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Fünftes Kapitel. Im tiefen Keller

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Rudolf war durch den Sturz in die Tiefe ohnmächtig geworden und bewegungslos an der Kellertreppe liegen geblieben. Der Räuber hatte ihn bis zum zweiten, noch tieferen Kellerloche geschleppt, hinter ihm die dicke, mit Eisen beschlagene Tür zugeschlagen und sich darauf wieder zu der Einäugigen begeben, um mit ihr über den Einbruch, vielleicht gar Mord, in der Allee des Veuves zu beraten.

Eine Stunde war reichlich verstrichen, als Rudolf wieder langsam das Bewußtsein wiedergewann. Um ihn herum lagerte tiefe Finsternis. Als er die Arme ausstreckte, um sich einigermaßen zu orientieren, traf er auf Steine. Zu seinen Füßen griff er in etwas Kaltes, das nichts anderes war als eine Wasserpfütze. Nach allerhand Mühen glückte es ihm, sich auf die oberste Stufe hinauf zu arbeiten. Die Betäubung wich langsam von ihm, er versuchte, sich ein paarmal zu bewegen, dann lauschte er, hörte aber weiter nichts als ein fortwährendes gleichmäßiges Rauschen, dessen Ursache er alsbald erriet: es rührte von dem in den Keller eindringenden Wasser her. Die Seine hatte Hochwasserstand, und der Keller, worin er sich befand, lag auf Ueberflutungsterrain.

Diese unmittelbare Lebensgefahr gab Rudolf all seine Stärke wieder. Blitzschnell war er die ganze Treppe hinauf gerutscht. Oben stieß er gegen eine Tür, gegen die er sich mit aller Wucht seines Körpers stemmte, aber sie rührte sich nicht in ihren Angeln. In dieser verzweifelten Situation wanderten seine Gedanken zu Murph ... »Ist er nicht scharf auf seiner Hut,« dachte er schaudernd, »dann fällt er diesem Unhold sicher gleich mir zum Opfer, und niemand anders als ich ist davon Ursache ... Armer Murph!« – In der Hoffnung, in dem Keller einen Gegenstand zu finden, der sich als Hebel benutzen lassen möchte, stieg er die Kellerstufen wieder hinunter. Auf der vorletzten Stufe stieß er mit dem Fuße an ein paar weiche Körper: Ratten! Sie waren vor dem Wasser aus ihren Löchern gewichen. Bis an die Kniee im Wasser stehend, suchte er in dem Keller überall herum, ohne daß es ihm gelang, etwas zu finden. Am Leben verzweifelnd, stieg er langsam die Treppe wieder hinauf. Er schrie aus Leibeskräften, in der Hoffnung, die Gäste oben möchten ihn hören; aber nichts, nichts, als das schwache, ununterbrochene Rauschen des ständig steigenden Wassers drang zu seinen Ohren. Nur fünf Stufen waren noch frei von Wasser. Richtete sich Rudolf an der Tür in die Höhe, stieß er mit der Stirn an die Decke. Wann ihn der Tod ereilte, ein langsamer, schrecklicher Tod, das ließ sich fast auf die Sekunde berechnen. Und immer höher hinauf flüchteten sich die Ratten, auf der Suche nach einem Ausgang, den sie gleich ihm nicht finden konnten. An seinen Kleidern kletterten sie in die Höhe. Wenn er sie von sich streifen wollte, bissen sie ihn in die Hände. Beim Sturz in den Keller war seine Bluse aufgerissen worden, an den nackten Stellen seiner Brust suchten die ekelhaften Tiere Zuflucht, und so oft er sie von sich schleuderte, ebenso oft kamen sie auch wieder an ihn heran.

Immer und immer wieder schrie er nach Hilfe, aber niemand hörte ihn, und was ihn jetzt mit unsagbarem Entsetzen erfüllte, war die Gewißheit, daß er bald nicht mehr die Kraft haben würde, zu schreien, denn schon reichte ihm das Wasser bis an die Brust. Wie lange würde es noch dauern, dann hätte es eine Höhe gewonnen, daß es ihm bis an den Mund reichte!

In diesem letzten Augenblicke, vor der Nähe eines gräßlichen Todes, gedachte er noch einmal all jener Umstände, die ihn bewogen hatten, sich auf ein erhabenes Unternehmen einzulassen, das seine beiden Leidenschaften: die Liebe zum Guten und den Haß gegen alles Schlechte, befriedigte, ihm aber auch Buße für die eigenen Vergehen sein sollte. Aber er fiel nicht darob in Verzweiflung, sondern ertrug sein grauses Geschick mit Demut und Unterwürfigkeit, wenn er sich auch, so lange noch der Lebensinstinkt in ihm arbeitete, sich mit aller Kraft seines Geistes gegen den Tod wehrte. Es wurde ihm zu mute, als drehe er sich um sich selbst: Schwindel befiel ihn und riß seine Gedanken in seine raschen, schrecklichen Wirbel hinein; das Wasser brauste ihm in den Ohren, und eben wollte der letzte Schimmer von Verstand in ihm verlöschen, als sich neben der Kellertür eilige Schritte und Stimmengeräusch vernehmen ließen ... Er fand die Kraft nicht mehr, sich aufrecht zu halten, sondern glitt tiefer und tiefer in das noch immer steigende Wasser hinunter ... Da wurde die Kellertür aufgesprengt. Das Wasser schoß mit gewaltigem Druck in die entstandene Oeffnung hinein, und Schuri packte Rudolf an beiden Armen, um ihn im letzten Augenblick vorm Tode, des Ertrinkens zu retten.

Die Geheimnisse von Paris

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