Читать книгу Franzi und die Ponys - Band V - Eike Ruckenbrod - Страница 4

Zahra und Jamil

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Ein hellhäutiges, schlankes Mädchen lag auf einer Sanddüne in der nordafrikanischen Wüste. Die Silhouette ihres Körpers unterbrach die unendliche Gleichförmigkeit der ockergelben Einöde. Eine langbeinige Spinne krabbelte über ihre Beine. Das Kind atmete flach. Neben ihm stand ein zotteliges Pony mit langer, buschiger Mähne. Das Tier hatte sich so gestellt, dass sich der Kopf des Mädchens im Schatten befand. Die Sonne spiegelte sich heiß in seinem schwarzen vom schweißverklebten Fell. Das Mädchen stöhnte, sein Kopf dröhnte. Es blinzelte verwirrt in die grelle Sonne und dann die Dünen entlang. Auf seinen Netzhäuten flimmerten nun schwarze Flecken, die ihm die Sicht nahmen.

Wo bin ich nur?

Seine Zunge klebte unförmig aufgequollen am Gaumen. Es sehnte sich nach einem Glas Wasser, das musste nicht einmal eiskalt sein. Sogar eines ohne Kohlensäure würde sie ohne zu murren nehmen.

Wie lange liege ich wohl schon hier? Und wie sind Svartur und ich überhaupt in so eine Einöde gekommen?, fragte sich Franzi äußerst verwundert, als ferne Stimmen sie aus den Gedanken rissen. Ein melodischer Singsang, der mal lauter und mal leiser wurde, drang an ihre Ohren. Sie setzte sich auf und lauschte. Angst machte sich in ihrem Magen breit, da sie so ungeschützt und erschöpft im Sand saß: eine leichte Beute! Sie trug nicht einmal ein Taschenmesser, davon abgesehen, dass ihr das nicht helfen würde, einem Schwerbewaffneten die Stirn zu bieten. Sie wandte sich beunruhigt an ihr Pony. „Komm, wir müssen uns verstecken, vielleicht sind es ja Räuber“, krächzte sie mit geschwollener Zunge. Langsam stand sie auf, strauchelte wie betrunken und fiel mit dem Gesicht wieder in den Sand. Regungslos blieb sie liegen. Vor ihren Augen tanzten lila Sterne. Ihre Beine waren kraftlos wie Wackelpudding. Noch nie im Leben hatte sie so schmerzhaften Durst gespürt und sich so schwach wie in diesem Moment gefühlt. Ihr trockener Hals verweigerte das Schlucken und ihre aufgesprungenen Lippen brannten vom eingedrungenen Sand. Fest kniff sie die Lider zu, damit der fast 80 Grad heiße Sand sie nicht blind machen würde. Franzi hob den Kopf. Ihre Augen brannten höllisch. Nur mit Mühe und viel Disziplin, die sie beim Umgang mit den Pferden gelernt hatte, gelang es ihr, nicht daran zu reiben. Mit dem kleinen Finger, den sie vorher vom Sand befreit hatte, wischte sie ein paar Sandkörner aus den Augenwinkeln und versuchte auszuspucken. Aber sie hatte keine Spucke mehr und nur einzelne Körner fielen aus ihrem Mund. Der feine Sand knirschte zwischen ihren Zähnen, als sie sich aufsetzte und ihrer ausweglosen Situation immer bewusster wurde.

Die Beduinen, deren weiße Gewänder im Wind flatterten, durchritten die Sahara wie eh und je. Es war ihr Handelsweg. Die Karawane bestand aus 20 Kamelen mit ihren Reitern und der Fracht. In großen Körben transportierten sie Tiere, Felle, Schmuck, Tücher und einige Kanister mit Wasser. Sie waren unterwegs zum Markt, um ihre Waren gegen Salz, Datteln, Fisch und Getreide einzutauschen. Dunkle Augen blickten zwischen den Tuchschlingen, die sie um das Gesicht gewickelt hatten, aufmerksam die rötlichen Dünen hinauf, an deren Sohle sie entlangritten. Sie mussten sich in acht nehmen vor Räubern, die die Karawanen immer wieder überfielen. Lange, gebogene Krummsäbel hingen über ihren Schultern. Sie würden nicht zögern, diese auch einzusetzen. Schmale Hakennasen stachen unter den Stoffbahnen hervor.

Das Mädchen nahm seine ganze Kraft und Mut zusammen und robbte über die Spitze der Düne, um außer Sichtweite erschöpft liegen zu bleiben. Seine Brust hob und senkte sich in schnellen Zügen, und sein Gesicht glänzte vor Schweiß. Das Pony versank im Sand und rutschte ein Stück weiter nach unten. Die Zügel strafften sich in der Hand des Mädchens. Als die Stimmen lauter wurden, lauschte es bewegungslos. Hechelnd zog das Tier den Atem ein und scharrte mit dem Huf.

„Schsch, bleib ruhig, sonst rutschst du noch weiter hinunter“, flüsterte Franzi. Der Wallach sah sie mit großen Augen an. Matt legte das Mädchen seinen Kopf auf den glühend heißen Sand. In seinem Schädel pochte der Schmerz.

Wo bin ich nur? Sieht aus wie eine Wüste. Wie bin ich denn hierher gelangt? Und wieso bin ich halb verdurstet und warum brummt mein Schädel, als hätte ich die ganze Nacht Party gemacht?

Ein Gewehrschuss ganz in der Nähe ließen Mensch und Tier heftig zusammenzucken. Mit einem Ruck riss sich das Pony los und flüchtete die Düne hinunter. Fassungslos starrte Franzi ihrem Wallach hinterher. Ihr Puls raste.

„Svartur, nein, bitte bleib ...“, krächzte sie und versuchte aufzustehen, um ihn zu verfolgen, sank aber kraftlos zu Boden.

Jetzt ist es aus. Wie soll ich jemals wieder von hier weg kommen?

Tränen sammelten sich in ihren brennenden Augen. Sie stützte gerade ihren Kopf in die Hände, als sie ein keuchendes Geräusch, das eindeutig direkt auf sie zukam, vernahm. Panisch richtete Franzi sich auf und kroch den Sandhügel wieder hoch, um zu sehen, was da unten vor sich ging. Mit letzter Kraft erreichte sie die Spitze. Keuchend blickte sie nach unten. Ihr Hals schmerzte und ihr Herz schlug hart gegen die Rippen. Dünne Strähnen ihres schweißnassen Haares hingen ihr vor den Augen. Genervt strich sie diese hinters Ohr.

Die weiß gekleideten Beduinen stoben in verschiedene Richtungen auseinander. Ein paar lagen auf dem Boden. Schwarz gekleidete Reiter auf edlen, sehr schnellen Pferden verfolgten sie. Ab und zu knallte ein Schuss.

Ein reiterloses Kamel rannte brummend direkt auf das Mädchen zu. Schnell rollte es zur Seite. Schon galoppierte das Wüstenschiff an ihm vorbei. Staub wirbelte auf und reizte Franzi zum Husten. Sie presste die Hände vor den Mund. Ihr Gesicht lief rot an. Sie drohte zu ersticken. Dann konnte sie es nicht mehr unterdrücken und hustete los. Dabei rutschte sie auf ihrem Hosenboden die Düne wieder ein Stück hinunter, um nicht gehört zu werden. Abermals wirbelte Staub auf. Je mehr sie hustete, desto schlimmer wurde der Hustenreiz. Ihre Lunge fühlte sich wund an. Der Sand kratzte ihr schmerzhaft im Hals. Voller Panik dachte sie an die schwarzen Reiter und dass die Männer sie sicher hören und mit Freuden mitnehmen würden. Schon von Weitem sahen sie nicht gerade freundlich aus. Als der Hustenreiz endlich schwächer wurde, hielt sie mit tränenverschleiertem Blick Ausschau nach dem Pony. Auf ihren Wangen trocknete augenblicklich die Sand-Tränen-Mischung. Franzi erspähte am Horizont zwei verschieden große Punkte, umgeben von einer Staubwolke. Ihr blieben nur die Spuren im Sand. Hart sog sie den Atem tief in ihre Lunge.

Wie soll ich hier, ohne Pferd und Wasser, je wieder rauskommen? Warum bin ich überhaupt hier?, fragte sie sich abermals. Die Hoffnungslosigkeit ließ sie kraftlos zusammensinken. Erneut liefen ihr Tränen ein Stück weit über die staubigen Wangen. Ich darf nicht weinen. Mein Körper braucht das Wasser. Ich muss sachlich überlegen, was ich jetzt am Sinnvollsten tun sollte. Vielleicht wäre es besser, wenn ich mich in den Sand eingrabe, damit ich keinen Sonnenstich bekomme, so wie der Saharafisch, ein Reptil, das unter der Sandoberfläche lebt, oder wie die Taschenmaus. Die gräbt sich so tief ein, bis der Sand kühler wird. Und wenn die das können, kann ich es schon lange. Mit zittrigen Fingern fing sie an, eine Mulde auszugraben. Als diese ihrer Körpergröße entsprach, legte sie sich hinein und schaufelte den Sand über sich. Irgendwann lugten nur noch ihr Gesicht und die Arme heraus. Das Gesicht deckte sie mit ihrer Bluse zu. Auf deren Ränder häufte sie Sand, damit sie nicht wegflog. Dann grub sie ihre Arme in den Sand und schlief vollkommen ermattet ein.

Als der Glutball endlich untergegangen und es empfindlich kühl geworden war, erwachte das Mädchen aus seinem Dämmerschlaf. Franzi nahm die Bluse vom Gesicht und blickte sich angestrengt um. Aber sie konnte absolut nichts erkennen. Angst breitete sich augenblicklich wieder in ihrem schwachen Körper aus. Zitternd angelte sie nach der Bluse und zog sie an. Sie blickte zum Himmel. Über ihr glitzerte die helle, sternenübersäte Pracht des Wüstenhimmels. Sie wagte sich nicht zu bewegen, aus Angst auf einen Skorpion oder eine Schlange zu treten. Lauschend hockte sie in der Dunkelheit. Absolute Stille umgab sie. Ihr Herz raste vor Angst.

Mein Gott, was mach ich jetzt nur? Ich kann doch nicht die ganze Nacht wie eine Statue dasitzen und Löcher in die Dunkelheit starren. Wo ist nur mein treues Pony geblieben?

Nach einer Weile fasste sie ihren ganzen Mut zusammen, krabbelte aus der Mulde und robbte wieder die Düne hinauf. Sie schluckte hart. Dick und träge ruhte ihre Zunge im trockenen Mund. Langsam, da der lockere Sand ihre Knie tief einsinken ließ, kam sie der Spitze näher. Endlich hatte sie diese erreicht und schaute hoffnungsvoll nach unten. Aber was hatte sie dort eigentlich erwartet? Ein Feuer, ein Lebenszeichen, das Pony oder ein herrenloses Kamel, das nur darauf wartete, von ihr geritten zu werden? Davon ganz abgesehen, dass sie noch nie auf einem Kamel gesessen war. Aber ihre brennenden Augen erblickten nichts als undurchdringliche Finsternis. Von einem Augenblick zum andern überkam sie heftiger Schwindel. Ihr Körper krümmte sich zusammen und rollte erschlafft die Düne wieder hinunter.

Zwei Dinge nahm Franzi wahr, als sie nach Stunden zu sich kam: Sie war nicht allein und etwas Feuchtes tropfte auf ihre Lippen. Erschrocken setzte sie sich auf. Es war schon so hell, dass sie ihre Umgebung wahrnehmen konnte. Sie glaubte ihren Augen nicht zu trauen, denn ein Kamel stand direkt neben ihr. Aus dessen Korb tropfte kostbares Wasser direkt auf ihre Lippen. Genüsslich leckte sie mit der Zunge darüber.

„Oh mein Gott, es ist himmlisch. Wasser, wie gut.“ Dankbar schloss sie die Augen, öffnete den Mund und ließ das Wasser hinein tropfen. Mit der Flüssigkeit kehrte auch Leben in ihren Körper zurück und das Gehirn fing an zu arbeiten:

Wieso steht ein Kamel direkt neben mir? Und warum tropft Wasser genau in meinen Mund? Da stimmt doch was nicht!

Franzi riss die Augen auf und blickte sich aufmerksam um: Sie befand sich in einem Hügeltal. Rings herum ein rotgelbes Sandmeer, so weit das Auge reichte. Meterhoch getürmt zu endlos erscheinenden Dünen. Plötzlich veränderte sich das Bild, denn ein Ponykopf erschien hinter einem der Hügel. Das Mädchen erstarrte, das war doch Svartur! Franzi stand ungläubig auf und wankte auf das Tier zu. Aber sie hatte ihre Kraft überschätzt und fiel auf die Knie. Sand wirbelte auf. Ein kurzes schmerzhaftes Zucken lief über ihr Gesicht. Sie bettete ihren dröhnenden Kopf in den Händen und wartete, bis sich die Sterne vor den Augen verflüchtigt hatten. Dann blickte sie wieder in die Richtung, aus der das Reittier kam. Der Rappe galoppierte auf seine Besitzerin zu. Aber er war nicht allein, stellte das Mädchen entsetzt fest, denn auf seinem Rücken saß eine in weiße Gewänder gehüllte Person. Franzi stand umständlich auf, drehte sich um und versuchte zu fliehen. Ein paar Schritte torkelte sie voran, und fiel dann kopfüber hin. Feiner Sand drang augenblicklich tief in Nasenlöcher und Mund ein. Sie ignorierte es und blieb regungslos liegen.

Er hat mir Wasser gegeben, vielleicht will er mich gar nicht töten, versuchte sie sich gerade zu beruhigen, da ihr Herz zu zerspringen drohte, so wild pochte es, als sie eine sympathische männliche Stimme vernahm:

„Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin Jamil, ein Beduine. Ich tue dir nichts.“ Franzi hob den Kopf, setzte sich langsam auf und wandte das Gesicht dem Sprecher zu. Der Sand, der an ihren Wangen heftet, rieselte auf ihre Kleidung. Die Stimme kam ihr unheimlich bekannt vor.

„Und wer bist du?“, fragte der Reiter. Während Franzi nachdachte, rieb sie mit dem Arm den restlichen Sand vom Gesicht.

Warum verstehe ich seine Sprache überhaupt? Na ja, egal. Was kann es schaden, wenn ich ihm meinen Namen nenne? Er scheint friedlich zu sein, sonst hätte er mir nicht zu trinken gegeben. Aber „Franzi“ passt nicht in diese Gegend, ich nenne mich einfach „Zahra“, wie das Mädchen aus der arabischen Geschichte, die ich letztens gelesen habe.

„Zahra“, antwortete sie so selbstverständlich, als würde sie sich jeden Tag einen neuen Namen geben. „Und vielen Dank für das Wasser, das hat mir das Leben gerettet.“ Dankbar blickte sie in schwarzbraune Augen, umrahmt von langen Wimpern. Das Weiß stach hell in seinem dunklen Gesicht hervor. Er schien noch jung zu sein. Sie wünschte sich, er würde die Tücher ablegen, damit sie sein ganzes Gesicht sehen konnte und nicht nur einen Streifen. Ihre innere Stimme ermahnte sie:

„Hast du jetzt keine anderen Probleme, als dir zu wünschen, dass er sein Tuch abnimmt? Vor ein paar Minuten wärst du fast verdurstet ...“

„Der Name passt zu dir“, meinte Jamil, wandte sich ab und machte sich an dem Kamel zu schaffen. Franzi wunderte sich noch mehr: Auch er schien sie ohne Probleme zu verstehen. Er schnallte den Korb ab und stellte ihn neben die Weiße. Das Trampeltier hatte einen Ring durch das Maul, an dem ein Seil befestigt war. Dieses war in den Sand gepflockt. Jamil kramte im Korb. Kurz darauf hielt er einen Krug und Fladenbrot in den Händen.

„Lass uns etwas essen!“ Franzi starrte auf den Krug und schluckte hart. Jamil füllte ein wenig Wasser in eine handtellergroße Holzschale, brach ein Stück Brot ab und hielt ihr beides hin. Sie griff gierig zu. Als sie die Schale an ihre aufgesprungenen Lippen setzte, warnte der Fremde:

„Trink langsam!“ Sie nickte gehorsam und nippte an dem kostbaren Nass, obwohl sie es am liebsten mit einem herzhaften Schluck in sich gekippt hätte. Mit kleinen Bissen knabberte sie am Brot und beobachtete den Fremden dabei. Er schien zu zart für einen erwachsenen Mann und diese Stimme, die erschien ihr auch recht jung. Krampfhaft überlegte sie, woher sie diese kannte.

„Was ist gestern geschehen?“, fragte sie, nachdem sich ihr Retter niedergelassen hatte. „Die Karawane ist überfallen worden.“

„Ja, das habe ich gesehen. Warst du bei ihnen?“

„Nicht direkt.“

„Nicht direkt? So direkt wie ich?“, bohrte sie weiter.

„Ja, eher so wie du“, antwortete er und blickte in ihr hübsches Gesicht. Franzi war es unangenehm. Sie senkte den Blick. „Hast du mich beobachtet?“

Er nickte. Franzi wunderte sich über diesen Jungen. Er schien nicht gerade redefreudig zu sein. Sie biss von ihrem Brot ab und nahm kurz darauf einen kleinen Schluck Wasser. Langsam kehrte ihre Kraft zurück.

„Ist das dein Kamel?“, bekundete sie mit vollem Mund ihr Interesse.

„Ja, das ist Lahthan“, antwortete er stolz. Seine Augen verengten sich. Franzi vermutete, dass er lächelte. Sie deutete auf ihr Pony.

„Und das ist Sv ... Merlin“, korrigierte sie sich schnell. „Mein Merlin. Danke, dass du ihn eingefangen hast. Ich war schon todunglücklich.“

„Was bedeutet sein Name?“

„Merlin war ein großer Zauberer“, erklärte sie.

Der Junge nickte. „Lahthan bedeutet durstig.“ Franzi lächelte.

„Kann dein Pony zaubern?“, fragte er. Franzi hatte das Gefühl, dass er sie nicht ernst nahm. Sie konnte sich schon denken, dass Svartur gegen einen rassigen Araber keine Chance hatte.

„Tja, er ist kein Araber, aber eine treue Seele. Er passt immer auf mich auf.“ Liebevoll blickte sie zu dem struppigen Isländer. Verwundert stellte sie fest, dass sie schon wieder geschwindelt hatte. Eigentlich verabscheute sie es, zu lügen ...

„Du hast meine Frage nicht beantwortet.“

Franzi dachte nach. Eine heiße Brise wehte ihr dunkelblondes Haar ins Gesicht. Sie strich es hinters Ohr.

„Für mich ist er zauberhaft. Das genügt.“

„Was führt ein zauberhaftes Pony und ein weißes Mädchen allein in die Wüste?“, fragte Jamil weiter. Franzi blickte nachdenklich durch ihn hindurch, rieb sich die wunden Augen und schüttelte resigniert den Kopf.

„Ich weiß es nicht. Ich weiß gar nichts. Nicht, wie ich hierher kam, wieso ich halb verdurstet bin, wieso auch S ... Merlin hier ist. Wieso ich eure Sprache spreche.“

Mit einer nervösen Geste fuhr sie durch ihr sandiges Haar.

„Verstehst du? Ich weiß nichts, auch nicht, wo ich hin möchte - oder sollte.“ Tränen der Verzweiflung sammelten sich in ihren grünen Augen.

„Ein Wunder, dass du noch lebst. Wenn dich die schwarzen Reiter erwischt hätten, wärst du jetzt tot“, sagte er hart, um sich wichtig zu machen. Franzi schluckte die aufsteigenden Tränen hinunter und blickte betroffen die Sanddünen entlang.

„Du auch?“, fragte sie. Der junge Mann nickte. „Vermutlich.“ Erst jetzt entdeckte sie den riesigen gebogenen Säbel, der in seinem Gürtel steckte. Nicht so ein popeliges Taschenmesser, wie sie eines besaß und das sie zu alledem nicht einmal dabei hatte. „Wir müssen weg von hier. Sie könnten zurückkommen“, riss er sie aus ihren Beobachtungen. Franzi warf einen panischen Blick in die Runde. Er griff ihr fest unter den Arm.

„Versuche aufzustehen!“ Ihr Arm schmerzte, als er sie kraftvoll nach oben zog.

Jamil verwischte die Spuren, während das Mädchen zu dem Pony stakste.

Mit zitternden Fingern streichelte Franzi seinen kräftigen Hals, bevor sie sich stöhnend in den Sattel zog. Die Hitze des schwarzen Leders drang in ihre Beine und ihren Po. Schon jetzt brannte die Sonne vom wolkenlosen Himmel, in ein paar Stunden würde es so heiß sein, dass ihnen sogar das Atmen schwerfallen würde. Jamil belud das große, braune Kamel. Er gab ihm ein Zeichen und Lahthan legte sich nieder, indem er mit den Vorderbeinen einknickte und dann mit den Hinterbeinen. Der Junge holte ein weißes Tuch aus einem der Körbe und brachte es der Hellhäutigen.

„Ich zeige dir, wie man es wickelt.“ Geschickt band er die Tuchbahn um Franzis Kopf und das Gesicht. Forschend blickte sie in seine Augen, die sich nun ganz nah vor ihrem Gesicht befanden. Sie entdeckte Stolz und Freiheit, Kühnheit und Mut darin. Aber auch die Augen kamen ihr erstaunlich bekannt vor. Ein würziger Geruch ging von ihm aus. Zufrieden nickte er und bestieg das Kamel. An dessen prallen Höckern erkannte Franzi, dass es noch nicht lange unterwegs war. Ein Kamel kann zwei Wochen ohne Wasser und bis zu 30 Tagen ohne Futter auskommen. Das Wasser lagert es in einem Teil seines Magens und in den Höckern speichert es bis zu 40 Liter Fett. Es kann 100 bis 150 Liter Wasser in nur 10 Minuten trinken. Und das ist nur möglich, da es ovale und nicht runde rote Blutkörperchen hat. Seine langen Beine erhöhen die Entfernung zu dem bis zu 80 Grad heißen Sand und zwei dick verhornte Zehen an jedem Fuß verhindern tiefes Einsinken darin. Das alles fiel Franzi, dank ihres Referats, wieder ein.

Jamil nahm das Seil als Zügel und zupfte daran. Das mächtige Tier stand auf und setzte sich mit den schaukelnden Bewegungen seines Passgangs in Bewegung. Svartur, der gerade bis zu seinem Bauch reichte, trippelte hinterher.

Franzi ließ den Blick über die eintönige, aber trotzdem faszinierende Landschaft schweifen. Meterhohe Sanddünen, die in weichen Wellen den Sand trugen, wohin sie auch blickte. Über dem rötlichen Sand flimmerte die Hitze. In einiger Entfernung tanzte eine kleine Windhose über der Wüste. Sie erinnerte Franzi an den Strudel in der Badewanne, wenn sie das Wasser abließ. Ab und zu unterbrach ein dorniger Busch die monotone Gleichförmigkeit.

Svartur war so eine Gluthitze, kein Gras oder Heu und so eine geringe Menge Wasser, ja gar nicht gewohnt, sorgte sich Franzi und strich ihm über den schweißnassen Hals. Dadurch, dass er bei jedem Schritt tief im Sand einsank, keuchte er schon beängstigend. Am liebsten wäre sie abgestiegen und gelaufen, aber dann wären sie noch langsamer vorangekommen, so schwach wie sie war.

Eine ganze Zeit lang ritten sie schweigend hintereinander her. Das Pony hatte Schwierigkeiten, mit dem Kamel Schritt zu halten. Schweiß rann ihm in kleinen Rinnsalen das Fell hinunter, tropfte auf den heißen Sand und verdunstete augenblicklich. Der Abstand wurde immer größer. Das schlechte Gewissen nagte unaufhörlich an Franzi. Ihr armes, armes Pony ...

Und, als nach einer weiteren Stunde der Rappe so kraftlos war, dass er kaum noch seinen Kopf tragen konnte und auf seinem nassen Fell sich kleine Schaumflocken bildeten, stieg Franzi entschlossen ab. Zu tiefst erschrocken stellte sie fest, dass er aus den Nüstern blutete.

„Jamil, mein Pony kann nicht mehr laufen. Es ist diese mörderische Hitze nicht gewohnt“, schrie Franzi mit zittriger Stimme nach vorne.

Jamil drehte um und ritt zu ihr. „Oje, dann haben wir ein Problem. Hier können wir nicht bleiben. Die Schwarzen können jeden Augenblick wiederkommen.“

Franzi blickte sich ängstlich um. „Und jetzt?“, fragte sie bang. Jamil dachte nach. „Komm zu mir, auf Lahthan!“ Franzi schüttelte den Kopf. „Merlin kann gar nicht mehr. Wir müssen ihm Wasser geben und eine Pause machen. Er blutet schon aus den Nüstern“, sagte sie erregt.

„Das können wir jetzt nicht“, widersprach Jamil ruhig und bestimmt.

„Aber dann wird er sterben“, schrie Franzi hysterisch und stellte sich beschützend vor das keuchende Pony.

„Halt deinen Mund!“, herrschte der Beduine das Mädchen an und warf einen aufmerksamen Blick über die Dünen. „Okay, du bleibst hier! Ich sehe mich kurz um“, befahl er, schmiss ihr einen Wasserschlauch und ein Tuch zu und ritt auf einen der Hügel zu. Franzi blickte ihm mit klopfendem Herzen hinterher. Er ritt hinauf und so weit wieder hinunter, dass man ihn von der anderen Seite nicht mehr sehen konnte. So kontrollierte er den ganzen Umkreis.

Franzi hatte währenddessen das Tuch nass gemacht und dem Pony ins Genick gelegt. Danach sattelte sie ihn ab. Nervös saß sie in seinem Schatten und teilte das Wasser mit ihm.

Bald kam der Junge zurück. Fragend schaute sie zu ihm hoch.

„Nichts zu sehen, wir können kurz rasten.“

Erleichtert hauchte Franzi: „Danke“, und streichelte das erschöpfte Tier.

Jamil nickte ihr zu, spannte ein Segel auf und befestigte es mit Pflöcken im Sand. So hatten sie und das Pony Schatten.

„Wohin reiten wir eigentlich?“, fragte sie, als er fertig war.

„Zu Freunden.“

„Sind wir dort in Sicherheit?“

„Ja, und nur dort sind wir sicher. Die Schwarzen kennen unser Versteck nicht.“

„Ist es noch weit?“

„Zwei Tage.“

Franzi schluckte entsetzt. „Zwei Tage? Wie sollen wir das schaffen?“

„Wir binden deinem Pony ein Tuch um den Kopf, damit es nicht so unter der Sonne leidet und du reitest bei mir mit. Wir machen öfter eine Pause, dann werden wir sehen, ob wir lebend ankommen.“

In diesem Moment wurde Franzi klar, wie ernst die Situation und wie hinderlich Svartur war. Aber sie konnte ihn doch nicht einfach im Stich lassen - ihren treuen Partner. Sie dachte laut nach:

„Weißt du, wenn wir Holzscheiben hätten, die könnten wir ihm unten an die Hufe binden, damit er nicht so einsinkt. Schau dir mal die Füße von Lahthan an! Durch die große Auflagefläche versinkt er nicht so weit wie Merlin, obwohl er viel schwerer ist.“ Jamil nickte bewundernd. „Du hast recht. Ich überlege mir, was wir nehmen könnten, um ihm das Laufen zu erleichtern.“ Der Beduine stand auf und wühlte in den großen Lastenkörben, die das Kamel trug. Er holte vier Korbgeflechte heraus und drehte sie in den Händen. „Vielleicht funktioniert es auch mit denen. Die sind sehr stabil und eng geflochten.“

„Wie willst du sie befestigen?“, fragte Franzi vage.

„Mit Tüchern, ich habe genug davon dabei. Wir wollten sie eigentlich verkaufen.“

„Wenn ich Geld hätte, würde ich dir alle abkaufen.“

Jamil sah Franzi an. Seine Augen lächelten. Sie blickte beschämt zur Seite. Der Beduine stand auf, stellte Svarturs Huf in das Geflecht und umwickelte alles mit einem Tuch. Es sah witzig aus, als hätte Svartur einen Klumpfuß. Der Rappe stand ganz still, als wüsste er, dass der Junge ihm helfen wollte. Franzi half ihm und bald konnten sie die ersten Probeschritte testen. Das Pony stakste steif und unsicher mit den Körben durch den Sand. Ein Bild für Götter: ein Isländer mitten in der Wüste mit einem weißen Kopftuch, aus dem seine plüschigen Ohren herausragten, und vier umwickelten Körben an den Hufen.

Aber seine Hufe versanken tatsächlich nicht mehr. Franzi lachte. Erleichtert schloss sie den Jungen in die Arme. Der schob sie von sich. „Komm, wir müssen gehen.“

Franzi nickte und kletterte auf Lahthan. Jamil packte hastig zusammen, verwischte die Spuren und setzte sich hinter sie. Ein Prickeln durchfuhr das Mädchen, als sie seine festen Oberschenkel spürte. Lahthan richtete sich auf. Blitzschnell griff Franzi nach vorne in den Sattel, um nicht hinunterzufallen. Rasch gewöhnte sie sich an den schaukelnden Passgang des Kamels und daran, so weit oben und so nah bei Jamil zu sitzen. Sie fühlte sich jetzt schon zu dem schweigsamen Jungen hingezogen.

Franzi und die Ponys - Band V

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