Читать книгу Franzi und die Ponys - Band V - Eike Ruckenbrod - Страница 5

Gefährliche Flucht

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Svartur brauchte nun weniger Kraft und sie konnten zwei Stunden im Schritt ohne Unterbrechung reisen. Bei jeder Pause kontrollierte Franzi seine Beine nach Scheuerstellen und dem Sitz der Körbe. Aber wie durch ein Wunder hielt alles und scheuerte nichts. Bald dämmerte es und die Hitze wurde erträglicher.

„Wir schlafen jetzt ein paar Stunden und nutzen den Rest der Nacht, um umgesehen weiterzureisen“, erklärte Jamil. Franzi, deren Hosenboden schon brannte, nickte dankbar. Mit steifen Gliedern kletterte sie von dem Kamel. Jamil spannte das Segel, holte Essen und Trinken aus einem der Körbe und ließ sich neben dem Mädchen nieder. Schweigend aßen sie. Franzi brannten tausend Fragen auf den Lippen, aber sie wollte Jamil nicht nerven und war dankbar, dass er sich ihrer angenommen hatte. Nicht jeder hätte diese Last auf sich genommen. Er würde schon reden, wenn die Zeit gekommen war, vermutete sie und wickelte sich satt und schläfrig in ein weißes Tuch ein. Kurz darauf schlief sie.

Der Junge blickte nachdenklich auf die Fremde und dann auf den Wallach, der völlig erschöpft flach auf dem Sand lag. Sein schwarzes Fell war klitschnass und sein Brustkorb hob und senkte sich in kurzen Abständen.

Hoffentlich wird das gut gehen und wir schaffen es, das Tier lebend ins Lager zu bringen. Grübelnd starrte er vor sich hin, bis die Nacht hereinbrach. Er gähnte und streckte sich.

Warum habe ich mir so eine große Last auferlegt?, fragte er sich gerade zum x-ten Mal, als ein großer Skorpion zielstrebig auf Franzi zumarschierte. Jamil beobachtete ihn eine Weile. Skorpione sind ausschließlich nachtaktiv, leben, je nach Art, im Sand, in Steppen, auf Bäumen, sind Wanderer oder Höhlenbewohner. Sie ernähren sich von Insekten, Spinnen, Eidechsen, kleinen Schlangen und Nagern. Diese ergreifen sie mit ihren Zangen und spritzen ihnen mit ihrem Stachel ein Gift ein. Es gibt wenige Arten, deren Gift für den Menschen tödlich ist.

Mit langsamen Bewegungen zog der Junge seinen Säbel aus dem Gürtel und schlug, da das Spinnentier seine Richtung nicht wechselte, mit einer schnellen Bewegung zu. Der Skorpion zerfiel in zwei Stücke. Jamil vergrub sie im Sand.

Wie soll ich da ein Auge zu tun? Ich muss das Mädchen bewachen. Es wird schon einen Sinn haben, dass gerade ich sie fand.

Er rollte sich zur Seite und beobachtete den Sand in Franzis Umgebung. Aber schon bald fielen auch seine Augen zu.

Irgendetwas kitzelte Jamil am Bein und er erwachte. Hastig sprang er auf. Es war stockdunkel. Er vermutete einen Wüstengecko oder einen weiteren Skorpion. Vorsichtig tastete er nach dem Mädchen. Es lag ruhig neben ihm. Seine tiefen Atemzüge verrieten ihm, dass es tief und fest schlief. Er beugte sich über sie und roch an ihr. Neugierig hielt er sich eine ihrer feinen Haarsträhnen unter die Nase. Sie roch so anders, als die Mädchen hier. Und sie war auch ganz anders. Hier hatten die Mädchen und Frauen nicht viel zu sagen und mussten sich ihren Männern und Brüdern unterordnen. Ihre Aufgabe war es, sich um das Essen, die Tiere und die Behausung zu kümmern. Oft wurden sie auch geschlagen. Sie durften sich nicht von ihren Ehemännern trennen, aber diese konnten sich von ihnen trennen. Eine Frau, die Ehebruch begann, war eine Schwerverbrecherin. Außerdem hatten sie überhaupt kein Mitbestimmungsrecht, was das Geld der Familie betraf.

Doch Jamil war nicht so. Er wollte eine selbstbewusste Frau und sein Ziel war es, bald die Wüste zu verlassen und zu studieren. Aber vorher hatte er noch einiges vor, damit seine Familie ohne Angst und Schrecken hier leben konnte. Was dieses Mädchen dabei für eine Rolle spielte, wusste er in diesem Moment noch nicht. Vielleicht konnte es ihnen ja helfen. Zahra schien intelligent und mutig zu sein. Jeder Helfer war wichtig. Was konnten er, die Alten und seine Schwestern schon ausrichten? Er bräuchte viel mehr Leute, um die Schwarzen zu besiegen oder sie endgültig zu vertreiben. Die wurden immer dreister und gefährlicher, je mehr sich ihnen anschlossen. Und Schutzgeld konnte Jamils Familie auch nicht bezahlen. Der Junge stöhnte. Franzi drehte sich im Schlaf und lag nun halb auf seinem Gewand. Er konnte nicht weiter von ihr wegrutschen, ohne sie zu wecken. Er schmunzelte.

So schnell hat sie mich eingewickelt. Aber ich muss sie jetzt sowieso aufwecken, wir müssen weiter ziehen. Er fasste an ihren warmen Oberarm und rüttelte leicht. Als sie nicht reagierte, beugte er sich über sie.

„Zahra, wach auf“, sprach er eindringlich. Sie öffnete die Lider. Schwärze drang in ihre Augen. Sie spürte seinen Atem auf ihrer Wange. Ihr wurde mulmig. Ihr Herz fing an zu rasen.

„Jamil?“, flüsterte sie.

„Ja, ich bin` s. Komm, wir reiten weiter.“ Sie nickte, was er aber nicht sehen konnte. So gut es im Dunkeln ging, packten sie ihre Sachen zusammen, sattelten das Kamel und banden Svartur an dessen Sattel fest.

„Warum machst du nicht eine Öllampe an?“, fragte sie, da sie Angst vor Spinnen, Schlangen und Skorpionen hatte.

„Auch so ein kleines Licht würde man meilenweit sehen“, erklärte der Junge, während er die Spuren verwischte. Franzi kletterte auf das Kamel und wartete lauschend.

Ob man die Schwarzen wohl hört, wenn sie angreifen?, fragte sie sich gerade, als Jamil das Kamel bestieg.

„Alles klar?“, fragte er.

„Bei mir schon. Mir geht´s wieder gut.“

„Was ist mit Merlin?“

„Der macht auch einen ausgeruhten Eindruck.“

„Okay, dann reiten wir ein gutes Stück.“ Er gab Lahthan ein Kommando und tippte ihn mit einem kurzen Stock an. Das Tier erhob sich brummend und trottete los.

Nach einer Weile fragte Franzi: „Woran orientierst du dich? Ich sehe absolut nichts.“

Jamil blickte nach oben. „Nach den Sternen und dem Mond.“ Franzi war tief beeindruckt. Der junge Beduine lachte leise. „Ach was, Lahthan kennt den Weg in- und auswendig. Er läuft ihn schon so lange.“ Franzi knuffte ihn in die Seite und lachte. „Veralber kleine Mädchen nicht!“

„So klein bist du ja gar nicht.“ Schweigend ritten sie weiter.

Jetzt wäre der richtige Augenblick, um ihn nach seinem Alter zu fragen.

„Wie alt bist du?“, erkundigte sich Franzi.

„Ich weiß es nicht genau. Bei uns ist das nicht wichtig. Ich bin auf jeden Fall älter als meine drei Schwestern.“ Franzi schwieg, da er sie nicht nach ihrem Alter fragte.

Die erste Stunde zog sich wie Kaugummi, aber je länger sie durch die Dunkelheit ritten, desto schneller verging die Zeit. Ihre Augen gewöhnten sich rasch an die Finsternis und auch ihr Gehör wurde viel feiner.

Nach drei Stunden legten sie eine kurze Pause ein, aßen eine Kleinigkeit und kümmerten sich um die Tiere. Dann ging es schon weiter.

Nach einer weiteren Stunde wurde es allmählich hell. Franzi konnte den Umriss des Jungen erkennen und als sie sich ganz umdrehte auch Svartur. Bald würde es wieder unerträglich heiß werden und das Pony extrem leiden. Franzi seufzte.

„Was ist?“, fragte der Junge.

„Ich dachte gerade an die Hitze und an mein Pony mit seinem langen F ...“ Franzi blieb das Wort im Hals stecken, denn genau in diesem Moment knallte ein Schuss. Lahthan rannte panisch los. Jamil drehte sich hastig im Sattel um.

„Mist, sie sind uns auf den Fersen. Halt dich fest!“ Er trieb das Kamel noch mehr an. Es galoppierte mit raumgreifenden Sprüngen. Die nach vorne gebeugten Reiter wurden hin und her geschleudert. Noch konnte das Pony mithalten. Wieder knallte es und eine Kugel zischte in der Nähe ihrer Köpfe vorbei. Hastig duckten sie sich noch weiter. Lahthan rannte so schnell er konnte. Svartur hatte Probleme, mit dem großen Tier Schritt zu halten. Die Tücher um die Körbe lockerten sich und lösten sich schließlich. Kurz darauf flogen die Körbe davon. Svartur kam ins Straucheln. Jamil sah es, zog den Säbel und schnitt das Seil, das ihn am Kamelsattel hielt, los.

„Nein, das darfst du nicht! Er muss mitkommen“, schrie Franzi und versuchte vergeblich, ihn abzuhalten. Das Seilende peitschte auf den Sand. Der Rappe wurde augenblicklich langsamer. Die Beduinen sprengten kurz darauf an dem Pony vorbei, ohne es zu beachten. Wieder flog ein Schuss in ihre Richtung. Franzis Herz raste wild. Sie bezweifelte, dass ihnen die Flucht gelingen würde. Die wilden Beduinen waren ihnen schon dicht auf den Fersen. Jamil zog am Seil. Das Kamel bog scharf nach rechts ab. Franzi krallte sich in den Sattel, um nicht heruntergeschleudert zu werden. Sie blickte sich um. Hier gab es keine so hohen Dünen mehr. Der Sand war eher gelb als rot und so locker, dass er bis zu den Reitern hochwirbelte. Franzi quälte ein heftiger Hustenreiz.

Bald darauf lag eine flache Sandfläche vor ihnen. Die Verfolger blieben abrupt stehen. Eine Staubwolke bildete sich über ihren Köpfen. Sie schossen noch zweimal in die Luft, dann machten sie kehrt und galoppierten davon.

„Was ist los, warum halten sie an?“, krächzte Franzi verwirrt. Jamil riss hart am Seil, aber es war schon zu spät. Das schwere Tier versank bei jedem Schritt tiefer im Sand. „Was ist das?“, schrie Franzi hysterisch.

„Wir sind im Treibsand gelandet.“ Jamil blickte sich hektisch um.

„Und jetzt? Wie kommen wir hier raus?“, fragte sie mit schriller Stimme.

„Wir müssen absteigen und versuchen, an den Rand zu kommen.“

„Und dein Kamel? Wir müssen es retten!“

„Mir wird schon was einfallen.“ Flink kletterten sie von dem großen Tier und legten sich flach auf den Bauch. Lahthan versank immer weiter. Der Sog des Sandes zog auch Franzi und Jamil ein Stück zurück.

„Ich rutsche zurück“, schrie Franzi panisch und ruderte mit den Armen.

„Bleib ruhig liegen! Sonst versinkst du“, herrschte der Junge sie an. Franzi musste sich dazu zwingen, ruhig liegen zu bleiben. Zentimeter für Zentimeter arbeiteten sie sich vorsichtig voran, bis sie endlich auf festere Sandschichten trafen. Das Kamel steckte bis zum Bauch fest. Es schrie und brummte voller Angst.

Zitternd und hustend warf sich Franzi auf den Rücken und blieb erschöpft liegen. Sie hatten es geschafft, aber was war mit Lahthan, der fest im Sand steckte? Gottseidank versank er nicht noch weiter, die großen Lastenkörbe schienen es wie Schwimmärmel an der Oberfläche zu halten. Jamil setzte sich auf und blickte verzweifelt zu seinem Freund. Ihm wollte einfach nichts einfallen. Franzi schloss die Lider und dachte angestrengt nach, als sie ein Schnauben vernahm. Gespannt riss sie die Augen auf und wurde nicht enttäuscht, denn Svartur stand keuchend neben ihr. Voller Freude sprang sie auf und umarmte ihr klitschnasses Pony. Wieder waren seine Nüstern blutverklebt.

„Du lebst, wie schön. Mein Gott, wie schön.“ Eine heiße Glückswoge durchströmte ihren geschwächten Körper. Jamil blickte mit einem weinenden und einem lachenden Auge zu den beiden.

Wie kann ich nur Lahthan retten? Ohne ihn sind wir so gut wie tot.

Franzi umarmte Svartur gerade wieder, als ihr eine Idee kam. „Vielleicht kann Merlin helfen, Lahthan zu befreien.“ Jamil blickte zweifelnd auf das kleine keuchende Pony, das wahrlich nicht so aussah, als könne es noch irgendjemanden retten.

„Wie glaubst du, soll das funktionieren? Kann er etwa doch zaubern?“

„Wir könnten gemeinsam mit Merlin versuchen, ihn rauszuziehen. Vielleicht klappt es. Lahthan steckt ja nicht ganz drin“, schlug Franzi vor. Der Junge bezweifelte es, meinte dann aber: „Was bleibt uns anderes übrig? Wie bekommen wir das Seil an Lahthan?“

„Hier hängt noch das lange Seil an Merlins Trense von vorhin. Das könnten wir nehmen.“ Sie knotete das stabile Seil los und wickelte es in großen Schlaufen auf.

„Ich werde zu Lahthan robben und das Seil an seinem Sattel befestigen“, meinte Jamil mit hoffnungsvoller Stimme. Schon wollte er sich auf den Treibsand legen. Aber Franzi hielt ihn zurück.

„Warte! Ich muss dich sichern.“ Sie nahm ihren Turban vom Kopf und wickelte ihn ab. „Gib mir deinen auch! Ich knote sie zusammen und binde sie an deinen Gürtel, so kann ich dich wieder rausziehen, falls du versinkst.“ Jamil nickte und fing an, den weißen Tuchstreifen abzuwickeln. Franzi beobachtete ihn gespannt. Endlich würde sie sein Antlitz sehen. Schon bald kamen dunkle Locken zum Vorschein und kurz darauf ein attraktives Gesicht. Franzi starrte Jamil mit offenem Mund an.

„Was ist?“, fragte der dunkelhäutige Junge, dem das peinlich war. Franzi konnte es nicht glauben: Jamil sah genau so aus wie Olli, nur mit dunkler Haut und dunkleren Haaren und Augen.

„Ich ..., äh, du ...“, stotterte sie. Jamil blickte nervös zu seinem Kamel. „Später, okay? Jetzt lass uns bitte Lahthan befreien.“ Franzi nickte, ohne ihren Blick von dem Jungen abzuwenden. Ihr Herz pochte vor Aufregung. Das konnte doch nicht wahr sein.

Deshalb kamen mir seine Stimme und die Augen so vertraut vor. Sie trat hinter ihn und band das Tuch an seinem Gürtel fest.

„Okay?“, fragte er, als er einen Ruck spürte.

„Du kannst los.“ Rasch legte der Junge sich auf den Bauch und robbte zu seinem Kamel. Dort knotete er fürsorglich das Seil am Sattel fest und robbte wieder zurück. Dabei versanken seine Beine im Sand.

„Du musst ziehen, ich versinke“, befahl er beunruhigt. Franzi zog so fest sie konnte an dem Tuchstreifen. Der Knoten zog sich zusammen.

Hoffentlich löst sich der Knoten nicht, dachte Franzi besorgt und zog nicht mehr aktiv, sondern hielt nur dagegen. Mit vorsichtigen Bewegungen konnte sich Jamil aus den saugenden Fängen des Treibsandes befreien. Endlich lag der Junge wieder auf festem Grund. Franzi drückte ihn herzlich.

„Wir müssen Lahthan befreien“, lenkte er, peinlich berührt, ab. Sie löste die Umarmung und legte rasch dem Wallach den Sattel auf den Rücken. Jamil wickelte das Seil um Svarturs Brust und um den Sattel. Franzi faltete den Stoff des Turbans zusammen und stopfte ihn unter das Seil, das über Svarturs Brust lief, damit es nicht einschnitt.

„Gut, du ziehst hinten mit und ich bleibe hier!“, bestimmte Franzi und forderte das Pony auf, loszulaufen. Svartur lief ein paar Schritte, bis das Seil sich spannte, und blieb dann stehen. Seine Atmung hatte sich immer noch nicht normalisiert.

„Nein, nicht stehen bleiben, komm weiter!“, befahl sie. Das Pony setzte wieder an. Jamil zog mit aller Kraft mit, aber das Kamel bewegte sich keinen Millimeter. Es war wie verhext. Nach ein paar Fehlversuchen gaben sie schweißüberströmt auf.

„Es hat keinen Wert. Merlin schafft es nicht“, keuchte Jamil gerade frustriert, als ganz in ihrer Nähe ein Schuss abgefeuert wurde. Der Schreck durchzuckte Mensch und Tier. Das Pony bäumte sich auf und zog dann mit aller Kraft an. Gleichzeitig ruderte das Kamel panisch mit seinen langen Vorderbeinen. Lahthan schaffte es, ein Stück weit aus dem Sand zu kommen. Svartur und Jamil legten sich so ins Zeug, dass das eingesunkene Tier bald darauf Halt fand und unter größter Anstrengung hinausklettern konnte. Durch den plötzlichen Ruck fielen Franzi und Jamil kopfüber hin. Der Junge jubelte und warf Sand in die Höhe.

„Wir haben es geschafft. Juhu, wir haben sie beide wieder.“ Er krabbelte zu Franzi und umarmte sie herzlich. „Danke, vielen Dank. Ohne dich und dein Zauberpony hätte ich es niemals geschafft.“

„Merlin, Merlin, mein Zauberpony hat‘s geschafft“, sang Franzi lachend und kugelte sich im Sand. Gemeinsam alberten sie herum, während Lahthan vollkommen entkräftet da stand und zitternd hechelte.

Plötzlich verstummten die Jugendlichen und blickten sich tief in die Augen. Franzi kam das alles so vertraut vor. „Darf ich dich mal küssen?“, fragte sie, weil sie testen wollte, ob der Junge Olli war.

„Küssen?“, fragte der Beduine mehr als erstaunt, während er in ihr sandiges Gesicht blickte. „Nein, lieber nicht, wir müssen weiter.“

Franzi war die Abfuhr peinlich, sie sprang auf und machte sich an Svarturs Sattel zu schaffen.

Bin ich bescheuert, ihn so etwas zu fragen? Er sieht doch nur aus wie Olli. Was wird er jetzt von mir denken? In seiner Kultur muss man ja dann gleich heiraten ... Manchen Mädchen wird im Kindesalter schon ein Ehemann ausgesucht.

Franzi ärgerte sich unheimlich über ihre Dreistigkeit. Das Blut pochte in ihren Wangen. Er sieht Olli doch nur ähnlich, Jamil ist viel schweigsamer und nicht so lustig.

Sie schüttelte über sich selbst den Kopf. Sie hoffte, er würde es ihr nicht übelnehmen. Wie oberpeinlich ...

Jamil hatte den Vorfall schon vergessen. Er hatte andere Probleme, als darüber nachzudenken, ein Mädchen zu küssen oder nicht. Hier, zwischen den Treibsandfeldern, waren sie vor den schwarzen Räubern sicher und konnten unbesorgt eine Pause machen, bis sich die Tiere ausgeruht hatten. Irgendwie wollte aber kein Gespräch mehr in Gang kommen und Franzi versuchte, ein wenig zu schlafen. Jamil saß nachdenklich daneben. Wie würde Zahra wohl auf seine sogenannten Freunde reagieren, die aus seinen Schwestern, Cousinen und kleinen Cousins, Großeltern, Tanten und Onkel bestanden? Und wie würde er eine Schlacht mit Frauen und einigen Alten gegen viele starke Männer gewinnen können?

Der Junge band sich verzweifelt den Turban wieder um den Kopf. Seine große Familie bestand deshalb nur noch aus Alten, Kindern und Frauen, weil die jungen, kräftigen Männer alle in die Stadt geflohen waren, um dort in Ruhe zu arbeiten und zu leben. Sie wollten nichts mehr wissen von Traditionen, Entbehrungen und Hunger. Regelmäßig schickten sie Geld, um ihr Gewissen zu beruhigen, vermutete der Junge ärgerlich.

Aber war er nicht genau so? Er hatte auch vor, in die Stadt zu ziehen und zu studieren, aber vorher wollte er noch etwas erledigen und zwar gründlich.

Energisch stand er auf und legte Lahthan seine bunte Webdecke und den Sattel auf den Rücken. Dann setzte er sich zu Svartur, kraulte ihn und flüsterte ihm zu. Das Pony beugte den Kopf und hörte ihm aufmerksam zu.

Als Franzi die Augen aufschlug, erblickte sie den Jungen und das Pony. Es war ein harmonisches Bild. Sie schaute nach Lahthan. Der Kamelhengst stand schon gesattelt da.

„Reiten wir weiter?“, fragte sie und reckte sich den Rücken. Jamil nickte und packte den Rest zusammen. Franzi half ihm. Gemeinsam bestiegen sie das Trampeltier und ritten los.

„Was wollen die schwarzen Beduinen eigentlich von uns? Was haben sie davon, uns zu töten?“, erkundigte sich Franzi.

„Es sind einfach nur gemeine, hinterlistige Räuber, die alles stehlen, was ihnen vor die Flinte kommt.“

„Meinst du, die wollten uns echt erschießen?“

„Nein, sie wollen einem nur Angst machen und die Waren und Frauen rauben. Weil sie zu faul sind, selbst zu arbeiten und ihre Frauen ihnen alle weggelaufen sind. Sie sind eine Schande“, erklärte Jamil, mit Hass in der Stimme. „Wenn sie uns töten wollten, hätten sie es längst getan.“

„Aber als die Karawane angegriffen wurde, lagen einige Beduinen reglos im Sand“, erzählte Franzi.

„Sie springen vor Angst ab und lassen die Kamele flüchten. Später suchen sie die Tiere wieder. Wenn sie Glück haben, finden sie diese und können weiter reiten. Aber ein paar der wertvollen Tiere und Waren fallen den Räubern immer in die Hände. Deshalb bezahlen manche Karawanen Schutzgelder und haben somit keinen Angriff zu fürchten.“ Franzi verstand. „Warum bekämpft ihr sie nicht?“, fragte sie weiter.

„Was meinst du, was ich vorhabe?“, fuhr er sie an. „Aber die haben die besseren Waffen und es sind Männer!“

Franzi dachte nach: Irgendwas wird mir schon einfallen, um meinem ruppigen, aber äußerst attraktiven Retter zu helfen.

Schweigend ritten sie durch die karge Einöde. Ab und zu begegneten sie einer Echse, die bewegungslos auf dem heißen Sand lag. Spuren von kleinen Säugetieren, wie Spring- oder Rennmäuse durchquerten die gelbe Einöde. Die Sonne hatte ihren Höchststand schon erreicht und setzte ihre Runde unbarmherzig fort. Franzis Härchen in der Nase schienen zu glühen, so heiß war die flimmernde Luft. Aus Angst innerlich zu verbrennen, sog sie den Atem nur flach ein. So eine mörderische Hitze hatte sie noch nie erlebt.

Bis zum Abend geschah nichts Unerwartetes mehr und nach der letzten größeren Rast reisten sie weiter. Langsam dämmerte es und die Sonne schwamm mitten in einem glutroten Meer am Horizont. Franzi konnte ihren Blick nicht von dem faszinierenden Naturschauspiel lassen. Jamil hatte kein Auge dafür übrig. Er grübelte wieder. Eine Sorgenfalte zog sich senkrecht über seine Stirn und endete zwischen den breiten schwarzen Augenbrauen.

„Wenn wir so zügig weiterkommen, sind wir morgen früh im Lager“, meinte er nach einer Weile.

„Das wäre schön. Mir tun schon alle Muskeln weh. Vor allem der Rücken und unterhalb ...“, begann Franzi zu jammern.

„Wir leben und unseren Tieren geht es gut. Wir haben Wasser und Nahrung“, fiel ihr der Junge forsch ins Wort. Franzi nickte. Gut, dass er nicht die Röte bemerkte, die ihr in die Wangen stieg. Sie nahm sich vor, nie mehr vor Jamil zu jammern.

Er ist doch nicht wie Olli, stellte sie gekränkt fest.

Franzi lenkte sich mit den neugierigen Gedanken ab, was sie im Lager erwarten würde. Wie seine Freunde wohl waren? Ob diese sie als Mädchen akzeptieren würden? Wie sie lebten, was sie aßen, ob und wie sie sich wuschen, was sie in ihrer Freizeit machten und wie sie sich schützten? Wie sie aussahen und sich kleideten?

Naja, bald werde ich es wissen. Ich bin schon ganz aufgeregt.

Franzi sorgte sich nicht um ihre Zukunft, solange sie bei dem jungen Beduinen war. Bei ihm fühlte sie sich wohl und beschützt, auch wenn er manchmal ein wenig ruppig war.

Franzi und die Ponys - Band V

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