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Ritt durch die Wüste und über den Schott

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Stun­den­lang be­geg­net man kei­nem Le­be­we­sen, au­ßer ei­nem sand­far­be­nen, stel­zen­den Vo­gel, der, vor Mensch und Pferd nicht er­schre­ckend, sei­nen Mo­no­log fort­setzt.

Fel­si­ger Bo­den wech­selt mit san­di­gem, man schlägt die Steig­bü­gel nach ara­bi­scher Ma­nier dem Gaul in die Flan­ken, auf dass er ga­lop­pie­re; zwar hat man nichts we­ni­ger als Eile, aber die Luft wird küh­ler, wenn sich das Tem­po er­höht.

Ein Weg ist da, ein deut­li­cher Weg, doch schwer zu sa­gen, wo­durch er sich vom üb­ri­gen Ter­rain un­ter­schei­det. Ist er an­ders als grau­braun, ist er nicht stei­nig, ist er nicht san­dig wie al­les rings­um­her, was man seit Son­nen­auf­gang durch­rit­ten hat und was man durch­rei­ten wird bis zum Son­nen­un­ter­gang? Nein, er ist durch­aus nicht an­ders, es sei denn, dass er im Sand­ge­biet et­was här­ter er­scheint als sei­ne Um­ge­bungs­flä­chen, dass im Fel­sen­ge­biet we­ni­ger Blö­cke auf ihm als ne­ben ihm lie­gen; wo er eine Fur­che über­quert (ein Rinn­sal viel­leicht in der Re­gen­zeit), stützt ein Pal­men­stamm sei­nen Rand, ein ver­san­de­ter, ver­staub­ter, halb ver­stein­ter Pal­men­stamm, wer weiß, wer ihn hier­her­brach­te.

Ge­gen Mit­tag sprengt man eine Sand­dü­ne hin­auf und sieht in der Fer­ne einen klei­nen See. Die Stra­ße durch­schnei­det ihn als Damm, Pal­men ste­hen an sei­nem Ufer und nicht weit von ih­nen das qua­dra­tisch ge­mau­er­te Grab­mal ei­nes Ma­ra­but,1 ei­nes Hei­li­gen aus Mo­ham­meds Nach­kom­men­schaft. Men­schen sin­gen, ist’s auch nur eine gut­tu­ra­le Ele­gie, sie er­frischt, so wie der An­blick des sal­zi­gen Was­sers er­frischt, ob­wohl sich kei­ne noch so klei­ne Bri­se er­hebt, von sei­ner Küh­le et­was ins Ge­sicht zu fä­cheln. Die Sän­ger sit­zen in der Pal­me­rei und ach­ten dar­auf, dass die Bäu­me ihr Was­ser­quan­tum be­kom­men, der Esel trabt im Krei­se, um es aus dem Brun­nen zu pum­pen.

Am Saum der Oase fünf­zehn Häu­ser, der Hain zählt etwa drei­hun­dert Bäu­me. Den güns­tigs­ten Fall vor­aus­ge­setzt, dass je­des Fa­mi­li­enober­haupt Be­sit­zer von Pal­men ist und je­der Baum acht­zig Kilo Dat­teln trägt von je fünf Fran­ken Kauf­wert, so er­gibt das im Durch­schnitt einen Jah­res­ver­dienst von acht­tau­send Fran­ken (etwa tau­send Reichs­mark) pro Fa­mi­lie, wo­von die Steu­er ab­ge­ht, ein Fran­ken fünf­zig pro Baum. Ziem­lich leicht ist die Ar­beit, im­mer­hin muss sie in flam­men­der Glut ge­leis­tet wer­den und ohne Un­ter­bre­chung, die Pal­me bringt (wie das afri­ka­ni­sche Mäd­chen) in ih­ren ers­ten neun Le­bens­jah­ren über­haupt kei­ne Frucht, und der ar­te­si­sche Brun­nen, vom Tug­gur­ter Schlos­ser­meis­ter Obach (aus Straß­burg) her­ge­stellt, kos­tet drei­tau­send Fran­ken.

Ver­zei­hung – aber zu sol­chen Be­rech­nun­gen ver­führt die Oase; lang rei­tet man über Sand und Stein, der kei­nen Ge­dan­ken ein­gibt, und plötz­lich sieht man sich ei­ner deut­li­chen Ver­mö­gensauf­stel­lung ge­gen­über.

Die üb­ri­gens nicht voll­stän­dig ist. Mit Dat­telnüs­sen er­nährt man das Ka­mel, aus Palm­zwei­gen wer­den Kör­be und Mat­ten ge­floch­ten, mit den dür­ren Blät­tern der Kü­chen­herd ge­heizt.

Am Rand des Seeu­fers ras­ten No­ma­den. Über­all, wo Was­ser ist oder eine Sied­lung, schla­gen Bo­he­miens der Wüs­te ihre Wan­der­stä­be in die Erde, einen grö­ße­ren in die Mit­te und zwei klei­ne­re rechts und links da­von, eine zer­fetz­te dunkle De­cke dar­über – fer­tig ist die Lau­be; nicht an­ge­bun­den wird das Maul­tier, es fühlt sich ras­sen­zu­ge­hö­rig, stam­mes­be­wusst, fällt ihm gar nicht ein, in das Dé­sert zu flie­hen, zu de­ser­tie­ren. Das Zelt ist of­fen, drei Frau­en glot­zen, alle mit Tand be­hängt und schmut­zig und in Lum­pen. Mehr als ein Dut­zend Kin­der und ein Mann. Nie­mand bet­telt – das ist das ein­zi­ge, was die Arbi Sa­ha­ra von den eu­ro­päi­schen Zi­geu­nern un­ter­schei­det, äu­ßer­lich wür­de kei­ner auf­fal­len un­ter den wan­dern­den Kes­sel­fli­ckern, Wahr­sa­ge­rin­nen, Pfer­de­händ­lern und Jahr­mark­t­akro­ba­ten in Braun. Auf der einen Sei­te der Wüs­ten­dör­fer woh­nen stän­dig und ab­ge­son­dert die Aus­sät­zi­gen, auf der an­de­ren: un­be­stän­dig und ab­ge­son­dert die mit der Le­pra der Frei­zü­gig­keit Be­haf­te­ten.

Hin­ter dem See: der Schott, eine sil­ber­glän­zend-trü­ge­ri­sche Flä­che. Der Weg, bei­der­sei­tig durch brei­te Grä­ben von ihr ge­schie­den, führt fest­ge­stampft ent­lang, doch ist die auf­re­gen­de Ju­gend­lek­tü­re von Ver­fol­gun­gen da­von­ja­gen­der Wüs­ten­räu­ber über Salz- und Sand­ge­län­de nicht ohne nach­hal­ti­gen Ein­druck ge­blie­ben, und man muss die Ge­fahr ver­kos­ten. Der Hengst scheint gleich­falls sei­nen Karl May ge­le­sen zu ha­ben, er will nicht über den Gra­ben, er bockt, ihm das Zau­ber­wort »Rih« ins Ohr zu flüs­tern oder die Sure des To­des auf­zu­sa­gen wür­de kaum et­was fruch­ten, selbst die wü­tends­ten Fer­sen­hie­be fruch­ten ja nichts, er bockt nur.

Erst die nie­der­klat­schen­de Nil­pferd­peit­sche zwingt ihn zum Sprung. Jetzt saust er mit damp­fen­den Nüs­tern, als be­fürch­te er, die Geis­ter, die da un­ten woh­nen und ihre sil­ber­grau­en Köp­fe em­por­stre­cken, könn­ten ihn an den Fes­seln pa­cken und hin­ab­zie­hen in den schlam­mi­gen Sand, den san­di­gen Schlamm. Oh­ne­hin sin­ken trotz des tol­len Ga­lopps die Pfer­de­hu­fe tief, tief in den Bo­den.

Den zwei­ten Satz über den Stra­ßen­gra­ben, den auf den si­che­ren Weg zu­rück, tut der Gaul wil­lig, es be­darf kei­nes Fer­sen­hiebs und nicht der Nil­pferd­peit­sche, noch wei­ter­hin bebt Un­ru­he un­ter dem Sat­tel, sie legt sich erst, bis das Reich der Flit­ter­ge­spens­ter auch rechts und links ver­schwun­den ist und die ver­trau­te Wüs­te­ne­be­ne wie­der be­ginnt.

Nach ei­ner Stun­de spren­gen von der Wel­le am Ho­ri­zont zwei Rei­ter her­an. Das Pferd des einen ist ein Schim­mel, pracht­voll auf­ge­zäumt, die Steig­bü­gel sind Häu­schen aus ge­trie­be­nem Sil­ber, Tur­ban und Haïk des Rei­ters aus Sei­de und der Bur­nus aus gold­be­stick­tem blau­em Stoff.

Er grüßt und fragt, wo­hin man rei­te. Denn er ist der Kaid der nächs­ten Stadt und be­sorgt, man könn­te ein In­spek­tor der Ver­wal­tung oder ein Steu­er­kon­trol­leur sein. Man ist we­der ein In­spek­tor der Ver­wal­tung noch ein Steu­er­kon­trol­leur, was der Kaid er­leich­tert hört. Er hat beim Mi­li­tär­kom­man­dan­ten zu tun, des­halb der ras­sigs­te Schim­mel­hengst und das fest­lichs­te Zaum­zeug, die Of­fi­zie­re wer­den al­les nei­disch mus­tern, die­weil sein Dai­ra das Ross vor dem Tor am Zü­gel hält. Im Üb­ri­gen wünscht er gute Rei­se, wor­auf man er­wi­dert, ihn (der sich so­wie­so be­rei­chert) möge Gott be­rei­chern, Al­lah jer­ze­kek.

Rast im Ne­ger­dorf. Die Kin­der ha­ben kaum je­mals einen Wei­ßen ge­se­hen, wie es scheint, nur sel­ten ein Pferd. Sie schrei­en ein­an­der ihre Be­mer­kun­gen über den Fremd­ling zu, un­be­küm­mert dar­um, dass man sie ver­ste­hen kön­ne – ver­steht doch nicht ein­mal ein Ara­ber die Spra­che der Ruar­ha, der schwar­zen Mu­sel­ma­nen.

Drei­jäh­ri­ge, vier­jäh­ri­ge Mäd­chen, alle an der Schlä­fe tä­to­wiert, kni­en auf der Stra­ße, die Ärm­chen in den Staub stüt­zend, denn auf ih­rem Rücken ist eine Last fest­ge­bun­den: ein Säug­ling. Der schläft. Flie­gen krie­chen ihm in die Na­sen­lö­cher, in die Au­gen und in den Mund, ohne ihn zu we­cken. Auch die, die wach sind, Er­wach­se­ne und Kin­der, stört es nicht, wenn auf ih­rem Ge­sicht dich­te Flie­gen­schwär­me schmau­sen, kei­ne Hand­be­we­gung ver­scheucht sie.

Wie elend ist die­ses Dorf. Die en­gen Gas­sen sind manch­mal über­wölbt, manch­mal auch un­ten zu­sam­men­ge­scho­ben, wo sich die Lehm­hüt­ten zu ei­ner Art Bank aus­buch­ten. Da­rauf hocken, da­mit die Flie­gen et­was zu fres­sen ha­ben, die Män­ner des Dor­fes und dö­sen, ne­ben sich einen Kes­sel, in dem Boh­nen in Was­ser ko­chen. Nur vor ei­ner Tür ar­bei­ten zwei Män­ner; sie flech­ten Pal­men­zwei­ge, nach­dem sie sie durch einen Biss längs­seits ge­spal­ten ha­ben, zu Mat­ten.

In man­chen Gäss­chen, hei­ßen Röh­ren, kön­nen die auf Eseln rei­ten­den Kna­ben ihre Bei­ne nicht sprei­zen, der­art nah ste­hen die Hüt­ten ein­an­der ge­gen­über. Die Ka­me­le muss man aus ei­ni­ger Ent­fer­nung für Strau­ße hal­ten, so klein sind sie, so ma­ger ihr Hals, ihre Bei­ne. Als Haus­tür dient ein Ge­flecht aus Pal­men­blät­tern, bes­ten­falls ei­ni­ge Kis­ten­bret­ter. Selbst das Mau­er­werk der Pries­ter­grä­ber ist nicht in­takt – wie fern liegt Nor­dal­ge­ri­en, wo man die Grüf­te der Ma­ra­buts mit Op­fer­ga­ben schmückt, mit bun­ten Sei­den­tü­chern, mit be­stick­ten Fah­nen, mit blau­en Ka­cheln, mit gol­de­nen Halb­mon­den, mit kost­ba­ren Tep­pi­chen, mit rie­si­gen Strau­ßen­fe­dern, und wo fast nir­gends, als ein­zi­ges von den Ara­bern an­er­kann­tes Wun­der­werk des Wes­tens, eine große Em­pi­re-Stand­uhr fehlt, die man auf den er­beu­te­ten Schif­fen der Gi­aurs fand!

Zwei, drei Kauf­manns­lä­den, je eine Dat­tel­waa­ge hängt dar­in, ein Kar­ton mit win­zi­gen Fläsch­chen bil­ligs­ten Par­füms, ka­na­ri­en­gel­be Tü­cher, Le­der­täsch­chen für Amu­let­te, ei­ni­ge Streich­höl­zer­päck­chen, Spie­gel und Glas­per­len.

Nicht ein­mal ein Kaf­fee­haus gibt es, der kleins­te Duar der brau­nen Ara­ber hat ih­rer zehn. Nur sü­ßen Pfef­fer­minz­tee kann man be­kom­men, der Kauf­mann be­rei­tet ihn, und da er fünf­zig Fran­ken nicht zu wech­seln ver­mag, macht er eine gleich­mü­ti­ge Hand­be­we­gung, schenkt dem Gast die Ze­che.

Der schwingt sich wie­der aufs Pferd, das die Ju­gend stau­nend um­steht, ein Kna­be hält den Half­ter, er­hält eine Zi­ga­ret­te, o Sen­sa­ti­on: eine fer­ti­ge Zi­ga­ret­te!, man rei­tet wei­ter, um den Bordj, der zum Nacht­quar­tier aus­er­se­hen ist, noch vor Son­nen­auf­gang zu er­rei­chen, in­sch’ Al­lah, wenn Gott will.

1 is­la­mi­scher Hei­li­ger <<<

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