Читать книгу Das muss gesagt werden - Elfriede Hammerl - Страница 16

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Jänner

16

2012

Rampensau sein

An sich glauben! Keine Selbstzweifel!

Kein Unrechtsbewusstsein! Ein Tugendkatalog.

Sie sind eine starke Frau, sagen Leute zu mir, wenn sie mir was Freundliches sagen wollen. Das ist nämlich ein Kompliment: Sie sind stark. Sie sind kämpferisch. Sie können sich durchsetzen.

Ich will aber gar keine starke Frau sein. Ich will keine starke Frau sein müssen. Das hat nichts mit dem Geschlecht zu tun. Ich würde auch als Mann nicht dazu verdonnert werden wollen, ein starker Mann zu sein. Sagen wir es so: Ich will kein starker Mensch sein müssen, jedenfalls nicht unentwegt. Ich will auch schwach sein dürfen. Unsicher. Schüchtern. Melancholisch statt zuversichtlich und gut drauf. Das alles bin ich, aber ich sollte es tunlichst nicht zugeben und schon gar nicht zeigen.

Warum denn nicht, Herrgott noch einmal?

Was spricht dagegen, einfach ein Mensch zu sein? Menschen haben Stärken und Schwächen. Warum ist es auf einmal eine Tugend, keine Schwächen an sich zuzulassen, ja tunlichst überhaupt keine an sich zu entdecken? Führungspersönlichkeit. Karriere. Erfolg. Was heißt das?

Ich möchte keine Führungs-Persönlichkeit sein. Ich möchte keine Identität, deren Hauptmerkmal ein überdimensionierter Führungsanspruch ist. Ich möchte, dass meine Qualitäten anerkannt werden und dass meine Kompetenz wahrgenommen wird. Aber ich möchte nicht vorgeben müssen, dass ich omnikompetent sei, und ich möchte nicht permanent ein Rudel dominieren, das scharf darauf ist, meine Dominanz zu unterminieren. Ich möchte dann führen dürfen, wenn ich den Weg gerade am besten kenne, aber ich würde nicht immerzu und auf jeden Fall vorangehen wollen. Noch weniger will ich mich freilich von jemandem führen lassen, der unbeirrt vorangeht, egal, wie gut er sich auskennt.

Wünsche ich meiner Tochter eine Karriere? Nicht, wenn damit ständiges Konkurrierenmüssen, Übertrumpfen, Auftrumpfen, Siegen, das atemlose und rücksichtslose Hinaufklettern auf einer Hierarchieleiter gemeint ist. Was ich ihr wünsche, ist ein Berufsleben, das ihr Freude macht, das ihr sinnvoll erscheint und von dessen Ertrag sie gut leben kann.

Aber wie groß sind die Chancen auf ein solches Berufsleben in einer Gesellschaft, die schamlose Selbstüberhöhung, hemmungslose Selbstvermarktung und erbarmungslosen Egoismus zu angesagten Qualifikationen erklärt?

Zugegeben, das ist nichts Neues. Ein Blick auf die Geschichte zeigt, dass im Wesentlichen schon immer die Scheißmichnixe, die Haudraufinger, die Schlagetots auf der Gewinnerseite gelandet sind und nicht die Sensiblen, Empathischen, Nachdenklichen, Rücksichtsvollen. Heuchlerisches Lobpreisen von Bescheidenheit und edler Zurückhaltung war immer bloß eine Aufforderung an die Zukurzgekommenen, ihr Los zu akzeptieren und die etablierten Vorrechte der Gewinner-Nachfahren nicht infrage zu stellen. Trotzdem erinnere ich mich, wenn ich auf die – historisch gesehen bescheidene – Zeitspanne meines bisherigen Lebens zurückblicke, an eine kurze Phase (in den siebziger Jahren), in der, auch als Abkehr vom gerade durchgestandenen Herrenmenschenwahn, Begriffe wie Solidarität und Gerechtigkeit nicht als Loser-Vokabular belächelt wurden.

Mittlerweile gilt wieder ein Wertekatalog, der an die Hart-wie-Kruppstahl-Propagandisten erinnert. Survival of the fittest. Ich-AG. Wer seinen Marktwert nicht hochtreibt, ist selber schuld. Selbstbewusstsein trainieren. Unbedingt an sich glauben. Keine Selbstzweifel aufkommen lassen. Wichtiger als alle anderen Kompetenzen ist inzwischen die Fähigkeit, bei der PR in eigener Sache vor Selbstüberschätzung nicht zurückzuschrecken. Studierende im zweiten Semester listen in ihren Lebensläufen Fertigkeiten auf, deren seriöser Erwerb 120 Jahre dauern würde. Monopoly gespielt zu haben wird als wirtschaftswissenschaftliches Propädeutikum interpretiert, Pfadfinder-Wochenenden scheinen als Ranger-Ausbildung auf, zweimal Sprachferien in der Provence haben angeblich zu perfekten Französischkenntnissen geführt. Wer es nicht versteht, zügellos zu übertreiben, zeigt, dass er hartem Konkurrenzkampf nicht gewachsen ist.

Ja, na und? Ist harter Konkurrenzkampf was Gutes, Notwendiges, Erstrebenswertes? Wie wär’s stattdessen mit Freundschaft, Hilfsbereitschaft, Zusammenarbeit? Was wäre schlecht an einer Welt, in der auch Platz ist für die Zartbesaiteten, Zögernden, Zaudernden, und in der es auch die Friedlichen und Freundlichen gut haben? Nein, falsch: in der es vor allem die Friedlichen und Freundlichen gut haben, weil sie mehr gelten als die Wettbewerbler, die Ellbogen-Ausfahrer, die Dampfwalzen und Rampensäue?

Leider, überholte Träume. Und letztlich zählen sowieso nicht mehr oder minder billig erworbene Diplome, sondern Verbindungen – das richtige Elternhaus, die richtigen Freundeskreise und das unverfrorene Ausnützen von Kontakten. Net working ist wichtig, sondern networking, kombiniert mit einem eklatanten Mangel an Unrechtsbewusstsein. Sich keiner Schuld bewusst sein. Überzeugt sein vom Vorrang der eigenen Begehrlichkeiten. Nur eine einzige Erklärung für möglich halten, wenn man beim Gesetzesbruch erwischt wird: Man sei zu schön und zu intelligent für ein zu kleines Land. Was für Erfolgsrezepte. Und wie sie aufgehen!

Man muss sich eben gut verkaufen! Muss man? An wen? Ich bin dafür, dass wir uns behalten.

Das muss gesagt werden

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