Читать книгу Flora Flitzebesen - Sammelband 2 in 1 - Eleni Livanios - Страница 14

Das Magische Tierhaus

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„Heute ist es so weit“, sagte Frau Boswelia eines Morgens. Augenblicklich waren alle Kinder der dritten Hexenklasse still. „Heute gehen wir ins Magische Tierhaus. Es wird für euch bestimmt spannend zu sehen, was es alles für magische Tiere gibt. In den letzten Monaten hat Turdus Merula viele neue Arten entdeckt.“

Vor dem Magischen Tierhaus ließen die Kinder ihre Blicke die Fassade hinaufwandern. Es war ein schmales, hohes Haus, mit bunten Glasfenstern. Jede Scheibe wurde von je zwei steinernen Vögeln eingefasst. Ihre Schnäbel berührten sich im Giebel der Fenster.

Überhaupt gab es sehr viele steinerne Tiere an dem Haus zu sehen. Da waren Schlangen und Eichhörnchen und Igel und Schwäne und Drachen und Iltisse, Dachse, Kröten, Katzen … Flora betrachtete die Figuren genau. Es sah eigentlich hübsch aus, aber irgendwie machte ihr die Hausfassade ein komisches Gefühl. Es breitete sich in ihrem Bauch aus und fühlte sich brennend an.

„Ich hab Bauchweh“, murmelte Flora.

„Ach, du und dein Bauchweh, Flora“, seufzte Frau Boswelia, die neben ihr stand. „Wahrscheinlich hast du mal wieder nicht gefrühstückt, hab ich recht?“

„Das kommt nicht daher“, begann Flora. Doch dann redete sie nicht weiter, denn Frau Boswelia hatte sich schon dem Eingang zugewandt. Sie ließ die Türglocke schellen, und es dauerte nicht lange, da wurde das große Tor mit einem Knarren geöffnet. Eine schlanke junge Frau mit langen weißgelben Haaren öffnete. Sie hatte freundliche blaue Augen und zahllose Sommersprossen im Gesicht. Ihr weiter langer Rock war mit aufgenähten Birkenblättern geschmückt, und auf ihrem Hut kringelte sich eine zitronengelbe Schlange, die den Kindern lustig zuzwinkerte.

„Willkommen!“, sagte die junge Frau. „Ich bin Betula Alba. Ich leite zusammen mit Turdus Merula das Magische Tierhaus.“

Hinter ihr tauchte Turdus auf und an seiner Seite entdeckte Flora den kleinen schwarzen Drachen. Wie hieß er doch gleich? Estragon!

„Na, dann lasst uns gleich mit der Führung beginnen“, meinte Turdus gut gelaunt. Er ließ die Kinder eintreten und begann dann zu erzählen: „Magische Tiere unterscheiden sich rein äußerlich überhaupt nicht von normalen Tieren. Es ist also gar nicht so einfach herauszufinden, ob ein Tier magisch ist. Magische Tiere haben besondere Fähigkeiten, die unserem Hexenvolk nützlich sind. Der Hexenrat findet es darum wichtig, dass es in der Stadt jemanden gibt, der sich ausgezeichnet mit magischen Tieren auskennt. Und das bin ich.“

„Und ich“, warf Betula ein. „Wir kümmern uns beide um die magischen Tiere.“

„Ja, ja natürlich“, sagte Turdus. Er öffnete eine Tür im Erdgeschoss. Dahinter lag ein Raum mit einem großen Wasserbecken, in dem sieben kleine Drachen planschten. Sie spuckten kein Feuer, sondern Wasser. „Sind die süß!“, flüsterte Flora. Laurus und Malte nickten.

„Diese Wasserdrachen sind die besten Feuerlöscher, die es gibt“, erklärte Turdus. „Wenn sie erst einmal ausgebildet sind, brauchen wir uns in der Stadt niemals mehr vor Feuer zu fürchten. Wir sind durch diese Drachen absolut abgesichert.“ Turdus schien sehr zufrieden. Er winkte schließlich die ganze Klasse wieder hinaus.

Während Flora auf den Gang trat, hörte sie ein raschelndes Geräusch, das von ihrem Hut her kam. Sicherlich verwelkte gerade eine der Blüten, mit denen sie ihren Hexenhut geschmückt hatte. Wenn Flora ein unangenehmes Gefühl hatte, passierte das oft. Und hier lag etwas sehr Unangenehmes in der Luft, das konnte Flora deutlich spüren.

Doch sie hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn nun ging es in den ersten Stock in einen finsteren Raum. Nur hier und da leuchteten ganz hell ein paar Lichtflecken.

„Das hier sind Leuchtkröten“, erklärte Turdus. „Man legt sie tagsüber in die Sonne. Sie speichern das Licht und nachts leuchten sie.“

Stolz nahm Turdus eine der Kröten in die Hand und hob sie hoch, sodass alle sie sehen konnten. „Man kann diese Kröten wunderbar als Taschenlampen verwenden“, fuhr Turdus fort.

„Wie denn?“, fragte ein Hexenmädchen neugierig.


„Ganz einfach“, sagte Turdus. „Man steckt eine Kröte in ein Schilfrohr.“ Er nahm ein dickes Schilfrohr, das auf der Fensterbank lag. Es war etwa so lang wie sein Unterarm, und in das obere Ende des Rohrs steckte er die leuchtende Kröte, sodass nur noch ihr Kopf herausschaute. Turdus reichte nun das Rohr weiter. Ein Kind nach dem anderen nahm es in die Hand.

„Das ist ja oberhexig“, meinte Majoranus. „So eine Taschenlampe hätte ich auch gern. Wo findet man solche Leuchtkröten?“

„Im Moor“, antwortete Turdus.

„Aber da dürft ihr Kinder nicht hin. Niemand darf zum Moor!“, warf Frau Boswelia gleich ein. „Es ist viel zu gefährlich!“

Flora hörte nur mit halbem Ohr zu. Ihr Blick war an der armen kleinen Kröte hängen geblieben, die in dem Schilfrohr steckte und sich nicht bewegen konnte. Sie sah alles andere als glücklich aus. Ihr Leuchten flackerte ein wenig, gerade so als habe sie Angst und würde ein wenig zittern. Flora tat die Kröte leid.

„Herr Merula“, begann sie, „glauben Sie nicht, dass es für die Kröten ganz schön unbequem ist, in so einem Schilfrohr zu stecken?“

Turdus hob erstaunt die Augenbrauen. „Bequem? Muss es denn für sie bequem sein? Leuchtkröten sind magische Tiere, und magische Tiere sind dazu da, unserem Hexenvolk zu dienen. Der Hexenrat hat mir das Amt übertragen, mich um die magischen Tiere zu kümmern und sie alle auf ihre Fähigkeiten hin zu prüfen. Das ist eine sehr ehrenvolle Aufgabe! “

Betula unterbrach ihn. „Der Hexenrat hat uns beiden diese ehrenwerte Aufgabe gegeben und nicht nur dir“, meinte sie. „Und auch ich glaube, dass es für die Leuchtkröten unbequem ist, in einem Schilfrohr zu stecken.“

Man konnte sehen, dass sich Betula über Turdus ärgerte. Doch Turdus ging schon aus dem dunklen Raum hinaus und führte die Klasse die Treppen hoch, in den zweiten Stock.

„Nun zeige ich euch unsere Kicher-Eichhörnchen“, verkündete er. Die Kinder und Frau Boswelia folgten Turdus und Betula. Ganz zum Schluss tapste Estragon mit schweren Füßen die knarrende Treppe hoch.

In einem lichtdurchfluteten Raum stand ein großer Käfig. Unzählige Eichhörnchen sprangen darin umher. Betula ging hin, öffnete das Türchen und im Nu sprangen die Eichhörnchen heraus und liefen im ganzen Raum umher. Sie hüpften auf die Kinder und kitzelten sie mit ihren buschigen Schwänzen, sodass alle kichern mussten.

„Seht ihr!“, sagte Betula. „Sie bringen euch zum Lachen. Allein diese Tiere zu beobachten, macht die Leute fröhlich.“

„Und genau dafür werden sie eingesetzt werden“, erklärte Turdus. „Um traurige Menschen wieder fröhlich zu machen. Schafft man sich ein Kicher-Eichhörnchen an, verfliegt jede Traurigkeit.“

„O, das ist ja ganz wunderbar“, rief Frau Boswelia.

„Womit werden sie gefüttert?“, fragte Malte wissbegierig.

„Mit Kichererbsen“, sagte Turdus.

Er war nun schon wieder auf der Treppe. Jetzt ging es hinauf in den dritten Stock, wo sich die Flugtiere befanden.

Zum Abschluss gab es im Foyer eine kleine Stärkung, die Betula für die Klasse vorbereitet hatte. Ein großer runder Tisch war gedeckt. Frau Boswelia, Turdus Merula, Betula Alba und alle Kinder der dritten Klasse nahmen daran Platz. Es gab herrliche Hexenwecken mit Rübenaufstrich und dazu Hibiskustee und hinterher Apfelkuchen.

Flora mochte Betula. Sie war richtig nett. Das fanden die magischen Tiere wohl auch, denn immerzu turnten sie um Betula herum oder strichen ihr um die Beine.



Zu Hause beim Mittagessen erzählte Flora Mama und Omimi alles von dem Ausflug ins Magische Tierhaus.

„Es war schon interessant“, begann Flora. „Aber mir tun diese Tiere irgendwie leid. Haben die denn kein Recht darauf, einfach in Freiheit zu leben? Wie kann man sie denn nur so ausnutzen?“

„Magische Tiere sind nun mal dazu da, dem Hexenvolk zu helfen. Das haben wir Mitglieder vom Hexenrat so beschlossen“, meinte Mama. „Aber es ist ungerecht!“, rief Flora aufgebracht. „Dieser Turdus kümmert sich doch überhaupt nicht liebevoll um die Tiere.“

„Also, hör mal, Flora!“, tadelte Omimi sie. „Der Hexenrat hat Turdus und Betula zu den Leitern des Magischen Tierhauses gemacht, weil sie beide sehr geeignet dafür sind. Was der Hexenrat bestimmt, ist wohlüberlegt.“

„Und ich sage dir, Omimi, ich hatte die ganze Zeit Bauchweh, während ich im Magischen Tierhaus war“, wandte Flora ein. „Ich konnte spüren, dass dort etwas nicht stimmt!“

Omimi und Mama sagten nichts mehr.

Als Flora am Abend in ihrem Bett lag, kraulte sie lange Kringels flauschiges Fell. „Lieber, süßer Kringel“, murmelte sie. „Sei froh, dass du ein ganz stinknormaler Kater bist und kein magisches Tier. Sonst würde Turdus dich auch noch einfangen.“ Kurz überlegte Flora, dann fuhr sie fort: „Entschuldige bitte, so habe ich das nicht gemeint, mit dem stinknormalen Kater. Du bist einzigartig und wunderbar! Du kannst auch etwas ganz besonders gut: lieb und kuschelig sein!“

Mit ihren Fingern in Kringels Fell schlief Flora schließlich ein. Aber die seltsame Stimmung vom Magischen Tierhaus verfolgte sie bis in ihre Träume hinein und sie wälzte sich die ganze Nacht unruhig von Seite zu Seite.

Am Morgen, noch bevor Mama kam, um sie zu wecken, schlug Flora die Augen auf. Von der Küche stieg ein wunderbarer Duft nach Erdbeerblättertee und frisch gebackenen Zimtkringeln zu ihr herauf. Flora wälzte sich seufzend aus dem Bett und starrte dann ungläubig auf ihr Kleid und ihre Hose, die sie am Abend zuvor über die Stuhllehne gehängt hatte. „Was ist denn da passiert?“, stieß sie hervor. „Entschuldigung“, ließ sich eine piepsige Stimme vernehmen. „Das war ich. Bitte werd nicht sauer.“

Aus einem Loch im Hexenhut krabbelte eine kleine grüne Spinne und sah Flora mit kugelrunden Augen an. Eine Spinne, die sprechen konnte? Also war sie wohl ein magisches Tier. Eine magische Spinne. Wo kam die denn her?

Flora beugte sich zu ihr hinunter. „Hast du meine Klamotten mit diesen Spinnweben verziert?“, fragte sie. „Wirklich sehr schön.“

„Ich habe extra einen Silberfaden benutzt, und ich wollte auch noch glitzernde Perlen einsticken, aber ich hatte gerade keine“, erzählte die Spinne eifrig.

Flora betrachtete noch einmal die Spinnennetze auf ihrem Kleid und ihrer Hose. Nach kurzem Überlegen sprach sie:

„Spinnenweben silbergrau, glitzern soll der Morgentau.“

Dazu schwang sie ihren Zauberstab und schüttelte ihn ein paar Mal. Aus seinem oberen Ende fielen Tautropfen und verfingen sich in den Spinnennetzen. Dort glitzerten sie in der Morgensonne. Wunderschön sah das aus! Flora lächelte zufrieden.

„Verrätst du mir jetzt, wer du bist?“, fragte Flora.


„Ich bin die Spinne Linne“, sagte die kleine grüne Spinne schnell. „Ich habe im Magischen Tierhaus gelebt und bin geflohen!“

„Geflohen?“, wiederholte Flora erstaunt.

„Ja, es war einfach schrecklich dort“, fuhr Linne fort.

„Turdus behandelt alle Tiere ganz mies. Er ist ein Grobian!“

Da hatte Flora also doch recht gehabt. Es war keine Einbildung gewesen, dass in diesem Haus etwas nicht stimmte. „Erzähl mehr“, bat sie die Spinne. Doch Linne schüttelte sich nur und meinte, sie wolle am liebsten gar nicht mehr darüber nachdenken.

„Betula, die ist nett. Aber Turdus, der vergisst wohl, dass wir Tiere Lebewesen sind. Für ihn muss jedes Tier seinen Zweck erfüllen, sonst ist es für ihn wertlos. Wenn die Tiere nicht das machen, was er von ihnen verlangt, sperrt er sie hinaus auf den Balkon und lässt sie dort halb erfrieren. Die Nächte sind nun schon ziemlich kalt, weißt du?“ „So ein Fiesling“, rief Flora aufgebracht. „Und wie kommt es, dass du nun hier bei mir bist?“

„Gestern, als du mit deiner Schulklasse im Magischen Tierhaus warst, da habe ich den richtigen Augenblick abgewartet und bin einfach in deinen Hexenhut gekrochen. Durch eines der vielen Löcher!“, antwortete Linne. „Ich wollte unbedingt weg von Turdus Merula. Bitte darf ich bleiben? Ich kann mich auch sehr nützlich machen!“

Flora begann, sich anzuziehen. Klamotten mit Glitzerspinnweben, das hatte wohl niemand. In der Schule würden sie alle staunen.

„Darf ich?“, riss Linne sie aus ihren Gedanken. „Ich habe auch eine ganz besondere Fähigkeit“, fügte sie schnell hinzu.

Flora blickte auf: „Was denn für eine?“

„Ich kann Tarnmäntel weben“, sagte Linne und schluckte. „Du weißt schon, Umhänge, die einen unsichtbar werden lassen.“ Dann senkte sie ein wenig den Blick.

„Stimmt das wirklich?“, fragte Flora. „Das wäre ja hexenhammerkrötenspitze!“

„Ja-haa, das kann ich“, gab Linne zurück.


Flora betrachtete die Spinne eine kurze Weile. „Weißt du was, du kannst in jedem Fall bei mir bleiben. Du musst keine besondere Fähigkeit haben. Du bist so oder so willkommen.“

Die Spinne strahlte. „Vielen, vielen Dank. Ich bin bestimmt auch immer ganz leise, du wirst gar nicht merken, dass ich hier bin“, sagte sie. „Und jetzt verziehe ich mich gleich wieder in meinen Hut.“

„In meinen Hut meinst du wohl“, sagte Flora und lachte. Aber Linne war schon wieder in das Innere des Hexenhuts gekrochen.

Flora Flitzebesen - Sammelband 2 in 1

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