Читать книгу Das 1 × 1 des Kartenlegens - Elfriede Jahn - Страница 9
ОглавлениеKARTEN TRETEN IN MEIN LEBEN
Sobald ich mit meinen kleinen Händen Karten halten konnte, gab es tägliche Kartenspiele mit meinen Eltern. Damals hatten wir kaum Spielsachen – die es gab, fielen unter den Begriff „Luxus“ und konnten von meiner Familie nicht gekauft werden.
Dafür gab es abgegriffene Preferencekarten, Tarotkarten oder ganz simple Kinderkarten. Egal, um welche Karten es sich handelte, ich hatte vom ersten Augenblick an eine besondere Beziehung zu ihnen: Ich war von den Bildern darauf fasziniert, und ich denke heute, daß sie die Bilderbücher meiner Kindheit ersetzt haben. Eine besondere Faszination übte ein Spiel auf mich aus, das meine Mutter alleine für sich legte: Man nannte das Patience-Kartenlegen, und ich durfte mich nicht einmischen, wenn sie damit „arbeitete“.
Es war immer nur für den sogenannten Hausgebrauch bestimmt, doch meine Mutter erkannte daraus oft Dinge und Ereignisse, die dann tatsächlich so waren oder so eintrafen.
Bei mir trat ungefähr zwischen dem fünften und sechsten Lebensjahr ein eigenartiges Phänomen auf. Es passierte mir oft, daß ich einen Menschen sah und plötzlich spürte, daß diesem Menschen etwas zustoßen würde.
Ich erschreckte natürlich meine Eltern und meine engere Umgebung mit meinen kindlichen Aussagen. Ich dachte mir nichts dabei, wenn ich auf der Straße sagte:
„Schau den Herrn an, der fällt bald über die Stufen.“ Es kam auch vor, daß ich in einem Geschäft mit dem Finger auf einen Menschen zeigte und sagte: „Der wird bald sterben!“ Ich wußte sehr genau, wann eine Tante, ein Onkel oder ein Nachbar sterben würde – oft fühlte ich es bis zu drei Monate im voraus.
Damals fand ich es lustig, daß ich das immer so genau erraten konnte – ich war zu kindlich, um das als seelische Belastung zu empfinden.
Nachts ergab es sich oft, daß ich aufwachte und den „Totenvogel“, also eine harmlose Eule, rufen hörte; dann dachte ich nach, was ich verstehen sollte – und wußte plötzlich genau vom baldigen Tode eines bestimmten Menschen. Ob dieser Vogel tatsächlich schrie, oder ob das eine erste spirituelle Erfahrung war, weiß ich nicht. Ich konnte mir auch nicht erklären, woher dieses Wissen kam.
Meine Eltern erschreckte es zutiefst – und die Nachbarn, Freunde oder Bekannten hielten mich für ein komisches Kind; ich war die kleine Hexe! Das bekam ich trotz meiner Kindlichkeit mit, und so unterließ ich es bald, das auszusprechen, was ich innerlich wußte.
Mit zunehmendem Alter, als ich erkannte, daß Tod Trennung bedeutete, Schmerz verursachte und Leid über Hinterbliebene brachte, begann ich darunter zu leiden. Ich erkannte – und schwieg.
Als ich zum ersten Mal einen Mann näher kennenlernte, verlor sich dieses belastende Vorauswissen, und ich atmete auf.
Es gab jedoch noch eine zweite – heute würde man sagen paranormale – Begabung in unserer Familie. Mein Vater pendelte. Er bastelte sich aus den verschiedensten Steinen und aus Holz Pendel, und ich lernte, damit wie mit einem Spielzeug umzugehen. Ich erinnere mich noch sehr genau, daß ich, wenn es ihm gut ging, auf seinem Schoß saß und er sagte: „Also, Kleine, was soll ich dir heute auspendeln?“
Wir suchten und fanden damit auch Gegenstände, pendelten über Bildern von Menschen, und ich lernte ein Pendel ganz natürlich zu handhaben.
Heute weiß ich erst, wieviel mir mein Vater damit mitgab, denn wenn ich manchmal nicht ganz sicher bin, ob eine Antwort, die ich innerlich spüre, richtig ist, nehme ich das Pendel – es ist quasi die Übersetzung meiner inneren Stimme, also meines höchsten Geistes, und eine Bestätigung meiner intuitiven Wahrnehmung.
Während all dieser Kinder- und Jugendjahre gab es eine innere Bindung an meine Mutter, die weit über das Normale hinausging. Ich war mir beispielsweise der Gefahr bewußt, die Fliegeralarm bedeutete. Trotzdem konnte mich niemand aufhalten, wenn wir mit der Schulklasse in den Luftschutzkeller flüchten mußten. Ich rannte heim zu meiner Mutter. Ich hatte Angst und wußte trotzdem, daß ich nur dann richtigen Schutz hatte, wenn ich bei ihr war.
Ich war ein introvertiertes Kind, still und gerne alleine. Schon mit zehn Jahren waren alle Bücher, die ich in die Hände bekam, die wichtigeren Freunde.
Laute Spielplätze bedeuteten mir nichts – waren mir eher ein Greuel. Ich lernte nicht leicht, doch das Lesen war mir ein großes Bedürfnis – ich schien nach etwas zu suchen.
Eigenartig war, daß ich dann, ungefähr ab meinem 14. Lebensjahr, immer die Trost- und Ratgebende für meine Schulgefährten und auch ältere Jugendliche war. Obwohl es für mich manchmal gar nicht so einfach war, helfend einzugreifen, konnte ich niemanden im Stich lassen. Egal, ob es sich um Kinder, Jugendliche oder ältere Menschen handelte, ich fühle intuitiv, was für sie das Richtige war – und tat es, oder ich sagte es ihnen.