Читать книгу Flora Flitzebesen - Band 3 - Eleni Livanios - Страница 6
ОглавлениеDie Hexenbesenweihe
„Beeil dich, Flora! Gleich müssen wir los!“
Flora Floribunda, genannt Flora Flitzebesen, sauste die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf und angelte nach ihren Hexenstiefeln, die halb unters Bett gerutscht waren. Unten im Flur stand Mama schon in der Haustür und rückte ihren festlich geschmückten Hut zurecht.
„Heute ist ein ganz besonderer Tag im Hexenrosenstädtchen“, hörte Flora die Stimme von Linne hinter sich. Die kleine Spinne krabbelte von der Leseecke in Floras Zimmer die Wand hinauf zum Dachbalken und ließ sich dann bis zu dem kleinen Hexenkessel auf dem Schreibtisch hinunter. Flora machte große Augen. Hinter Linne spann sich ein silbrig glitzernder Faden kreuz und quer durch das ganze Zimmer. Linne hatte die Angewohnheit, zu besonderen Anlässen alles mit ihrem Glitzerfaden zu verzieren, aber dieses Mal hatte sie sich ganz besonders viel Mühe gegeben.
„Wow, das ist ja toll geworden, Linne!“, rief Flora entzückt aus. „Pass auf, jetzt zaubere ich noch Tautropfen in die Spinnfäden. Ich hab’s zwar ein bisschen eilig, aber so viel Zeit muss noch sein.“ Sie zog den Zauberstab aus ihrer Tasche und murmelte einen Spruch.
„Spinnenweben silbergrau, glitzern soll der Morgentau.“
Gleich darauf glitzerte und schillerte es im ganzen Zimmer. „Echt hexig“, freute sich Flora. „Du bist eine wahre Künstlerin, Linne. Ich kann es kaum abwarten, bis du endlich meinen Tarnmantel fertig hast.“
„Ja, ja. Gut Ding will Weile haben“, murmelte die kleine Spinne, und Flora kam mal wieder der Verdacht, dass ihre Freundin nur geprahlt hatte, als sie ihr damals einen echten Tarnumhang aus Spinnweben versprochen hatte.
„Ich habe auch deinen Schulrucksack verziert“, unterbrach Linne Floras Gedanken.
„Oh, der ist schön geworden“, stellte Flora fest. „Nur, du hast die Glitzerfäden auch über die Öffnung des Rucksacks gesponnen.“ Flora überlegte. Sie musste noch bis Montag Hausaufgaben machen. Aber ohne die feinen Fäden zu zerreißen, würde sie an kein einziges Heft gelangen können. Nun gut. Das war doch ein triftiger Grund, die Hausaufgaben nicht machen zu können. Flora fand es ohnehin äußerst doof von Frau Boswelia, dass sie ihnen übers Wochenende so viele Matheübungen aufgebrummt hatte.
„Flora! Jetzt komm endlich oder ich fliege ohne dich!“ Mamas Stimme klang jetzt ein bisschen streng.
„Komm, Linne, auf geht’s zur Hexenbesenweihe!“, lachte Flora und die kleine Spinne schlüpfte schnell durch eines der vielen Löcher in Floras großem Hexenhut. Auch Floras geliebter Kater Kringel huschte in diesem Moment ins Zimmer und sprang in den Stoffbeutel, den Flora immer für ihn dabeihatte. Jetzt konnte es losgehen.
Der Tag der Hexenbesenweihe war ein wichtiger Festtag im Hexenrosental. Alle Hexen und Hexer kamen dafür auf dem großen Marktplatz zusammen und veranstalteten das traditionelle Besenmachen. Mit den neu gebundenen Besen wurde der Winter aus dem Städtchen gekehrt und anschließend erhielten alle sechsjährigen Hexen ihren ersten eigenen Besen.
Überall im Hexenrosental zeigte sich schon das erste Grün an den Bäumen und das Gras wuchs mit jedem Tag ein klitzekleines bisschen höher und grüner. Während Flora mit ihrer Mama durchs Dorf schwebte, entdeckte sie sogar die ersten Gänseblümchen.
Flora seufzte zufrieden. Sie liebte den Frühling. Oh, da fiel ihr ein alter Hexenbrauch ein.
Eilig sprang sie von ihrem Besen, lief in die nächstgelegene Wiese und kniete sich nieder. „Eins, zwei und das Dritte“, murmelte sie. Dann steckte sie sich drei Gänseblümchen in den Mund und schluckte sie hinunter.
„Was machst du denn da?“, krächzte es plötzlich von oben. „Hast du vergessen zu frühstücken?“
Flora blickte hinauf. Über ihr flatterte Nux, einer der beiden sprechenden Raben, die auf ihrem Hausdach wohnten.
„Aber nein“, erklärte Flora. „Man muss das so machen. Die ersten drei Gänseblümchen, die man im Frühling entdeckt, muss man pflücken und schlucken, dann hat man für das restliche Jahr Glück.“
Mit ihrem Besen unterm Arm und den beiden Raben Nux und Borax links und rechts auf ihren Schultern schlenderte Flora weiter Richtung Marktplatz.
Obwohl Samstag war, waren alle Marktstände an den Rand des Platzes geräumt worden. Stattdessen lag ein riesiger Haufen von Birkenruten und Eschenstöcken in der Mitte des Platzes.
Flora lief gleich zu ihren Freunden Malte und Laurus, die es sich zusammen mit vielen anderen Hexenkindern auf Sitzkissen rund um den Marktplatz bequem gemacht hatten. Weiter drüben hatten sich die Erwachsenen versammelt. Mama und Omimi konnte Flora entdecken und Calendula, die bekannteste Kräuterhexe im Tal.
„Guten Morgen, Flora“, rief Hille Helleborus, die kleine Helfe. Floras beste Freundin flatterte näher und machte dann ein beleidigtes Gesicht. „Wo soll ich mich denn jetzt hinsetzen? Normalerweise ist mein Platz auf deiner Schulter. Und nun hocken da deine Raben.“
„Wir sind nicht Floras Raben“, verbesserte Borax sie und plusterte sich empört auf, sodass er noch rundlicher aussah als sonst.
„Genau! Wir gehören nur uns selbst“, ergänzte Nux. Er war schmaler als Borax, dafür stand sein Gefieder immer ganz zerzaust in alle Richtungen ab.
„Du kannst es dir auf meinem Knie gemütlich machen, Hille“, sagte Flora schnell. Schließlich wollte sie nicht, dass ihre Freunde sich zankten – schon gar nicht an so einem feierlichen Tag!
Kaum hatte Hille sich mit einem zufriedenen Lächeln auf Floras Knie niedergelassen, trat Punica Granata, die Oberhexe, in die Mitte des Platzes und sprach mit erhobener Stimme zu ihrem Hexenvolk. „Heute Abend werden die neuen Flugbesen für unsere Fluganfänger geweiht. Alle sechsjährigen Hexenkinder versammeln sich bitte bei Eintritt der Dämmerung am Nymphenbrunnen. Unser hochgeschätzter Besenmacher Viscus hat schon vor Wochen die Besen angefertigt.“ Es ertönte Applaus und Viscus verbeugte sich leicht. Die sechsjährigen Hexenkinder wurden ganz zappelig und Flora musste lächeln. Vor zwei Jahren hatte sie ihren Besen bekommen und war vor der Besenweihe genauso aufgeregt gewesen.
Nun aber ging es los mit dem Besenmachen.
Flora bereitete es riesigen Spaß, selbst einen Kehrbesen herzustellen. Für den Stiel verwendete man das Holz einer Esche und für das Reisig band man die feinen Äste der Birke daran. Mit solchen Besen ließ sich nicht nur der Winter aus der Stadt kehren, sondern auch jegliches Unheil. So sagten es die weisen alten Hexen.
„Ich habe meinen Kehrbesen schon fertig“, verkündete Laurus nach kurzer Zeit.
„Das war ja klar, von uns bist du immer der Schnellste, wenn es um etwas Handwerkliches geht“, stellte Malte fest und es schwang ein klein wenig Neid in seiner Stimme mit.
Laurus achtete nicht weiter darauf und lief los, um aus dem großen Haufen in der Mitte des Platzes weitere Ruten zu ziehen.
„Jetzt mache ich einen Flugbesen“, teilte er seinen Freunden mit.
Hille bekam große Augen. „Ist es denn möglich, selber einen Flugbesen herzustellen?“, fragte sie überrascht. „Ich dachte, das kann nur euer Besenmacher, Viscus.“
„Ja, eigentlich schon. Aber für einen einzigen und ganz kurzen Flug funktionieren auch selbst gemachte Besen“, erklärte Flora. „Man muss sie aber tüchtig mit Flugsalbe einreiben.“
Es dauerte nicht lange, da hatte Laurus auch seinen Flugbesen fertig, und um ihn herum verbreitete sich der beißende Gestank der Flugsalbe. Nux und Borax breiteten ihre Flügel aus und verließen Floras Schultern.
„Na, endlich!“, seufzte Hille und ließ sich gleich neben Floras rechtem Ohr nieder. „Ich wusste gar nicht, dass Raben so empfindliche Nasen haben!“
Laurus ließ sich von alldem nicht stören und betrachtete zufrieden seinen Besen, der etwa hüfthoch über dem Boden neben ihm schwebte. „Es wird Zeit, ihn auszuprobieren“, verkündete er.
„Dann pass mal auf, dass du keine Bruchlandung machst, Kumpel!“, rief Malte.
Eine Menge Kinder scharten sich um Laurus und beobachteten, wie dieser den Besen bestieg. Der blonde Junge stolzierte grinsend auf dem Besenstiel hin und her und die Hexenkinder tuschelten vor Bewunderung.
Jetzt setzte Laurus sich auf den Besen und stieß steil hinauf in den Himmel, wo er hoch über den Dächern Loopings vollführte. Dann schlug er ein Rad auf dem Besenstiel. Alle hielten den Atem an. Was Laurus da veranstaltete, war höchst gefährlich.
Seine Mutter aber wirkte ganz ruhig. „Laurus braucht seine Freiheit“, hörte Flora sie zu einer anderen Hexe sagen. „Was er aber nicht weiß, ist, dass ich ein unsichtbares Sicherheitsnetz unter ihm schweben lasse“, fuhr Laurus’ Mutter mit verschmitztem Lächeln fort. „Dieses Netz ist sein ständiger Begleiter.“
Die andere Hexe nickte bedächtig und beobachtete Laurus hoch über den Dächern.
Von der Oberhexe ertönte jetzt ein schriller Pfiff. „Sofort runterkommen!“, rief sie Laurus zu. „Schluss mit dem Zirkus!“
Widerwillig steuerte Laurus seinen Besen nach unten. Als er wieder festen Boden unter den Füßen hatte, bestürmten ihn die Hexenkinder. „Du kannst so tolle Kunststücke machen, Laurus“, riefen sie durcheinander. „Bitte bring uns was bei!“
Sie zupften an seiner langen Strickjacke und wollten sich gar nicht mehr beruhigen.
„Ich glaube, du solltest eine Flugkunstschule aufmachen“, scherzte Flora und knuffte Laurus freundschaftlich in die Seite.
Als alle Hexen und Hexer ihre selbst gemachten Besen fertig hatten, begann das große Kehren. Es bildeten sich Grüppchen und man fegte nebeneinander und plauderte.
Flora liebte diesen Frühlingsbrauch. Mit energischen Strichen ließ sie ihren Besen über das Pflaster fahren, sodass das Birkenlaub raschelte. Flora erfand ein Frühlingslied und Malte und Laurus sangen kräftig mit. Hille, die neben ihnen herflog, stimmte auch mit ein. Das große Kehren hatte in der Mitte des Städtchens begonnen und nun arbeitete man sich sternförmig bis zum Stadtrand vor. Die Helfen flogen umher und streuten Helfenstaub, der die allerletzten Schneereste schmelzen ließ.
Kurz vor Sonnenuntergang knisterte dann die Luft auf dem Nymphenbrunnenplatz förmlich vor Spannung. Alle Bewohner des Hexenrosenstädtchens hatten sich versammelt. In der Mitte des Platzes standen zwölf Kinder, die ihr sechstes Lebensjahr vollendet hatten.
„Liebe Fluganfänger“, begrüßte die Oberhexe die zwölf Kinder. „Heute ist euer großer Tag. Eure Flugbesen sind bereit. Viscus, unser begnadeter Besenmacher, hat sie für euch angefertigt und sie werden nach der Besenweihe auf euch zufliegen. Zuerst aber verteile ich die Besentücher an euch. Ihr wisst ja, jede Hexenfamilie hat ihr eigenes Stoffmuster, und an dem Tuch könnt ihr euren Besen immer erkennen.“
Während die zwölf Kinder gespannt warteten, was weiter geschehen würde, kneteten sie nervös die bunten Stofftücher in ihren Händen. Und dann ging es los! Mit lautem Gezische flogen zwölf nigelnagelneue Flugbesen auf den Platz, sie drehten Runde um Runde und die Leute klatschten und johlten.
Dann schnippte die Oberhexe mit den Fingern und die Besen landeten vor ihr auf dem Boden und nahmen Aufstellung. Punica Granata griff nach einer goldenen Kanne mit einem langen, gebogenen Schnabel und besprengte einen Besen nach dem anderen mit einer hellen Flüssigkeit.
„Das ist ein Sud aus gelben Heckenrosen“, erklärte Flora ihrer Freundin Hille. „Der schützt die Besen und ihre Besitzer vor Unheil.“
„Flugbesen, erhebt euch in die Luft und schwebt zu euren neuen Besitzern“, befahl Punica Granata kurze Zeit später.
Mit angehaltenem Atem beobachtete Flora, wie die Besen Kurs auf die zwölf wartenden Kinder nahmen. Lia, Laurus’ kleine Schwester, war auch mit dabei. Sie stand am Rand der Gruppe und war ungewöhnlich still. Mit großen Augen bewunderte sie einen Besen mit einem besonders schönen dunklen Stiel, der einige Meter von ihr entfernt in der Luft verharrte. Und tatsächlich steuerte dieser Besen plötzlich auf Lia zu und blieb genau vor ihr stehen. Mit einem überglücklichen Lächeln knüpfte Laurus’ kleine Schwester ihr rotes Familientuch an den ebenmäßigen Stiel.
In Floras Bauch machte sich ein warmes Kribbeln breit. Was für ein schöner und besonderer Tag!