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Uluburun: Wie eine Maus den Archäologen half

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1982: Wie schon so oft glitt der Schwammtaucher Mehmet Cakir ins Wasser des Mittelmeeres vor der türkischen Küste, unweit des Badeortes Antalya. Er war wieder einmal auf der Suche nach Schwämmen – Meerestieren, deren weiches Skelett sich gut als Badeschwamm verkaufen ließ, wenn das Zellmaterial erst einmal aufgelöst und ausgespült war. In kleinen Geschäften an der Küste hängen solche Schwämme auch heute noch in ganzen Ballen zum Verkauf aus. Was er dann 60 Meter vor der Küste entdeckte, war jedoch viel aufsehenerregender als die gelblichen Wassertiere. Als er wieder aufgetaucht war, berichtete Mehmet, dort am Grund würden viele „Behälter mit Ohren“ liegen. Davon erfuhr Dr. George Fletcher Bass, der in der Region für das Institute of Nautical Archaeology (INA) der Texas A&M University als Unterwasserarchäologe arbeitete. Er wurde sofort neugierig, denn nach der Beschreibung konnte es sich nur um Amphoren handeln, und wenn es viele waren, dann war dort vermutlich ein Schiff gesunken. Zusammen mit seinem türkischen Kollegen Cemal Pulak unternahm er erste Tauchgänge. Dabei entdeckten sie mehr als 150 erhaltene noch mit Harz gefüllte Amphoren, Barren aus Kupfer, Zinn sowie Nutzholz, Oliven und kobaltblaues Glas. Die Tonwaren deuteten auf das 14. Jahrhundert v. Chr. hin. Es waren so viele Funde, dass mehr als 22.000 Tauchgänge notwendig waren, um alles zu bergen.


Türkische und amerikanische Archäologen rekonstruierten gemeinsam das Wrack von Uluburun. Aufgrund der unter Wasser gemachten Funde konnten sie mit vielen Einzelheiten einen neuen Rumpf bauen.

Beteiligt waren amerikanische und türkische Forscher, die Leitung übernahm George Bass, der schon in den 1960er Jahren bewiesen hatte, dass man archäologische Untersuchungen auch in Taucheranzügen verrichten kann. Im Zuge dessen hatte er diverse Techniken für die Bergung von Unterwasserfunden entwickelt.

Dieses neu entdeckte Wrack lag an einem Steilhang zwischen 46 und 58 Meter Tiefe, damit war es das tiefstgelegene, das sein Team jemals erforscht hatte. Und das brachte ein Problem mit sich: Denn ab einer Tauchtiefe von 30 Metern kann ein Tiefenrausch auftreten, ausgelöst vom Stickstoff in der Atemluft. Dann sind Urteilsvermögen und logisches Denken eingeschränkt, es treten Euphorie oder Angst auf, es ändert sich das akustische Empfinden, man hat einen metallischen Geschmack im Mund und nach dem Tauchgang setzt eine anhaltende Müdigkeit ein. Um die Arbeitszeit unter Wasser zu verlängern, atmeten die Taucher des Projektes vor dem Auftauchen reinen Sauerstoff, um den überschüssigen Stickstoff aus den Lungen zu entfernen – eine Methode, die seither von vielen Wissenschafts- und Forschungstauchern angewendet wird. An dem Wrack von Uluburun leisteten die Taucher insgesamt 22.143 Tauchgänge, die einer Zeit von 6600 Arbeitsstunden unter Wasser entsprachen.


Anschließend unternahmen sie Fahrten, um die Segeleigenschaften von Schiffen der damaligen Zeit zu erforschen. Der Skelettfund einer Maus verhalf zu Erkenntnissen über die Fahrtrouten.

Das Schiff von Uluburun war offenbar ein Handelsschiff auf einer Rundroute im östlichen Mittelmeer gewesen. Es schien, als seien die meisten an Bord gefundenen Gegenstände für den Export bestimmt gewesen, andere gehörten offenbar zum persönlichen Eigentum der Besatzung oder zur Schiffsausrüstung. So fanden sich Keramik und Schmuck aus den kanaanitischen Stadtstaaten der Levante, Schmuck und Glas aus Ägypten, Kupfer von Zypern, Rollsiegel aus Assur, ein ägyptisches Siegel in Skarabäenform, Waffen und Keramik aus dem mykenischen Raum und sogar Bernstein von der Ostsee.

Die Waren waren größtenteils in Amphoren und Pithoi, bauchigen Vorratsgefäßen aus Ton mit flachem Boden, transportiert worden. Drei Pithoi waren mit Keramik aus Zypern gefüllt. Die Gefäße enthielten auch Oliven, Olivenöl, Granatäpfel und Pistazienharz, das vermutlich aus dem Gebiet um das Tote Meer stammte. Die 175 blauen und türkisgrünen Glaszylinderbarren kamen vermutlich aus dem syrisch-palästinensischen Raum.

Das Glas stimmte in seiner Zusammensetzung mit Funden aus Ägypten der 18. Dynastie und Perlenfunden aus Mykene überein und bewies, dass Glasbarren in dieser Zeit im gesamten Ost-Mittelmeer gehandelt wurden. Handwerker und Künstler nutzten solch farbiges Glas, um Edel- und Schmucksteine wie Lapislazuli, Türkis und Amethyst zu imitieren. Für Archäologen ist es schwierig festzustellen, welche Waren während der Fahrt getauscht wurden. Schon daher ist der Fund eines Schiffes mit einer so vollständigen Ladung wie im Falle von Uluburun für die Forschung von besonderem Wert. Denn es handelte sich offenbar ein Handelsschiff, und somit galt es als Nachweis einer regen Handelstätigkeit im Gebiet. Die Route selbst ist nicht geklärt, da das Schiff Waren aus vielen verschiedenen Gegenden enthielt.

Unbekannt sind auch die Umstände des Untergangs. Gefahren lauerten auf die antiken Seefahrer im Mittelmeer überall. Stürme traten plötzlich und heftig auf; das Schiff könnte überladen gewesen sein, vielleicht wurde es auch von Piraten überfallen. Wie seetüchtig diese Schiffe überhaupt waren, das konnten nur praktische Tests mittels Rekonstruktionen klären. Ein Team unter Osman Erkurten fertigte einen 15 Meter langen und 5 Meter breiten Nachbau an und unternahm damit zu Forschungszwecken Reisen im Mittelmeer. Dabei zeigte sich, dass das Schiff absolut seetüchtig war. So erhielt man direkte Erkenntnisse über die Segeltechnik der Bronzezeit.

Rund 3400 Jahre nach dem Untergang des Schiffes von Uluburun fanden die Forscher auch heraus, wo die Handelsbarke seinerzeit zum letzten Mal ihre Anker lichtete. Dabei half ihnen eine Maus oder, genauer gesagt, ein nur wenige Millimeter langer Unterkiefer, den man bei den Unterwassergrabungen in Uluburun geborgen hatte. Der britische Zoologe Thomas Cucchi von der University of Durham untersuchte das komplexe Muster aus Höckern und Furchen auf den Backenzähnen des Tiers, das wie ein Fingerabdruck auf die entsprechende Mausart verwies. Der Vergleich mit den Zähnen heute lebender Mäuse führte zu den engsten Verwandten dieser Maus in Syrien.

Womöglich hatte das Schiff seine Ladung im damals bedeutenden Handelszentrum Ugarit übernommen. Wegen dieser „internationalen“ Ladung sind Herkunft und Route des Schiffs umstritten. Die tote Maus stärkt die Theorie, dass das Schiff, von Ägypten kommend, nach einem letzten Stopp in Syrien westwärts segelte, um seine Ladung in den mykenischen Häfen Griechenlands zu löschen.

Die geborgenen Funde sind im Unterwassermuseum von Bodrum zu besichtigen. Es ist eines der wenigen Museen der Welt, das sich auf Unterwasser-Archäologie spezialisiert hat; 1995 wurde es als Europäisches Museum des Jahres ausgezeichnet. Dort, in Bordum, steht auch die Rekonstruktion des Schiffes von Uluburun.

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