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Kapitel 2

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Bis um sieben Uhr, als zunächst ihre Augenlider zu zucken begannen. Ich dachte schon sie würde aufwachen, doch nach einigen Sekunden hörten ihre Augenlider wieder auf zu zucken. Ich verlegte mich erneut darauf stumm zuwarten. Einige Minuten später öffnete sie schlagartig die Augen, richtete sich im Bett auf und blickte sich verwirrt um. “W-wo...bin ich? Wa-was ist passiert?“, stammelte sie leise vor sich hin, dann viel ihr Blick auf mich. “Halli hallo. Guten Morgen“, sagte ich in meinem freundlichsten synthetischen Tonfall und hob die Hand. Ihre Augen weiteten sich. “Du beschissener Dreckskerl!“, schrie sie. Dann griff sie nach ihrem Wecker und warf ihn nach mir. Ich duckte mich rasch aus der Flugbahn des Wurfgeschosses. Der Wecker zersprang in tausend kleine Plastiksplitter an der Wand, die auf meinen Rücken prasselten. Ich fand ihr Benehmen nun doch etwas grobschlächtig, nachdem ich heroisch darauf verzichtet hatte sie zu Tode zu foltern. Aber bevor ich mich richtig darüber echauffieren konnte, hatte sie schon aus der obersten Kommodenschublade einen Teleskopschlagstock herausgezogen, war kreischend aus ihrem Bett gefahren und kam den Schlagstock schwingend auf mich zu gestürmt. Überrascht von dieser heftigen Reaktion gelang es mir gerade noch vom Stuhl aufzuspringen und den ersten Schlag abzuwehren, um dann den schlagenden Arm zu packen und unter Kontrolle zu bringen. Wir rangen miteinander, bevor wir beide krachend zu Boden stürzten, dort angekommen nutzte sie meine Überraschung aus, um mir ein Knie zwischen die Beine zu rammen. Ich krümmte mich vor Schmerzen und hustete heftig. Meine kurzzeitige Unpässlichkeit nutzte Frau Riedel, um mir einen kräftigen Schlag mit der freien Hand genau auf mein Kinn zu versetzten. Von dem Schlag drehte sich alles vor meinen Augen und ich sah Sterne. Frau Riedel war in der Zwischenzeit von mir herunter gestiegen. Meine Hand wurde gepackt und es klickte metallisch, dann wurde ich ein Stück über den Boden gezogen und es klickte abermals. Ich schaute nach meiner Hand und musste erstaunt feststellen, dass ich mit einer Handstelle an das Bett gefesselt worden war. Mit der freien Hand schob ich meine durcheinander geratenen Haare wieder nach hinten und blickte zu Frau Riedel hinüber, die hyperventilierend, mit roten Wangen, zerzausten Haaren und aufgerissenen Augen an der Wand stand und mich anstarrte, während sie versuchte ihre Fassung wieder zu erlangen. Sie hielt nach wie vor den Schlagstock in der Hand. Was sagt man jetzt in so einer Situation?, grübelte ich. Kam aber auf keine Antwort. “Wer zum Teufel sind Sie?“, keuchte Frau Riedel, während ich noch darüber nachdachte, was in solch einer Situation eine adäquate Reaktion meinerseits wäre. “Und was machen Sie in meiner Wohnung? Und was mache ich in meiner Wohnung? Und wie bin ich überhaupt hergekommen?“ Ich konnte mich gerade noch davon abhalten das altbekannte Sesamstraßenlied anzustimmen. “Können Sie sich etwa nicht an gestern Abend erinnern?“, fragte ich stattdessen scheinheilig. “Nein“, antwortete sie. “Erzähl schon! Und erfinde jetzt keine Märchen!“ Ich überlegte, was ich jetzt sagen sollte, beziehungsweise, wie viel ich ihr von dem was passiert war erzählen sollte. Ich beobachtete ihren ungeduldigen Blick, der auf mir ruhte und wie sie unruhig von einem Fuß auf den anderen trat. Da faste ich, wie für mich üblich, einen brillanten aber auch gewagten Entschluss. “Ich war gestern Abend in diesem Nachtclub-...“, begann ich langsam. “Im Lollytart ?!“, vervollständigte Frau Riedel in ihrer Ungeduld meinen Bluff und ging mir genau in die Falle. “Ja genau“, sagte ich. “Ich bin in dem Club gewesen und wollte mal kurz raus um frische Luft zuschnappen. Draußen auf dem Parkplatz habe ich dann einen Mann gesehen, der Sie mit einem Ihrer Arme um seinen Hals zu einem Wagen gebracht hat. Und ich dachte, Sie hätten vielleicht ein wenig zu viel getrunken und er wolle Sie nach Hause bringen oder so was ähnliches. Und da kam mir die Idee, ich könnte vielleicht helfen indem ich die Tür aufhalte oder was.“ Ich legte eine kurze Pause ein, um die Wirkung meiner Geschichte zu überprüfen. Frau Riedel hörte mir nickend zu und wirkte, wie gebannt von meinen Worten. “Also bin ich zu Ihnen beiden rüber gegangen“, fuhr ich fort. “Und wollte ihn ansprechen, aber da ist der Typ einfach in seinen Wagen gesprungen, hat Sie auf dem Boden fallen lassen und ist los gerast. Ich habe Sie aufgehoben und auf Ihrem Ausweis nachgesehen, wo sie wohnen und Sie hierher gebracht. Seitdem habe ich darauf gewartet, das Sie aufwachen. Die Polizei habe ich nicht gerufen, weil ich Sie nicht kenne und nicht wusste, ob ich Ihnen damit Schwierigkeiten bereiten würde oder nicht.“ Gar nicht schlecht, für eine spontan erfundene Geschichte, beglückwünschte ich mich selbst im Stillen, während ich Frau Riedels Reaktion auf meine Erzählung begutachtete. Sie wirkte mittlerweile erstaunlich gefasst, nur etwas käsig um die Nase herum, aber ansonsten recht frisch. “Wie sah der Mann aus?“, fragte sie schließlich nach längerem zögern, während sie sich den Schweiß von der Stirn wischte. “Er sah, denke ich, ganz normal aus“, erwiderte ich bewusst lahm. “Es war so dunkel, wissen Sie, und ich wusste da ja noch nicht, dass das wichtig werden würde.“ Frustriert schlug sie gegen die Wand. “Verdammter Mist. Ich habe also immer noch nur ne Hand voll Scheiße.“ Ich zog probehalber an der Handschelle. “Was meinen Sie damit? Ach ja ehe ich es vergesse, es wäre sehr nett von Ihnen, wenn Sie mich losmachen würden.“ “Woher weiß ich denn, dass Sie mir nicht gerade eine erfundene Geschichte erzählt haben und mich in Wahrheit selber betäubt haben?“, zischte sie und blickte mich misstrauisch an. “Wieso sollte ich so etwas tun?“, erwiderte ich ausgesprochen glaubhaft empört. “Das ist doch vollkommen unlogisch. Wirke ich auf Sie etwa, wie so ein Perverser?“ Sie blickte mich lange schweigend an, während sie sich genervt ihre langen Haare aus dem Gesicht strich und auf der Unterlippe knabberte. Ich machte es mir ein wenig bequemer auf dem Boden. “Waren Sie privat oder geschäftlich in dem Club?“, fragte ich in das Schweigen hinein. “Ich habe in Ihrem Portmonee eine Ihrer Visitenkarten gesehen.“ “Ich war aus geschäftlichen Gründen dort. Ich ermittle im Fall der vermissten Alena Müller. Ihr letzter bekannter Aufenthaltsort war das Lollytart. Und da es sonst keine Anhaltspunkte gab, habe ich mir die Nächte dort um die Ohren geschlagen und darauf gehofft per Glückstreffer den Täter bei einer weiteren Tat zu erwischen oder irgendeinen Beweis zu finden der mich weiter bringt.“ Eine weitere verschwundene Frau?!, wunderte ich mich. Kann das ein Zufall sein oder steckt der leider kürzlich verstorbene Herr Westenberg dahinter? “Wann ist sie verschwunden?“, fragte ich gedankenverloren. “Vor acht Tagen.“, antwortete sie knapp. Mist. Ich habe ihn erst seit sieben Tagen beschattet, es könnte also gut sein, dass Herr Westenberg der Täter ist. Aber ist diese Frau Müller dann überhaupt noch am Leben?, überlegte ich. Alle seine Opfer, hatte er nur Stunden bei sich, um seine widerlichen Triebe zu befriedigen. Ein Gedanke huschte durch meinen Geist. Ich runzelte die Stirn. Zumindest war es bei allen Opfern so von denen ich weiß, dachte ich. Wenn mir eine durch mein Radar geschlüpft ist, sind da vielleicht noch mehr. “Haben Sie die Möglichkeit“, begann ich deshalb aus einer spontanen Laune heraus, “auf die Daten der Kfz-Zulassungsbehörde zu zugreifen, um einen Fahrzeughalter zu ermitteln?“ “Ja. Haben sie etwa sein Kennzeichen gesehen?“, fragte Frau Riedel aufgeregt und begann hin und her zu tigern. “Ich glaube, zumindest einen Teil des Kennzeichen gesehen zu haben und eine ungefähre Vorstellung von dem Auto zu haben. Reicht das?“, fragte ich in einem möglichst hoffnungsvollem Tonfall. Aber da war Frau Riedel schon aus dem Zimmer gestürmt und ich konnte hören, wie sie irgendwo kramte, bevor sie wieder ins Zimmer gestürmt kam mit einem Laptop in den Händen. Den legte sie auf den Boden und setzte sich davor. Sie achtete dabei genau darauf, dass sie außerhalb meiner Reichweite blieb. “Geben Sie mir jetzt die Daten!“, sagte sie. Ich setzte ein Lächeln auf. “Aber sicher, wo Sie mich doch so lieb darum bitten“, erwiderte ich ironisch. Ich zog, rein demonstrativ, an der Handschelle mit der ich ans Bett gefesselt war und hob eine Augenbraue. “Aber ich darf doch sicher damit rechnen, dass Sie mich hier vorher losmachen oder meine liebe Frau Riedel?“ “Geben Sie mir erst die Daten, dann mache ich Sie los“, erwiderte sie ungeduldig. Ich schüttelte den Kopf. “Nein.“ “Doch!“ “Eine Hand wäscht die andere Frau Riedel“, sagte ich gelassen. “Eine Hand wäscht die andere und ich akzeptiere nur Vorkasse. Also wenn ich bitten darf.“ Sie schaute mich einen langen Augenblick lang unbewegt an. “Ich kenne nicht mal Ihren Namen. Sie sind einfach ein Fremder, der mich ohnmächtig in mein Bett gelegt hat und dann beobachtet hat. Sie könnten, was weiß ich, was für ein Mensch sein.“ “Ach, wo bleiben nur meine Manieren? Ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt“, sagte ich gespielt schockiert, bevor ich betont grüblerisch fortfuhr, “Vielleicht lag das daran, dass sie zu dem Zeitpunkt versucht haben mir den Kopf einzuschlagen... aber der Höflichkeit halber: Guten Tag. Mein Name ist Damian Winter. Es ist mir ein Vergnügen Sie kennenzulernen.“ Ich versuchte absichtlich ihr die gefesselte Hand hinzuhalten. “Uups, was bin ich doch für ein Schussel, aber wenn wir schon mal dabei sind, machen Sie mich einfach los. Danke schon mal im voraus.“ Zögerlich stand sie auf und ging hinüber zu ihrer Kommode. Sie suchte einen Moment in der noch offenen obersten Schublade, dann kam sie mit einem kleinen Schlüssel in der Hand zu mir herüber und schloss die Handschelle auf. Ich blieb noch ein Weilchen sitzen und massierte die Druckstelle an meinem Handgelenk, bevor ich überaus geschmeidig aufstand und eine ausgesprochen elegante formvollendete Verbeugung vor ihr vollführte. “Ich bedanke mich vielmals, sehr verehrte Dame!“ Sie zog die Augenbrauen hoch. “Wie auch immer. Ich will jetzt die Daten von Ihnen haben Herr ähm Winter!“ Soll ich ihr vielleicht die richtigen Daten geben?, überlegte ich. Ich kann sie doch nicht zu dem dahingeschiedenen Herrn Westenberg führen oder doch? Ich bin mir schließlich ziemlich sicher, dass ich es sehr glaubhaft inszeniert habe und keine Spuren, die auf mich hindeuten könnten, hinterlassen habe. Also warum nicht? Andererseits warum sollte ich dieses, wenn auch nur sehr geringe, Risiko eingehen? Ob diese Alena Müller gefunden wird oder nicht, spielt für mich keine Rolle. Es ist für mich eigentlich schlichtweg irrelevant. ABER als jemand, der ein intellektuelles Verständnis für Gut und Böse hat, wusste ich natürlich, wie ich mich verhalten sollte. Außerdem könnte es ganz aufregend sein, nochmal zum Tatort zu gehen und den Schrecken von Frau Riedel zu genießen, wenn sie sieht was mit dem netten Herrn Westenberg passiert ist. Ich gab Frau Riedel also eine oberflächliche Beschreibung des Fords, den Herr Westenberg fuhr und drei viertel des Nummernschildes. Nach kurzem tippen auf der Tastatur ihres Laptops, hellte sich ihr Gesicht auf. Sie drehte den Laptop zu mir herüber und zeige mir ein Foto von Michael Westenbergs Gesicht. “Ist das der Mann, den Sie gestern gesehen haben!?“ “Hmm, das könnte er sein, glaube ich, aber es war so dunkel und ich habe ihn nur kurz gesehen...“ Sie sprang sofort auf und öffnete die Türen ihres Holzschrankes, dann zerrte sie ein Paar Kleidungsstücke heraus. “Das reicht mir schon. Ich gehe dem jetzt einen Besuch abstatten.“ “Gut. Ich komme mit.“ “Nein, danke. Sie haben bereits mehr als genug getan.“ “Ich komme mit und bevor Sie erneut ablehnen, denken Sie bitte daran, dass solche K.O.-Tropfen Nebenwirkungen haben können und man deshalb keine schweren Maschinen bedienen sollte. Außerdem steht Ihr Auto wer weiß wo in der Pampa, während meines quasi direkt vor der Tür steht. Soll ich weiter die Gründe aufzählen, warum Sie meine Hilfe besser annehmen sollten oder reicht das schon?“ Sie starrte mich an, schließlich murrte sie irgendetwas was sich entfernt wie >na gut< anhörte. Dann schob sie mich rabiat aus dem Schlafzimmer und schlug die Tür hinter mir zu, um sich alleine umzuziehen. Ich stand vielleicht zwei Minuten lang still da, bevor sie die Tür aufriss und an mir vorbei zur Wohnungstür stürmte. Sie trug nun eine verwaschene Jeans, eine schwarz weiß karierte langärmlige Bluse und Lederstiefel, die aussahen wie die Lady Version von den Stiefeln, die ich gerne bei meinen nächtlichen Abendteuern trug. Auf dem Weg zur Wohnungstür machte sie einen unerwarteten Schlenker zum Badezimmer und knallte die Tür hinter sich zu. Ich schlenderte gelassen Richtung Wohnungstür und konnte währenddessen aus dem Badezimmer erst die Klospülung hören, dann Geräusche des geschäftigen Werkelns. Ich war mittlerweile auf Höhe der Badezimmertür angekommen, als die Tür aufgerissen wurde und Frau Riedel um ein Haar in mich rein gerannt wäre. Sie hatte noch einige nicht abgetrocknete Stellen im Gesicht und noch etwas Zahnpasta im Mundwinkel. Insgesamt machte sie einen ganz drolligen Eindruck. Leider begann sie mich sofort zur Tür zu treiben, während sie die ganze Zeit irgendwas von wegen beeilen knurrte und sich noch schnell einen Rucksack von der Garderobe schnappte. Sie riss die Wohnungstür auf und wartete damit sie zuzuschlagen wirklich gerade lange genug, damit ich ebenfalls nach draußen schlüpfen konnte ohne Gliedmaßen einzubüßen. Dann stürmte sie die Treppe hinunter in einem Tempo, das meine Einschätzung ihres athletischen Körperbaus bekräftigte. Ich musste mich fast anstrengen, um sie einzuholen. Unten angekommen öffnete sie die Haustür und war im Nu draußen. “Wo parkt Ihr Wagen?“, herrschte sie mich an. “Nicht weit weg“, sagte ich kurz und knapp. “Hier um die Ecke.“ Und schon standen wir vor meinem Porsche, ich mit dem Autoschlüssel in der Hand und Frau Riedel irgendwie erstarrt mit aufgerissenen Augen immer wieder zwischen dem Auto und mir hin und her schauend. Ist was an einem Wagen nicht in Ordnung?, fragte ich mich irritiert. Ist mir jemand rein gefahren oder ist blaues Eis genau auf mein Auto gefallen? Dann müsste ich mir ja ein neues kaufen, dachte ich genervt. Aber bei näherem betrachten viel mir nichts dergleichen auf und ich schob ihr Starren auf irgendeine menschliche Verhaltensweise, die ich nicht begriff. Innerlich zuckte ich nur mit den Schultern. “Möchten Sie nicht einsteigen?“, fragte ich leicht verwirrt. “DAS ist Ihr Wagen?! DAS ist wirklich Ihr Wagen?!“, fragte sie und wirkte leicht atemlos. “Ja, das ist mein Wagen“, bestätigte ich ihr das offensichtliche, schließlich standen wir gerade davor und ich hatte den Schlüssel schon in der Hand. “WOW. Nicht schlecht“, sagte Frau Riedel. “Was machen Sie beruflich?“ “Ich bin Künstler.“ “Erzählen Sie keinen Scheiß!“, stieß sie aus. “Ich dachte immer, die meisten Künstler wären Bettelarme Spinner, die nicht so einen Wagen fahren würden.“ “Scheint so, als wäre ich nicht wie die meisten.“, antwortete ich und konnte mir ein einstudiertes Lächeln nicht verkneifen, weil nur mir die wahre Komik hinter dieser Aussage bewusst war. Mittlerweile hatte ich das Auto aufgeschlossen und wir waren eingestiegen. Sie hatte ihren Rucksack zwischen ihren Beinen abgestellt. Frau Riedel blickte sich im Wageninneren um und vergaß vor lauter gucken den Sicherheitsgurt anzulegen. “Wären Sie so freundlich sich anzuschnallen?“, forderte ich sie freundlich auf. Sie bekam daraufhin leicht rosa Wangen und murmelte irgendwas bestätigendes, dann gab sie mir die, mir wohlbekannte, Adresse von Herrn Westenberg, die ich sofort für den Schein in mein Navigationssystem eingab. Dann fuhren wir los. Leider war es nicht mehr so leer, wie auf meiner Hinfahrt, weil lauter Kinder und Erwachsene auf dem Weg zur Arbeit beziehungsweise zur Schule waren und uns am schnellen vorwärts kommen hinderten. Was für mich nicht weiter tragisch gewesen wäre, wenn Frau Riedel hätte still sitzen können. Stattdessen zappelte sie herum, blickte alle 30 Sekunden auf die Uhr und fragte andauernd, wann wir endlich da wären. Ich empfand ihr Verhalten, als nervenaufreibend und war froh, als wir schließlich nach 50 Minuten endlich an dem Mietshaus angekommen waren, in dem Herr Westenberg gewohnt hatte und nun seine vorübergehende letzte Ruhe gefunden hatte. Ich war kaum auf einem Parkplatz vor dem Haus zum stehen gekommen, da sprang Frau Riedel auch schon aus dem Wagen, während sie sich ihren Rucksack über die Schulter warf und hastig zur Haustür lief. Und ich armer Tropf musste hinter ihr her hetzen. Gerade als ich zu ihr aufgeschlossen hatte, fiel mir zu meinem großen Missfallen auf, dass ich bereits seit Stunden nichts mehr gegessen hatte und deshalb mein Magen gewaltig knurrte. Wäre es gesellschaftlich akzeptiert, wenn ich mir etwas zu essen aus dem Kühlschrank von Herrn Westenberg nehmen würde?, grübelte ich. Schließlich braucht er es sowieso nicht mehr, andererseits überlegte ich weiter, hatte ich seine Wohnung bereits von innen gesehen und konnte mir nicht wirklich vorstellen, dass er etwas dahaben würde, was meinem anspruchsvollem Geschmack gerecht werden würde. Dann wartete ich doch lieber bis ich hier fertig war und mir zu Hause ein schönes Steak mit Salat und ein paar Kartoffeln gönnen konnte. Frau Riedel stand derweil vor der Haustür und schien zu überlegen, wie wir uns Zutritt zum Haus verschaffen könnten, als sie plötzlich ein paar Dietriche aus der Hosentasche zog, vor der Haustür in die Hocke ging und begann am dem Schloss zu werkeln. Ich war zugegebener Maßen positiv überrascht von ihrem Tatendrang und ihrer damit einhergehenden Missachtung der Gesetze. Nach etwa 15 Sekunden hatte sie das Schloss geöffnet und war durch die Tür getreten. Gar keine schlechte Zeit, dachte ich. Auch wenn ich schneller gewesen war, als ich letzte Nacht hier gewesen bin. Wir liefen die Treppen hinauf und blieben vor der Tür zu Herrn Westenbergs Wohnung stehen. Erneut kamen die Dietriche zum Einsatz und schon standen wir im Flur des tragisch dahin geschiedenen Herrn Westenberg. Wir gingen durch den Flur in Richtung Wohnzimmer und konnten einen Blick auf die sterblichen Überreste, des von mir so schön drapierten Herrn Westenbergs werfen. Neben mir stieß Frau Riedel ein leises Keuchen aus. Ich schaute ihr ins Gesicht und sah dort für einen kurzen Moment, den Ausdruck des Entsetzens, bevor er hinter einer harten Maske verschwand. Ihre Reaktion war überaus interessant. Sie hatte ganz offensichtlich gerade nicht zum ersten mal in ihrem Leben eine Leiche gesehen. “Sieht ganz nach einem autoerotischen Unfall aus nicht wahr?“, fragte ich sie, um mich der Authentizität meines Tableaus zu versichern. Sie war mittlerweile zu Herrn Westenberg hinüber gegangen und schaute sich die auf dem Laptop aufgerufene Seite an und nickte langsam. “Es sieht ganz so aus. Vielleicht hatte er auch Angst gefasst zu werden, nachdem Sie ihn gestern gesehen haben und wollte dem Ganzen deshalb ein Ende bereiten. Wer weiß schon, was in so einem kranken Menschen vor sich geht?“, antwortete sie erstaunlich ruhig. Innerlich klopfe ich mir zufrieden auf die Schulter für meine hervorragende Inszenierung. “Wie gehen wir weiter vor?“, fragte ich noch in meiner Selbstzufriedenheit schwelgend, aber da war Frau Riedel bereits davon gestürmt in die anderen Zimmer der Wohnung und ließ mich verdutzt stehen. Als ich begann ihr gemächlich ins Schlafzimmer zu folgen, schoss sie schon wieder aus dem Zimmer heraus, bevor ich überhaupt die Tür erreicht hatte und ging rasch in die Küche. Ich zog die Augenbrauen hoch. “Wonach suchen Sie eigentlich, wenn ich fragen darf?“ “Nach Frau Müller!“, kam die pampige Antwort. Nachdem Frau Riedel alle Zimmer durchgesehen hatte, ließ sie sich ermattet gegen die Wand sacken und rutschte daran herunter. Ihr Blick ging starr ins Leere. “Sie ist nicht hier“, sagte sie tonlos. “Hatten Sie etwa damit gerechnet?“, fragte ich überrascht. “Das hier wäre doch wirklich das erbärmlichste Versteck, für ein Entführungsopfer aller Zeiten oder?“ “Danke schön, Sherlock. Das ist jetzt gerade wirklich eine große Hilfe. Nochmals danke! Haben Sie vielleicht noch weitere tolle Weisheiten parat?“ “Schön das Sie fragen“,erwiderte ich erfreut. “Er muss Frau Müller irgendwo anders versteckt haben, irgendwo wo er kommen und gehen kann, wie er will. Irgendwo, wo sie nicht gesehen oder gehört werden kann, wenn sie um Hilfe schreit und wo genug Platz ist, um Vorräte für sie zu Lagern, für längere Zeitabschnitte, in denen er nicht vorbei kommt“, sagte ich gedehnt, meine Überlegungen laut aussprechend. “Wie kommen Sie auf die Vorräte?!“, fragte Frau Riedel. Weil ich Herrn Westenberg sieben Tage lang beschattet habe und nicht mal einen Hinweis auf diese entführte Frau gefunden habe, dachte ich mir. “Ach, das ist nur so ein Gefühl“, antwortete ich stattdessen vage. Frau Riedel verfiel daraufhin in grüblerisches Schweigen, bevor sie mit einem mal wieder neue Energie zu bekommen schien. Sie versuchte aufzustehen um loszustürmen, stockte dann aber mitten in der Bewegung und fiel wieder zurück, während sie heftig blinzelte und kreide bleich wurde. “Stimmt irgendwas nicht?“, fragte ich. “Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“ “N-nur ein wenig schwindelig. K-keine große Sache.“, antwortete sie zittrig. “Suchen Sie bitte jetzt einfach nach Hinweisen. Mir geht´s gleich schon wieder besser. Keine Sorge.“ “Okay. Falls Sie irgendwie meine Hilfe brauchen, rufen Sie einfach.“ Ich überlegte kurz, wo ich mit der Suche beginnen sollte, doch dann vielen mir die Camcorder Aufnahmen wieder ein und ich konnte nur über meine Schusseligkeit schmunzeln. Gemächlich ging ich ins Schlafzimmer und fand nach kurzem kramen den Camcorder, neben den K.O.-Tropfen in der Sockenschublade. Zufrieden mit mir selbst, lief ich zurück zu Frau Riedel und hielt ihr das Gerät hin. “Ich glaube, ich habe etwas gefunden.“ Sie nahm mit leicht zitternden Händen den Camcorder entgegen. “Ist da das drauf, was ich denke, was da drauf ist?!“ “Ich fürchte ja.“ Sie wurde noch bleicher, dann schaltete sie das Gerät ein und blickte auf den kleinen Bildschirm auf dem sofort sehr eindeutige Szenen zu sehen waren. Ihr Gesicht versteinerte. Selbst ich, der ich nur bedingt den Schmerz von Menschen verstehen kann und ihn erst recht nicht nachempfinden kann, fand, dass das was ich da zusehen kriegte ziemlich geschmacklos war. Ich war direkt noch zufriedener mit mir selbst, weil ich Herrn Westenberg ein Ende bereitet hatte, auch wenn es weit hinter dem zurückgeblieben war, was ich eigentlich für ihn geplant hatte. Aber was ist das!?, schoss es mir durch den Kopf. “Fällt Ihnen auch diese leichte Bewegung auf? Als würde einer den Camcorder nicht richtig ruhig halten können?“, fragte ich. “Jetzt wo Sie es sagen“, sagte Frau Riedel entsetzt und aufgeregt zugleich. “Stimmt. Das heißt ja da ist ein Kameramann.“ “Spulen Sie mal vor“, sagte ich. “Vielleicht haben die ja nicht nur hier gedreht, sondern auch bei dem Kameramann zu Hause.“ Sie spulte vor und bei dem vierten Video wurden wir fündig, denn in diesem Video war die Bühne nicht diese kleine schäbige Wohnung, sondern ein Teil eines dunklen leicht modrigen Kellers. Unwillkürlich kroch ein kleines falsches Lächeln auf mein Gesicht. “Ich wette Alena Müller ist in diesem Keller und vielleicht sind dort auch noch mehr Frauen“, sagte ich und beobachtete das Mienenspiel von Frau Riedel, welches zwischen ausdruckslosem Starren, Entsetzen und noch etwas anderem wechselte... Was ist das nur?, fragte ich mich. Und dann erkannte ich es. Es war das kalte aufblitzen von einem Wunsch, denn ich nur zu gut kannte. Sie wollte denjenigen töten, der für diese Grausamkeiten verantwortlich war. Wirklich überaus interessant, dachte ich mir im Stillen. Es ist nur die Frage, wie groß dieser Wunsch ist und wie gut sie die Kontrolle darüber hat. Wahrscheinlich ist es nur eine allzu menschliche Reaktion bei ihr, denjenigen töten zu wollen und bei weitem nicht mit meinen Bedürfnissen zu vergleichen, schlussfolgerte ich. Da bemerkte ich, dass ich so tief in meinen Gedanken versunken gewesen war, dass ich nicht bemerkt hatte, dass Frau Riedel mit mir gesprochen hatte. “Entschuldigen Sie bitte. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich gar nicht mitbekommen habe, das Sie mit mir gesprochen haben.“ “Ich sagte: Aber wie sollen wir diesen Keller samt Haus finden ohne Herrn Westenberg? Wir können natürlich die Wohnung durchsuchen, aber das wäre ja, wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen“ Da hatte sie recht. Ich dachte kurz nach und da viel mir ein, dass Herr Westenberg die Marotte gehabt hatte alle Adressen zu denen er fuhr in sein Navi einzugeben. “Vielleicht hat sein Wagen ein Navi und darin ist die Adresse gespeichert“, schlug ich deshalb vor. Frau Riedel machte ein nachdenkliches Gesicht. “Das wäre zumindest einen Versuch wert“, sagte sie langsam. Dann stand sie zittrig auf und ging in Richtung Tür, ich folge ihr eleganten Schrittes. Wir gingen durch die Wohnungstür hinaus ins Treppenhaus, dann die Treppen hinunter, aus der Haustür raus und machten uns auf die Suche nach dem Wagen von Herrn Westenberg. Wir fanden ihn in der Nähe auf einem kleinen Parkplatz. “Wissen Sie, wie man ein Auto knackt?“, fragte ich sie gespielt hoffnungsvoll, aber da hatte sie schon aus ihrem Rucksack einen Teleskopschlagstock herausgeholt und ein Fenster des Autos eingeschlagen. “Oh okay so geht es natürlich auch“, sagte ich verdutzt. Frau Riedel griff vorsichtig in das Wageninnere und holte das Navi aus dem Handschuhfach heraus, dann schaltete sie es ein und ging die gespeicherten Adressen durch. Ihr Gesicht hellte sich auf. “Ich denke, ich habe was gefunden!“ Sie hielt mir das Navi unter die Nase. “Hier. Sehen Sie die Adresse? Die liegt in Bottrop-Kirchhellen. Alle anderen Adressen liegen in der Stadt. Was denken Sie?“ In mir kicherte der imaginäre dunkelste Teil meines Ichs, ein untrügliches Zeichen. “Ich denke, die ist vielversprechend. Sollen wir fahren?“ Sie lief bereits in Richtung meines Wagens. Das scheint so eine Angewohnheit von ihr zu sein, dachte ich irritiert und folgte ihr. Sie wartete bereits unruhig am Wagen, als ich ankam. Ich schloss das Auto auf, wir stiegen ein und fuhren los. Frau Riedel schaute, während der Fahrt unablässig abwechselnd aus dem Fenster und auf die Uhr, gleichzeitig kaute sie auf ihren Fingernägeln. “Warum haben Sie die Polizei nicht angerufen?“, fragte ich in die Stille hinein. “Weil uns das mehr Probleme bereitet hätte, als es uns helfen würde“, antwortete sie. “Und wir können uns keine Verzögerungen erlauben, es geht hier schließlich um das Leben von Frau Müller und wer weiß wie vielen noch. Alles andere ist jetzt erst mal egal, darum kümmere ich mich, wenn wir sie gerettet haben. Okay?“ “Sie sind die Expertin“, erwiderte ich mit meinem besten falschen Lächeln. “Ja. Ich muss es wissen, ich war selber bei der Polizei“, sagte sie mit einem für mich nicht zu deutenden Gesichtsausdruck. “Und wie kommt es, dass sie jetzt Privatdetektivin sind und nicht mehr bei der Polizei?“, fragte ich, weil ich annahm, dass diese Frage von mir erwartet wurde. “Polizeiarbeit ist in erster,zweiter und dritter Linie Bürokratie und dann kommt erst die Gerechtigkeit und das Wohl der Menschen. Das war nicht so ganz mein Ding und ich bin raus geflogen.“ “Das tut mir Leid für Sie“, antwortete ich, wie ich hoffte im angemessenen Tonfall. Dann herrschte wieder Schweigen. Bis wir schließlich nach gut 60 Minuten angekommen waren in einer ruhigen Straße, eher schon ein Waldweg, mit Grundstücken auf beiden Seiten. Man konnte vereinzelt einen Blick auf die Häuser werfen, welche größtenteils hinter dichter Vegetation verborgen waren. Um zu den Häusern zu gelangen musste man, wie ich vermutete lange geschwungene Auffahrten benutzen. Das von uns gesuchte Haus musste das dritte auf der rechten Seite mit der dichtesten Vegetation drum herum sein. Es wirkte beinahe wie ein Urwald, so dicht und ungezähmt war es. “So, hier wären wir nun“, sagte ich. “Wie sieht der Plan aus?“ “Ganz einfach: Sie bleiben hier und warten, während ich rein gehe und mich umsehe“, antwortete Frau Riedel ernst. “Ich habe da so meine Bedenken“, erwiderte ich pflichtbewusst. “Sie sind immer noch nicht wieder ganz fit und die ganze Sache scheint mir nicht ganz ungefährlich zu sein, falls wir hier wirklich richtig sind.“ “Sie sind Künstler und nicht vom SEK. Wie sollen Sie mir schon groß helfen?“ Stimmt. Für sie bin ich nur ein Künstler, der zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort war und nicht das eiskalte todbringende Monster, dass ich eigentlich bin, dachte ich mir. Na gut soll sie machen, was sie für richtig hält. “Sie haben recht. Viel Erfolg da drin! Passen Sie auf sich auf!“, sagte ich aufgesetzt zuversichtlich. Sie schwieg einen Moment lang, dann atmete sie tief durch. “Wenn ich in 15 Minuten noch nicht wieder da sein sollte, rufen Sie die Polizei“, instruierte sie mich. Dann stieg sie aus, setzte sich den Rucksack auf, schloss leise die Autotür und ging hinüber zur Einfahrt des Grundstückes. Dort blickte sie nochmal zu mir zurück, bevor sie sich wieder umdrehte und aus meinem Sichtfeld verschwand. Ich seufzte zufrieden auf und machte es mir in meinem Sitz gemütlicher. Soll ich vielleicht etwas Musik hören?, überlegte ich. Jetzt das ein oder andere Lied der Einstürzenden Neubauten wäre genau das Richtige, um sich die Zeit zu vertreiben. Ich machte eins meiner Lieblingslieder an und sankt zufrieden in meinem Sitz zurück, während ich den Klängen der Musik lauschte. Es sind wirklich verrückte Ereignisse gewesen, die mich hierhin gebracht haben, sinnierte ich. Und nun sind auch schon fünf Minuten rum. Noch weitere 10 Minuten und ich müsste die Polizei rufen. Halb so wild, dachte ich zufrieden, für mich steht hier ja wenig auf dem Spiel. Noch fünf Minuten. Ich saß entspannt in meinem Sitz und bedauerte zutiefst, dass ich nichts zu essen hier hatte, weil so langsam aber sicher mein Magen, wie ein hungriger Wolf knurrte. Bedauerlich, aber wenn ich nach diesem ganzen Brimborium wieder zu Hause bin konnte ich mir ein wahres Festmahl zubereiten und bei diesen rosigen Aussichten wurde ich direkt munterer. Eine Minute noch. Ich griff in meine Hosentasche und holte mein Handy hervor, um jeden Augenblick die Polizei zu rufen. Zeit abgelaufen. “Guten Tag. Sie sprechen mit der Polizeinotrufzentrale. Mit wem spreche ich und welcher Notfall liegt vor?“, meldete sich eine ruhige männliche Stimme am Telefon. “Ihnen auch einen guten Tag.“, sagte ich. “Hier spricht Damian Winter. Und ich möchte verdächtige Aktivitäten melden und eine möglicherweise in Lebensgefahr schwebende Privatdetektivin namens Julia Riedel noch dazu, die heroisch ihre Pflicht erfüllend losgezogen ist, um nach zu sehen.“ Daraufhin fragte die Stimme am Telefon >Wo?< und >Wann?< sich das ereignet hatte und um welche verdächtigen Aktivitäten es sich gehandelt hatte. Ich antwortete natürlich formvollendet und wohl artikuliert. “Okay Herr Winter, Sie sind da ziemlich weit im nirgendwo. Ich habe das alles an die Kollegen weitergeleitet. Hilfe müsste in etwa 15 Minuten da sein-...“ “Wunderbar, das wär´s dann auch schon“, unterbrach ich ihn. “Ach ja, ich denke das ist selbstverständlich, aber ich sage es trotzdem, schicken Sie bitte auch direkt einen Krankenwagen mit hier her. Danke. Wiederhören.“ Ich legte auf und lehnte mich entspannt zurück. 15 Minuten können verdammt viel Zeit sein, um einem Menschen schlimme Dinge anzutun, grübelte ich. Bin ich froh, dass ich nicht in Frau Riedels Haut stecke, dachte ich und wollte mich gerade wieder der schönen Musik und den herrlichen Überlegungen über meine zukünftigen Mahlzeiten hingeben, als sich eine gewisse Unruhe in meinem Inneren Nichts breit zu machen begann. Sollte ich ihr zu Hilfe eilen?, schoss es mir durch den Kopf. Die Kompetenzen dazu hatte ich sicherlich prinzipiell, aber warum sollte ich das tun?! Allerdings versprach mein eingreifen ein wenig Aktion und das größte Problem meiner leeren Existenz ist die Langeweile. Und um ehrlich zu sein finde ich die geheimen Aktivitäten von Herrn Westenberg und seinem Kollegen einfach unzivilisiert. So etwas sollte es in unserer zivilisierten Gesellschaft einfach nicht geben und es sollte als Strafe darauf eine öffentliche Enthauptung stehen, aber das ist nur ein Punkt meiner To-do-Liste für den Fall, dass ich jemals zufällig Diktator werden sollte. Ach was für rosige Vorstellungen, auch wenn es nur meine Hirngespinste sind. Aber ich saß gerade so bequem und hatte eigentlich kein Interesse daran mich jetzt überhaupt zu bewegen. Und gerade als ich beschlossen hatte, mich überhaupt nicht zu rühren und einfach auf das Eintreffen der Polizei zu warten, erhob ich mich ohne wirklich zu wissen >Warum?< aus meinem Sitz und stieg aus dem Auto. Und während ich noch überlegte, was das zu bedeuten hatte, machte ich mir schon Gedanken darüber, wie mein weiteres vorgehen aussehen sollte... Eine Waffe wäre definitiv von Vorteil, dachte ich und ging zu meinem Kofferraum, öffnete ihn und durchsuchte meine ,sich in einer robusten Tasche befindenden, Spielsachen nach etwas geeignetem. Nach kurzen kramen und hin und her überlegen entschied ich mich für ein wunderschönes Taschenmesser mit 10 Zentimeter Klinge, mit dem ich schon, dass ein oder andere angestellt hatte. Dann schloss ich den Kofferraum wieder, steckte mir das Messer in die Hosentasche und ging in Richtung Auffahrt. Warum tue ich das?, fragte ich mich irritiert über mein Verhalten. Wollte ich auf einmal den Helden spielen, anstatt das Monster mit DEM Grinsen und dem Messer? Wenn ja. Warum sollte ich das wollen? Guten Menschen passieren genauso viele, wenn nicht sogar noch mehr, schlechte Dinge, wie ihren bösen Artgenossen. Tief in meine Gedanken versunken schlich ich die Auffahrt hinauf. Jetzt konzentriere dich auf das Wichtige du Esel, herrschte ich mich innerlich zur Ordnung. Über das >Warum?< kannst du dir später noch zu einem günstigeren Zeitpunkt den Kopf zerbrechen. Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf meine Umgebung und ging schnellen, aber leisen Schrittes weiter. Nach etwa 60 Meter stand ich vor einem kleinen zwei stöckigen roten Haus. Es wirkte recht gut in Stand gehalten, aber keineswegs besonders schick oder extravagant. Vor dem Haus stand ein alter silberfarbener Opel Kadett. Ich lief ums Haus herum in der Hoffnung durch die Hintertür unbemerkt ins Haus eindringen zu können. Und wie erhofft befand sich dort eine Hintertür, welche sogar bereits aufstand. Ich nahm an das Frau Riedel sie aufgelassen hatte, als sie ihrerseits in das Haus eingedrungen war. Ich zückte mein Taschenmesser und betrat wachsam das Innere des Hauses. Ich blickte mich aufmerksam um. Ich befand mich nun in einer kleinen Küche, mit kleinem Tisch, kleinem Herd, kleinem alles. Es wirkte alles sehr gewöhnlich, in der Spüle stand sogar dreckiges Geschirr. Als ich mich hier in dieser langweiligen und zutiefst spießigen Küche umsah und weiter ging in das Wohnzimmer, das genauso spießig war, kroch mir der widerliche Gestank von altem Zigarettenrauch in die Nase. Ich konnte nur mit dem Kopf schütteln. Das Menschen es sich wirklich antun diesen Dreck zu inhalieren. Einfach unglaublich. Abfällig musterte ich das uralte Beige farbende Blümchen Sofa und die verblichene alte Tapete an den Wänden. Der böse Teil meines Ichs knurrte. Das hier ist ein Ort des Schreckens, schoss es mir durch den Kopf. Aber wo ist der Übeltäter? Und da sah ich auch schon eine halboffene Tür aus der künstliches Licht schien. Ich spürte, wie ein leichter Schimmer DES Grinsens auf mein Gesicht trat. Es kann doch nicht wirklich so einfach sein oder? Die Monster, die hier leben müssen echte Amateure sein. Vorsichtig, mit einsatzbereitem Messer, ging ich auf die Tür zu. Ich öffnete sie noch ein Stückchen weiter und schlüpfte, dann ebenso elegant wie lautlos hindurch. Aufmerksam spähte ich die Treppe hinunter. Ich konnte nicht mehr, als eine enge Holztreppe und nackte Wände sehen. Hier und da hingen ein paar Spinnweben, alles in allem nichts was ich nicht erwartet hatte. Hoffentlich quietschen die Stufen nicht, dachte ich und wusste gleichzeitig, dass das was ich hoffte die Welt höchstens, wenn überhaupt, zu einer ebenso ironischen wie sadistischen Wendung verleiten würde, aber mit Hilfe oder auch nur einem Entgegenkommen nicht zu rechnen war. Ich begann trotzdem die Treppe geschmeidig, wie ein schwarzer Panter auf der Jagt, hinunter zu schleichen und oh Wunder, oh Wunder keine der Treppenstufen gab ein verräterisches Quietschen von sich und ich kam problemlos unten an. Nun befand ich mich in einem kahlen Raum im dem vereinzelt ein paar Kisten und Kartons standen. Aus diesem Raum konnte man durch eine Türöffnung ohne Tür in einen Teil des, wie ich vermutete, Hauptkellers schauen und aus diesem Hauptkeller konnte ich eine selbstherrlich tiefe vom vielen rauchen ganz kratzige Stimme hören. “Na meine Süße, willst du immer noch nicht sprechen?“, säuselte diese Stimme in einem übertriebenen mir sofort unsympathisch aufstoßenden Tonfall. Als Antwort kam nur schweigen und ich hörte das dumpfe aufschlagen einer Faust auf Fleisch und Kochen. “Und wie ist es jetzt? Bist du jetzt in Plauderlaune Süße?“, fragte die rauchige säuselnde Stimme wieder. Ich schlich leise auf die Türöffnung zu und spähte vorsichtig um die Ecke, dann sah einen ziemlich wuchtigen Kerl über Frau Riedel stehen. Ihr lief Blut aus der Nase und sie hatte eine ziemlich fies aussehende Beule am Kopf. Sie war mit irgendetwas an Händen und Füßen gefesselt und hatte Klebeband über dem Mund. Womit ist sie gefesselt?, fragte ich mich. Dann wurde mir mit einem mal klar, dass es sich dabei, genauso wie am Mund, um Klebeband handelte und ich musste ehrlicherweise zugeben, dass es ihr hervorragend stand. Im absoluten Kontrast zu ihr befand sich dieser mehr als wuchtige Kerl, welcher mich sicherlich um über 30 Kilo übertraf und ich mit meinen 82 Kilo bin nun auch kein Magermodel, welches nur drei Mandeln pro Woche zu sich nimmt. Wie groß er war konnte ich nicht gut abschätzen, da er über Frau Riedel gebeugt dastand und sie böse lächelnd musterte. “So Süße, wir werden jetzt viel Spaß miteinander haben“, säuselte er und richtete sich auf, dann griff er nach seinem Gürtel. Ich musterte Frau Riedels Gesicht und stellte beeindruckt fest, dass sie erstaunlich gefasst blieb, aber einen leichten Schimmer der Panik konnten meine geschulten Augen trotzdem ausmachen. Aber Momentchen mal, dachte ich blitzartig. Ich habe nicht aus ethischen Gründen darauf verzichtet Frau Riedel meiner Spezialbehandlung zu unterziehen nur damit dieser riesige Kerl nun seine abartigen Bedürfnisse an ihr befriedigen kann. Also das geht ja gar nicht! Aber wie soll ich vorgehen?, fragte ich mich. Er ist wirklich enorm groß. Mann gegen Mann würde vermutlich schlecht für mich laufen. Ich könnte versuchen mich an zu schleichen, überlegte ich. Und just in dem Moment in dem ich mich dazu entschieden hatte, es mit einem Überraschungsangriff zu versuchen bemerkte mich Frau Riedel und blickte hoffnungsvoll zu mir herüber. Dieser Blick entging dem wuchtigen Kerl natürlich nicht und ich musste mich blitzschnell wieder hinter der Ecke verstecken. Hat er mich gesehen? Sind das etwa Schritte? Was soll ich jetzt tun? Da viel mir auf, dass aus einem der Kartons ein robust aussehendes dünnes Seil heraus ragte. Da faste ich einen Entschluss. Ich verstaute mein Messer wieder in meiner Tasche und huschte so leise wie möglich hinüber zu dem Karton und schnappte mir das Seil, es hatte gut eine Länge von 2 Meter. Ich griff es in der passenden Länge mit beiden Händen, dann huschte ich zurück zu der Türöffnung. Genau rechtzeitig, denn in diesem Moment kam der wuchtige Kerl durch die Türöffnung gelaufen, elegant schoss ich hinter ihn und wickelte das Seil um seinen Hals und zog fest zu. Der Kerl bäumte sich auf und ich hob vom Boden ab. Ich lockerte aber keineswegs die Schlinge um seinen Hals, sondern setzte hoch motiviert noch mehr Kraft ein. Er rannte daraufhin mit dem Rücken voran gegen die Wand und klemmte mich zwischen sich und der Wand ein, mit einem erstickten Keuchen entwich die Luft aus meinen Lungen, aber dann war der Spuk vorbei. Ich konnte spüren, wie die Gegenwehr erlahmte, dann fiel der Kerl plötzlich erschlafft mit dem Gesicht nach vorne auf den Boden und riss mich mit sich. Heftig atmend stand ich auf und zog noch einen Augenblick lang an dem Seil, bevor ich ihm schnell Arme und Beine fesselte. Zufrieden musterte ich mein verschnürtes Paket, dann versetzte ich ihm noch einen herzhaften Tritt mitten ins Gesicht. Dann sank ich auf die Knie und spürte DAS Grinsen auf meinen Lippen und dezenten Beifall aus den untiefen meiner Selbst. Mühsam rappelte ich mich auf und versuchte mir eine besonders schmerzhafte Stelle am Rücken zu massieren, diese befand sich jedoch außerhalb meiner Reichweite, wie ich frustriert feststellen musste. Ich setzte mich in Bewegung, ging durch die Türöffnung hindurch und schnurstracks hinüber zu Frau Riedel, die immer noch vollkommen inaktiv auf dem Boden lag. “Halli hallo. Haben Sie auch so ein Gefühl, als hätten wir das heute schon mal gehabt?“, fragte ich. “Oh Entschuldigung“, ich schlug mir mit der flachen Hand auf die Stirn, “Ich hab gar nicht dran gedacht, dass Sie gerade was das Sprechen angeht etwas verhindert sind.“ Ich riss ihr das Klebeband vom Mund und sie stieß einige wirklich derbe Flüche aus. “Ähm ein einfaches >Danke< hätte auch gereicht“, sagte ich verdutzt. “Ja ja, jetzt machen Sie mich schon los, bevor der Typ zurück kommt“, erwiderte sie. “Ganz ruhig“, sagte ich. “Der kommt nicht wieder. Der liegt da hinten ordentlich verschnürt und abholbereit. Es besteht kein Grund zur Panik.“ “WAS?!!WIE!?!? SIE haben diesen Typen gefesselt? Machen Sie keine blöden Witze, sondern befreien Sie mich schnell“, zischte sie mir leicht hysterisch zu. Ich schnitt ihre Fesseln durch. “Okay, wenn Sie mir nicht glauben, dann sehen Sie doch selbst nach, falls Sie aufstehen können.“ Sie versuchte schwankend aufzustehen, hatte allerdings wenig Erfolg bis ich ihr unter die Arme griff und ihr so sanft, wie möglich aufhalf. “Danke“, sagte sie leise und bekam leicht gerötete Wangen. “Kein Problem“, sagte ich beinah authentisch charmant und zwinkerte ihr zu. “Ich eile doch immer wieder gerne zur Ihrer Rettung herbei“ “Haben Sie Frau Müller gesehen oder etwas was uns helfen könnte Sie zu finden?“, fragte Frau Riedel, während sie sich auf mich stützte. Ich wollte gerade antworten, dass ich nichts dergleichen gesehen hatte, als ich ein Prickeln im Nacken spürte. Ich blickte mich überrascht in alle Richtungen um und sah nur einen großen Metallschrank, der an der Wand stand...und da machte es klick. “Ich glaube, ich habe sie gerade gefunden“, sagte ich an Frau Riedel gewandt. “Kann ich Sie kurz absetzen?“ Doch Frau Riedel hatte sich bereits von mir gelöst und stand leicht schwankend, aber selbstständig da. “Ja worauf warten Sie noch?! Machen Sie schon!“, herrschte sie mich an. Die hat ja einen Befehlston drauf, dachte ich amüsiert und ging in Richtung Metallschrank. Ich blieb davor stehen und musterte ihn, dann rüttelte ich an ihm und konnte schwache Schreie hören. Ich griff ohne jede Eile den Schrank und begann ihn von der Wand abzurücken. Frau Riedel hatte sich in der Zwischenzeit das Blut, das ihr aus der Nase gelaufen war mit ihrer Bluse abgeputzt und war zu mir herüber getreten. “Soll ich Ihnen helfen?!“, fragte sie nervös. “Danke, aber nein danke. Schonen Sie sich lieber. Ich schaffe das schon“, antwortete ich gelassen. Sie beschränke sich danach darauf unruhig hin und her zu laufen und als ich schließlich den Schrank abgerückt hatte und den Blick auf eine schwere Tür mit Vorhängeschloss freigelegt hatte, schien Frau Riedel vor Anspannung zu vibrieren. “Haben Sie noch Ihre Dietriche?“, fragte ich. Sie schüttelte den Kopf. “Nein, die hat die Schwabelbacke mir abgenommen“, antwortete sie missmutig. Ich nickte. “Okay, warten Sie einen Augenblick.“ Ich drehte mich um und ging zu dem schön verschnürten Kerl hinüber, rund um sein Gesicht hatte sie eine kleine Pfütze aus Blut gebildet, welches aus seiner zertrümmerten Nase lief. Er hatte wohl versucht sich zu befreien, dass sah ich daran das er auf dem Boden hin und her gerutscht war und sein eigenes Blut verschmiert hatte. Er blickte mich aus hasserfüllten Augen an, als ich näher trat. “Hi Großer“, sagte ich. “Ich habe da mal ne Frage und Sie werden sie mir besser beantworten. Wo ist der Schlüssel für die Tür hinter dem Metallschrank? Und beeilen Sie sich bitte mit der Antwort. Ich bin ungeduldig.“ Er spukte mir einen Mund voll Blut vor die Füße. “Dir sag ich gar nichts“, erwiderte er höhnisch. Ich griff gemächlich in meine Hosentasche und zog mein Messer hervor, dann klappte ich es auf und hielt es ihm ganz nah vor sein Gesicht. “Mit welchem Auge soll ich anfangen?“, fragte ich ausdruckslos. “Mit dem Linken oder mit dem Rechten? Also ich bin da ja sehr flexibel.“ “Oben in der Küche, in einer Keksdose“, antwortete er hastig ohne den Blick von der Messerspitze abzuwenden, die seinem rechten Auge schon gefährlich nah gekommen war. “Wehe der Schlüssel ist nicht dort“, sagte ich. Dann machte mich auf den Weg in die Küche, dort angekommen fand ich in einem der Küchenschränke besagte Keksdose und zu seinem großen Glück enthielt sie einen Schlüsselbund. Mit dem Schlüsselbund in der Hand ging ich zurück in den Keller hinunter. Als ich an dem mir immer noch unbekannten Kerl vorbei kam, konnte ich es mir nicht verkneifen ihm kräftig in die Nieren zu treten, um mich für seine Hilfe zu bedanken, dann lief ich zu Frau Riedel und der noch immer verschlossenen Tür. “Ich habe die Schlüssel“, strahlte ich sie mit einem einstudierten Lächeln an. “Beeilen Sie sich und schließen auf“, stieß sie ungeduldig hervor. Diese, meiner großartigen Leistung, nicht angemessene Reaktion störte mich zwar, aber ich tat trotzdem was sie sagte. Das Schloss ließ sich leicht öffnen, anschließend zog ich die schwere Tür knarrend auf, aus der Öffnung schwebte sofort der beißende Gestank von Angst, Fäkalien und alten Schweiß heraus. Die Geruchsmischung des Grauens. Im Dunklen konnte ich einige Gestalten ausmachen. Ich tastete nach einem Lichtschalter, fand ihn und schaltete das Licht ein. Hinter mir ertönte ein ersticktes Keuchen, als eine nackte Glühbirne unter der Decke das Innenleben des Raumes, ich korrigiere des Verlieses, erleuchtete. Im Raum saßen sechs halbnackte, verschmutze Frauen unterschiedlicher ethnischer Herkunft. Jede auf einer eigenen verdreckten Matratze auf dem Boden. Sie waren mit Halsbändern aus Metallketten an die Wand gefesselt, außerdem trugen sie Handschellen. Jede dieser Frauen hatte Hämatome in den unterschiedlichsten Farben und Formen am ganzen Körper, wie ich mit fachmännischem Auge feststellte. Ich wurde von hinten angerempelt, als Frau Riedel an mir vorbei stürmte und begann auf die Frauen beruhigend einzureden. Mich überkam eine tiefe Selbstzufriedenheit, weil ich Herrn Westenberg ein jähes Ende bereitet hatte und ein leichter Stich des Bedauerns, da ich den zweiten Teil dieses bösen Duos zwar in meiner Gewalt hatte, ihm aber nicht die Behandlung zu kommen lassen konnte, die er verdient hatte. Da bemerkte ich mitten in meine Überlegungen vertieft, dass Frau Riedel wild in meine Richtung gestikulierte. “Bitte was?“, fragte ich. “Entschuldigung ich war gerade ganz wo anders.“ “Jetzt reißen Sie sich zusammen und geben Sie mir den beschissenen Schlüsselbund“, schnauzte sie mich an. Ich reichte ihn ihr und sie ging reihum, währenddessen öffnete sie die Schlösser an der Halsbändern und Handschellen der Frauen. Mein Fuß rutschte leicht weg, weil ich in irgendetwas rein getreten war. Ich blickte nach unten und musste feststellen, dass ich in etwas getreten war von dem ich gar nicht zu genau wissen wollte was es war. Angewidert verzog ich mein Gesicht. Meine armen Schuhe! Es gibt aber auch wirklich keine gute Tat, die nicht sofort bestraft wird. Da spielt man einmal den Helden und versaut sich sofort die Schuhe. Und wofür? Für nichts. Genervt schüttelte ich den Kopf und versucht so gut es ging den Dreck von meinen Schuhe am Boden abzuwischen. Aber jetzt mal ehrlich, dachte ich. Ich habe den Anstand die Leute hier zu retten, was um ehrlich zu sein nicht zu meinem Lebensstil passt und das einzige was ich davon habe sind versaute Schuhe. Damian Winter, Lebensretter zu ihren Diensten, dachte ich amüsiert. “Frau Müller, ihre Mutter hatte mich beauftragt Sie zu finden“, sagte Frau Riedel beruhigend zu der am wenigsten verschmutzten Frau, die aber mindestens genauso grün und blau geschlagen war, wie die anderen. “Kommen Sie bitte mit mir. Ich bringe Sie alle wieder in Sicherheit.“ Die Angesprochene konnte vor lauter weinen und schluchzen nicht artikuliert Antworten, deshalb nickte sie nur und Frau Riedel begleitetet sie zur Tür. “Sie können alle mitkommen“, sagte Frau Riedel an die anderen Frauen gewandt. Die anderen Frauen standen dadurch ermutigt ebenfalls auf und folgten Frau Riedel, die Frau Müller nach draußen brachte. Ich hatte bisher nur reglos dieses Schauspiel verfolgt, doch nun machte ich mich auch auf den Weg, um dieses stinkende Loch zu verlassen. An der Tür drehte ich mich nochmal um und schaute zurück in das Verlies. So viel Grauen von mir gestoppt, sinnierte ich. Was für ein interessantes Erlebnis, mal abgesehen von der Sauerei an meinem Schuh natürlich. Was bereitet mir mehr Freude: Leben zu retten oder sie zu beenden? Unwillkürlich trat ein Lächeln auf mein Gesicht. Was für eine blöde Frage. Die Antwort ist sonnenklar. Ich wandte mich ab und ging durch die Türöffnung heraus in den Hauptkeller zurück. Dort kauerten die befreiten Frauen auf dem Boden, während Frau Riedel mich erwartungsvoll anschaute. “Wann kommt den endlich die Polizei?!“, fragte sie. Ich zuckte mit den Schultern. “Am Handy war die Rede von 15 Minuten.“ Ich holte mein Handy hervor und schaute auf die Uhr. “Aber jetzt sind schon 20 Minuten vergangen, seitdem ich angerufen habe. Vielleicht sollte ich nochmal anrufen.“ “Die kommen bestimmt jeden Augenblick“, sagte Frau Riedel geistesabwesend. “Keine Sorge.“ “Wie viel von den heutigen Geschehnissen erzählen wir unseren lieben Freunden und Helfern von der Polizei?“, fragte ich betont gelassen. Frau Riedel trat an mich heran. “Ich erzähle irgendwas von einem anonymen Tipp und wir lassen weg, dass wir beim Westenberg zu Hause waren. Ansonsten erzählen wir alles so wie es passiert ist.“ “Okay dokay, dann weiß ich Bescheid“, sagte ich. Frau Riedel ging zurück zu den Frauen und redete weiter leise auf sie ein. Ich stand einfach nur da und fragte mich, was jetzt wohl ein menschliches Wesen unternehmen würde? Würde es auch auf sie einreden? Wenn ja. Was würde es sagen? Das ist aber auch alles verflixt kompliziert. Mit einem mal wurde von Frau Riedel beschlossen, die Enge des Kellers zu verlassen und stattdessen nach oben zu gehen. Die Karawane setzte sich in Bewegung und keiner hörte mir zu, als ich versuchte sie darauf aufmerksam zu machen, dass um die Ecke herum, der zusammen geschnürte Kerkermeister lag. Als sie um die Ecke gingen und ihn sahen, wie er auf dem Boden lag, in seinem eigenen Blut, stieß eine der Frauen einen schrillen Schrei aus. Frau Riedel nahm sie in den Arm und versuchte sie zu beruhigen, währenddessen starrte sie mich über die Schulter hinweg an. Innerlich zuckte ich nur mit den Schultern. Nicht meine Schuld, wenn mir keiner zuhört. Frau Riedel lotste die Frauen an dem auf dem Boden liegenden Paket vorbei und ich folgte ihnen geschwind, wobei ich wie aus versehen auf den Knöchel des verschnürten Kerls trat. Es knackte und knirschte leise. Er stieß einen Schmerzensschrei aus. “Oh verzeihen Sie bitte vielmals. Das wollte ich nicht“, sagte ich im vorbei gehen und hob entschuldigend die Hände. “Aber es ist hier auch wirklich stockdunkel. Da kann so was schon mal passieren.“ Ich verkniff mir ein Grinsen und lief flugs die Treppe hinauf. Oben angekommen schaute ich dabei zu, wie Frau Riedel die Frauen mit Wasser und Decken versorgte, als es plötzlich an der Tür klopfte. Ich ging zur Tür und öffnete sie. Vor der Tür standen zwei Polizisten. “Guten Tag. Also ich will mich ja nicht beklagen, aber wenn Sie ne Pizza wären, würde ich Sie jetzt umsonst kriegen“, sagte ich zu den perplexen Polizisten und zeigte demonstrativ auf die Uhr. “Sehen Sie das?! Am Telefon war die Rede von 15 Minuten und das finde ich, ist schon eine unzufrieden stellende Zeit.“ Einer der Polizisten zog seine Schusswaffe und richtete sie auf mich. “Sofort runter auf den Boden und Hände dahin, wo ich sie sehen kann“, keifte er in diesem typischen Beamtentonfall für den, zurecht wie ich finde, alle Beamten Weltweit gehasst werden. Ich kam den Aufforderungen amüsiert nach. “Falls Sie jemandem helfen wollen, sollten Sie reinkommen und den vermutlich vergewaltigten und misshandelten Frauen helfen“, sagte ich herablassend, während ich immer noch in den Lauf einer Schusswaffe blickte und mir gerade Handschellen angelegt wurden. In dem Moment kam eine der Frauen in eine Decke gehüllt angelaufen. Sie erstarrte, wie das Reh im Scheinwerferlicht, vor den Polizisten, die einfach nur da standen und sie mit offenem Mund und vor entsetzen geweiteten Augen anstarrten. Dann wurde ich grob mit dem Gesicht voran in den Boden gedrückt und bekam ein Knie in den Rücken gepresst. “So du scheiß Kerl. Was ist das für ein krankes Spiel?!“, sagte der nette liebenswürdige Polizeibeamte, der auf meinem Rücken kniete. Wie wohl sein Gesicht aussehen würde, nachdem ich ihm die Zunge und die Nase abgeschnitten habe?, überlegte ich und mir schlich dabei ein leichtes Lächeln aufs Gesicht. “WAS zum Teufel machen Sie da?!“, ertönte die aufgebrachte Stimme von Frau Riedel. “Junge Frau bleiben Sie zurück. Wir haben diesen Irren überwältigt. Keine Sorge. Jetzt erzählen Sie uns erst mal, was hier vorgefallen ist. Gibt es Verletzte?“ Nun wurden lang und breit die Geschehnisse des heutigen Tages wiedergegeben. Was war hier passiert? Wie kam es, dass wir ausgerechnet dieses Haus aufgesucht haben? Wussten wir irgendwas über den Hausbesitzer? Blah blah blah. Es wäre wirklich zum einschlafen gewesen, wenn ich nicht die komplette Zeit über mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden gelegen hätte, während mir ein Knie in den Rücken gepresst wurde. Die ausgesprochen freundlichen Polizisten (Vorsicht Ironie!) weigerten sich strikt von mir herunter zu gehen bis der Krankenwagen samt Verstärkung da war. Dann wurde ich grob hochgehoben, wobei ich froh sein konnte, dass mir nicht die Schulter ausgerenkt wurde und anschließend wurden mir, dann endlich, wenn auch ausgesprochen widerwillig, die Handschellen abgenommen. Anschließend wurde ich, nach den sechs Frauen aus dem Verlies und Frau Riedel, als letzter medizinisch untersucht. Zum Glück waren es nur Sanitäter und keine Ärzte. Der Beruf >Arzt< ist einfach ein verachtungswürdiger Berufsstand. Sie tun immer so, als wollten sie den Menschen helfen und wären die Retter der Welt, dabei sind ihnen Menschen vollkommen egal, es geht nur darum ihre narzisstischen Bedürfnisse zu befriedigen. Widerliche arrogante Egomanen allesamt. Während meiner Untersuchung sah ich, wie die Frauen aus dem Verlies in Krankenwagen verfrachtet wurden, dann fuhren die Wagen in Windeseile los. Tja aus den Augen aus dem Sinn. Am Rande des Geschehens sah ich Frau Riedel, die zwar sehr mitgenommen aussah, aber irgendwie gleichzeitig auch einen Gesichtsausdruck hatte, den ich als emotionsloses Wesen, als selig bezeichnen würde. All das habe ich ermöglicht, grübelte ich. Was für ein interessantes Erlebnis. Nicht so gut, wie meine typischen Freizeitaktivitäten, aber dennoch überaus interessant. Ich nehme an, wenn ich Gefühle hätte, wäre ich jetzt gerührt und bestürzt zugleich, aber stattdessen viel mir nur auf, dass ich echt Hunger hatte. Ich begann gerade erneut darüber nachzudenken, was ich, wenn ich zu Hause sein würde, am besten essen sollte und visualisierte die verschiedenen Geschmäcker meiner Lieblingsgerichte, als Frau Riedel an mich herantrat. “Vielen...“, sie stockte und räusperte sich. “Vielen dank für die Rettung!“ “Für die Erste oder für die Zweite?“, fragte ich schelmisch. Frau Riedel schmunzelte. “Für beide schätze ich.“ “Ach das hab ich doch gerne gemacht Frau Riedel“, sagte ich galant. “Jeden Tag eine gute Tat“, ich salutierte, “Das Motto der Pfadfinder.“ “Sagen Sie ruhig >Julia< zu mir.“ “Gerne, aber nur wenn Sie mich >Damian< nennen“, ich hielt ihr die Hand hin. “Halli hallo Julia. Es ist mir ein vergnügen dich kennenzulernen.“ Sie ergriff meine Hand. “Hallo Damian.“ Ich ließ ihre Hand los und reichte ihr eine meiner Visitenkarten. “Falls du nochmal einen Helfer oder einen Retter in der Not brauchen solltest, kannst du dich gerne bei mir melden.“ “Danke, ich komme vielleicht darauf zurück.“ “Okay dokay, ich verdrücke mich dann jetzt. Ich habe noch was zu erledigen. Wenn noch was sein sollte, weißt du ja wie du mich erreichen kannst.“ “Ja alles klar. Gute Fahrt!“ Ich drehte mich um und hob noch kurz zum Abschied die Hand, dann ging ich zu meinem Wagen, stieg ein und fuhr los. Ich fuhr im Autopilot nach Hause, dann stieg ich vor meiner schönen Eigentumswohnung in Oberhausen Styrum aus. Mein zu Hause befand sich in einer ruhigen Nebenstraße. Das Haus hatte drei Stockwerke, aber ich hatte nur einen Nachbarn, denn ich zum Glück nur selten zu Gesicht bekam. Gedankt sei es der Entfremdung und Isolation der Menschen der heutigen Zeit. Mein Nachbar wohnte im Erdgeschoss, während die beiden Stockwerke darüber mein kleines Reich waren. Ich reckte und streckte mich, dann ging ich um mein Auto herum zu meinem Kofferraum. Ich entfernte unauffällig die Folie daraus und stopfte sie in meine Tasche mit meinen Spielzeugen. Ich nahm die Tasche in die Hand und ging zur Haustür, dort stockte ich. Mir fiel schlagartig ein, dass mein Schuhe unwiderruflich ruiniert war. Deswegen ging ich zu den Mülltonnen, zog meine Schuhe aus und warf sie hinein. Danach ging ich nur auf Socken zurück zur Haustür, schloss die Tür auf und ging die Treppe hinauf, bis ich vor meiner Wohnungstür angekommen war. Dann schloss ich auch diese Tür auf. In meiner Wohnung angelangt zog ich meine Kleidung aus, versteckte meine Spielzeuge in dem Geheimfach in meinem Kleiderschrank und ging heiß duschen. Ich genoss das heiße Wasser und schrubbte mir auch die letzten Reste dieses verrückten Jagdausfluges von der Haut. Nach der Dusche zog ich mir bequeme Sachen an und stellte mich in die Küche, um mir meine langersehnte und wohlverdiente Mahlzeit zuzubereiten. Ich backte Kartoffeln im Ofen und schnitt mir einen Salat zurecht, dann briet ich ein 700 Gramm Steak in der Pfanne. Als alles fertig war, setzte ich mich an meinen kleinen Küchentisch und begann zu essen. Es schmeckte vorzüglich und jeder Bissen war eine wahre Wonne. Mutiere ich jetzt vom Herrn der Schmerzen zu einem Helden?, grübelte ich mit vollem Mund. Sollte ich mir vielleicht schon mal bunte Unterhosen kaufen und die dann über meiner normalen Kleidung tragen? Bei diesem Gedanken stieß ich ein beinah echtes Lachen aus und musste aufpassen, dass ich mich nicht verschluckte. So eine idiotische Vorstellung. Ich schaute auf die Uhr. Es war zwar erst 14:00 Uhr, aber ich fühlte mich wie gerädert, deshalb beschloss ich mich gleich schlafen zu legen. Ich aß auf, putzte mir die Zähne und ging ins Bett. Bevor ich in einen traumlosen Schlaf versankt, sah ich nochmal die Gesichter der Frauen aus dem Verlies und zu guter Letzt das Gesicht von Frau Riedel...halt ich sollte sie ja jetzt Julia nennen. Entsetzt riss ich die Augen auf. Warum habe ich ihr meine Nummer gegeben und wieso habe ich ihr meine Hilfe angeboten?! Was hat das zu bedeuten? Aber bevor ich eine Antwort auf alle diese Fragen gefunden hatte, war ich auch schon eingeschlafen.

Damian

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