Читать книгу Flora Flitzebesen - Band 5 - Eleni Livanios - Страница 10
ОглавлениеCalendulas Vorahnung
„Soso, da habt ihr nun also Bibliotheksverbot“, fasste Calendula, die alte Kräuterhexe, zusammen. Sie saß zusammen mit dem Geheimbund in der Küche ihres Hausboots und musste bei der ganzen Geschichte ein wenig grinsen, das war nicht zu übersehen. „Das ist tatsächlich ein bisschen dumm“, fuhr die alte Dame fort. „Denn nur in der Bibliothek werdet ihr all das Wissen finden, das ihr für den Wettbewerb braucht.“
„Ja, aber Skimmia bleibt hart und lässt uns nicht mehr rein“, sagte Flora und ballte die Fäuste, so wütend war sie. Malte sah auch finster drein, aber er sagte nichts. Laurus schien der Einzige zu sein, dem es nicht so viel ausmachte, nicht mehr in die Bibliothek zu dürfen. Er probierte gerade seinen neuesten Trick aus, nämlich senkrecht die Wand hochzugehen. Vorhin hatte er von seiner eigenen Teemischung getrunken und die Wirkung zeigte sich deutlich. Ganz bequem durchquerte er Calendulas Küche über die Wand, kopfüber entlang der Zimmerdecke und die andere Wand wieder herunter.
„Wirst du das wohl bleiben lassen!“, rief Calendula. „Es reicht doch, dass ihr mit euren dreckigen Schuhen auf meinem Küchenboden herumtappt. Auf der Wand brauche ich nicht auch noch deine Schuhabdrücke!“
Mit betretener Miene kam Laurus wieder auf den Fußboden zurück. Er hatte wirklich nicht vorgehabt, Calendulas Hausboot mit seinem Trick zu verschmutzen.
Calendula sah nachdenklich aus. „Wisst ihr, was?“, begann sie. „Ich glaube, für euch wäre gerade in dieser Zeit das Große Buch der Zauberei von beachtlichem Nutzen.“
„Ja, aber das ist doch in den Fluss gefallen, im Sommer, als ich diesen Kampf mit Lepiota hatte“, erinnerte Flora. „Weißt du nicht mehr, Calendula? Deine Cousine, die den ganzen Sommer hinter dem Kochbuch her war, weil sie herausbekommen hatte, dass du alle wertvollen Hexensprüche zwischen die Rezepte geschrieben hattest? Sie hatte es aus dem Versteck gestohlen und dann gab es ein wildes Gerangel hoch oben in der Luft. Dabei fiel das Buch in den Fluss und wurde nie mehr wiedergefunden, erinnerst du dich?“
Calendula schüttelte leicht verärgert den Kopf. „Hältst du mich für so alt und verkalkt, dass ich mich nicht mehr daran erinnern kann? Natürlich weiß ich das noch. Aber ich glaube, dass das Große Buch der Zauberei wiederzufinden sein müsste. Wir haben zwar damals den Fluss durchsucht und es war keine Spur davon zu entdecken, trotzdem glaube ich, dass es nicht ganz verschwunden ist. Leider ist auch Salix’ Wer-suchet-der-findet-Karte seit dem Sommer wie vom Erdboden verschluckt. Die hätten wir wirklich gut gebrauchen können. Eine Karte, auf der man verlorene Dinge wiederfindet, ist einfach genial. Aber nun bräuchten wir noch so eine Karte, mit der wir die verlorene Karte wiederfinden könnten“, sagte Calendula und lachte. Flora und ihre Freunde nickten. Leider war Salix, der Erfinder, fürchterlich zerstreut. Wie konnte man nur eine riesige Zauberkarte, die fast so groß wie Calendulas Kräutergarten war, einfach verlegen? Das konnte wirklich nur ihm passieren!
Nachdenklich fuhr Calendula fort: „Ich träume in letzter Zeit jede Nacht von dem Buch. Ich sehe in meinen Träumen, dass es weit mit dem Fluss davongespült worden ist.“
„Aber selbst wenn wir es finden“, warf Malte ein. „Dann sind die Seiten des Buches vom Wasser sicherlich schon ganz aufgelöst und die Tinte sowieso.“
Calendula schüttelte den Kopf. „Ich habe natürlich vorgesorgt. Mit einem Zauber habe ich Tinte und Papier wasserfest gehext. Jedenfalls glaube ich, dass dieser Traum, der jede Nacht wiederkehrt, eine Botschaft ist. Die Botschaft, dass wir nach dem Buch suchen sollten.“ Kringel miaute ganz laut und Calendulas schwarzer Kater stimmte mit ein. Es schien, als wollten die beiden Kater Calendulas Worten noch mehr Nachdruck verleihen.
Auf dem Nachhauseflug sprachen die Kinder über das, was Calendula gesagt hatte. Vielleicht wurde die alte Dame mit der Zeit einfach schrullig. Flora fand aber, sie sollten trotzdem nach dem Buch suchen. „Und wie, bitte schön, soll das gehen?“, fragte Laurus. „Willst du vielleicht den ganzen Fluss abtauchen? Kilometerweit? Und das im Winter? Der Fluss ist außerdem fast ganz zugefroren.“
Die Kinder verfielen in tiefes Schweigen und Grübeln.
„Du vermodertes Spinnenbein!“, rief Hille plötzlich aus. „Das hätte mir schon viel früher einfallen können. Es ist doch soooo einfach. Wir können die Flussnixen fragen. Sie können ohne Probleme auch im Winter den ganzen Fluss abtauchen.“
„Das ist die Idee!“, lobte Flora. „Komisch, dass Calendula nicht schon längst auch daran gedacht hat.“
Laurus war von der Idee ganz begeistert. Malte jedoch sagte nichts und starrte nur vor sich hin. Was war los mit ihm? War er denn immer noch sauer wegen des Bibliotheksverbots?
„Aber wie willst du denn die Flussnixen finden?“, fragte Flora ihre Freundin.
Hille lächelte geheimnisvoll. „Wir Helfen sind mit den Nixen geistig verbunden“, erklärte sie dann. „Ich brauche mir nur ganz fest zu wünschen, dass eine von ihnen auftauchen soll, dann kommt bestimmt eine. Das haben meine Eltern mir letztens erzählt und ich habe es auch schon einmal ausprobiert. Kommt, ich weiß eine Stelle in der Nähe vom Birkenwald, wo sich die Flussnixen ganz gerne im Wasser tummeln.“
Die Kinder wendeten ihre Besen und folgten der kleinen Helfe, die eifrig voranflatterte. Dann landeten sie am Flussufer am Rande des Birkenwalds.
Hille kniff fest die Augen zusammen und murmelte ganz leise etwas. Kurz darauf plätscherte es zwischen den Enten und tatsächlich, da war eine kleine Flussnixe. Sie winkte Hille zu.
„Hallo, Lutea!“, rief Hille fröhlich. Und dann weihte sie ihre Freundin in den Plan des Geheimbundes ein. Lutea war damit einverstanden, dass sie zusammen mit ihren Gefährtinnen den Fluss nach dem verschollenen Buch absuchen sollte.
Eine halbe Stunde später kreisten Flora, Malte, Hille und Laurus auf ihren Besen über dem Eis. Lutea und ihre Gefährtinnen waren durch das klare Eis zu sehen und die Hexenkinder und die kleine Helfe ließen sie nicht aus den Augen.
Es ging langsam voran, denn die Nixen suchten den Fluss sehr gründlich ab. Der Nachmittag schritt voran und es würde nicht mehr lange dauern, bis die Dämmerung einsetzte.
„Lasst uns die Suche abbrechen“, meinte Malte. „Das hat doch sowieso keinen Sinn. Calendula reimt sich da etwas zusammen mit ihren Träumen.“
„Kommt nicht infrage, dass wir jetzt aufgeben“, sagte Flora bestimmt. Laurus und Hille waren auch dafür, dass die Suche fortgesetzt werden musste, und so flogen sie immer weiter den Fluss hinunter. Eine Windung nach der anderen nahmen sie und vom Hexenrosenstädtchen war schon lange nicht mal mehr eine Turmspitze zu sehen.
Schließlich gelangten sie ganz in die Nähe der Nebelschleierburg und gerade da gaben die Flussnixen unter dem Eis Klopfzeichen. Aufgeregt sahen sich die Kinder an.
Gleich darauf konnten sie beobachten, wie die Nixen das Eis von unten mit ihrem Atem behauchten. Auf magische Weise schmolz es an dieser Stelle und Lutea streckte den Kopf hervor.
„Wir haben es“, sagte sie.
„Was? Das Buch?“, rief Hille.
„Ja, natürlich das Buch. Was denn sonst?“, lachte Lutea. „Es liegt auf dem Grund des Flusses.“
„Ich glaub’s nicht!“, entfuhr es Malte. Aber Flora sah ihn nur triumphierend an.
„Lasst uns gleich nachsehen, ob die Seiten ganz geblieben sind oder sich im Wasser aufgelöst haben“, sagte Malte aufgeregt.
Zum Glück hatten die dicken alten Pergamentseiten überlebt. Doch was war mit der noch unsichtbaren Zaubertinte? „Wir müssen nach Hause und etwas Heißes auf die Buchseiten legen!“, rief Flora. Aber Lutea hatte eine bessere Idee.
„Flussnixen haben einen sehr heißen Atem“, erklärte sie den Kindern. „Das habt ihr ja vorhin gesehen, als wir das Eis zum Schmelzen gebracht haben.“
Die kleine Nixe holte tief Luft und hauchte eine Buchseite an. Gleich darauf kamen zwischen den Kochrezepten Zeilen zum Vorschein, die mit Tinte geschrieben waren. Ja, die Hexensprüche waren noch da!
„Hurra!“, rief Laurus und jetzt jubelten alle und fielen sich begeistert in die Arme.
Flora drückte Lutea einen überschwänglichen Kuss auf den kleinen Kopf. „Danke, ihr lieben, lieben Flussnixen“, sagte sie lachend. „Los, wir fliegen zu Calendula und zeigen ihr das Buch!“
Die Luft war schneidend kalt und der Weg zu Calendulas Hausboot weit. Aber Flora malte sich die ganze Zeit aus, wie sehr Calendula sich über den Fund des Zauberbuches freuen würde. Viele Sprüche in dem Buch waren längst in Vergessenheit geraten und wurden auch nicht mehr in der Schule unterrichtet. Dieses Buch, das die Flussnixen eben aus dem Fluss geholt hatten, war ein wertvoller Schatz.
Oh ja, Calendula freute sich ganz unbeschreiblich. Und sie hatte tatsächlich mit ihrem Traum recht behalten. Zum Aufwärmen nach dem kalten Flug bekamen die Kinder frisch gebackene Nussschnecken und heißen Kräutertee. Kringel stellte die alte Kräuterhexe eine Schale saure Sahne vor die Nase, die er sich freundschaftlich mit Calendulas Kater teilte. Dann rollten sich die beiden Kater zufrieden auf der Ofenbank zusammen und schliefen Rücken an Rücken ein. Die Kinder saßen um den großen Tisch in Calendulas gemütlicher Küche und aßen und tranken und erzählten alle durcheinander, wie sie das Buch wiedergefunden hatten.
„Das habt ihr wirklich gut gemacht“, lobte Calendula. „Diesmal muss ich das Buch besser verstecken, sodass es niemand finden kann.“
„Vorher brauchen wir es aber noch, um für den Zauberwettbewerb zu lernen“, wandte Malte ein.
„Nein, nein das geht nicht“, sagte Calendula und sah sich schon nach einem passenden Versteck um. „Dieses Buch ist so wertvoll, das kann ich euch nicht so einfach geben.“
Die Kinder starrten Calendula ungläubig an. Jetzt hatten sie den ganzen Aufwand völlig umsonst betrieben?
Aber Calendula ließ die Kinder natürlich nicht im Stich. Sie holte ein Notizbuch hervor und hexte alle Sprüche, die den Kindern nützlich sein könnten, aus dem dicken Kochbuch in das Notizbuch.
„Jetzt haben wir die Sprüche doppelt“, teilte Calendula dem Geheimbund mit. „Nur die Zaubereien, die gefährlich werden könnten oder die mit schwarzer Magie zu tun haben, die habe ich in dem Kochbuch gelassen. Die braucht ihr ohnehin nicht.“