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Dakota

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Ein Dorf ist keine Stadt.

Klar, bei uns gibt’s kein Kino und keine Disco. Keine Geschäftsstrassen und so. Trotzdem, ich lebe lieber auf dem Dorf.

Bei uns kannst du irgendwo auf einer Wiese liegen, süße Grashalme kauen und um dich herum summen irgendwelche Insekten. Ich weiß nicht, ob es so viele auch in den Städten gibt. Ich glaube, die leben auch lieber auf dem Lande.

Oder du kannst einsam durch den Wald streifen. Meist siehst du keinen einzigen Menschen. Nicht so wie in den Stadtparks, wo bei jedem Sonnenstrahl der Teufel los ist.

In der Stadt ist alles sortiert. Die Wohnblöcke, Parkplätze, Geschäfte, Grünanlagen. Bei uns ist alles ein bisschen unordentlicher.

Na gut, alles hat seine Vor- und Nachteile.

Und es gibt eben auch unterschiedliche Meinungen.

Paola ist meine Cousine und sie wohnt in der Stadt. Genauer gesagt, in einem Vorort. Manchmal ist sie ein paar Tage bei uns. Jedesmal kriegen wir uns in die Haare.

"Zoe", sagt sie, "euer Kaff ist stinklangweilig, ich würde hier regelrecht verblöden!"

"Und was macht dich in der Stadt so schlau?", habe ich sie gefragt. "Dass du an den Ampeln die Farben unterscheiden lernst?" Gut, das war vielleicht ein bisschen gemein. Aber ich war wütend. Deswegen habe ich noch weiter gestänkert: "Oder, dass du in den Schaufenstern Preisschilder lesen kannst oder in den Kaufhäusern Rolltreppe fahren? Wie aufregend!"

Paola lässt sich aber nicht beirren. "Bei uns in der Stadt ist einfach was los!"

Basta! Was genau da los ist, hat sie mir noch nie gesagt.

"Bei euch ist doch der Hund verfroren!" fügt sie noch hinzu. Und schon geht die ganze Streiterei weiter.

Bei dem Wort Hund, denke ich nämlich an meinen Hund. Der heißt Mathilda. Und schon schimpfe ich wieder auf die Stadt.

Hier auf dem Dorf können auch Hunde ganz anders leben. Das sage ich. Und: "Wenn es nach mir ginge, dürften in der Stadt gar keine Hunde gehalten werden. Das ist nämlich Tierquälerei!"

"Du spinnst doch", schreit Paola. "Außerdem geht es Gott sei Dank nicht nach dir!"

Wieder mal hat sie die Nase gestrichen voll, rast zum Telefon und ruft ihre Mutter an. Die soll sie so schnell wie möglich abholen. Die beiden wohnen nicht weit von uns in einer größeren Stadt, in einem riesigen Häuserblock.

Ihre Mutter ist geschieden und muss viel arbeiten. Sie sagt bestimmt immer: "Paola, fahr eine Woche aufs Land. Das tut dir gut und du hast deine Cousine Zoe zum Spielen!"

Eigentlich müsste sie´s ja merken, dass es Paola überhaupt nicht gut tut, sonst würde die nicht ewig anrufen und heulen und wieder nach Hause wollen. Erwachsene bestimmen oft, was Kindern gut tut. Große Gedanken machen sie sich dabei nicht.

Paola und ich spielen auch nicht gern zusammen.

Wir haben ein kleines Fachwerkhaus mit einer Scheune und Garten. Da gibt es tausend Ecken zum Rumtoben und Verstecken. Paola hat meist keine Lust zu so was. Im Bach gibt es ein paar Wasserlöcher zum Baden. Eigentlich sollen wir da nicht hin. Weil das Wasser nicht so ganz sauber ist. Krank geworden ist aber noch niemand. Paola geht trotzdem nicht mit. Sie wartet lieber, bis meine Mutter mittags von der Arbeit kommt und uns ins Freibad fährt. Das liegt zwei Orte weiter. Abends werden wir wieder mit dem Auto abgeholt.

Meiner Mutter gefällt das. Sie sagt: "Da weiß ich, wo ihr seid!"

Ich hab´s nicht so gern, irgendwo festzusitzen.

Jedenfalls ist Paola froh, wenn sie wieder in ihre geliebte Stadt zurückkann. Und ich bin glücklich, dass sie weg ist.

Wir wohnen noch gar nicht so lange auf dem Dorf. Vor fünf Jahren haben meine Eltern das Haus gekauft. War damals ein ziemlich gammliger Schuppen. Hauptsächlich mein Vater hat alles wieder hergerichtet. Das ist sein Hobby. Er kann fast alles: mauern, zimmern, verputzen, neue Fenster und Türen einsetzen.

Überall stehen dafür Maschinen und liegt Werkzeug herum.

Er arbeitet tagsüber in einem kleinen Baumarkt in Biberg, das ist ein etwas größerer Ort, zehn Kilometer entfernt. Der Job ist ganz praktisch, da bekommt er natürlich alles Mögliche viel billiger.

Meine Mutter arbeitet halbtags hier im Lebensmittelladen. Der ist gleich neben der Kirche. Nachmittags verbringt sie die meiste Zeit im Garten. Außer im Winter natürlich.

Mathilda ist vanillegelb, hat kurzes Fell. Die Rasse heißt Labrador. Sie tobt für ihr Leben gern im Wasser herum. Und ist unheimlich lieb. Sie hat immer gute Laune und wedelt deshalb den ganzen Tag mit ihrem Schwanz.

Katzen haben wir auch. Die schlafen in der Scheune im Heu. Hinten im Garten ist noch ein Hühnergehege und auf der Wiese am Dorfrand stehen den ganzen Sommer über unsere beiden Ponys Pünktchen und Anton und die Kuh. Sie heißt Laura.

Laura ist schon dreizehn Jahr alt und gibt jetzt keine Milch mehr. Meine Eltern haben sie damals gekauft, damit wir uns gesünder ernähren. Mutter hat gemolken und selbst Butter, Joghurt und Frischkäse gemacht. Jedes Frühjahr bekam Laura ein Kälbchen. Die wurden dann im Spätherbst geschlachtet.

Aber nach dem zweiten Mal gab es große Diskussionen.

Vater hatte immer schon eine Woche vor dem Schlachttermin Bauchschmerzen. Mutter zog ein Gesicht, wenn sie vom Melken kam. Ich war sowieso den ganzen Tag über verschwunden, wenn es so weit war.

Zu der Zeit hatten wir auch noch zwei Schweine, die hinten im Garten in einem Stall mit Auslauf lebten. Kurz nach dem kleinen Bullen waren die auch dran. An diesem Tag war Vater total geknickt. Jeder weiß, dass Schweine genau merken, wenn es ihnen ans Leder geht. Die beiden hatten aber so ein Vertrauen zu meinem Vater, dass sie sich arglos zum Schlachter führen ließen.

Vater hatte einen dicken Kloß im Hals. Er sagte: "Ich bin mir vorgekommen wie ein richtiger Lump und Verräter!" Wir saßen am Tisch im Esszimmer und nach ein paar Worten war klar: Bei uns wird kein Tier mehr geschlachtet.

"Wenn man da nicht richtig hinter steht und es nicht kann, muss man es eben lassen!" sagte Vater abschließend.

Wir waren einverstanden.

Eine Kuh muss jedes Jahr ein Kalb bekommen, wenn es mit der Milch weitergehen soll. Aber wir wollten keinen Nachwuchs mehr. So blieb Laura einfach so bei uns und steht mit den zwei Ponys zusammen auf der Weide. Die anderen Bauern sagen immer zu meinem Vater: "Mensch, schlachte endlich deine Kuh! Sie wird immer älter und das Fleisch immer zäher!"

Vater lacht dann nur und schüttelt den Kopf. "Die hat bei uns Einsitzrecht!" So nennen es die Bauern, wenn die Alten Wohnrecht auf Lebenszeit haben. Die anderen finden es ziemlich verrückt, die Laura durchzufüttern. Bei der Sache bin ich richtig stolz auf meinen Vater. Wenn der Tierarzt zum Impfen kommt, sagt er jedes Mal: "Das ist die älteste Kuh weit und breit!"

Im Augenblick hab ich ein bisschen Ärger in der Schule. Wir sprechen über Indianer in Nordamerika. Was der Kolumbus entdeckt hat und so. Darüber sollten wir einen Aufsatz schreiben. Unser Lehrer, der Neumann, hat uns erzählt, dass so eine Entdeckung eine wichtige Sache ist und Vieles umgekrempelt hat. Indianer sind mein Lieblingsthema und ich hab ´ne Menge darüber gelesen. Außerdem hat mich das Geschwafel aufgeregt. Jedenfalls hab ich den Aufsatz ein wenig umgeändert. Als Überschrift nahm ich: "Als die Indianer Deutschland entdeckten". Den Rest musste ich am nächsten Tag vorlesen:

"Es war am 14 Januar 1848, so um die Mittagszeit. Da landeten mindestens

vierzig Kanus mit Indianern an der Nordseeküste. Eigentlich wollten sie Afrika entdecken. Aber sie hatten sich irgendwie verpaddelt. Außerdem war es unheimlich neblig. Aber die Indianer dachten, dass Ostfriesland Afrika ist. Von der langen Reise über das Meer waren die Indianer erschöpft und entkräftet. Es war auch saukalt.

Die Ostfriesen staunten nicht schlecht, als sie all die bunten Menschen sahen. Aber gastfreundlich wie sie sind, kochten sie erst mal einen Tee. Zu essen gab es reichlich, und warme Socken auch.

Bald kamen die Indianer wieder zu Kräften. Und in der Zwischenzeit landeten weitere Boote an der Küste. Plötzlich wurden die Indianer anders. Sie überfielen Bauernhöfe und brannten sie nieder. Seitdem werden junge Ostfriesen als Sklaven eingefangen und nach Amerika geschickt.

Alle Bauern verlieren ihr Land. Das Vieh auf den Weiden wird einfach abgeschossen. Ganz Deutschland ist in Angst und Schrecken versetzt.

Die Indianer übernehmen die Macht. Viele Deutsche werden einfach umgebracht. Der Rest lebt zusammengepfercht in besonderen kleinen Gebieten, die nicht verlassen werden dürfen.

Den deutschen Kindern ist bei Strafe verboten, die eigene Sprache zu benutzen. Sie müssen jetzt Indianisch lernen.

Das ist die Geschichte von der Entdeckung Deutschlands!"

Die meisten aus der Klasse fanden meinen Aufsatz ziemlich blöd. Nur Anna und Andrea nicht. Aber die sind eh meine Freundinnen.

Patrick hat gerufen: "Das hätten sich die Deutschen nie gefallen lassen!"

Ich habe nichts mehr dazu gesagt. Der Neumann war stocksauer. Und ich habe vor Wut gekocht. Aber nichts gezeigt. Sonst hätte ich gebrüllt: „Diese ganzen Typen, die in den Geschichtsbüchern als Helden aufgeführt sind, waren in Wirklichkeit meist Mörder und Räuber!" Schöne Geschichte!

Natürlich ist mein Aufsatz erstunken und erlogen. Aber ich habe alles nur umgedreht. Das haben nämlich die weißen Entdecker mit den Indianern gemacht. Indianer hätten nie so gehandelt.

Ich finde es gut, dass ich das zur Sprache gebracht habe. Man muss zeigen, auf wessen Seite man steht. Und seit dem Tag laufe ich auch so rum. Mit buntem Stirnband und Fransenjacke. Robin habe ich ein Perlenarmband abgekungelt. Und das Beste: Ich habe meinen Namen geändert.

Ich heiße jetzt Dakota.

Dakota und die Indianer

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