Читать книгу Penelope von der Polyantha - Edgar Wallace, Edgar Wallace - Страница 7
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ОглавлениеPenelope war zum Bahnhof gegangen, um für den nächsten Tag Plätze im Zug nach Quebec zu belegen. Es war ein ganz gewöhnlicher Zug, aber einige Stunden nach seiner Ankunft in Quebec fuhr das Schiff ab. So kam es, daß der Zug für Penelope eine besondere Bedeutung gewann. In ihren Augen war es ein Sonderzug, der allein für sie bestellt war und auf dem vom Schornstein der Lokomotive bis zu den Schlusslichtern des letzten Wagens mit großen Buchstaben geschrieben stand: ›Penelope Pitts Sonderzug nach Europa.‹
Der New-York-Expreß war eben eingelaufen, als sie in die Bahnhofshalle trat und zu den Fahrkartenschaltern gehen wollte. Mit geheimer Ehrfurcht betrachtete sie die bevorzugten Menschen, die aus der rätselhaften Märchenstadt kamen und gleichgültig dem Ausgang des Bahnhofs zuschritten, als ob es nichts Besonderes wäre, in dieser Weltstadt gelebt zu haben und von dort hierherreisen zu können.
Als der Strom der Leute abebbte und nur noch einzelne Nachzügler zu sehen waren, wandte sie sich mit einem Seufzer den Schaltern zu, um die Fahrkarten zu lösen. Danach ging sie langsam wieder dem Ausgang zu. Plötzlich lächelte sie ein Herr an, und bevor sie sich darüber klar wurde, was sie tat, hatte sie ihn zurück angelächelt. Er war groß und sah gut aus. Als er zum Gruß den Hut lüftete, entdeckte sie, daß er ein wenig kahlköpfig war. Offenbar war auch er eben mit dem Expreß aus New York gekommen, denn ein Lederkoffer und ein leichter Mantel lagen zu seinen Füßen, und er sah etwas bestaubt aus, als ob er eine lange Reise hinter sich hätte.
Sie hatte tatsächlich geglaubt, ihn zu kennen, vielleicht war er ihr in Edmonton einmal begegnet. Ihr früherer Chef hatte viele Geschäftsfreunde, und es war nicht ausgeschlossen, daß er zu ihnen gehörte.
»Guten Tag – haben wir uns nicht schon irgendwo gesehen? Sie sind doch aus Detroit? Nein? Dann vielleicht Saint Paul? Dort habe ich viele Leute kennengelernt.«
»Wir irren uns wohl beide«, sagte sie und wollte weitergehen. Aber der Fremde hatte sich schnell umgesehen, ob nicht irgendwo ein unangenehmer Beamter in der Nähe war, und als er sich vergewissert hatte, daß das nicht der Fall war, hielt er sie an.
»Gehen Sie doch nicht fort, mein schönes Fräulein. Sie glauben gar nicht, wie ich mich freue, eine echte Kanadierin zu treffen. Ich bin nämlich Engländer. Können Sie mir nicht sagen, wo man hier eine gute Tasse Tee bekommt?«
»Ich bin in Toronto gar nicht bekannt«, erwiderte sie. »Einer der Pförtner wird Ihnen sicher Auskunft geben können.«
»Warum haben Sie denn so große Eile?« fragte er vorwurfsvoll. »Sie haben doch zuerst mit mir gesprochen und mich angelächelt.«
Sie ging schnell an ihm vorbei, aber er nahm Koffer und Mantel auf, folgte ihr und holte sie ein, bevor sie noch das Bahnhofsgelände verlassen hatte.
»Aber warum laufen Sie denn so? Sie sind doch nicht etwa beleidigt, Fräulein? Ich würde wirklich gern Ihre Bekanntschaft machen – mein Name ist übrigens Whiplow.«
Sie blieb stehen und starrte ihn an.
Whiplow? Das war doch der Name, den Mrs. Dorban im Schlaf erwähnt hatte. Sollte das ein Zufall sein? Der Name war doch recht selten.
»Johnny Whiplow. Wie heißen Sie denn?«
»Darüber fragen Sie am besten Mrs. Dorban«, entgegnete sie.
Ihre Worte machten einen ungeheuren Eindruck auf ihn. Er verfärbte sich und sah jetzt aschgrau aus. Seine Augen traten aus den Höhlen hervor.
»Mrs. – Mrs. Dorban?« fragte er erschrocken. »Ja, kennen Sie die Dame denn? Sie ist doch nicht etwa hier?«
Penelope benutzte seine Verwirrung, um fortzukommen. Als Mr. Whiplow auf die Straße trat, war sie verschwunden.
Mrs. Dorban gegenüber erwähnte sie nichts von ihrem Erlebnis. Penelope sah sie in den vierundzwanzig Stunden, die sie in Toronto verbrachten, auch nicht länger als eine Viertelstunde. Erst als sie im Zug nach Quebec saßen, sprach sie darüber.
»Sind Sie auch sicher, daß er Whiplow hieß? Wie sah er denn aus? Ja, das muß er gewesen sein, dieser Schuft! Er konnte sich niemals beherrschen, wenn er ein hübsches Gesicht sah. Er gehört zu den Männern, die auf den Straßen flanieren, wenn die Ladenmädchen nach Hause gehen. Aber wie kommt er nur ausgerechnet nach Toronto?« Mrs. Dorban biß sich auf die Lippen und blickte düster auf die Felder hinaus, an denen der Zug vorbeieilte. »Ich glaubte, er sei in Südamerika – was macht er nur in Kanada?« Ihre Züge wurden hart, und sie kniff die Augenlider zusammen. »Hat er Ihnen noch irgend etwas gesagt, nachdem er erfuhr, daß Sie mich kannten? War es überhaupt nötig, daß Sie meinen Namen nannten? Aber es wird schon ganz gut gewesen sein. Ich bin sogar froh darüber, sonst hätte ich keine Gewissheit, daß er es wirklich war.« Dann sprach sie in ihrer sprunghaften Art von gleichgültigen Dingen.
Als sie an Bord des Schiffes kamen, glaubte Penelope Whiplow zu sehen. Er stand oben auf dem Bootsdeck bei einer Gruppe von Passagieren und lehnte sich an die Reling. Als sie aber noch einmal genauer hinschaute, war er verschwunden, und sie sah ihn auch während der ganzen weiteren Reise nicht.
Penelope fühlte ein wenig Heimweh, als sich das Schiff vom Land entfernte, aber sie hatte es bald überwunden. Das Leben an Bord war neu und reizvoll für sie und brachte ihr dauernd Überraschungen. Das Schiff selbst schien ihr so romantisch, und die Zukunft lag so vielversprechend vor ihr, daß ihr schon nach zwei Tagen Kanada und ihr bisheriges Leben nur noch wie ein Traum vorkamen.
Cynthia sprach sehr wenig über ihren Mann; sie tat es nur, wenn sie direkt gefragt wurde. Es fiel Penelope auch nicht weiter auf, daß Mrs. Dorban bis nach Kanada gereist war, um eine Sekretärin zu engagieren, während doch in England Tausende fähiger Mädchen Stellung suchten. Sie sah ihr Engagement als eine liebenswürdige Großzügigkeit von Seiten Cynthias an und war ihr deshalb besonders dankbar.
Als sie eines Tages Cynthias Kabine aufräumte – Cynthia war trotz ihrer präzisen und geschäftlichen Art in ihren persönlichen Dingen recht unordentlich und nachlässig –, fand sie ein Blatt Papier. Es war mit Bleistift beschrieben und schien der Entwurf zu einem Telegramm zu sein:
›Dorban, Stone House, Borcombe, England. Habe die richtige Sekretärin gefunden. Bestehe darauf, daß Willis entlassen wird. Wahrscheinlich wurde sie von Stamford Mills geschickt. Dieses Mädchen weiß nichts von dem Fall und hat keine Freunde in England.‹
Penelope war einen Augenblick verwirrt. Sie hatte nicht den geringsten Zweifel, daß dieses Telegramm sich auf sie selbst bezog. Aber wer war Mr. Stamford Mills? Und welchen ›Fall‹ meinte Mrs. Dorban? Sie war etwas unangenehm berührt. Es waren mehrere Sätze ausgestrichen, und sie versuchte auch dies zu lesen. Einer lautete zweifellos: ›Sie macht den Eindruck, als ob sie nicht klatscht.‹
Penelope faltete das Papier wieder zusammen und verwahrte es. Zum erstenmal seit Beginn dieses Abenteuers fühlte sie sich unsicher. Und doch würde sich die ganze Sache sicher sehr einfach aufklären.
Bei der nächsten Gelegenheit brachte sie das Gespräch auf Mr. Dorban.
»Mein Mann haßt Städte«, sagte Cynthia müde und lehnte sich in ihren Stuhl zurück. Sie saßen beide auf dem Promenadendeck. »Wir sind ruhige Leute. Arthur ist eine Art Forscher und geht selten irgendwohin. Ich hoffe, daß Sie Einsamkeit vertragen können?«
Penelope lachte. »Ich freue mich darauf, viel allein zu sein. Das hatte ich mir gerade gewünscht.«
»Dann wird es Ihnen sicher sehr gut gefallen«, erwiderte Cynthia merkwürdig verbissen. »Es kommt kein Besuch, wir laden auch niemanden ein und geben keine Bälle oder Gesellschaften. Und wenn Sie nicht gern angeln –« Sie zögerte. »Aber vielleicht wird es Ihnen später mehr zusagen, als Sie sich jetzt denken können. Nennen Sie mich bitte mit Vornamen, ich habe es nicht gern, als Mrs. Dorban angesprochen zu werden. Wovon redeten wir eigentlich? Ach ja, später werden Sie wahrscheinlich eine recht angenehme Zeit bei uns verleben – aber nein, ich wollte Ihnen noch etwas ganz Besonderes sagen. Wir vertrauen Ihnen in jeder Weise, und Sie müssen über alle Angelegenheiten meines Mannes tiefstes Stillschweigen bewahren. Nicht, daß er irgendeine besondere Beschäftigung hätte – verstehen Sie mich?«
Penelope wußte zwar nicht recht, was sie meinte, aber sie nickte.
»Es sind viele Nachforschungen anzustellen, hauptsächlich über Landgüter. Mein Mann hat nämlich eine große Erbschaft in Aussicht. Wir hoffen, eines Tages ein großes Vermögen zu erben.« Cynthia sah sich um und sprach leiser. »Ich möchte Sie noch vor einem Menschen warnen. Mein Mann hat einen erbitterten Feind, der immer wieder versucht hat, ihn zu ruinieren. Ich weiß nicht, warum er das tut«, erklärte Mrs. Dorban mit einer Ruhe, die Penelope unter diesen Umständen merkwürdig vorkam. »Aber ich vermute, daß eine Frau im Spiel ist. Ich gebe mir keine Mühe dahinterzukommen, aber einen anderen Grund kann ich mir eigentlich nicht denken. Stamford Mills – so heißt der Mann – schickt stets Detektive aus, die sich in unsere Angelegenheiten mischen wollen. Ich habe keine Ahnung, wer er eigentlich ist. Ein weltgewandter Mensch, der in London nur von seiner Tüchtigkeit lebt. Manche behaupten auch, er sei ein Schwindler, aber ich möchte ihn nicht ohne Grund verleumden. Ich weiß nur, daß er unser Feind ist, und aus diesem Grunde ist es wichtig, daß Sie vor ihm gewarnt werden.«
»Aber was will er denn entdecken – ich meine, wenn er Leute schickt, um Sie auszuspionieren?« fragte Penelope besorgt.
»Das mag der Himmel wissen. Geben Sie mir bitte mein Buch, Penelope. Ich wünschte, dieses niederträchtige Schiff würde nicht so rollen.«
Die Bewegung des Schiffes belästigte Penelope in keiner Weise. Es schien beinahe, als wäre sie auf dem Ozean geboren, so wenig konnte ihr die Seekrankheit anhaben. Sie saß gern an Deck und betrachtete die endlose grüne See. Es war ihr angenehm, das Zittern und Stoßen der Schiffsturbinen zu fühlen. Sie liebte es auch, sich die frische Brise ins Gesicht wehen zu lassen.
Die Passagiere interessierten sie nicht besonders; nur mit dem Decksteward hatte sie sich bis zu einem gewissen Grade angefreundet. Er sah gutmütig aus und kümmerte sich gleich vom ersten Tage an besonders um sie. In den frühen Stunden des Nachmittags, wenn die Passagiere in ihren Kabinen ruhten und das Promenadendeck verlassen dalag, stand er neben ihrem Stuhl und erzählte ihr von seinen vielen merkwürdigen Erinnerungen und Erlebnissen auf See. Er berichtete von Schiffen und Reisenden, die er getroffen hatte. Mit besonderem Stolz teilte er ihr mit, daß er einmal Steward im Rauchsalon eines großen Passagierschiffs gewesen war, das zwischen New York und Southampton fuhr. Und am liebsten sprach er über einen interessanten Passagier, den er während dieser Zeit kennengelernt hatte.
Beddle – so hieß der liebenswürdige Decksteward – war schon vielen schlechten Menschen begegnet. Stundenlang konnte er von den Banden erzählen, die das ganze Jahr den Ozean in beiden Richtungen überquerten und nur von der Geschicklichkeit lebten, mit der sie die Karten beherrschten.
»Ich kenne sie alle, Lew Marks, Billy Sanders, Long Charlie, Denver John – mein Gott, ich könnte Ihnen eine Liste all dieser Schwindler geben, die länger ist als Ihr Arm, mein Fräulein!«
»Und die waren alle Falschspieler?«
Er nickte. »Aber der Schlimmste von allen war doch El Slico – eine Amerikanerin hat ihm diesen Beinamen gegeben, und den hat er behalten. Er war so gewandt und anpassungsfähig. Ich habe ihn niemals zweimal in demselben Anzug gesehen. Allein seine Kleidung muß ihn ein Vermögen gekostet haben. Er hatte stets die besten Kabinen an Bord belegt, während die Mitglieder der anderen Banden gewöhnlich zu vier Mann in einer Kabine reisen. Er ist noch ziemlich jung; wenigstens war er es damals, als ich ihn vor ein paar Jahren traf. Man erzählte sich, daß er den besten Gesellschaftskreisen angehöre – aber er ist ein Schurke, sage ich Ihnen. Er würde Ihnen die Goldkronen aus dem Munde reißen, wenn sonst nichts zu nehmen wäre! Er war der Führer einer Bande, die sich nur mit ganz vornehmen Leuten abgab. Einen Verstand hatte dieser Mann! Er war niemals von zufälligen Bekanntschaften an Bord abhängig. Einmal brachte er einen Millionär aus Colorado um hundertfünfzigtausend Dollar. El Slico wußte, daß der Mann nach Europa fahren wollte, und fuhr deshalb zwei Wochen vorher nach Colorado. Er verstand es, sich Eingang in seinen Klub zu verschaffen, und lernte ihn dort kennen. Der Millionär lud ihn in seine Wohnung ein. El Slico gab sich als reicher junger Engländer aus, der keine andere Aufgabe im Leben habe, als von den Zinsen seines großen Vermögens zu leben. Als sie sich später an Bord des Schiffes wiedertrafen, war es natürlich, daß sie sehr freundschaftlich miteinander verkehrten – und das hat Mr. Gifford hundertfünfzigtausend Dollar gekostet. Und selbst da wußte er noch nicht, daß El Slico der Anführer der Bande war, die ihm das Geld abgenommen hatte.«
Tag für Tag hörte Penelope Geschichten über diesen geheimnisvollen El Slico, denn es war das Lieblingsthema Mr. Beddles.
Vom Standpunkt der Gewohnheitsreisenden aus war die Überfahrt gänzlich uninteressant. Das Schiff war an drei großen Eisbergen vorbeigekommen und unzähligen anderen Schiffen begegnet. Ein Tanzabend, ein Kostümball und ein Konzert hatten im Salon stattgefunden, und am Sonntag war ein Schiffsgottesdienst abgehalten worden. Für das Mädchen aus Edmonton waren all diese Vorgänge große Ereignisse.
Als sie noch einen Tag von Liverpool entfernt waren und die langhingestreckte graue Küste Irlands passiert hatten, entdeckte Penelope einen Zug in Mrs. Dorbans Charakter, den sie ihr nicht zugetraut hatte.
Cynthia hatte sich in Winnipeg einen kleinen Schoßhund gekauft, und sie hatte das kleine Tier mit dem seidigen Fell sehr gern. Tagsüber trug sie den Hund immer im Arm mit sich herum, und nachts schlief er zu ihren Füßen im Bett.
Penelope liebte Hunde auch, aber sie fühlte sich mehr zu den größeren Rassen hingezogen. Diese kleinen Tierchen, die nur als Spielzeug dienten, von ihren Frauchen verzärtelt, gekämmt und gebürstet wurden und ihnen fast so unentbehrlich wie eine Handtasche waren, sagten ihr nicht zu. Sie taten ihr nur leid.
Penelope stand auf dem Promenadendeck und sah mit begeisterten Blicken, wie die wenig romantische Küste von Lancashire in dem leichten Nebel auftauchte. Als Cynthia zu ihr trat, wandte Penelope sich zu ihr um und sah sofort, daß sie den Hund nicht bei sich hatte.
»Wo ist denn Fluff?« fragte Penelope.
»Das arme kleine Tier – es war doch ein so lieber, netter Kerl...«
»Was ist denn mit ihm passiert?«
»Man hat mir gesagt, daß ich den Hund nicht mit an Land nehmen könne, es sei denn, daß er zuerst in Quarantäne käme. Und das gibt doch zu viele Unannehmlichkeiten. Hunde bekommen allerhand Krankheiten, wenn sie mit anderen Tieren zusammen eingesperrt werden. Ich habe Fluff deshalb einem Matrosen übergeben und ihm gesagt, daß er ihn ertränken soll. Er wollte mich zuerst überreden, ihn durch den Zoll schmuggeln zu lassen, aber ich wollte nicht extra dafür hundertfünfzig Dollar ausgeben. Er hat mir versprochen, daß er ihm einen schweren Gegenstand um den Hals bindet und ihn dann ins Wasser wirft.«
Penelope war sehr bestürzt. »Aber – ich dachte, Sie hatten das Tierchen so gern ...«
»O ja, ich hatte es ganz gern. Es war ein lieber, kleiner Kerl. Aber keine reine Rasse, wie mir die Leute in Winnipeg vorschwindelten. Captain Wilkins, der viel von Hunden versteht, sagte mir, daß das Tierchen bestimmt keinen reinen Stammbaum habe und daß ich bei dem Kauf betrogen worden sei. Und mit unechten Hunden gebe ich mich nicht ab. Geht Ihnen denn die Sache nahe?«
Penelope konnte nichts erwidern. Die merkwürdige Gefühllosigkeit dieser Frau beleidigte sie. Das Leben eines kleinen Schoßhundes war ja sicher nicht von großer Bedeutung, aber es schmerzte sie doch, daß sie diesen Charakterzug an einer Frau entdecken mußte, die sie sonst so verehrte und in jeder Weise bewunderte. Sie dachte an die dünnen, schmalen Lippen Cynthias und sah sie jetzt mit einem neuen Interesse an.
Ein paar bevorzugte Freunde der Passagiere kamen dem Schiff in einem kleinen Boot entgegen. Cynthia erwähnte nebenbei, daß ihr Mann vielleicht auch an Bord komme. Sie zeigte aber keinerlei besondere Freude darüber, daß sie ihn nach so langer Trennung wiedersehen würde, und trat nicht einmal zu der kleinen Gruppe interessierter Leute, die über die Reling schauten, als die Passagiere des kleinen Bootes herüberkamen.
Penelope hatte sowohl ihre eigenen als auch Cynthias Sachen gepackt und suchte nun noch einmal den Decksteward auf.
»Ich danke Ihnen, mein Fräulein«, sagte Mr. Beddle, als er den Fünfdollarschein aus ihrer Hand nahm. »Sie hätten mir das nicht zu geben brauchen, es war mir auch so ein großes Vergnügen. Besten Dank. Ich hoffe, daß ich Sie wieder einmal auf einer Reise bedienen kann. Sind Sie eigentlich auf einer Vergnügungsfahrt?«
»Ich hoffe, es wird ein Vergnügen für mich werden; ich bin nämlich nach England gekommen, um eine Stellung anzutreten.«
Der Mann schaute Penelope nachdenklich an. »Es ist kein schlechtes Land, und Sie mögen hier Ihr Glück machen. Heiliger Moses!« Er schaute an ihr vorbei und machte ein überraschtes Gesicht. »Schnell, mein Fräulein«, flüsterte er, »das ist er!«
»Er – wer?«
Penelope wandte den Blick in die Richtung, in die er zeigte, und sah einen eleganten, glattrasierten Herrn, der von Kopf bis Fuß tadellos gekleidet war. Es schien ihr, als ob er von der Bond Street in London plötzlich an Bord dieses Schiffes versetzt worden sei, ohne daß sein Anzug auch nur die geringste Falte davongetragen hätte.
Sein Gesicht war dunkel, und er trug einen kleinen Schnurrbart. Sein Kinn wirkte ein wenig lang. Im Augenblick lächelte er und zeigte seine weißen Zähne.
»El Slico«, sagte Beddle leise. Aber bevor Penelope ihn noch richtig betrachten konnte, eilte Cynthia schon auf sie zu.
»Meine liebe Penelope, ich möchte Sie vorstellen.« Cynthia faßte sie am Arm und ging mit ihr auf den vornehmen Herrn zu. »Dies ist mein Mann, Mr. Dorban!«
›El Slico‹ nahm den Zylinder ab und reichte ihr seine lange, schmale Hand.
Penelope ergriff sie mechanisch.