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Hexensabbat

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Wenn wir schon einmal hier sind, dürfen wir es auch nicht versäumen, den wohl bekanntesten Stadtteil von Cuxhaven zu besuchen, das einstmals beschauliche Dorf Duhnen. Wenn Sie Ihr Weg eines Tages dorthin führen sollte, vergessen Sie nicht in der Gaststätte zur Post einzukehren. Die Zimmer in dieser Traditionsgaststätte sind noch erschwinglich. Vor allem aber können Sie in den Zimmern jenen Hauch vergangener Tag spüren, der andernorts so leicht wegmodernisiert wird. Dass das Leibgericht der Seeleute, das Lapskaus, nach einem ausgiebigen Ausflug mit dem Pferdewagen hier besonders schmackhaft ausfällt, sei nur am Rande noch erwähnt.

Die alte Frau schlenderte zum wiederholten Mal scheinbar ziellos über die Strandpromenade. Jedem, der sie dabei beobachtet hätte, wäre vermutlich aufgefallen, dass sie Mühe hatte, sich in dieser Umgebung zurecht zu finden. In gewisser Weise hätte der Beobachter sogar zu der Auffassung gelangen können, die Frau irre geradezu orientierungslos umher. Tatsächlich aber fand sich niemand, der an diesem Tag auf die Idee gekommen wäre, die alte Frau zu beobachten. Dabei gab es so Einiges, was die Aufmerksamkeit anderer Menschen hätte erregen können. So war die alte Frau mit einem altmodischen und dazu noch zerschlissenen Rock bekleidet, unter dem sie offenkundig Unterröcke trug. Das Jackett, das sie vor der Brust eng geknüpft hatte, war von ähnlichem Kaliber. Zu guter Letzt hatte sie ihren Kopf mit einem roten Kopftuch gegen den Wind geschützt. Die ganze Aufmachung erinnerte bei Licht besehen eher an das Kostüm einer Hexe aus dem Märchenbuch, als an die Bekleidung, die in jenen Tagen am schönen Nordseestrand so üblich war. Es fand sich niemand an diesem Tag, dem das aufgefallen wäre und es fand sich niemand am folgenden Tag und auch am dritten Tag änderte sich nichts daran. So konnte die alte Frau Tag für Tag unbehelligt ihre Runden ziehen, ziellos aber unbehelligt. Das änderte sich erst in dem Moment, als plötzlich eine weitere Person die Promenade betrat, die bei näherer Betrachtung ihrerseits wie so eine Art Kopie einer Sagengestalt erscheinen musste. Ganz offenkundig hatte sich diese Person als Teufel verkleidet. Der Kopf war bedeckt von einer Art Haube, aus der zwei rote Hörnchen ragten. Das fahle Gesicht stand in einem auffälligen Missverhältnis zu dem knallroten Umhang, in den er sich eingehüllt hatte. Um dem Imitat die Krone aufzusetzen hatte es der Fremde sogar für nötig gehalten, sich mit einen Klumpfuß auszustatten, der jedoch seltsamerweise seinen Gang in keiner Weise schwerfällig erscheinen ließ. Auch diese Person hatte hier zuvor noch niemand gesehen, und trotz der auffälligen Äußerlichkeiten fand sich auch später niemand, der sich hätte daran erinnern können, diese Person zuvor schon jemals gesehen zu haben. Aber was hieß das schon auf einer Promenade, die Tag für Tag von Hunderten und bei gutem Wetter sogar von Tausenden von Menschen bevölkert wurde, die niemand kannte und die sich auch untereinander nicht kannten. Trotzdem bedeutete das Auftauchen dieser neuen Person eine gravierende Veränderung des alltäglichen Verkehrs, denn diese Person kannte sehr wohl einen Menschen hier auf der Uferpromenade am schönen Nordseestrand von Duhnen und die alte Frau kannte und erkannte ihrerseits die neue Person. Doch selbst der aufmerksamste Beobachter hätte aus dem Verhalten der beiden fremden Menschen bis zu diesem Moment keinerlei Hinweise darauf erlangen können, dass sie einander kannten. Einzig vielleicht der Umstand, dass die Frau unmittelbar nach dem Auftauschen der seltsamen Person ihr zielloses Herumirren auf der Strandpromenade beendete, hätte vielleicht als Indiz dafür hergenommen werden können, dass es etwas gab, was die beiden Fremden miteinander verband. Aber das wäre nun wirklich reichlich spekulativ gewesen. Folglich kam bis zu dem bewussten Ereignis an diesem Tag auch niemand auf die Idee, einen solchen Zusammenhang zu vermuten oder gar zu konstruieren. Erst nachdem die Polizei es in mühseliger Kleinarbeit Tage später geschafft hatten, die Videoaufnahmen auszuwerten, die von den Kameras aufgenommen worden waren, um den Platz vor der Strandpromenade gegen kriminelle

Attacken zu sichern, gerieten die alte Frau und ihr teuflischer Gesell in das Visier der Ermittler. Dabei mussten sie feststellen, dass die beiden Unbekannten sich nicht nur zum Zeitpunkt der Tat in unmittelbarer Nähe des Tatortes aufgehalten hatten, sondern offensichtlich sogar ganz gezielt und erfolgreich versucht hatten, die Aufmerksamkeit der Passanten vom Geschehen am Tatort weg auf sich zu lenken. Angefangen hatte das damit, dass der Mann und die alte Frau wie zufällig vor der Filiale der Bankfiliale zusammenstießen. Die alte Frau im Hexenkostüm hatte daraufhin den Mann im Teufelskostüm lautstark mit so wüsten Beschimpfungen belegt, dass die vorbei eilenden Passanten gar nicht anders konnten, als ihre Blicke auf dieses Spektakel zu richten und zugleich aber einen weiten Bogen um das Geschehen zu machen. Der Frau mittleren Alters in der legeren Kleidung, deren Gesicht von dem Strohhut verborgen wurde und in deren kleinem Rucksack sich der Luftdruckapparat mit dem winzigen Pfeil befand, hatte währenddessen selbstverständlich niemand Beachtung geschenkt. Das galt auch für den alten Mann, der sich diesen stets belebten Ort ganz bewusst ausgesucht hatte, um zu verhindern, von seinen Häschern in einem unbeobachteten Moment liquidiert zu werden. Dass genau das ihm in diesem Moment direkt gegenüber in dem Eiscafé völlig lautlos dann doch widerfuhr, nahm er noch mit ziemlichem Befremden wahr. Es war das Letzte, was er wahrnahm, bevor er verschied. Als wenig später der Tote schließlich entdeckt wurde, hatte im allgemeinen Durcheinander niemand mehr auf das seltsame Pärchen geachtet, das seinen Streit ohnehin bereits beendet hatte. Aufgrund ihrer Verkleidung war es natürlich auch nicht möglich, die Fahndung nach ihnen mit erkennungsdienstlich verwertbaren Fakten zu untermauern. Um sich nicht lächerlich zu machen, wurde bei der Abfassung des Fahndungsaufrufs sogar auf den Hinweis verzichtet, dass die Frau ausgesehen hatte, wie eine Hexe und der Mann wie der Teufel. Das erschien den Ermittlern dann doch ein wenig peinlich. Der Frau mit dem Strohhut hatte ohnehin auch weiterhin niemand Beachtung geschenkt.

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