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Viertes Kapitel. Tom und Sarah.

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Sarah Seyton, verwitwete Gräfin Mac Gregor und etwa 37 bis 38 Jahre alt, war die Tochter eines vornehmen schottischen Landedelmannes, von vollendeter Schönheit, aber stolz und ehrgeizig fast bis zum Wahnsinn, seitdem ihr durch eine alte Frau aus dem Hochlande, die sie eine Zeitlang bedient hatte, der Besitz eines Thrones verheißen worden war. Ihr Bruder Tom war nicht minder abergläubisch wie sie, bestärkte sie in ihren Hoffnungen und lebte fast nur noch der Verwirklichung dieses Phantoms, war jedoch keineswegs so verblendet, nur auf einen Thron ersten Ranges zu spekulieren, sondern in seinem Sinne auch zufrieden mit dem eines Reiches von sekundärer Bedeutung, wenn es nicht anders ging, auch eines Fürstentums, möglichst freilich eines von souveränem Range. Nun hatte Deutschland damals eine recht große Menge von jungen präsumptiven Thronerben. Sarah war protestantischen Glaubens, und Tom war es recht gut bekannt, daß es deutschen Fürsten keine große Schererei machte, eine Ehe zur linken Hand einzugehen. Der Entschluß, nach Deutschland zu gehen, war mithin schnell gefaßt, und da Sarah mit Schönheit und Eleganz die mannigfachsten Talente vereinte, über einen gewandten, lebhaften Geist und eine große Gabe, sich zu verstellen, verfügte, so fiel es dem Geschwisterpaare nicht schwer, nach einem etwa sechsmonatigen Aufenthalt in Paris, wo sie manches von ihrer britischen Zugeknüpftheit verlernten, die Bekanntschaft des alten Marquis von Harville machten, der in England mit ihrem Vater bekannt geworden war, und sich des Wohlwollens der Gemahlin des englischen Gesandten versichern konnten, in Deutschland Fuß zu fassen. Das erste Ländchen, das im Reiseplane des Geschwisterpaares vermerkt worden war, war das Großherzogtum Gerolstein, wohin es sehr gute Empfehlungsschreiben besah, und dessen mutmaßlicher Thronfolger Gustav Rudolf kaum achtzehn Jahre zählte. Die Ankunft der jungen schottischen Edeldame an dem stillen, ernsten, streng patriarchalischen Hofe war halb und halb ein Ereignis. Der Großherzog war seinem Ländchen ein weiser Regent, und man hätte sich ein glücklicheres Leben, als dort herrschte, kaum denken können. Gegen den alten Marquis von Harville fühlte er Liebe und Dankbarkeit im Herzen, seit ihm dieser im Jahre 1815 bedeutende Dienste geleistet hatte, und da Tom und Sarah von ihm ein warmes Empfehlungsschreiben mitbrachten, wurden sie begreiflicherweise am Gerolsteiner Hofe mit offenen Armen aufgenommen. Schnell hatte Sarah den festen, loyalen Sinn des Herrschers erkannt, und ehe sie sich um den Sohn bemühte, der ihr sicher zu sein schien, hielt sie es für richtiger, sich das Wohlwollen des Herrn Papa zu erwerben. Sehr bald aber sollte sie sich überzeugen, daß dieser, mit so großer Liebe er auch an dem Sohne hing, von gewissen Grundsätzen über Fürstenpflicht und Dynastie-Gesetzen unter keinen Umständen abweichen werde. Schon trug sie sich mit der Absicht, von ihren Plänen Abstand zu nehmen, da machte ihr Bruder geltend, daß Rudolf ja noch sehr jung sei, daß ihm allgemein Sanftmut und Herzensgüte nachgerühmt werde, daß er für schüchtern, träumerisch und unentschlossen gelte, und dadurch ließ sie sich bestimmen, noch in Gerolstein zu bleiben und den Dingen Zeit zur Entwickelung zu lassen. Sie wußte jedermann für sich zu gewinnen, und wurde bald der Abgott des greisen Großherzogs, wie auch von dessen noch lebender Mutter, der verwitweten Großherzogin Judith, die zwar schon 96 Jahre zählte, aber noch immer Sinn und Geschmack für alles Junge und Schöne hatte.

So oft das Geschwisterpaar von Abreise sprach, immer wußte die alte Großherzogin ihrem Sohne vorzustellen, daß er alles tun müsse, es an seinen Hof zu fesseln, da sie Sarah nicht mehr entbehren könne. Dadurch kam es, daß Baronet Tom Seyton of Halesbury zum ersten Stallmeister am großherzoglichen Hofe, zum argen Verdruß aller einheimischen, wahrlich nicht eben geringen Reflektanten, erhoben wurde. Darüber war das erste Vierteljahr verstrichen, und noch immer war kein Wort über Rudolf gefallen, der kurz nach der Ankunft des Geschwisterpaares mit einem Adjutanten und seinem Getreuen, dem Baronet Murph, zu einer Truppen-Inspektion hatte abreisen müssen. Das war für Sarah ein günstiger Zufall, denn sie gewann dadurch Zeit, die Fäden zu ihrem Gewebe zu ordnen, ohne die Aufmerksamkeit des Großherzogs unmittelbar auf sich zu lenken, was durch etwaige Aufmerksamkeiten des jungen Prinzen gegen sie leicht hätte der Fall sein können.

Die Geheimnisse von Paris

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