Читать книгу Wenn der Winter kommt - Elena Bachmann - Страница 6

Kapitel 2

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Es war offensichtlich das Winter kein Mensch war und vermutlich auch nicht zu einer Spezies gehörte, welche Elea kannte. Obwohl sie sich nicht erklären konnte wieso, spürte die junge Frau den Drang in sich aufkeimen, dieses fremde Wesen zu Berühren. Die Vorstellung die blasse Haut unter ihren Fingern zu spüren übte einen unglaublich anziehenden Reiz aus. Ebenso groß war jedoch auch die kindliche Angst, der feingliedrige Körper ihres Gegenübers würde unter der Berührung wie eine Schneeflocke zerfallen.

Schließlich war es Winter die einen ersten zögerlichen Schritt auf sie zu machte. In diesem Moment wurde Elea regelrecht von ihrem Unterbewusst angeschrien, welches sie ermahnte so schnell wie möglich Abstand zwischen sich und dieses offenkundig magische Wesen zu bringen. Doch leise und verstohlen mischte sich eine zweite Stimme ein und bat sie darum nicht darauf zu hören. Unsicher blieb sie stehen, spürte jedoch deutlich wie ihre Muskeln sich spannten, bereit zur Flucht. Ihre Nackenhaare stellten sich auf, als sie den Schnee unter den erhabenen Schritten mit einem feinen Knacken gefrieren hörte.

Erst jetzt bemerkte sie die großen weißen Wolken welche ihr Atem in der Luft bildete und wie ihre Kleider steif wurden unter der feinen Reifschicht, die sich über sie legte. Die bittere Kälte welche diesem Phänomen zugrunde liegen musste, nahm sie allerdings nicht wahr.

Nur eine Armlänge entfernt blieb Winter stehen. Hätte Elea ihre Finger nach ihr ausgestreckt, so hätte sie den weichen Stoff und die funkelnden Edelsteine berühren können. Doch sie blieb reglos und schweigend stehen.

„Wer bist du?“, unterbrach Winter die Stille mit ihrer unerwartet hellen Stimme. Ihre strahlenden blauen Augen begutachteten Elea noch immer von oben bis unten.

„Ich bin Elea“, antwortete die Skalt knapp und fühle sich als hätte sie die Frage nicht richtig beantwortet.

„Und was machst du hier?“, fragte Winter weiter und begann nun sie langsam zu umrunden. Die Befragte starrte verlegen auf den Boden und wusste nicht was sie antworten sollte. Immerhin war ihr selbst nicht recht klar was sie dazu verleitet hatte aus ihrem Bett zu steigen und von Zuhause weg zu laufen.

„Ich habe etwas gesucht“, antwortete sie zögerlich, hatte jedoch das Gefühl damit nah genug an die Wahrheit heran zu kommen. Winter kommentierte diese Aussage nicht. Stattdessen blieb sie wieder vor Elea stehen, ließ ihren Blick aber weiter über sie gleiten. Als die junge Skalt wieder aufsah, trafen sich ihre Blicke und Winter flüsterte leise: „Hast du gefunden, was du gesucht hast?“

„Ich denke schon“, antwortet Elea ebenso leise und betrachtete nun Winters Kleid genauer um dem starren Blick auszuweichen. Es war aus feiner Spitze gefertigt, so dass die helle Haut der jungen Frau darunter durch schimmerte. Ihr Blick haftete noch immer an den kunstvollen goldenen Fassungen der blauen Edelsteine, als sie fragte: „Was ist mit dir?“

„Ich habe auch etwas gesucht. Etwas dass ich vor langer Zeit verloren habe“, antworte die Andere. Elea fragte sich, was jemand wie Winter wohl verlieren könnte, dass sie sich bei dieser Kälte aufmachte um es zu suchen. Offensichtlich war sie sehr reich, auch wenn Elea keine Ahnung hatte wodurch. In diesem Moment durchzuckte sie ein Gedanke. Sie hatte noch nie von einer Erscheinung wie die Winters gehört. Sollte ihr je ein anderer Skalt oder ein Mensch begegnet sein, so würde dieser doch versucht haben, all ihren Reichtum an sich zu reißen. Sie war sich nicht sicher ob ihr Gegenüber in der Lage war sich zu wehren, zu Mal so effektiv, dass es keine Geschichten über ihr Dasein gab. Oder vielleicht war Winter auch noch niemand begegnet.

„Woher kommst du?“, fragte die junge Frau dann und versuchte so natürlich wie möglich zu klingen.

„Ich weiß es nicht“, antwortete Winter sichtlich verwundert über diese Frage.

„Aber wie kannst du dass nicht wissen? Ich meine, du musst doch irgendwo losgelaufen sein! Heute Morgen oder so…“, wunderte sich Elea. Als sie jedoch drüber nachdachte, wusste auch sie nicht genau wo sie sich befand. In diesem Teil des Waldes war sie nie gewesen, vielleicht gehörte er sogar bereits einem anderen Stamm.

Ihr Gegenüber schien nicht weniger in Gedanken vertieft zu sein, vermutlich beschäftigte sie noch immer die Frage wo sie losgelaufen war. Schließlich runzelte sie nach einer Weile die Stirn und begann zu erzählen: „Vor ein paar Tagen bin ich in einem Zimmer aufgewacht.“

„Du meinst, du bist schon seit Tagen unterwegs?“, hakte Elea nach, als Winter schon einige Zeit nicht weitererzählt hatte. Verwundert betrachtete sie die junge Frau vor sich genauer. Doch die Kleider wiesen keine übermäßigen Gebrauchsspuren auf, hatten keine sichtbaren Löcher und schienen sich auch nicht mit Wasser vollgesogen zu haben.

Die langen Beine wirkten nicht besonders stark oder ausdauernd. Dafür ausgesprochen weich und anziehend. Rasch hob sie wieder den Kopf an und versuchte ihre Konzentration wieder auf das Ausgangsthema zu richten: „Du musst doch wenigstens ungefähr wissen, aus welcher Richtung du gekommen bist…“

Winter drehte sich in Richtung Norden und deutete in die Ferne. „Ein Fels im Wasser“, sagte sie dann. Offenbar war es unmöglich nähere Informationen aus dieser Frau heraus zu bekommen.

„Also gut, aber du wirst doch nicht die ganze Zeit im Freien verbracht haben, oder? Es hat doch geschneit!“ Kaum hatte Elea die Worte ausgesprochen, bedachte Winter sie mit einem Blick, den man normalerweise nur unwissenden Kindern zeigte.

„In meiner Gegenwart ist es zu kalt, als dass es schneien könnte“, erklärte sie dann und blickte in den Nachthimmel. „Mich umgibt nur die Kälte.“

In diesem Moment bemerkte Elea etwas das so banal war, dass sie sich fragte, wie sie es übersehen konnte. Während ihr eigener Atem große weiße Wölkchen bildete, war Winters unsichtbar. Sie schien nicht einmal zu atmen, denn ihr Brustkorb bewegte sich nicht.

„Was bist du?“, entfuhr es Elea leise. Je mehr Zeit sie mit dieser Frau verbrachte desto seltsamer und eigentümlicher schien sie zu werden. Ihre Worte und ihre spärlichen Gesten unterstrichen das Gefühl von Unwirklichkeit nur noch mehr.

„Ich weiß es nicht“, antworte sie leise. „Ich erinnere mich nicht.“ Diese Frage schien Winter offenbar nie in den Sinn gekommen zu sein. Oder sie hatte es nie als notwendig erachtet sich damit weiter zu beschäftigen.

„Alles was ich wollte“, begann Winter dann leise. „war hierher zu kommen. Ich kann nicht sagen wieso, aber es ist meine Pflicht gewesen.“

Dann wandte die sonderbare Frau ihren Blick ab und stierte mit den eisblauen Augen in die Dunkelheit hinein. Das ungute Gefühl die Andere habe etwas hinter ihr entdeckt, zwang Elea sich ebenfalls umzudrehen und dem Blick der blauen Augen zu folgen. Doch in der Dunkelheit war nichts. Irgendwo brach ein Ast unter dem Gewicht des Schnees ab und fiel zu Boden.

Dann drehte sich Elea wieder Winter zu, welche noch immer unbewegt wie eine Statue da stand. Die Augen ruhten noch immer auf demselben Punkt in der Landschaft.

„Wieso bist du noch hier?“, fragte Winter leise und die junge Skalt glaubte auch einen Hauch von Wehmut zu hören. „Wieso bist du nicht gegangen, wie alle anderen auch?“

„Ich weiß es nicht“, gestand Elea. In diesem Moment fragte sie sich ob Winter wohl ein Klagegeist war, eine jener verlorenen Seelen welche zuhauf durch die Wälder der Nordlande streiften. In den Geschichten waren es meist Kinder oder Mädchen welche Schutz, Zuneigung oder Vergebung suchten. Doch Elea traute sich nicht die wunderliche Gestalt zu fragen, die viel zu plastisch für einen Geist wirkte.

„Ist dort etwas?“, fragte sie dann leise, als sich Winters Augen noch immer nicht von dem Fleck im Schatten der Bäume hatte lösen können.

„Nein“, antworte diese dann leise. „Dort ist nichts.“ Sie senkte wieder ihren Blick und sah zu Elea, als erwarte sie noch immer eine Antwort. Diese hatte immer mehr das Gefühl, dass ihr Treffen mit Winter nicht zufällig war. Doch die Frau mit den weißen Haaren und den blauen Augen, schien ihr Treffen nicht über lange Hand geplant zu haben.

Normalerweise konnte sie die Leute in ihrer Umgebung sehr gut einschätzen. Winter jedoch war ein Buch das nicht nur geschlossen blieb, sondern sich mit aller Kraft dagegen zu wehren schien, geöffnet zu werden. Der Tatsache dass sie über die seltsamen Ereignisse nichts wusste zum Trotz schien sie weder Angst noch Schüchternheit zu kennen.

„Glaubst du jemand hat dafür gesorgt dass wir uns hier treffen?“, fragte Elea dann freiheraus.

Winter schien nicht sonderlich verwundert über diese Frage zu sein und antwortete mit leiser Stimme: „Ich bin mir sicher dass es so ist.“

Sie wusste nicht wieso, aber ihre Gedanken sprangen zu dem Seher und sie fragte sich was er ihr wohl nicht gesagt hatte. Elea konnte nicht sagen ob er Winter ebenfalls gesehen hatte oder ob er sie kannte. Sie konnte allerdings auch nicht sagen, ob es nicht die alte Krähe war, welche sie zueinander geführt hatte.

Die junge Nordfrau sah zu Winter auf und zum ersten Mal wurde ihr bewusst wie unnatürlich groß ihr Gegenüber war. Alle Skalt waren von Natur aus größer als Menschen, nicht viel aber der Unterschied war deutlich sichtbar. Winter jedoch war noch beinahe einen Kopf größer als Elea.

„Du weißt nicht woher du kommst, wohin du gehst oder was du suchst…“, sagte Elea dann und war sich nicht sicher ob sie mit sich selbst oder Winter sprach. Ihre Augen hefteten sich auf die hellen Haare die im schwachen Schein des untergehenden Mondes sanft funkelten. „Hast du gefunden wonach du gesucht hattest?“

Winter legte ihren Kopf zur Seite und wieder begannen ihre Augen seltsam zu funkeln. Dann antworte sie sanft: „Ich glaube schon.“

Ihre Blicke trafen sich und Elea spürte wie es ihr unmöglich wurde diesen Blickkontakt zu unterbrechen. Winters Augen schienen sie förmlich dazu zu zwingen in ihnen zu ertrinken. Es war als verberge sich hinter dem kalten blau eine zauberhafte Welt, die nur darauf wartete von ihr erkundet zu werden.

„Ich denke…“, begann Elea langsam. „Dass ich, möglicherweise, jemanden kenne… Jemand, der uns sagen könnte… Was du bist…“

Bisher hatte sie noch nie gestottert und war auch nur selten in die Verlegenheit gekommen dass ihr die Worte fehlten. Doch nun fühlte sie das Unwohlsein mit jedem ihrer Wörter steigen.

„Wen?“, fragte Winter nach und streckte die Finger aus. Offenbar hatte sie die selbe Furcht davor Elea zu berühren, wie die Skalt es ihrerseits hatte, denn kurz vor ihrem Gesicht hielt sie inne. Elea hörte wie sich knisternd Reif auf ihren Haaren bildete, doch die Kälte schien sie nicht zu berühren.

„Der Seher“, entgegnete Elea knapp und war hin und her gerissen von dem Wunsch den Blickkontakt zu unterbrechen und dem Drang auf ewig in die blauen Augen ihres Gegenübers zu starren.

Winter nahm ihr diese Entscheidung ab indem sie sich mühelos von ihr löste. Für einen Augenblick schloss sie die Augen, gerade genug dass Elea das sanfte Glitzern auf ihren Liedern bemerkte. Sie wusste nicht ob Winter nachdachte oder ob sie ihre Kraft regenerierte in dem sie alle ihre Sinne zurückzog.

„Ich weiß nichts von Sehern“, gestand Winter dann und ließ ihre Hand sinken. „Aber haben wir eine andere Wahl als ihn um Rat zu bitten?“

Elea versuchte so leise wie möglich zu sein, während sie Winter in Richtung ihres Dorfes führte. Allerdings wollte sie auch nicht den Eindruck erwecken zu schleichen, weshalb ihr Erfolg nur Mäßig war. Ihre Schritte schienen durch den verschneiten Wald zu hallen, doch offenbar war ohnehin niemand dort um den Lauten zu lauschen. Sie spürte Winters Blick der starr auf ihren Rücken gerichtet war.

Seit sie losgelaufen waren hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen und Elea fühlte sich als hätte jemand ein stummes magisches Verbot aufgestellt welches ihr jede Kontaktaufnahme untersagte. Winter schien es nicht anders zu ergehen, denn auch sie machte keine Anstalten die Stimme zu erheben.

Elea konnte nicht sagen wie weit sie gelaufen waren, ehe sich die Zivilisation vor ihr bemerkbar machte. Die Bäume um sie herum wurden etwas kleiner und jünger als die alten Riesen, durch die sie bisher gewandert waren. Der Wald schien geordnet zu sein, denn es gab kleine Gassen die nur hier und da von einzelnen alten Bäumen und Bruchholz unterbrochen wurden.

Sie betraten eine Lichtung, welche Elea kannte und ihr augenblicklich eine Vorstellung davon gab wie weit sie noch vom Dorf entfernt waren. Als sie diese Information verarbeitet hatte, durchzuckte sie ein Gedanke, welcher sie zum augenblicklichen Stillstand zwang. Winter wäre beinahe in sie hinein gelaufen und schaute sie daher verwundert an.

„Ich denke es ist besser, wenn du erstmal hier bleibst“, erklärte Elea. „Ich werde den Seher holen.“

Winter antwortete nicht, sondern stand lediglich wie zu einer Statue erstarrt im Schnee. Elea wertete dies als Zustimmung und folgte dem Lauf einer Kuhle im Schnee welche vor einigen Stunden entstanden sein musste.

Sie hatte kein gutes Gefühl dabei Winter einfach zurück zu lassen, doch etwas in ihr war der Überzeugung, dass es besser war Winter zunächst nicht mitzunehmen. Sie wollte erst einmal selbst die Beurteilung des Sehers hören. Vermutlich war es auch besser wenn Winter nicht sofort auf ein ganzes Dorf stieß, denn zum einen kannte Elea sie und ihre Absichten nicht und zum anderen schien sie es alles andere als gewohnt zu sein, viele Leute um sich herum zu haben.

In der Zeit, welche Elea brauchte um zum Dorf zurück zu kehren wurde ihr erst bewusst, wie weit sie sich von dem Dorf entfernt hatte. Dazu noch ganz allein und nur bedingt geschützt. Es grenze wohl an ein kleines Wunder dass sie nun unbeschadet zurückkehren konnte.

Nach einiger Zeit schlug sie einen neuen, inzwischen recht verschneiten Weg ein, welcher sie direkt zu dem Seher führen würde. Der Morgen graute bereits schwach, doch dies würde er auch noch für eine ganze Weile tun. In der kalten Jahreszeit schien sich die Sonne zu weigern über die Kuppel zu klettern und die Welt mit ihrem Licht zu wärmen.

Vor ihr regte sich nichts in dem Dorf und der Schnee wurde, je näher sie dem Haus kam, immer tiefer. Vermutlich war seit der Besprechung, abgesehen von ihr, keiner mehr in der Hütte der Krähe gewesen und hatte ihn um seinen Rat ersucht.

Schließlich hatte sie es geschafft und stand, nass und schwer atmend, vor der Tür. Wieder fragte sie sich wie Winter nur so leichtfüßig und mühelos über den Schnee schreiten konnte. Sie verwarf den Gedanken wieder und schüttelte kurz ihren Umhang aus, an dem die Schneeflocken wie kunstvolle Fussel hingen. Noch bevor sie die Hand erheben konnte um gegen das Holz zu klopfen, wurde diese aufgemacht und der Seher sah sie aus seinen müden, hellen Augen an.

„Ich habe auf dich gewartet.“

Wenn der Winter kommt

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