Читать книгу Dakota und die Indianer - Edgar Wüpper - Страница 4
Der Plan
ОглавлениеNicole fragt mich, was ich an Indianern so gut finde.
"Wie sie mit der Natur umgehen!", sage ich. "Tiere und Pflanzen sind ihre Freunde."
Nicole guckt erwartungsvoll. Das reicht ihr nicht.
Ich überlege.
"Für Indianer ist ein Baum nicht einfach Brennholz, sondern die Wohnung von Tieren. Und ein eigenständiges Lebewesen. Verstehst du? Er lebt und darf nicht ohne weiteres getötet werden!"
"Hm." Nicole reibt sich mit dem Zeigefinger die Nase.
Ich hole tief Luft.
"Du musst mal mit deiner Hand über die raue Haut der Rinde von einem Baum streicheln oder dich mit dem Rücken an den Stamm lehnen. Dann fühlst du was!"
Nicole lächelt. "Immer musst du übertreiben, Zoe!"
"Dakota!" verbessere ich.
Ich denke, wir sind alle ein bisschen Indianer. Mein Vater ist ein bisschen Indianer, weil er Laura leben lässt.
Und Mutter ist ein bisschen Indianerin, weil sie mit ihren Pflanzen im Garten spricht.
Alle, die die Natur lieben und nicht alles zertreten und ausreißen und vernichten, sind ein bisschen Indianer.
Das habe ich schon ein paar Mal gesagt.
Patrick meinte: "Du bist doch total über- geschnappt! Indianer haben lange schwarze Haare, rotbraune Haut und leben in Amerika. Und du? Hast blonde Haare, vielleicht einmal im Jahr einen Sonnenbrand und wohnst in Moosberg…!"
Er hat natürlich nicht geschnallt, was ich meinte.
Ich denke eben, Indianer sein hat nicht nur was mit der Hautfarbe oder dem Wohnort zu tun. Sondern auch damit, wie man lebt.
Ich weiß nicht. Vielleicht spinne ich wirklich.
Eins lasse ich mir jedenfalls nicht ausreden. Alle Leute schwafeln vom Umweltschutz. Wenn wir nur ein klein wenig von den Indianern lernen würden, ginge es Pflanzen, Tieren, Menschen und der ganzen Erde viel besser.
Gestern kam wieder so ein blöder Western im Fernsehen. Indianer kamen auch drin vor. Richtige Sätze konnten sie nicht sprechen. Sie grunzten etwas herum und benahmen sich, als wenn sie nicht bis drei zählen könnten. Ich habe in einem Buch gelesen, dass die indianischen Sprachen ganz anders sind als unsere. Viel genauer, mit viel mehr Wörtern.
Meist werden die Indianer als die letzten Idioten hingestellt.
Auf so einem hohen Ross dürften wir eigentlich gar nicht sitzen.
Viele Lebensmittel und Dinge des täglichen Gebrauchs kommen von den Indianern aus Nord- und Südamerika. Zum Beispiel Gemüsesorten wie Tomaten, Kartoffeln, Mais, Bohnen oder Kürbis. So blöd waren die Indianer also bestimmt nicht.
Das habe ich im Unterricht auch dem Neumann gesagt. Und das sie prima ohne die Weißen klargekommen wären. Sie haben zufrieden gelebt. Ohne Bücher, Fernsehen, Handys, Motorsägen, Autos oder Flugzeuge. Kaum zu glauben, was?
Am Anfang fanden ja die meisten aus meiner Klasse meinen Indianertick eher doof. Aber wenn man bei der Stange bleibt, macht das doch ganz schön Eindruck.
In einer der nächsten Stunden fragte Nicole den Neumann, ob das mit den Tomaten und Kartoffeln stimme. Das hatte ich ihr nämlich auch erzählt.
Der Neumann hat natürlich drumrum geredet. Es ist richtig, hat er gesagt, aber es hätten eben alle Völker voneinander gelernt und profitiert. Das war der absolute Schwachsinn. Er guckte kurz zu mir herüber, ob ich aus der Haut fahre. Ich war nahe dran, habe mich aber entschieden, ganz cool zu bleiben und keine Miene zu verziehen. Ich hab ihn ablaufen lassen.
Das hat gut gewirkt. Die anderen haben gemerkt, dass der Neumann über Indianer nichts drauf hat.
Mit Geschwafel kommt man da nicht weit. Bei ganz vielen Sachen muss man Partei ergreifen.
Mein Vater schimpft deshalb immer mit mir. "Fall doch nicht mit der Tür ins Haus!", sagt er. "Du haust die Leute immer direkt vor den Kopf! Das ist ungeschickt!"
So was regt mich auf.
Irgendwas sagen und gleich die Hälfte davon zurücknehmen. Darin ist mein Vater auch Meister. Das ist wahrscheinlich geschickt. Ich mag das nicht.
Außerdem stimmt es nicht. Manchmal musst du ein bisschen auf die Pauke hauen, sonst hört doch kein Mensch zu.
Nadine, Anna und Karla tragen jetzt auch bunte Stirnbänder. Nicole hat sich zwei Bücher über Indianer von mir ausgeliehen. Und dann ging es eigentlich blitzschnell.
Keiner weiß, wer den Vorschlag machte. Plötzlich war er da.
Wir stehen mit fünf, sechs Mädchen auf dem Schulhof und albern herum. Die gute Laune steigt mit jeder Minute, denn in zwei Tagen beginnen die Sommerferien.
"Warum machen wir nicht eine Woche Indianerferien?" sagt irgendwer irgendwann in das Durcheinander hinein.
Es war, als hätten wir nur auf diese Idee gewartet.
"Das müssen wir gleich nächste Woche machen, ehe die Werksferien beginnen. Da fahre ich mit meinen Eltern weg!" Andreas Vater arbeitet wie die meisten Männer aus Moosberg in der Autofabrik bei Biberg.
"Naja", lacht Nadine, "wo ist das Problem? Halten wir nächste Woche fest!"
Alle nicken. Ich kratze mich am Kopf. "Wir müssen das aber richtig vorbereiten, sonst können wir gleich auf den Campingplatz gehen!"
"Natürlich!" Nicole schaut mich erstaunt an. "Wir machen einen richtigen Plan. Ich bin dabei!"
Nach einigem Hin und Her übernehmen Anna, Nicole und ich die Vorbereitung. Wir beschließen: Am Sonntag treffen wir uns am Bushäuschen .
Die Jungen hatten auch etwas von unserem Vorhaben mitgekriegt.
"Was wollt ihr machen?", fragt Patrick. "Ein Zeltlager?"
"Wir können euch aufspüren und überfallen!" , freut sich Markus.
"Wie originell!" Nadine schaut ihn mitleidig an.
"Schon gut!" Markus dreht ab und verschwindet mit Patrick.
Auf dem Weg in die Klasse meint Anna: "Habt ihr schon eine Idee, wo wir die Zelte aufschlagen können?"
Andrea überlegt. "Bei uns im Obstgarten zum Beispiel! Der liegt schön versteckt und nicht so auf dem Präsentierteller!"
"Kannst ja mal fragen!" , sage ich.
"Wer soll was dagegen haben?" Andrea ist sich ziemlich sicher.
Nach der Schule verabrede ich mich mit Anna und Nicole.
"Um drei Uhr bei mir?", frage ich und sie sind einverstanden.
Nachmittags liegen wir in meinem Zimmer auf dem Teppich und wälzen Indianerbücher.
"Guck mal hier", ruft Anna. "Hier ist beschrieben, wie ein Tipi aufgebaut wird!"
"Tipi…", Nicole runzelt die Stirn, "was is´n das?"
"So nennen die Prärieindianer ihre Zelte!", erkläre ich.
Wir gucken gemeinsam auf die Zeichnung. "Sieht gut aus!", meint Nicole. "Das sollten wir machen!"
"Und das Material?", fragt Anna.
"Zeig mal!" Ich nehme das Buch. "Als Zeltstangen könnten wir Bohnenstangen besorgen. Vielleicht hat meine Mutter noch ein paar in Reserve…Aber eine Plane. Da muss ich meinen Vater fragen. Der hatte mal so was zum Abdecken für den Anhänger."
Anna denkt praktisch. "Lasst uns doch mal alles, was wir brauchen auf einen großen Zettel schreiben. Sonst vergessen wir garantiert die Hälfte!"
Da hat sie Recht. Ich hole ein Blatt Papier und einen Kugelschreiber. "Reicht denn so ein Tipi für alle zum Schlafen?" Anna hat da Zweifel.
"Kommt darauf an, wie viele mitmachen", sagt Nicole. "Der Rest muss eben in normalen Zelten pennen!"
Anna schaut uns an. "Mal was anderes. Dürfen auch Jungen mitkommen? Mein Bruder fände das ganz toll!"
Daran hatten wir noch gar nicht gedacht.
"Der bringt doch bestimmt noch Freunde mit. Ob das gut geht? Nachher gibt es Zoff und wir ärgern uns nur!" Nicole verzieht das Gesicht.
"Quatsch!" Anna schüttelt den Kopf. "Lass doch am Sonntag erst mal alle zum Bushäuschen kommen. Da reden wir dann Klartext!"
Der Vorschlag ist gut.
Wir kritzeln weiter unsere Liste zusammen. "Essen!" , ruft Anna plötzlich. "Wir brauchen Rezepte, Geschirr und Vorräte!"
"Sieh mal in das untere Buch!" Ich zeige auf den Stapel. "Da stehen jede Menge indianischer Gerichte drin!"
Nach und nach fällt uns noch dies und jenes ein. Schließlich ist der Zettel voll geschrieben.
Anna sieht schon ein neues Problem: "Und wie transportieren wir das ganze Zeug?"
"Das übernehme ich!"
Die beiden gucken mich groß an.
"Mit meinen Helfern Pünktchen, Anton und Mathilda!"
Anna und Nicole fragen nicht weiter, es ist spät geworden und sie müssen schnell nach Hause.
Als ich am Sonntag zum Bushäuschen komme, ist dort schon Betrieb. Andrea, Karla, Nadine, Nicole und Anna sind da. Und zwei Jungen: Björn und Roberto.
Die erste Freude war verfrüht. Karla und Nadine dürfen nicht zelten. Sie wollen aber tagsüber kommen. Paula, Martina und Sara möchten das auch. Sagt Nicole.
Bleiben vier Mädchen und zwei Jungen übrig. Wir bauen ein Tipi für uns und Björn bringt ein kleines Zelt mit. Soweit die Schlafplätze.
Nicole und Anna haben Rezepte rausgesucht und besorgen die Zutaten. Dann gehen wir noch einmal unseren Zettel durch und verteilen die restlichen Aufgaben.
Montag Mittag ist Treffen bei mir vorm Haus. Da wird alles verpackt und es geht los in Richtung Obstgarten von Andreas Eltern.