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Vorwort

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Junge Frauen und Männer entscheiden sich mehrheitlich für Berufe und Studienrichtungen, in denen der Anteil des eigenen Geschlechts überwiegt. Die Berufswahl junger Frauen fällt selten auf den MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik), während junge Männer sich weniger für Berufe und Studienrichtungen im sozialen, pflegerischen oder frühpädagogischen Bereich entscheiden. Diese horizontale Geschlechtersegregation bei der Berufs- und Studienwahl ist seit Jahrzehnten beharrlich und verlangt nach einer Stärkung und Koordination der Maßnahmen im Bereich der gendersensiblen Berufsorientierung.

Da sich bereits Kinder mit ihren «Traumberufen» auseinandersetzen, kommt einer gendersensiblen Berufsorientierung im schulischen Kontext eine zentrale Bedeutung zu. Eine offene Berufswahlvorbereitung an Schulen soll Mädchen und Jungen bei der Erkundung ihrer (geschlechtsuntypischen) berufsbezogenen Interessen durch vielfältige Angebote unterstützen und im Prozess der Berufswahl zur Reflexion von Geschlechterstereotypen ermutigen. Im Weiteren spielt eine gendersensible Berufsorientierung auch für Hochschulen eine zentrale Rolle, um das unausgewogene Geschlechterverhältnis in den Studiengängen und bei der Berufseinmündung nach dem Studium auszugleichen. Dabei stehen ein geschlechtersensibler Auftritt der Berufe und Fachbereiche sowie eine gendergerechte Gestaltung von Studiengängen im Vordergrund der Gleichstellungsbemühungen.

Das vorliegende Buch richtet sich an Vertreterinnen und Vertreter der Wissenschaft, der (Berufs-)Bildungspraxis sowie der Gleichstellung und beleuchtet die geschlechtsbezogenen Disparitäten bei der Berufs- und Studienwahl sowie die Ansätze einer gendersensiblen Berufsorientierung anhand der sechzehn Einzelbeiträge. Diese Beiträge präsentieren einerseits die Erkenntnisse aus den aktuellen Forschungs- und Entwicklungsprojekten und zeigen andererseits innovative Beispiele der Umsetzung einer gendersensiblen Berufsorientierung im (Hoch-)Schulkontext auf. Die dreizehn forschungsbasierten Beiträge wurden einem Double-Blind-Begutachtungsverfahren durch externe Gutachterinnen unterzogen und nach der anschließenden Überarbeitung zur Publikation angenommen. Die drei Praxisbeiträge wurden durch die Herausgeber(innen)schaft begutachtet. Die meisten Beiträge in diesem Band stellen die ausgearbeiteten Langfassungen der Vorträge dar, die auf der internationalen Tagung «Gendersensible Berufsorientierung» am 26. Oktober 2018 an der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz in Solothurn gehalten wurden. Die Tagung fand im Rahmen des swissuniversities-Programms P-7 «Chancengleichheit und Hochschulentwicklung 2017–2020» statt und war ein Bestandteil des Aktionsplans Chancengleichheit der Fachhochschule Nordwestschweiz 2017–20.

Das Buch ist entlang der vier Themenbereiche strukturiert, die die inhaltliche Bandbreite der Einzelbeiträge spiegeln. Der erste Themenbereich greift die Reproduktion und Transformation einer geschlechtstypischen Berufswahl anhand von fünf Einzelbeiträgen auf. Im ersten Beitrag untersuchen Katja Pässler und Nadine Schneider die Entwicklung beruflicher Interessen von 248 Primarschülerinnen und Primarschülern aus der Deutschschweiz und zeigen, dass eine Förderung von Interessen bei Kindern möglichst früh verankert werden sollte, bevor die allgemeine Begeisterungsfähigkeit von Kindern abnimmt und sich Geschlechtsunterschiede in beruflichen Interessen verfestigen. Der zweite Beitrag von Selina Teuscher, Elena Makarova und Markus P. Neuenschwander fokussiert die berufliche Laufbahn junger Frauen und Männer im Zusammenhang mit der Geschlechtstypik des gewählten Berufs und belegt, dass die berufliche Geschlechtstypik nicht nur ein gewichtiger Faktor ist, wenn es um die Begründung der Berufswahl und der Wahl der Berufslaufbahn geht, sondern auch um die Beurteilung der Zufriedenheit mit dem gewählten Beruf. Im dritten Beitrag gehen Regula Julia Leemann, Christian Imdorf, Andrea Fischer, Raffaella Simona Esposito und Sandra Hafner der Frage nach, weshalb sich die Geschlechtsspezifität der Fachmittelschule (FMS) nur langsam wandelt. Das Autor(innen)team schlussfolgert, dass die Reproduktion der Geschlechtsspezifität an FMS darauf zurückzuführen ist, dass die Schule sich im Zuge ihrer Institutionalisierung auf ihre traditionelle Funktion stützen musste, um ihr Überleben zu sichern und ihre Position als dritter Bildungsweg zu legitimieren. Der vierte Beitrag von Belinda Aeschlimann, Ines Trede, Marianne Müller und Jörg Neumann untersucht am Beispiel des Sozialbereichs, welche Rolle das Geschlecht für die Berufs- und Bildungsabsichten nach dem Berufsabschluss Fachfrau/-mann Betreuung EFZ spielt, und zeigt einen maßgeblichen Einfluss des Geschlechts und des gewählten Arbeitsbereichs auf die potenzielle Berufs- und Bildungslaufbahn. Abschließend geht der fünfte Beitrag von Sigrid Haunberger und Annabelle Bartelsen geschlechtsspezifischen Studienfachwahlmotiven für das Studium der Sozialen Arbeit nach und beleuchtet, inwiefern ein traditionelles Geschlechterrollenbild sowie eine fehlende Vorstellung über die Studienfachinhalte von Männern ein Studium im sozialen Bereich verhindern.

Nachfolgend setzen sich vier Einzelbeiträge mit geschlechtsbezogenen-Disparitäten im MINT-Bereich und gendergerechter Unterrichtsgestaltung auseinander. Der erste Beitrag in diesem Themenbereich von Walter Herzog, Elena Makarova und Felicitas Fanger illustriert eine stark asymmetrische und stereotype Darstellung der Geschlechter in naturwissenschaftlichen Schulbüchern auf der Sekundarstufe II und beurteilt diese mit Blick auf eine gendergerechte Unterrichtsgestaltung und die Förderung von Frauen in MINT-Fächern als problematisch. Der zweite Beitrag von Nadine Wenger und Elena Makarova verfolgt das Thema der Gendergerechtigkeit von Lehrmitteln in naturwissenschaftlichen Fächern weiter und stellt die Analyse und die Überarbeitung eines Physikschulbuchs für die Sekundarstufe II nach den Kriterien der Gendergerechtigkeit in Lehrmitteln (Gender Equality School Book Index) dar. Im dritten Beitrag schildern Dorothee Brovelli, Evelin Vogler und Andrea Maria Schmid Ergebnisse einer Vignettenstudie bei angehenden Lehrkräften zu einem geschlechtersensiblen Naturwissenschafts- und Technikunterricht und kommen zum Fazit, dass eine gendersensible Unterrichtsgestaltung in der Ausbildung angehender Lehrkräfte noch stärker berücksichtigt werden muss, sollte der Unterricht auch im Hinblick auf die Berufswahl zur Herstellung von Chancengleichheit beitragen. Abschließend befasst sich der vierte Beitrag von Jessica Bollag, Caroline Bühler, Isabelle Clerc, Mira Ducommun und Sonja Schär mit Vorstellungen von Lehrkräften und Dozierenden auf verschiedenen Stufen des Bildungssystems zum Fach Informatik und zum Beruf der Informatikerin beziehungsweise des Informatikers und zeigt, dass Exklusionsmechanismen unreflektiert in die Vermittlung von Informatikkompetenzen in Schulen und Hochschulen einwirken.

Der dritte Themenbereich erörtert Perspektiven einer gendersensiblen Berufsorientierung in Schule und Unterricht. Im ersten Beitrag stellt Hannelore Faulstich-Wieland die theoretischen Grundlagen des Berufswahlprozesses ebenso wie den Ansatz der Irritation nach Arno Combe und Ulrich Gebhard vor und zeigt, wie auf diese Art und Weise ein gendersensibler Berufsorientierungsunterricht ermöglicht werden kann. Der zweite Beitrag von Katja Driesel-Lange und Svenja Ohlemann stellt ausgewählte Studien der Berufsorientierungsforschung dar und zeigt auf dieser Grundlage Implikationen für eine theoretisch fundierte und empirisch begründete Konzeption und Gestaltung individueller und gendersensibler Berufsorientierung. Abschließend schildert ein Praxisbeitrag von Eveline Iannelli Nutzen und Wirkung institutioneller Verankerung eines schulzentrierten Angebots zu einer interessengeleiteten Berufswahl am Beispiel des Avanti-Projekts.

Die im Anschluss folgenden vier Einzelbeiträge thematisieren sodann eine gendersensible Gestaltung von Studiengängen und Weiterbildungen. Der erste Beitrag von Anne-Françoise Gilbert stellt aus der Genderperspektive die Ein- und Ausschlusswirkungen von institutionellen Praxen in technischen Fachhochschulstudiengängen dar und skizziert die Implikationen dieser Befunde für eine genderinklusive institutionelle Praxis in technischen Studiengängen. Im zweiten Beitrag von Dörte Resch und Melanie Nussbaumer wird die Attraktivität von ICT-Berufen analysiert und ermittelt, wie das Berufsimage mittels eines Re-Brandingprozesses so verändert werden kann, dass eine positive Identifikation für die verschiedenen Zielgruppen ermöglicht wird. Der dritte Beitrag aus der Praxis von Lalitha Chamakalayil und Dorothee Schaffner fokussiert Herausforderungen im Umgang mit gegenderten, stereotypen Denkmustern und Rollen- beziehungsweise Berufsbildern von Fachpersonen in der beruflichen Orientierung. Der Beitrag thematisiert, wie Genderthematiken und eine Auseinandersetzung mit intersektional verschränkten Ungleichheiten in der Weiterbildung verankert werden können. Der abschließende Praxisbeitrag von Angela Grosso Ciponte, Danilo Silvestri Graphic und Catherine Sokoloff gibt einen Einblick in den Forschungs- und Entwicklungsprozess einer gendergerechten Lernapp Easystep zum Berufsstart für Studierende in Gestaltung und Kunst.

Als Herausgeberin bedanke ich mich herzlich bei allen Autorinnen und Autoren für ihre spannenden Beiträge, die der interessierten Leser(innen)-schaft vielfältige Einblicke in die Thematik des Buches ermöglichen. Zudem gebührt mein ausdrücklicher Dank Nadine Wenger und Jana Lindner, die durch ihre tatkräftige Unterstützung zum Gelingen der Buchherausgabe erheblich beigetragen haben.

Bern im April 2019 Elena Makarova
Gendersensible Berufsorientierung und Berufswahl (E-Book)

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