Читать книгу Die Gräfin von Ascot - Edgar Wallace, Edgar Wallace - Страница 6

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Zu den Untugenden John Morlays gehörte vor allem Neugierde. Deshalb blieb er natürlich eines Morgens auch vor dem Gartentor einer kleinen Villa in Ascot stehen. In dem schmucken, aber nicht allzu großen Haus wurde eifrig gearbeitet, und das erregte seine Aufmerksamkeit. Er sah durch eine Öffnung in der gradlinigen Hecke, wie Arbeiter eben einen Schrank hineintrugen. Weiter hinten bemerkte er einen frischgemähten Rasenplatz mit einem Bassin, und jenseits erhob sich das Wohngebäude aus roten Ziegeln. Breite weiße Sandsteinquadern bildeten die Fensterumrahmungen des zierlich wirkenden Hauses. Es lag ziemlich versteckt, so daß es wohl nur Leute wie John Morlay entdecken konnten, die Zeit und Lust hatten, planlos in der Gegend umherzustreifen. Es lag auch nicht an einer richtigen Straße, sondern an einem Weg, der sich in den Wiesen verlor. In der Nähe von Ascot gibt es eine ganze Anzahl ähnlicher Landsitze.

Allem Anschein nach zog hier ein neuer Mieter ein – vielleicht hatte das kleine Grundstück sogar seinen Besitzer gewechselt. John folgte den Arbeitern, die mühsam schwere Möbelstücke den Kiesweg entlangschleppten. Der Weg war erst vor kurzem gesäubert worden, und das kleine Bassin, in dem sonst Wasserlilien gestanden haben mochten, war vollkommen ausgeräumt und mit klarem Wasser gefüllt. Ein Gärtner stand auf dem Rasen, lehnte sich auf den Griff seines kleinen Rasenmähers und wischte sich über die Stirn. Er grüßte John mit einer gewissen Ehrerbietung, wie es Dienstboten Fremden gegenüber tun, von denen sie nicht recht wissen, ob sie Freunde ihrer neuen Arbeitgeber sind oder nichts auf dem Grundstück zu suchen haben.

»Sieben Millionen Kaulquappen waren in dem Teich«, erklärte er großartig und etwas zusammenhanglos.

»Ich habe nur sechs Millionen gezählt«, erwiderte John vergnügt, und der Mann sah ihn verdutzt an. »Nun gut, wir wollen uns die Sache fünfzig zu fünfzig teilen. Ich will zugeben, daß es sechseinhalb waren.«

»Als ich herkam, stand das Gras so hoch«, versuchte der Gärtner es aufs neue und deutete mit der Hand eine Höhe zwischen Hüfte und Knie an.

»Das ist noch gar nichts. In meinem Garten steht es so hoch, daß ich mich darin verirren kann. Ziehen hier eigentlich neue Mieter ein?«

»Ach, die?« Der Gärtner wies mit dem Daumen nach der offenen Haustür. »Nein, die haben es gekauft. Die alte Lady Coulson hat viele Jahre hier gelebt. Sie hat immer grüne Hüte auf den Pferderennen von Ascot getragen. Sicher können Sie sich noch auf sie besinnen?«

John hatte das Gefühl, daß er mindestens ein nachdenkliches Gesicht machen müßte. »Nein«, sagte er, nachdem er sich besonnen hatte. »Wie viele grüne Hüte trug sie denn?«

Der Gärtner sah ihn argwöhnisch von der Seite an und sagte langsam: »Eine Gräfin hat sie jetzt.«

»Die Hüte? Ach so, Sie meinen die Besitzung!«

»Eine junge Gräfin. Ich habe sie noch nicht gesehen. Sie kommt direkt vom College hierher. Ein Zimmermädchen und eine Köchin sind schon engagiert, auch eine Aufwartefrau – ich komme nur ab und zu her.«

»Wie meinen Sie das?« fragte John interessiert.

»Ich bin nur für zwei Tage in der Woche angestellt.« Er schüttelte den Kopf. »Das sollen die mir aber erst mal vormachen, hier in zwei Tagen mit allem fertig zu werden! Wenn der Garten richtig in Ordnung kommen soll, muß ein Mann die ganze Zeit hier arbeiten. Hier gibt es kein Gewächshaus – überhaupt gar nichts. Was soll denn im Winter werden? Da müssen die Pflanzen doch herausgenommen werden.«

Der Gärtner machte sich wieder mit seiner Grasschneidemaschine zu schaffen.

John Morlay ging zur Haustür und schaute in die Diele. Der Fußboden war mit einem Läufer ausgelegt, und es roch nach neuer Farbe. Ein Elektriker in weißem Arbeitskittel ließ einen Draht fallen, um den Fremden genauer zu betrachten. Morlay wandte sich um und ging langsam um das Haus herum. Es war wirklich ein herrlicher kleiner Besitz, der sich für eine junge Gräfin besonders eignete. John überlegte, welche von den vielen Gräfinnen, die er kannte, wohl die glückliche Eigentümerin wäre.

Als er sich umdrehte, entdeckte er noch einen anderen Mann im Garten. Der Fremde war groß, breitschultrig, nicht mehr jung und trug schäbige Kleider. Sein Gesicht hatte eine ungesunde Farbe, und der abstoßende Eindruck seiner Züge wurde noch durch den unwirschen, verbitterten Blick erhöht, mit dem der Mann das Haus musterte. Etwas Scheues lag in seinem Wesen, als ob er fürchtete, von dem Grundstück gewiesen zu werden. Aber dann faßte er Mut und kam langsam auf John Morlay zu.

»Können Sie mir hier eine Stelle oder Arbeit geben?«

Die barsche Stimme paßte zu dem unfreundlichen Wesen.

John Morlay betrachtete den Mann neugierig, der einen alten Soldatentornister auf dem Rücken trug. Die Schuhe waren etwas zu groß und an den Seiten aufgeplatzt, die Hosen unten ausgefranst. Das Hemd stand am Hals offen, so daß man die sonnverbrannte Brust sehen konnte. John wußte nach der äußeren Erscheinung des Fremden sofort, mit wem er es zu tun hatte.

»Ich habe leider keine Arbeit für Sie, mein Sohn. Wie lange sind Sie denn schon wieder heraus?«

Der Mann blinzelte ihn an und verzog das unrasierte Gesicht ärgerlich. »Wie?«

»Wie lange Sie schon wieder heraus sind?«

Der Fremde sah in den Garten, auf das Haus, auf den Himmel, überallhin, nur nicht auf John.

»Ich weiß nicht, was Sie meinen.«

»Seit wann sind Sie aus dem Gefängnis entlassen?«

»Seit sechs Monaten«, lautete die trotzige Antwort. »Sie sind wohl von der Polente?«

»In gewisser Weise – ja«, erwiderte John mit einem leichten Lächeln. »Warum haben Sie denn gesessen?«

Der Mann sah ihn fest an.

»Das geht nur mich etwas an. Sie können mir nichts anhaben, ich brauche mich nirgends zu melden. Ich bin nicht auf Bewährung entlassen, ich habe meine ganze Strafe abgesessen.« Seine Stimme wurde immer rauher und lauter. »Jeden Tag und jede Stunde. Ich habe keinen Strafnachlass bekommen; wie einen Hund haben sie mich behandelt – und das habe ich ihnen heimgezahlt. Ich lasse mich nicht unterkriegen, so bin ich!«

Zwei Transportarbeiter kamen an ihnen vorbei. Einer trug ein Ölgemälde. Von Johns Standpunkt aus war es schwer, die dargestellte Person und den künstlerischen Wert zu unterscheiden; er sah nur, daß es sich um das Porträt einer jungen Dame in hellblauem Kleid handelte. Ihre Haare waren goldblond, und eine Vase stand neben ihr.

Der frühere Sträfling trat befangen von einem Fuß auf den anderen. Es war klar, daß er möglichst bald fort wollte. Aber die jahrelange Gewohnheit, von Vorgesetzten ausgefragt zu werden, hielt ihn zurück. Morlay erkannte dies, entließ ihn mit einem Auf Wiedersehen und schaute ihm dann nach, wie er mit steifen Schritten über den Rasen auf die Straße hinausging.

Nach einer Weile schlenderte Morlay zum Haus zurück, und nachdem er sich genügend umgesehen hatte, wandte er sich wieder an den Gärtner.

»Was ist es denn für eine Gräfin?«

Der Mann schüttelte den Kopf.

»Ich habe es nicht recht behalten. Es ist ein fremder Name italienisch! Mit einem F fängt er an.«

»Danke für die Auskunft.«

John schlenderte durch das Gartentor hinaus. Am Ende der kurzen Straße stand das Lastauto, das die Möbel gebracht hatte, und er ging darauf zu. Als er dort ankam, hielt gerade ein anderes Auto an, und eine ziemlich behäbige Frau von mittleren Jahren stieg aus.

Vielleicht war sie die neue Haushälterin. Aber John fiel ein, daß der Gärtner nichts von einer solchen Angestellten erwähnt hatte. Er kümmerte sich auch nicht weiter um sie. Was gingen ihn die Dienstboten einer jungen italienischen Gräfin an?

Langsam ging er auf die Hauptstraße zu und hielt Ausschau nach seinem Bekannten, dem Kriminalinspektor Peas. Schließlich entdeckte er ihn in einiger Entfernung.

Die Gegend hier war romantisch, und auch diese junge italienische Gräfin umgab eine gewisse Romantik. Wahrscheinlich gehörte sie zu jenen Damen der vornehmen Welt, die sich hier nur während der Rennen blicken ließen. Zu dieser Zeit würde der kleine Landsitz dann fröhliche Partys sehen, aber nachher war wieder alles vorüber; Vorhänge wurden vorgezogen, die Türen abgeschlossen. Die junge Gräfin fuhr an die Riviera oder an den Lido, bis die Saison sie wieder zu ihrer idyllisch-schönen Besitzung zurückrief, die dann von neuem von den Handwerkern hergerichtet wurde. Peas, der John mit lebhaften Schritten entgegenkam, brachte diesen aus seiner Versunkenheit zur Wirklichkeit zurück.

Der Polizeibeamte war auf Ersuchen der lokalen Behörde von Scotland Yard hierhergeschickt worden, um einen Einbruchdiebstahl aufzuklären, und hatte John Morlay eingeladen, ihn zu begleiten. Teils, weil er gern jemandem von seiner Tüchtigkeit erzählte, teils, weil John Morlay ein großes, elegantes Auto besaß, in dem er bequem seinen Bestimmungsort erreichen konnte.

In kurzer Zeit begann die Saison in Ascot, und es waren schon viele der angesehenen Familien hergekommen, darunter auch ein Graf, dessen junge Gattin sich sehr für Saphire interessierte. Sie besaß eine ganze Reihe von Schmuckstücken, die mit diesen Steinen besetzt waren: Ringe, Nadeln, Armbänder und andere Gegenstände. Sie nahm ihre Juwelen stets auf Reisen mit, obwohl dies ziemlich gefährlich war.

Als sie eines Abends eine Party gab, stellte ein Unbekannter eine Leiter an das Fenster ihres Schlafzimmers, brach den Safe auf, der rechts neben ihrem Bett stand, und raubte drei Kassetten mit kostbarem Schmuck. Der Einbrecher wäre unbemerkt entkommen, wenn ihn nicht das Zimmermädchen im Schlafzimmer überrascht hätte. Zuerst sah sie den Mann nicht, und obwohl sie ihn nachher bemerkte, konnte sie nicht viel über sein Aussehen berichten, da er einen schwarzen Seidenstrumpf über das Gesicht gezogen hatte. Sie wollte schon um Hilfe schreien, aber eine Hand legte sich wie eine Eisenklammer auf ihren Mund.

Sie las aufregende Kriminalgeschichten und wußte daher auswendig, wie es bei solchen Gelegenheiten herging. Infolgedessen fiel sie auch in Ohnmacht. »Der Mann würgte mich, bis ich die Besinnung verlor!« sagte sie aus.

Inspektor Peas verhörte sie. Er war ein hagerer Mann mit Sommersprossen und kaum vierzig Jahre alt. Er schien noch etwas zu jung für seinen Posten zu sein, denn das Mädchen ärgerte sich über seine Fragen und beklagte sich danach, daß er keine Manieren besäße und sie nicht über den Einbruch selbst befragt, sondern seine Zeit mit nutzlosen Erkundigungen nach ihren Privatverhältnissen vergeudet hätte. Zum Beispiel wollte er wissen, wer ihr Freund sei, welchen Beruf er habe, ob er in Ascot wohne und ob er sie schon einmal in dem Haus besucht habe.

»Das Mädchen hat einen absolut anständigen Charakter«, protestierte ihre Herrin ungnädig.

»Ich habe leider die Erfahrung gemacht, daß es kaum Menschen mit anständigem Charakter gibt«, erwiderte Peas gelangweilt. »Jedenfalls nehme ich das als Polizeibeamter zunächst an, bis das Gegenteil bewiesen ist.«

Er war gerade nicht in der besten Stimmung, als er Morlay traf.

»Es ist ein ganz gewöhnlicher Wald- und Wieseneinbruch, bei dem der Kerl eine Leiter benützt hat. Das Dienstmädchen ist ebenso dumm wie alle anderen. Die fängt gleich an zu heulen, wenn man sie fragt, ob sie einen Freund hat, mit dem sie öfter mal ausgeht. Wie soll man da vorwärtskommen? Solche Einbrüche werden doch meistens vorher richtig ausbaldowert. Wo haben Sie denn Ihr Auto?«

»In den königlichen Stallungen. Ich wollte es in einer gewöhnlichen Garage unterstellen, aber jemand hat Sie erkannt und mich gefragt: ›Ist Ihr Begleiter nicht der große Kriminalbeamte, Inspektor Peas? Wir können nicht zugeben, daß das Auto seines Freundes bei den Wagen gewöhnlicher Leute steht.‹«

»Lachen Sie, dann lacht die Welt mit Ihnen«, entgegnete Peas selbstzufrieden. »Wenn man meine Fähigkeiten bedenkt, ist es geradezu ein Verbrechen, daß man mich zur Aufklärung eines solchen Falles in die Provinz schickt.«

John Morlay wußte nicht recht, ob Peas alle diese Bemerkungen über seine Tüchtigkeit nur zum Scherz machte, oder ob er sie ernst meinte. Es gab nur zwei Möglichkeiten: entweder mochte man den Inspektor gern, oder man konnte ihn nicht ausstehen. In jedem Fall aber mußte man einen gewissen Humor besitzen, um den Mann ertragen zu können. Und John Morlay hatte diesen Humor.

»Der Fall liegt so einfach, daß ihn ein sechsjähriges Kind verstehen könnte«, sagte Peas verächtlich, während sie zu Morlays Wagen gingen, der in der Garage eines kleinen Hotels stand. »Er mag ja für die Polizeibeamten von Ascot seine Schwierigkeiten haben, aber nicht für einen Mann von meinem Ruf. Es handelt sich um dieselbe Bande, die schon seit Wochen hier in der Gegend die Landhäuser plündert. Es ist wohl nicht nötig, daß ich Ihnen die Sache näher erkläre, Mr. Morlay, denn Sie sind ja kein berufsmäßiger ...«

»Übrigens sah ich in der Nachbarschaft einen früheren Sträfling«, unterbrach ihn John und berichtete dann über den Vorfall.

Peas hörte ihm zu und schüttelte den Kopf.

»Nein, den kenne ich nicht. Aber wer den Einbruch verübt hat, war sicher kein alter Mann. Ich glaube übrigens, daß der Einbrecher, der die Saphire gestohlen hat, ganz allein arbeitet.«

Peas kannte Ascot sehr gut, wie er seinem Bekannten auf der Rückfahrt nach London erzählte; aber da er stets behauptete, alle Menschen und alle Orte sehr gut zu kennen, nahm ihn Morlay nicht ernst.

»Ich kenne die ganzen alteingesessenen Familien hier«, erklärte der Inspektor, »aber es sind auch viele neue Villen in der Gegend gebaut worden. Die Leute ziehen ein und ziehen aus. Die junge Gräfin Fioli zum Beispiel kenne ich noch nicht –«

»Gräfin Fioli!«

Der Wagen geriet einen Augenblick ins Schleudern, denn Mr. Morlays innere Erregung übertrug sich auf das Steuer.

»Ach, ich kenne sie – oberflächlich.«

»Trotzdem sollten Sie vernünftig fahren. Sie sind ja eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit«, erwiderte Peas vorwurfsvoll. »Mir kann so etwas nicht passieren. Ich bleibe vollkommen ruhig und kaltblütig, wenn ich am Steuer sitze. Selbst wenn ein Kerl seitlich aus den Büschen springt und mir ein Schießeisen entgegenhält, zucke ich nicht mit der Wimper –«

»Hören Sie doch endlich auf, nur von sich selbst zu reden, Peas. Ist die Gräfin Fioli die Inhaberin der neuen Villa dort drüben?«

Der Inspektor nickte.

»Sie kommt direkt vom Internat – geht mitten im Jahr ab, eigentlich ein schlechtes Zeichen. Schulen und Pensionate lieben das nicht. Nächste Woche kommt sie hierher. Ihr Vormund oder ihre Erzieherin hat das Haus gekauft, das ist alles, was man weiß. Wieder eine neue Gelegenheit, die sich die Diebe nicht entgehen lassen werden. Es wird nicht lange dauern, bis dort eingebrochen wird, und dann nimmt man natürlich wieder die Intelligenz von Scotland Yard in Anspruch.«

»Damit meinen Sie doch sich selbst?«

»Wen denn sonst? Nennen Sie mir drei Männer in Europa, die meinen Verstand besitzen oder mir in Bezug auf kriminalistische Fähigkeiten auch nur das Wasser reichen können«, erwiderte Peas selbstzufrieden.

Die Gräfin von Ascot

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