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ОглавлениеEINLEITUNG UND HISTORISCHER ÜBERBLICK 1610-1672
Ich, Salaün Lebrenn, Sohn Stephans und Enkel Antonicqs, der die Legende Die Taschenbibel vollendete, die dessen Großvater Christian der Buchdrucker begann, habe den folgenden Bericht geschrieben.
Dir, Alain Lebrenn, meinem Jüngsten, dem Kind meiner alten Tage, überlasse ich, da die Reihe an mir ist, meinen Bericht; er führt unsere plebejischen Annalen fort. Den Seiten ist der Kopf eines Schmiedehammers beigelegt, der die Reliquiensammlung unserer Familie vermehren soll, die du zusammen mit unseren Annalen an deine Nachfahren weitergeben wirst, so wie unsere Vorfahren diese an uns weitergegeben haben.
Mein Großvater Antonicq Lebrenn starb am 11. November 1616 im Alter von 67 Jahren. Er hatte seit dem Ende der Herrschaft Heinrichs IV. anno 1610 seinem Text nichts mehr hinzugefügt. Antonicqs Sohn Stephan war 23 Jahre alt, als sein Vater starb. Er führte als Pächter den Hof in Karnak weiter, der dem Lehen Mezléan angehört, und Eigentum der Herren von Plouernel ist. Nach Gewohnheitsrecht und einer gewissen Anzahl von Jahren wurde er zum Vasallen der Herrschaft. Er heiratete 1619 mit 26 Jahren und hatte in dieser Ehe 2 Söhne; mich, Salaün, geboren 1625, und meinen Bruder Gildas, geboren 1628. Stephan, unser Vater, der zwar gut, doch zaghaft und resigniert war, ertrug die Nöte, die Schmach, die Leiden seines Vasallenstatus, ohne sich zu beklagen außer bei unserer Mutter oder bei uns. Er verstarb mit 58 Jahren, am 13. Februar 1651. Mein Bruder Gildas, ebenso gut, zaghaft und resigniert, übernahm vom Vater den Pachthof Karnak, der an der armorikanischen1, sprich, an der bretonischen Küste liegt. Nicht ganz so fügsam wie Gildas, einer außergewöhnlichen Neigung zur Seefahrt folgend und seit meiner Kindheit den Ozean vor Augen, heuerte ich, ein 15-Jähriger, zu Lebzeiten meines Vaters, und mit seiner Erlaubnis, als Schiffsjunge auf einem der Handelssegler im Hafen Vannes an, in der Nachbarschaft der Meierei Karnak. Ich fuhr lange Zeit zur See, brachte es bis zum Frachtoffizier, später bis zum Kapitän eines Handelsschiffes. Dank meines Gewerbes und meiner Einkünfte konnte ich anschließend ein kleines Schiff kaufen und trieb auf eigene Rechnung Handel. Meine erste Ehe schloss ich 1646 mit meiner sanften und lieben Janik Tankerù, der Schwester eines Schmiedes aus Vannes. Meine teure, verstorbene Frau machte mein Leben so glücklich, soweit sie dies vermochte. Ich glaube, ich habe Janik das Glück, das ich ihr verdankte, vergolten. Sie schenkte mir 1651 einen Sohn; wir nannten ihn Nominoë. Ach! Ich sollte ihn überleben!… Ihr werdet seine traurige Geschichte in der Erzählung lesen, die ich euch hinterlasse, Söhne Joels.
Bevor ich mich diesem leidvollen Bericht zuwende, möchte ich nach der Gewohnheit derer von uns, die von Epoche zu Epoche unsere Annalen fortgeführt haben, in Kurzform die wichtigsten allgemeinen Ereignisse vom Tod Heinrichs IV., der Zeit, in der die Legende meines Vorfahren endet, bis zur Anfangsphase der Regentschaft Ludwigs XIV. einbringen.
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Nach der Ermordung von Heinrich IV. bestieg 1610 sein Sohn Ludwig XIII. als Kind den Thron. Maria de Medici, die Mutter des Kindkönigs und Reichsregentin, war damals 33 Jahre alt. Schön, unnahbar, träge, begeisterte Katholikin und begeisterte Hure, hatte sie, neben anderen, Concini zum Geliebten, einen italienischen Schmeichler, groß, gut gebaut, geschickt in allen Leibesübungen. Sittsam zu Lebzeiten Heinrichs IV., wurde die Frechheit dieses Günstlings mit dem Tod des Königs grenzenlos; die höchsten Herren mussten ihn hofieren. Mit Problemen des Staates befasste er sich allerdings wenig, dachte nur daran, seine Verschwendungssucht zu befriedigen, dank ansehnlicher Summen, die er von der Königin bekam. Éléonore Galigaï hieß die Frau dieses Schurken. Geschmeidig, gewandt, verschlagen, begünstigte sie den ehebrecherischen Umgang ihres Gatten mit Maria de Medici, und nutzte ihren enormen Einfluss auf diese, um sich zu bereichern, auch um ihre Kreaturen in die höchsten Ämter des Königreichs zu befördern. Die Provinzgouverneure, die nicht länger durch Heinrich IV. gezügelt waren, schwangen sich zu gleich vielen, von der königlichen Macht unabhängigen Tyrannen auf, deren Missetaten an die scheußliche Epoche des Mittelalters erinnerten. Ihre Unterstützer und Handlanger waren Adlige, die dem Waffenhandwerk frönten. Angeworben für einen einzigen Feldzug und danach sehr bald wieder entlassen, konnten sie nur überleben, indem sie sich in den Sold der Provinzgouverneure stellten. Diese bezahlten, kleideten, ernährten und beschützten ihre Gäste, unter der Bedingung einer völligen Ergebenheit und eines blinden Gehorsams, wodurch sie zu Instrumenten der Willkür und Rache ihrer Vorgesetzten wurden, auf deren Order sie gegen benachbarte Gouverneure, wenn nötig auch gegen das Königtum zu Felde zogen. Unter diesen, für Anarchie so idealen, in Anbetracht der Jugend der Prinzen beinahe unvermeidlichen Bedingungen wurde Ludwig XIII., geboren am 27. September 1601, am 14. Mai 1610, folglich als Kind, in Reims von Kardinal Joyeuse gekrönt.
So geht es zu in den Monarchien! Ein Zwerg von 8 Jahren wird allen Ernstes zum König bestimmt, die Mutter regiert an seiner Stelle, und in Wahrheit tut es häufig der Liebhaber der Mutter; auch Concini, der Günstling Maria de Medicis, herrschte einige Zeit. Wie es Rom, das Imperium2 und Spanien voraus gesehen hatten, wurde Sullys weitläufiger Plan, der, um den weltweiten Frieden zu sichern, zur Gründung der Christenrepublik neigte, durch die Ermordung von Heinrich IV. zunichte gemacht. Sein großer Minister fiel in Ungnade, und alle Vorbereitungen zum Kampf gegen die katholischen Kräfte wurden eingestellt. Maria de Medici, die sich mit ihrer Großzügigkeit an die Prinzen der Königsfamilie verausgabte und die grausame Despotie der Provinzgouverneure duldete, gelang es mit Hilfe dieser Zugeständnisse, den obligaten Ärger mit den minderjährigen Prinzen bis 1614 aufzuschieben. Die Insolenz ihres zum Marquis und Marschall d’Ancre avancierten Favoriten Concini, die unersättliche Gier seiner Ehefrau Galigaï, die Verachtung, die Abneigung, die Maria de Medici allen einflößte, ihrer Exzesse und der dunklen Pläne wegen, derer man sie verdächtigte, so die Vergiftung ihres Sohnes Ludwig XIII., um nach ihm die königliche Amtsgewalt zu erhalten, zu guter Letzt die exorbitanten Steuerlasten, ließen erneut den Bürgerkrieg ausbrechen. Ein Teil des Hochadels zog sich auf seine Besitzungen zurück. Die Provinzgouverneure waren die Ersten, die das Zeichen zum Aufstand gaben; die einen konspirierten mit dem Ausland, die anderen verbündeten sich gegen die Regentin. Einige hatten nur im Sinn, das Territorium ihrer Gouvernements, das sie ja als Erbgut ansahen, auf Kosten ihrer Nachbarprovinzen zu vergrößern. Nach 2 Jahren Bürgerkrieg, an dem sich der Fürst Condé, die Ducs Guise, Mayenne, Vendôme, Nevers, Rohan und weitere hohe Herren beteiligen, ist nach häufigen Rückschlägen die Hofpartei im Vorteil. Fürst Condé kommt in die Bastille. Richelieu, der Bischof von Luçon, gibt ein recht geschicktes Memorandum zugunsten der Königin heraus, worin er offenlegt, dass Fürst Condé Ludwig XIII. entthronen wollte, und dass der Aufstand der Grundbesitzer keine andere Ursache hatte als ihre unbefriedigte Habsucht. So weist Richelieu nach, dass über 6 Jahre hinweg von der Königin erhielten: der Fürst de Condé 3.600.000 Livres3, Monsieur und Madame de Conti 1.400.000 L., Monsieur de Guise 1.700.000 L., Duc de Nevers 1.600.000 L., Duc de Longueville 1.200.000 L., Monsieur de Mayenne und sein Sohn 2.000.000 L., Duc de Vendôme 600.000 L., Duc d'Épernon nebst Kindern 700.000 L., Monsieur Bouillon 1.000.000 L. etc. etc.
Diese gigantischen Summen, verschwendet an den Blutadel, an diese hohen Herrschaften, über die Steuer brachte man sie auf; aber auf wem ruhte letztendlich die Steuerlast?… Leider immer nur auf Jaques Bonhomme4! Ludwig XIII. befahl die Beschlagnahme der Güter jener Aufrührer, schickte 3 Armeen gegen sie aus, doch ohne relevante Siege zu erringen. Die Abneigung, die allen das unverschämte Glück Concinis, des Günstlings der Königin, einflößte, wurde von Ludwig XIII. insgeheim geteilt. Seit Langem verabscheute er den weichen, argwöhnischen, zaghaften und grausamen Günstling seiner Mutter. Er wagt es nicht, diesen Hass ganz offen zu zeigen, beschließt jedoch eines Tages als König der besseren Art, den Mann, den er hasst, ermorden zu lassen; er bittet Monsieur de Vitry, einen der Hauptmänner seiner Garde, zu sich und bietet diesem, unter der Bedingung, Concini zu töten, den Stab eines Marschalls von Frankreich an; der Handel ist perfekt. Monsieur de Vitry vereinigt sich mit seinem Bruder und mehreren willigen Adligen, und der Marschall d’Ancre wird am 24. April 1617 auf der Drehbrücke gegenüber dem Louvre erschossen. Als vorausschauende Mörder plündern sie zuerst die Leiche, dann die Wohnung mit den Juwelen des Maréchal d'Ancre5. „Durch Euch, meine Freunde, bin ich jetzt König!“, sprach Ludwig XIII. zu Monsieur de Vitry und seinen Mordgenossen, wie es Heinrich III. zu Loignac und den Fünfundvierzig6 nach der Tötung des Narbengesichts gesagt hatte. Maria de Medici wurde auf Befehl ihres Sohnes in ihrer Wohnung gefangen gehalten. Die Witwe Concinis, Eléonore Galigaï, wurde enthauptet, ihre Leiche anschließend verbrannt. Auf die Herrschaft des Günstlings der Königin folgte die Herrschaft des Günstlings des Königs, eines hübschen Jünglings, Hauptmann der Falknerei Albert de Lynes. Er hatte einen unumschränkten Einfluss auf Ludwig XIII., welcher damals 15 1/2 Jahre alt, nach der Tötung des Geliebten seiner Mutter, die er später verstieß, rasch wie ein braver Junge zu seinen Hobbys zurückkehrte, die darin bestanden, Kupferstiche zu kolorieren, die Trommeln zu schlagen, auf dem Waldhorn zu blasen, aus Federkielen kleine Fontänen zu basteln; einfache Spiele, geteilt mit von Anna von Österreich, die ebenso jung war wie der Kindkönig, mit dem sie 1 Jahr zuvor vermählt wurde. Von ihrem Sohn im Schloss Blois gefangen gehalten, gelang Maria de Medici 1619 die Flucht mit Hilfe des Duc d’Épernon, des Todfeinds von de Luynes. Dieser Günstling Ludwigs XIII. glich dem Marschall d’Ancre an Dreistigkeit und provozierte gleich ihm den Abscheu des Adels. 1620 entflammt ein weiterer Bürgerkrieg. Maria de Medíci, ein rührendes Beispiel für echte Familienharmonie, wie es die royalen Geschlechter der Welt so häufig geben, Maria de Medici schließt sich den Querulanten an, die sich gegen ihren Sohn rüsten und vom Duc de Longueville befehligt werden. Auf Anraten des aus der Bastille entlassenen Condé marschiert der König gegen die Rebellen, die in der Normandie im Feld liegen, schlägt sie am 8. August bei der Brücke von Cé in die Flucht; die Königin unterwirft sich ihrem Sohn, bittet ihn um Frieden, der am 13. unterzeichnet wird. Die Ducs d'Épernon und de Mayenne, die Führer der Revolte, unterwerfen sich zugleich. Seit dem Tod Heinrichs IV. hält man sich nicht mehr an das Edikt von Nantes7 ; wieder werden die Reformierten grausam verfolgt; wieder sind sie genötigt, zu den Waffen zu greifen, um ihre Leben zu verteidigen. Sicherheitsplatz der Protestanten war noch immer La Rochelle. Dorthin ziehen sich die Anführer der Hugenotten zurück, organisieren den Widerstand ihrer Gruppierung, versuchen erneut, eine republikanische Föderation zu gründen. Die Provinzen, in denen sie die Mehrheit bilden, teilen sie in 8 Kreise oder Bezirke, nominieren für alle Kreise einen Führer der Bewegung und erheben sich am verabredeten Tag bewaffnet gegen das Königtum. Der Duc de Rohan, zum Kommandeur der Guyenne und des oberen Languedoc gewählt, nimmt an dem Feldzug teil, so wie dessen Bruder, der Duc de Soubise. Ludwig XIII. und sein Günstling de Luynes, nunmehr Connétable8, schließen am 18. Juni Montauban ein, aber nach 3 Monaten der Belagerung und erheblichen Verlusten zieht sich die königliche Armee vor dem Duc de Rohan zurück, den man zum Generalissimus der Reformierten Kirchen ernannt hatte. Er schien das militärische Genie und die Talente Colignys geerbt zu haben. Nach einigen Siegen erzwingen die Hugenotten letztendlich mit Gewalt die Wiedereinführung des Edikts von Nantes und bewahren dadurch ihre Sicherheitsplätze Montauban und La Rochelle; allein zu diesen Konditionen legen sie die Waffen ab, schließen am 9. Oktober 1623 Frieden. Er sollte nicht lange währen, da die Protestanten noch gegen einen ihrer schlimmsten Feinde zu streiten hatten, nicht in religiöser Hinsicht, denn dieser Priester sorgte sich so wenig um Messen und Predigten wie Heinrich IV., dafür umso mehr um die politische und republikanische Richtung des Protestantismus. Dieser gefürchtete Mann war Armand Duplessis, Kardinal Richelieu, der, bereits nach 2 Jahren zum königlichen Rat Ludwigs XIII. berufen, Bischof zu Luçon, Kirchenfürst und erster Minister wurde. Als Liebhaber Maria de Medicis, wie es Concini war, verdankte Kardinal Richelieu der Lasterhaftigkeit dieser Königin den Beginn des außergewöhnlichen Glücks, das er mit seinem Genie krönte; ein unvollständiges Genie, oft verblendet, hochfahrend, unbarmherzig, jähzornig, abnorm, doch mächtig; begabt mit absoluter Selbstkontrolle, mit einem eisernen Willen, mit einem ungewöhnlichen Scharfsinn, mit Selbstvertrauen; ein Menschenverächter, ein wendiger und biegsamer Diplomat, ein Schattenunterhändler und Verderber, skrupellos in der Wahl seiner Mittel und in deren Natur, und wie Ludwig XI. zu Gräueltaten fähig, nicht aus angeborener Mordlust, aber aus Kalkül in politischen oder privaten Belangen; Prunk, Geld, Genuss und Verschwendung liebend, die Staatskasse schamlos plündernd, dass er nach dem Tod seinen Erben 200 Millionen hinterließ, war Kardinal de Richelieu, der Meister Frankreichs, auf seine Art und aus persönlichem Stolz wie aus Patriotismus bestrebt, das Land, das er despotisch regierte, groß zu machen. Er war der Plagiator der umfassenden Pläne Sullys und Heinrichs IV., aber nur insofern, dass er weiterhin Spanien und das Imperium durch Krieg demütigte. Hier stoppte sein inflexibler, schmaler Ehrgeiz. Dieser ungläubige Priester, dieser sittenlose Mann, dieser Egoist mit steinernem Herzen, dieser skeptische Verächter der Humanität, dieser kurzflügelige Politiker war außerstande, in die erhabenen Regionen des fruchtbaren, hehren Denkens Sullys vorzustoßen, der in der Erniedrigung Spaniens und des Imperiums, lange Zeit mit Frankreich verfeindete und rivalisierende Mächte, nicht ein teures und dürftiges Mittel zur Befriedigung von Nationalstolz, sondern das einzige Mittel sah, in Zukunft den Frieden, die Freiheit, die Einheit, den Reichtum und das Wohl Europas zu sichern, indem er es vor dem ruinösen Horror des Krieges durch Gründung der Christenrepublik bewahrt, deren oberster und Bundesrat alle Probleme friedlich regeln sollte, die zwischen den Völkern bislang mit Waffen entschieden wurden. Kardinal Richelieu schürte in Europa nie enden wollende Kriege, erschöpfte das Blut des Landes, erdrückte es mit Staatsabgaben, zehrte es aus, zu keinem anderen Zweck als dem vergänglichen Triumph des französischen Militärs, der sich auf unsichere Bündnisse ohne Zukunft gründete. Ein fataler Triumph! Die Niederlage knüpfte die Banden der Besiegten fester, ihre Rachsucht geriet zum Motiv und Vorwand für neue Kriege, die Sully und Heinrich IV. verhindert hätten, indem sie ihrem Gegner mehrere mächtige, in ihren höchsten Interessen eng miteinander verbundene Staaten gegenüberstellen.
Kardinal Richelieu wollte, ein durchaus rühmliches Bestreben, dem Handel, der Marine, der Industrie und der Landwirtschaft, wieder Sullys Beispiel folgend, einen spürbaren Impuls geben; doch im Konzept des großen Sully war alles logisch; er wusste, dass nur der Frieden eine Entwicklung in Industrie, Landwirtschaft und Handel gewährleisten kann; also wollte er Frieden um jeden Preis, gar um den Preis eines letzten Krieges in Europa, während Kardinal de Richelieu in der Schlacht nur auf die schrillen Fanfaren militärischer Ehren hörte, an denen sich sein Stolz berauschte. Es gab allerdings ein nützliches, beachtliches Werk, das er in beeindruckender Weise vollbringt, und nur er konnte es verrichten. Seine dunkle Despotie, seine gnadenlose Eifersucht auf jede mit der eigenen konkurrierende Macht, sein rasender Hass auf alle, die seine Autorität beeinträchtigen oder sich ihr widersetzen könnten, befähigten ihn zum Vorkämpfer, zum Zerstörer des Geistes der Rebellion unter den Gutsherren, den königlichen Gouverneuren und dem Blutadel, die seit vielen Jahren ein alt-feudales System rekonstruierten und das Land in desaströse Bürgerkriege stürzten, da sie zu den Waffen griffen, wenn sich das Königtum sträubte, ihre Souveränitätsansprüche anzuerkennen oder ihre Gier zu befriedigen. Kardinal Richelieu bewies ihnen, dass jeder Angriff auf die durch ihn verkörperte royale Macht den Tod des Rebellen nach sich zog, wie hoch der Schuldige auch gestellt war; selbst wenn er auf den Stufen des Throns geboren wäre… überzog er doch die Großen mit Terror, zerschmetterte sie aus seiner furchterregenden Position; einige ihrer Köpfe fielen unter dem Beil. Das war Gerechtigkeit! Aber im blinden Rausch seiner starren Despotie differenzierte dieser Priester nicht zwischen der Rebellion des Gutsherren, der weiterhin die Kleinen tyrannisieren und ungestraft ausbeuten will, und dem begründeten Aufruhr ruhiger und fleißiger Menschen, die zu einem legitimen, heiligen Widerstand getrieben wurden, um ihr und ihrer Familien Recht, Freiheit, Glauben und Leben zu verteidigen! Tja, der Kardinal Richelieu sah in ihrer Revolte gegen eine Macht, die ihnen trotz Verträge einen Glauben aufdrängen wollte, der nicht der Ihre war oder der sich willkürlich ihrer rechtlich anerkannten Religionsausübung entgegenstellte, ein Verbrechen. Ebenso verhielt es sich mit Richelieus Hass auf die Hugenotten. Er verachtete sie, fürchtete sie, weniger wegen ihrer Häresie, so doch wegen ihres republikanischen Denkens, entstanden aus der Doktrin der freien Prüfung9. Der Kardinal ist entschlossen, den Protestantismus zu vertilgen, und er lässt 1627 La Rochelle belagern, eine Festung der Reformierten; diese rüsten sich, um der neuen Belagerung mit dem gleichen Heldenmut standzuhalten wie ihre Ahnen bei jener von 1573… Sie wollen Kapitän Guiton zum Bürgermeister küren, einen unerschrockenen Korsaren; er lehnt dieses ab, man besteht darauf; und dann, den Dolch ziehend: „Ihr wollt es? So werde ich Bürgermeister sein; aber nur, wenn mir erlaubt ist, den Ersten, der von Übergabe spricht, zu erdolchen… man tue mit mir dasselbe, falls ich von Kapitulation zu reden wage. Dieser Dolch wird auf dem Tisch im Stadtrat liegenbleiben, bis zum Ende der Belagerung.“ Guiton hielt sein Wort. Der Defensivvorteil La Rochelles bestand vornehmlich in der freien Verbindung zwischen Hafen und Meer, ihr erinnert euch, Söhne Joels; die Stadt konnte sich so, stets mit Nahrung versorgt, einer Blockade entziehen, auch Munition und Verstärkung durch die Protestanten aus England erhalten. Richelieu unternahm ein bis dato beispielloses Werk: Er wollte mittels einer gigantischen, außerhalb der Reichweite der Kanonen der Belagerten etablierten Mole die Reede schließen, um La Rochelle vom Meer abzuschneiden; landseitig ließ der Kardinal auch einen riesigen Ringwall um die Stadt errichten, verstärkt mit Türmen und Bastionen, massiv wie die Ringmauern einer Festung. Derart vollkommen von Land und Meer abgeschnitten, würde eine grausame Hungersnot die Rochelois immer weiter dezimieren. Die englische Flotte versuchte 2 Mal vergeblich, die Mole, die den Hafen versperrte, durch Beschuss mit Kanonen zu zerstören; dann segelten die britischen Schiffe wieder ab und überließen La Rochelle seinem furchtbaren Los. Mehr als 12.000 Menschen waren bereits bei dieser Belagerung verhungert, und Maire Guiton bewahrte unerschütterlich seine Courage. „Wenn nur einer bleibt, um die Schlüssel der Stadt zu hüten… ich oder ein anderer; das genügt“, sagte Guiton. Getreu seinem Eid erdolchte er einen der Magistratsbeamten, der vorschlug, die Stadt zu übergeben, und lehnte ein Angebot zur Kapitulation als der Ehre der Rochelois unwürdig strikt ab, wie es unsere Väter 1573 taten!… Die Armee des Kardinals erwies sich den Gefangenen gegenüber genauso unerbittlich wie einst jene Karls IX. Der feige und grausame Ludwig XIII. betrachtete, um sich abzulenken, von der Höhe eines Fensters aus, verwundete Rochelois, die bei sengender Hitze ohne Wasser waren; Fliegen fraßen sich in die Wunden der Unglücklichen und Ludwig XIII. äffte die Zuckungen und Krämpfe derer nach, die inmitten dieser Torturen ihren Geist aufgaben. Als er eines Tages einen seiner Offiziere ausschickte, um eine Nachricht über Monsieur La Roche-Guyon zu erhalten, antwortete dieser, bereits dem Tode nahe: „Erzähle dem König, dass ich bald meine letzte Grimasse schneiden werde. Wie oft war ich ihm behilflich, die Grimassen sterbender Hugenotten nachzuäffen; jetzt kann er meine nachäffen.“ Dann, nach heroischem Widerstand, der beinahe 1 Jahr lang andauerte… die Straßen überhäuft mit Leichen, die zu bestatten den so gut wie toten Überlebenden die Kraft fehlte und welche die Pest in der Stadt verbreiteten, dachte Maire Guiton, Richelieus Bedingungen ohne Schande für die Rochelois anhören zu können. Mit Kutschen des Duc de Bassompierre brachte man die Abgesandten der Protestanten zum königlichen Lager, da ihre Erschöpfung ihnen nicht erlaubte, zu Fuß zu gehen… In ihrem Beisein schrieb der Kardinal am 23. Oktober 1628 eigenhändig die folgende Zusage: 'Den Bewohnern wird das Leben, die Nutzung ihrer Güter, die Vergebung ihrer Verbrechen und bis zu einem gewissen Grad, die freie Ausübung ihrer Religion zugesichert.' Königliche Truppen betraten die Stadt. Die Kirche der Protestanten wurde katholisch, La Rochelle Hauptsitz eines Bistums. Man schleifte alle Stadtbefestigungen, untersagte den Einwohnern den Besitz von Kriegswaffen oder Kriegsmunition. Die besiegten, aber keineswegs unterworfenen Hugenotten, unerschütterlich im Glauben wie in ihrem republikanischen Denken, erwarteten bessere Zeiten und rüsteten sich insgeheim für den nächsten Kampf zur Einforderung ihrer Rechte.
1630 ging der Krieg im Herzogtum Savoyen und gegen Spanien erfolgreich weiter; Richelieu erreichte mit diesem Feldzug sein Ziel: Er sicherte zeitweilig Frankreichs militärische Überlegenheit über Spanien und das Imperium, erhöhte unseren Einfluss in Italien mit der Wiedererlangung eines Passes über die Alpen für unsere Armeen im Falle neuer Kämpfe oder dem Anschluss der Herzöge von Savoyen und Mantua an den Bund mit Frankreich: Unterm Strich wertlose Erfolge, erkauft zum Preis enormer Kosten und furchtbarer, auf den Schauplätzen des Krieges entfesselter Desaster. Dem Kardinal wurde dieser verheerende Triumph angelastet, für den tausende Soldaten an Hunger und Pest starben. Trotz des Terrors, mit dem Richelieu die Großen schockt, revoltiert 1631 Gaston, der Bruder Ludwigs XIII., und Maria de Medici schließt sich dieser neuerlichen Revolte gegen ihren erstgeborenen Sohn an. Der Kardinal beruft das Tribunal ein, das die Komplizen der Königinmutter und Gastons, Duc de Orleans, aburteilt, und Maréchal de Montmorency wird am 16. Oktober 1631 enthauptet; Maria de Medici zieht sich nach Gent zurück. 1633 geht der Krieg gegen den Duc de Lorraine weiter; der König erklärt die Vereinigung des Herzogtums Bar mit der Krone. Die französische Armee nimmt Lunéville, belagert Nancy. Richelieu setzt seinen erbitterten Kampf gegen Spanien und das Imperium 1635 fort; er greift sie in Deutschland, in Italien, in den Niederlanden, in Katalonien an; im folgenden Jahr wird Frankreich selbst überfallen. Die Spanier, angeführt von Piccolomini und Jean de Vert, reißen Capelle, Catelet und Corbie an sich; der Herzog Karl von Lothringen und der spanische General Galas dringen in das Herz Burgunds ein und verwüsten es, während Admiral d'Aragon Saint-Jean-de-Luz einnimmt. 1637 beginnt eine neue Kampagne; Frankreich erobert mehrere verlorene Städte zurück. Anna von Österreich, die Gattin Ludwigs XIII., bringt am 5. September 1638 einen Jungen zur Welt, der unter dem Namen Ludwig XIV. regieren wird. Der Krieg gegen Spanien und das Imperium dauert an, als Mixtur aus Erfolgen und Rückschlägen; das öffentliche Elend erreicht seinen Höhepunkt. 1639 bricht wieder eine Jacquerie10 aus, die der Pieds-Nus11 oder Va-nu-Pieds, deren Ursache wie beim Aufstand der Croquants12 unter Heinrich IV. eine furchtbare Hungersnot ist. Man schickt Maréchal de Gassion gegen die Aufrührer aus; sie werden nahe Avranches nach einer hoffnungslosen Gegenwehr ausgelöscht. Das Roussillon13 fällt 1642 in französische Hände, die Spanier bleiben aber die Siegermacht in den Niederlanden. Am 5. Juli 1642 stirbt Königin Maria de Medici in Köln; am 4. Dezember desselben Jahres stirbt Richelieu in Paris, nachdem er durch die Exekution des Oberstallmeisters Cinq-Mars14 und des Monsieur de Thou, bezichtigt eines Komplottes gegen den Staat, seine Agonie erleichtert hat. Der Tod Richelieus, der, wie er selber sagte, alles unter seiner roten Robe verbarg, der sich zum Schatzmeister des Staates machte, der die Zellenschlüssel in den Händen hielt und die Galgen aufstellen ließ, löste einen allgemeinen Jubel aus, der ebenso groß war wie der allgemeine Schrecken zuvor. Die öffentliche Empörung war auf ihrem Höhepunkt, als bekannt wurde, dass Richelieu ein Erbe von mehr als 200 Millionen hinterließ, wovon ein Großteil seiner Nichte, der Duchesse d’Aiguillon zufiel, mit welcher dieser Pfaffe einen ehebrecherischen und inzestuösen Verkehr pflegte. Am 14. Mai 1643 starb Ludwig XIII. im Alter von 42 Jahren. Der träge König, dessen Hausmeier15 Richelieu war, hatte mit Anna von Österreich 2 Söhne: Ludwig XIV., geboren am 5. September 1638, und Philippe, Duc d'Orleans, geboren am 21. September 1640.
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Am 14. Mai 1643 wird Thronfolger Ludwig XIV., im Alter von 4 Jahren, auf den Armen seines Hofmeisters hochachtungsvoll in das Parlament getragen, und dieser Wicht vollzieht nach altem Brauch in Monarchien, dem allgemeinen Empfinden, der Würde der Völker zum Trotz, auf seinem Thronsessel hockend das, was lit de justice16 genannt wurde, wobei man die Regentschaft an Anna von Österreich überträgt, genau so skrupellos wie ihre Schwiegermutter Maria de Medici. Ein italienischer Prälat namens Mazarin, Richelieu hatte ihn oft bei heiklen Verhandlungen einbezogen, war nun der Liebhaber Annas von Österreich. Aalglatt, flexibel, verschlagen, ohne Glauben und Moral, sündig bis zur Verderbtheit, stolz, anmaßend, womöglich genuss- und geldgieriger als sein Lehrer, der Kardinal, doch ohne Visionen, ohne Tragweite, ohne Größe, alles durch List und Intrige ersetzend oder zu ersetzen glaubend; falsch, perfide, suggestiv, achtete dieser Mazarin vor allem darauf, sich ein Gefolge zu bilden und erwarb sich dieses durch seine kunstfertige Schönrednerei oder seine Freigebigkeit. Allzeit eifersüchtig diejenigen von der Königin fernhaltend, deren Einfluss er fürchtete, scheute er vor keiner Niedertracht zurück, um sie in Verruf zu bringen. Sonst überaus geistreich und ungewöhnlich diensteifrig, beherrschte er in seiner Doppelfunktion als Galan und erster Minister auch die Kunst, der Königin staatliche Dinge, die er mit ihr zu regeln hatte, verständlich und attraktiv darzustellen. Am 22. September 1602 geboren, war Anna-Maria von Österreich 41 Jahre alt beim Tod von Ludwig XIII. Groß, schön und gut gebaut, sorglos, wollüstig und fromm, stolz, eifersüchtig und hochfahrend, sah sie auch im kleinsten Hindernis für den royalen Absolutismus eine Beleidigung ihrer königlichen Majestät. Ludwig XIII. oder besser der sterbende Richelieu hatte die Macht der Regentin klugerweise beschränkt; diese Maßregel empörte sie; nicht, dass sie selbst hätte Macht ausüben wollen; die für ihre galanten Abenteuer veranschlagte Zeit und ihre Trägheit gestatteten ihr kaum, effektiv zu regieren, aber sie wollte die Macht an ihre Günstlinge weitergeben. Der Krieg gegen Spanien und das Imperium, begonnen von Richelieu, geht 1643 weiter; mit Erfolg, dank militärischer Genies wie Monsieur de Turenne und Fürst Condé; aber Steuerlasten und Elend in Frankreich werden untragbar, und Jacques Bonhomme rebelliert 1644 erneut. In der Rouergue, in der Dauphiné erheben sich die Bauern; die Insurrektion expandiert und erreicht gigantische Dimensionen, doch Militär und Henker zeigen den modernen Jacques, die der Exzess ihrer Not zum Äußersten trieb, was Recht ist. Nach langen und ruinösen Kriegen wird schließlich am 24. Oktober 1648 in Münster zwischen Frankreich und den anderen Kriegsparteien der Frieden besiegelt. Im gleichen Jahr begehrt das Königreich Neapel, des scheußlichen Jochs der Spanier müde, gegen diese auf, jagt sie nach Wundern an Tapferkeit davon, und errichtet, wohl wissend, was von Königen zu erwarten ist, eine Republik. In dem Jahr 1648 zitiert auch eines der mächtigsten Völker der Erde, England, kraft der Volkssouveränität seinen König Karl I. vor die Schranke des Unterhauses, macht dem Monarchen den Prozess, richtet ihn, verurteilt ihn rechtens zum Tod, lässt das Urteil vollstrecken und etabliert die Republik unter der Schirmherrschaft von Oliver Cromwell. Ihr seht, Söhne Joels, der alte republikanische Geist, der im letzten Jahrhundert eine Renaissance erlebte, als die religiösen Reformen das Recht der freien Prüfung bestätigte, der republikanische Geist, nachdem er sich in Frankreich tief verwurzelt und die Emanzipation der Sieben Vereinigten Provinzen Hollands gesichert hatte, deren Stärke und Reichtum immer mehr zunehmen, dieser republikanische Geist pflanzt sich fort, verbreitet sich und wird in diesem Jahrhundert zunehmend in Anwendung gebracht… Dennoch, trotz dieser beängstigenden Lektion für gekrönte Häupter, trotz des tödlichen Exempels des englischen Volkes, das nun, entschlossen, sich von jahrhundertelanger Tyrannei zu befreien und für seine Würde aufzubegehren, verhängnisvoll für den König und seine liebsten Interessen, diesen richtet und straft und mit der Proklamation der Republik, der Staatsform freier, aufgeklärter und tätiger Völker, die Kontrolle über sein Schicksal zurückgewinnt… ja, anstatt vor dem Geräusch des Beiles zu erschauern, unter dem der Kopf Karls I., ihres royalen Bruders fällt, hatte Anna von Österreich wegen ihrer Verschwendungssucht, ihres despotischen Stolzes, ihrer dreisten Missachtung des Elends in Frankreich, das auf seinem Höhepunkt war, dennoch während desselben Jahres 1648 neue Bürgerkriege provoziert; gewaltige Steuerlasten ruinierten Handel, Landwirtschaft, Industrie; das Stadtvolk hungerte, die Bauern litten; Vieh und Pferde wurden verhökert; die Gabelle17 nötigte die Bauern, Salz in Bar zu kaufen, als ihnen die Taille18, die zur Finanzierung des Aufwandes bei Hofe diente, ihnen ihren letzten Sou nahm. Man möchte es kaum glauben, aber während alle arbeitenden, produzierenden Klassen durch den Fiskus ausgepresst, ja ausgebeutet wurden, gab die Königin in diesem Jahr 1648 100.000 Écu für den Bau der Oper im Palais Royal aus!
Seit mehr als 50 Jahren hatte das Königtum die Generalstände nicht mehr einberufen. Ihre letzten, mehr und mehr vom republikanischen Geist durchdrungenen Versammlungen unter der Herrschaft Heinrichs III. hatten erklärt, Könige seien nur Präsidenten der Generalstände, und gegenüber der royalen Macht dürfe man nicht mehr mit Bittschriften vorgehen, sondern mit Beschlüssen. Also entledigte sich die royale Macht der lästigen Beobachter, indem man sie nicht mehr einberief, und legte die Steuern nach Gutdünken fest. Ein wenig Volksvertretung blieb erhalten, es sind die Parlamente, betraut mit der Registrierung königlicher Erlasse, wozu sich im Jahr 1648 das Parlament von Paris nur unter erheblichen Vorbehalten bereit erklären wollte, schockiert über das ruinöse Budget der Königin samt ihres Gefolges. Der Hof schäumt vor Wut! Anna von Österreich, aufgebracht, dass diese Kanaillen von Schreibern noch zögern, ihre Erlasse zu registrieren, begibt sich in Begleitung ihres Sohnes, des jungen Königs Ludwig XIV., am 15. Januar 1648 ins Parlament, überzeugt, dass dieses widerborstige Pack, eingeschüchtert durch die Präsenz ihrer Souveräne, es nicht wagen würde, das schlichte und einfache Registrieren der 5 Börsenerlasse zu verweigern, die zum Auffüllen der völlig trockenen Staatskasse notwendig sind. Wie gesagt, so getan. Der junge König, gesäugt am Busen mütterlicher Willkür, bereits ebenso frech wie überheblich, zieht mit großem Pomp ins Parlament ein, zusammen mit Anna von Österreich; diese legt mit erhobenem Haupt und gerunzelter Stirn wie Juno auf olympischen Höhen die zürnende Maske an, derweil der Kanzler des Königs den Bedarf seines Sire vorträgt. Omer Talon, der Generalanwalt des Parlaments, wendet sich einfach, würdevoll, mit diesen edlen und strengen Worten an den Kindkönig:
„Sire, seit 10 Jahren wird dieses Land ruiniert, sind die Bauern so verarmt, dass sie auf Stroh schlafen, ihr Mobiliar verkaufen, um Geld aufzubringen für die Steuer, die der Finanzierung des Luxus in Paris dient, die sie aber nicht mehr bezahlen können; Millionen verelendeter Menschen sind genötigt, sich von Hafer und Kleie zu ernähren. Diese Unglücklichen besitzen nichts als ihre Seele, das Einzige, was man nicht zu Geld machen kann. Den Stadtbewohnern werden, nachdem sie die Abgabe für den Lebensunterhalt und für das Winterquartier bezahlt, die Raten bezahlt, die Anleihen bezahlt, den royalen und den Kirchenzins entrichtet haben, weitere Taxen angedroht! Das Parlament soll neu geschaffene Ämter billigen und registrieren, die eine ewige Last für den Staat bedeuten, und sind sie einmal geschaffen, ist es das Volk, das sie pflegen und vergüten muss!“
Dann, sich Anna von Österreich zuwendend, fährt Omer Talon mit einer ernsten und bewegten Stimme fort:
„Madame, lassen Sie bitte das öffentliche Elend auf sich wirken und dann ihr Herz sprechen… Madame, denken Sie an die Not in den Provinzen; die Ehre gewonnener Schlachten, der Ruhm eroberter Territorien kann die, denen es an Brot mangelt, nicht ernähren!“
Anna von Österreich, empört über die verbindliche Schärfe der Sprache Omer Talons, verlässt das Parlament; sie sagt zu ihren Höflingen: „Sollten sie es wagen, die Registrierung der Erlasse abzulehnen… wir werden sehen!… Ich werde niemals zulassen, dass dieses Pack von Schreibern die Autorität des Königs, meines Sohnes, angreift.“
Mit Vorbehalt registriert das Parlament die Edikte, modifiziert diese aber so, dass sie nur beinahe wie neue Steuern aussehen; außerdem beschließt das Parlament aufgrund der Schwere der Umstände, dass sich je 2 Delegierte aus allen seinen Kammern treffen und über eine generelle Reform der öffentlichen Ausgaben beraten werden, auch über den Ersatz, wenn möglich aber die Einberufung der Generalstände, die schon lange ein Gegenstand der Sorge, Furcht oder Abneigung der Königsmacht sind. Als die Pariser die Fakten erfahren, gärt es, Unruhen entstehen und man rüstet sich, falls nötig durch Insurrektion die von den Parlamentariern geforderte Missbrauchsreform zu stützen. Die Königin weist ihre Delegierten an, sich aufzulösen; sie weigern sich. In der Hoffnung sie abzuschrecken, nimmt der Duc d'Orleans als Generalleutnant des Königreichs an ihrer Sitzung teil; sie stellen die Beratungen in seiner Gegenwart ein, nehmen sie nach seinem Verschwinden jedoch sofort wieder auf. Einer der eifrigsten Parlamentarier, Bachaumont, sagte: „Das Parlament verfährt also wie Schulkinder, die sich mit Steinschleudern bekriegen; die damit aufhören, wenn sie einen Wachmann sehen, und ihr Spiel von vorn beginnen, wenn er wieder weg ist.“ Der Scherz lief um und blieb in Erinnerung; nach ihm nannte man Gegner des Hofes und Mazarins Frondeurs (Steinschleuderer), den bald ausbrechenden Bürgerkrieg die Fronde. Die Delegierten des Parlaments setzten ihre Sitzungen fort. Neben anderen dringenden und unerlässlichen Reformen forderten sie von der königlichen Macht die Verkündung folgender 2 Beschlüsse:
1. Beamten des Fiskus oder königlichen Beamten ist unter Androhung der Todesstrafe verboten, andere Abgaben zu erheben als durch Erlasse, welche von den unabhängigen Kammern des Parlaments gebilligt, geprüft und registriert wurden.
2. Es ist verboten, einen Bürger länger als 24 Stunden zu inhaftieren, ohne dass er vernommen und seinem natürlichen Richter vorgeführt wurde.
Diese beiden Beschlüsse bereiteten den Verschwendungen und den Rachegelüsten des Hofes ein Ende, die Letzterer stillte, indem er jeden, der seinen Zorn erregt hatte, ohne ein Verfahren einsperren ließ. Anna von Österreich weigerte sich strikt, diese Reformen zu billigen und verbot den Delegierten weitere Treffen; dieses Verbot wurde ignoriert. Die Königin war außer sich und ließ die aufsässigsten dieser Kanaillen von Schreibern, wie sie sie nannte, zuhause verhaften: Bachaumont, die Vorsitzenden Blanc-Menil und Charton, die Räte Lagné, Loisel, Benoît und Broussel. Den Letzteren, einen würdigen, evangelisch fürsorglichen Greis, ehrte man in seinem Stadtviertel. Erbost über die Gefangennahme des für seine Wohltätigkeit, seinen noblen Charakter und sein Engagement bei der Missbrauchsreform so bekannten Broussel erheben sich die Bewohner seines Viertels in Massen; die Insurrektion, die in nur einem Stadtteil begann, erfasst bald ganz Paris. Anna von Österreich befiehlt Maréchal de La Melleraye, die Führung des Garderegiments zu übernehmen und dieses üble Volk zu züchtigen. Der Maréchal gehorcht und kehrt zurück, um seiner erhabenen Gebieterin mitzuteilen, dass man ihn fast umgebracht hatte, dass die Garden schimpflich in die Flucht geschlagen worden waren vom Pöbel, der die Freilassung der Parlamentarier und von Broussel fordert, nach Ansicht des Marschalls die einzig mögliche Maßnahme, um die verbitterten Gemüter zu beruhigen. „Broussel freilassen!“, ruft Anna von Österreich rasend. „Lieber würde ich ihn mit meinen eigenen Händen erwürgen.“
Die Parlamentarier verbleiben in der Bastille; doch am 27. August 1648, am Folgetag ihrer Gefangennahme, stehen mehr als 100.000 Mann unter Waffen, Arbeiter, Bourgeois; alle Straßen sind verbarrikadiert, ganz Paris ist im Aufstand. Die Mitglieder des Parlaments ziehen, in ihre roten Roben gewandet, feierlich durch die Stadt und verlangen von der Königin die Freiheit der Gefangenen; in Panik versetzt durch die fortschreitende Insurrektion ordnen Anna von Österreich und Mazarin die Freigabe der Inhaftierten an, und kehren Paris in aller Eile den Rücken. Das Parlament, das einen blutigen Racheakt der Österreicherin befürchtet, beauftragt den Prévôt des Marchands19, die Bürger zu bewaffnen und über die Sicherheit in der Stadt zu wachen. 6 Monate später, nach einer langen Beweisaufnahme, erklärt das Parlament am 8. Januar 1649 Kardinal Mazarin zum 'Unruhestifter, zur Quelle schädlicher Ratschläge, welche die Königin irreleiteten', enthebt ihn seiner Ämter, trägt ihm auf, 'den Hof auf der Stelle sowie das Königreich innerhalb von 8 Tagen zu verlassen', da er bei Verweigerung 'für gesetzlos erklärt' gelte. Der Urteilsspruch wird von den Parlamenten der Bretagne, der Normandie, der Guyenne und der Provence bestätigt. Kardinal und Königin scheren sich nicht um das Urteil und versammeln Truppen. Der Prévôt des Marchands versetzt Paris in den Verteidigungszustand gegenüber Attacken des Hofes und verstärkt die 16 Regimenter der Pariser Bürgerwehr um 4.000 Berittene und 10.000 Mann Infanterie. Der königliche Staatsschatz wird zum Rathaus transportiert.
Erneut brach ein Bürgerkrieg aus und verwüstete das Land, ein Krieg, der durch die unverschämte Arroganz, die Ungerechtigkeit, durch die Vergeudungen einer zügellosen Königin und die schlechten Ratschläge eines gefährlichen italienischen Pfaffen, des Buhlers und Komplizen dieser Frau, provoziert wurde. Die führenden Häupter jener Fronde waren der Prinz de Conti, der Prinz de Marsillac, der Koadjutor Duc de Retz, der Duc de Longueville und seine Frau, die, nicht weniger gutaussehend, nicht weniger geistreich als die Duchesse de Montpensier, gleich dieser eine ziemlich aktive Rolle in der Fronde und deren Intrigen aller Art spielte. Der Fürst Condé folgte zunächst der Partei des Hofes, trennte sich danach von ihr und schloss sich der Fronde an. Mit einem Wechsel aus Erfolgen oder Rückschlägen für die Frondeurs, Mazarins und Mitigés, eine dritte Kriegspartei, die gemäßigte Anhänger der 2 anderen Lager in sich vereinte, dauerte der Streit 5 Jahre. Die vom Parlament in Abwesenheit der Generalstände eingeleitete und vom neidischen Schatten royaler Autorität seit mehr als einem halben Jahrhundert vereitelte Missbrauchsreform war einst das Motiv der Fronde; doch bald war sie vollkommen von ihrem heilsamen Ziel abgewichen. Das öffentliche Wohl geriet zugunsten der persönlichen Interessen der Parteiführer ins Hintertreffen: Der Adel suchte seine Freiheit zurückzuerlangen, die von Richelieu eingeschränkt wurde; die Frauen, die einen enormen Einfluss auf die Fronde hatten, sahen in den Bürgerzwisten jedoch nur eine Gelegenheit, ihren Affären mehr Würze, mehr Originalität zu verleihen, indem sie die Chancen der Männer im Krieg oder im politischen Geschäft manipulierten und mit schamloser Frechheit dafür stritten, sie an ihre eigenen Faktionen zu ketten. Die Königin und Mazarin verfolgen inmitten dieses Chaos eisern ihrer Ziel der absoluten Staatsführung, alliieren sich 1649 zuerst mit dem Adel, um das Parlament zu bekämpfen, machen dann, 1650, dem Parlament weitreichende Zugeständnisse und verbünden sich mit diesem, um den Adel zu verbannen. 1651 schließen sich Adel und Königin gegen die Parlamentarier zusammen, die schon uneins sind und diesem Bündnis unterliegen.
Als die Volksmassen und die Bourgeoisie erkannten, dass man nicht eine Reform durchführte, blieben sie diesem egoistischen Ringen gegenüber gleichgültig. Das Elend war grenzenlos. Zur Geißel des Bürgerkriegs gesellte sich die Geißel des Krieges im Ausland. Der Fürst Condé, der nacheinander Fronde und Hof einmal gedient, einmal verraten hatte, verhökerte sein Schwert an Spanien und focht gegen Frankreich. Die Anarchie erreichte ihren Höhepunkt; ohne Leidenschaft, ohne edle Vision wurden die Parteien bedeutungslos; und den Parlamenten mangelte es an Intelligenz und Verwegenheit, es den Kommunen Englands gleichzutun; anstatt ein allzeit unverbesserliches Königtum am Haupt zu treffen und die Republik auszurufen, ertrugen sie die Strafe ihrer Laschheit. Mit seiner gewohnten Hinterlist wusste sich Mazarin die Entzweiung und die Ohnmacht der Aufrührer zunutze zu machen; und Ludwig XIV. und seine Mutter ziehen am 21. Oktober 1652 als zornige Sieger in Paris ein, gewillt, den Frevel zu rächen, welchen man an Seiner Majestät beging. Die Parlamente werden in den Louvre beordert, wo der König sein Bett der Justiz20 durchzuführen hat. Er betritt den Saal als Eroberer, ihm voran, Trommel rührend, die Hundertschweizer21, und begleitet von einer eindrucksvollen Eskorte seiner Garden; er gibt sich vernichtend, gnadenlos, und als würdiger Sohn der Österreicherin erklärt er:
„Alle Macht gehört uns! Wir allein repräsentieren diese Macht, die uns Gott übertrug, und niemand, wer und was er auch sei, hat einen Anspruch darauf zu erheben, etc. etc… Wir verbieten ausdrücklich dem Personal der Kammern des Parlaments jede Form der Einsichtnahme in die Belange unseres Staates und in den Führungsstil unserer Finanzen, bei Strafandrohung wegen Ungehorsams und der ihm gebührenden Züchtigungen.“
Ludwig XIV. redet in dieser Situation wie der türkische Sultan; was er verspricht, muss er tun. Spanien nutzt die Bürgerkriege, um Frankreich alle Eroberungen Richelieus in Flandern, in Katalonien und in Italien abzunehmen. Condé, weiterhin im Sold der Ausländer, dringt bis an unsere Grenzen vor; Turenne verteidigt sie erfolggekrönt, siegt 1654 in der Schlacht von Rocroy, nimmt Quesnoy und Landrecies wieder ein. Der Krieg verläuft nutzbringend bis 1658, als Turenne einen Teil der flandrischen Gebiete zurückgewinnt. Zwischen Spanien und Österreich wird am 7. November 1659 der Friedensvertrag unterzeichnet. Prinz Condé lässt Spanien im Stich, unterwirft sich Ludwig XIV.; der König heiratet am 9. Juni 1660 in Fontarabie22 Maria Theresa, die Infantin von Spanien. Mazarin liegt im Sterben; je näher er dem Ende seines Lebens kam, schien seine unstillbare Habgier noch gewachsen zu sein. Schließlich starb dieser Priester am 8. März 1661; er hinterließ, nicht mitgerechnet die unglaublichen Verschwendungen, mit denen er seine Familie überhäufte, fast 200 Millionen, die dieser Italiener ergaunert, erpresst oder gar dem braven französischen Volk entwendet hatte, dessen Elend immer größer wurde. Kardinal Richelieu hatte dieselben Diebstähle begangen. Diese beiden Pfaffen kosteten Frankreich also 400 Millionen, ohne die Desaster einzurechnen, die Folgen der von ihnen im Inland wie im Ausland entfesselten Kriege; ohne von den Tränen zu reden, von dem Blut, das man wegen ihnen vergossen hatte. Aber was bedeutet das schon! Unter der Herrschaft eines Ludwig XIV. sind es nicht mehr Millionen, es sind Milliarden, die monarchische Despotie dem Land rauben wird; und nicht nur in Strömen, in Sturzbächen wird das Blut fließen während der teuersten, sinnlosesten, gemeinsten, ungerechtesten, scheußlichsten jemals auf Erden tobenden Kriege!…
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Ah, Söhne Joels, ihr werdet ihn am Werk sehen, diesen Ludwig XIV., der durch eine käufliche und nichtswürdige Schmeichelei den Beinamen Der Große erhielt. Ja, ihr werdet ihn wirken sehen, diese gekrönte männliche Ballerina, diesen royalen Ritter der Turnierplätze, diesen Halbgott mit Perücke, der, von seiner Quasi-Göttlichkeit wirklich überzeugt, im Taumel seines haarsträubenden Hochmuts die Sonne zum Symbol wählt. Ihr werdet ihn sehen, diesen verletzbaren Despoten, diesen feigen und wilden Egoisten, diesen pompösen Ehebrecher, majestätischen Wüstling und Frömmler, dessen Grausamkeit seine Dummheit in seiner Angst vor dem Teufel noch weit übertrifft, diese höllische Gliederpuppe mit dem verwirrtem Blick Ludwigs, geführt an den Fäden der Jesuiten! Ja, bewertet ihn nach seinen Taten, den großen Ludwig, und sagt, ob die Unterdrückung, der Ruin, das Elend und die erniedrigende Unterwerfung anderer Völker vor dem dreisten Herren, der sie mit seinem Zepter ohrfeigt, je an die Unterdrückung, den Ruin, an das Elend und die Erniedrigung heranreichen, die Frankreich unter der ewig währenden Herrschaft dieses Monarchen erduldet! Aber tröstet euch, hofft voller Vertrauen in die Zukunft, Söhne von Joel, angesichts des energischen, furchtlosen, unnachgiebigen, begeisterten Widerstandes, der sich in jeder Phase seiner Herrschaft gegen diesen Mann regt, der in Verschwörungen, Aufständen und bewaffneten Kämpfen zum Ausdruck kommt, deren Anführer, inspiriert vom allzeit perennierenden, starken republikanischen Reformgeist, die Erhabenheit des Beispiels und der Lehre verstanden, die englische Kommunen unterdrückten Völkern gaben, indem sie ihren eidbrüchigen König anklagten, richteten, verurteilten, exekutierten und die Republik ausriefen.
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Ich, Salaün Lebrenn, habe die folgende, leider sehr oft mit meinen Tränen benetzte Erzählung geschrieben.