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3. Überlieferung, Textgestaltung, Übersetzung

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Während Ekkehards poetisches œuvre noch im Autograph greifbar ist, existieren von seinem historischen Erzählwerk nurmehr Kopien. Sie liegen alle in St. Gallen und bilden in den fraglichen Bänden stets die Fortsetzung zu Ratperts Chronik. Als Haupt- und Leithandschrift gilt seit Ildefons von Arx Cod. 615 der Stiftsbibliothek (B), aus der Zeit gegen oder um 1200 stammend. Die übrigen fünf Handschriften sind wesentlich jüngeren Datums (14.–16. Jahrhundert) und gehen ohne Ausnahme auf B zurück, sei es direkt wie Cod. 612 der Stiftsbibliothek (C) und Cod. 70 der Stadtbibliothek (D), sei es indirekt wie Cod. 611 und 610 der Stiftsbibliothek (C1 bzw. D1) sowie Cod. 69 der Stadtbibliothek (D2)25. Das Abhängigkeitsverhältnis der Manuskripte ist soweit eindeutig, und an sich wäre ein Rückgriff auf die jüngere Überlieferung auch kaum vonnöten, wäre bloß B intakt erhalten geblieben. Die Handschrift wurde aber irgendwann nach dem 15. Jahrhundert auf ein handlicheres Format zurechtgeschnitten, wobei vom Text selbst da und dort am Rand kleine Stücke verlorengingen: Verluste und Einbußen, die wenigstens teilweise nur mit Hilfe der Abschriften C und D (deren Schreiber offenbar noch das unversehrte Exemplar B vor sich hatten) wieder wettzumachen sind. Nicht ganz unerheblich ist auch die textkritische Bedeutung der ›Vita Notkeri Balbuli‹ (Cod. 556 der Stiftsbibliothek, aus dem beginnenden 13. Jahrhundert), die sich, wie oben festgestellt, zu einem guten Teil aus ›Casus‹-Exzerpten zusammensetzt.

Die erwähnten Schäden abgerechnet, besitzt der Text, wie ihn die Handschrift B, S. 51 bis 307 (mit Sprung in der Paginierung von S. 100 zu S. 111) bietet, unbestrittenen Vorrang. Ihm folgt die vorliegende Neuausgabe soweit wie möglich, und zwar auch und gerade hinsichtlich Orthographie, Interpunktion und Textorganisation26. Die von Meyer von Knonau eingeführte Kapiteleinteilung wurde aus praktischen Gründen beibehalten. Im Vergleich mit der Vorlage ist sie allerdings nicht ganz stimmig. Denn B gliederte den Gesamttext mittels roter Initialen in rund doppelt so viele Abschnitte, was der Dynamik der Ekkehardschen Erzählweise im Grunde viel besser entspricht. Um hier eine gewisse Modifizierung im Sinne der Überlieferung zu erreichen, sind die in B markierten Zäsuren, soweit sie sich nicht schon mit den Kapitel-Einschnitten decken, jeweils durch Absatz eigens kenntlich gemacht. Der Variantenapparat beschränkt sich auf das Allerwichtigste. Versehen der früheren Editoren sind stillschweigend berichtigt, notwendige Ergänzungen nach C und D ohne speziellen Hinweis vorgenommen worden27. Der Sachkommentar ist ebenfalls ganz knapp gefaßt; nur der Zitatennachweis wurde erweitert. Wie der zugrundeliegende lateinische Text erscheint schließlich auch die deutsche Übersetzung in neuer Gestalt.

St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 176, p.298

Die vorhergehende Abbildung zeigt eine Seite aus einem Werk des Eugippius, der im ersten Drittel des 6. Jahrhunderts als Abt des Klosters Castellum Lucullanum bei Neapel amtierte. Bei dem Werk handelt es sich um eine – im Mittelalter recht beliebte und häufig überlieferte – Sammlung von Exzerpten, die Eugippius aus Werken des Kirchenvaters Augustinus zusammengestellt hatte.

Die hier abgebildete Kopie des Werks gehört zu jenen Büchern, die die aufblühende Sankt Galler Bibliothek im 9. Jahrhundert dem Wirken des Abtes Grimalt verdankte. Der Codex liegt noch heute in der Stiftsbibliothek Sankt Gallen; er trägt die Signatur 176.

Ekkehard IV. hat diesen Codex im 11. Jahrhundert durchgearbeitet und mit Glossen versehen. Auf der hier gezeigten Seite 298 der Sammlung von Exzerpten fand der gealterte Klosterlehrer den Satz:

Ubi u[er]o sanus conectabat[ur], n[on] curat[ur], sed agnoscit[ur]; ne cu[m] sana curare uolum[us] potius uulneremus.

„Wo aber ein Gesunder [sc. der Kirche] hinzugereiht wurde, wird er nicht geheilt, sondern anerkannt – damit wir ihn nicht, da wir Gesundes heilen wollen, eher noch verletzen.“

Am Rand kommentierte Ekkehard diese Aussage wie folgt:

Nota . quod huiuscemodi et in alii(s) rebus . p[er]turbatio grassat[ur] . Sicut nouitas popponis. s[an]c[t]i galli cella[m] . in plerisq[ue] nobilit[er] sanam uulnerabat . scismatis sui uulnere sęuo et dolendo. (Zusätzlich vergrößert dargestellt.)

„Merke, daß eine solche Wirrnis auch in anderen Dingen wütet – so wie die Neuheit des Poppo mit der heftigen und schmerzlich zu beklagenden Wunde seines Schismas die Zelle des heiligen Gallus verletzt hat, die doch meistenteils auf edle Weise gesund gewesen war.“

Poppo von Stablo war ein bedeutender Klosterreformer des 11. Jahrhunderts und der Lehrer des St. Galler Abtes Nortpert. Ekkehards klagende Randnotiz erklärt Poppo (und damit indirekt auch seinen Schüler Nortpert) zum Schismatiker, dessen neuartige Lehren das Kloster St. Gallen zugrunde richteten. Die kleine Randglosse zeigt demnach, wie skeptisch und kritisch Ekkehard jener neuen monastischen Lebensform gegenüberstand, die Nortpert in St. Gallen eingeführt hatte.

1 Neu ediert von I. Müller, Zs.f. Schweiz. Kirchengesch. 66 (1972) 212–221; neueste Untersuchung von W. Berschin, HJb 95 (1975) 257ff.

2 Mit dem Gedichtzyklus ›Ad picturas claustri s. Galli‹, MG. Poet. 5, 541–546, und dem Gallusfest-Gedicht ›In natale s. Galli confessoris‹, ed. J. Egli, S. 192–203.

3 Studien zum St. Galler Klosterplan, hrsg. von J. Duft, Mitt. z. Vaterl. Gesch. 42 (1962).

4 P. v. Winterfeld, Neue Jahrbücher 1.5 (1900) 341ff.

5 In der Einleitung zu Notkers ›Vita s. Galli‹, MG. Poet. 4, 1094–1097.

6 Ratperti Casus s. Galli, ed. G. Meyer von Knonau, Mitt. z. Vaterl. Gesch. 13 (1872).

7 MG. Necrol. 1,483.

8 Vgl. Dümmler, Zs.f. dt. Altert. 14, 1f.

9 Vgl. oben S. 3 Anm. 2.

10 Carmen de laude s. Galli, MG. Poet. 5, 536–540.

11 Versus ad picturas domus Domini Moguntinae, ed. Egli, S. 316–368.

12 Benedictiones ad mensas, ed. Egli, S. 281–315.

13 Benedictiones super lectores per circulum anni, ed. Egli, S. 11–280.

14 Worüber sich schon der nächste (anonyme) Fortsetzer beklagte: Continuatio Casuum s. Galli, prol., ed. G. Meyer von Knonau, Mitt. z. Vaterl. Gesch. 17 (1879) 3.

15 Vgl. Haefele, Festschrift J. Duft, S. 191ff. Im übrigen ist auch der Passus über das ‚Gewand der Kirche‘ (Kap. 87), oft als weiterer Beweis für jene angebliche Grundhaltung angeführt, lange nicht so tendenziös gestimmt, wie man glauben möchte. Das Nötige hierzu hat schon Albert Hauck bemerkt, allerdings an ziemlich versteckter Stelle (s. unten S. 179 mit Anm. 60).

16 Zum folgenden vgl. Haefele, Festschrift M. Wehrli, S. 158ff.

17 Frederik P. Pickering, Augustin oder Boethius? 2 Bde. (1969/76).

18 Die Boethius-Schrift ist zusammen mit Notkers deutscher Übersetzung erhalten in Cod. 825 der Stiftsbibliothek.

19 Vgl. die diesbezügliche, immer noch gültige Charakteristik der ›Casus‹ bei Dümmler, Zs.f. dt. Altert. 14,9: „Nicht Geschichte des Klosters schreibt er, sondern Geschichten von den berühmtesten Klosterbrüdern, die in dem engen Ringe einer geschlossenen Gemeinschaft sich mit treuer Verehrung fortgeerbt hatten.“

20 Wie es Meyer von Knonau in der Einleitung zu seiner Ausgabe, S. XV, tut.

21 Vgl. Haefele, Festschrift M. Wehrli, S. 162. Hier sei auch an Widukinds zweigeteilten Bericht von der Lechfeldschlacht erinnert (Res gestae Saxonicae 3, 44–46).

22 Vgl. Haefele, Festschrift J. Duft, S. 187ff.

23 So insbesondere in seiner ›Confutatio Grammaticae‹, ed. Egli, S. 211–217.

24 Vgl. die hierauf zielende Kritik in Gunzos ›Epistola ad Augienses‹.

25 Zur Handschriften-Lage vgl. Haefele, DA 17, 145ff.

26 Zu diesen Punkten Haefele, DA 17, 184ff. bzw. DA 18, 121ff., u. 131ff.

27 Näheres dazu in DA 17, 159ff., u. 165ff.

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