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Hotel Helgolandia

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Noch etwas weiter im Norden liegt die Insel Helgoland. Wer die nicht kennt: Das ist übrigens die einzige Hochseeinsel Deutschlands. In grauer Vorzeit galt die Insel unseren Vorfahren als heiliger Ort. Nach 1945 hat die britische Luftwaffe versucht, dieses Eiland im Meer zu versenken. Vergeblich, wie sich herausgestellt hat. Ob dafür die besonderen Kräfte verantwortlich waren, die dem Felsen zugeschrieben werden, läst sich allerdings nicht beweisen.

Ist Helgoland in Not, droht Deutschland Gefahr und Tod. Diese alte Lebensweisheit nicht wirklich zu Herzen genommen hat sich die attraktive Frau mittleren Alters, die sich hier auf Anraten der Ehefrau eines ihr gut bekannten älteren Ehepaars eingemietet hat in einem Hotel, dessen Name zur Insel passt. Das kleine Hotel Helgolandia liegt nur wenige Schritte entfernt von der Helgoländer Landungsbrücke. Hier wurden in früheren Zeiten die Besucher der Hochseeinsel mit kleinen Börtebooten angelandet. Von hier aus bis zum Hotel sind es nur wenige Meter zu gehen. Menschen, die gut zu Fuß sind, legen diese Strecke in weniger als fünf Minuten zurück. Die Frau mit dem fremdländischen Akzent hatte sich hier erst nach ihrer Begegnung mit dem fremden Mann von Bord der Helgoland telephonisch eingemietet. Als sie sich am Abend dieses Tages mit ihrem neuen Bekannten auf den Weg zu den roten Klippen machte, war sie sich sicher, keine Fehler gemacht zu haben. Kennen gelernt hatten sich der wohlhabende Mann mit dem kränklichen Aussehen und die nur wenige Jahre jüngere Frau mit den jugendlichen Aussehen und dem exotischen Akzent erst auf der Anreise zur Insel Helgoland. Eigentlich hatte die Frau seine höflich gestellte Frage, ob er sich zu ihr an den Tisch setzen dürfe, barsch zurückweisen wollen. Ein kurzer Blick auf die Bekleidung des Fragestellers hatte jedoch genügt, um sie umzustimmen. Bei der anschließenden Plauderei hatte er sich als angenehmer Gesprächspartner erwiesen, der nicht nur über gute Manieren verfügte, sondern es auch noch verstanden hatte, sie zum Lachen zu bringen. Sie hatte sich umgekehrt nach Kräften bemüht, seine Begehrlichkeiten zu wecken und war sich sicher, das auch geschafft zu haben. Wegen ihrer Wirkung auf Männer hatte sie sich noch nie Sorgen machen müssen. Sie konnte jeden haben. Dass das in diesem Fall nicht anders war, bewies ihr der Fremde kurz bevor die Helgoland im Südhafen festmachte. Mit einem charmanten und völlig unaufdringlichen Lächeln überreichte er ihr auf einer Serviette seine Telephonnummer und überließ damit ihr die Entscheidung, ob sie sich wiedersehen würden. Unterdessen hatte sie sich längst vorgenommen, ihn nicht wieder von der Angel zu lassen. Besonders die unaufgeregte Selbstverständlichkeit, mit der er anklingen ließ, wie betucht er war, hatte ihr Interesse geweckt. Den Hinweis, er sei auf dem Weg nach Helgoland, um die Segeljacht eines Freundes wieder in Schwung zu bringen, hatte sie als klares Understatement eingestuft und sich vorgenommen, sich kurzfristig Klarheit zu verschaffen. Nach Verlassen des Schiffes hatte sie sich mit verschmitztem Lächeln nach dem Liegeplatz des Segelbootes erkundigt und ihm damit signalisiert, dass sie bereit war, ihn wiederzusehen. Anschließend war sie zum Hotel gegangen, hatte dort das Zimmer mit der Nummer 7 bezogen, hatte sich frisch gemacht, war dann mit dem Aufzug zum Oberland gefahren und hatte sich vergewissert, dass der ursprüngliche Grund ihrer Reise unversehrt erhalten war. Gegen 19.00 Uhr schließlich war sie beim Segelboot ihres neuen Bekannten aufgetaucht, hatte sich staunend das “Bötchen” zeigen lassen und anschließend den Mann in den besten Jahren nach allen Regeln der Kunst verführt. Kurz vor Mitternacht hatte sie ihm dann adieu gesagt, sich gleich darauf in ihr Hotelzimmer zurückgezogen und dort darauf gewartet, dass es Nacht wird auf Helgoland. Kurz nach 3 Uhr hatte sie dann wie verabredet die Schaufensterscheibe des Spezialgeschäftes für Ferngläser im Oberland eingeschlagen, die verlangten Uhren eingesteckt und für sich als kleine Zugabe noch ein teures Fernglas mitgenommen. Die Beute hatte sie danach vorübergehend mit in ihr Hotelzimmer genommen und sich dann todmüde schlafen gelegt. Kurz nach acht war sie bereits wieder auf den Beinen gewesen, hatte sich zum Frühstück in das Restaurant des Hotels Helgolandia begeben, dort mit Herrn Laurent über die alten Zeiten gescherzt. Pünktlich um 10 Uhr erreichte sie den Eingang zur Bunkerführung an dem Treffpunkt neben der Nikolaikirche. Obwohl oder weil sie die einzige Frau war, die an der Führung teilnahm, war niemandem aufgefallen, dass sie einen BH in Übergröße trug. An der Stelle, an der ein unbekannter Soldat die Worte “ist Helgoland in Not, droht dem Vaterland der Tod” eingeritzt hat, blieb sie einige Augenblicke zurück und deponierte die Uhren an der verabredeten Stelle. Erst danach machte sie sich wieder auf und stattete ihrem neuen Bekannten einen neuerlichen Besuch ab. Bereits in der Nacht zuvor hatte er ihr eine Steilvorlage mit dem Hinweis auf seine Hobbys geliefert. Neben dem Fallschirm- und Gleitschirmsspringen hatte er das Freeclimbing erwähnt. Sie hatte sich das gut gemerkt und gleich nach der Bunkerführung ein solides Rettungsseil im örtlichen Baumarkt erworben. Anschließend war es ihr ohne große Mühe gelungen, ihren Bekannten davon zu überzeugen, dass es ausgerechnet der Felsvorsprung sein musste, auf dem die Seemöwen ihre Brutkolonie eingerichtet hatten, von dem herab er beweisen konnte, dass er wirklich schwindelfrei war. Zur Sicherheit hatte sie darauf bestanden, dass er sich mit ihrem Seil absicherte. Ihr wohlhabender Bekannter hatte das zwar versucht als ziemliche Alberei abzutun. Aber sie hatte darauf bestanden und er hatte sich schließlich gefügt. Gemeinsam waren sie dann mit dem Fahrstuhl ins Oberland gefahren. Ausgerechnet in dem Geschäft, das sie erst in der vergangenen Nacht verabredungsgemäß um seine Schmuckstücke erleichtert hatte, überredete sie ihren neuen Bekannten ihr ein ungewöhnliches Messer zu kaufen. Danach hatten sie sich im Panoramacafė ein Stück Kuchen genehmigt, waren dann an der Steilküste eine Zeitlang spazieren gegangen und schließlich nach dem Genuss einer Knieperpizza beim Italiener spätabends bei ihr auf dem Zimmer gelandet. Hier hatte sie den wohlhabenden Mann mit dem kränklichen Aussehen die Wünsche erfüllt, die Männer nun einmal haben. Da sie es gewesen war, die ihm die abendliche Stunde für die ganze Aktion vorgeschlagen hatte, war es an ihr gewesen, am nächsten Tag die vielen Stunden zu überbrücken. Sexuell jedenfalls wirkte er nicht sonderlich kränklich. Um dem nicht stundenlang ausgesetzt zu sein hatte sie ihm nach dem Frühstück vorgeschlagen, mit dem Fährboot zur Düne überzusetzen. Gutgelaunt hatten sie die Seehunde auf Abstand gehalten und im Strandlokal gut gegessen. Danach waren sie doch wieder im Zimmer 7 des Hotels Helgolandia gelandet. Als die Sonne unterging, machten sie sich auf den Weg zur Klippe. Den späten Zeitpunkt hatte sie ihm damit erklärt, dass spätabends nicht mit allzu vielen Besuchern zu rechnen war. Also musste er auch nicht befürchten, von irgendjemandem wegen dieser waghalsigen Unternehmung zur Rede gestellt zu werden. Ihm hatte das eingeleuchtet. Oben an der Klippe angekommen hatte er die Absperrung aus drei schmalen Drähten mühelos überwunden, sich dann das Seil mit einer Rettungsschlinge so um die Hüfte geschlungen, dass sie sicher sein konnte, dass er nicht abstürzen würde. Ohne mit der Wimper zu zucken, war er sodann so nah an den Rand des Felsens herangetreten, dass er von oben das Wasser erblicken konnte. Um sie ein wenig zu erschrecken hatte er es sich in seinem Übermut schließlich nicht verkneifen können, sich im Vertrauen auf den Schutz des Seiles mit ausgestreckten Armen weit nach vorne über den Abgrund zu beugen. Vor Vergnügen hatte er dabei so laut gelacht, dass sie befürchten musste, sein Geschrei könne unliebsame Beobachter auf den Plan locken. Sie hatte einen Wimpernschlag lang gezögert, sich aber mit einem schnellen Blick vergewissert, dass diese Sorge unbegründet war. Erst dann hatte sie das nagelneue Küchenmesser aus Rasierklingenstahl aufgeklappt und mit einer schnellen Handbewegung das straff gespannte Seil durchtrennt. Zufrieden konnte sie feststellen, dass ihre Erwartung aufgegangen war. Bereits die entsetzten Schreie des in die Tiefe stürzenden Mannes waren übertönt worden vom Geschrei der aufgescheuchten Seemöwen. Die Frau wandte sich um, ging die wenigen Schritte bis zu der Stelle zurück, von der aus sie die Absturzstelle im Meer mit ihrem Fernglas ganz genau beobachten konnte, und sah sich erneut in ihrer Erwartung bestätigt. Der dichte Pulk aus Möwen, der die Leiche umgab, machte ihr deutlich, dass die Vögel keine Sekunde damit gezögert hatten, sich auf ihre frische Beute zu stürzen. Die wenigen Kleidungsfetzen, die von den Attacken der Möwen verschont werden würden, dürften in den kommenden Tagen und Wochen wer weiß wo an Land gespült werden. Aber mehr würde nicht übrig bleiben von dem Toten. Die Frau mit dem fremdländischen Akzent wandte sich erneut um und ging eiligen Schrittes aber ohne Hast zu der Treppe, die das Oberland mit dem Unterland verbindet. Auch hier überzeugte sie sich noch einmal davon, keine unerwarteten Zeugen zu haben und eilte dann ruhigen Schrittes hinab zum Unterland. Zunächst wandte sie sich dem Hotel Helgolandia zu, eilte die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf, verstaute das Messer und das Fernglas in der Nachttischschublade, warf sich sodann den Rucksack um und ging schnellen Schrittes zum Hafen. Vor dem Segelboot ihres wohlhabenden Bekannten angekommen, vergewisserte sie sich erneut, allein auf der Kaimauer zu stehen. Gleich anschließend ging sie mit geübten Bewegungen an Bord, sah sich noch einmal um und ging dann ohne weiteren Aufschub direkt unter Deck. In der Kajüte wanderte ihr Blick kurz in Richtung der Koje, in der sie noch vor wenigen Stunden alles daran gesetzt hatte, ihren wohlhabenden neuen Bekannten, von ihren Qualitäten als Frau zu überzeugen. Die Koje war nun leer und verlassen, aber sie zeigte keinerlei Neigung, so etwas wie Sentimentalität aufkommen zu lassen. Statt dessen beugte sie sich über die Matratze, ertastete den Verriegelungsmechanismus, klappte sodann das Bett hoch und öffnete mit flinkem Griff die Schublade, in der die Wertsachen aufbewahrt waren. Das Bargeld ließ sie ebenso wie die Kreditkarten und sonstigen dort aufbewahrten Wertgegenstände genüsslich in ihrem Rucksack wandern. Gerade als sie im Begriff war, sich selbstzufrieden der kleinen Bar zuzuwenden, von der sie wusste, dass ihr Bekannter dort eine eiserne Reserve aufbewahrt hatte, wurde sie durch das Geklapper von Schritten gestört. Als bereits im nächsten Moment zwei Polizisten vor ihr standen, war es um ihre sorgfältig antrainierte Selbstbeherrschung geschehen. Sie verstand nicht, wie es möglich war, hier tatsächlich in flagranti überrumpelt zu werden. Die gehörnte Ehefrau ihres Bekannter hätte ihr zwar die fehlende Erklärung liefern können, hütete sich jedoch wohlweislich das zu tun. Auch die spontane Eingebung der Frau mit dem fremdländischen Akzent, sich gegenüber den Polizisten als Eigentümerin des Bootes auszugeben, erwies sich beim Anblick der nach den Polizisten eintretenden Ehefrau ihres Bekannten als Flop. Was die Frau aber besonders irritierte war der triumphierende Blick, den ihr die Dame zugeworfen hatte. Nachdem bereits die Kontrolle ihres Rucksacks ihre wirklichen Absichten offenbarten, brachte das im Hotelzimmer aufgefundene Fernglas auch ihre Beteiligung an dem Einbruchsdiebstahl in dem Fachgeschäft zum Vorschein. Die Bedeutung des Klappmessers aus Rasierklingenstahl erschloss sich den Ermittlern jedoch erst, nachdem die Überreste des Mannes bei den Seehundsbänken aufgetaucht waren. Viel hatten die Möwen in Kooperation mit den Seehunden zwar nicht von ihm übrig gelassen, aber das Wenige hatte ein bemerkenswertes Alleinstellungsmerkmal ausgewiesen. Es ist der Zweck von Rettungsschlingen, sich auch unter widrigen Umständen nicht von dem zu rettenden Körper zu lösen. Diesen Zweck hatte das Seil perfekt erfüllt. Die angesichts der erst kürzlich drastisch erhöhten Versicherungssumme an der Klärung der Todesumstände verständlicherweise besonders interessierte Lebensversicherung hatte daraus zunächst die Mutmaßung abgeleitet, der Mann könne Selbstmord begangen haben. Gegen diese These hatte allerdings die Länge des Seiles gesprochen. Wer schneidet schon das Seil an dem sein Leben hängt fünf Meter vor sich ab und rennt dann zum Abgrund? Als die Ermittler schließlich auf das Gegenstück gestoßen waren, das die Frau mit dem fremden Akzent unbekümmert am Tatort zurück gelassen hatte, geriet das Messer plötzlich in den Fokus der Fahnder. Der Rest war dann Routine. Aufgrund der von der Spusi gesicherten Gewebereste konnte zweifelsfrei festgestellt werden, dass das Seil mit eben diesem Messer durchtrennt worden war. Da die Lebensversicherung bei Mord keine Handhabe hatte, die Auszahlung der Versicherungssumme zu verweigern, hatte die Frau mit dem fremdländischen Akzent einen wirklich guten Job gemacht. Die gehörte Ehefrau war ihr zu Dank verpflichtet, hütete sich aber selbstverständlich, das auch auszusprechen. Für eine Obduktion, durch die hätte erkannt werden können, dass ihr Mann sich im Endstadium einer Krebserkrankung befand, hatten die Möwen schlicht zu wenig von ihm übrig gelassen.

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