«

»Der Kerl war eine furchtbare Landplage. Er lauerte mir öfter an der Haustür auf und wollte mir etwas erzählen oder etwas verkaufen – ich habe mich aber nicht mit ihm abgegeben, sondern ihn immer kurz abgefertigt.«

Moran hatte sehr schnell gesprochen. Seine manchmal raue und etwas gewöhnlich klingende Sprache verriet, daß er keine gute Kinderstube hatte.

»Meinen Sie vielleicht, ich hätte den Mann ermordet?« fragte er geradezu.

Surefoot lächelte. Es war allerdings nicht klar, ob er über die sonderbare Frage oder über die Flasche Bier lächelte, die der Diener gerade hereinbrachte.

»Kennen Sie Miss Lane?«

»Ja, oberflächlich«, entgegnete Moran kühl.

»Wirklich ein hübsches Mädchen – also, auf Ihr Wohl!«

Surefoot hob das Glas und trank es in einem Zuge aus.

»Gutes Bier.«

»Warum fragen Sie mich nach Miss Lane?«

»Ich wußte, daß Sie sich für das Theater interessieren. Sie haben doch früher Gesellschaften gegeben und Leute vom Theater dazu eingeladen?«

Der Bankdirektor nickte.

»Ja, vor vielen Jahren, in meiner blühenden Jugend. Aber trotzdem verstehe ich die Frage nicht.«

»Ach, es interessierte mich nur«, sagte Smith leichthin.

Mr. Moran ging im Zimmer auf und ab.

»Warum sind Sie hergekommen, Smith? Zum Teufel, Sie sind doch nicht ein Mann, der bloß herumläuft und alberne Fragen stellt. Sie bringen mich irgendwie mit dem Mord an diesem Herumtreiber in Zusammenhang.«

Smith schüttelte den Kopf.

»Sie können mir doch wenigstens sagen, was los ist«, fuhr Moran fort. »Seien Sie doch nicht so geheimnisvoll und erzählen Sie mir, warum Sie hier sind.«

Mr. Smith wischte seinen Schnurrbart ab und erhob sich langsam. Vor einem Spiegel rückte er seine Krawatte zurecht.

»Nun gut, ich will Ihnen im Vertrauen mitteilen, um was es sich handelt. Wir erhielten einen anonymen Brief, dessen Herkunft jedoch nicht schwer festzustellen war. Er war von Ticklers Wirtin abgeschickt. Einer meiner Beamten hat sich mit ihr unterhalten und dabei folgendes erfahren: Tickler trank viel, und wenn er zu viel geladen hatte, was manchmal zweimal am Tage passierte, sprach er mit seiner Wirtin gewöhnlich über Sie.«

»Was, über mich?« fragte Moran schnell. »Aber er kannte mich doch gar nicht näher?«

»Viele Leute sprechen über andere, die sie gar nicht näher kennen. Sehen Sie, wenn man wie Sie in der Öffentlichkeit lebt –«

»Aber das stimmt nicht. Ich lebe durchaus nicht in der Öffentlichkeit. Ich bin weiter nichts als ein kleiner, verhältnismäßig armer Bankdirektor, der seinen Beruf haßt. Ich würde gern viel Geld dafür geben, wenn ich alle Bankbücher auf einen Haufen werfen und ein Freudenfeuer anzünden könnte. Ich hasse die Bank und alles, was damit zusammenhängt. Man würde viel besser einen Nachtklub daraus machen.«

Smith schaute ihn verwundert an. Dieses Eingeständnis überraschte ihn vollkommen. Morans Züge hatten sich verfinstert, und seine Stimme klang leidenschaftlich erregt, als er weitersprach.

»Früher hat man mich beinahe einmal aus der Bank hinausgeworfen, weil ich spekulierte. Ich wäre ruiniert gewesen, und ich mußte die Generaldirektoren auf Knien bitten, mich zu behalten. Ich nahm mir, vor, meinen Beruf so bald wie möglich aufzugeben, aber jedesmal, wenn ich soweit war, kam mir irgend etwas dazwischen.« Er wandte sich an Smith. »Ich kenne Tickler wirklich nicht. Warum er über mich geredet hat, kann ich Ihnen nicht erklären. Ich habe nicht die geringste Ahnung.«

Surefoot Smith sah auf seinen Hut, der auf dem Stuhl lag.

»Kennen Sie Mr. Hervey Lyne?«

»Ja, er ist ein Kunde unserer Bank.«

»Haben Sie ihn in letzter Zeit einmal gesehen?«

»Nein, in den letzten zwei Jahren nicht.«

»Ach so.«

Surefoot Smith sagte das nur, weil ihm im Moment nichts Besseres einfiel.

»Gut, ich will jetzt gehen. Es tut mir leid, daß ich Sie aufgehalten habe. Aber Sie wissen ja, unser Beruf bringt das mit sich.«

Er reichte dem Bankdirektor seine große Hand. Aber Mr. Moran war so in Gedanken versunken, daß er es übersah. Nachdem er die Tür hinter seinem Besucher geschlossen hatte, ging er in sein Schlafzimmer und setzte sich auf den Rand des Bettes. Nach einer Weile stand er auf, ging quer durch das Zimmer zu einem eingebauten Safe, der hinter einem Bild versteckt war, öffnete ihn und entnahm ihm eine Anzahl von Schriftstücken, Sorgfältig sah er sie durch, legte sie dann in den Schrank zurück und holte eine dicke Brieftasche heraus, in der sich merkwürdige farbige Papiere befanden – Eisenbahn- und Schiffskarten. Obenauf lag sein Paß, und darin ein Paket von dreißig Banknoten zu je hundert Pfund.

Er schloß den Safe wieder, hängte das Bild darüber und kleidete sich dann vollkommen an. Er war bestürzt. Die zufällige Erwähnung von Hervey Lyne hatte ihn erschreckt.

Der leuchtende Schlüssel

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