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Wir haben Begleitung

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Wir haben Begleitung,“ hatte Tolja wenige Stunden zuvor seiner Begleiterin in Norwegen ohne großes Aufheben mitgeteilt und mit dieser Bemerkung seine Mitfahrerin abrupt aus ihren Betrachtungen gerissen.

„Das gefällt mir gar nicht,“ antwortete die Frau erwartungsgemäß.

„Gut, dann werden wir uns von denen mal verabschieden,“ entgegnete ihr Fahrer. In Bergen hatten sie direkt nach ihrer Ankunft einen kurzen Blick in die Altstadt geworfen. Anschließend waren sie in Richtung Eidfjord gefahren. Die beiden BMW im Schlepptau. Einem weniger geübten Beobachter als Tolja wäre das kaum aufgefallen. In Norheimsund fuhren sie zum Fähranleger. Als sie eingewiesen wurden, wollte der Rover nicht anspringen. Tolja winkte die anderen wartenden Fahrzeuge vor und machte sich sodann im Motorraum des schweren Fahrzeugs zu schaffen. Die beiden BMW mussten, - so die Rechnung- um nicht aufzufallen, notgedrungen auf das Boot gehen. Sobald die Fähre abgefahren wäre, wollte der Kosak den Range Rover wenden, der seine Lebensgeister auf wundersame Weise wieder erlangt haben würde und das Geländefahrzeug zurück auf die Straße nach Kvandal lenken. Er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht.

Lediglich einer der beiden BMW lenkte auf die Fähre. Der andere fuhr weiter.

„Den sind wir erst einmal los,“ zeigte sich Tolja trotzdem erleichtert. Der Wagen würde jetzt bis Odda unterwegs sein und fiel folglich als Verfolger für die nächsten Stunden aus. Falls der zweite Wagen wieder auftauchen sollte, würde er kurz hinter Nesheim dasselbe Spiel an der Fähre nach Brimnes ein weiteres Mal spielen.

„Das ist keine so gute Idee,“ gab ‚Tatjana’, alias Ruth Waldner, nach einem Blick auf die Karte zurück.

„Besser du versuchst es noch einmal in Kvandal. Die Fähre von dort fährt bis Kinsarvik. Wenn wir sie an der Stelle abhängen, können wir den Übergang bei Nesheim nehmen. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht, wenn wir es heute noch bis Eidfjord schaffen wollen. Halt’ aber jetzt erst einmal kurz an der Tankstelle hier an. Ich muss auf die Toilette und außerdem telephonieren.“

Der BMW war weit und breit nicht zu sehen. „Was zum Teufel haben die vor?“ Die Deutschrussin begann sich ernsthaft Sorgen zu machen. An der kleinen Bar der Tankstelle versuchte sie ihre amerikanische Freundin vom Münzfernsprecher in der Hütte zu erreichen, in der sie verabredet waren. Das Handy hatte sie offenkundig abgestellt und war auf diesem Wege nicht zu erreichen.

„Stell das Gerät an Kleines,“ flehte Ruth Waldner trotzdem in sich hinein, während sie darauf wartete, dass der Hörer am anderen Ende der Leitung abgenommen würde. Aber die Angeflehte konnte sie nicht hören.

Mit einem Ruck wurde statt dessen Viola aus ihren Träumereien gerissen. Das Telephon im Haus klingelte und die Polen standen auf einmal in der Tür ihres Hauses. Aber sie kamen nicht heraus und sie gingen nicht hinein. Lediglich die Frau verschwand für einige Augenblicke im Innern und nahm den Hörer ab. Im Licht der durch den Bewegungsmelder eingeschalteten Lampe konnte die Amerikanerin auf die geringe Entfernung nacheinander die Gesichter der beiden Männer fast klar erkennen. Markant, ein wenig bullig, kurzgeschorene Haare, Schlägertypen oder auch Security. Nur wenige Augenblicke später tauchte auch die Frau wieder auf. Dem Aussehen nach mochte sie Ende Dreißig oder auch Anfang Vierzig sein. Schwer zu sagen bei diesem Licht. „Irgendwie, wie Rose,“ stellte Viola unwillkürlich fest, „nur ein bisschen älter.“ Auf die Beobachterin wirkte sie nervös und erstaunlicherweise gab sie sich auch keinerlei Mühe, ihre Nervosität zu verbergen. Offenkundig war sie es, die hier das Kommando führte. Auf eine kurze Weisung hin begannen die Männer sodann, die Umgebung abzusuchen. Viola duckte sich so gut es ging in das Gebüsch.

„Viola,“ rief die Polin mit deutlichem Akzent auf Englisch, „wenn Sie hier in der Gegend sind, kommen Sie bitte zum Haus, ich habe eine Nachricht von Rosi für Sie.“

Während die beiden Männer das Unterholz mit ihren Lampen zu durchdringen versuchten, überlegte die Angesprochene, wie sie reagieren sollte. Sie begriff, dass die Suche ihr galt und dass die Frau gerade nach ihr gerufen hatte. Aber sie konnte sich trotzdem nicht dazu entschließen, ihr Versteckspiel zu beenden. Statt dessen nutzte sie die Unruhe und zog sich mit wenigen Handgriffen an den Ästen des nächststehenden Baumes hoch. Sekunden später standen beide Männer an ihrer Reisetasche, kaum mehr als vierzig Zentimeter unter der Gesuchten. Viola hörte auf zu atmen.

Ich bin nur gespannt, was so wichtig ist, dass es einige Herrschaften nötig haben, einen solchen Aufwand zu betreiben,“ überlegte zur gleichen Zeit halblaut die auf dem Rücksitz des Rovers kauernde Ruth Waldner alias Tatjana Wolkowa zu ihrem Fahrer gewandt, ohne eine Antwort zu erwarten. Die Einsicht, verfolgt zu werden beunruhigte sie stärker als sie bereit war, sich selbst einzugestehen. Dass Ola nicht ans Telephon zu bekommen war, trug auch nicht gerade zur Verbesserung ihrer Stimmung bei. Mit Erleichterung hatte sie deshalb reagiert, als plötzlich die Polin den Hörer abgenommen hatte. Das Gefühl sagte ihr, dass es besser sein würde, sofort umzukehren. Was sie davon abhielt war eine Mischung aus Unentschlossenheit und Neugierde. Ruth Waldner hatte sich bis zu diesem Moment eingeredet, dass sie sich jetzt nicht einfach aus dem Staub machen konnte, jedenfalls nicht, bevor sie sicher sein konnte, dass auch ihre Freundinnen in Sicherheit waren. Sie verstand nicht, warum ihre amerikanische Freundin nicht im Haus war, obwohl ein Mietwagen davor stand. Agnieszka aber hatte definitiv darauf bestanden, kein Risiko einzugehen. Sie hatten sich kurzentschlossen darauf geeinigt, das Treffen zu verlegen. Gleichzeitig aber hatten sie sich darauf verständigt, dass sie die Amerikanerin ‚selbstverständlich’ nicht allein lassen konnten. Agnieszka hatte sich deshalb bereit erklärt, Viola ausfindig zu machen und über die Lage zu informieren.

Die beiden Frauen waren sich gleichwohl nicht sicher, ob es ihre Verfolger wagen würden, der aufgebauten Drohkulisse Taten folgen zu lassen. „Schließlich sind wir hier in Norwegen,“ hatte die Polin zum Schluss des Telephonats erklärt. Eine Fehleinschätzung, wie nicht nur Ruth Waldner noch feststellen sollte.

Bereits Ende Juli hatte Agnieszka Malik die frisch gebackene Mitarbeiterin der Konsularabteilung erneut bei sich zuhause in Moskau angerufen. Telephonisch hatte sie ihr die Zugangsdaten zu einer e-Mail Adresse unter web.net mitgeteilt. Noch am selben Abend hatte Ruth die Wohnung im 3. Stock des alten Backsteingebäudes verlassen und war über die scheußliche kleine Brücke mit den Stufen, auf denen sie besonders im Winter immer wieder ausrutschte, mit aller gebotenen Vorsicht geradezu hinweggeklettert. Schließlich regnete es und da war Vorsicht an dieser Stelle erfahrungsgemäß von Vorteil. Nach einer kurzen Fahrt mit der Metro hatte sie sich in eines dieser kleinen Internetcafes begeben, die in der russischen Hauptstadt inzwischen keine Seltenheit mehr darstellten. Sie hatte eine Weile gebraucht, um die vereinbarten Codeworte aus dem ansonsten unverfänglichen Text der e-Mail herauszufiltern und hernach die angegebene Internetseite geöffnet. Es war für sie nicht schwierig gewesen, hier die entscheidende Botschaft ausfindig zu machen. „Unschöne Neuigkeiten vom Global Village“ lautete die Überschrift zu dem ansonsten völlig harmlosen Text. „Global Village“, hinter dieser verschleiernden Tarnbezeichnung verbargen sich jene speziellen Internettools, die sich sowohl für die polnischen wie auch für die deutschen Sicherheitsapparate zunehmend zu einem Problem entwickelt hatten. „Schon klar, dass darüber am Telephon unmöglich gesprochen werden kann,“ hatte sich die Deutsche klar gemacht und zugleich ein ausgesprochen ungutes Gefühl in der Magengegend gespürt. Dass ihre polnische Bekannte wegen dieses Themas einen derartigen Verschleierungsaufwand betrieb, war der Mitarbeiterin der Deutschen Botschaft in Moskau zunächst trotzdem ein wenig absonderlich vorgekommen, bedeutete aber offenkundig kaum etwas Gutes.

Ruth Waldner kannte die knapp zehn Jahre ältere Polin noch aus den Tagen der gemeinsamen sozialistischen Waffenbrüderschaft. Aufgrund des unschönen Vorfalls am See, bei dem sich insbesondere die Söhne einer lokalen Polizeigröße und des Gebietssekretärs der Partei besonders eifrig hervorgetan hatten, war der damals knapp Fünfzehnjährigen noch für den Herbst die Teilnahme an einem Sommerlager in Masuren angeboten worden. Das Lager an der Kurischen Nehrung im polnischen Teil des früheren Ostpreußen wurde von den polnischen Pfadfindern veranstaltet. Gemeinsam mit Abordnungen aus den Bruderländern sollte die unverbrüchliche Freundschaft zwischen der Jugend der sozialistischen Staatenwelt untermauert werden. Für die Betreuung der sowjetischen Delegation war Agnieszka eingeteilt gewesen. Für Ruth war die fast erwachsene Frau eine enorme Autoritätsperson gewesen. Bereits nach kurzer Zeit hatte sich zwischen beiden ein besonderes Vertrauensverhältnis herausgebildet. Agnieszka war der einzige Mensch, mit dem Ruth über ihre unschönen Erlebnisse am See hatte sprechen können. Bei ihr hatte sie sich ausheulen können. Von ihr war sie verständnisvoll in den Arm genommen worden. Von ihr hatte sie sich verstanden gefühlt. Nach ihrer Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland waren die Kontakte zwischen beiden nicht abgerissen. Sie beschränkten sich allerdings auf gelegentliche, wenn auch regelmäßige Briefe. Von Angesicht zu Angesicht hatten sich beide erst Anfang 2000 wieder gesehen, nachdem zunehmend klarer wurde, dass Polen in Kürze der Europäischen Union beitreten würde.

Die enorme Aufbruchsstimmung jener Tage hatte auch ihre weniger schönen Begleiterscheinungen mit sich gebracht. Sowohl auf deutscher, wie auch auf polnischer Seite hatte sich seinerzeit nicht nur das Autoschieberunwesen als belastend erwiesen. Insbesondere das Problem des Menschenhandels stand im Vordergrund des Interesses. Neben der illegalen Einschleusung junger Frauen zum Zwecke der Prostitution ging es dabei vor allem auch um die zunehmende Zahl von illegalen Einwandern, die über die grüne Grenze nach Deutschland geschleust wurden. Im Rahmen einer bilateralen Expertenkommission sollten erneut die Möglichkeiten für einen verbesserten gegenseitigen Informationsaustausch abgeklärt werden. Beide Frauen waren von ihren damaligen jeweiligen Dienststellen für die Teilnahme an den insgesamt fünf Treffen abgeordnet worden, die wechselweise auf deutschem und polnischem Boden stattfanden. Seither hatten sich beide nicht nur dienstlich mehrfach getroffen.

Auf Fragen der Datensicherheit war die Polin zunächst von der Deutschen aufmerksam gemacht worden, als diese mit Fragen des Schutzes vor Spyware zu tun hatte.

„Mir ist da ein seltsames Tool aufgefallen“, hatte die zu dieser Zeit dunkelblonde Frau mit gewichtiger Miene erklärt und hinzugefügt: „Unter dem Deckmäntelchen eines Gewinnspiels versuchen die Autoren an die vertraulichen Daten der Teilnehmer heran zu kommen.“

Schnell hatte die Polin herausgefunden, dass ein Großteil der auf den entsprechenden Suchbegriff reagierenden Links auf eine intensive polnische Beteiligung an diesem Vorhaben hindeutete.

„Ein polnischsprachiges Tool,“ hatte sich die Deutsche gemeinsam mit der Polin gewundert, „das ist ja wohl eher ungewöhnlich.“ Beide hatten sich darauf verständigt, das Phänomen „im Auge zu behalten“. Das Thema hatte zwischen ihnen danach aber trotzdem keine besondere Rolle mehr gespielt. Auch nach der mit der Versetzung nach Moskau verbundenen Verwandlung Ruths in Tatjana hatten es beide Frauen verstanden, miteinander in Kontakt zu bleiben. Das geschah seither in der Regel über solch kurzfristig eingerichtete e-Mail Adressen. Für die Übermittlung der Zugangsdaten hatten sich beide ein richtig „konspiratives System“ einfallen lassen, wie Agnieszka schmunzelnd festgestellt hatte.

„Speziell das Thema Trojaner hat aber auch dabei bisher eigentlich keine wirklich herausragende Rolle gespielt,“ machte sich die Frau in Gedanken zum wiederholten Male klar, während ihr Begleiter den schweren Wagen durch die Fjordlandschaft lenkte. Umso beunruhigender war, dass dieses Thema jetzt offenkundig für irgendwelche Leute so wichtig war, dass deshalb keine Kosten und Mühen gescheut wurden, um sie bis nach Norwegen zu verfolgen.

„In was für ein Wespennetz hast du da bloß gestoßen,“ wiederholte Ruth Waldner nachdenklich und wählte erneut die Nummer ihrer amerikanischen Freundin. Doch deren Handy war noch immer abgeschaltet.

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