Читать книгу Das Jahr 2000 - Edward Bellamy - Страница 10
Siebentes Kapitel
Оглавление»Nachdem Sie Ihre industrielle Armee ausgehoben haben«, sagte ich, »beginnt, nach meiner Meinung, die Hauptschwierigkeit, denn hier hört die Analogie mit der militärischen Armee auf. Die Soldaten haben alle dasselbe, und zwar etwas sehr Einfaches zu tun, nämlich die Handgriffe mit ihrer Waffe zu üben, zu marschieren, Wache zu stehen. Aber Ihre Armee muss ein paar hundert verschiedene Handwerke und Berufe lernen und ausüben. Welches Verwaltungs-Talent ist der Aufgabe gewachsen, für jedes einzelne Individuum in einer großen Nation das passende Handwerk und Geschäft auszuwählen?«
»Die Verwaltung hat hiermit nichts zu tun.«
»Wer sonst trifft aber die Wahl?« fragte ich.
»Jedermann für sich selbst je nach seiner natürlichen Anlage, und man gibt sich die größte Mühe, diese Anlage zu entdecken. Das Prinzip für unsere industrielle Armee ist, dass die geistigen und körperlichen Anlagen eines Menschen darüber entscheiden, was er mit größtem Vorteil für die Nation und mit der meisten Befriedigung seiner selbst arbeiten kann. Da die Verpflichtung zum Dienst in irgend einer Form nicht zu umgehen ist, so verlässt man sich wegen der Entscheidung über die besondere Art des Dienstes für jeden einzelnen Mann auf dessen freiwillige Wahl, welche allerdings einer notwendigen Regulierung unterworfen ist. Die Befriedigung des Arbeiters während seiner Dienstzeit hängt davon ab, dass seine Beschäftigung nach seinem Geschmack ist; deshalb beobachten Eltern und Lehrer von früher Kindheit an die Anzeigen besonderer Fähigkeiten ihrer Kinder. Anleitung zu industriellen Handgriffen findet keinen Raum in unserem Erziehungssystem, dieses ist auf allgemeine und humanistische Bildung gerichtet, aber ein theoretischer Unterricht über die verschiedenen Industrien wird erteilt und unsere Jugend wird beständig angehalten, die Werkstätten zu besuchen, und wird oft auf lange Ausflüge mitgenommen, um mit besonderen Industrien vertraut zu werden. Gewöhnlich hat ein junger Mann lange ehe er eingezogen wird, und wenn er Geschmack an einem besonderen Berufe gefunden hat, sehr viel Information über denselben sich angeeignet. Hat er dagegen keine besondere Vorliebe und trifft, bei sich bietender Gelegenheit, keine Wahl, so wird er einem Beruf zugewiesen, der keine besondere Geschicklichkeit erfordert und vielleicht Mangel an Arbeitskraft hat.«
»Es ist doch aber gewiss nicht möglich«, sagte ich, »dass die Zahl derer, die sich freiwillig für ein Gewerbe melden, sich grade mit der Zahl von Arbeitern deckt, die man bedarf. Sie wird gewöhnlich über oder unter dem Bedürfnis sein.«
»Die Zahl der Freiwilligen muss stets dem Bedürfnis entsprechen«, erwiderte Dr. Leete. »Hierfür hat die Verwaltung zu sorgen. Das Verhältnis derer, die sich zu einem Gewerbe melden, wird genau überwacht. Wenn ein auffallender Überschuss von Anmeldungen für ein gewisses Geschäft wahrzunehmen ist, so beweist dies, dass dasselbe besonders beliebt ist. Das Gegenteil ist Beweis für die Beschwerlichkeit desselben. Die Aufgabe der Verwaltung ist es nun, die Vorzüge des einen Gewerbes, was die Arbeit betrifft, mit denen eines anderen auszugleichen, damit alle Gewerbe für die betreffenden Personen gleiche Anziehung haben. Dies geschieht dadurch, dass die Arbeitszeit je nach der Beschwerlichkeit der Arbeit abgekürzt wird. So haben die leichteren Gewerbe die längste, die schwierigeren, wie z.B. die Bergwerkarbeiten, die kürzeste Arbeitszeit. Es gibt keine Theorie, keine Regel a priori, nach welcher die Anziehungskraft der einzelnen Geschäfte bemessen wird. Indem die Verwaltung eine Klasse von Arbeitern von Lasten befreit und sie anderen Klassen auferlegt, folgt sie lediglich der Ansicht der Arbeiter selbst, welche sich in der Anmeldung ausspricht. Als Grundsatz gilt, dass die Arbeit des einen nicht schwerer sein soll, als die des anderen und dass die Arbeiter selbst darüber entscheiden sollen. Für Anwendung dieser Regel gibt es keine Grenze. Wenn eine Beschäftigung so beschwerlich und anstrengend sein sollte, dass, um Freiwillige zu bekommen, die Tagesarbeit auf zehn Minuten herabgesetzt werden müsste, so würde es geschehen. Wenn selbst dann niemand die Arbeit tun wollte, so bliebe sie eben ungetan. Aber in Wirklichkeit natürlich reicht eine mäßige Herabsetzung der Arbeitszeit oder Gewährung anderer Vorteile hin, für jede notwendige Arbeit die nötigen Kräfte zu sichern. Wenn aber die unvermeidlichen Schwierigkeiten einer notwendigen Arbeit so groß wären, dass keine dafür gebotene Vorteile die Arbeiter zur Übernahme bewegen könnten, so brauchte die Verwaltung sie nur als »Extra« auszuschreiben und denjenigen, welche sie ausführen würden, den besonderen Dank der Nation in Aussicht zu stellen, um einen Zulauf von Freiwilligen zu erzielen. Unsere jungen Leute sind sehr ehrgeizig und lassen eine solche Gelegenheit nicht ungenutzt vorübergehen. Es versteht sich natürlich von selbst, dass die freiwillige Wahl eines Berufes von dessen Gesundheit für Leib und Leben abhängig ist. Gesundheit und Sicherheit sind allgemeine Bedingungen für alle Gewerbe. Die Nation verstümmelt und schlachtet ihre Arbeiter nicht zu Tausenden hin, wie die Privatkorporationen und Kapitalisten es zu Ihrer Zeit getan haben.«
»Wenn nun mehr sich zu einem Gewerbe melden, als gebraucht werden, wie wird dann die Entscheidung unter den Applikanten getroffen?« fragte ich.
»Diejenigen, welche sich schon als noch ungeschulte Arbeiter und in ihrer Lehrzeit das beste Lob erworben haben, erhalten den Vorzug. Niemand jedoch, der jahrelang in seinem Wunsch beharrt, zu zeigen, was er in einem Berufe leisten kann, wird zurückgewiesen. In Betreff der Möglichkeit eines plötzlich eintretenden Mangels an Arbeitern in einem Gewerbe, oder der Notwendigkeit, die Arbeitskraft zu vermehren, muss ich beifügen, dass die Verwaltung sich zwar auf das System, die Gewerbe durch Freiwillige zu versehen, verlässt, aber immer sich das Recht vorbehält, besondere Freiwillige auszusuchen, oder aus irgendeinem Berufe die erforderliche Zahl auszuheben. Gewöhnlich aber können alle diese Bedürfnisse aus der Klasse der noch unausgebildeten, gewöhnlichen Arbeiter befriedigt werden.«
»Wie wird diese Klasse der gewöhnlichen Arbeiter rekrutiert?« fragte ich. »Gewiss tritt hier niemand freiwillig ein.«
»Zu dieser Klasse gehören alle neuen Rekruten während der ersten drei Jahre ihrer Dienstzeit. Erst nach dieser Periode, während welcher ein junger Mann von seinen Vorgesetzten zu jeder Arbeit bestellt werden kann, darf er einen speziellen Beruf wählen. Von diesen drei Jahren strenger Disziplin kann niemand befreit werden.«
»Für ein industrielles System scheint mir dies eine vortreffliche Einrichtung«, sagte ich, »aber wie steht es mit den Männern, die der Nation mit dem Kopfe, nicht mit der Hand dienen? Sie können doch natürlich nicht ohne Kopfarbeiter sein. Wie werden sie aus denen ausgesucht, die als Feldarbeiter und Handwerker dienen? Das verlangt eine sehr vorsichtige Wahl.«
»Allerdings«, entgegnete Dr. Leete, »hierbei ist die größte Vorsicht geboten; deshalb überlassen wir auch jedem Manne selbst, sich darüber zu entscheiden, ob er ein Kopf- oder ein Handarbeiter werden will. Am Ende der dreijährigen Periode, die jeder als gewöhnlicher Arbeiter dienen muss, kann er nach seinem Belieben sich entscheiden, ob er sich der Kunst oder einem sonstigen geistigen Beruf widmen, ob er Feldarbeiter oder Handwerker werden will. Fühlt er, dass er bessere Arbeit mit seinen geistigen als mit seinen körperlichen Kräften tun kann, so findet er hinreichend Gelegenheit, die Echtheit seines vermuteten Talents zu prüfen, es auszubilden und dann seinen Beruf auszuüben. Die Schulen für Technologie, Medizin, Malerei, Musik, für Schauspielkunst und jede höhere Bildung stehen bedingungslos jedem Bewerber offen.«
»Sind dann nicht die Schulen gedrängt voll von jungen Leuten, deren einziger Beweggrund ist, sich von Arbeit zu befreien?«
Dr. Leete lächelte mit leiser Ironie und sagte: »Ich versichere Sie, kein Mensch tritt leicht in eine solche Schule mit der Absicht, der Arbeit zu entgehen. Die sind für diejenigen bestimmt, welche eine gewisse Fähigkeit für die betreffenden Lehrgegenstände haben, und wer diese nicht besitzt, würde lieber die doppelte Arbeitszeit in seinem Handwerk aushalten, als sich bemühen, mit den Schulklassen gleichen Schritt zu halten. Viele verkennen auch ihren Beruf, und wenn sie finden, dass sie den Ansprüchen nicht gewachsen sind, treten sie aus und kehren in den industriellen Dienst zurück. Das wirft keinen Makel auf diese Leute, denn es ist die Absicht, alle zu ermutigen, ihre etwaigen Talente, deren Vorhandensein erst durch einen Versuch festgestellt werden kann, auszubilden. Die wissenschaftlichen Schulen Ihrer Zeit konnten sich nur durch die Anzahl ihrer Schüler halten, und es scheint üblich gewesen zu sein, an Leute, welche später in den Beruf getreten sind, Zeugnisse der Reifheit zu geben, die sie nicht verdient haben. Unsere Schulen sind nationale Institute, und ihre Prüfungen bestanden zu haben, ist ein unzweifelhafter Beweis für besondere Fähigkeiten.«
»Diese Gelegenheit für berufliche Bildung«, fuhr Dr. Leete fort, »steht jedem Manne bis zu seinem fünfunddreißigsten Jahre offen, später werden keine Studenten mehr aufgenommen, weil nur noch zu kurze Zeit bis zu ihrer Entlassung aus dem Dienste der Nation übrig bleiben würde. In Ihren Tagen mussten die jungen Leute sich sehr jung für ihren Beruf entscheiden und trafen infolgedessen oft eine unglückliche Wahl. Heutzutage erkennen wir an, dass sich die natürlichen Fähigkeiten bei den einen später entwickeln als bei anderen, und deshalb bleibt die Wahl, die schon mit vierundzwanzig Jahren getroffen werden kann, noch elf Jahre länger offen. Ich muss noch bemerken, dass, unter gewissen Beschränkungen, das Recht, den Beruf zu wechseln, auch bis zum fünfunddreißigsten Jahre offen bleibt.«
Jetzt äußerte ich eine Frage, die mir schon ein Dutzend Mal auf den Lippen geschwebt hatte, eine Frage, die zu meiner Zeit als größte Schwierigkeit für Lösung des industriellen Problems angesehen worden war. »Es ist wunderbar«, sagte ich, »dass Sie noch mit keinem Worte erwähnt haben, wie die Lohnfrage behandelt wird. Da die Nation der alleinige Arbeitgeber ist, so muss die Regierung die Höhe der Löhne festsetzen und bestimmen, wie viel jeder einnehmen soll, von den Ärzten bis zu den Tagelöhnern. Soviel ich sagen kann, würde dieser Plan bei uns niemals haben durchgeführt werden können, und ich kann nicht einsehen, wie es jetzt möglich ist, es sei denn, dass sich die menschliche Natur geändert hat. Zu meiner Zeit war niemand mit seinem Lohn oder Gehalt zufrieden. Selbst wenn er wusste, dass er genug erhielt, war er doch überzeugt, dass sein Nachbar zuviel habe, was geradeso schlimm war. Wenn die allgemeine Unzufriedenheit in diesem Punkte, anstatt sich in Verwünschungen und Streiks gegen unzählige Arbeitgeber zu zersplittern, sich gegen einen einzigen konzentrierte, nämlich die Regierung, so würde diese wohl, und wenn sie noch so stark wäre, keine zwei Zahltage erlebt haben.«
Dr. Leete brach in ein herzliches Lachen aus.
»Sehr wahr, sehr wahr«, sagte er, »ein allgemeiner Ausstand würde dem ersten Zahltage gefolgt sein, und ein Streik gegen die Regierung ist eine Revolution.«
»Wie vermeiden Sie also«, fragte ich, »eine Revolution an jedem Zahltage? Hat ein wunderbarer Rechenmeister ein neues System des Kalküls erfunden, welches alle bei Auswerfung des genauen und verhältnismäßigen Wertes aller Arten von Dienstleistungen, mit dem Kopfe oder den Muskeln, mit der Hand oder der Stimme, mit dem Ohr oder dem Auge, befriedigt? Oder hat sich die menschliche Natur verändert, so dass niemand sich um seine eigenen Angelegenheiten, sondern jeder um die seines Nachbarn kümmert? Eines oder das andere hiervon muss die Sache erklären.«
»Weder das eine noch das andere«, war die lachende Antwort meines Wirtes. »Aber nun, Herr West«, fuhr er fort, müssen Sie daran denken, dass Sie nicht nur mein Gast, sondern auch mein Patient sind, und mir gestatten, Ihnen Schlaf zu verordnen, ehe wir weiter hierüber sprechen. Es ist nach drei Uhr.«
»Diese Verordnung ist gewiss sehr weise«, sagte ich, »ich will nur hoffen, dass sie ausgeführt werden kann.«
»Dafür will ich sorgen«, erwiderte der Doktor. Und er tat es denn auch, denn er gab mir ein Weinglas voll irgend etwas, was mich, sobald mein Kopf die Kissen berührte, in tiefen Schlaf fallen machte.